Martin Luther King, Jr.: Leben – Werk – Vermächtnis - H-Soz-Kult

Transcription

Martin Luther King, Jr.: Leben – Werk – Vermächtnis - H-Soz-Kult
„I have a dream. . . !“ Martin Luther King, Jr.: Leben – Werk – Vermächtnis
„I have a dream. . . !“ Martin Luther King,
Jr.: Leben – Werk – Vermächtnis
Veranstalter: Michael Haspel, Evangelische
Akademie Thüringen, Friedrich SchillerUniversität Jena; Britta Waldschmidt-Nelson,
Amerika-Institut,
Ludwig-MaximiliansUniversität München
Datum, Ort: 04.04.2008–06.04.2008, Neudietendorf, Thüringen
Bericht von: Britta Waldschmidt-Nelson,
Ludwig-Maximilians-Universität München;
Michael Haspel, Evangelische Akademie
Thüringen, Friedrich Schiller-Universität Jena
Der amerikanische Theologe und Bürgerrechter Dr. Martin Luther King Jr. wurde in
den 1950er- und 1960er-Jahren die zentrale
Symbol- und Führungsfigur des afroamerikanischen Freiheitskampfes. Sein rückhaltloses
Engagement, für das er 1964 den Friedensnobelpreis erhielt, trug maßgeblich zur Überwindung der gesetzlichen Rassentrennung in
den USA bei und seine „I have a Dream“Ansprache vom 28. August 1963 gehört heute noch zu den bekanntesten und meistzitierten Reden der Welt.1 Weniger bekannt ist die
Tatsache, dass King sich seit Mitte der 1960erJahre nicht nur gegen die Diskrimi¬nierung
von Minderheiten, sondern auch verstärkt
gegen die soziale Ungerechtigkeit in Amerika und gegen den Vietnam-Krieg einsetzte. Seine öffentliche Opposition zur diesbezüglichen Politik der Johnson-Administration
machte ihn zur persona non-grata im Weißen
Haus und eine zunehmende Anzahl weißer
Amerikaner betrachtete ihn als Staatsfeind,
den man vernichten sollte. Am 4. April 1968
wurde King in Memphis Tennessee, wo er einen Streik von städtischen Müllmännern anführen wollte, ermordet.
Anlässlich seines 40. Todestages war es das
Ziel der Tagung, folgende Fragen anzusprechen: Welche Facetten von King verbergen
sich hinter der öffentlichen Persona? Was waren seine größten Erfolge und worin scheiterte er? Welche Rolle spielte die Religion bzw.
die schwarze Kirche und die Musik für die
Bürgerrechtsbewegung? Und schließlich, inwieweit sind Kings Leben und Werk auch
heute noch für uns von Bedeutung – insbesondere im Hinblick auf die Situation in ei-
nem zunehmend von globaler Migration geprägten Deutschland? Unter letzteren Aspekt
sollte sowohl die Frage der Gewalt in sozialen
Transformationen im Rahmen der gesamtpolitischen Lage diskutiert werden, als auch die
potentielle Inspiration des Vorbilds von King
hinsichtlich Toleranz, Umgang mit Pluralität,
Rechtsstaatlichkeit und dem Kampfes gegen
Fremdenfeindlichkeit heute. Die Tagung richtete sich nicht nur an Historiker und Amerikanisten, sondern auch an Theologen, Kulturwissenschaftler und allgemein an Martin Luther King Jr. Interessierte.
Die Veranstaltung begann mit einem Eröffnungsvortrag des Theologen HEINRICH W.
GROSSE (Hannover), der Ende der sechziger
Jahre in den USA Theologie studiert und beim
Mississippi Delta Project mitgearbeitet hatte.2
Sein Vortrag „Martin Luther King, Jr.’s Kampf
gegen Rassismus, Armut und Krieg“ bot eine Einführung in Kings Leben und Werk, in
der die thematische Entwicklung von Kings
ursprünglichen Bereich des Kampfes gegen
Rassismus über die ökonomischen Probleme der Armut bis hin zum Engagement gegen den Vietnam-Krieg verfolgt wurde. Grosses Leitthese hierbei war, dass es bei King
nicht nur diese thematische Schwerpunktverschiebung gab, sondern auch eine zunehmende Radikalisierung seiner Haltung insgesamt
stattgefunden habe. Neben der für die Tagung wichtigen Einführungsfunktion stimulierte der Vortrag die nicht neue, aber immer
noch bedeutende Frage, ob bei King tatsächlich eine Radikalisierung stattfand, oder ob
vielmehr die unterschiedlichen Schwerpunkte seiner Arbeit in der Öffentlichkeit jeweils
verschiedene Wahrnehmungen und Reaktionen provozierten.
Hatte Grosse in seinem Beitrag die Rolle
des aktiven gewaltfreien Widerstandes in der
Bürgerrechtsbewegung und die pazifistische
1 Nicht
zufällig war der diesjährige Parteitag der Demokraten in den USA so organisiert, dass Barack Obama,
der erste offizielle schwarze Präsidentschaftskandidat
einer der beiden großen Parteien, am 45. Jahrestag dieser Rede, d.h. am 28.8.2008, die Nominierung seiner
Partei offiziell annahm.
2 Grosses Werk Die Macht der Armen: Martin Luther
King und der Kampf für soziale Gerechtigkeit, das 1971
in Hamburg beim Furche Verlag erschien, war die erste auf Deutsch publizierte wissenschaftliche Monographie über King.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Haltung des späten King pointiert, so eröffnete SIMON WENDT (Heidelberg), basierend
auf den seiner Dissertation Gewaltfreiheit –
Prinzip oder Methode? zu Grunde liegenden
Forschungen bislang weitgehend übersehene,
überraschende Perspektiven.3 In seinem Vortrag „Pazifismus, gewaltloser Protest und bewaffneter Widerstand in der Bürgerrechtsbewegung“ legte er dar, dass neben der gewaltfreien Strategie der von King geführten Southern Christian Leadership Conference im Süden der USA in den 1950er und 1960er Jahren zahlreiche schwarze Selbstverteidigungsgruppen entstanden. Von besonderem Interesse war hierbei, dass zwischen den gewaltfreien Aktionen und der „armed self-defence“
kein prinzipieller Gegensatz bestehen musste. So übernahmen solche bewaffneten Verteidigungsgruppen bisweilen den Schutz gewaltfreier Aktionen etwa gegen den Klu Klux
Klan oder den Personenschutz für gefährdete Personen. Wendt überzeugte vor allem
dadurch, dass er jenseits früherer ideologischer Debatten in ausgewogener und nüchterner Manier ein nahezu komplementäres Verhältnis von aktivem gewaltfreiem Widerstand
und bewaffneter Selbstverteidigung konstatieren konnte.
Nachdem in den ersten beiden Vorträgen
eher die Binnenperspektive der schwarzen
Bürgerrechtsbewegung im Fokus war, ordnete MANFRED BERG (Heidelberg) mit seinem
Vortrag „What we are fighting for“ die Bedeutung der Bürgerrechtsbewegung für die
amerikanische und internationale Politik die
Bürgerrechtsbewegung in den größeren nationalen und internationalen politischen Kontext ein.4 Berg zeichnete nach, wie die schwarze Bürgerrechtsbewegung zum Modell der
neuen sozialen Bewegungen insgesamt wurde und so die gegenwärtige multikulturelle
Gesellschaft der USA und darüber hinaus erst
möglich gemacht und damit auch die Koordinaten der beiden großen Parteien neu justiert, mithin die lange Herrschaft der Republikaner bewirkt hat. Dabei machte er deutlich, dass die Segregation und ihre Überwindung nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal überwiegend, ein Problem des Südens
war, sondern der gesamten USA, denn auch
wenn die Rassenschranken im Norden nicht
gesetzlich sanktioniert waren, minderte dies
ihre ökonomische und sozio-kulturelle Wirksamkeit in vielen Bereichen kaum. Berg stellte
außerdem fest, dass der Kalte Krieg in doppelter Weise für die schwarze Bürgerrechtsbewegung von Bedeutung war: Zum einen
wurde die Rassentrennung im eigenen Land
zunehmend ein Glaubwürdigkeitsproblem in
der ideologischen Auseinandersetzung mit
dem Sowjetblock in der so genannten Dritten
Welt. Zum anderen aber wirkte sich der ideologische und repressive Anti-Kommunismus
auf die Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung aus, die generell unter Kommunismusverdacht gestellt wurde. Letztendlich kam
Berg jedoch zu folgender Schlussfolgerung:
Die Reaktion auf die Bürgerrechtsbewegung
war einerseits ganz überwiegend innenpolitisch motiviert und andererseits hatten die politischen Erfolge im Kampf gegen die amerikanische Apartheid damals praktisch keine
Auswirkungen auf die amerikanische Außenpolitik etwa in ihrem Verhältnis zum südafrikanischen Apartheidsregime. Gleichwohl, so
betonte Berg, dürfe die Reichweite der durch
die Bürgerrechtsbewegung bewirkten politischen Veränderungen nicht zu gering veranschlagt werden, insbesondere angesichts der
Tatsache, dass dieses Jahr, vier Jahrzehnte
nach dem Tod Martin Luther Kings, erstmals
ein Afroamerikaner von einer der beiden großen amerikanischen Parteien als ihr Präsidentschaftskandidat nominiert worden ist.
In theologisch-sozialethischer Perspektive
vertrat MICHAEL HASPEL (Jena) mit seinem Vortrag „Martin Luther King, Jr. als
Theologe, Kirchenführer und Bürgerrechtler:
Die Kontextualisierung Schwarzer Theologie
und die Mobilisierung der Schwarzen Kirchen in der Bürgerrechtsbewegung“ die These, dass die moderne schwarze Bürgerrechts3 Wendt
ist u.a. Autor von The Spirit and the Shotgun:
Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights.
Gainesville: University Press of Florida, 2007.
4 Neben zahlreichen anderen Werken zur Geschichte
und Historiographie der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ist Berg vor allem für seine bahnbrechende Studie zur größten und ältesten schwarzen Bürgerrechtsorganisation, der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) bekannt: Manfred
Berg, The Ticket to Freedom: Die NAACP und das
Wahlrecht der Afro-Amerikaner. Frankfurt a.M.: Campus, 2000 sowie The Ticket to Freedom: the NAACP
and the Struggle for Black Political Integration. Gainesville: University Press of Florida, 2005.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
„I have a dream. . . !“ Martin Luther King, Jr.: Leben – Werk – Vermächtnis
bewegung im Süden der USA in den fünfziger und sechziger Jahren notwendig auf die
Ressourcen der Schwarzen Kirche angewiesen war, und – so die Pointe – es keineswegs selbstverständlich war, dass die Schwarze Kirche, diese auch zur Verfügung stellen
konnte und wollte.5 In der Forschung wird oft
davon ausgegangen, dass die Black Church
eben die einzige gesellschaftliche Institution
gewesen sei, die als organisatorisches Rückgrat der Bürgerrechtsbewegung in Frage kam.
Haspels Argumente qualifizierten diese These, indem er zum einen zeigte, dass es keinesfalls selbstverständlich war, dass die Urban
Black Church, die sich zudem im Zuge der
Great Migration mancherorts in einer existentielle Krise befand, sich zu einer solch potenten Organisation entwickeln würde, wie es
dann tatsächlich der Fall war. Zum anderen
führte er aus, dass es ebenfalls nicht selbstevident war, dass diese urbanen schwarzen
Kirchen dazu bereit sein würden, ihre relative, erst in den fünfziger Jahren erreichte Stabilität durch den Kampf gegen die Segregation
wieder zu gefährden. Haspel identifiziert als
Grund hierfür die Entwicklung einer kontextuellen Theologie, die exemplarisch bei Martin Luther King, Jr. rekonstruiert wurde. Diese
nahm als Bezugsrahmen theologischer Reflexion die gegebene gesellschaftliche Situation
an, um sie dann durch das theologisch motivierte gesellschaftliche Handeln der Schwarzen Kirche zu verändern.
Als nächstes kontrastierte der Generalkonsul der Vereinigten Staaten in Leipzig, MARK
SCHELAND (Leipzig), zwei unterschiedliche
Perspektiven aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung miteinander. Das eine war der persönliche Erfahrungsbericht einer Tante aus
seiner Familie, die als weiße Schülerin die
Schulintegration im Süden der USA miterlebt und ihre Erinnerungen hieran speziell
aus Anlass der Konferenz für ihn dokumentiert hatte. Daneben stellte Scheland einen
kurzen biographischen Bericht der afroamerikanischen US-Außenministerin Condoleezza
Rice über ihre Erfahrungen in der damaligen
Zeit. Durch diese persönlich-biographischen
Perspektiven wurde vieles von dem plastisch
und konkret, was zuvor in den Vorträgen in
eher analytischer Perspektive zur Sprache gebracht worden war.
Die Keynote Address der Tagung wurde
von dem renommierten King-Biographen PETER LING (Nottingham) gehalten.6 In seinen Ausführungen zu der Frage „An welchen Martin Luther King sollen wir uns erinnern?“ konzentrierte Ling sich auf die ganz
unterschiedlichen Facetten von Kings Leben
und die Rezeption derselben. Zwar lehnte er
die Forderung des afroamerikanischen Historikers Mike Dyson ab, die „I have a dream“Rede für zehn Jahre zu verbieten, weil sie ein
einseitiges Bild von King zeichne, wies aber
darauf hin, dass King vielfältige andere Aspekte und Facetten in sich vereinigte. Weiter demonstrierte Ling, dass es sich bei seiner
Dream-Rede nicht nur um ein politisches sondern auch um ein medienhistorisches Ereignis
handelte: Sie war neben der berühmten Rede
Präsident Kennedys von 1961 die wichtigste
Ansprache, die im amerikanischen Fernsehen
bis dahin gezeigt wurde. Zugleich war es eine der ersten großen Live-Berichterstattungen
überhaupt. Alle drei großen Fernsehsender
schalteten live auf die Mall als King sprach
und dies veränderte Kings öffentliche Rezeption dramatisch. Als Redner und Prediger
hatten ihn vorher nur die wenigsten erlebt;
bei Fernsehauftritten in den Talk-Shows war
ein anderer King zu sehen, ein nachdenklicher, ausgewogener. Am 26. August 1963 präsentierte sich ein großer, charismatische Bürgerrechtler, den viele nun als „moralisches
Gewissen der Nation“ ansahen. Gleichwohl
darf man nicht vergessen, dass King zwischen dem Busboykott in Montgomery und
den Kampagnen von 1963 eigentlich fast nur
Niederlagen erfahren hatte, und dass er in
den letzten Monaten seines Lebens, in denen
er sich als charismatischer Prophet gegen Armut und Krieg öffentlich immer deutlicher
äußerte, immer weniger gehört wurde. Ling
machte deutlich, dass man King nur gerecht
wird, wenn gerade dieser unterschiedlichen
Facetten seines Lebens und Wirkens in der
5 Über
das Thema politisch aktiver Protestantismus
publizierte Haspel 1997 Politischer Protestantismus
und gesellschaftliche Transformation: Ein Vergleich der
evangelischen Kirchen in der DDR und der schwarzen
Kirchen in der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Tübingen: Francke Verlag, 1997.
6 Lings hervorragende Biographie Martin Luther King,
Jr. erschien 2002 (2. Auflage 2004) in London und New
York im Routledge Verlag.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
Zusammenschau gedacht wird.
Neben den Vorträgen wurde das Programm
der Tagung am Samstagabend durch eine zu diesem Anlass uraufgeführte künstlerische Darbietung bereichert. Die aus den
USA stammende afroamerikanische Opernsängerin und Komponistin WENDY WALLER (Weimar) hatte unter dem Titel „Libera me in Anacruse Deo: On to and _for in
the Key of Sable“ eine Szenenfolge kreiert,
die wesentliche Inhalte der Tagung im Medium des Musiktheaters vertiefte. Das von Waller gemeinsam mit sechs anderen schwarzen
und weißen Sängern und Musikern aufgeführte Stück zeigte exemplarisch den Einfluss
schwarzer Musiker auf die Entwicklung der
Klassischen Musik in Europa auf und stellte
somit Aspekte der Musik- und Gesellschaftsgeschichte dar, die im kollektiven Gedächtnis
weitgehend verdrängt worden sind. Weitere
Szenen nahmen Bezug auf die Lynch-Praxis
im Süden In einer Parallelisierung des theologischen und politischen Weges von Dietrich
Bonhoeffer und Martin Luther King, Jr. gelang
es in dem Stück zudem sehr gut, die Fragen
von Rassismus, Armut und Gewalt aus der
rein historischen Rekonstruktion im Kontext
der Bürgerrechtsbewegung zu lösen und einen Bezug zur jüngeren deutschen Geschichte und Gegenwart herzustellen. Die musikalische Ausgestaltung umfasste sowohl klassische Musik als auch Elemente des Jazz, Spiritual und Gospel. Damit wurde auch der kulturelle Hintergrund des Civil Rights Movement adäquat wiedergegeben, in dem ja die
Musik in ihrer ganzen Vielfalt eine besondere Rolle spielte. Dieser Teil der Tagung war
auch für die allgemeine Öffentlichkeit geöffnet und somit wurden insgesamt rund 170
Menschen Zeuge dieser außergewöhnlichen,
musikalisch hervorragenden und zugleich inhaltlich sehr eindringlichen Aufführung. Eine
ähnliche Wirkung kann auch für den ebenfalls
öffentlich zugänglichen Gospel-Gottesdienst
festgestellt werden, mit dem am Sonntagmorgen der letzte Teil der Tagung begann.
Der letzte Beitrag der Tagung stammte von
BRITTA WALDSCHMIDT-NELSON (München).7 Ihr Vortrag, „The Trumpet of Conscience: Das Vermächtnis von Martin Luther
King, Jr.“ konzentrierte sich auf die Frage,
inwieweit Kings Traum 40 Jahre nach sei-
nem Tod verwirklicht wurde, d.h. ob das Leben für Amerikas schwarze Bevölkerung heute spürbar besser und von mehr sozialer Gerechtigkeit geprägt ist, und ob sich die Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß harmonisiert haben oder nicht? Sie gab einen
Überblick über die Entwicklung der Situation
schwarzer Amerikaner seit den 1960er-Jahren,
dessen Fokus auf dem Aspekt der politischen
Repräsentation lag, aber auch andere Bereiche (z.B. Bildung, Arbeitsmark, Justizsystem,
und Kultur) wurden diskutiert. Letztendlich,
so das Fazit von Waldschmidt-Nelsons Analyse, seien die USA trotz der beachtlicher Fortschritte, die in den o.g. Bereichen inzwischen
gemacht wurden, auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch weit von der Erfüllung jenes
Traums, den Martin Luther King 1963 artikulierte, entfernt. Wegen der Komplexität vieler Probleme (v.a. wegen des Zusammenwirkens der Faktoren Rasse und sozialer Klasse),
sei auch keine baldige Lösung dieser Problematik in Sicht. Selbst unter einem Präsidenten Obama, der von vielen als „neuer Hoffnungsträger“ der „Black Community“ gesehen wird, könne man positive Veränderungen
nur langsam und schrittweise erwarten. Das
Vermächtnis Kings, die gesellschaftliche Herausforderung, Rassenhass, Diskriminierung,
Armut und Krieg zu überwinden, bestehe somit in jedem Fall weiterhin – nicht nur in den
USA, sondern in Europa und der ganzen Welt.
Die an diesen Vortrag anschließende Panelund Schlussdiskussion der Tagung führte die
unterschiedlichen Perspektiven noch einmal
zusammen. Dabei wurde zum einen deutlich, dass gerade die Mikro-Studien der letzten Jahre das Bild Kings und der Bürgerrechtsbewegung ergänzen und differenzieren.
Im interdisziplinären Austausch können auf
diese Weise verfestigte Bilder Kings dynamischer und differenzierter gestaltet werden.
Dies schmälert keineswegs seiner Bedeutung
für die Gegenwart, sondern wirkt vielmehr
einer falschen Monumentalisierung entgegen,
wodurch eher neue Impulse für die sozialen
und politischen Debatten der Gegenwart freisetzt werden können.
7 Neben
anderen Publikationen zur afroamerikanischen
Geschichte und Politik ist Waldschmidt-Nelson Autorin der Doppelbiographie Gegenspieler: Martin Luther
King – Malcolm X. Frankfurt a.M.: Fischer 52007.
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.
„I have a dream. . . !“ Martin Luther King, Jr.: Leben – Werk – Vermächtnis
Abschließend sei noch erwähnt, dass die
Tagung zwar weitgehend in Form von Plenarsitzungen stattfand, aber der Diskussion
nach den einzelnen Vorträgen und auch der
Schlussdiskussion wurde genügend Raum
gegeben, so dass im Laufe der Veranstaltung
eine intensive Verbindungslinie zwischen einzelnen Themen entstehen konnte. Die oben
geschilderten, außergewöhnlichen musikalischen Programmpunkte, trugen darüber hinaus zu einem ganzheitlichen Verständnis zentraler Inhaltspunkte der Tagung bei. Bemerkenswert war auch die Zusammensetzung
der Tagungsteilnehmer/innen. Neben wissenschaftlich Interessierten waren Aktivisten/innen aus der DDR-Friedensbewegung,
ehemalige GIs, in Deutschland lebende Amerikaner/innen, und auch viele junge Leute gekommen, so dass hier ein außergewöhnlich
interdisziplinäres und zum Teil aus direkter
Betroffenheit motiviertes Gespräch stattfand,
wie es keinesfalls selbstverständlich ist. Neue
Impulse und Einsichten gab es zum Beispiel
im Themenbereich Gewaltfreiheit vs. bewaffnete Selbstverteidigung und besonders intensiv wurde darüber diskutiert, ob bei King tatsächlich eine Radikalisierung stattgefunden
hat, oder ob es vor allem der Wechsel der Themen und politischen Ereignisse war, der ihn
in der Öffentlichkeit zunehmend kontrovers
erscheinen ließ.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Tagung
nach unserem Wissen die einzige dieser Art
zu Kings 40. Todestag in Deutschland war.
Sie hat wichtige Experten mit einem außergewöhnlich diversen Publikum zusammengebracht, zu intensiven Diskussionen angeregt und neue Impulse gesetzt, wodurch hoffentlich zur einer angemessenen Würdigung
des Vermächtnisses von Martin Luther King,
Jr. beigetragen werden konnte. Ein Sammelband mit den ausformulierten Tagungsbeiträgen soll noch in diesem Jahr im Wartburg Verlag erscheinen.
Mark Scheland, Amerikanisches Generalkonsulat Leipzig
Vortrag 1 Prof. Dr. Heinrich W. Grosse, Hannover:
Die Macht der Armen: Martin Luther King,
Jr.s Kampf gegen Rassismus, Armut und
Krieg.
Vortrag 2Dr. Simon Wendt, Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg:
Gewaltfreiheit – Prinzip oder Methode? Pazifismus, gewaltloser Protest und bewaffneter
Widerstand in der Bürgerrechtsbewegung.
Vortrag 3 Prof. Dr. Manfred Berg, RuprechtKarls-Universität Heidelberg
„What we are fighting for . . . “ Die Bedeutung der Bürgerrechtsbewegung für die USamerikanische und internationale Politik.
Vortrag 4 PD Dr. Michael Haspel, Friedrich
Schiller-Universität Jena
_Martin Luther King, Jr. als Theologe, Kirchenführer und Bürgerrechtler:
Die Kontextualisierung Schwarzer Theologie
und die Mobilisierung der Schwarzen Kirchen in der Bürgerrechtsbewegung._
Vortrag 5 Prof. Dr. Peter Ling, University
of Nottingham_Which Martin Luther King
Should We Remember? _
Vortrag 6 PD Dr. Britta Waldschmidt-Nelson
Ludwig-Maximilians-Universität München
„The Trumpet of Conscience“: Das Vermächtnis von Martin Luther King, Jr.
Tagungsbericht „I have a dream. . . !“ Martin
Luther King, Jr.: Leben – Werk – Vermächtnis.
04.04.2008–06.04.2008, Neudietendorf, Thüringen, in: H-Soz-Kult 21.10.2008.
Konferenzübersicht:
Begrüßung und Einführung
PD Dr. Britta Waldschmidt-Nelson, LudwigMaximilians-Universität München
PD Dr. Michael Haspel, Direktor Ev. Akademie Thüringen
Grußwort und Kurzvortrag:Generalkonsul
© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.