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BESTE EMPFEHLUNGEN
Eine Institution feiert Geburtstag: Seit
drei Jahrzehnten führt Veit F. Stauffer
den RecRec-Laden im Zürcher Kreis 4. In
dieser langen und bewegten Zeit hat er
sich als Plattendealer mit unschlagbar
gutem Musikgeschmack etabliert.
Veit, ihr habt 1979 angefangen mit dem Laden. War das damals ein Wagnis
oder eher ein Exoten-Spleen?
Es war ein absolutes Wagnis. Bis 1982 hätte ich auch nie
gedacht, dass wir das dereinst hauptberuflich machen
könnten. Im September 1979 haben wir den ersten Mailorder-Katalog gemacht, und etwas später durften wir dann
im Paranoia-City an der Anwandstrasse und im Bro an der
Badenerstrasse unsere Platten in Kommission reinstellen.
Und wie habt ihr die Arbeit aufgeteilt?
In den ersten Jahren war der Daniel Waldner die treibende
Kraft. Er arbeitete damals auf dem Notariat Höngg und
verfügte über kaufmännisches Fachwissen.
Ende 1980 haben wir dann den zweiten Katalog gemacht.
Ich war zu jener Zeit ein halbes Jahr in München und hab
an meinem Buch geschrieben, daneben aber auch Texte
zum Katalog beigesteuert. Während ich in München beschäftigt war, haben Daniel Waldner und ich unsere Zürcher WG aufgelöst, also gab es diesen Alltagsaustausch
unter Mitbewohnern nicht mehr. Aber als Überraschung
hat er dann das Hinterzimmer eines Kleiderladens an der
Engelstrasse 62 angemietet und dort einen kleinen Plattenladen eingerichtet. Ich war absolut verblüfft, hab dem Shop
aber keine grossen Chancen eingeräumt.
1982 war ich einen Sommer lang in London und hab bei
Recommended Records mitgearbeitet – für Kost und Logis. Danach haben wir in Zürich das MaK-Festival gemacht. Die Abkürzung stand für «Musik ausser Kontrolle»
– ich weiss allerdings gar nicht mehr, wer den Slogan damals ausgeheckt hat. An vier Abenden spielten jeweils vier
Bands im Theatersaal und in der Aktionshalle der Roten
Fabrik, und pro Abend kamen rund 800 bis 1200 Leute.
Wie wirkte sich das auf den Laden aus?
War es bei deinem Wiedereinstieg nicht bereits abzusehen, dass der klassische kleine Plattenladen ein Geschäftsmodell mit ungewisser Zukunft ist?
Die grossen Ketten damals waren ja schon präsent.
Damals war es noch nicht so akut. Erst am 11. September
2001 hat die Krise begonnen – wenn man mal ein symbolisches Datum setzen will. Damals war plötzlich eine
grosse Verunsicherung zu spüren, auch in ökonomischer
Hinsicht. 1994 war vor allem ein musikalisch interessantes
Jahr, da Trip-Hop und Electronica in voller Blüte standen.
Von Mouse on Mars haben wir damals jeweils 100 Platten
verkauft, heutzutage vielleicht noch eine…
Aber auch die ganze Songwriter-Szene um das Label Glitterhouse hat sich entwickelt. Und ich war froh, dass endlich dieser unerträgliche Musikmüll aus den Achtzigerjahren verschwunden war.
«Recommended Records» – das bedeutet ja vor allem «empfehlen». Hast
du also eine ähnliche Funktion wie die Einkaufsratgeber bei Amazon.com?
In gewisser Weise schon, allerdings mit dem Unterschied,
dass ich meine Kunden kenne. Einige von ihnen kommen
vorbei und sagen: Gib mir mal fünf CDs. Dann hören sie
rein und entscheiden danach, was sie kaufen wollen.
Die medialen Kanäle haben sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. Das habt ihr wohl schon bei der Umstellung von Vinyl auf CD miterlebt.
Stimmt. Aber es war fast schon ein Glücksfall, dass ich in
jener schwierigen Übergangsphase pausiert habe. Als ich
dann wieder zurückkam, war die Umstellung bereits vollzogen, also musste ich nicht mehr alle Neuheiten auf zwei
Formaten vorrätig haben. Mein gegenwärtiges Vinyl-Sortiment besteht zu 90 Prozent aus Second-Hand-Sammlungen.
Ich lebe von 50 Prozent CD-Umsatz, von 25 Prozent Mailorder und von 25 Prozent antiquarischer Ware. 140 Prozent arbeiten und 90 Prozent Lohn – so sieht es dann unter
dem Strich aus.
Kommen wir mal noch auf den Begriff des «Plattenverkäufers» zu sprechen.
Hast du damals eigentlich eine entsprechende Lehre gemacht?
Fast! Im Herbst 1974 hat mir die städtische Berufsberatung
einen Schnuppernachmittag bei Radio/TV Seeholzer an der
Löwenstrasse vermittelt. Die hatten allerdings nur zwei
Plattenkisten, und das war mir deutlich zu wenig. Also
ging ich erst mal zweieinhalb Jahre in die F+F Tagesschule,
danach habe ich gejobbt, als Hilfsarbeiter oder im Service.
Daneben habe ich mich auch als Musikjournalist betätigt.
Ich bin also ein klassischer Quereinsteiger.
Natürlich äusserst positiv. Der ganze Betrieb wuchs, also
haben wir im September 1983 Vertrieb und Laden getrennt,
und bei einer der vielen Sitzungen wurde dann beschlossen,
dass ich den Laden übernehmen solle. Das war ziemlich
anstrengend, da ich zu jener Zeit eigentlich im Ziegel Oh
Lac arbeitete – ich stand also tagsüber im Laden und hab
dann am Abend noch eine Schicht im Service geschoben.
Drei Monate lang lief das parallel, bis ich dann den Sprung
gewagt habe und mir kurz darauf einen Lohn von 1000
Franken auszahlen konnte. Seither bin ich hauptberuflich
Plattenhändler.
Ein ausgebildeter Schallplattenverkäufer wäre wohl gar nie auf die Idee
gekommen, einen eigenen Laden zu eröffnen – viel zu viel Arbeit.
Allerdings mit Unterbrüchen.
Und gibt es auch so etwas wie einen Ladenhüter?
Genau. Von 1989 bis Mitte 1994 habe ich pausiert. Das
brachte viel, obwohl ich mit anderen Projekten und Ideen
nicht wirklich weiterkam. Aber es hat mich motiviert, beim
zweiten Anlauf dann wirklich dran zu bleiben.
Der Laden war in der Zwischenzeit an die Ackerstrasse 1
und von dort schliesslich an seinen heutigen Standort umgezogen. Zur Eröffnung des Ladens – die ich leider verpasst
habe – spielten die Young Gods und Les Reines Prochaines.
Auch den gibt es. Das Werk heisst «John Gavanti» und
wurde von Mitgliedern der Bands Mars und DNA eingespielt. Es ist eine No-Wave-Operette, die lose auf Mozarts
«Don Giovanni» basiert. Und diese Platte haben wir seit
Anbeginn im Sortiment.
Interview: Philippe Amrein
Zweifellos. Deshalb freue ich mich auch immer, wenn es
wieder Leute gibt, die dieses Wagnis trotz wirtschaftlicher
Bedenken auch heute noch eingehen. So sind tolle Läden
wie der Katalog an der Weinbergstrasse oder der englische
Buchladen Pile of Books an der Zentralstrasse entstanden.
Gibt es eigentlich Stammkunden, die schon seit Beginn dabei sind?
Die gibt es tatsächlich. Es sind rund zwei Dutzend Leute,
die immer drangeblieben sind.
nicolas y. aebi
RecRec
RecRec Zürich wurde im Herbst 1979 von Veit
F. Stauffer und Daniel Waldner gegründet, auf
Anregung des britischen Henry-Cow-Schlagzeugers Chris Cutler, der die Idee «Recommended Records» in England initiiert hatte und
in anderen Ländern Ableger suchte. Bis heute
besteht eine enge Verbundenheit, allerdings mit
finanzieller und stilistischer Unabhängigkeit.
Dank idealistischem Volleinsatz sowie vermutlich auch aufgrund der geographischen Lage der
Schweiz (mit ihrer Vielsprachigkeit), gelang es
hierzulande, das internationale Konzept, grenzüberschreitende (Rock-)Musik aus verschiedenen Ländern einem neugierigen Publikum
schmackhaft zu machen, das durch die Zürcher
Unruhen der Achtzigerjahre zusätzlich aufgerüttelt wurde. RecRec Zürich hat seit 1980 unzählige Konzerte organisiert, mit Vorliebe in der
Roten Fabrik: Aksak Maboul, Univers Zero,
Blurt, This Heat, Hermine, Virgin Prunes, John
Cale, Go-Betweens, The Fall, Glenn Branca, Elliot Sharp, Sonic Youth, Legendary Pink Dots,
John Zorn u.v.a.m.
Das erste Konzert aber wurde organisiert, als es
RecRec Zürich eigentlich noch gar nicht gab.
Der grosse Soft-Machine- bzw. Robert-WyattFan Stauffer war fasziniert von den Entwicklungen der englischen Canterbury-Szene und
erfüllte sich am 13.Januar 1978 einen Herzenswunsch: ein Schlüsselkonzert mit der Gruppe
Henry Cow in der legendären Besetzung Fred
Frith, Chris Cutler, Tim Hodgkinson, Lindsay
Cooper, Georgie Born und Dagmar Krause.
Letztere fiel für das Konzert krankheitshalber
aus, war jedoch kurz darauf im Sunrise Studio in Kirchberg zugegen, als Henry Cow mit
dem Schweizer Produzenten Etienne Conod ihr
nächstes Album aufnahmen – welches sich dann
als «Hopes & Fears» von Art Bears entpuppte...
Den RecRec-Laden & -Postversand gibt es in
Zürich seit dem August 1981, zweimal wurde das Lokal gewechselt, der heutige Standort
in der nähe des Volkshaus besteht seit dem
Oktober 93. Der Laden wurde 1983-89 von
Veit F. Stauffer geführt, der 1994 nach einer
fünfjährigen Pause von der Geschäftsleitung
wieder zurückgewonnen werden konnte, um
den alten Spirit am Leben zu erhalten. Neben
dem Hauptgebiet experimenteller Rock (= die
grenzüberschreitende RecRec-Szene) enthält
das Sortiment die Sparten Moderne Klassik &
Minimal Music, Jazz & Free Music, Rock &
Independent, Ambient & Electronica, Trip-Hop
& Dub, Ethno & World Music. Ebenfalls möglichst lückenlos erscheinen in der Rubrik «Wieder oder endlich erhältlich» zahlreiche Wiederoder Erstveröffentlichungen aus den genannten
Sparten des 20. Jahrhunderts.
Statt Katalogen gibt es seit 2004 ein monatliches
Rundmeil. Sämtliche in der Zwischenzeit eingekauften Tonträger werden mit persönlichen
Texten beschrieben und aufgelistet. Abgesteckt
wird dabei eine möglichst breite Auffassung des
Begriffs «die andere Musik», ohne die in gewissen Kreisen verbreitete Überheblichkeit der EMusik gegenüber der U-Musik zu zementieren.
veit f. stauffer
RecRec-Laden, Rotwandstr. 64, Zürich, www.recrec-shop.ch

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