Interview mit Angelina Jolie aus der Dezember

Transcription

Interview mit Angelina Jolie aus der Dezember
Muttermit
Mumm
Sie hat einen Sohn adoptiert.
Sie reist. Sie dreht Filme. Und
gibt Hoffnung I V O N S A R A D A V I D S O N
Angelina jolie lebt in zwei Welten: Da ist Hollywood, wo sie Filme
dreht und in Fünfsternehotels wohnt. Da sind aber auch die Flüchtlingslager in Afrika und Asien, in denen sie für die Vereinten Nationen arbeitet und heimatlosen Menschen Trost gibt. Sie sagt, sie
fühlt sich lebendig und ist ganz sie selbst, wenn sie mit Menschen
zu tun hat, die trotz schwerer Verluste lebensfroh geblieben sind.
Mit 24 erhielt Jolie für ihre Nebenrolle in dem Film Durchgeknallt,
in dem sie eine Außenseiterin spielte, einen Oscar. Doch Ruhm und
Geld gaben ihr nicht viel. Als Tochter der Schauspieler Jon
Voight und Marcheline Bertrand waren ihr die Schattenseiten der
Popularität bekannt: Die Eltern ließen sich scheiden, als Angelina
ein kleines Mädchen war. Heute sagt sie, die Taten ihrer wilden
Jugendzeit spiegelten in erster Linie das Bemühen wider, gegen die
innere Leere, die sie damals empfand, anzukommen.
38
FOTO: © FIROOZ MAHEEDI/JBGPHOTO.COM
RD Wort für Wort
Angelina Jolie
39
RD
I
DEZEMBER 2004
Nach den Dreharbeiten zu Lara
Croft: Tomb Raider in Kambodscha besuchte Jolie dort als UN-Botschafterin Flüchtlingslager. Darin sah sie die
Chance, ihren Namen und ihre finanziellen Möglichkeiten für eine gute
Sache einzusetzen.
Die Adoptivmutter des dreijährigen
kambodschanischen Jungen Maddox
möchte gern noch mehr Kinder adoptieren. Sie sprach mit uns in Beverly
Hills über ihre Rolle als Mutter von
Alexander dem Großen (dargestellt
von Colin Farrell) in ihrem neuen Film
Alexander, über ihr Bedürfnis, Vertriebenen zu helfen, und von ihrer
Sehnsucht nach einem Partner, mit
dem sie all das teilen kann.
RD: Wollten Sie schon immer Kinder
haben?
Jolie: Ich habe mich eigentlich nie in
der Elternrolle gesehen. Mir war bewusst, dass ich dabei nicht destruktiv
oder labil sein durfte. Ich hätte nicht
40
gedacht, dass ich einmal so ausgeglichen sein würde.
RD: Also hat Ihr Sohn Ihnen dabei geholfen, die Balance zu finden?
Jolie: Durch Maddox habe ich zu innerer Ruhe gefunden. Ich bin belastbarer, weil ich mein Leben geändert
habe, damit es uns beiden besser geht.
RD: Sie sahen Maddox erstmals, als
Sie für die Vereinten Nationen nach
Kambodscha reisten. Wer hat da wen
ausgesucht?
Jolie: Es ging wohl von
beiden Seiten aus. Ich hatte noch nie ein Kind im
Arm gehabt. Wenn man
mich fragte: „Möchtest du
mal das Baby halten?“,
sagte ich: „Oh, lieber
nicht ...“
In dem Waisenhaus waren 14 Kin-
FOTOS: (DURCHGEKNALLT) © COLUMBIA TRISTAR/THE KOBAL COLLECTION/SUZANNE TENNER;
(TOMB RAIDER) © PARAMOUNT/THE KOBAL COLLECTION; (ALEXANDER) © JAAP BUITENDIJK
MUTTER MIT MUMM
der; ihn sah ich als Letzten. Er schlief,
als er mir gereicht wurde. Sie badeten
ihn, aber er wachte auch da nicht auf.
Schließlich öffnete er die Augen und
sah mich lange an. Dann lächelte er.
RD: Etwa zu der Zeit ging Ihre Ehe mit
Billy Bob Thornton in die Brüche.
Jolie: Ja, die Beziehung litt darunter,
aber als Frau war ich nie glücklicher.
RD: Billy Bob soll über Sie gesagt
RD: Wie alt war er da?
Jolie: Er war drei Monate alt, als ich
ihn kennen lernte, und sieben Monate,
als ich ihn zu mir nach Hause nahm.
RD: War das eine große Umstellung?
Jolie: Ich meinte, ich müsse es mir
erst mal verdienen, Mutter zu sein, sodass ich es mir wahrscheinlich in manchen Dingen unnötig schwer machte.
Zu Hause unterstützte mich niemand.
Ich duschte, während Maddox in der
Babywippe war, oder versuchte, mir
die Zähne zu putzen, während er an
mir dranhing. Ein paarmal ging ich
nur in eine Decke gewickelt aus dem
Schlafzimmer, weil ich nicht wusste,
wie ich mich anziehen sollte, solange
ich ihn auf dem Arm hatte.
haben: „Ich hatte Angst vor ihr. Sie
war so schön, so klug. Sie wirkte zu
perfekt. Neben ihr kam ich mir klein
vor.“ Machen Sie Männern Angst?
Jolie: Ich bin nicht gerade der häusliche Typ. Das Gute daran ist, dass ich
immer mit irgendetwas beschäftigt
bin. Weniger gut ist, dass ich selten
Zeit habe, Händchen haltend vor dem
Fernseher zu sitzen. Oft bin ich bei
meinen Beziehungen nicht richtig bei
der Sache, sondern konzentriere mich
mehr darauf, was ringsum passiert.
Das mag nur ein bestimmter Typ von
Mann.
RD: Braucht ein Kind einen Vater?
Jolie: Es gibt Männer in meinem
Leben. Ich habe einen Bruder; MadAngelina Jolie freut
sich über ihren
Oscar für ihre Rolle
in „Durchgeknallt“
(ganz links mit
Winona Ryder).
Stark: Als Lara Croft
in „Tomb Raider“
(Mitte). Inzwischen
auch privat ihre
Lieblingsrolle:
Mutter. Hier in ihrem
aktuellen Film
„Alexander“, der am
23. Dezember anläuft
41
I
DEZEMBER 2004
dox wird also männliche Bezugspersonen haben. Auch ich selbst bin ohne
Vater groß geworden.
RD: Immerhin kannten Sie Ihren Vater.
Sie sahen ihn manchmal.
Jolie: Ja, aber meiner Meinung nach ist
das nicht unbedingt besser. Ich hatte
kein gutes Verhältnis zu meinem Vater. Als Kind erlebte ich meine Mutter
oft angespannt und weinend. Meinem
Sohn möchte ich Derartiges ersparen.
Ich meine, Kinder sollten nur von
Menschen umgeben sein und erzogen
werden, die sie voll und ganz lieben.
RD: Ihr Vater hat kürzlich gesagt, er
wolle sich mit Ihnen versöhnen und
den angerichteten Schaden wieder gutmachen. Sind Sie daran interessiert?
Jolie: Nein. Ich glaube auch nicht, dass
man solche Dinge nach außen tragen
sollte. Das ist Privatsache. Ich bin froh
darüber, irgendwann an einen Punkt
gelangt zu sein, an dem mir unabhängig von seiner Meinung bewusst
wurde, dass ich ein guter Mensch, eine
gute Freundin, eine gute Mutter bin.
Da ich meinen Sohn adoptiert habe,
hat für mich Blutsverwandtschaft
nicht zwangsläufig etwas mit Familie
zu tun. Eher sind Zeit und Liebe wichtig – man verdient es sich, Mutter oder
Vater zu sein. Es reicht noch nicht,
sich selbst so zu bezeichnen.
Nicht, dass ich meinen Vater hasse,
ihm die Schuld für das Scheitern der
Ehe mit meiner Mutter gebe oder ihm
seine Affären vorwerfe. Er ging seine
eigenen Wege. Aber ich akzeptiere
nicht, wie er meine Familie behandelt
42
hat, als ich heranwuchs. Wir haben es
ohne ihn geschafft und sind heute eine
zufriedene Familie. Ich will einfach
keine Tränen mehr darüber vergießen
oder meine Mutter noch einmal deswegen weinen sehen.
RD: Maddox wurde von einer armen
Waise zum umsorgten Sohn eines
Filmstars. Sie wissen, was es bedeutet, das Kind eines Filmstars zu sein.
Wie werden Sie damit umgehen?
Jolie: Natürlich wird er manchmal mit
Hollywood in Berührung kommen,
etwa wenn er mich am Drehort besucht. Aber er wird wissen, wie die
wirkliche Welt aussieht und wie viel
seiner Mutter an diesem Wissen liegt.
Er ist auf allen meinen Reisen für die
UNO dabei und hat schon den zweiten Pass; der erste ist voll gestempelt.
RD: Würden Sie weitere Kinder adoptieren?
Jolie: Mein Traum wäre, Kinder aus
aller Welt aufzunehmen und sie gemeinsam großzuziehen. Ich will erst
sehen, wie ich allein mit zweien oder
dreien zurechtkomme. Acht wären
schön, aber ich weiß nicht, ob ich das
alles noch schaffen würde.
RD: Sprechen wir über Ihre Arbeit in
den Flüchtlingslagern und Ihr Engagement für die Vereinten Nationen.
Jolie: Das war nicht geplant. Ich flog
wegen Tomb Raider nach Kambodscha
und bekam dabei zum ersten Mal eine
Vorstellung davon, was ich alles nicht
wusste – etwa, dass ich in einem Land
war, in dem ich nicht einfach so her-
FOTOS: (UNTEN) © SUKREE SUKPLANG/REUTERS/CORBIS; (OBEN) © GETTY IMAGES
RD
„Ich bin ein Mensch, der sich um
andere kümmert.“ Jolie in einem
Flüchtlingslager an der thailändischburmanischen Grenze (oben, 2002).
Mit Sohn Maddox bei einem Fest am
Weltflüchtlingstag in Barcelona
ma. Dadurch hörte ich vom UNHCR,
dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Das UNHCR kümmert
sich um 20 Millionen Bedürftige. Ich
wollte wissen, wie das zu schaffen ist.
RD: Sie gründeten Stiftungen ...
Jolie: Ich habe das Hilfsprojekt Madumlaufen konnte, weil manche Gebiete
voller Landminen sind. Später erfuhr
ich, dass mein eigenes Land den Vertrag über das Verbot von Landminen
nicht unterzeichnet hat. Ich reiste
mehr, informierte mich über das The-
dox für Kambodscha und meine JolieStiftung, die Kinder in Waisenhäusern
betreut. Und in Namibia unterstütze
ich ein Haus für Tierwaisen.
RD: Werden Sie auch an bedürftigen
Stellen in den USA aktiv?
43
RD
I
DEZEMBER 2004
Jolie: Ich habe mütterlicherseits indianische Vorfahren aus dem Volk der
Irokesen. Die Organisation „All Tribes Foundation“ arbeitet mit den
Stammesältesten zusammen. Zudem
fördere ich einen jährlichen Plakatwettbewerb an Grundschulen. Die
Schüler malen dazu Bilder für den
Weltflüchtlingstag in Washington.
Wenn tausende Kinder über ein solches Thema nachdenken, ist das toll.
Ich hoffe, dass sie so offener für ausländische Mitschüler, deren Kultur
und Erfahrung werden.
RD: Sorgen Ihre Aktivitäten in Hollywood nicht auch für Verwirrung?
Jolie: Ich werde etwa gefragt: „Was
lesen Sie denn da?“ Ich antworte: „Ein
Buch über Burma“, und mein Gegenüber antwortet: „Interessant! Sie wollen dort Urlaub machen?“ Aber es gibt
auch in Hollywood viele Menschen,
die ich gern mithelfen lassen würde.
Einmal organisierte ich daheim eine
Benefizveranstaltung, um Geld für das
Verbot von Landminen aufzutreiben.
Etwa 40 Personen kamen; einige hielten sehr gute Reden. Die Summe, die
diese wohlhabenden Leute spendeten,
war etwa doppelt so hoch wie meine
eigenen Organisationskosten in Höhe
von rund 2000 Dollar. Ich weiß, wie
viel Geld ich habe; ich weiß auch, was
diese Leute haben. Der Mangel an
Großzügigkeit war etwas enttäuschend. Deshalb zahle ich das Geld
lieber aus meiner eigenen Tasche.
RD: Dient Ihnen Ihre Bekanntheit als
Basis für Ihre Mission?
44
Jolie: Ein Film wie Tomb Raider, der
ein breites Publikum findet, hilft mir
materiell. Besuche ich dagegen eine
Schule mitten in Kenia oder Russland,
freuen sich die Kinder. Das ist schöner,
als einen Oscar zu bekommen.
Zu Beginn meiner Karriere fragte
ich mich, wofür man mir eigentlich so
viel Beachtung schenkte. Ich leistete ja
im Grunde nichts Besonderes. In den
Flüchtlingslagern aber bin ich glücklich, weil ich dort Ehrlichkeit und ein
Gefühl der Gemeinsamkeit spüre. Ich
fühle mich einfach nur als Mensch. In
diesen Ländern kennt mich niemand.
Ich mache mich nützlich als eine Frau,
die bereit ist, den Tag im Schmutz zu
verbringen. Vielleicht war diese Erkenntnis wichtig für mich.
RD: Erzählen Sie uns von Ihrem neuen
Film Alexander. Was hat Sie an dieser
Rolle gereizt?
Jolie: Die Mutter von Alexander dem
Großen ist eine interessante Persönlichkeit. Ihr Sohn soll keine Angst kennen, sondern hart und brutal sein. Damals überlebte kaum jemand einen
Kampf, wenn er nicht stark genug war.
Heute können wir unsere Söhne das
tun lassen, was ihnen Freude macht,
selbst wenn sie nicht besonders gut
darin sind. Alexanders Mutter musste
ihren Sohn zum Helden erziehen, weil
er nur so überleben konnte.
RD: Sie hatten eine schwere Kindheit.
Jolie: Wie jeder durchlebte ich die
Pubertät, in der man weder Kind noch
Erwachsener ist. Vielleicht hatte ich
es teilweise schwerer als andere.
MUTTER MIT MUMM
RD: Sie fügten sich selbst Schnittwunden zu.
Jolie: Die meisten Menschen können
so etwas schwer nachvollziehen. Ich
wollte mich irgendwie lebendiger fühlen. Ich schnitt mich und ließ es bluten; ich merkte, wie das Herz schneller schlug. So spürte ich, dass ich lebte.
RD: Gab es auch Momente, in denen
Sie nicht mehr leben wollten?
Jolie: Allerdings. Ich fühlte mich leer,
alles war mir egal. Und es ist noch ein
langer Weg auf der Suche nach mir
selbst. Aber heute weiß ich, dass ich
mich nützlich machen kann. Ich leihe
Menschen meine Stimme, die nicht
ohne Weiteres für sich selbst sprechen können. Ich kann Mutter sein und
weiß, wie das Leben meines Sohnes
aussähe, wenn ich mich anders entschieden hätte. Ich habe das Gefühl,
im Leben gebraucht zu werden.
RD: Haben die Flüchtlingslager Ihre
Sichtweise beeinflusst?
Jolie: Ja. Ich wusste nicht, wie ungerecht es in der Welt zugeht und wie
viel Glück ich selbst hatte. Meine
Nachbarn in Kambodscha sind Landminenopfer, aber sie klagen nicht. Sie
musizieren, sie lachen, sie ziehen ihre
Kinder auf. Alle halten zusammen.
Welch ein Unterschied zu jemandem,
der auf dem Weg zu seinem schicken
Büro im Auto sitzt und im Stau steckt.
RD: Gibt es etwas, was Sie noch nie
getan haben, aber unbedingt einmal
tun möchten?
Jolie: Ich bin überzeugt, dass mein
Leben noch sehr ereignisreich sein
wird. Ich werde helfen, wo ich kann.
Allerdings bin ich noch unsicher, ob
ich das alleine mache. Ich würde gern
glauben, dass ich mein Leben eines
Tages mit jemandem teile. Es stimmt
melancholisch, wenn man niemanden
hat, mit dem man einmal Erinnerungen teilen kann – die ersten Schritte
des eigenen Sohnes etwa. Das bekümmert mich. Aber wenn die einzige
große Liebe meines Lebens mein Sohn
bleiben sollte, wäre das auch gut.
RD: Und wenn es nicht Ihr Sohn ist,
wie müsste „er“ dann sein?
Jolie: Der Mann, mit dem ich mir ein
Zusammenleben vorstellen könnte,
müsste ein wunderbarer Vater und
einfühlsam, stark und selbstbewusst
sein. Ich hätte gern jemanden, der
mich fordert. Dieses Gefühl gibt mir
zurzeit nur mein Sohn. Mein Sohn
scheint aus irgendeinem Grund zu
glauben, dass ich alles kann.
ÜBERLEGENSWERT
Ich hatte meine 18-jährige Tochter zur Führerscheinprüfung gebracht.
Da ich ziemlich nervös war, lief ich die ganze Zeit im Vorraum der
Fahrschule auf und ab, und die Sekretärin beobachtete mich. Nach
einer Weile sagte sie zu mir: „Sparen Sie sich die Nervosität für die
Zeit auf, wenn sie den Schein in der Tasche hat.“
N. C.
45