anzeigen - Theatertage der bayerischen Gymnasien

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Rezension zu den 53. Theatertagen in Deggendorf
Veröffentlicht auf Theater am Gymnasium in Bayern (http://www.tag-bayern.de)
Rezension zu den 53. Theatertagen in Deggendorf [1]
Gespeichert von Maximilian Weig [2] am 6. Juni 2009 - 16:26
Und damit zu den Stücken! Die diesjährige Programmauswahl bot einen spannenden und aktuellen
Überblick, in welchen Bereichen des Schultheaters die bayerischen Gymnasien derzeit ihre
Schwerpunkte setzen, und eröffnete zugleich ein Spektrum interessanter Arbeitsweisen,
Realisierungsmöglichkeiten und Inszenierungsansätze zeitgenössischen Schultheaters. Fast alles war
geboten – außer geglätteten Musterlösungen. Das aufmerksame Fachpublikum konnte faszinierend
unterschiedliche Produktionswege sehen – mit pädagogisch wie inhaltlich und ästhetisch völlig
differierenden Voraussetzungen und Ergebnissen. Die Theatertage präsentierten eine Vielfalt, die
gerade in ihrer Breite und Unterschiedlichkeit nachhaltige Diskussionen anregen kann.
Theater nach dramatischen Vorlagen
„Der tollste Tag“
Die Bühne ist fast leer. Nur fünf Kartons, davon vier gleich große, befinden sich auf ihr. Plötzlich
tauchen dahinter einzelne Körperteile, Füße, Hände, sodann Arme und Beine auf, bis sich schließlich
die einzelnen Personen sichtbar auf der Bühne befinden. Und damit kann die Aufführung der
Oberstufen-Theatergruppe des Dientzenhofer-Gymnasium Bamberg unter der Leitung von Ludwig
Bieger und Dominik Stoecker von „Der tollste Tag“ nach einer Textvorlage des Wiener Schriftstellers
Peter Turrini, der eigentlich für seine gesellschaftskritischen und provokanten Heimatstücke bekannt
ist, beginnen. Turrini hat darin Beaumarchais` sozialkritische Komödie „Der tolle Tag“ umgearbeitet.
Die Steigerung im Titel zeigt sich auch in der Textneufassung. Figaro, der Kammerdiener des
spanischen Grafen Almaviva, will Susanne, die Zofe der Gräfin, heiraten. Doch obwohl der Graf
seiner Frau zuliebe das „ius primae noctis“ (das Recht auf die erste Nacht) offiziell abgeschafft hat,
geht er davon aus, es zusammen mit Susanne nutzen zu können. Um seinem Objekt der Begierde
näher zu kommen, spinnt der Graf einige Intrigen, deren Realisierung er Bazillus überlässt. Die
Gegenintrigen Figaros führen allerdings bei Turrinis Bearbeitung nicht zu dem Happy End der
Vorlage, wonach die Gräfin ihren Grafen zurückbekommt und Figaro seine „unversehrte“ Susanne
heiraten kann. Vielmehr muss der Graf seinen Versuch, Susanne zu vergewaltigen, mit dem Leben
bezahlen. Während bei Beaumarchais die Macht des Grafen durch den Sprachwitz besiegt wird,
wodurch nach Turrini das Kriterium der Komödie erfüllt wird, jedoch nicht die tatsächlichen
gesellschaftlichen Verhältnisse wiedergegeben werden, lässt Turrini das Happy End ausfallen, da
seiner Meinung nach die Mächtigen den Witz des Machtlosen nur so lange erlauben, wie dadurch ihre
Interessen nicht bedroht würden. „Geschieht dies, so dreht sich der Mechanismus um. Die
Verhältnisse sind stärker als die Sprache. Wenn die Gewalt die Tatsachen schafft, ist der Witz keine
Waffe mehr.“ (P. Turrini) Trotz dieser theoretischen Überlegungen enthält die Textvorlage eine
Vielzahl von Wortspielen und (z. T. derben) Witzen, wobei die Gruppe Textlastigkeit bei ihrer
Vorführung stets vermeiden konnte. Mit Halbmasken sowie T-Shirts und eng anliegenden
Gymnastikhosen, in verschiedenen, jedoch jeweils einheitlichen Farben bekleidet, führte uns die
Bamberger Truppe eine bewusst körperbetonte Inszenierung im Stile der Commedia dell’arte vor, bei
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der jeder Akteur sich eines tänzerischen Bewegungsablaufes bediente. Dabei vermittelten die
Schauspieler, allen voran die Gräfin, ein hohes Maß an handwerklicher Kunst. Überzeugen konnte als
Szene vor allem die „Gerichtsverhandlung“, bei der die Käuflichkeit des Richters komisch und
irritierend zugleich vorgeführt wurde. Die Bewegungen, die mithilfe von Improvisationen entwickelt
wurden, blieben dabei bewusst reduziert. Insgesamt konnte diese stilisierte Inszenierung gerade
durch die beabsichtigte Reduzierung aller theatralen Mittel ästhetisch überzeugen. Live gespielte
Gitarrenmusik wurde atmosphärisch, dabei fast schon minimalistisch eingesetzt, Licht nur sehr
sparsam verwendet, die Sprachführung sowie die Bewegungsmuster der einzelnen Akteure blieben
(fast) gleich, die Halbmasken verringerten die mimischen Ausdrucksmöglichkeiten und das
Bühnenbild bestand nur aus einigen Kartons. Gerade hierin offenbarte sich auch eine realistische
Einschätzung der Möglichkeiten im Schultheater, da hier weniger oft mehr ist. Das Problem, dass
diese Beschränkung das Publikum nur eine bestimmte Zeit hinaus in den Bann ziehen kann, war der
Gruppe dabei bekannt. Deshalb wurde das Stück von Anfang an auf 45 Minuten hin konzipiert, eine
Länge, die es zudem zuließ, dass die Bamberger ihr Stück ungekürzt bei den Bayerischen
Schultheatertagen aufführen konnten.
Yvonne, die Burgunderprinzessin
Das Stück von Vitold Gombrowicz erinnert an Büchners „Leonce und Lena“ und könnte genau so zu
einem Klassiker für das Schultheater werden. Im Mittelpunkt parabelhafte, für Jugendliche stets
aktuelle Fragen, wie die Vergänglichkeit der Liebe oder das Problem von Außenseitertum und
Mobbing. Außen herum ein grotesker, auch an Märchenstoffe erinnernder Spielrahmen, der der
Phantasie viel freien Raum lässt. Diesen Raum füllte der Grundkurs Dramatisches Gestalten vom
Christoph-Jakob-Treu- Gymnasium aus Laub unter der Leitung von Eva Pöllinger zunächst, indem er
in Bühnenbild und Ausstattung einen Stil vorstellte, dessen feste Komponenten irgendwie die Farben
Rosa und Weiß bildeten. Der Zuschauer betritt, leise berieselt von aktuellen Chartstiteln (Wozu
das?), die abgedunkelte Aula des Deggendorfer Gymnasiums, in der er die Guckkastenbühne des
Deggendorfer Gymnasiums in wechselnden Farben schimmern sehen kann. Fenster und Türen aus
angemalter Pappe bilden eine popartmäßige Schlossszenerie. Dieser Rahmen verwundert bei der
erwarteten Burgunderprinzessin nicht und wirkt gut überlegt. Noch bevor aber dieser Raum bespielt
wird, beginnt das Stück im Publikum, wo eine sich als verhärmt zeigende Mutter ihre duldsame große
Tochter mit elegantem Strohhut, aber in unzeitgemäßem grauen Strickkleid, beschimpft und sie
dann im Zuschauerraum Platz nehmen, also sitzen lässt. Aus dem Zuschauerraum gelangt diese, wie
sich später herausstellt, graue Prinzessin Yvonne, deren von dunklen Schillerlocken gerahmtes
Gesicht in rosa und weiß verschminkt ist, an den Hof. Dort erregen sich alle über ihre angebliche
Hässlichkeit. Doch möchte sie Prinz Philipp, warum auch immer, heiraten. Vielleicht will er seine
Königseltern provozieren und dadurch die oberflächlichen Konventionen des Hofes entlarven.
Schließlich ist dieser Hofstaat ein Sammelsurium an Absurditäten. Der König, ein fingerspielender
Gockel im pelzbesetzten rosa Bademantel und ebensolcher Krone (sehr originelles Kostüm!), ist nicht
in der Lage auch nur die kleinsten Entscheidungen zu treffen. Die Königin, eine pathetische
gestikulierende Lady in Red mit Goldkrönchen, frönt heimlich einer an Dilletantismus nicht zu
übertreffenden Dichtkunst. Die in rot glitzernden Cocktailkleidern und lockerer Businesskleidung, zu
oft in Linien und Halbkreisen chorisch auftretenden, Höflinge, finden in „Ts“ und „Ach“Kommentaren zu ihren handlungsstärksten Momenten. So hält die Kammerfrau, gestaltet wie eine
Event-Managerin, funkverbunden, man weiß nicht mit wem, das Geschehen in der Hand. Da der Wille
des Prinzen aber unabänderlich scheint, versucht der Hofstaat Prinzessin Yvonne die Schweigsame
nach seinen Vorstellungen herzurichten. Das Bühnenbild ist mit einigen Kartonumstellungen schnell
in einen rosafarbenen königlichen Frisiersalon geändert. Jeder darf zur Musik von „Prince“(! – Titel:
Kiss), wie in Schauspieleretüden oft geübt, an Yvonne etwas ver-(schlimm)bessern. Prinz Philipp ist
natürlich empört über dieses verräterische Verhalten des Hofes an seiner Verlobten – und stellt im
selben Moment seine wie aus dem Nichts hervor gebrachte adrette neue Verlobte Lisa vor, die mit
ihrer verschränkten Haltung nicht nur am Hof, sondern auch auf der Bühne fremd wirkt. Damit haben
alle ein neues Problem: Wie kann man diesen Fremdkörper Yvonne ohne Schaden los werden? Im
Wesentlichen kommen alle zum gleichen Ergebnis: Ob König Ignaz, der sich gegenüber seinem aus
dem Zuschauerraum heraus gespielten Volksvertretern, rechtfertigen muss, ob Königin Margarethe,
die Yvonne als Anfrage an ihre innere dichterische Existenz empfindet oder ob Prinz Philipp, der sein
schlechtes Gewissen beruhigen will, alle kommen zu dem gleichen Ergebnis: Yvonne muss ermordet
werden. Und tatsächlich verschluckt sie sich tödlich beim gemeinsamen Abendmahl, wie es die
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Hofdame unauffällig geplant hatte, weil sie der König, wie er schon hundertfach vorher betonte „von
oben herab“ angeschaut hatte. Sarkastisches Ende eines grotesken Stückes. Aber geht es nicht um
mehr, als um „ ... Jeder will einmal Prinzessin sein ...“, wie die Schlussmusik erklärte? Das Publikum
jedenfalls blieb unentschieden, ob es auf die in Schülerregie entwickelte Tragikomik mit Lachen
reagieren soll oder mit Schock. Da agierte ein König Ignaz in seinen Tigerpantoffeln und signalisierte
seine Unbeholfenheit durch einen staksigen Gang und eine hektische Sprache. Dazu gestikulierte er
dauernd mit rotierenden Fingern. Diese Stilisierung erinnert ebenso wie das pathetische Gehabe der
Königin oder das Dauerschweigen der Burgunderprinzessin an die Typologien der Commedia. Ein
solcher Grundhabitus nützt sich aber schnell ab, wenn er nicht geschickt variiert wird. Wortwitze
(Königin: Du vergisst Dich – König: Ich erinnere mich.) gingen im hektischen Wortschwall unter.
Handlungsgags, wie das existenzielle Entsetzen der Königin über ihre kunstlosen Gedichte, endeten
darin, dass sie sich ihre Haare raufen will, aber dabei ungefähr eine Strähne zerstört. Das war alles
nicht ohne Witz, aber die Funken der vieler guten Spielideen blieben zu oft auf der Bühne stecken
und sprangen zu wenig auf die Zuschauer über. Der Applaus zollte der Schülergruppe die verdiente
Anerkennung.
Marat .. de Sade
Großer Bühnenaufbau auf der Bühne der Stadthalle in Deggendorf (Übrigens der einzige während
der ganzen Theatertage!): Die sich wie bei einer Halfpipe seitlich erhebende Gerüstkonstruktion
erinnert an eine Baustelle ebenso wie durch das dominante Papierweiß und seine von der Seite zur
Mitte abfallenden Holzflächen an ein verkommenes Waschhaus. Ist die zentral am tiefsten Punkt
positionierte Badewanne ein Ort der Reinlichkeit, gar der Wellness oder ein Abfluss für den Ausfluss,
die Kloake für alles? Ein überzeugend erdachter Raum vom Ende der Welt, vom Abseits der
Gesellschaft, der bevölkert wird von einer wimmelnden Gesellschaft Irrer. Der Bühnenhauptraum ist
stimmig weiß ausgeleuchtet, gelegentlich setzt das Licht im Hintergrund farbliche Verweise auf die
Blutigkeit vpm Revolution oder die erwähnten Hinrichtungen. Schon beim Einlass vegetieren hier und
in den engen seitlichen Durchgängen verkrümmte Gestalten in beigefarbener Wäsche und weißen
Kleidungsteilen vor sich hin. Individuell werden diese Massenfiguren nur durch ihre Ticks,
gemeinsam bilden sie die trostlose Belegschaft eines Irrenhauses, die ihren alltäglichen
Verrichtungen verharren, ärztlicher Kontrolle oder Zähneputzen. Unvermittelt stürmt ein überaus
jugendlicher Direktor im Gesellschaftsanzug mit seiner knabenhaften Frau im Abendkleid durch das
Publikum um einen links von der Bühne montierten, gefährlich hohen Thron zu besteigen. Von dort
begrüßt er herrschaftlich die Zuschauer, um mit ihnen das Stück über den Revolutionär Marat zu
betrachten, das sich Herr de Sade, ebenfalls Insasse der Irrenanstalt, erdacht hat. Der Direktor
schaltet sich im Folgenden nur ein, wenn es seine obrigkeitliche Verantwortung notwendig macht,
besonders wenn sich gefährliche Unruhe unter den Irren breit macht. Schon dieser Auftakt macht
deutlich, dass die Theatergruppe des Gymnasiums Ottobrunn unter der Leitung von Tim Proetel den
Text von Peter Weiss ernst nimmt. De Sade, eine ganz fleischliche Erscheinung mit weißer Krawatte
und übergroßem weißen Zylinder, lallt, torkelt, schreit, nuschelt, flucht, springt, brüllt, tanzt,
debattiert sich durch die Geschichte Marats, die von der Brutalisierung der Revolution, von
Revolutionsbesessenheit, vom heldenhaften Ansehen beim Volk, Problemen bei der Wahrnehmung
der Wirklichkeit und nicht zuletzt vom politischen Mord erzählt. Die in dieser Geschichte angedeutete
Entwicklung eines Revolutionsterroristen oder auch die Auseinandersetzung um die französische
Revolution oder die Problematik des Außenseitertums bleiben bei dieser Aufführung eher
zweitrangig. Das liegt an vielem, an der gekürzten Fassung, der Akustik, der Sprechtechnik, aber
nicht zuletzt auch daran, dass in der allgemeinen, andauernden Unruhe auf der Bühne die
Zusammenhänge untergehen. Dabei hat die Inszenierung Konsequenz, denn sie entwickelt sich aus
den Ticks der Irren und dem sprechenden Hauptrequisit, unbedrucktem großflächigem
Zeitungspapier, heraus. Da wird um Marat, der in der Badewanne vegetiert, herum getanzt, wobei
Zeitung zerfetzt wird, Folterschläge werden durch Zeitungsrisse erfahrbar gemacht. Die
Versammlung der Irren begleitet die einzelnen Szenen auch subtil mit Papier knisternd oder mit
Ausbrüchen in Gemeinschaftspanik oder -ekstase. An anderer Stelle verfallen alle in wüste
Schminkversuche oder steigen mit variantenreichem chorischen Sprechen, auch rhythmischem
Gesang in die Handlung ein. Dazwischen wird auf dem Badewannenrand balanciert, durcheinander
gestampft, übereinander gerollt und getobt. Die Flut der wechselnden Bilder und der präzisen
Choreographien ist ruhelos und fordert (überfordert?) den Zuschauer. Dazu Marat, der in seiner
Verzweiflung und in seiner zerfaserten Sicht der Wirklichkeit verdoppelt und verdreifachet erscheint,
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bis er schließlich relativ unspektakulär in der nassen Wanne seinen Tod findet. Das endgültige Chaos
dieser irren Gesellschaft aber löst erst das Lob auf Napoleon aus, das im Blackout des Stückes
erstickt wird. Zu Recht wurde diese spielerische und konzeptionelle Leistung mit begeistertem und
anhaltendem Applaus belohnt.
That Night Follows Day
Das Dürer-Gymnasium Nürnberg unter der Leitung von Maximilian Weig hatte sich mit dem Stück
von Tim Etchells eine “literarische” Vorlage ausgesucht, die noch nicht auf Bayerischen
Schultheatertagen zu sehen war. Der Autor (geb. 1962), ein englischer (Theater- )Schriftsteller,
Regisseur und Performer, der durch seine Arbeit mit der Performance-Gruppe „Forced
Entertainment“ bekannt ist, die er 1984 in Sheffield gegründet hat, legt uns einen Text vor, der
nichts mit „normalen“ Dramentexten zu tun hat. Auf jegliche Handlung wird darin verzichtet.
Vielmehr soll in diesem Stück von Kindern für Erwachsene, das Etchells zusammen mit Kindern
geschrieben und inszeniert hat, der Erwachsenenwelt aufgezeigt werden, wie sie die Kinderwelt
definiert und dominiert: „Ihr versucht, uns etwas über die Welt zu erzählen. Ihr erklärt uns, was Liebe
ist. Ihr erklärt uns, was Krieg bedeutet. Ihr küsst uns, während wir schlafen. Ihr flüstert, wenn ihr
denkt, wir würden nichts hören. Ihr erklärt uns, dass die Nacht auf den Tag folgt.“ Themen des
Textes sind Erziehung, Disziplin, Fürsorge sowie Glücksprojektionen des familiären
Zusammenlebens. Dabei werden die Erwachsenen von den Kindern aber weder beschimpft, so wie
das Publikum in Handkes „Publikumsbeschimpfung“, an die das Stück teilweise erinnert, noch wird
ihnen der moralische Zeigefinger gezeigt. Vielmehr spiegeln die Kinder das, was sie sehen, hören
bzw. zu hören bekommen. Zu Beginn der Vorstellung gruppierten sich die „Schauspieler“, die keine
Rollen spielen wollten und sollten, ähnlich, wie bei einem Klassenphoto. Dann fingen sie chorisch zu
sprechen an und konfrontierten ihre (erwachsenen) Zuschauer mit Sätzen, die jeder schon einmal
selbst gesprochen oder gehört hat. Erst nach längerer Zeit löste sich diese Gruppierung auf. Die
Schüler nahmen weitere Positionen ein, sei es in einer Stuhlreihe am hinteren Bühnenrand, sei es auf
einzelnen, inmitten der Bühne platzierten Stühlen oder in einer Reihe an der Rampe sitzend. In ihrer
bewussten Reduktion setzte die Gruppe den Inhalt des Textes um. Die Darsteller wurden dabei stets
in eine strenge Anordnung gebracht, so dass den Zuschauern ein Bild der Disziplin geboten wurde.
Dies vermittelte auch die Textarbeit, denn zumeist wurde „robotergemäßes“ Sprechen gegenüber
Rhythmisierung oder Wechsel des Sprechtempos bevorzugt. Nur an wenigen Stellen wurde der Text
so gesprochen, dass gewisse „Gefühle“ oder Einstellungen des bzw. der Sprechenden hörbar
wurden. Durch diesen bewussten Verzicht auf eine Rolle wurde den Zuschauern ein Spiegel
vorgehalten, dem er sich stellen oder den er ablehnen konnte, der ihn jedoch nicht unbeeindruckt
ließ. Auf einhelliges Lob stieß die handwerkliche Perfektion dieser Inszenierung. Die relativ jungen
Darsteller aus den Klassen 6 bis 8 agierten sehr präzise. Zumeist setzten sie dabei sog.
„performatives Theater“, bei dem die Bedeutung des Dargestellten ausschließlich im Vollzug einer
Handlung und nicht in der Zeichenhaftigkeit des Spiels, seiner Handlung, Personen und Kulissen
liegt, weshalb auf „Rollen verzichtet wird, gekonnt um, auch wenn sie bei manchen
Textmodulationen sich nicht an die strenge Vorgabe dieser Theaterform hielten. Eine spannende
Diskussion löste bzw. löst die Frage aus, ob die Darsteller gerade aufgrund ihrer handwerklichen
Perfektion vom Spielleiter nicht in gewisser Weise „missbraucht“, d. h. zu sehr gedrillt worden seien.
Musste nicht die Einübung einer derartigen Inszenierung gerade das „Ihr erklärt uns ..., ihr sagt
uns...“, das der Text uns Zuschauern vorsetzte, im Übermaß vom Spielleiter verwendet worden sein,
damit die Darsteller unter Ausblendung des kindlichen Spieltriebs so diszipliniert die Vorlage auf der
Bühne präsentieren konnten? Insofern gingen die Kommentare der Zuschauer zum Stück sehr weit
auseinander, von „Kindesmissbrauch“ bis „grandiose Vorstellung“. Gerade die Auseinandersetzung
über das Stück und seine Inszenierung verdeutlicht jedoch, welch wichtigen Beitrag die Nürnberger
Gruppe unter der Leitung von Maximilian Weig geboten hat, indem sie altbekannte (sichere) Wege
verlassen und einen neuen Ansatz auf die Bühne der Theatertage gebracht hat.
Eigenproduktionen frei nach literarischen Texten
Johann-Michael-Fischer-Gymnasium Burglengenfeld: Nachtschwärmer Das Grimmsche Märchen von
den zertanzten Schuhen hatte sich die Theatergruppe des Johann-Michael-Fischer Gymnasiums
Burglengenfeld unter der Leitung von Karin Then vorgenommen. „Familie König hat ein Problem“ –
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so wurde das Märchen in die Jetzt-Zeit transportiert: jede Nacht büxen die Töchter aus und liegen am
anderen Morgen todmüde in ihren Betten, haben sich offensichtlich bei wildem Tanz verausgabt –
nur zu verständlich, dass die Eltern König da gerne wüssten, was ihr Nachwuchs so treibt und
deshalb den Gören ein paar Spione hinterherschicken. Denen wird es wahrhaftig nicht leicht
gemacht, die Wahrheit herauszufinden, denn die Mädchen verstehen es mit allerlei Raffinesse, ihre
nächtlichen Ausflüge zu kaschieren. Aber schließlich gelingt es einem doch und er taucht in eine
andere Welt ein und entdeckt das Geheimnis der Königstöchter, das ja nicht nur im heimlichen
Discobesuch besteht… Soweit und auch im weiteren Verlauf wurde die Märchenhandlung stimmig
adaptiert. Die Rahmenhandlung, mit der die Spieler dem Märchen einen aktuellen Anstrich geben
wollten, eine Fernsehshow mit dem Motto „Familienprobleme schnell gelöst“, wäre gar nicht
notwendig gewesen, um den Reiz der Geschichte zu vermitteln. Denn die Szenen entwickelten ihre
eigene Poesie, und dazu trug nicht nur das exakte Spiel der Gruppe bei. Die Imagination des
Zuschauers erhielt reichlich Anregung, die Spieler schufen Landschaften, Räume, Stimmungen vor
allem über ihr körperlich sehr präsentes Spiel. Es wurde unterstützt von einer raffinierten Lichtregie,
die schöne Übergänge ermöglichte, durch den geschickten Einsatz von Musik und durch die
Spielfreude der Darsteller, die manchmal durch ein langsames Tempo etwas gebremst schien und
dort wiederum am lebhaftesten zum Ausdruck kam, wo der choreographierte Tanz im Mittelpunkt
des Geschehens stand. Den einen oder anderen dramaturgischen Stolperer, der sich offensichtlich
dem Entstehungsprozess des Stückes verdankte, verzieh das Publikum gerne der engagierten
Gruppe. Denn der eigenständige Zugang, die Fülle an Ideen und die darstellerische Präsenz
überzeugten, so dass es reichlich Applaus gab.
(F)eine Gesellschaft
Collagen scheinen zwar etwas aus der Mode. Dabei lösen sie, vor allem für große Theatergruppen,
ein häufiges organisatorisches Problem, nämlich die Frage, wie bekommen möglichst viele
Spielerinnen und Spieler wirklich wichtige Rollen? Ein Problem, das man heute lieber durch
Rollensplitting oder chorische Ansätze löst. Von den vielen Möglichkeiten, die sich für den Aufbau
eines Theaterabends als Textcollage bietet, entschied sich der Grundkurs Dramatisches Gestalten
aus Bad Tölz unter der Leitung des Schauspielschülers Florian Günther, einem Ehemaligen des
Gabriel-von-Seidl- Gymnasiums, für eine Serie von Szenen aus literarischen Vorlagen, die durch den
Titel „(F)eine Gesellschaft“ grob zusammen gehalten wurden. Als Autoren nennt das Programmheft
der Theatertage andeutungsweise Brecht, Dürrenmatt, Polt, Tocotronic, Kroetz und Schlör. Ein weites
Feld inhaltlich und stilistisch, in das die fünfzigminütige, wie die Schüler betonten eher
organisatorisch bedingte, Auswahl aus dem ursprünglich über drei Stunden dauernden Programm
einen Einblick gab. Szenen aus der Welt der Politik und Wirtschaft wurden lose kontrastiert mit ganz
privaten Schicksalen. Der Zuschauer nimmt so teil am Zwiespalt einer Weltorganisation, die
einerseits die Abschaffung des Kannibalismus vorantreibt und gleichzeitig anderswo eine Hungersnot
auslöst. Eine andere Szene zeigt wirtschaftliche Verhandlungspartner beim Psychokrieg um
Strategien an Hand eines Kinderfotos. Ganz in den privaten Bereich, dazu noch in die Nachkriegszeit,
gehört das Spiel um den Verlust einer Kellnerstelle, für die ein gehbehinderter Kriegsveteran in den
neuen Zeiten nicht mehr geeignet erscheint. Dagegen scheinbar ganz gegenwärtig die
sensationslüsternen Mordphantasien zweier frustrierter Ehefrauen. Sicher, jede Collage lebt nicht
zuletzt vom Prinzip der Vielfalt, das sich hier im Rahmen der Black Box auf der Schulaula-Bühne mit
einfachster Ausstattung, weiße Tische und Stühle in unterschiedlichen Anordnungen, und mit einigen
wenigen Lichteffekten, entwickeln musste. Unterschiedlichste personelle Ausstattungen und Figuren
beherrschten deshalb die Bühne. Zu dem zunächst einsamen neunzigjährigen Kai, der die Blumen
liebt, gesellen sich KZ- Häftlinge mit dem Moorsoldatenlied (etwas zu lang ausgebreitet) aus seiner
Erinnerung an seine Zeit als SA-Offizier. An anderer Stelle der in seinen unorganisierten und
symmetrischen Gesten stilistisch völlig aus dem Rahmen fallende Showprediger, der in einem Solo
gegen Homosexualität wettert. Und wieder ganz anders die abschließende Disco- und Tanzszene, die
sich um die Unkontrolliertheiten übermäßigen Alkoholkonsums drehte. Gruppentanz, eine
„Thriller“-Parodie und chorisches Delirium bestimmten den theatralischen Ausdruck. Vielfalt zeigten
in dieser Collage auch die Sprachstile, wozu auch Dialektstücke gehörten. Obwohl der inhaltliche
rote Fade dünn blieb und die Abwechslung dominierte, wurde der Zuschauer doch durch die
durchweg hohe Bühnenpräsenz der Spieler gebunden und gefordert. Dies selbst dort, wo die
literarischen Figuren die Spielmöglichkeiten eines Jugendlichen einfach überfordern. Es ist eher eine
Selbstüberschätzung für Schüler zu glauben, dass es im personalen Spiel gekonnt möglich ist, die
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Geburtstagsrede eines Sohnes für seinen Vater vor versammelter Edelfamilie darzustellen, der in
seiner Kindheit dauerhaft von diesem sexuell missbraucht wurde. Die Darstellung von Politikern und
Geschäftsleuten, von Kriegsveteranen und anderen Erwachsenenrollen erscheint dann, wie
durchweg auch die Kostüme, als Ausdruck von Klischees. Da bleibt Bewunderung für die gut
erarbeiteten und trainierten Gestchen, Gesten und Haltungen, sowie die konzentrierte Dichte, wenn
z.B. Mann und Frau sich in einem Nachtspiel durch Wortspiele gegen Angst und Kälte wach halten
wollen, die Szenen selbst aber wirken eher distanzierend und künstlich. Der ambitionierte
Spielansatz wurde vom jugendlichen Publikum mit tosendem Applaus quittiert. Die Spieler selbst
wirkten dabei fast enttäuscht, sollten aber darauf stolz sein, dass sie die Probleme mit der
Lichtgestaltung, der Licht-Mann hatte im letzten Moment abgesagt, mit Personal vor Ort und ihre
eigene Leistung in Eigenregie, der Theaterlehrer konnte wegen anderer Verpflichtungen die Gruppe
selbst nicht begleiten, so wirkungsvoll auf die Bühne brachten.
Carl-Orff-Gymnasium Unterschleißheim: E.T.A. Hoffmann, Der Sandmann
Einen furiosen Auftakt lieferte die Gruppe des Carl-Orff-Gymnasiums Unterschleißheim mit ihrer
Adaption von E.T.A. Hoffmanns düsterer Novelle, die zur Interpretation auf der Bühne geradezu
herausfordert: da ist eine verrückte Geschichte, da sind schräge Charaktere, eine scheinbar wirre
Erzählweise. Laut Programmankündigung war es das Anliegen der Unterschleißheimer und ihres
Spielleiters Michael Blum, zugleich zu „informieren, verwirren und erschlagen“. Man wollte den Stil
Hoffmanns auf die Bühne bringen und zog zu diesem Zweck alle Register: es war eine
temperamentvolle, temporeiche und z.T. spektakuläre Darbietung der Ereignisse um den
unglücklichen Studenten Nathanael mit seinem hoffnungslos übersteigerten romantischen Gemüt.
Dabei thematisierten die Spieler nicht nur die psychische Verfassung der Hauptfigur durch
Rückblicke in deren traumatische Kindheit, sondern kosteten das, was die Geschichte selbst hergibt,
weidlich aus und interpretierten mit sichtlicher Freude die skurrilen Begebenheiten der
Novellenhandlung auf der Theaterbühne. Unter dem Motto „Wer ist schuld am Tod Nathanaels?“
wurde das Ganze als Kriminalfall aufgezogen. Die Recherchearbeit einer cleveren Kommissarin,
begleitet von einer schlau- trotteligen Assistentin, bildete den Rahmen für die Handlung. Unterstützt
wurden die beiden von einer nicht minder pfiffigen Psychologin, die dem Zuschauer die bei Hoffmann
so reizvollen Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele gewährte. Auf eine chronologische
Darstellung wurde verzichtet, man legte dafür umso mehr Wert auf starke Bilder und das
Ineinandergreifen von fantasievoller Lichtregie, körperbetontem Spiel, filmischer Projektion und nicht
zuletzt einer beeindruckenden Fülle an Musikeinspielungen. Wie viele Lieder es allein zum Sandmann
gibt! Die Dramaturgie des Kriminalfilms – schnelle Schnitte, fließende Übergänge, abrupte und
extreme Lichtwechsel, Erzeugen von Atmosphäre durch musikalische Untermalung – ist ja für die
Umsetzung auf der Bühne ein heikles Unterfangen, und der eine oder andere Zuschauer fühlte sich
wohl auch etwas überfordert von so viel „Action“ und empfand die Wucht der Darstellung als
klamaukhaft. Erstaunlich aber, zu welcher Präzision bei aller Freude am Tempo und der
Gleichzeitigkeit dramaturgischer Mittel die Spieler in der Lage waren, und wie stimmig am Ende doch
die Umsetzung wirkte. Dazu trugen sicher auch die virtuosen Übergänge zwischen den Szenen bei:
Vom leicht verfremdeten Tatort-Trailer über das DDR-Sandmännchen, Schattenspiel, Schaffen neuer
Räume durch Filmeinspielungen, die nahtlos in den Bühnenraum übergingen bis hin zu einem
reichlich grotesken Sandmann-Tanz wurde nichts ausgelassen, was den Zuschauer während der
Umbaupausen auf der mit Holzkisten äußerst flexibel gestalteten Bühne beschäftigen konnte.
Hoffmanns doppelbödiges Spiel mit dem Leser, das ständige Changieren zwischen dem Erzeugen
von Unbehagen, Ratlosigkeit und Gruseln mit einer ironisch-distanzierten, das Groteske gerne als
das Selbstverständliche darstellenden Betrachtungsweise wurde gerade durch die Vielfalt der hier
eingesetzten Mittel beeindruckend für die Bühne umgesetzt. Und, das lernten die Zuschauer allemal:
keiner ist so, wie er sich gibt, nichts, wie es ist, die Nachtseiten der menschlichen Existenz halten
Überraschungen parat, mit denen niemand gerechnet hat – und letztlich spielte es überhaupt keine
Rolle mehr, wer denn nun schuld an Nathanaels Tod ist. Der Zuschauer hatte auch so genug zu tun ein starker Auftritt einer sympathischen Gruppe!
Biografisches Theater
Verwandlung
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Derjenige, der bei der Theaterproduktion „Verwandlung“ der Mittelstufentheatergruppe des
Pirkheimer-Gymnasium Nürnberg unter der Leitung von Dirk Benker eine Anlehnung an Franz Kafka
erwartet hatte, sah sich schnell getäuscht. Denn bis auf die Tatsache, dass die 15 Schauspieler/innen
sich zunächst als unterschiedliche Tiere mit gewissen positiven und negativen Eigenschaften
vorstellten, womit sie entfernt an den zum Käfer verwandelten Gregor Samsa erinnerten, sowie
einen Originalsatz aus Kafkas Werk war diese Theateraufführung wirklich „fast ohne Bezug auf
Kafka“, wie die Gruppe auf ihrer Homepage mitteilt. Vielmehr versuchten sich die Nürnberger am
sogenannten (auto-)biographischen Theater, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, dass die Spieler
nicht einfach literarische Vorlagen umsetzen, sondern in sich selbst die Geschichten entdecken, in
denen die Handlungen und vor allem die Charaktere der Literatur stecken. Dadurch soll der Einzelne
Brücken in seine je eigene persönliche Vergangenheit bauen, um sodann seine Geschichte ins Jetzt
transportieren zu können. Nachdem der Spieler in sich selbst seine Figur gefunden hat, soll er, indem
er diese zeigt, mit dem Zuschauer in Kommunikation treten. Kafkas Text war nun Ausgangspunkt für
Assoziationen der Schüler, aus denen die selbstverfassten Texte entstanden sind. Ziel dabei war es,
in eigener Sprache das eigene Leben zum Sprechen zu bringen. Inhaltlich wollte die Gruppe den
„uralte(n) Kampf von Gut gegen Böse!“ durch das Aufeinanderprallen zweier rivalisierender
Gruppen, eine ganz schwarz, die andere ganz weiß gekleidet, sowie der Gegnerschaft innerhalb der
jeweiligen Gruppen darstellen. „Grautöne“ gab es dabei nach eigenen Angaben zunächst keine, laute
Musiktöne, so von Queen und Rammstein, die von Schülern ausgewählt wurden, jedoch viele. Der
einzige männliche schwarze Akteur, „Raven“, der, wie er sich selbst dem Publikum vorstellt,
Menschen hasst, wird zunächst von den weißen Spielerinnen aufgenommen, nachdem er sich in eine
weiße Akteurin, die sich als „Hamster“ bezeichnet, verliebt hat. Die schwarzen Mädchen, die fast
hündisch devot um seine Liebe buhlen, lässt er seinem Charakter entsprechend mit arroganten,
menschenverachtenden Aussagen (z.B. „Du siehst scheiße aus!“) abblitzen. Nur einmal im Stück
rebellieren die schwarzen Mädchen gegenüber seinen misanthropischen Herabsetzungen, indem sie
ihm ihre Tastaturen, die sie wie Taschen benutzen, vor die Füße werfen. Da die Liebe Ravens zur
„Hamster-Frau“ recht schnell erlischt, wendet er sich wieder seinen schwarzen Gespielinnen zu. Die
Abgewiesene entwickelt einen enormen Hass, der von der weißen Gruppe mitgetragen wird
(„Männer sind Schweine“). Eine geballte Wut entlädt sich in einem massiven, verbalen und
körperlichen Angriff auf die schwarze Gruppe, deren Mitspielerinnen sich schützend um Raven
gruppieren und schließlich aus dem Kampf als Sieger hervorgehen. Es geht somit insgesamt um
Liebe, Intrigen, den Kampf der Geschlechter sowie vor allem den Kampf des weiblichen Geschlechts
gegeneinander, bis schließlich in der Schlussszene durch schwarze Farbbeschmierungen im Gesicht
und auf der Kleidung aller Akteure plötzlich doch „Grautöne“ entstehen. Teilweise konnte die
Darbietung der Gruppe gefallen, so in einem von den Darstellern gespielten Wald voller Süßigkeiten
oder beim summenden Einsatz von Musik nach dem Lied „Männer sind Schweine“. Sinnvoll ist auch
der grundsätzliche Ansatz der Gruppe, von der reinen Textproduktion wegzukommen, indem man
zumeist das gesamte Ensemble spielend auf der Bühne agieren lässt. Allerdings hinterließ die
Aufführung gerade bei den bereits erwachsenen Zuschauern zwiespältige Gefühle, worüber auch die
überschäumende Begeisterung mancher Jugendlicher bei der Präsentation von „Verwandlung“, die
teilweise schon ansetzten, bei Liedern mitzusingen, nicht hinwegtäuschen konnte. So fehlte ein
inhaltlicher Leitfaden trotz des erneuten Aufgreifens der „Tierbiografien“ am Stückende. Vielleicht
wäre es zudem sinnvoll, die jugendliche Sprache, die zu oft aus dem Fäkalbereich schöpfte, sowie
die von den Schülern vorgegebenen Inhalte, die zumeist allzu schablonenhaft im
Schwarz-Weiß-Schema angesiedelt waren, durch eine durch den Spielleiter angestoßene Suche nach
anderen Formulierungen sowie differenzierteren Inhalten in eine andere Ebene zu übersetzen, auf
der trotzdem die Schülerwelt ausgedrückt wird. Zudem sollte der Eindruck einer „Play back show“,
so in der Szene zum Lied „We are the Champions“ von Queen, in der die laute Musik herangezogen
wurde, um eine theatrale Aussage zu ersetzen und das Spiel der Akteure nur stereotypische
Bewegungen (Siegerpose) ohne ironische Brechung nachahmte, vermieden werden. Wichtig ist auch,
dass die Sprecherziehung der Spieler noch intensiviert wird, um auch diejenigen, die sich nicht in
den ersten Stuhlreihen befinden, an den biographischen Texten teilhaben zu lassen. Trotz aller Kritik
hatte die Gruppe eine Art von Theater, die gerade für Schülergruppen bedeutsam ist, in
postdramatischer Form engagiert auf die Bühne gebracht und mit ihrer Produktion Stoff für eine
fruchtbare Diskussion geliefert.
Pestalozzi-Gymnasium München: Groß und klein 2.0 Familienbilder
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Rezension zu den 53. Theatertagen in Deggendorf
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Die Textcollage „Groß und Klein 2.0 Familienbilder“ entstand aus der Zusammenarbeit zwischen
dem Wahlkurs Kreatives Schreiben und der Theatergruppe des Pestalozzi- Gymnasiums München
(Leitung: Katalin Jäger). Interviews mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum Thema
„Familie“ boten die Textbasis zum szenischen Spiel und garantierten Authentizität und
Unmittelbarkeit der Inhalte, zumal davon auszugehen ist, dass die hier gezeigten Erfahrungen zum
Thema „Familie“ sowohl Spielerinnen als auch Zuschauern bekannt oder gar vertraut sein dürften.
Dadurch ergab sich ein reizvoller, aber auch schwierig auszufüllender Spannungsbogen zwischen
dem Spiel auf der Bühne und dem Erfahrungshorizont des Zuschauers: was von dem, was da die
verschiedenen Interviewpartner über Familie sagen, kann man so umsetzen, dass neben dem
Wiedererkennen ein Staunen, ein Getroffen-Sein statt Betroffenheit erzeugt wird, vielleicht auch ein
neuer Blick auf das Vertraute gelingt? Und vor allem: welche Form der Darstellung ist hierfür die
geeignete? Vielversprechend war der Einstieg: zunächst unter einer Goldfolie verborgen, enthüllte
sich ein Familienfoto, das von drei Tänzerinnen, die wie die Figurinen einer Spieluhr agierten,
kommentiert wurde. Schnell verdeutlichte das Spiel der Puppen die Fragwürdigkeit und das
Mechanistische des hergebeteten Familienbegriffs, die Diskrepanz des Ideals mit den heutigen
Gegebenheiten. Aber die Gruppe begnügte sich nicht mit der Darstellung dieses Auseinanderklaffens
von Ideal und Wirklichkeit. Die Aussagen der einzelnen Familienmitglieder zum Rollenverständnis
von Eltern und Kindern wurden meistens als Interview vorgetragen, als Monolog gestaltet und –
leider recht selten, dort aber stark – ins szenische Spiel umgesetzt. So ergab sich eine Reihung von
verschiedenen Sichtweisen auf die Familie und die Rollen der einzelnen Mitglieder. Logisch, dass das
„ideale“ bürgerliche Familienmodell mit seiner klaren Rollenzuweisung eher die Randerscheinung
war, es überwogen die Facetten von Familienleben, die heute die Lebenswirklichkeit bestimmen. Da
wurde das punkige Aussteigerkind gezeigt, das der Familie den Rücken zugekehrt hat und sich doch
einen Zusammenhalt von Eltern und Geschwistern wünscht, der frustrierte Sohn, der mit dem
„chilligen“ Stiefvater zurecht kommen muss, „Elternversteher“, also Kinder, die erwachsener und
„vernünftiger“ wirken als ihre Eltern, einen scheinbar abgeklärten Blick haben auf deren
Schwierigkeiten, die Erwartungen an ihre Rolle zu erfüllen. Dieses reihende Prinzip, dem sich die
Dramaturgie unterworfen hatte, die Wiederholung der Interviewsituation, erwies sich auf die Dauer
doch als etwas wenig variabel, zumal der Einsatz des Körpers und auch die Gestaltung des
Bühnenbilds zugunsten des Textes immer mehr in den Hintergrund traten und die Sprechtechnik der
Spieler noch entwicklungsfähig ist. Der Gruppe ist zu wünschen, dass sie noch mehr Zutrauen in ihr
kreatives Potenzial gewinnt, den Ernst und das Engagement, mit dem sie sich ihren Themen widmet,
vielleicht öfter noch ins unmittelbare Spiel umsetzt und die Möglichkeiten theatraler Darstellung
ausgiebiger nutzt.
Karolinen-Gymnasium Rosenheim: Ähm…hm…hihi – Der andere
in mir
Eine Eigenproduktion zum Thema „Alleinsein“ hatte sich die Theatergruppe des KarolinenGymnasiums Rosenheim (Leitung: Michael Steurer) erarbeitet. Schon der Beginn ließ erahnen, dass
die Gruppe ein Wagnis eingehen würde, denn es wurde das Entsetzen, die Fassungslosigkeit nach
einem Amoklauf zunächst einmal in verschiedenen Aussagen thematisiert. Die Frage nach dem
„Warum“ stand nun im Raum, und die Gruppe wagte sich daran, eine Antwort zu versuchen, indem
sie Einsamkeit, Alleinsein Jugendlicher in verschiedenen Situationen aufgriff und darzustellen
versuchte, wobei man eine Art Handlungsfaden anhand des Verlaufs eines Schultags entwickelte.
Dabei wurden viele Aspekte angerissen, die mit Einsamkeit zu tun haben: Versagensangst und
Leistungsdruck in der Schule, belanglose, oberflächliche Konversation, Ausgrenzung aufgrund wie
auch immer gearteten Andersseins, bewusste oder unbewusste Kränkung durch Gleichgültigkeit,
Ohnmachts- und Wutgefühle. Es wurden erkennbar eigene Erfahrungen eingebracht, die Situationen
wirkten im Ansatz durchaus authentisch und bargen Möglichkeiten zu einer überzeugenden
Auseinandersetzung mit dem Thema. Es fehlte der Gruppe auch nicht an Ideen und
schauspielerischen Möglichkeiten, nur wäre ihr sehr zu wünschen gewesen, dass die vielen Einfälle in
eine theatrale Form gebracht werden hätten können, die sie selber auch zufrieden gestellt hätte. So
war vieles zu sehen, das noch einer weiteren Formung bedurft hätte. Gerade weil man sich so ein
scheinbar nahe liegendes und aktuelles Thema ausgesucht hatte, erwies sich die Umsetzung auf der
Bühne als heikles Unterfangen, und man tappte in etliche dramaturgische und inhaltliche Fallen,
blieb immer wieder dem Klischee verhaftet und konnte so letztendlich auf die anfangs gestellte
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Frage nach dem „Warum“ eines Amoklaufes – und wer kann die schon beantworten? – keine die
Zuschauer berührende Antwort finden. Das war der selbstkritischen und aufgeschlossenen Gruppe
durchaus bewusst, und so bleibt den Rosenheimern zu wünschen, dass sie die vielen Anregungen,
die die verschiedenen Aufführungen der Theatertage geboten haben, die engagierten
Stückbesprechungen, zu denen sie Konstruktives beitragen konnten, und nicht zuletzt die Fachforen
als Impuls und Motivation verstehen, sich weiter zu entwickeln und Stufe für Stufe ihr Potenzial noch
besser zu nutzen.
Musiktheater
Gauklermärchen
Kann Poesie die Welt verändern oder tröstet sie nicht einfach nur über die Realität hinweg? Michael
Endes „Gauklermärchen“ entscheidet diese Lieblingsfrage von Deutschlehrern nicht, entfaltet sie
aber als Problem und hat sie damit als Handlungsraster. Das Theaterprojekt am
Albert-Schweitzer-Gymnasium aus Erlangen unter der Leitung von Birgit Michaeli nahm sich dieses
inzwischen oft auf Schülerbühnen (vgl. Internetrecherche) gespielten Stückes an und präsentierte im
geheimnisvoll blau schimmernden und überwiegend spotartig beleuchteten Bühnenraum der
Stadthalle eine Bilderfolge mit Musiken und Originaltextvertonungen des Musiklehrers Dr. Jürgen
Brauner. Der Komponist leitete und dirigierte selbst das etwa zehnköpfige Orchester mit Band,
Schlagwerk, Streichern, Akkordeon, Synthesizer und Flügel. Aber zur Geschichte, bzw. zu dem, was
davon auf der Bühne zu erleben und mit Hilfe des Programmheftes zu verstehen war: Ein Zirkus
steht vor dem Ende. Wiegende Figuren, Ballett, Jonglieren, Messerwerfer und andere Artisten
beleben die Bühne und treiben ihr Spiel. Dazwischen das behinderte(?) Mädchen Eli. Eine Frage steht
im Raum: Gibt es noch Hoffnung? Eine Art Anführer der Gaukler, Jojo, ein Junge im braunen, später
auch im Ledermantel, tritt hinzu, kann die Hoffnungslosigkeit nicht abwehren und beginnt die
Geschichte einer Prinzessin Eli zu erzählen. Ein Spiel im Spiel beginnt. Der Unterstufenchor tritt in
Aktion. In einheitlich weißen Masken, individualisierter nur durch Einkaufstaschen, begegnet er in
chorischem Durcheinander als Spiegelbilder, die von dem Spiegel Kalophain eingefangen wurden,
Prinzessin Eli. Dazu Chorgesang, der Politiker- und Werbesprüche einfängt. Die Prinzessin selbst darf
nicht in den Spiegel Kalophain schauen. Ein Verbot, das sie übertritt, als sie unter den Spiegelfiguren
Prinz Joan (oder ist es der Anführer Jojo?) entdeckt, den sie unbedingt kennen lernen möchte. Eine
musikalisch heftig untermalte (Schlagwerk!) Spiegelimprovisation fängt die Atmosphäre der neuen
Gespaltenheit ein. Der Spiegel Kalophain muss die Suche nach dem Prinzen übernehmen, gerät
dabei aber sogleich in die Fänge eines Wesens aus geschwungen bewegten, transparenten, grünen
Tüchern, das sich als die machtbesessene Spinne Angramain entpuppt, die sich ebenfalls mit dem
Prinzen Joan verbinden will, um an die Herrschaft zu kommen. Der Kampf zwischen Spiegel und
Spinnen gewinnt Dramatik durch scharfe Geigenstaccati. Der Chor erscheint jetzt mit Glitzermasken.
Ist er jetzt selbst der Spiegel und stellt sein Zerbersten im Kampf mit der zuletzt siegreichen Spinne
dar? Ein Themenwechsel deutet sich in einer Improvisationsszene an: Ein Mädchen wird von
Männern umworben. Die Geschichte geht weiter: Da Prinz Joan gerade Heiratspläne schmiedet,
hängt sich Angramain an die Brautbewerberinnen an, die, schon in weißen Kleidern, vergeblich um
den Prinzen werben. Angramain umgarnt ihn singend unter dem Namen Smeralda. Natürlich gerät
der Prinz in ihre Abhängigkeit und letztlich in die Gefangenschaft Angramains. Seine Verzweiflung
findet in einem aggressiv gestimmten Lied seinen Ausdruck. Szenenwechsel: Die Spiegelfiguren,
jetzt als blind gekennzeichnet, werden vertrieben. Prinzessin Eli singt einsam von ihrer Sehnsucht
nach dem Prinzen. Auch in den folgenden Teilen verdichtet die Musik die Atmosphären,
Gesangsstücke unterstreichen die Befindlichkeiten. In einem Zwischenspiel im Zirkus entlarvt sich
die phantastische Geschichte von Eli und Joan/Jojo als Vorgeschichte ihres Schicksals im Zirkus.
Gemeinsam mit ihren Artistenfreunden steigen sie daraufhin durch ein überdimensionales
Spinnennetz (Gratulation den Bühnenbauern!) in das Phantasiereich der Spinne Angramain zurück
und besiegen sie. Jetzt kann der zurückkehrende Spiegel wieder in seine Funktion treten und allen
den Weg in die Realität weisen. Dort aber wartet Baumaschinenlärm über tiefen Mollklängen auf sie.
Erst das Applauslicht offenbart, dass hier etwas achtzig Spielerinnen und Spieler der
Mittelstufentheatergruppe, der Leistungskurse Kunst und des Unterstufenchores durch die
Inszenierung und die Atmosphären choreographiert wurden. Dabei wechselte der Chor seine Rollen
überzeugend engagiert. Die jungen Sängerinnen und Sänger wirkten dabei durchweg diszipliniert,
gleich, ob sie als Sänger oder chorische Sprecher gefragt waren. Die Besetzung der
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Mittelstufenspieler überzeugte noch mehr durch die gesanglichen Leistungen, als durch ihr
körperliches und sprachliches Spiel, das (wegen der depressiven Gesamtatmosphäre?) oft zu wenig
Spannung zeigte. Bewundernswert aber, wie textsicher sich alle durch Michael Endes gebundene,
teils gereimte und metaphernüberladene Sprachaltertümlichkeiten hangelten. Die vom Publikum im
Applaus bewundernd honorierte Kraft dieser Theaterstunde kam neben der geschickten Lenkung der
großen Schülergruppen auf der Bühne aus dem Orchestergraben. Ob als Begleitorchester einer
Ethnoballade, eines Popsongs oder einer Hitparodie, ob als melodramatische Klangkulisse, stets
überzeugte das präzise gespielte und gut abgemischte Klangbild des Orchesters. Dieser klanglichen
Präzision konnten nur die Sologesänge zum Teil adäquat zugemischt werden. Der Chor und die
Sprachszenen blieben unter diesen akustischen Bedingungen trotz großzügiger Mikrofonierung zu oft
unter dem Niveau von Verständlichkeit. Mit diesem technischen Problem kämpfen aber auch
Profibühnen und lösen es mit laienhaft nicht nachahmbarem technischen Aufwand.
Kick me, Kate
Zum Abschluss der Theatertage ließ sich das Publikum, je nach Geschmack, durch das szenische
Songspiel frei nach William Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung entweder „kicken“ oder
küssen. Die Sonthofener Gruppe (7.-11. Klassen) unter der Leitung von Andreas Gross (Skript und
Regie) sowie Ernst Heckel (Musik) hat neben Shakespeare noch auf Elemente aus Cole Porters
Musicalversion Kiss me, Kate! von 1948 sowie dem Film 10 Things I Hate About You zurückgegriffen,
der sie dazu angeregt hat, die Handlung in eine amerikanische Kleinstadt mit schülergemäßem
Rahmen zu verlegen. Bianca, eine Schönheitskönigin, erzogen von einem puritanisch-konservativen
Vater, darf sich erst dann mit einem ihrer drei Verehrer treffen, wenn ihre ältere Schwester Kate an
den Mann gebracht worden ist. Deren erster Auftritt verdeutlicht jedoch das Problem: Sie ist laut,
aggressiv und „unweiblich“. Schließlich findet sich doch ein Fremder mit Namen Dick, der sich mit
Kate verabreden will, allerdings nur, weil er von Luke, Biancas Verehrer, dafür bezahlt wird. Luke
gewinnt sodann einen „Bewerbungskontest“ um Bianca, indem er ihr ein wohlbehütetes Leben im
goldenen Käfig des „Hausmütterchendaseins“ verspricht. Kate, von Dick gewaltsam zu sich nach
Hause entführt, wo sie zu einem sittsamen Mädchen dressiert werden soll, lässt sich schließlich auf
den Rat einer Freundin ein, mit Hilfe der Einnahme einer Medizin ihren Widerspruchsgeist zumindest
kurzfristig auszuschalten. Ihr wird nun – dargestellt mit Hilfe einer „Stimmenskulptur“ – klar, dass sie
wirklich etwas für Dick empfindet. In Originalversen Shakespeares besteht sie Dicks Test, indem sie
sich seiner Sicht der Dinge widerspruchslos fügt und die Sonne für den Mond und umgekehrt hält.
Plötzlich tritt sie für die Unterordnung der Frau unter den Mann ein und zähmt ihre (vormaligen)
Mitstreiterinnen, die den Emanzenkrieg fortsetzen wollen. Als Kate jedoch über die wahre Identität
Dicks erfährt, der ein Mädchenhändler ist, sowie von seiner „Bezahlung“, „kickt“ sie ihn in den
Bauch. Nur durch einen „kiss of life“ durch Kate, die sich nach anfänglichem Zögern dazu
durchringen kann, wird er gerettet. Er will sich nun seiner „Herrscherin“ unterwerfen, doch lehnt sie
dies ab, indem sie für eine gleichberechtigte Partnerschaft von Mann und Frau eintritt. So kommt es
durch die Bekehrung von zwei Widerspenstigen, Kate und Dick, sowie ihrer Versöhnung zum Happy
End. Mit ihrer Eigenproduktion hatten die Sonthofener ein aufwändiges Projekt auf die (leere) Bühne
gebracht. Mediale Hintergrundprojektionen erzeugten den Schauplatz, während auf der Bühne
verschiedene Songs, choreographisch ausgeschmückt, gesungen wurden oder „normale“
Theaterszenen gespielt wurden. Absicht der Komponisten Heckel/Schmidt war es, durch heutige
Musik der Jugend wie Rock, Pop und Hip-Hop die emotionalen Aussagen des Stückes zu
transportieren. So bekam das Publikum gefällige Kompositionen zu hören, die aber vielleicht doch zu
sehr den Mainstream-Geschmack bedienten, um die „Rebellion“, um die es im Stück oftmals ging, zu
verdeutlichen. Die Sangesqualitäten der verschiedenen Solo- bzw. Background-Sänger in Songs auf
englisch oder deutsch waren dabei – schließlich sangen keine Profis – naturgemäß von
unterschiedlicher Qualität, doch ist es bemerkenswert, mit welcher (positiven) Lockerheit alle Sänger
ihrer Aufgabe nachgingen. Schade, dass die Musik als „Konserve“ eingespielt wurde, denn eine
Live-Band hätte sicherlich den Kompositionen noch mehr Leben einhauchen können. Dies erfolgte
jedoch durch die gekonnte choreographische Umsetzung der Songs, wobei die sichtbare Nähe zu
Musical-Produktionen sicherlich beabsichtigt war. In den Schauspielszenen agierte eine sehr
kraftvolle (Punk-)Kate, die über viel Bühnenpräsenz verfügte, auf eine mögliche differenziertere
Gestaltung ihres Charakters jedoch verzichtete. Mit Hilfe einiger theatraler
Darstellungsmöglichkeiten, z. B. der oben erwähnten „Stimmenskulptur“, entging man der Gefahr
der Textlastigkeit. Trotz des (im Programmheft geäußerten) Versuchs, die Diskriminierung der
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Frauen anzuprangern, liegen die Stärken dieser Produktion doch eher im Unterhaltungsbereich. Die
Darbietung des Stücks, dessen Handlung etwas klischeehaft wirkt, da sie eben nicht – wie im Original
Shakespeares – nur ein Traum des Kesselflickers Schlau sein könnte, diente vor allem dazu, das
Publikum mit Hilfe von Tanz, Gesang und Theaterspiel auf vielfältige Weise zu unterhalten. Dies ist
der Gruppe mit ihrem Projekt, für dessen Realisierung ein immenser Arbeitsaufwand betrieben
werden musste, (zumeist) auch gelungen.
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