Grenzabstände contra Wärmedämmung?
Transcription
Grenzabstände contra Wärmedämmung?
24_28_Seehausen:Layout 1 23.06.2010 Wärmeschutz 11:35 Uhr Seite 24 3/2010 – 24 – Grenzabstände contra Wärmedämmung? Durch die „Energieeinsparverordnung (EnEV)“ möchte das Bundeswirtschaftsministerium den Energieverbrauch von Wohngebäuden reduzieren, letztendlich um die Bundesrepublik unabhängiger von Energieimporten zu machen. Das Bundesumweltministerium möchte zusätzlich die Umweltbelastungen durch das Verbrennen dieser Energie reduzieren und hat deshalb zusätzlich das „Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG)“ erlassen. Beide Regelungsbereiche stehen gleichberechtigt neben den Bauvorschriften der Länder und dem Bauplanungsrecht des Bundes; eine Über- oder Unterordnung einer dieser Vorschriften unter eine andere ist nicht vorgesehen. Die Gesetzgeber gehen davon aus, dass die „Gesetzesanwender“ in jedem Einzelfall in der Lage sind, alle Vorschriften jedes Gesetzes einzuhalten, und dass in den Fällen, wo dies nicht möglich ist, die Realisierung des Vorhabens unterbleibt. Autor: Prof. Dipl.-Ing. K. R. Seehausen, Marburg Zusätzlich sind alle privatrechtlichen Vorschriften zu beachten, die sich aus dem BGB, den Nachbarrechtsgesetzen, Grundbucheintragungen etc. ergeben. Es wird also den Praktikern vor Ort überlassen, alle diese Vorschriften am jeweiligen Bauwerk zu kennen und aufeinander abzustimmen. Früher konnte die Bauaufsicht in Baugenehmigungsverfahren präventiv viele Bereiche zumindest des öffentlichen Rechts abfragen und im Konfliktfall darüber entscheiden; heute ist dies durch umfangreiche Freistellungen von der Baugenehmigungspflicht, durch eingeschränkte Prüfungspflichten in den neuen vereinfachten Baugenehmigungsverfahren und dem Wegfall der „Schlusspunktwirkung“ der Baugenehmigung (wie z.B. in Hessen) kaum noch möglich. Es kommt hinzu, dass in diesen Bereichen jedes Bundesland unterschiedliche Regelungen und Begriffe eingeführt hat. Die nach Landesbauordnung „am Bau Verantwortlichen“ (Entwurfsverfasser, Bauleiter und Unternehmer) sind somit damit allein gelassen, alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften der unterschiedlichsten Regelungsbereiche und des privaten Rechts mit den bautechnischen und bauphysikalischen Notwendigkeiten abzustimmen. Auf behördliche Auskünfte können sie sich nicht mehr verlassen, wie z.B. das OLG Koblenz im Urteil vom 12. Dezember 2007-1 U 180/07 – in einem wohlformulierten Satz einmal mehr bestätigt hat: „Die Auskunft eines Bediensteten der Baubehörde, in einem Bauplanungsgebiet könne gebaut werden, bildet in der Regel keine ausreichende Verlässlichkeitsgrundlage für nachfolgende Investitionen“. Andererseits ist „Einsparen von Energie“ gegenwärtig eine große Innovation für das Bauhandwerk. Die Hauseigentümer werden durch Politik, Förderprogramme, Baustoffprospekte und Zeitschriften ermuntert, viel Geld für Investitionen in Energiesparmaßnahmen auszugeben; alle Baugewerke versuchen, diese Welle auszunutzen und Aufträge zu erhalten. Dass dabei viele andere Rechtsbereiche missachtet, bauphysikalische Grundregeln vergessen und Grundsätze der Förderrichtlinien nicht berücksichtigt werden, führt zu stetigem Anwachsen der Zahl von Prozessen, die meistens die Entwurfsverfasser und Unternehmer verlieren. Nachträgliche Wärmedämmung am Altbau Große Unsicherheiten bestehen besonders bei Wärmedämmung an Altbauten. Da hier das größte Potential für Energieeinsparung liegt, bemühen sich viele zu Recht, Altbauten energetisch aufzurüsten. Nicht erkannt wird dabei, dass bei Nachrüstung von Altbauten aus rechtlichen und bauphysikalischen Gründen große Probleme entstehen können, die oft gar nicht und wenn, dann nur unter erheblichen Problemen und mit unverhältnismäßigen Kosten gelöst werden können. Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber bereits in der EnEV nachträgliche Maßnahmen zur Energieeinsparung an bestehenden Gebäuden erheblich beschränkt, obwohl auch ihm natürlich bekannt ist, dass durch die Beheizung von Altbauten die meiste Energie nutzlos verbraucht wird. Aber über den „baurechtlichen Bestandsschutz“ konnte sich auch der Gesetzgeber nicht hinwegsetzen. Statt per Gesetz für Altbauten umfangreiche Dämmmaßnahmen anzuordnen, bietet der Gesetzgeber deshalb für Altbauten finanzielle Anreize für freiwillige Energiesparmaßnahmen an. Hier ist schon die erste Falle für Gebäudeenergieberater, Unternehmer und Entwurfsverfasser: denn wenn sie bei den Eigentümern den Eindruck erwecken, dass die Gesetze zwingend fordern, ihren Altbau energetisch aufrüsten zu müssen, erschleichen sie mit falscher Beratung einen Auftrag. Wenn der Altbau unverändert bestehen bleibt und weder ausgebaut noch modernisiert wird, ist kein Eigentü- mer gezwungen, Wärmedämmmaßnahmen auszuführen (§§ 10 und 11 EnEV). Etwas anderes gilt nur für Heizungsanlagen, die dem Bundesimmissionsschutzgesetz unterliegen, das den Grundsatz des „baurechtlichen Bestandsschutzes“ nicht kennt. Ein Zwang besteht nur zur Dämmung der obersten Geschossdecke bis zum 31. Dezember 2011, wenn die Kosten durch Energieeinsparung innerhalb von 10 Jahren erwirtschaftet werden können (was nach der Rechtsprechung unter der „angemessenen Frist“ des § 10 Abs. 6 EnEV zu verstehen ist). Wenn es aber um Wärmedämmung, neue Fenster oder Außenwandverkleidungen geht, sollte der Zimmermann keinesfalls den Eindruck erwecken, der Gesetzgeber würde in der EnEV die Nachrüstung von Altbauten erzwingen. Wärmedämmung bei Umbauten Erst wenn der Altbau umgebaut oder modernisiert werden soll oder Anbauten vorgesehen sind, greifen die Regelungen der EnEV, aber im Umfang beschränkt auf § 9 EnEV. Leider bestehen die dort aufgeführten Begriffe, Prozentzahlen und Berechnungen meist aus einer Aneinanderreihung unbestimmter Rechtsbegriffe, über deren Auslegung im Einzelfall heftig diskutiert werden kann. Selbst die kommentarähnlichen Interpretationsüberlegungen und Empfehlungen der Fachkommission Bautechnik der Bauministerkonferenz zu Auslegungsfragen der EnEV sind zwar aus baufachlicher Sicht nicht falsch, aber kein Gesetz, keine Verordnung und keine Richtlinie und nicht einmal eine privatrechtliche Norm; sie brauchen von Gerichten keinesfalls anerkannt werden. Wenn dort z.B. der Begriff „Bauteil Wand“ so interpretiert wird, dass damit alle Außenwände gemeint seien, so 24_28_Seehausen:Layout 1 23.06.2010 11:35 Uhr Seite 25 ist diese Auslegung zwar technisch und wirtschaftlich sinnvoll, aber rechtlich bedenklich. Denn in allen technischen Gesetzen wird als „Wand“ nur eine der vier Außenwände eines Gebäudes bezeichnet und sogar heftig diskutiert, ab wann ein wie starker Rücksprung in dieser Wand dazu führt, dass zwei Wände bestehen. Die Vorschriften und Kommentare zu den Abstandsvorschriften und dem „Schmalseitenprivileg“ der Landesbauordnungen verdeutlichen diese Problematik. Der Zimmerer sollte deshalb immer mit Aussagen sehr zurückhaltend sein, die so interpretiert werden können, dass für bestimmte Energiesparmaßnahmen aus irgendwelchen Gründen ein gesetzlicher Zwang bestehen würde, um sich nicht später dem Vorwurf auszusetzen, die Bauherrschaft nur zum Vergrößerern der Auftragssumme überredet zu haben. Nicht zur Kenntnis genommen wird in der Regel der § 24 EnEV, nach dem an Baudenkmalen nicht nur keine Pflicht für irgendwelche nachträglichen Wärmedämmmaßnahmen besteht, sondern diese sogar verboten sind. Folglich sind Baudenkmäler auch von der Ausstellung des Gebäudeenergiepasses befreit. Welcher Zimmerer fragt aber schon bei der Denkmalfachbehörde nach, ob das kleine Fachwerkhaus ein Baudenkmal ist, bevor er den Auftrag für eine Außenwandverkleidung oder eine neue Dachdeckung annimmt? Wenn er aber als „am Bau verantwortlicher Unternehmer“ tätig wird, darf er seiner Bauherrschaft keinen Schaden zufügen, indem er rechtswidrige Baumaßnahmen ausführt. Die gesetzlichen Forderungen für nachträgliche Wärmedämmmaßnahmen sind also sehr gering und wenig konkret. Um so mehr wird bei den Altbaubesitzern darum geworben, freiwillig möglichst viel Wärmedämmung aufzubringen. Zu dieser Werbung gehören Angebote für Zuschüsse und Darlehen, Versprechun- Wärmeschutz – 25 – 3/2010 gen für große Einsparungen bei künftigen Energiekosten und Drohungen für Mietreduzierungen. Außerdem wird fälschlich der Eindruck erweckt, dass zugunsten der Energieeinsparung alle baurechtlichen Vorschriften aufgehoben seien. Es ist deshalb in der Regel sehr schwer, einen Hauseigentümer ordnungsgemäß zu beraten, der an seinem Altbau Energiesparmaßnahmen anbringen will, ohne Kosten, Bauphysik und Baurecht berücksichtigen zu wollen. Der Zimmerer muss ihm aber in seiner Funktion als Entwurfsverfasser, Gebäudeenergieberater und Unternehmer klar machen, dass die EnEV nicht über anderen Rechtsbereichen steht und Privatrecht, Bauordnungsrecht und Bauplanungsrecht zusätzlich zu beachten sind. Auch die Nachbarschaft verliert ihre Rechte nicht. Einige für die Praxis wichtige Vorschriften sollen diese Probleme verdeutlichen und den Zimmerer zu größter Vorsicht auffordern, denn bei Verstößen ist er hinterher immer für Schäden ersatzpflichtig. Diese Bauteile bleiben auch dann baugenehmigungsfrei, wenn sie Bestandteil eines Vorhabens sind, das den formalen Vorschriften der §§ 56, 57 oder 58 HBO unterliegt; selbst wenn auf den Bauzeichnungen ein Genehmigungsstempel aufgedrückt ist, kann sich der Zimmerer nicht auf eine behördliche Genehmigung berufen. In Hessen ist bei Vorhaben nach den §§ 56, 57 und 58 HBO zu beachten, dass ein Nachweisberechtigter nach § 59 HBO die Wärmeschutznachweise aufgestellt und ihre Ausführung überwacht haben muss. Dieser ist zusätzlich zum Unternehmer für die Beachtung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften mit verantwortlich, was den Zimmerer etwas entlastet. Dennoch muss er als Unternehmer alle Vorschriften des öffentlichen Baurechts beachten. Und diese sind sehr vielseitig und unübersichtlich. Nur die wichtigsten können nachfolgend genannt werden: Anzeige EnEV bei baugenehmigungsfreien Vorhaben Einer der weit verbreiteten Irrtümer ist, dass keine Vorschriften zu beachten sind, wenn die Baumaßnahme baugenehmigungsfrei ist. Zwar sind in Hessen Außenwandverkleidungen, Verblendungen, Dämmputz und Wärmedämmverbundsysteme außer an Hochhäusern baugenehmigungsfrei (§ 55 Anlage 2 Abschnitt I Nr. 2.4 HBO); dies bedeutet aber nur, dass der Unternehmer alle Vorschriften des gesamten öffentlichen Rechts selber kennen und beachten muss. Dazu gehören nicht nur das Baurecht, sondern auch das Denkmalschutzrecht, das Ortsgestaltungsrecht, die Festsetzungen in Bebauungsplänen, das Sanierungsrecht und alle Vorschriften zu Bauprodukten einschließlich Bauregellisten und Bauartzulassungen. Wohlfühlen, das ganze Jahr Natürliche Dämmstoffe aus Holzfasern Perfekter Schutz vor: Kälte Hitze Lärm Vetrieb für Smrecina Hofatex im Deutschland und Österreich: Hofatex Gmbh, Kalvarienbergstr. 3, 797 80 Stühlingen, Deutschland tel.: +49 / 7744 919 380 | fax: +49 / 7744 919 381 | [email protected] www.hofatex.net 24_28_Seehausen:Layout 1 23.06.2010 Wärmeschutz 11:35 Uhr Seite 26 3/2010 – 26 – Abstandsvorschriften bei Wärmedämmung Neubauten Bei Neubauten sind die Abstandsflächen nach § 6 HBO von der Vorderkante der Außenwand, also der Oberfläche der Wärmedämmung aus zu rechnen. Da in den Bauzeichnungen aber nur Rohbaumasse anzugeben sind, muss dort als Mindestgrenzabstand immer 3,00m + Dicke der Wärmedämmung angegeben werden. Die weit verbreitete Praxis, Art und Umfang der Wärmedämmung erst durch Ausschreibung oder gar erst nach Errichtung des Rohbaus festzulegen, ist also nicht zu empfehlen. Altbauten mit baurechtlichem Bestandsschutz Bei Altbauten sind die Regelungen wesentlich differenzierter; sie können durchaus als heimtückisch bezeichnet werden. Die Vorschriften zur Zulassung nachträglicher Wärmedämmung in der Abstandsfläche sind gut versteckt in § 6 Abs. 6 Satz 2 und in § 27 Abs. 11 HBO zu finden. Sie wurden im Dezember 2009 geändert und lassen sinngemäß zu, dass eine Wärmedämmung an bestandsgeschützten Gebäuden innerhalb der Abstandsfläche zulässig ist, wenn sie nicht dicker ist als nach der EnEV notwendig. Obwohl durch die nachträgliche Wärmedämmung die Abstandsfläche unterschritten wird, sind dazu keine Abweichungen nach § 63 HBO erforderlich, folglich auch keine Einverständniserklärung der Nachbarschaft und keine Abstandsflächenbaulast auf dem Nachbargrundstück. Da derartige Wärmedämmungen baugenehmigungsfrei sind, erfolgt auch keine präventive Prüfung durch die Bauaufsicht. Die Nachbarschaft kann aber von der Bauherrschaft den Nachweis verlangen, dass die Dicke der Wärmedämmung den Vorschriften der EnEV entspricht. Hier muss auch der Unternehmer aufpassen, denn er kann nicht nach dem Motto vorgehen, „etwas GRENZE Abb. 1: Die Abstandsfläche nach § 6 HBO ist bei Neubauten ab OK Wärmedämmung zu rechnen. GRENZE NACH ALTER HBO GENEHMIGTER ABSTAND IST NEUER GRENZABSTAND GERINGER ALS 2,50 m MUSS GESAMTDÄMMUNG NICHT BRENNBAR SEIN mehr dämmt besser“, sondern muss exakt belegen können, dass die gültige EnEV genau die ausgeführte Dicke der Wärmedämmung erfordert, nicht mehr (wegen Abständen) und nicht weniger (wegen EnEV). Wer nun glaubt, Behörden und die Nachbarn dadurch „austricksen“ zu können, dass er zunächst ohne Wärmedämmung baut und dann ein oder zwei Jahre später die Wärmedämmung in der Abstandsfläche aufbringen zu können, der irrt. Denn der Neubau muss immer die zum Zeitpunkt seiner Errichtung gültigen Bauvorschriften einhalten; d.h. ein Bauherr darf diese Vorschriften nur dann für sich in Anspruch nehmen, wenn der Altbau seinerzeit zulässigerweise ohne Wärmedämmung errichtet worden war. Abb. 2: Nachträgliche Wärmedämmung auf Altbauten darf in die Abstandsfläche hineinragen Brandschutz bei Wärmedämmung Der Unternehmer muss auch alle sonstigen Vorschriften der Landesbauordnung selber beachten. Betroffen sein können Brandschutzvorschriften. Es ist nicht nur das Eindringen von Hitze und Flammen über den Fensteröffnungen zu verhindern und die Brandschutzvorschriften des § 13 Anlage I Nr. 2.2 HBO zu beachten, sondern es müssen auch bei Grenzabständen unter 2,50 m nur nichtbrennbare Wärmedämmungen verwendet werden. Letzteres ist besonders bei Gebäuden zu beachten, die vor 1977 errichtet worden sind, denn damals waren nur 2,50 m Mindestgrenzabstand erforderlich. Auf die Einhaltung dieser Brandschutzvorschriften kann ein Nachbar nicht verzichten. Nach der Rechtsprechung gehört die Anbringung einer Wärmedämmung in dem nach EnEV notwendigen Umfang zur Unterhaltung einer Grenzwand, wenn durch Sie keine Überbauung des Nachbargrundstücks erfolgt. Das glei- 24_28_Seehausen:Layout 1 23.06.2010 11:35 Uhr Seite 27 Wärmeschutz – 27 – 3/2010 Abb. 3: Bei Neubauten mit Grenzbebauung darf die Wärmedämmung auch vor Brandwänden nicht über die Grundstücksgrenze hinausragen. GRENZE che gilt sinngemäß auch für eine Grenzwand im gemeinsamen Eigentum beider Nachbarn, die mittig auf der Grundstücksgrenze steht. In diesem Fall sollte freilich das Grundbuch nach besonderen Vereinbarungen zur Unterhaltung und Mitbenutzung dieses gemeinsamen Bauteils eingesehen werden. IST GRENZABSTAND GERINGER ALS 2,50 m MUSS GESAMTDÄMMUNG NICHT BRENNBAR SEIN BETRETUNGSRECHT DES NACHBARGRUNDSTÜCKS VON ALLEN EIGENTÜMERN SCHRIFTLICH SICHERN Wärmedämmung auf Grenzwänden Besondere Probleme entstehen durch Wärmedämmung von Grenzwänden. Wie in der Abstandsfläche nach § 6 HBO können auch diese nach § 27 Abs. 11 HBO nachträglich aus nichtbrennbaren Materialien in dem nach der EnEV notwendigem Umfang ohne Baugenehmigung und ohne Einverständnis der Nachbarschaft aufgebracht werden, aber privatrechtliche Vorschriften werden hierdurch nicht aufgehoben. Und die haben es in sich. Jede auf eine Grenzwand aufgebrachte neue Wärmedämmung ragt zwangsläufig über das Nachbargrundstück. Auch wenn die Grenzwand etwas von der Grenze zurück errichtet wurde, muss zur Anbringung der Wärmedämmung das Nachbargrundstück betreten werden; damit sind Schäden am Nachbargrundstück nicht zu vermeiden. Selbst wenn die beiden Nachbarn miteinander in gutem Verhältnis leben, sind die privatrechtlichen Rechtspositionen sorgfältig zu beachten und Einigungen schriftlich festzuhalten. Dies empfiehlt sich besonders für den Unternehmer, da erfahrungsgemäß spätere Streitigkeiten gerne auf seinem Rücken ausgetragen werden. Die entsprechenden Vorschriften sind in den §§ 912 und 913 BGB sowie den Nachbarrechtsgesetzen der Länder zu finden. Diese Regelungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Betreten des Nachbargrundstückes zur Pflege und Unterhaltung einer Grenzwand kann durch Anordnung des Amtsgerichtes erzwungen werden. Dabei ist aber auf berechtigte Belange des Nachbarn Rücksicht zu nehmen und Schaden zu vermeiden; alle Schäden sind zu beseitigen oder zu entschädigen. Auch bei Einvernehmen zwischen den Nachbarn sind deshalb eine vorherige Bestandsaufnahme, Fotos und schriftliche Bestätigungen zu empfehlen. Wird auf einer Grenzwand eine Wärmedämmung aufgebracht, die über die Grundstücksgrenze hinaus über das Nachbargrundstück ragt, ist zusätzlich zu den oben aufgeführten Regelungen zum Betreten des Nachbargrundstücks immer das Einvernehmen des Eigentümers des Nachbargrundstücks erforderlich. Dazu reicht weder ein freundliches Nicken des Kopfes noch ein handschriftlicher Zettel aus. Vielmehr handelt es sich um einen grundbuchpflichtigen Vorgang, der folglich eines notariell beglaubigten Vertrages bedarf. Kommt dieser Vertrag nicht zu Stande, kann die Wärmedäm- mung nicht angebracht werden, auch wenn sie öffentlichrechtlich notwendig und baugenehmigungsfrei sein sollte. Selbst entsprechende Verfügungen der Bauaufsicht können einen Nachbarn nicht zur Duldung der Überbauung seines Grundstückes zwingen. Bedacht werden sollte auch der Fall, dass der Nachbar an Abb. 4: Wärmedämmung auf bestehenden Grenzwänden darf über die Grenze hinausragen, wenn privatrechtliche Verträge abgeschlossen wurden. GRENZE IST GRENZABSTAND GERINGER ALS 2,50 m MUSS GESAMTDÄMMUNG NICHT BRENNBAR SEIN TROTZ ÖFFENTLICH-RECHTLICHER ZULÄSSIGKEIT: ÜBERBAUUNG DES NACHBARGRUNDSTÜCKS NIE OHNE SCHRIFTLICHE VEREINBARUNG MIT ALLEN EIGENTÜMERN DES NACHBARGRUNDSTÜCKS! 24_28_Seehausen:Layout 1 23.06.2010 11:35 Uhr Seite 28 Wärmeschutz die gedämmte Grenzwand anbauen will. Dies darf er grundsätzlich ohne Einverständnis und Absprache mit dem Eigentümer der Grenzwand tun, auch wenn dadurch die neue Wärmedämmung überflüssig wird. Der Nachbar kann sogar die Beseitigung der gerade angebrachten Wärmedämmung verlangen, wenn sie auf sein Grundstück ragt. Er ist auch nicht verpflichtet, deckungsgleich anzubauen, womit zusätzliche rechtliche und bautechnische Probleme durch die Ausbildung der notwendigen Anschlüsse entstehen. Ein Unternehmer ist gut beraten, wenn er nicht nur seinen Auftraggeber auf diese Rechtslage aufmerksam macht, sondern sich auch selbst von entsprechenden Grundbucheintragungen überzeugt. Führt er die Überbauung ohne Nachbareinverständnis oder gar gegen den Willen des Nachbarn aus, muss sie in der Regel wieder beseitigt werden, auch wenn sie den Anforderungen der EnEV und des öffentlichen Baurechts entspricht. Erfahrungsgemäß haftet der Unternehmer für die dadurch entstandenen Schäden. In der Praxis ist es leider oft nicht so einfach, überhaupt mit der Nachbarschaft ins Gespräch zu kommen. Sind mehrere Eigentümer eingetragen, müssen alle die Verträge unterschrieben haben. Übersehen wird oft, dass bei einer Eintragung „Fritz Müller u. Ehfr.“ auch die Ehefrau unterschreiben muss, womit oft wegen schwieriger Familienverhältnisse ein Einvernehmen ausgeschlossen ist. Ähnliche Probleme können auch bei Erbengemeinschaften entstehen, wenn kein Bevollmächtigter bestellt ist, da dann alle Mitglieder der Erbengemeinschaft mit notarieller Beglaubigung unterschreiben müssen, was schwierig bis unmöglich ist, wenn einzelne Mitglieder in Übersee verstreut sind. Schließlich können unüberwindbare Probleme entstehen, wenn eingetragene Eigentümer verstorben sind und erst – 28 – 3/2010 aufwendige Erbenermittlungen erforderlich werden. In all diesen Fällen wird die Errichtung einer vorschriftsmäßigen Wärmedämmung auf einer Grenzwand ausgeschlossen sein. Auch sollte der Unternehmer der Aussage eines Eigentümers kritisch gegenüber stehen, dass seine Wand tatsächlich auf der Grenze steht. In der Praxis ist dies vor Ort nur selten erkennbar; eine Einmessung ist aber unwirtschaftlich. Wenn es sich aber später herausstellt, dass die Aussage des Bauherren nicht stimmt, ist der Unternehmer als Fachmann immer in der Haftung. Wärmedämmung über öffentlichen Flächen Besonders pikant können die Folgen einer Wärmedämmung werden, wenn die Außenwand eines Hauses direkt an der Straßenbegrenzungslinie steht, wenn also vor dem Haus ohne Vorgarten der Bürgersteig liegt. Dann ragt die nachträglich angebrachte Wärmedämmung zwangsläufig über die öffentliche Verkehrsfläche. Wer öffentliche Flächen überbaut, muss auch hier nicht nur die Erlaubnis des Eigentümers (meist Gemeinde, aber auch Land oder Bund) haben, sondern kann auch zur Zahlung von „Sondernutzungsgebühren“ verpflichtet werden. Diese ständigen Kosten kann eine Gemeinde erheben, sie muss es aber nicht. Sie kann auch noch nach Jahren rückwirkende Gebührenbescheide schicken. Ihre Höhe richtet sich nach der jeweiligen Satzung, in der natürlich die Grundstückspreise berücksichtigt sind. Es ist also in solchen Fällen durchaus legal, dass eine Gemeinde die Wärmedämmung mit öffentlichen Mitteln fördert, dann aber Gebührenbescheide in erheblicher Höhe für die Überbauung öffentlicher Flächen festsetzt. Hierauf hinzuweisen gehört auch zu den Beratungspflichten des Unternehmers. Probleme kann es auch durch unmittelbar vor der Abb. 5: Wenn ein Gebäude an der Straßengrenze steht, ragt die Wärmedämmung in die öffentliche Verkehrsfläche. Dies kann Sondernutzungsgebühren und Probleme mit Straßenmöblierung zur Folge haben. Wand errichtete Masten, Verteilerkästen und Verkehrszeichen geben, deren Beseitigung oder Versetzung nur selten möglich sein wird. Auch kann die Einengung des Bürgersteigs zu Gefahrenzuständen führen, was für die Ordnungsbehörden Anlass sein kann, die Wärmedämmung zu verbieten. Wärmedämmung und Planungsrecht Die Überschreitung von Baugrenzen und Baulinien durch eine nachträglich angebrachte Wärmedämmung ist in der Regel ohne Bedeutung, da deren Lage nur aus dem Bebauungsplan abgegriffen werden können und somit ausreichend Toleranzen bestehen. Sollten im Bebauungsplan konkrete Abstandsmasse für Baulinien oder Baugrenzen fixiert sein, ist ihre Überschreitung durch Wärmedämmung ohne städtebauliche Relevanz. Zu bedenken ist aber, dass Grundflächen und Geschossflächen nach § 19 BauNVO aus den Außenmaßen der Gebäude ermittelt werden. Wird also rund um das Gebäude z.B. eine 0,30 m dicke Wärmedämmung angebracht, vergrößern sich GRZ und GFZ nicht unerheblich. Wenn der Altbau das im Bebauungsplan festgesetzte Maß der baulichen Nutzung bereits ausgeschöpft hat, kann also allein durch die Anbringung der Wärmedämmung eine Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung entstehen. Bei enger Auslegung der Vorschriften kann dadurch eine Befreiung nach § 31 BauGB erforderlich werden, die nicht gewährt werden muss. Oder es kann mit dieser Überschreitung eine Beseitigungsanordnung und ein Bußgeldbescheid begründet werden. Oder der Befreiungsbescheid wird mit Gebühren in erheblicher Höhe versehen, die den wirtschaftlichen Vorteil der Dämmmaßnahme aufheben. Aber natürlich kann eine Gemeinde oder eine Bauaufsicht auf diese legale, aber enge Auslegung der Vorschriften auch verzichten. 쐽