Grenzabstände contra Wärmedämmung?

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Grenzabstände contra Wärmedämmung?
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Grenzabstände contra Wärmedämmung?
Durch die „Energieeinsparverordnung (EnEV)“ möchte das
Bundeswirtschaftsministerium den Energieverbrauch von
Wohngebäuden reduzieren, letztendlich um die Bundesrepublik unabhängiger von Energieimporten zu machen. Das Bundesumweltministerium möchte zusätzlich die Umweltbelastungen durch das Verbrennen dieser Energie reduzieren und
hat deshalb zusätzlich das „Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG)“ erlassen. Beide Regelungsbereiche stehen gleichberechtigt neben den Bauvorschriften der Länder
und dem Bauplanungsrecht des Bundes; eine Über- oder Unterordnung einer dieser Vorschriften unter eine andere ist
nicht vorgesehen. Die Gesetzgeber gehen davon aus, dass die
„Gesetzesanwender“ in jedem Einzelfall in der Lage sind, alle
Vorschriften jedes Gesetzes einzuhalten, und dass in den Fällen, wo dies nicht möglich ist, die Realisierung des Vorhabens
unterbleibt.
Autor:
Prof. Dipl.-Ing. K. R. Seehausen,
Marburg
Zusätzlich sind alle privatrechtlichen Vorschriften zu
beachten, die sich aus dem
BGB, den Nachbarrechtsgesetzen, Grundbucheintragungen
etc. ergeben. Es wird also den
Praktikern vor Ort überlassen,
alle diese Vorschriften am jeweiligen Bauwerk zu kennen
und aufeinander abzustimmen.
Früher konnte die Bauaufsicht in Baugenehmigungsverfahren präventiv viele Bereiche zumindest des öffentlichen Rechts abfragen und im
Konfliktfall darüber entscheiden; heute ist dies durch umfangreiche Freistellungen von
der Baugenehmigungspflicht,
durch eingeschränkte Prüfungspflichten in den neuen
vereinfachten Baugenehmigungsverfahren und dem
Wegfall der „Schlusspunktwirkung“ der Baugenehmigung
(wie z.B. in Hessen) kaum
noch möglich. Es kommt
hinzu, dass in diesen Bereichen jedes Bundesland unterschiedliche Regelungen und
Begriffe eingeführt hat. Die
nach Landesbauordnung „am
Bau Verantwortlichen“ (Entwurfsverfasser, Bauleiter und
Unternehmer) sind somit damit allein gelassen, alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften der unterschiedlichsten
Regelungsbereiche und des
privaten Rechts mit den bautechnischen und bauphysikalischen Notwendigkeiten abzustimmen. Auf behördliche
Auskünfte können sie sich
nicht mehr verlassen, wie z.B.
das OLG Koblenz im Urteil
vom 12. Dezember 2007-1 U
180/07 – in einem wohlformulierten Satz einmal mehr
bestätigt hat: „Die Auskunft
eines Bediensteten der Baubehörde, in einem Bauplanungsgebiet könne gebaut werden,
bildet in der Regel keine ausreichende Verlässlichkeitsgrundlage für nachfolgende
Investitionen“.
Andererseits ist „Einsparen
von Energie“ gegenwärtig
eine große Innovation für das
Bauhandwerk. Die Hauseigentümer werden durch Politik,
Förderprogramme, Baustoffprospekte und Zeitschriften
ermuntert, viel Geld für Investitionen in Energiesparmaßnahmen auszugeben; alle
Baugewerke versuchen, diese
Welle auszunutzen und Aufträge zu erhalten. Dass dabei
viele andere Rechtsbereiche
missachtet, bauphysikalische
Grundregeln vergessen und
Grundsätze der Förderrichtlinien nicht berücksichtigt
werden, führt zu stetigem Anwachsen der Zahl von Prozessen, die meistens die Entwurfsverfasser und Unternehmer verlieren.
Nachträgliche Wärmedämmung am Altbau
Große Unsicherheiten bestehen besonders bei Wärmedämmung an Altbauten. Da
hier das größte Potential für
Energieeinsparung liegt, bemühen sich viele zu Recht,
Altbauten energetisch aufzurüsten. Nicht erkannt wird dabei, dass bei Nachrüstung von
Altbauten aus rechtlichen und
bauphysikalischen Gründen
große Probleme entstehen
können, die oft gar nicht und
wenn, dann nur unter erheblichen Problemen und mit unverhältnismäßigen Kosten gelöst werden können.
Nicht ohne Grund hat der
Gesetzgeber bereits in der
EnEV nachträgliche Maßnahmen zur Energieeinsparung an
bestehenden Gebäuden erheblich beschränkt, obwohl auch
ihm natürlich bekannt ist,
dass durch die Beheizung von
Altbauten die meiste Energie
nutzlos verbraucht wird. Aber
über den „baurechtlichen Bestandsschutz“ konnte sich
auch der Gesetzgeber nicht
hinwegsetzen. Statt per Gesetz
für Altbauten umfangreiche
Dämmmaßnahmen anzuordnen, bietet der Gesetzgeber
deshalb für Altbauten finanzielle Anreize für freiwillige
Energiesparmaßnahmen an.
Hier ist schon die erste Falle
für Gebäudeenergieberater,
Unternehmer und Entwurfsverfasser: denn wenn sie bei
den Eigentümern den Eindruck erwecken, dass die Gesetze zwingend fordern, ihren
Altbau energetisch aufrüsten
zu müssen, erschleichen sie
mit falscher Beratung einen
Auftrag. Wenn der Altbau unverändert bestehen bleibt und
weder ausgebaut noch modernisiert wird, ist kein Eigentü-
mer gezwungen, Wärmedämmmaßnahmen auszuführen (§§ 10 und 11 EnEV).
Etwas anderes gilt nur für Heizungsanlagen, die dem Bundesimmissionsschutzgesetz
unterliegen, das den Grundsatz des „baurechtlichen Bestandsschutzes“ nicht kennt.
Ein Zwang besteht nur zur
Dämmung der obersten Geschossdecke bis zum 31. Dezember 2011, wenn die Kosten
durch Energieeinsparung innerhalb von 10 Jahren erwirtschaftet werden können (was
nach der Rechtsprechung unter der „angemessenen Frist“
des § 10 Abs. 6 EnEV zu verstehen ist). Wenn es aber um
Wärmedämmung, neue Fenster oder Außenwandverkleidungen geht, sollte der Zimmermann keinesfalls den Eindruck erwecken, der Gesetzgeber würde in der EnEV die
Nachrüstung von Altbauten
erzwingen.
Wärmedämmung bei
Umbauten
Erst wenn der Altbau umgebaut oder modernisiert werden soll oder Anbauten vorgesehen sind, greifen die Regelungen der EnEV, aber im
Umfang beschränkt auf § 9
EnEV. Leider bestehen die dort
aufgeführten Begriffe, Prozentzahlen und Berechnungen
meist aus einer Aneinanderreihung unbestimmter Rechtsbegriffe, über deren Auslegung im Einzelfall heftig diskutiert werden kann. Selbst
die kommentarähnlichen Interpretationsüberlegungen
und Empfehlungen der Fachkommission Bautechnik der
Bauministerkonferenz zu Auslegungsfragen der EnEV sind
zwar aus baufachlicher Sicht
nicht falsch, aber kein Gesetz,
keine Verordnung und keine
Richtlinie und nicht einmal
eine privatrechtliche Norm;
sie brauchen von Gerichten
keinesfalls anerkannt werden.
Wenn dort z.B. der Begriff
„Bauteil Wand“ so interpretiert wird, dass damit alle Außenwände gemeint seien, so
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ist diese Auslegung zwar
technisch und wirtschaftlich
sinnvoll, aber rechtlich bedenklich. Denn in allen technischen Gesetzen wird als
„Wand“ nur eine der vier Außenwände eines Gebäudes bezeichnet und sogar heftig diskutiert, ab wann ein wie starker Rücksprung in dieser
Wand dazu führt, dass zwei
Wände bestehen. Die Vorschriften und Kommentare zu
den Abstandsvorschriften und
dem „Schmalseitenprivileg“
der Landesbauordnungen verdeutlichen diese Problematik.
Der Zimmerer sollte deshalb
immer mit Aussagen sehr zurückhaltend sein, die so interpretiert werden können, dass
für bestimmte Energiesparmaßnahmen aus irgendwelchen Gründen ein gesetzlicher
Zwang bestehen würde, um
sich nicht später dem Vorwurf
auszusetzen, die Bauherrschaft nur zum Vergrößerern
der Auftragssumme überredet
zu haben.
Nicht zur Kenntnis genommen wird in der Regel der
§ 24 EnEV, nach dem an Baudenkmalen nicht nur keine
Pflicht für irgendwelche nachträglichen Wärmedämmmaßnahmen besteht, sondern
diese sogar verboten sind.
Folglich sind Baudenkmäler
auch von der Ausstellung des
Gebäudeenergiepasses befreit.
Welcher Zimmerer fragt aber
schon bei der Denkmalfachbehörde nach, ob das kleine
Fachwerkhaus ein Baudenkmal ist, bevor er den Auftrag
für eine Außenwandverkleidung oder eine neue Dachdeckung annimmt? Wenn er
aber als „am Bau verantwortlicher Unternehmer“ tätig
wird, darf er seiner Bauherrschaft keinen Schaden zufügen, indem er rechtswidrige
Baumaßnahmen ausführt.
Die gesetzlichen Forderungen für nachträgliche Wärmedämmmaßnahmen sind also
sehr gering und wenig konkret. Um so mehr wird bei den
Altbaubesitzern darum geworben, freiwillig möglichst viel
Wärmedämmung aufzubringen. Zu dieser Werbung gehören Angebote für Zuschüsse
und Darlehen, Versprechun-
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gen für große Einsparungen
bei künftigen Energiekosten
und Drohungen für Mietreduzierungen. Außerdem wird
fälschlich der Eindruck erweckt, dass zugunsten der
Energieeinsparung alle baurechtlichen Vorschriften aufgehoben seien. Es ist deshalb
in der Regel sehr schwer,
einen Hauseigentümer ordnungsgemäß zu beraten, der
an seinem Altbau Energiesparmaßnahmen anbringen
will, ohne Kosten, Bauphysik
und Baurecht berücksichtigen
zu wollen.
Der Zimmerer muss ihm
aber in seiner Funktion als
Entwurfsverfasser, Gebäudeenergieberater und Unternehmer klar machen, dass die
EnEV nicht über anderen
Rechtsbereichen steht und
Privatrecht, Bauordnungsrecht
und Bauplanungsrecht zusätzlich zu beachten sind. Auch
die Nachbarschaft verliert ihre
Rechte nicht. Einige für die
Praxis wichtige Vorschriften
sollen diese Probleme verdeutlichen und den Zimmerer
zu größter Vorsicht auffordern, denn bei Verstößen ist er
hinterher immer für Schäden
ersatzpflichtig.
Diese Bauteile bleiben auch
dann baugenehmigungsfrei,
wenn sie Bestandteil eines
Vorhabens sind, das den formalen Vorschriften der §§ 56,
57 oder 58 HBO unterliegt;
selbst wenn auf den Bauzeichnungen ein Genehmigungsstempel aufgedrückt ist,
kann sich der Zimmerer nicht
auf eine behördliche Genehmigung berufen.
In Hessen ist bei Vorhaben
nach den §§ 56, 57 und 58
HBO zu beachten, dass ein
Nachweisberechtigter nach
§ 59 HBO die Wärmeschutznachweise aufgestellt und ihre
Ausführung überwacht haben
muss. Dieser ist zusätzlich
zum Unternehmer für die Beachtung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften mit verantwortlich, was den Zimmerer
etwas entlastet. Dennoch
muss er als Unternehmer alle
Vorschriften des öffentlichen
Baurechts beachten.
Und diese sind sehr vielseitig und unübersichtlich. Nur
die wichtigsten können nachfolgend genannt werden:
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EnEV bei baugenehmigungsfreien Vorhaben
Einer der weit verbreiteten
Irrtümer ist, dass keine Vorschriften zu beachten sind,
wenn die Baumaßnahme baugenehmigungsfrei ist. Zwar
sind in Hessen Außenwandverkleidungen, Verblendungen, Dämmputz und Wärmedämmverbundsysteme außer
an Hochhäusern baugenehmigungsfrei (§ 55 Anlage 2 Abschnitt I Nr. 2.4 HBO); dies
bedeutet aber nur, dass der
Unternehmer alle Vorschriften
des gesamten öffentlichen
Rechts selber kennen und beachten muss. Dazu gehören
nicht nur das Baurecht, sondern auch das Denkmalschutzrecht, das Ortsgestaltungsrecht, die Festsetzungen
in Bebauungsplänen, das Sanierungsrecht und alle Vorschriften zu Bauprodukten
einschließlich Bauregellisten
und Bauartzulassungen.
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Abstandsvorschriften bei
Wärmedämmung
Neubauten
Bei Neubauten sind die Abstandsflächen nach § 6 HBO
von der Vorderkante der Außenwand, also der Oberfläche
der Wärmedämmung aus zu
rechnen. Da in den Bauzeichnungen aber nur Rohbaumasse anzugeben sind, muss
dort als Mindestgrenzabstand
immer 3,00m + Dicke der
Wärmedämmung angegeben
werden. Die weit verbreitete
Praxis, Art und Umfang der
Wärmedämmung erst durch
Ausschreibung oder gar erst
nach Errichtung des Rohbaus
festzulegen, ist also nicht zu
empfehlen.
Altbauten mit baurechtlichem Bestandsschutz
Bei Altbauten sind die Regelungen wesentlich differenzierter; sie können durchaus
als heimtückisch bezeichnet
werden. Die Vorschriften zur
Zulassung nachträglicher
Wärmedämmung in der Abstandsfläche sind gut versteckt in § 6 Abs. 6 Satz 2
und in § 27 Abs. 11 HBO zu
finden. Sie wurden im Dezember 2009 geändert und lassen
sinngemäß zu, dass eine Wärmedämmung an bestandsgeschützten Gebäuden innerhalb
der Abstandsfläche zulässig
ist, wenn sie nicht dicker ist
als nach der EnEV notwendig.
Obwohl durch die nachträgliche Wärmedämmung die
Abstandsfläche unterschritten
wird, sind dazu keine Abweichungen nach § 63 HBO erforderlich, folglich auch keine
Einverständniserklärung der
Nachbarschaft und keine Abstandsflächenbaulast auf dem
Nachbargrundstück. Da derartige Wärmedämmungen baugenehmigungsfrei sind, erfolgt
auch keine präventive Prüfung durch die Bauaufsicht.
Die Nachbarschaft kann
aber von der Bauherrschaft
den Nachweis verlangen, dass
die Dicke der Wärmedämmung den Vorschriften der
EnEV entspricht. Hier muss
auch der Unternehmer aufpassen, denn er kann nicht nach
dem Motto vorgehen, „etwas
GRENZE
Abb. 1:
Die Abstandsfläche nach § 6 HBO ist
bei Neubauten ab OK Wärmedämmung zu rechnen.
GRENZE
NACH ALTER HBO
GENEHMIGTER ABSTAND
IST NEUER GRENZABSTAND
GERINGER ALS 2,50 m
MUSS GESAMTDÄMMUNG
NICHT BRENNBAR SEIN
mehr dämmt besser“, sondern
muss exakt belegen können,
dass die gültige EnEV genau
die ausgeführte Dicke der
Wärmedämmung erfordert,
nicht mehr (wegen Abständen) und nicht weniger (wegen EnEV).
Wer nun glaubt, Behörden
und die Nachbarn dadurch
„austricksen“ zu können, dass
er zunächst ohne Wärmedämmung baut und dann ein oder
zwei Jahre später die Wärmedämmung in der Abstandsfläche aufbringen zu können, der
irrt. Denn der Neubau muss
immer die zum Zeitpunkt seiner Errichtung gültigen Bauvorschriften einhalten; d.h.
ein Bauherr darf diese Vorschriften nur dann für sich in
Anspruch nehmen, wenn der
Altbau seinerzeit zulässigerweise ohne Wärmedämmung
errichtet worden war.
Abb. 2:
Nachträgliche Wärmedämmung auf
Altbauten darf in die Abstandsfläche
hineinragen
Brandschutz bei Wärmedämmung
Der Unternehmer muss auch
alle sonstigen Vorschriften der
Landesbauordnung selber beachten. Betroffen sein können
Brandschutzvorschriften. Es
ist nicht nur das Eindringen
von Hitze und Flammen über
den Fensteröffnungen zu verhindern und die Brandschutzvorschriften des § 13 Anlage I
Nr. 2.2 HBO zu beachten, sondern es müssen auch bei
Grenzabständen unter 2,50 m
nur nichtbrennbare Wärmedämmungen verwendet werden. Letzteres ist besonders bei
Gebäuden zu beachten, die vor
1977 errichtet worden sind,
denn damals waren nur 2,50 m
Mindestgrenzabstand erforderlich. Auf die Einhaltung
dieser Brandschutzvorschriften kann ein Nachbar nicht
verzichten.
Nach der Rechtsprechung
gehört die Anbringung einer
Wärmedämmung in dem nach
EnEV notwendigen Umfang
zur Unterhaltung einer Grenzwand, wenn durch Sie keine
Überbauung des Nachbargrundstücks erfolgt. Das glei-
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Abb. 3:
Bei Neubauten mit Grenzbebauung
darf die Wärmedämmung auch vor
Brandwänden nicht über die Grundstücksgrenze hinausragen.
GRENZE
che gilt sinngemäß auch für
eine Grenzwand im gemeinsamen Eigentum beider Nachbarn, die mittig auf der
Grundstücksgrenze steht. In
diesem Fall sollte freilich das
Grundbuch nach besonderen
Vereinbarungen zur Unterhaltung und Mitbenutzung dieses
gemeinsamen Bauteils eingesehen werden.
IST GRENZABSTAND GERINGER ALS 2,50 m
MUSS GESAMTDÄMMUNG NICHT BRENNBAR SEIN
BETRETUNGSRECHT DES
NACHBARGRUNDSTÜCKS
VON ALLEN EIGENTÜMERN
SCHRIFTLICH SICHERN
Wärmedämmung auf Grenzwänden
Besondere Probleme entstehen durch Wärmedämmung
von Grenzwänden. Wie in der
Abstandsfläche nach § 6 HBO
können auch diese nach § 27
Abs. 11 HBO nachträglich aus
nichtbrennbaren Materialien
in dem nach der EnEV notwendigem Umfang ohne Baugenehmigung und ohne Einverständnis der Nachbarschaft
aufgebracht werden, aber privatrechtliche Vorschriften
werden hierdurch nicht aufgehoben. Und die haben es in
sich.
Jede auf eine Grenzwand
aufgebrachte neue Wärmedämmung ragt zwangsläufig
über das Nachbargrundstück.
Auch wenn die Grenzwand etwas von der Grenze zurück
errichtet wurde, muss zur Anbringung der Wärmedämmung das Nachbargrundstück
betreten werden; damit sind
Schäden am Nachbargrundstück nicht zu vermeiden.
Selbst wenn die beiden Nachbarn miteinander in gutem
Verhältnis leben, sind die privatrechtlichen Rechtspositionen sorgfältig zu beachten
und Einigungen schriftlich
festzuhalten. Dies empfiehlt
sich besonders für den Unternehmer, da erfahrungsgemäß
spätere Streitigkeiten gerne
auf seinem Rücken ausgetragen werden.
Die entsprechenden Vorschriften sind in den §§ 912
und 913 BGB sowie den
Nachbarrechtsgesetzen der
Länder zu finden. Diese Regelungen lassen sich wie folgt
zusammenfassen:
Das Betreten des Nachbargrundstückes zur Pflege und
Unterhaltung einer Grenzwand kann durch Anordnung
des Amtsgerichtes erzwungen
werden. Dabei ist aber auf berechtigte Belange des Nachbarn Rücksicht zu nehmen
und Schaden zu vermeiden;
alle Schäden sind zu beseitigen oder zu entschädigen.
Auch bei Einvernehmen zwischen den Nachbarn sind
deshalb eine vorherige Bestandsaufnahme, Fotos und
schriftliche Bestätigungen zu
empfehlen.
Wird auf einer Grenzwand
eine Wärmedämmung aufgebracht, die über die Grundstücksgrenze hinaus über das
Nachbargrundstück ragt, ist
zusätzlich zu den oben aufgeführten Regelungen zum Betreten des Nachbargrundstücks immer das Einvernehmen des Eigentümers des
Nachbargrundstücks erforderlich. Dazu reicht weder ein
freundliches Nicken des Kopfes noch ein handschriftlicher
Zettel aus. Vielmehr handelt
es sich um einen grundbuchpflichtigen Vorgang, der folglich eines notariell beglaubigten Vertrages bedarf. Kommt
dieser Vertrag nicht zu
Stande, kann die Wärmedäm-
mung nicht angebracht werden, auch wenn sie öffentlichrechtlich notwendig und baugenehmigungsfrei sein sollte.
Selbst entsprechende Verfügungen der Bauaufsicht können einen Nachbarn nicht zur
Duldung der Überbauung seines Grundstückes zwingen.
Bedacht werden sollte auch
der Fall, dass der Nachbar an
Abb. 4:
Wärmedämmung auf bestehenden
Grenzwänden darf über die Grenze
hinausragen, wenn privatrechtliche
Verträge abgeschlossen wurden.
GRENZE
IST GRENZABSTAND GERINGER ALS 2,50 m
MUSS GESAMTDÄMMUNG NICHT BRENNBAR SEIN
TROTZ
ÖFFENTLICH-RECHTLICHER
ZULÄSSIGKEIT:
ÜBERBAUUNG DES
NACHBARGRUNDSTÜCKS
NIE OHNE
SCHRIFTLICHE VEREINBARUNG
MIT ALLEN EIGENTÜMERN
DES NACHBARGRUNDSTÜCKS!
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die gedämmte Grenzwand
anbauen will. Dies darf er
grundsätzlich ohne Einverständnis und Absprache mit
dem Eigentümer der Grenzwand tun, auch wenn dadurch
die neue Wärmedämmung
überflüssig wird. Der Nachbar
kann sogar die Beseitigung
der gerade angebrachten Wärmedämmung verlangen, wenn
sie auf sein Grundstück ragt.
Er ist auch nicht verpflichtet,
deckungsgleich anzubauen,
womit zusätzliche rechtliche
und bautechnische Probleme
durch die Ausbildung der notwendigen Anschlüsse entstehen.
Ein Unternehmer ist gut beraten, wenn er nicht nur seinen Auftraggeber auf diese
Rechtslage aufmerksam
macht, sondern sich auch
selbst von entsprechenden
Grundbucheintragungen überzeugt. Führt er die Überbauung ohne Nachbareinverständnis oder gar gegen den
Willen des Nachbarn aus,
muss sie in der Regel wieder
beseitigt werden, auch wenn
sie den Anforderungen der
EnEV und des öffentlichen
Baurechts entspricht. Erfahrungsgemäß haftet der Unternehmer für die dadurch entstandenen Schäden.
In der Praxis ist es leider oft
nicht so einfach, überhaupt
mit der Nachbarschaft ins Gespräch zu kommen. Sind mehrere Eigentümer eingetragen,
müssen alle die Verträge unterschrieben haben. Übersehen
wird oft, dass bei einer Eintragung „Fritz Müller u. Ehfr.“
auch die Ehefrau unterschreiben muss, womit oft wegen
schwieriger Familienverhältnisse ein Einvernehmen ausgeschlossen ist. Ähnliche Probleme können auch bei Erbengemeinschaften entstehen,
wenn kein Bevollmächtigter
bestellt ist, da dann alle Mitglieder der Erbengemeinschaft
mit notarieller Beglaubigung
unterschreiben müssen, was
schwierig bis unmöglich ist,
wenn einzelne Mitglieder in
Übersee verstreut sind.
Schließlich können unüberwindbare Probleme entstehen,
wenn eingetragene Eigentümer verstorben sind und erst
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aufwendige Erbenermittlungen
erforderlich werden. In all diesen Fällen wird die Errichtung
einer vorschriftsmäßigen Wärmedämmung auf einer Grenzwand ausgeschlossen sein.
Auch sollte der Unternehmer der Aussage eines Eigentümers kritisch gegenüber stehen, dass seine Wand tatsächlich auf der Grenze steht. In
der Praxis ist dies vor Ort nur
selten erkennbar; eine Einmessung ist aber unwirtschaftlich. Wenn es sich aber
später herausstellt, dass die
Aussage des Bauherren nicht
stimmt, ist der Unternehmer
als Fachmann immer in der
Haftung.
Wärmedämmung über
öffentlichen Flächen
Besonders pikant können
die Folgen einer Wärmedämmung werden, wenn die Außenwand eines Hauses direkt
an der Straßenbegrenzungslinie steht, wenn also vor dem
Haus ohne Vorgarten der Bürgersteig liegt. Dann ragt die
nachträglich angebrachte
Wärmedämmung zwangsläufig über die öffentliche Verkehrsfläche. Wer öffentliche
Flächen überbaut, muss auch
hier nicht nur die Erlaubnis
des Eigentümers (meist Gemeinde, aber auch Land oder
Bund) haben, sondern kann
auch zur Zahlung von „Sondernutzungsgebühren“ verpflichtet werden.
Diese ständigen Kosten
kann eine Gemeinde erheben,
sie muss es aber nicht. Sie
kann auch noch nach Jahren
rückwirkende Gebührenbescheide schicken. Ihre Höhe
richtet sich nach der jeweiligen Satzung, in der natürlich
die Grundstückspreise berücksichtigt sind. Es ist also in solchen Fällen durchaus legal,
dass eine Gemeinde die Wärmedämmung mit öffentlichen
Mitteln fördert, dann aber Gebührenbescheide in erheblicher Höhe für die Überbauung
öffentlicher Flächen festsetzt.
Hierauf hinzuweisen gehört
auch zu den Beratungspflichten des Unternehmers.
Probleme kann es auch
durch unmittelbar vor der
Abb. 5:
Wenn ein Gebäude an der Straßengrenze steht, ragt die Wärmedämmung in die öffentliche Verkehrsfläche. Dies kann Sondernutzungsgebühren und Probleme mit Straßenmöblierung zur Folge haben.
Wand errichtete Masten, Verteilerkästen und Verkehrszeichen geben, deren Beseitigung
oder Versetzung nur selten
möglich sein wird. Auch kann
die Einengung des Bürgersteigs zu Gefahrenzuständen
führen, was für die Ordnungsbehörden Anlass sein kann,
die Wärmedämmung zu verbieten.
Wärmedämmung und
Planungsrecht
Die Überschreitung von
Baugrenzen und Baulinien
durch eine nachträglich angebrachte Wärmedämmung ist
in der Regel ohne Bedeutung,
da deren Lage nur aus dem
Bebauungsplan abgegriffen
werden können und somit
ausreichend Toleranzen bestehen. Sollten im Bebauungsplan konkrete Abstandsmasse
für Baulinien oder Baugrenzen fixiert sein, ist ihre Überschreitung durch Wärmedämmung ohne städtebauliche
Relevanz.
Zu bedenken ist aber, dass
Grundflächen und Geschossflächen nach § 19 BauNVO
aus den Außenmaßen der Gebäude ermittelt werden. Wird
also rund um das Gebäude
z.B. eine 0,30 m dicke Wärmedämmung angebracht, vergrößern sich GRZ und GFZ
nicht unerheblich. Wenn der
Altbau das im Bebauungsplan festgesetzte Maß der
baulichen Nutzung bereits
ausgeschöpft hat, kann also
allein durch die Anbringung
der Wärmedämmung eine
Überschreitung des Maßes der
baulichen Nutzung entstehen.
Bei enger Auslegung der Vorschriften kann dadurch eine
Befreiung nach § 31 BauGB
erforderlich werden, die nicht
gewährt werden muss. Oder es
kann mit dieser Überschreitung eine Beseitigungsanordnung und ein Bußgeldbescheid begründet werden.
Oder der Befreiungsbescheid
wird mit Gebühren in erheblicher Höhe versehen, die den
wirtschaftlichen Vorteil der
Dämmmaßnahme aufheben.
Aber natürlich kann eine Gemeinde oder eine Bauaufsicht
auf diese legale, aber enge
Auslegung der Vorschriften
auch verzichten. 쐽