Gang nach Canossa - Trubenhausen.org

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Gang nach Canossa - Trubenhausen.org
Gang nach Canossa, Reichstag zu Worms
1521 und Causa1 Lutheri
Zusammengestellt und bearbeitet von Karl Hesse
Als Gang nach Canossa bezeichnet man den Italienzug
König Heinrichs IV. von Speyer nach Rom vom Dezember
1076. Er wollte dadurch die Vereinigung von Papst Gregor
VII. mit den deutschen Fürsten (Fürstenopposition) verhindern. Papst Gregor VII. befand sich auf dem Weg nach
Augsburg, wohin er für Februar 1077 zur Wahl eines neuen
Königs eingeladen war.
Der Papst suchte Zuflucht auf der Burg Canossa der papsttreuen Markgräfin Mathilde von Tuszien. Vor dieser Burg
Heinrich bittet Mathilde und
versuchte Heinrich dann, die Lösung seiner Person vom
seinen Taufpaten Abt Hugo von
Cluny um Vermittlung.
Kirchenbann (Anathema) zu erlangen. Es ist umstritten, ob es
tatsächlich zu dem (für Laien vorgesehenen) Ritual der
Kirchenbuße kam, da alle historischen Überlieferungen von Parteigängern des Papstes stammen.
Im heutigen Sprachgebrauch wird bisweilen auch ein als erniedrigend empfundener Bittgang
im übertragenen Sinne als ein „Gang nach Canossa“ bezeichnet.
Vorgeschichte
Der Gang nach Canossa war ein wichtiger Meilenstein des
Investiturstreits. Im 11. und 12. Jahrhundert stritten Kaiser
und Papst um das Verhältnis von weltlicher und geistlicher
Macht und um die Rolle der Reichskirche. Vordergründig
ging es dabei um das Recht der Investitur, der Einsetzung von
Bischöfen und Äbten in ihre Kirchenämter. Die Inhaber dieser
Ämter übten zugleich höchste Funktionen im Staatsapparat
des Kaiserreiches aus.
Bannung König Heinrich IV.
Papst Gregor VII. war unter Missachtung des
Papstwahldekrets von 1059 ins Amt gekommen. Über 15 JahIm Evangeliar von St. Emmere später spitzte sich der Investiturstreit zu, die Opposition
ram (Regensburg) wird der Gegegen Gregor VII. verübte am Weihnachtstag 1075 sogar eidanke der dynastischen Kontinen missglückten Anschlag auf den Papst. Kurz zuvor hatte
nuität zum Ausdruck gebracht:
Beide Söhne Heinrichs IV. steGregor am 8. Dezember 1075 ein in scharfem Ton abgefasstes
hen trotz ihrer Rebellionen einMahnschreiben wegen der „Mailänder Angelegenheit“ an
trächtig neben ihrem Vater.
Heinrich gesandt. Dieser beantwortete es in einer für ihn sehr
Krakau, Bibliothek des Domgünstigen politischen Lage am 24. Januar 1076 auf der
kapitels 208, fol. 2v
Reichssynode in Worms mit einer Gehorsamsaufkündigung
der deutschen Bischöfe. Zugleich verlangte er vom Papst, den er ganz bewusst mit seinem
Taufnamen Hildebrand anredete, die Abdankung.
„Ich, Heinrich, durch die Gnade Gottes König, sage dir mit allen meinen Bischöfen: Steige
herab, steige herab, du auf ewig zu Verdammender[.]“
1
Streitsache
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Auf der römischen Fastensynode wurde dieses Schreiben des deutschen Königs unter großer
Entrüstung der Anwesenden verlesen, und Gregor VII. reagierte umgehend mit der
Exkommunikation und Suspendierung Heinrichs, die er in Form eines Gebets an den Apostelfürsten Petrus verkündete:
„[Hiermit] spreche ich König Heinrich […] die Herrschaft über das Reich der Deutschen und
Italiens ab, löse alle Christen vom Eid, den sie ihm geleistet haben […] und untersage, dass
ihm irgendjemand fortan als König diene [… und] binde ich ihn als Dein Stellvertreter mit der
Fessel des Kirchenbannes[.]“
Dies bedeutete aus mittelalterlicher Sicht sowohl in spiritueller als auch politischer Hinsicht
ein großes Maß an Handlungsunfähigkeit oder Vogelfreiheit für den König. In spiritueller
Hinsicht waren Heinrich alle kirchlichen Sakramente wie Heirat, Absolution oder
Krankensalbung verwehrt. Die hohen Geistlichen, Bischöfe und Äbte in Heinrichs Umfeld erkannten dies jedoch nicht an, da sie diesen Papst überwiegend als obersten Bischof ablehnten.
Aus Rom kam also der normative Bann, den Heinrich und seine Berater zunächst nicht akzeptierten.
Gleichzeitig bedeutete das Ausstoßen eines Menschen aus der römisch-katholischen Kirche
im Mittelalter das Aufkündigen aller persönlichen und rechtlichen Bindungen zwischen der
gebannten Person und seinen Untergebenen, sofern diese den Papst als oberste Autorität sahen. Mit diesem Anspruch musste man jedoch vorsichtig sein, da sich ein Vasall vom König
nur dann lossagen würde, wenn er sich in sicherem, also papstnahem Umfeld befand. Die
Macht wurde Heinrich durch die Bannung also nicht mit einem Paukenschlag, sondern Stück
für Stück und unter Mitwirkung innerstaatlicher Unruhen entzogen. Der papstnahe Bonizo
von Sutri fasste die Bedeutung des Bannes in die Worte:
„Als die Nachricht von der Bannung des Königs an die Ohren des Volkes drang, erzitterte unser ganzer römischer Erdkreis[.]“
Reichsversammlung von Trebur
Durch den Partikularismus im deutschen Reichsteil hatte der weltliche Adel gegenüber Heinrich IV. Machtpositionen aufgebaut, die weit über seine Lehnsrechte hinausgingen. Eine wie
auch immer geartete Schwächung Heinrichs IV. hätte aus ihrer Sicht eine weitere Schwächung der Zentralgewalt dargestellt und ihre partikularistischen Interessen vorangetrieben. In
diesem Sinn ist der Investiturstreit auch ein Meilenstein in der jahrhundertelangen Auseinandersetzung zwischen Zentralgewalt und den „zentrifugalen Kräften“, d. h. dem Adel, der beharrlich daran arbeitete, sich in den ihm vom König zu Lehen (Fahnenlehen) gegebenen Fürstentümern auf Dauer festzusetzen, um so die Lehnsherrschaft des Königs abzuschütteln.
Der Adel baute im Laufe der Zeit die Gebiete, mit welchen er als finanzielle Grundlage ihrer
Ämter eigentlich nur zeitlich begrenzt belehnt wurde, durch die Installierung einer eigenen
Verwaltung und Bürokratie mit Ministerialen zu dynastischen Territorien (siehe auch
Territorialisierung bei Norbert Elias) aus und entzog diese Amtsgebiete und die mit ihnen
verbundenen Ämter dem eigentlichen Lehnsherren, dem König. Das bedeutete für den König
den Verlust der Gewalt über die freie Vergabe der höchsten Staatsämter sowie den Verlust der
Finanzmittel und der sicheren militärischen Gefolgschaft aus diesen Gebieten.
Der Investiturstreit zwischen König und Papst um das in Deutschland vorherrschende sogenannte Reichskirchensystem bot ihnen die Gelegenheit, mit einem Schlag ihre Interessen sehr
weit voranzutreiben. Das Reichskirchensystem bedeutete die regelmäßige Einsetzung gebildeter und zölibatärer, also nicht dynastisch orientierter Adliger in hohe Staats- und Kirchenämter sowie in Zepterlehen, aus welchen diese sich finanzierten.
Dennoch räumten die Fürsten auf der Reichsversammlung von Trebur im Oktober 1076 König Heinrich die damals übliche Frist von einem Jahr und einem Tag ein, um sich vom Bann-
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spruch des Papstes zu lösen. Bis zum 2. Februar 1077 (ursprünglich schon am 6. Januar) sollte
Heinrich sich vom Bann befreien und sich in Augsburg dem Urteil des Papstes unterwerfen.
Bußhandlung auf der Burg Canossa
Um seine volle Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen, zog der damals 26-jährige Heinrich
dem Papst nach Italien entgegen. Die südlichen Herzöge versperrten ihm allerdings die von
ihnen kontrollierten einfachen Alpenübergänge, so dass Heinrich den weiten und gefährlichen
Umweg über Burgund und den Mont Cenis nehmen musste. Der anstrengende Alpenübergang
wurde von dem Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld, einem Anhänger des Papstes, in
seinen Annalen (zum Jahr 1077) wie folgt beschrieben:
„Sie krochen bald auf Händen und Füßen vorwärts, bald stützten sie sich auf die Schultern ihrer Führer; manchmal auch, wenn ihr Fuß auf dem glatten Boden ausglitt, fielen sie hin und
rutschten ein ganzes Stück hinunter; schließlich gelangten sie doch unter großer Lebensgefahr
in der Ebene an. Die Königin und die anderen Frauen ihres Gefolges setzten sie auf Rinderhäute, und […] zogen sie darauf hinab.“
Heinrich und Gregor trafen schließlich auf der Burg Canossa der Mathilde von Tuszien aufeinander. Lampert von Hersfeld beschrieb die Bußhandlung des Königs so:
„[H]ier stand er nach Ablegung der königlichen Gewänder ohne alle Abzeichen der königlichen Würde, ohne die geringste Pracht zur Schau zu stellen, barfuß und nüchtern, vom Morgen bis zum Abend […]. So verhielt er sich am zweiten, so am dritten Tage. Endlich am vierten Tag wurde er zu ihm [Gregor] vorgelassen, und nach vielen Reden und Gegenreden wurde
er schließlich […] vom Bann losgesprochen.“
Das mehrtägige Ausharren im Büßerhemd vor der Burg (25.–28. Januar 1077), um den Papst
zur Aufhebung des kirchlichen Bannes zu bewegen, stellt aus mittelalterlicher Sicht nur eine
formale Bußhandlung dar, welche gebräuchlich und streng formalisiert war. Die sehr drastische und bildhafte Darstellung in der einzigen ausführlichen Quelle bei Lampert von Hersfeld
wird allerdings von der neueren Forschung als tendenziös und propagandistisch bewertet, da
Lampert Parteigänger des Papstes und der Adelsopposition war. Die zweite wichtige Quelle
zum Gang nach Canossa stammt von Papst Gregor VII. selbst. Dieser verbreitete seine Version der Ereignisse in einem Brief an alle Erzbischöfe, Bischöfe und sonstigen geistlichen
Funktionsträger des Reiches. Nach der Darstellung Lamperts war der ganze Akt im Voraus
langwierig ausgehandelt und sein Ablauf festgelegt worden, eine bei der deditio durchaus
gängige Praxis der politischen Kommunikation im Mittelalter.
Heinrich IV. erlangte durch die Aufhebung des Bannes einen Großteil seiner Handlungsfreiheit zurück, hatte letztendlich also sein Ziel erreicht.
Rezeption
Das Historiengemälde „Heinrich vor Canossa“ von Eduard
Schwoiser aus dem Jahre 1862 verdeutlicht einen ungebeugten,
trotzigen Heinrich, dessen starken Willen der arrogant auf ihn herabblickende Gregor in seinem pompösen Ornat nicht brechen kann.
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Tafel an der Canossasäule
in Bad Harzburg
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Als Papst Benedikt XIII. das Fest Gregors VII. im Jahr 1728 für die
gesamte Kirche verbindlich einführte und das Offizium
(Breviertext) an die durch diesen Papst gestärkte Freiheit der
Kirche und an den Sturz des „gottlosen“ Kaiser Heinrichs IV. durch
den Papst in Canossa erinnerte, erregte dies größten Anstoß in
Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Italien. Das Pariser
Gericht Parlement und Kaiser Karl VI., nach ihm Maria Theresia,
verboten in der Habsburgermonarchie und in den Österreichischen
Niederlanden die Publizierung des Offiziumstextes bei drastischen
Strafen gegenüber dem Klerus. Gallikanismus und österreichisches
Staatskirchentum ließen die von Rom bewusst gesuchte Erinnerung
an die Unterordnung des Kaisertums unter das Papsttum, die auch
in der Gegenwart gelten sollte, nicht zu. Bei diesen Verboten blieb
es bis in die 1830er Jahre.[1]
Im späteren 19. Jahrhundert wurde Canossa zum Sinnbild päpstlich-kurialer Anmaßung und
deutscher Schande. Die Malerei entdeckte die Dramatik der Situation als Stoff, der im Sinne
des national-liberalen Fortschritts und der Reichsgründung gestaltet werden konnte, auch im
Sinne des Historismus, der die Gegenwart im Spiegel der Vergangenheit deuten und verstehen
wollte. Aber nicht nur in der Historienmalerei, auch in einem der großen Geschichtsdramen
des österreichischen Spätrealismus, in Ferdinand von Saars Kaiser Heinrich IV., wurde „Canossa“ im zentralen dritten Akt des ersten Teils zum Spiegel des Verhältnisses von Papsttum
und moderner Welt.[2]
Kulturkampf
Den Hintergrund dafür lieferte der österreichische Kulturkampf, der dem in Baden, Bayern
und Preußen vorausging und in dem die an die Regierung gekommenen Deutschliberalen gegen das Konkordat von 1855 unter anderem die Zivilehe durchsetzten. Graf Anton Auersperg
(populär unter dem Dichternamen Anastasius Grün) erzielte größte publizistische Resonanz in
der Debatte des Herrenhauses am 20. März 1868, als er unter großem Beifall ausführte, das
Konkordat von 1855 komme ihm vor „wie ein gedrucktes Canossa, in welchem das Oesterreich des 19. Jahrhunderts für den Josephinismus des 18. Jahrhunderts in Sack und Asche zu
büßen hatte“. Über die Debatte und Auerspergs Auftritt berichtete eingehend die Wiener und
auch die norddeutsche Presse. Otto von Bismarck erhielt darüber Berichte der Wiener Gesandtschaft.[3]
Am 14. Mai 1872 griff auch Reichskanzler Bismarck in seiner Rede vor dem Reichstag den
Bußgang auf: „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht – weder körperlich noch
geistig.“ Dies stand im Zusammenhang mit der Einführung des Kanzelparagraphen und des
Jesuitengesetzes im Rahmen des Kulturkampfes, der Auseinandersetzung der Nationalliberalen in Preußen mit der römischen Kurie über das Verhältnis von Staat und Kirche nach der
Reichsgründung, nachdem Papst Pius IX. die Ernennung des Kardinals HohenloheSchillingsfürst zum deutschen Gesandten beim Heiligen Stuhl abgelehnt hatte. Hohenlohe
hatte als Kurienkardinal zuvor im Konflikt mit Pius IX. über das Infallibilitätsdogma das
Vatikanische Konzil verlassen. Insofern war Bismarcks Ernennungsvorschlag eine durchsichtige Provokation von Papst und Kurie. Aber Bismarcks Wendung vom „Gang nach Canossa“
wurde zum geflügelten Wort und steht seitdem als Bezeichnung für einen demütigenden Bußgang – und für die Ablehnung der Unterordnung unter den päpstlichen Primat.
20. Jahrhundert
Allerdings entspricht diese Sicht dem damaligen Geschichtsbild, wie es vor allem Wilhelm
Giesebrecht im dritten Band seiner Geschichte der deutschen Kaiserzeit (1868) in eigenartiger
Mischung von Quellenkritik und Suggestion entwickelt hatte. Von dieser Interpretation des
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Geschehens 1076/77 weicht die historische Forschung seit den 1930er Jahren erheblich ab.
Das 19. Jahrhundert projizierte gerne Probleme der Gegenwart in die Vergangenheit. Auch
die Redewendung „in Sack und Asche gehen“ für einen reuigen Menschen wird auf das geschichtliche Ereignis von „Canossa“ zurückgeführt, da Heinrich sein Bitten um Vergebung
und um Aufhebung der Acht auch durch sein äußerlich demutsvolles Auftreten unterstrichen
haben soll.
Die im Jahr 2006 in Paderborn, einer Hochburg des Ultramontanismus im 19. Jahrhundert mit
Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Bistums bis in die Gegenwart, gezeigte Ausstellung „Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der
Romanik“ verbannte die Wirkungsgeschichte des Ereignisses von Canossa in ein abgesonderten Gebäude, abseits der Preziosen, auf die sich das Interesse des Publikums richtete. Auch
der Katalog thematisierte nicht die dem berühmten Diktum Bismarcks seit dem frühen 18.
Jahrhundert vorausgehende Auseinandersetzung um die zwischen Papsttum und den katholischen Monarchen Europas umstrittene Sicht auf „Canossa“.[4]
Neudeutung durch Fried
Der angesehene Mittelalterhistoriker Johannes Fried hat jüngst eine radikale Neudeutung des
Gangs nach Canossa vorgeschlagen.[5] Durch die Berücksichtigung vernachlässigter Quellen
gelangte Fried zu der These, dass die lange Zeit gültige Chronologie der Ereignisse falsch sei.
Demnach hätte Heinrich bereits seit dem Spätsommer 1076 (also vor Trebur) Kontakt zum
Papst gesucht, um zu einer Verständigung zu gelangen und so seine innenpolitisch angespannte Lage zu entschärfen. Der Papst ging darauf auch ein, um so eine friedliche konsensuelle
Lösung zu erzielen. Da Heinrich aber nicht als Gebannter nach Augsburg reisen wollte und
der Papst sich mit der Reise nach Norden Zeit ließ, reiste er direkt nach Italien, wo der Papst
den gebannten König willkommen hieß und ihn nach einem rein formellen Bußakt am 25. Januar 1077 vom Bann löste.
Nach Fried hatte es also nie einen für den König eventuell demütigen Bußgang gegeben, sondern ein Treffen zwischen König und Papst, das längere Zeit vorbereitet worden war. Heinrich und Gregor haben demnach am 28. Januar 1077 auch einen Vertrag abgeschlossen, dessen genauer Inhalt nicht überliefert ist, aber wohl den Frieden und Konsens wiederherstellen
sollte. Der Pakt entfaltete jedoch keine Wirkung, da die Gegner des Papstes und des Königs
die Einigung hintertrieben. Nach Frieds Interpretation zeigt der Gang Heinrichs nach Canossa
die Bereitschaft von König und Papst, nicht im Konflikt, sondern im Konsens und auf die
Vernunft bedacht zu handeln. Dieser Position haben jüngst die Mediävisten Gerd Althoff,
Stefan Weinfurter und Steffen Patzold entschieden widersprochen.[6][7] Fried hat 2012 seine
Argumente in ausführlicher Form noch einmal dargelegt.[8]
Gang nach Canossa, Reichstag zu Worms 1521 und Causa Lutheri
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Reichstag zu Worms (1521), Causa Lutheri
Der Reichstag zu Worms war eine von Kaiser Karl V. 1521 als Reichstag einberufene Zusammenkunft des Kurfürstenrats, des Reichsfürstenrats und des Städterats.
Vor ihm erschien u. a. Martin Luther, der bereits durch einen Kirchenbann (Anathema) zum
Ketzer erklärt worden war, unter Zusicherung freien Geleits. Auf diesem Reichstag war die
als Causa Lutheri bekannte Verhandlung der bekannteste Tagungsordnungspunkt. Damals jedoch war er der zuletzt angesetzte.
Dem anwesenden Kaiser waren andere Fragen zur künftigen Reichsverwaltung eigentlich viel
wichtiger, so dass der Bekämpfung der rasch anwachsenden reformatorischen Bewegung
nicht die von ihm gewünschte Aufmerksamkeit zuteil wurde. Das Reichsregiment und die
Reichsmatrikelordnung sind hierbei die für das Reich wichtigsten Beschlüsse, zu denen er besonders durch die Bedrohung des Reiches durch die Türken gedrängt wurde.
Außerdem wurde dort die Trennung des seinerzeitigen habsburgischen Weltreiches in den
Spanischen und den Österreichischen Teil, die eigentliche Habsburgermonarchie, beschlossen.
Inhaltsverzeichnis
•
1 Ablauf und Umfeld
o 1.1 Die Causa Lutheri
o 1.2 Reichsregiment und Wormser Erbteilungsvertrag
o 1.3 Reichsmatrikelordnung
1. Ablauf und Umfeld
Der Reichstag wurde am 27. Januar eröffnet. Er endete mit dem Reichsabschied vom 26. Mai
1521. Kaiser Karl V. hielt sich seit dem 28. November 1520 in der Stadt auf.[1] Die Einquartierungen der Teilnehmer am Reichstag und ihres Gefolges waren mit Belastungen der Bürger
verbunden. In der Stadt war „alles wüst und wild“, oft hätten drei oder vier Menschen am Tag
ihr Leben eingebüßt, berichtet der Zeitzeuge Dietrich Butzbach am 7. März.[2]
Die Fastenzeit wurde ignoriert, Prostitution gab es, es wurden Stechen gepflegt und manche
tranken sich am starken Wein zu Tode. Der päpstliche Nuntius, Hieronymus Aleander, war
am Tage seines Lebens nicht mehr sicher, nachdem er am 13. Februar Maßnahmen gegen
Martin Luther gefordert hatte. Ein gewaltsames Eingreifen des Reichsritters Franz von Sickingen schien möglich. Die Stimmung in der Wormser Bevölkerung war pro-lutherisch. Eine
von Lutheranern errichtete Druckerei brachte kirchenfeindliche Werke, Schriften Ulrich von
Huttens und Pamphlete unter das Volk.[3]
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1.1 Die Causa Lutheri
Luther auf dem Reichstag in Worms (kolorierter Holzschnitt, 1557)
Luther, am 17. und 18. April auf dem Reichstag anwesend, weigerte sich unter Berufung auf
die Bibel, der kaiserlichen Aufforderung zu folgen, seine zuvor in seinen Büchern geäußerten
Ansichten zu widerrufen. Das betraf hauptsächlich die 1520 erschienenen Bücher Von der
Freiheit eines Christenmenschen, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung und Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Berühmt ist
seine Antwort auf die Frage Kaisers Karl V. in seiner Verteidigungsrede, ob er widerrufen
wolle:
„… wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde;
denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die
ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes.
Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“[4]
Dass er am Schluss dieser Erklärung gesagt haben soll, „Hier stehe ich. Gott helfe mir. Ich
kann nicht anders“, ist in der Literatur zwar oft zu finden, jedoch weder von Zeitgenossen
noch von den Verhandlungsprotokollen verbürgt und auch in der Forschung nicht sicher zu
belegen.[5] Im Bericht des Zeitgenossen Konrad Peutinger, eines Augsburger Rats- und Kaufherrn, der in Worms bei dieser Verhandlung anwesend war, steht hingegen: „Got kum mir zu
hilf.“ Die Konsequenz seiner Weigerung war die Verabschiedung des Wormser Edikts, in
dem über Luther die Reichsacht verhängt wurde. Von dem päpstlichen Nuntius Hieronymus
Aleander stammte hierzu der Entwurf. Aleander war es auch, der diese Sache besonders betrieben hatte. Luther wurde am Ende für vogelfrei erklärt. Am 4. Mai 1521, auf dem Heimweg
vom Reichstag wurde Luther von den Soldaten des Kurfürsten Friedrich des Weisen „entführt“ und auf die Eisenacher Wartburg verbracht, um ihn vor Anschlägen seiner Gegner zu
schützen.
1.2 Reichsregiment und Wormser Erbteilungsvertrag
Ein Reichsregiment unter Vorsitz Ferdinands (1503–1564), des Bruders Karls V., das den
Kaiser während seiner Abwesenheit vertreten sollte, wurde eingesetzt. Dieses wurde auf
Grund der Forderung deutscher Fürsten einerseits eingesetzt als Bedingung für seine Wahl
zum Römischen König, und so musste er die erneute Einberufung des Gremiums in seiner
Wahlkapitulation zugestehen. Andererseits musste der Kaiser ein solches einsetzen, weil er
auch spanischer König war und zudem über ein Reich gebot, in dem die „Sonne nie unterging“. Daher war abzusehen, dass er häufig abwesend sein würde.
Gleichzeit wurde zwischen Karl und Ferdinand das erste mal eine Teilung der beiden Länder
Spanien für Karl, und Österreich für Ferdinand beschlossen (Wormser Vertrag vom 28. April
1521). Der Hausvertrag umfasst die Erbfolge in Niederösterreich und Innerösterreich zugunsten Ferdinands, in einer (vorerst geheimgehaltenen) Abmachung in Jahr darauf (Brüssel 1522)
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wurde das auch auf Tirol, Württemberg und die Vorlande erweitert, womit sich die habsburgische Herrschaft Österreich in seiner weiteren Gestalt konsolidierte.[6] Diese Abmachung gilt
auch als mögliches Datum für die Trennung der Österreichischen Habsburgerline von den
Spanischen Habsburgern.[6] Die spätere Übernahme der Kaiserwürde durch die Österreicher,
die (mit einer kurzen Unterbrechung) bis zum Ende des Reichs 1806 anhielt, ist die Folge dieser Regelung.
1.3 Reichsmatrikelordnung
Die Reichsmatrikelordnung, ein Verzeichnis der Einkünfte der Territorien zur Festlegung ihrer Steuer- und Verteidigungsleistungen, wurde beschlossen. Diese bildete die Grundlage für
die Reichstürkenhilfe.