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Forschung & Ergebnisse Theorie & Praxis World Café: Kollektive Kreativität im Kommen Alexander Schieffer, David Isaacs und Bo Gyllenpalm In der Arena organisatorischer Veränderungen machte in den 90er Jahren – initiiert von Juanita Brown und David Isaacs – eine neue Idee die Runde und findet inzwischen weltweit Beachtung: Die Rede ist vom World Café. Trotz seiner relativ simplen Handhabung im Lern- und Change Management-Kontext (oder gerade deswegen?) erzielt das World Café überzeugende Ergebnisse. ntstanden aus dem weltweiten Inter- E Weg bietet, in großen Gruppen Dialoge zu esse an Dialogmethoden, ist der Erfolg wesentlichen Fragen zu führen und dabei des World Café auf eine einfache Er- die Grenzen gemeinsamen Denkens spür- kenntnis zurückzuführen: Die Art und bar zu erweitern. Das World Café ist ein Weise, wie Menschen miteinander reden überaus effektiver Wegbereiter für neue und sich im Gespräch verhalten, führt Handlungsmöglichkeiten und ist leicht ein- häufig weder zu einer besseren Verstän- setzbar in Organisationen und Gruppen. digung noch zu einer verbesserten Zusammenarbeit. Vielmehr führt es häufig Das Ziel jedes World Café ist die gemein- zu Missverständnissen und einer Ver- schaftliche Innovation und das Eröffnen schlechterung der Kooperation. Diese ent- neuer Handlungsoptionen für bestehende mutigende Bilanz bildete die Grundlage, und zukünftige Aufgabenstellungen. Es auf der die Pioniere des World Café be- geht nicht nur darum, existierendes Wis- gannen, die menschliche Fähigkeit der sen auszutauschen, es geht vor allem da- Kommunikation und des Zuhörens ge- rum, neues kollektives Wissen zu gene- nauer zu untersuchen. Ihnen fiel auf, dass rieren. Menschen, wenn sie bestimmten Gesprächsregeln folgen, erstaunlich gut kolAus diesen Beobachtungen entstand das 2. Die Philosophie hinter dem World Café World Café. Dem World Café liegen mehrere Annah- Doch was steckt dahinter, wie und wo men zugrunde. wird das World Café am besten einge- Die wichtigsten beiden lauten: lektiv denken und kreativ sein können. Dr. Alexander Schieffer ist Lehrbeauftrager an der Universität St. Gallen, Schweiz, dort auch Leiter des Bereichs International Network Management am Institut für Führung und Personalmanagement sowie selbständiger Unternehmensberater mit Sitz in Laubach und München. David Isaacs ist gemeinsam mit Juanita Brown Mitbegründer von The World Café. Er ist Geschäftsführer von Clearing Communications, einem Beratungsunternehmen mit Spezialisierung auf Unternehmens- und Kommunikationsstrategie. Beratung von internationalen Unternehmen. Autor vieler Publikationen. Bo Gyllenpalm ist Mitglied des Fielding Graduate Institute in Santa Barbara, California. Zuvor Berater für Großgruppenprojekte und CEO eines Unternehmen von Philips bzw. Siemens. Derzeit Arbeit an der Anwendung von The World Café als Forschungsmethode. 40 setzt, welches Potential birgt es für die Zukunft? Der folgende Artikel versucht, ein Jede Person hat ihre eigene Interpre- Verständnis für unterschiedliche Spielarten tation der Welt, basierend auf menta- dieses Instruments in Wirtschaft, For- len Modellen, konstruiert in indivi- schung und anderen Einsatzgebieten zu dueller konzeptueller Realität. vermitteln. Er beruht auf konkreten Er- Obwohl diese Realitätsperspektive für den fahrungen mit dem World Café. Einzelnen gültig sein kann, stellt sie nur eine individuelle Perspektive dar. Nur durch das Mitteilen der eigenen Perspek- 1. Das World Café – was es ist tive und durch das Verstehen von anderen Das World Café ist ein organisatorischer Interpretationen der Realität können Ein- und sozialer Designprozess, der einen zelpersonen und Organisationen das VerNr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation Grafik: Betty Alexander Abb. 1: Ein Beispiel für eine Gesprächslandkarte Quelle: Isaacs, Schieffer und Gyllenpalm wege entwickeln. Je mehr Handlungsop- 3. Wie man ein erfolgreiches World Café betreibt tionen eine Einzelperson oder eine Orga- Es gibt viele Wege, ein erfolgreiches Café nisation artikulieren können, desto größer zu betreiben. Sieben wesentliche Gestal- ist die Möglichkeit, erfolgreiche Adap- tungsprinzipien haben sich in den letzten 1. Klärung des Kontextes tionsstrategien für die Gesamtorganisa- Jahren als besonders nützlich herausge- Alle Teilnehmer sollten im Vorfeld wissen, tion zu entwickeln. stellt (Brown, 2002): warum das Café einberufen wird. Wenn Jedes System besitzt die inhärente Fä- 1. Klärung des Kontextes Café initialisiert werden, indem den An- higkeit, erfolgreiche Überlebens- und 2. Erzeugen einer einladenden wesenden die folgende einleitende Frage ständnis für unterschiedliche Handlungs- fahrungen mit vergangenen Cafés näher erläutern. kein klares Ziel artikuliert wird, kann ein Anpassungsstrategien zu entwickeln. Das Wissen und die Kreativität, die in einer Organisation erforderlich sind, um selbst größere Herausforderungen zu meistern, sind bereits in der Organisation vorhanden. Das World Café ermöglicht, auf diese meist unbewussten Ressourcen zuzugreifen und erlaubt Teilnehmern, ihr kollektives Leistungsvermögen zu entdecken und zu nutzen. Die meisten Organisationen leiden nicht an zu wenig „klugen Atmosphäre 3. Ermittlung der wirklich wesentlichen Fragen 4. Ermutigung von Beiträgen aller Beteiligten gestellt wird: „Welche Themen könnten neue Möglichkeiten für die Zukunft unserer Situation/Organisation öffnen, wenn heute die Auseinandersetzung mit ihnen starten würde?” 5. Verknüpfung unterschiedlicher Sichtweisen 6. Gemeinsames Heraushören von Einsichten und von tiefergehenden Fragen 7. Teilen der gemeinsamen Entdeckungen Sinnvoll ist es, schon zu Beginn klar zu stellen, dass das World Café nicht zur unmittelbaren Lösung spezifischer, bereits vorhandener Probleme eingesetzt wird, sondern der gemeinsamen Entwicklung von neuen Handlungsoptionen dient und Köpfen”. Sie leiden an ihrer Unfähigkeit, die vorhandene kollektive Kreativität zu In diesem Artikel werden wir diese sieben als Rahmen für gemeinsames Lernen fun- nutzen. Gestaltungsprinzipien anhand unserer Er- giert. Um dieses Verständnis im Vorfeld zu Nr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation 41 Forschung & Ergebnisse sichern, sollten Vertreter aller Hierarchie- des Ziels sowie der „Don´ts“ des World pe geschlossen zusammen kommt. Und stufen, einschließlich der obersten, in der Cafés. dennoch: Der Charakter der Einladung vorbereitenden Designphase beteiligt sein. Um den kollektiven Lernprozess nicht zu sollte ausdrücken, dass es um den freiwil- stören, ist es entscheidend, dass der Mo- ligen Austausch von Wissen und Ideen Die besten Resultate werden erzielt, wenn derator des Cafés nicht versucht, die Lö- geht. die Vorbereitung und Gestaltung des Tref- sung zu liefern, sondern dass er (oder sie) fens von einer Gruppe organisiert wird, die sich ausschließlich darauf konzentriert, Es empfiehlt sich, einen inspirierenden Na- einen Querschnitt der Teilnehmer bildet. den Prozess der Lösungsfindung zu unter- men für das Café zu entwerfen, wie z.B. Auf die Vielfalt innerhalb der Gruppe stützen. Einige Moderatoren versuchen „Wissens-Café”, „Entdecker-Café” oder kommt es an: Vielfalt (bezüglich Interes- das Café zu lenken, indem sie die Haltung „Siemens-Creativ-Café”. In einem Beispiel sen, Hierarchie, Geschlecht, Alter, Bil- eines externen Beratungsexperten ein- in der USA lud eine Ölfirma aus Louisiana dungshintergrund etc.) führt zu unter- nehmen. Aber ein Café kann nicht ver- ihre Mitarbeiter regelmäßig zum im schiedlichen Perspektiven und hilft, ein kauft werden, es ist keine Transaktion. World-Format abgehaltenen „Pipeline einseitiges Ergebnis des Cafés zu verhin- Ein Café ist ein kollaborativer Prozess, der Pub” ein. Ein derart personalisierter Name dern. Vielen Auftraggebern ist ein hohes die Teilnehmer und den Moderator ein- ist hilfreich zur Förderung einer die Teil- Maß an Vielfalt zunächst suspekt, aber in bezieht. Entsprechend liegt die Verant- nehmer verbindenden Identität. den meisten Fällen wird der bereichernde wortung für den Erfolg eines Cafés nicht Auch der Ort, an dem das Café abgehal- Beitrag zumindest im Nachhinein aner- beim Moderator, sondern vielmehr beim ten wird, sollte einladend sein. Während kannt. Planungsteam, insbesondere beim Auf- die technische Ausstattung sehr be- traggeber. schränkt sein kann (man benötigt nicht Einer der schwierigsten Aspekte des World mehr als ein paar Stühle und Tische), soll- Café liegt im Umgang mit Macht. In ei- te der Raum an sich eine angenehme nem World Café, das innerhalb eines 2. Erzeugen einer einladenden Atmosphäre Atmosphäre bieten. Dabei baut das World Unternehmens abgehalten wird, kann es dazu kommen, dass z.B. die oberste Füh- Es ist hilfreich, wenn eine Person oder Menschen von einem gemütlichen Café rungsriege mit unterstellten Führungs- eine Gruppe als offizieller Gastgeber des bewusst oder unbewusst erwarten: eine kräften und einfachen Angestellten zu- Cafés auftritt: Dies kann ein Unterneh- informelle Atmosphäre, Hintergrundmu- sammen sitzt, mit dem Ziel, gemeinsam men, eine Universität oder eine einzelne sik, Blumen, warmes Licht, ein Ausblick nach neuen Handlungsmöglichkeiten zu Person sein. Idealerweise ist den Eingela- auf die Natur etc. Hier spielt insbesonde- suchen. Dies ist für die meisten Organisa- denen freigestellt, ob sie teilnehmen oder re die Landes- und Organisationskultur tionen ein völlig ungewohnter Ansatz. nicht. Dies mag nicht immer möglich sein eine wesentliche Rolle. Die Atmosphäre ei- Umso entscheidender ist die Klärung des – denn gerade im Unternehmensumfeld nes World Café in München ist anders zu Kontextes und die präzise Kommunikation kann es z.B. wichtig sein, dass eine Grup- gestalten als die eines Cafés in Singapur, Café darauf auf, was ohnehin die meisten Fallbeispiel Pharmaunternehmen Ein großes Unternehmen aus der Pharma-Branche wollte neue Wege im Kundenservice finden. Aus diesem Grund beabsichtigte das Unternehmen, die Beziehung zu seinen Stakeholdern auszuweiten und sie in diesen Entwicklungsprozess einzubeziehen. Das Unternehmen führte traditionell Strategiediskussionen nur intern. Es bestand diesbezüglich kein Austausch mit externen Gruppen. In einem ersten internen Café wurden zunächst alle relevanten Stakeholder identifiziert (Händler, Apotheken, Ärzte, Krankenschwestern, Patienten, Krankenkassen etc.). Dann wurden Vertreter der verschiedenen Stakeholder-Gruppen zu einem World Café eingeladen. Ziel und Ergebnis war die gemeinsame Entwicklung einer Reihe von Beziehungen, die erlaubten, dem Patienten als eigentlichem Konsumenten der Unternehmensprodukte und -dienste den bestmöglichen Service zu bieten. Quelle: Schieffer, Isaacs und Gyllenpalm 42 Nr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation ein Café für Schüler anders als ein Café für Buntstifte zur Verfügung stehen, so dass o Mitteilen eigener Gedanken das Management Board eines großen Ideen unmittelbar visuell dargestellt wer- o Kopf und Herz sprechen lassen Unternehmens. den können. Außerdem sollte sich auf je- o Zuhören, um zu verstehen dem Tisch ein weiteres symbolisches Ele- o Unterschiedliche Gedanken zu Neuem Über die Jahre gab es bereits viele Diskus- ment befinden´ – etwa eine kleine Flagge sionen über die optimale Größe eines oder eine Blumenvase. Dieses Symbol soll World Café. Generell stellen zwölf Perso- Atmosphäre schaffen (z.B. Blumenvase), Denkmuster und tiefergehende Fragen nen und drei Tische das Minimum dar, die Gruppenzugehörigkeit fördern (z.B. o Spielerisches Umgehen mit neuen Ge- aber die Gruppe kann auch über 1000 Flagge mit der Aufschrift „Siemens-Crea- Teilnehmer umfassen. Optimalerweise sit- tiv-Café”), vor allem aber soll es als soge- zen an jedem Tisch vier Personen. Erfah- nannter „Talking Stick” verwendet wer- Der Moderator sollte diese bewährte Eti- rungsgemäß leidet der Dialog bei einer den können: Talking Sticks wurden von kette jedoch nicht einfach nur vorstellen. Gruppengröße von mehr als fünf Perso- den amerikanischen Ureinwohnern von Viel wirksamer ist es, die Teilnehmer zu- nen, da dann meist einige Teilnehmer die Rednern in der Hand gehalten und nach nächst nach den eigenen, persönlich iden- Gesprächsführung übernehmen, während Abschluss der Rede jeweils in die Mitte der tifizierten Schlüsselcharakteristika eines die anderen sich passiv verhalten. Subop- Gesprächskreise zurückgelegt bzw. an den guten Gesprächs zu befragen. Gute Ein- timal ist aber auch eine Gruppengröße nächsten Sprecher weitergegeben. Es gilt, führungsfragen können sein: von weniger als vier Personen – denn hier dass nur derjenige reden darf, der den Tal- hat sich gezeigt, dass die Unterschiedlich- king Stick in der Hand hält. ■ Wie würden Sie die Eigenschaften des keit der Perspektiven jeweils nicht groß ge- Nach der offiziellen Begrüßung der Teil- besten Gesprächs, das Sie jemals hatten, nug ist. Vier ist die ideale Anzahl, da ein- nehmer durch den Gastgeber und Auf- bezeichnen? erseits die erforderliche Intimität gewähr- traggeber eröffnet der Moderator (bei leistet ist, die notwendig ist, damit jeder großen Gruppen evtl. auch zwei Modera- ■ Können Sie sich an eine Begebenheit er- Teilnehmer seinen Beitrag in der Konver- toren) das Café, indem er den Teilnehmern innern, als Sie eine starke persönliche Ver- sation leistet, andererseits aber auch das zunächst die Funktionsweise und die Kon- änderung in einem Gespräch (durch ein Gespräch nicht ins Stocken gerät, wenn versationsregeln des Cafés erläutert. Gespräch) erfahren haben, und können sich ein oder zwei Personen nicht aktiv be- In den vergangenen Jahren hat sich hier- Sie die Merkmale dieses Gesprächs nen- teiligen. zu eine eigene World Café Etikette gebil- nen? verknüpfen o Hören auf gemeinsame Erkenntnisse, danken und Ideen det. Sie enthält eine Sammlung einfacher Die Tische im Raum sollten eher klein (ide- Prinzipien, die als Leitfaden für die Kon- Es ist bemerkenswert, dass weltweit meist al ist ein Durchmesser von ca. einem Me- versation in einem Café dienen. Zu- die gleichen, in der Etikette beschriebenen ter) und rund sein. Auf jedem Tisch sollten sammengefasst sind dies: Charakteristika genannt werden. Viele eine beschreibbare Papiertischdecke und o Fokussieren auf das wirklich Wesentliche Menschen tendieren allerdings dazu, sich Fallbeispiel Umweltkonferenz Eine Gruppe von 32 Personen kam im Jahr 2002 in Schweden im World Café Format zusammen, um über nationale Umweltprobleme zu sprechen. Die Gruppe setzte sich aus Vertretern von Greenpeace, Politikern und Unternehmensvertretern (z.B. aus der Transport- und Logistikbranche) zusammen. Dabei handelte es sich vorwiegend um Vertreter aus Interessensgruppen, die bis dato kaum miteinander kommuniziert hatten. In der Einladung war die Teilnahme an einer Konferenz am „runden Tisch” angekündigt worden. Die Vertreter waren bei ihrer Ankunft überrascht, denn anstatt der kleinen runden Kaffee-Tische erwarteten sie einen großen runden Tisch. Die kleinen runden Tische in Verbindung mit einer neuen Dialogkonversation brachte sie dazu, aus ihrem normalen Referenzmodell der Gesprächsführung auszubrechen. Es gelang, gemeinsam neue Handlungsoptionen für die Umweltbranche des Landes zu entwickeln. Quelle: Schieffer, Isaacs und Gyllenpalm Nr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation 43 Grafik: Gretchen Pisano and Michelle Boos-Stone Forschung & Ergebnisse Abb. 2: Ein Beispiel für eine Gesprächslandkarte Quelle: Isaacs, Schieffer und Gyllenpalm leichter an einer selbst entwickelten Eti- erfordert besondere Aufmerksamkeit. viele Menschen in eine defensive und ver- kette zu orientieren als an einem extern Nachforschungen haben ergeben, dass gangenheitsorientierte Rolle und verhin- auferlegten Regelwerk. Entsprechend ist die Art der Fragestellung die Antwort dern die im World Café angestrebte pro- es sinnvoll, die Teilnehmer die Gesprächs- maßgeblich beeinflusst (Cooperrider, So- aktive, kreative und nach vorne schauen- regeln selbst entwickeln zu lassen. An- rensen, Whitney und Yaeger, 1999). Es de Sicht. schließend sollten sie sichtbar festgehalten gibt hierzu viele Hinweise in der Literatur werden. Der Moderator kann diese Regeln (Vogt, Brown und Isaacs, 2003); der wich- Der Moderator kann den Teilnehmern hel- zusammenfassen und mit der bewährten tigste Aspekt ist dabei jedoch, dass die fen, von einem „Wie kann man...?”, Etikette verknüpfen. Alles in allem dauert Fragen jeweils „möglichkeitsorientiert” „Warum ist etwas...?”, „Wer kann uns es selten länger als fünf Minuten, weitere sind. Kennzeichen guter Fragen in die- helfen...”- Denken zu einer „Was ist wenn fünf Minuten sind erforderlich, um die sem Sinne sind: Sie sind offen gestellt und ich...?”, „Was ist wenn wir...”-Denkweise Funktionsweise des World Café zu erklä- nicht auf eine unmittelbare Antwort aus, zu gelangen. Der hypothetische Charakter ren. Sobald Klarheit über den Ablauf und sie sind einfach und klar und gedanklich der „Was ist wenn...”-Fragen demon- die Gesprächsregeln besteht, eröffnet der provozierend, sie setzen Energie frei und striert die Bereitschaft zu weiterem Lernen Moderator die erste Gesprächsrunde sie regen zum Nachforschen und zur Hy- und Nachforschen. durch eine Frage. pothesenbildung an. 3. Ermittlung der wirklich wesentlichen Fragen keiten bietet uns diese herausfordernde Si- 4. Ermutigung von Beiträgen aller Beteiligten tuation?” sind sehr nützlich, um eine Dis- Wenn die erste Frage gestellt wurde, star- Bei einem World Café geht es nicht primär kussion in Gang zu bringen. Fragen aller- tet jeder Tisch mit seinem eigenen Ge- um das Lösen konkreter Probleme. Es geht dings wie „Warum ist etwas falsch spräch. Dabei spricht immer nur eine Per- darum, Möglichkeiten um Fragen herum gelaufen?” oder „Wie können wir dies son am Tisch. Die anderen versuchen, sich zu schaffen, die für die Teilnehmer von besser machen?” implizieren bereits, dass auf aktives Zuhören zu konzentrieren. Ak- echter Bedeutung sind. Die Formulierung etwas nicht gut läuft oder nicht gut ge- tives Zuhören bedeutet: Kein sofortiges dieser Fragen zu gemeinsamen Themen laufen ist. Solche Fragestellungen drängen Beurteilen des Gesprächsbeitrags, keine Fragen wie z.B. „Welche neuen Möglich- 44 Nr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation unmittelbare Reaktion, völlige Konzentra- der Moderator an die gesamte Gruppe folgender Frage schließen: „Welche Frage tion auf den Beitrag der sprechenden Per- stellt und die unmittelbar an die Ein- ist in diesem Café aufgetaucht, die, wenn son. gangsfrage anknüpft. Nach ca. 20 Minu- wir eine Antwort darauf fänden, uns zu ten wird ein weiterer Wechsel der Grup- dem Durchbruch verhelfen würde, den Dabei kann es hilfreich sein, den Talking pen durch den Moderator eingeleitet. wir uns als Organisation wünschen wür- Stick zu verwenden. Sobald eine Person Nach zwei bis drei Gesprächsrunden in je- den?”. durch das Zurücklegen des Talking Stick weils neuen Konstellationen werden die signalisiert, dass der Beitrag beendet ist, zentralen Erkenntnisse aller Tische im Ple- Die erstaunliche Beobachtung, die wir in kann ihn ein anderer ergreifen und seine num ausgetauscht. dieser Phase des Cafés immer wieder machen, ist es, dass sich ab einem gewissen Sicht der Frage mitteilen. Die anderen Teil- Zeitpunkt die Gespräche der einzelnen nehmer können in der Zwischenzeit auf Tisch-Gruppen verbinden und sich quasi das Gehörte zusammenfassen und abbil- 5. Verknüpfung unterschiedlicher Sichtweisen den. Dies stellt sicher, dass kein Kom- Das Design des World Café ermöglicht verknüpfen. Das ist der Moment, wo die mentar „verloren” geht. Auch erweisen es, dass die verschiedenen Perspektiven Gruppe als Ganzes neue, häufig völlig un- sich derartige „Tischnotizen” als hilfreich, der Teilnehmer in kurzer Zeit selbst inner- erwartete Einsichten entwickelt. Und das um unterschiedliche Kommentare und halb einer großen Zahl an Teilnehmern ist der Moment, in dem kollektive Kreati- Ideen zu verknüpfen. Entscheidend ist, ausgetauscht werden und sich zudem fast vität spürbar wird. „After several rounds genügend Freiraum zu geben für das, was automatisch verknüpfen. Werden die Er- of conversation, the entire group engages gesagt werden möchte, und auch für das, gebnisse der einzelnen Tischgespräche im in a conversation of the whole. We call was nicht (oder erst später) gesagt werden Plenum geteilt, kann der Moderator diese these „town meeting-style conversa- möchte. Entsprechend geht es auch um inhaltlichen Verbindungen sichtbar ma- tions”. They serve as a time for mutual re- das Zulassen von Stille. Der Raum zwi- chen, in dem er z.B. einen früheren Bei- flection, offering the entire group an op- schen den Worten gilt als ebenso wichtig trag explizit hervorhebt. portunity to notice the deeper discoveries, wie das gesprochene Wort selbst. Jeder Gegen Ende des Cafés werden die Teil- themes, or questions that are now pre- Teilnehmer kann sich dazu entscheiden, nehmer schließlich befragt, welche ge- sent. Café conversations often lead to nicht zu sprechen. Sobald alle Mitglieder meinsamen Themen sich in den Diskus- surprising outcomes that no one could am Tisch die Möglichkeit hatten, einen ak- sionen herausgebildet haben. have predicted when the conversation be- der Tischdecke malend und schreibend zu einen gemeinsamen Gesprächsteppich gan.” (Brown, 2002). tiven Beitrag zu leisten, kann die Frage vertieft diskutiert werden. Von großer Be- 6. Gemeinsames Heraushören von Einsichten und von tiefer gehenden Fragen George Por, ein ungarischer World Café Ein World Café dauert mindestens drei bis vidual intelligences that in conversation Diese erste Gesprächsrunde dauert etwa vier Runden, abhängig von der Größe der around questions that matter can become 20 bis 30 Minuten. Jeder Tisch bestimmt ganzen Gruppe, von der Intention des a collective intelligence“. Viele Teilneh- nun einen Gastgeber, der am Tisch ver- Cafés, dem Themenfokus und der zur mer von World Cafés beschreiben diese bleibt; alle anderen Teilnehmer wechseln Verfügung stehenden Gesamtzeit. In der Erfahrung auf eine ähnliche Art und zu einem anderen Tisch, so dass sich je- letzten Runde kehren die Teilnehmer an Weise. Unserer Meinung nach handelt es weils pro Tisch eine neue Konstellation ihren „Ausgangs-Tisch” zurück, um dort sich hier um einen gruppendynamischen, von vier Personen bildet. Der Gastgeber ei- eine Synthese ihrer Lernerfahrungen zu er- ko-kreativen Prozess, der es ermöglicht, nes jeden Tisches fasst nun die Schlüssel- arbeiten. Der Moderator erfragt anschlie- auf implizites, zunächst nicht-sichtbares punkte der ersten Gruppendiskussion zu- ßend im Plenum die aufgekommenen Wissen zuzugreifen. Um diese kollektive sammen. In der Folge haben die anderen Schlüsselthemen und -einsichten. Die Wissensebene zu erreichen, ist ein gewis- Tischnachbarn die Möglichkeit, die Er- dem Gesamtsystem klar gewordenen ses Maß an Bereitschaft erforderlich, in gebnisse ihrer vorherigen Tischgespräche Muster werden ebenso herausgearbeitet diesen geteilten Raum „hineinzuhören”. mitzuteilen. Sobald alle Erkenntnisse aus- wie etwa der zentrale einzelne Aspekt, der Erst diese Haltung erlaubt es, die geteilten getauscht wurden, kann das vertiefende sich für alle Anwesenden als besonders Themen und Fragen zu erkennen und als Gespräch starten. Dieses orientiert sich bedeutsam herauskristallisiert hat. Ent- Gruppe einen neuen, geteilten Wissens- meist an einer weiterführenden Frage, die sprechend kann ein World Café z.B. mit horizont um ein gemeinsames Thema he- deutung ist es hierbei, dass die Statements eines Vorredners nicht beurteilt, sondern konstruktiv besprochen werden. Nr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation Innovator beschreibt das Phänomen so: „At the café we have a collection of indi- 45 Forschung & Ergebnisse rum zu erschließen – und schließlich kol- te „Gesprächslandkarte” die wesentlichen einem Blatt; sämtliche Einsichten werden lektive Kreativität wirksam zu machen. Ergebnisse der Sitzung zusammenfassend an einer Wand angebracht. abbilden (siehe das Beispiel in Abbildung 1). o Bildung von Ideengruppen: Grup- 7. Teilen der gemeinsamen Entdeckungen In einigen Cafés wird nach der Veranstal- pierung individueller Erkenntnisse und tung eine Zeitung herausgebracht, um Ideen zu „verwandten Themengruppen”. Die wichtigsten Ergebnisse des Cafés soll- die Ergebnisse einem größeren Kreis zur ten zusammengefasst und allen Teilneh- Verfügung zu stellen. Andere Wege, um mern zugänglich gemacht werden. Be- das gemeinsame, neue Wissen sichtbar zu 4. Vom Dialog zum Handeln reits während der Durchführung eines Ca- machen, sind: Tausende von Menschen auf aller Welt haben bereits mit dem World Café gear- fés empfiehlt es sich, auf einer Wandtafel durch einen professionellen Illustrator die o Gallery Tour: Die bemalten und be- beitet. Die Formate könnten unterschied- wesentlichen Beitrage und die Verbin- schriebenen Papiertischdecken aller Tische licher kaum sein: Vom Hotelballsaal mit dungen zwischen den Beiträgen in Form werden an einer Wand oder einer Leine über 1200 Personen, über Konferenzsäle von Wörtern, Phrasen, Symbolen, Grafi- befestigt, um sie allen Teilnehmern quasi in Unternehmen mit 80 bis 100 Teilneh- ken oder auch kleinen Skizzen kontinu- in Galerieform zugänglich zu machen mern bis hin zum Wohnzimmer-Format mit lediglich einem Dutzend Teilnehmern. ierlich sprachlich und bildlich festzuhalten. Am Ende der World Café Sitzung sollte o Einsichten-Sammlung: Jeder Teilneh- Das Café fördert Gespräche, die für eine eine bunte, durchaus humorvoll gestalte- mer notiert eine Schlüsselerkenntnis auf spezifische Gruppe oder Organisation von Die Anwendung des World Café Tools in internen Veranstaltungen In jedem Unternehmen gibt es zahlreiche Veranstaltungsformen, innerhalb derer das World Café eine Rolle spielen kann: Etwa interne Meeting- und Konferenzpraxis, Strategiefindung, Organisationsentwicklung, Wissensgenerierung und Veränderungsprozesse. Im folgenden werden einige spezifische Beispiele genannt, bei denen das World Café eingesetzt werden kann: Interne Meetings (Vorstandssitzung und Abteilungsmeeting) Mögliche Fragen: ■ Was sind die Schlüsselherausforderungen, mit denen unser Unternehmen konfrontiert ist? Wie könnte die optimale Kommunikation in diesem Unternehmen aussehen? ■ Wie können wir gemeinsam den Innovationsgeist unserer Organisation fördern? ■ Wie passen die individuellen Sichten der Angestellten in die Vision des Unternehmens? Assessment Center/Recruiting Veranstaltungen Potentielle neue Angestellte könnten erkunden: Wie würden wir uns die ideale Organisation unseres Arbeitgebers wünschen? Meeting internationaler Vertreter z.B. Wie könnte die Kooperation zwischen dem Unternehmen und seinen internationalen Vertretungen idealerweise gestaltet werden? Post Merger Integration z.B. Wie könnten die gemeinsame Kultur unserer kürzlich verschmolzenen Unternehmen aussehen?) Kunden-Meetings z.B. Was würden wir uns von einem zufriedenen Kunden wünschen, das er über unser Unternehmen, unsere Produkte und unseren Service sagt? Versammlung aller Stakeholder ■ Wie könnten sich alle Stakeholder am besten gegenseitig unterstützen? ■ Wie könnten wir alle möglichst optimal den Nutzen des gemeinsamen Endkunden steigern? Quelle: Schieffer, Isaacs und Gyllenpalm 46 Nr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation Bedeutung sind, sei es im Geschäftsle- Eine funktionierende Dialog-Kultur lebt redet oder handelt. Im Gegensatz dazu ben, in der Politik, in der Ausbildung oder davon, dass sie gelebt und weiterentwick- betrachten wir das Gespräch als essen- bei in anderen Kontexten organisierten elt wird. Der beständige Einsatz der World tiellen Teil der Handlung und damit auch Gruppen. Café Methode kann dazu beitragen, dass der Leistung einer Organisation – und be- Die Beispiele sind zahlreich: „In New Zea- das Teilen von Wissen und gemeinschaft- rücksichtigt man die Ergebnisse, die durch land, Western Europe, Africa, Singapore, liches Lernen in der Organisation zu einer das World Café erzielt werden, so ist es Latin America and North America, the zunehmend selbstverständlichen Verhal- umso erstaunlicher, dass innerhalb von World Café has inspired the creation of lo- tensweise wird. In der Tat kann das World Organisationen nicht mehr Aufmerksam- cal sites for hosting Café conversations on Café eine große Auswirkung auf die ge- keit, Zeit und Raum für die Entwicklung ei- key issues related to business futures, sus- samte Organisationskultur haben. Das ner Dialogkultur verwendet wird: Zeit für tainable development, and community World Café birgt das Potential, eine Or- reflektierende Gespräche ist überaus rar. collaboration. Café principles have sup- ganisation in einen „Think Tank” zu ver- Die Wirkung des World Café ist enorm, ported Conversation Cafés and Com- wandeln, der es versteht, gezielt die inter- vor allem auch auf die Qualität von Be- monway Cafés, two key citizen initiatives ne kollektive Kreativität zu nutzen und ziehungen, für die Bildung einer gemein- that invite diverse groups to explore con- neue Handlungsoptionen zu entwickeln, samen Identität sowie für die Entwick- temporary issues. Another powerful die den Handlungsspielraum der Gesam- lung von gemeinsamen Visionen und von example of the World Café in action, is the torganisation entscheidend erweitern. Vertrauen. Es fördert Lernen und Wissen, initiative „From the Four Directions: Peo- Kreativität und Innovation, sowie die Fle- ple everywhere Leading the Way” is in- xibilität und das Anpassungsvermögen ei- tentionally weaving a global network of 5. Zusammenfassung ner Organisation. All diese Elemente sind conversations among leaders of all ages Das World Café ist eine faszinierende entscheidende Zutaten für die Bildung on several continents. Using the internet Möglichkeit für eine Organisation oder von effektiven und erfolgreichen Organi- and other information technologies, local Gruppe, schnell und effizient neue Wege sationen und Gemeinschaften. In einer conversation circles feed insights back into kollektiven Denkens zu beschreiten und extrem instabilen, sich fortwährend än- the network, catalyzing these worldwide neue Handlungsoptionen für die Gesamt- dernden Umwelt sind diese Zutaten nicht leadership dialogues into a growing force organisation zu entwickeln. Der World einfach nur „nice to have”. Sie sind viel- for societal innovation.” Café Prozess schafft es dabei auf bemer- mehr ein Muss für den nachhaltigen Erfolg Eine der Hauptfragen ist es, wie die posi- kenswerte Weise, authentische Konver- einer Organisation. World Café ist ein Ge- tive Erfahrung von kollektiver Kreativität in sationen und den Austausch von Wissen tränk, das diese Zutaten enthält. ■ konkrete Handlung umgesetzt werden zwischen Personen mit unterschiedlichem kann. In einem Café erschließen Teilneh- Hintergrund und Perspektiven zu fördern mer gemeinsam neue Handlungsoptio- – sogar dann, wenn die Personen sich nen. Im Anschluss an ein Café können noch nie begegnet sind oder niemals zu- kleine Task Force Gruppen gebildet wer- vor ein Dialog-Training besucht haben. den, die die Ergebnisse evaluieren Wenn immer das World Café gut vorbe- und konkrete Aktionspläne erarbeiten. reitet ist, haben wir noch in keiner Kultur Meistens geschieht dies fast automatisch, erlebt (sei es in nationalem Zusammen- da die meisten Cafés ein hohes Maß an hang, bei einer Organisation oder einem „Aktionslust” freisetzen. speziellen Berufsstand), dass das World Der World Café Ansatz kann u.U. auch Café nicht erfolgreich gewesen wäre und verwendet werden, um unmittelbar er- nicht zu neuen, überzeugenden Optio- gebnisorientierte Themen zu bearbeiten, nen geführt hätte. z.B. im Strategieentwicklungsprozess eines Als Dialog-Prozess stellt das World Café Unternehmens. Unser Vorschlag ist es das derzeit einzige Instrument dar, das allerdings, den Ansatz nur dann mit einem keine wirklichen Größenbeschränkungen klar definierten Handlungsvorsatz zu ver- aufweist. Der Dialog-Prozess ist an jedem wenden, wenn die Teilnehmer mit dem Tisch intakt, und jeder Tisch repräsentiert World Café schon vertraut sind und eine einen Bruchteil der ganzen Gruppe. ausgeprägte Dialog-Kultur bereits etabliert Das World Café fordert die traditionelle ist. Sichtweise heraus, dass man „entweder Nr. 20 Juli / August 2004 Lernende Organisation Literatur Allee, V. (1997): The Knowledge Evolution. Expanding Organizational Intelligence. Burlington/ Massachusetts: 1997. Brown, J. (2002): The World Café. A Resource Guide for Hosting Conversations That Matter. Mill Valley: 2002. Brown, J. (2001): Doctoral Dissertation: The World Café: Living Knowledge Through Conversations That Matter. Mill Valley: 2001. Cooperrider, D., Sorensen, P., Whitney, D., Yaeger, T. (Hrsg., 1999): Appreciative Inquiry: Rethinking Human Organization Toward a Positive Theory of Change. Champaign/Illinois: 1999. Gyllenpalm, B. (2002): Virtual Knowledge Cafés, in: Handbook of Online Learning: Innovations in Higher Education and Corporate Training, in: Rudestam, K.E. and Schoenhotz-Read, J. (Hrsg.). Thousand Oaks. CA: 2002. Vogt, E. E., Brown, J., Isaacs, D. (2003): The Art of Powerful Questions: Catalyzing Insight, Innovation and Action. Mill Valley: 2003. 47