Pdf - Sasserath Munzinger Plus
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MARKENFÜHRUNG HANDEL RECHT SERVICE 100 Marktforschung Markenartikel 11/2015 Die Wahrheit hinter den Worten Implizite Internetdemoskopie kann das Bauchgefühl im Hinblick auf Marken sichtbar machen. Sie verbindet psycho-soziale Einstellungsforschung mit webbasiertem Data Mining zur Analyse von Sprachmustern, um un- und vorbewusste Einstellungen zu messen. Unsere Welt wird globaler, vernetzter, komplexer und schnelllebiger. Aufmerksamkeit ist ein knappes und daher begehrtes Gut. Produkte werden auf rationaler Ebene immer vergleichbarer. In diesem Kontext ist das Markenimage eine entscheidende Orientierungshilfe. Ziel der Markenführung ist deshalb, systematisch ein erfolgsbringendes Markenimage zu formen, das den Verbrauchern einen Zusatznutzen bietet, damit sie sich für ein bestimmtes Produkt entscheiden. Heute ist bekannt, dass je komplexer Sachverhalte sind und je weniger Kenntnisse in der breiten Masse darüber vorhanden sind, um so dominanter beeinflussen unbewusst erlangte Vorstellungen, die auf gesellschaftlich vereinbarten Wertvorstellungen beruhen, unser Verhalten. Menschen speichern diese intuitiv in Form innerer Meinungsbilder ab, um Komplexität zu vereinfachen und sich schneller orientieren zu können. Im Volksmund spricht man dann vom Bauchgefühl, was vereinfacht ausgedrückt dem Image entspricht. Da Konsumenten nicht immer sagen, was sie denken, oder nicht immer wissen, was sie fühlen, gilt es, zwischen den Zeilen zu lesen, um dieses Bauchgefühl zu erfassen. Obwohl das Markenimage ein zentrales Asset geworden ist, das einem ständigen Wandel und dem Zeitgeist unterliegt, arbeiten Marketingpraktiker immer noch ohne echtes Navigationssystem, anhand dessen sie kontinuierlich die Markenimagepositionierungen Tobias Richter ist Geschäftsführer der Mindgeist UG und erforscht seit über zehn Jahren sprachstatistische Muster im gesamtgesellschaftlichen Kontext. In diesem Rahmen entwickelte er die implizit beobachtende Internetdemoskopie. ablesen können. Darüber hinaus fehlt ein objektives Simulationsmodell, um Maßnahmen ableiten zu können, damit gewünschte Imagebewegungen erreicht werden. Analysemöglichkeiten sind vielfältig Klassische Verfahren für Imageanalysen (z.B. semantische Befragungen, implizite Assoziationstests, Neuro-Experimente) sind nicht gut skalierbar und haben Objektivitätsprobleme, weil sie der Interaktion mit Menschen bedürfen, was die Ergebnisse beeinflusst. Webbasierte Lösungen werten Statements meist nur auf der wortwörtlichen, also der expliziten Ebene aus, und kratzen somit lediglich an der Oberfläche, ohne die relevanten, impliziten Informationen zu erfassen. Ein nicht reaktives Verfahren, die implizite Internetdemoskopie, eröffnet neue Analysemöglichkeiten. Sie erfasst Meinungsverteilungen auf der un- und vorbewussten Ebene über Sprachmustererkennung und zeigt, wie über etwas im Vergleich zu etwas anderem implizit gedacht und gefühlt wird. Dazu wird jeweils ein thematisch, zeitlich und geografisch relevanter Datenkorpus aus dem Internet extrahiert, das heißt alle Dokumente im deutschen Sprachraum, die etwa die Marke X enthalten. Um deren Image nun zu bestimmen, wird innerhalb dieses Datenkorpus das aus der Einstellungsforschung bewährte Verfahren des semantischen Differenzials eingesetzt (Data Mining), um ein Sprachmuster für die Uwe Munzinger ist Geschäftsführer der Sasserath Munzinger Plus GmbH. Zuvor war er in führenden Positionen bei Icon (heute Icon Added Value), BBDO und der GfK in Deutschland, Europa und den USA tätig. Er ist Autor der Bücher ‚Marken erleben im digitalen Zeitalter‘ und ‚Markenkommunikation – wie Marken Zielgruppen erreichen und begehren auslösen‘. markenartikel 11/2015 Marktforschung Abb. 1: Smartwatches sollten eine eigene (emotionale) Marktnische definieren Omega Tudor Lifestyle Uhren Sinn Zenith Tag Heuer Apple Watch männlich Uhren Kommentierung Intelligente Uhren 2 Luxus Smart Watch Sweet Spot IWC Internet alte Menschen 3 Patek Philippe SERVICE Vacheron Constantin 1 Montblanc Breitling Mai 2015 Bevölkerung Rolex Rado Maurice Lacroix SCHEMATISCHER AUSZUG – DRAUFSICHT Mainstream Uhren Tissot weiblich Quelle: Mindgeist UG; Mai 2015 HANDEL RECHT F2: Mode/ Emotion 4 MARKENFÜHRUNG statusorientiert F1: Technologie/ Sachverstand Datenquelle: Alle öffentlich verfügbaren Onlineeinträge bezüglich der Meinungsgegenstände, die durch Web Mining erfasst wurden, 14.05.2015 Dritte Dimension (F3: Kommunikationsfaktor), Höhe/Tiefe, aus vereinfachungsgründen nicht visualisiert 1 Diese Uhrenmarken sind populär und differenzieren sich emotional nicht stark 2 IWC: Hat eine exponierte Positionierung, hat insbesondere Resonanz bei leistungsorientierten, maskulinen Kunden 3 Patek Philippe: Hat eine Nischenstellung, im elitären, aristokratischen, finanzaffinem Feld 4 Apple Watch: Sie liegt nicht im populären Uhrenfeld, d.h. Sie wird noch nicht als klassischer Zeitmesser angesehen. Sie sollte an F1 Aspekten gewinnen, um die technikaffine Internetnische zu besetzen. Tag Heuer müsste im klassischen populären Uhrenfeld liegen, die Marke scheint ein Problem zu haben. Die Apple Watch ist nicht optimal positioniert. Sie sollte sich als Luxus-Smartwatch definieren, da dieses Feld von klassischen Uhren noch unbesetzt ist Marke X zu bestimmen. Danach wird es in einer Imagelandkarte (semantischer Raum) integriert – diese gibt dem Sprachmuster also seine Imagebedeutung. So kann bspw. analysiert werden, wie, wann und wohin Marken, Produkte, öffentliche Personen, Einrichtungen, aber auch Themen wie Freiheit, Gesundheit oder Sicherheit ihre sprachlichen Konnotationen und damit ihr Image verändern. Dadurch können imagerelevante Fragestellungen adressiert werden: Wodurch unterscheidet sich mein Image von dem meiner Wettbewerber? Welche Themen und Trends gewinnen an Relevanz für mich? Welche emotionale Nische könnte meine Marke/Produkt erfolgreich besetzen? Auf welchen Content sollten wir uns konzentrieren? Welche Partner oder Testimonials helfen bei der Positionierung? Wie verändert sich mein Image im Zeitverlauf? Exemplarisch werden hier zwei Analysebeispiele mit dem Verfahren aus den Bereichen Marktnischendefinition und Imagekrisenbewältigung vorgestellt. Aus Vereinfachungsgründen werden nur Positionierungen in einem zweidimensionalen semantischen Raum gezeigt. Apple Watch: Wo ist die richtige Marktnische? Ein erstes Beispiel analysiert, wie man aus impliziter Internetdemoskopie ableiten kann, wo eine geeignete Marktnische für die Apple Watch liegen könnte. Abbildung 1 zeigt eine Imagelandschaft für Uhrenmarken aus einer Analyse. In dieser lassen sich stereotype Marktnischen ausmachen. So konnten Imagefelder für Mainstream-, Lifestyle- und Statusprodukte ermittelt werden sowie ein zentrales Imagefeld, das zurzeit mit intelligenten Produkten in Verbindung gebracht wird. Man sieht, dass die Apple-Watch sich zwischen Lifestyle- und Statusprodukten positioniert, jedoch als Uhr weniger Akzeptanz hat. Will das Unternehmen in der breiten Masse mehr Akzeptanz erhalten, so könnte es den Absatz dieser Uhr entlang des in der Imagekartographie eingezeichneten Imageweges signifikant erhöhen. Der Sweet Spot der Apple Watch, also die Position, die sie strategisch anstreben sollte, ergibt sich zum einen dadurch, dass er ein freies Imagefeld entfernt vom klassischen Uhrenkonzeptfeld besetzt. Eine Smartwatch sollte nicht nur eine Uhr sein, die die Zeit anzeigen kann, und somit gegen klassische Uhrenkonzepte konkurrieren. Sie sollte zusätzlichen Nutzen anbieten und das Leben erleichtern. Entsprechend sollte sie anders emotional positioniert werden. Zum anderen ergibt sich die Lage des Sweet Spots dadurch, dass sich am markierten Bereich Sprachmuster und folglich Konzepte befinden, die in der Gesellschaft emotional als besonders intelligent und daher attraktiv wahrgenommen werden. Die Apple Watch wird sich also umso mehr in Richtung des Sweet Spots bewegen, je mehr dieser sich mit Vorstellungen von intelligenten Uhren verbinden lässt. Dazu kann im nächsten Schritt ersichtlich gemacht werden, welche Werte, Konzepte, Themen, Testimonials, Designelemente etc. zwischen der Imagepositionierung der Apple Watch und dem Sweet Spot liegen. Der Hersteller kann diese dann im Marketing aufgreifen und eine Imagebewegung in Richtung Sweet Spot bewirken. ADAC: Krise gemeistert? Ein zweites Analysebeispiel zeigt die Veränderungen des ADAC-Images von 2010 bis 2015 im Monitoring. In Abbildung 2a sind hierfür die Positionierungen des ADAC im zweidimensionalen Werteraum (Faktor F1, Faktor F2) an kritischen Daten in dieser Fünfjahresperiode eingetragen. Das Monitoring zeigt die Imagebewegung, die der Automobilclub in dieser Zeit vollzogen hat. Man kann daraus schlussfolgern, dass der 101 RECHT SERVICE Markenartikel 11/2015 Abb. 2a: ADAC erleidet nach Skandal Imageverlust & muss sich neu finden F2: Menschlichkeit, Harmonie, Serviceorientierung 21.05.2010 1 SCHEMATISCHER AUSZUG – DRAUFSICHT Populäres Feld 15.01.2011 2 102 20.11.2013 ADAC mischt sich in Mautdiskussion ein, wirkt also stark politisch. 2 Der politische Druck auf den ADAC wächst, dadurch wird der ADAC politischer, in der Bevölkerung ist Politik unbeliebt. 3 09.07.2011 25.01.2014 08.05.2015 1 3 4 4 5 5 Gefährdetes Feld Mai 2010 – Mai 2015 Kommentierung 12.07.2014 F1: Effizienz, Pünktlichkeit, Durchsetzungsfähigkeit Diskussionen zur Aufspaltung beginnen: in einen öffentlichen Verein und eine wirtschaftlich aktive GmbH. Dies zeigt drastisch, dass die Organisation aktuell nicht Leistungsfähig ist. Die Reihe an Skandalen startet mit der Fälschung der Ergebnisse der Goldenen Engel Autowahl. Es folgen Rücktritte, insgesamt rutscht das Image in das gefährdete Feld ab. Eine groß angelegte Imagekampagne zur Verbesserung der Glaubwürdigkeit startet im Juli 2014. In dieser wird der klassische ADAC Service in den Mittelpunkt gestellt. Es scheint, dass das gefährdete Feld verlassen werden konnte. Die Imagekampagne könnte also eine günstige Imagebewegung verursacht haben. Datenquelle: Alle öffentlich verfügbaren Onlineeinträge bezüglich der Meinungsgegenstände, die durch Web Mining erfasst wurden Dritte Dimension (F3: Kommunikationsfaktor), Höhe/Tiefe, aus vereinfachungsgründen nicht visualisiert Quelle: Mindgeist UG HANDEL Marktforschung Zwischen Mai 2010 und Mai 2015 sind die Imagewerte des ADAC gesunken. Eine Kampagne bringt 2014 wieder eine leichte Verbesserung Meinungsgegenstand ADAC sich in ein regressives Imagefeld bewegt hat. Heute kann man von einem signifikant messbaren Imageverlust der Marke sprechen. Etwa ein halbes Jahr nach dem Skandal um den Goldenen Engel beauftragte der ADAC eine groß angelegte Imagekampagne (Start 12.7.2014, siehe Bewegung 5, Abb. 2a). Man kann ein Jahr später feststellen, dass der Club wieder an F2-Sympathien gewonnen, aber seine F1-Dominanz sich weiter verringert hat. Abbildung 2b, die die Image-KPIs des ADAC über die Periode darstellt, zeigt ebenfalls die leichte Trendwende, die sich aus den Akzeptanzaspekten Zustimmung, Verständlichkeit und Offenheit zusammensetzt. Für den Auto- mobilclub stellt sich die Frage, wie er imagestrategisch aus diesem Dilemma herauskommt. Dafür müssen essentielle Fragen beantwortet werden, zum Beispiel, ob er sich eher als gemeinnütziger Verein (Faktor F2-nah) oder als ein Wirtschaftsunternehmen (Faktor F1-nah) positionieren sollte. Die Implizite Internetdemoskopie kann ein hilfreiches Werkzeug für die Markenführung sein, denn über die implizit ausgedrückten Einstellungen im Sprachverhalten von heute kündigt sich das Verhalten von morgen an. Das Verfahren hilft, systematisch Sweet Spots zu identifizieren und entsprechende Positionierungsmaßnahmen abzuleiten. Tobias Richter, Uwe Munzinger Abb. 2b: Image-KPIs des ADAC seit 2015 wieder mit leichtem Aufwind • Hier hat sich das Image deutlich aufgeweicht, dies war ein Indikator für eine Imagedebatte, bzw. Bewegung, die dann im negativen Feld ausgetragen wurde • Danach festigt sich das negative Bild Leichte Trendwende + - 1: Imagestabilität 21.05.2010 2: Zustimmung 15.01.2011 3: Verständlichkeit 20.11.2013 4: Offenheit 25.01.2014 12.07.2014 5: Gesamtakzeptanz 08.05.2015 Datenquelle: Alle öffentlich verfügbaren Onlineeinträge bezüglich der Meinungsgegenstände, die durch Web Mining erfasst wurden Die Akzeptanz des ADAC steigt 2015 wieder leicht. Dennoch muss der Club überlegen, wie er sich künftig positionieren will Quelle: Mindgeist UG MARKENFÜHRUNG