ZfB 3/04 Mixer ok - Bundeskanzleramt

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ZEITSCHRIFT
für
BIOPOLITIK
ISSN 1619-1749 | Berlin
3. Jahrgang 2004 | Nummer 3
Nikolaus Knoepffler
TOLERANZ UND RESPEKT
IN BIOETHISCHEN KONFLIKTFÄLLEN
131
Andreas Al-Laham
INTERNATIONALISIERUNGSMUSTER DER DEUTSCHEN BIOTECH-INDUSTRIE –
EMPIRISCHE BESTANDSAUFNAHME, WISSENSBASIERTER ERKLÄRUNGSANSATZ
139
Inge Broer
UMWELTSCHONENDE NAHRUNGSMITTELPRODUKTION:
MÖGLICHE BEITRÄGE DER AGROBIOTECHNOLOGIE
151
Harald Wilkoszewski
MEHR KINDER HELFEN NICHT – WARUM POLITIK IM ZEICHEN DES
BEVÖLKERUNGSWANDELS DEMOGRAPHIERESISTENT WERDEN MUSS
159
Peter Kampits
BIOETHIK, BIOPOLITIK UND MENSCHLICHE WÜRDE
169
Volker Gerhardt
NOCH EINMAL:
SELBSTBESTIMMUNG VOR DEM TOD
177
Robert Gmeiner
PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK – DER BERICHT DER
ÖSTERREICHISCHEN BIOETHIKKOMMISSION
181
www.biocom.de
BIOCOM AG
Bioethik 쑸
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Der Bericht der österreichischen Bioethikkommission
I
n ihren Sitzungen am 9. Juni 2004 und 7.
Juli 2004 hat die österreichische Bioethikkommission ihren Bericht zur Präimplantationsdiagnostik (PID) [1] verabschiedet und
damit eine mehr als einjährige Beschäftigung
mit diesem Themenkomplex abgeschlossen. Im
Rahmen einer gut besuchten Pressekonferenz
am 19. Juli 2004 haben der Vorsitzende der
Bioethikkommission, Univ.Prof. DDr. Johannes Huber, und sein Stellvertreter, Univ.Prof.
Dr. Günther Pöltner, diesen Bericht öffentlich
präsentiert und erläutert.
Der Bericht der österreichischen Bioethikkommission ist im Ergebnis ähnlich kontrovers ausgefallen wie das Votum der EnquêteKommission „Recht und Ethik der modernen
Medizin“ [2] oder die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates vom Januar 2003 [3]: Während im deutschen Nationalen Ethikrat 15
(Enquête-Kommission: 9) Mitglieder für eine
begrenzte Zulassung der PID stimmten und
sich sieben (Enquête-Kommission: 16) gegen
eine Zulassung der PID aussprachen, empfehlen in Österreich 12 Mitglieder eine beschränkte Zulassung der PID und sieben Mitglieder
treten für eine Beibehaltung der bestehenden
Gesetzeslage ein. Erst bei näherem Hinsehen
werden Unterschiede sichtbar, auf die nachstehend zum Teil auch eingegangen werden soll.
ZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK
Die österreichische
Bioethikkommission
쑺 von Robert
Gmeiner
Im Sommer 2001 hat Bundeskanzler Wolfgang
Schüssel die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt zur Beratung des Bundeskanzlers in allen gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen aus ethischer Sicht, die sich im Zusammenhang mit
der Entwicklung der Wissenschaften auf dem
Gebiet der Humanmedizin und -biologie ergeben, eingerichtet. Die Bioethikkommission ist
ein „reines Expertengremium”, zusammengesetzt aus Fachleuten verschiedenster Disziplinen (unter anderem Medizin, Molekularbiologie und Genetik, Rechtswissenschaften, Soziologie, Philosophie, Theologie). Die 19 Mitglieder der Bioethikkommission wurden – nach
einer ersten zweijährigen Periode – im November 2003 wiederbestellt. [4]
Die Bioethikkommission hat bis zum angeführten Bericht zu fünf Themenbereichen Stellungnahmen und Empfehlungen abgegeben:
In einer ersten Stellungnahme vom 11. Februar 2002 hat die Bioethikkommission einstimmig einen Beitritt Österreichs zur BiomedizinKonvention des Europarates empfohlen. Im
Rahmen einer ebenfalls einstimmigen Stellungnahme vom 6. März 2002 kommt die KommisNr. 3 | 3. Jahrgang 2004 |
181
쑺 Bioethik
sion zu dem Ergebnis, daß „die innerstaatliche
Umsetzung der Biotechnologie-Richtlinie auch
aus ethischer Sicht wichtig ist”. Im Mai 2002
hat auch die Bioethikkommission zu Fragen
der Stammzellenforschung im Kontext des 6.
EU-Forschungs-Rahmenprogrammes (20022006) Stellung genommen und neben Konsens
in vielen Fragen (zum Beispiel einer vorrangigen Förderung der Forschung mit humanen
adulten Stammzellen) – erstmals – Dissens
gezeigt, nämlich in der Frage der Förderung
der Forschung an humanen embryonalen
Stammzellen beziehungsweise bestehenden
embryonalen Stammzell-Linien. In der Folge
hat sich die Bioethikkommission verstärkt Fragen des Fortpflanzungsmedizinrechts zugewandt und in einem Zwischenbericht vom 12.
Februar 2003 das sogenannte reproduktive
Klonen (Klonen, um Kinder herzustellen; „cloning to produce children“) einstimmig abgelehnt. Ein vom Justizministerium ausgesandter Entwurf einer Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) hat im März 2004
nur teilweise die Zustimmung aller Mitglieder
der Kommission gefunden. Vor allem zum
Vorschlag eines ausdrücklichen und umfassenden Klonverbots erkannten neun Mitglieder derzeit keine hinreichend gewichtigen
Gründe für ein gesetzliches Verbot des sogenannten therapeutischen Klonens.
Die geltende Rechtslage zur PID
In Österreich besteht derzeit keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Zulässigkeit
der PID, und zwar weder in dem aus dem Jahr
1992 stammenden Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) noch im Gentechnikgesetz
(GTG), das 1995 in Kraft getreten ist. Es ist
jedoch einhellige Meinung, daß sich aus § 9
Abs 1 FMedG eine mittelbare Antwort auf die
Frage nach der Zulässigkeit von Diagnoseverfahren am Embryo in vitro ergibt: § 9 Abs 1
FMedG (in der bis heute unveränderten Stammfassung) lautet: „Entwicklungsfähige Zellen
dürfen nicht für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden. Sie dürfen nur insoweit untersucht und behandelt werden, als dies nach
dem Stand der medizinischen Wissenschaft
und Erfahrung zur Herbeiführung einer
Schwangerschaft erforderlich ist. Gleiches gilt
für Samen oder Eizellen, die für medizinisch
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| Nr. 3 | 3. Jahrgang 2004
unterstützte Fortpflanzungen verwendet werden sollen.“
Nach verbreiteter Auffassung folgt aus dem
zweiten Satz des § 9 Abs 1 FMedG ein implizites Verbot der PID, weil und sofern es sich
dabei um keine Untersuchung an entwicklungsfähigen Zellen handelt, die „zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich
ist“ [5]. Dieses Verbot bezieht sich gemäß § 9
Abs 1 letzter Satz FMedG auch auf Untersuchungen an Samen und Eizellen, soweit diese
für medizinisch unterstützte Fortpflanzungen
verwendet werden sollen. Die sogenannte Polkörperdiagnostik wird hingegen als zulässig
angesehen, da der Polkörper als solcher nicht
der Befruchtung dient und folglich auch nicht
dem Untersuchungsverbot des § 9 Abs 1 unterliegt [6]. Kein Konsens besteht jedoch über die
genaue Reichweite dieses aus § 9 Abs 1 FMedG
abgeleiteten Verbots der PID, wobei die einzelnen Auffassungen sowohl im Ergebnis als
auch in der Begründung erheblich divergieren. Uneinigkeit herrscht insbesondere in der
Frage, wann eine Untersuchung „zur Herbeiführung einer Schwangerschaft“ erforderlich
(und daher rechtlich zulässig) ist. Im wesentlichen werden drei Auslegungsvarianten vertreten: Manche Autoren bejahen ein generelles
Verbot, andere gehen von einer weitreichenden Zulässigkeit der PID in Analogie zur pränatalen Genanalyse gem § 65 Abs 3 GTG aus.
Im jüngeren Schrifttum finden sich auch differenzierende Auffassungen, die zwar an einem
grundsätzlichen Verbot der PID festhalten, jedoch präimplantative Untersuchungen dann
ausnahmsweise für erlaubt erachten, wenn
diese auf den Ausschluß von genetischen Anomalien abzielen, die mit dem erfolgreichen
Eintritt einer Schwangerschaft unvereinbar
sind. Festzuhalten ist, daß die PID in Österreich bislang nicht praktiziert wird.
Unbestritten ist, daß die geplante Durchführung einer PID für sich genommen keine hinreichende Voraussetzung für die Vornahme
einer In-Vitro-Fertilisation ist: Denn § 2 Abs 2
FMedG knüpft die Zulässigkeit einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung unter anderem an die Bedingung, daß „alle anderen
möglichen und zumutbaren Behandlungen zur
Herbeiführung einer Schwangerschaft durch
Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder
aussichtslos sind“. Selbst wenn man daher
eine PID in gewissem Umfang für erlaubt hält,
ZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK
Bioethik 쑸
so könnte sie wegen § 2 Abs 2 FMedG nur in
jenen Fällen vorgenommen werden, in denen
(zufällig) auch noch eine Infertilität vorliegt.
Der Bericht der
Bioethikkommission zur PID
Struktur
Der insgesamt 74-seitige Bericht der Bioethikkommission zur Präimplantationsdiagnostik
(PID) besteht im wesentlichen aus drei Teilen:
Der erste Teil (Teil I, S. 1 bis 30) stellt die in der
nationalen und internationalen Diskussion
vorgebrachten naturwissenschaftlich-medizinischen, ethischen, rechtlichen und rechtspolitischen Argumentationen zur PID – in deskriptiver Form – dar. Diesem Teil haben alle
Mitglieder der Kommission zugestimmt. Daran anschließend wird eine Stellungnahme für
eine beschränkte Zulassung der PID (Teil II,
S. 31 bis 48) in Teil II argumentiert. Den entsprechenden Empfehlungen stimmen zwölf
Mitglieder zu, wobei ein Mitglied (S. 49f) die
Empfehlung mitträgt, aber zum Teil anders
begründet. In Teil III (S. 51 bis 65) wird alternativ die Stellungnahme für die Beibehaltung
der bestehenden Gesetzeslage begründet und
von sieben Mitgliedern der Kommission getragen, wobei auch hier ein Mitglied dieser
Empfehlung mit ergänzender Begründung
(S. 66f) zustimmt. Der Bericht schließt mit
einer umfassenden Bibliographie (S. 68 bis
71) ab.
Beratung, nicht Entscheidung
In der offiziellen Pressemitteilung vom 7. Juli
2004 wird ausdrücklich der Beratungs- und
Empfehlungscharakter des Berichts hervorgehoben: Es sei bewußt keine Abstimmung
oder gar Entscheidung für eine bestimmte
Option herbeigeführt worden. Das sei – so
wird der Vorsitzende Johannes Huber zitiert
– „nicht die Aufgabe der Kommission, das ist
Aufgabe des politischen Prozesses und letztendlich des Gesetzgebers“, die Kommission
habe die „verschiedenen Argumente aufbereitet und dargestellt“. Darauf aufbauend seien die Mitglieder zu teilweise unterschiedlichen Bewertungen und letztendlich zu zwei
Empfehlungen gelangt. Die Mitglieder hätZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK
ten „damit nochmals zu einer Erweiterung
des Argumentationsspektrums beigetragen“.
Der Bericht ist vor diesem Hintergrund in
erster Linie dem Bundeskanzler sowie den mit
dem Thema befaßten Mitgliedern der Bundesregierung übermittelt worden. Die Kommission möchte unter anderem mit diesem Bericht
die „Sensibilität in der Bevölkerung für bioethische Fragen wecken” und wünscht sich eine
breite öffentliche Diskussion zu diesem Thema [7].
Teilweiser Konsens in den
Empfehlungen
Die unterschiedlichen Empfehlungen dürfen
nicht den Blick verstellen auf den bioethischen
Konsens innerhalb der Bioethikkommission:
–
–
–
–
Der Teil I des Berichts, also die Darstellung
der naturwissenschaftlich-medizinischen,
ethischen und rechtlichen Aspekte der PID,
hat die Zustimmung aller Mitglieder der
Bioethikkommission gefunden.
Alle Mitglieder haben einstimmig und
ausdrücklich festgehalten, daß die rechtspolitische Option einer uneingeschränkten Zulassung der PID keinesfalls befürwortet wird.
Die gesamte Bioethikkommission (also
auch jene Mitglieder, die für eine beschränkte Zulassung der PID eintreten)
hat geschlossen die PID zum Zweck einer
positiven Selektion von gewünschten
Merkmalen (sogenannte „Designerbabies”) entschieden abgelehnt.
Aber auch ein Totalverbot der PID hält die
Bioethikkommission (in ihrer Gesamtheit)
weder ethisch noch rechtlich für gerechtfertigt. Auf diesen Punkt muß im Folgenden näher eingegangen werden.
Prüfung auf „Lebens(un)fähigkeit“
Wie bereits ausgeführt, vertreten namhafte
Rechtswissenschaftler die Ansicht, schon das
geltende Fortpflanzungsmedizingesetz erlaube eine Untersuchung und Behandlung sogenannter entwicklungsfähiger Zellen insoweit,
als dies nach dem Stand der medizinischen
Wissenschaft und Erfahrung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist.
Die Bioethikkommission ist in ihrem Bericht –
Nr. 3 | 3. Jahrgang 2004 |
183
쑺 Bioethik
쑺 Literatur
[1] Abrufbar unter:
http://bkacms.bka.gv.at/
2004/7/19/pid-praempantationsdiagonostik.pdf.pdf;
im Folgenden: Bericht.
[2] Enquête-Kommission
„Recht und Ethik der
modernen Medizin” (Hg),
Schlußbericht, BT-Drs14/
9020 vom 14.5.2002.
[3] Nationaler Ethikrat (Hg),
Genetische Diagnostik vor
und während der Schwangerschaft. Stellungnahme,
2003.
[4]] Nähere Details siehe:
http://
www.bundeskanzleramt.
at/bioethik/; hier sind auch
alle Stellungnahmen,
Empfehlungen und Berichte
der Bioethikkommission
abrufbar;
vgl. Gmeiner/Körtner,
Die Bioethikkommission
beim Bundeskanzleramt –
Aufgaben, Arbeitsweise,
Bedeutung, RdM 2002, 164
– 173; Huber/Gmeiner,
Zwischenbilanz der
Bioethikkommission beim
Bundeskanzleramt, in: Khol/
Ofner/Burkert-Dottolo/
Karner (Hg), Österreichisches Jahrbuch für Politik
2003 (2004), 497-515.
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| Nr. 3 | 3. Jahrgang 2004
geschlossen – dieser Auslegung gefolgt: Demnach wäre die PID – bei bestehender Gesetzeslage – schon jetzt zulässig und rechtlich akzeptabel, wenn Embryonen auf Grund von Chromosomenanomalien oder genetischen Störungen nicht oder nur begrenzt lebensfähig sind;
das heißt, wenn es entweder nicht zur Einnistung in die Gebärmutter oder nicht zur Geburt beziehungsweise in kurzer Zeit nach der
Geburt zum Tod kommt. In diesen Konstellationen, wo es um die Unterscheidung zwischen „lebensfähig“ und „nicht lebensfähig“
geht, ist die PID ethisch vertretbar. Dabei handelt es sich beispielsweise um schwerste Stoffwechselstörungen im zentralen Nervensystem
oder Trisomien der ersten 10 Chromosomen.
Es sind sich also auch jene Mitglieder, die für
eine Beibehaltung der bestehenden Gesetzeslage eintreten, mit den anderen Kommissionsmitgliedern darin einig, daß die Anwendung
der PID in diesen engen Grenzen ethisch vertretbar ist. Wohlgemerkt: Es muß hier ausdrücklich zwischen „lebensfähig/lebensunfähig“ und „lebenswert/lebensunwert“ unterschieden werden. Die Intention der PID ist in
diesen Konstellationen nicht die Selektion, sondern Schwangerschaft und Geburt. In der Stellungnahme der 12 Mitglieder wird ergänzend
darauf hingewiesen, daß in solchen Fällen die
PID „als Methode der ‚Verbesserung‘ des Erfolges von IVF/ICSI zugelassen werden“
soll.[8] Allerdings – so betont der Kommissionsvorsitzende Johannes Huber – „sei dies
Ansicht eines Beratungsgremiums”. Eine
„Wortspende der Juristen“ – idealerweise aus
dem zuständigen Justizministerium – „wäre
wünschenswert“. [9]
zu bekommen, wobei in diesen Fällen auch die
Bestimmung des Geschlechts mit Krankheitsbezug zulässig sein soll. Die Entscheidung zur
Vornahme einer PID sollte auf den Einzelfall
bezogen sein und auf der Grundlage eines
Indikationenmodells (mit Kriterien wie Familienanamnese, Alter, Diagnosezuverlässigkeit,
mangelnde Therapierbarkeit, etc.) getroffen
werden. In solchen Fällen soll auch die Bestimmung des Geschlechts mit Krankheitsbezug
zulässig sein. Ein generelles genetisches Screening wird abgelehnt. Eine präzise gesetzliche
Regelung, prozedurale und administrative
Maßnahmen (zum Beispiel Zulassungspflicht
der medizinischen Einrichtung; organisatorische und personelle Trennung von Reproduktionsmedizinern und Humangenetikern; humangenetische Beratung) sowie Qualitätskontrolle und Berichtspflichten werden empfohlen. [10]
Während also sieben Mitglieder der österreichischen Bioethikkommission – weil auch
sie sich einer bestimmten Auslegung der relevanten Bestimmungen anschließen – keinen
gesetzlichen Änderungsbedarf erkennen, erachten die anderen zwölf Mitglieder der Kommission eine gesetzliche Regelung der PID
entweder im GTG oder im FMedG als zweckmäßig. Jedenfalls müßten auch die Zugangsvoraussetzungen zur IVF (derzeit nach dem
FMedG nur erlaubt zur Behandlung von Sterilität) so geändert werden, daß in Fällen zulässiger PID auch die Anwendung der IVF zugelassen wird. [11] Demgegenüber hatten die Mitglieder des Nationalen Ethikrates übereinstimmend empfohlen, den Umgang mit den Diagnoseverfahren in einem umfassenden Fortpflanzungsmedizingesetz zu regeln.
Darüber hinausgehender Dissens
Einige Begründungslinien
Sieben Mitglieder, die für die Beibehaltung der
bestehenden Gesetzeslage eintreten, wollen die
Anwendung der PID auf diese genannten
Grenzfälle von „nicht lebensfähigen“ Embryonen im Rahmen der gesetzlichen Regelung der
IVF beschränken, die als einzige Zugangsindikation zur IVF die Umgehung der Infertilität
kennt.
Demgegenüber sprechen sich zwölf Mitglieder dafür aus, die PID auch in darüber hinausgehenden Konstellationen zuzulassen: Für
Paare, die ein hohes Risiko aufweisen, ein Kind
mit schwerer genetisch bedingter Erkrankung
Die „erweiterte“ Zulassung der PID in der
„Mehrheitsmeinung“ wird zum einen mit der
Inkonsistenz der geltenden Rechtslage der pränatalen (postimplantativen) Diagnostik begründet. Diese wird während einer bestehenden Schwangerschaft durchgeführt, ist in Österreich erlaubt, wird praktiziert und führt in der
Praxis bei pathologischem Untersuchungsbefund mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem
Schwangerschaftsabbruch: „Da PND gesetzlich erlaubt ist, diese in ihren Konsequenzen
(nicht in ihren Voraussetzungen) problematiZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK
Bioethik 쑸
scher ist (späterer Schwangerschaftsabbruch,
gehäufter Schwangerschaftsabbruch), ist es
jedenfalls inkonsistent und sachlich nicht gerechtfertigt, die PID generell zu verbieten.”[12]
Die Vertreter der Minderheitsmeinung argumentieren dagegen, PID und PND seien
nicht vergleichbar. Im einen Fall handle es sich
um eine „Zeugung auf Probe“ und eine anschließende Selektion in der Folge einer PID,
im anderen Fall um einen konkreten bestehenden und damit moralisch anders zu bewertenden Schwangerschaftskonflikt: „Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach der geltenden österreichischen Rechtslage unter bestimmten Bedingungen straffrei. Das aber nicht deshalb,
weil ungeborenes Leben weniger schützenswert als geborenes ist, sondern weil es gilt, der
leiblichen Besonderheit der Mutter-Kind-Beziehung und den mit ihr möglicherweise verbundenen Konflikten gerecht zu werden.“[13]
Einen hohen Stellenwert hatte in den Beratungen die Frage möglicher gesellschaftlich
nicht wünschbarer Tendenzen, insbesondere
einer aus einer Zulassung der PID resultierenden möglichen Diskriminierung von Menschen
mit Behinderungen. Beide Stellungnahmen
räumen diesen Fragen viel Raum ein. Solcherart geäußerte Türöffner- und Dammbruchargumente seien im Hinblick auf historische Erfahrungen verständlich und ernstzunehmen,
jedoch nach Abwägung aller Argumente nicht
stichhaltig; daß PND und PID ein behindertenfeindliches Klima erzeugen, lasse sich empirisch nicht nachweisen; im Gegenteil seien
die Rechte und Integrationsbemühungen von
Menschen mit Behinderungen kontinuierlich
ausgebaut und gefördert worden, wenngleich
selbstverständlich noch vieles zu tun sei – so
die Vertreter der „liberaleren“ Position. Sie
halten aber in den Empfehlungen ausdrücklich fest, die gesetzlichen Regelungen müßten
so beschaffen sein, „daß aus ihnen keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen abgeleitet werden kann“: Das gesellschaftliche und verfassungsrechtlich vorgegebene
Ziel, Menschen mit Behinderungen und ihre
Angehörigen vor jeder Form der Diskriminierung zu schützen, dürfe durch die Zulassung
der PID nicht in Frage gestellt werden. [14]
In der Begründung für die Beibehaltung der
bestehenden Gesetzeslage halten die anderen
sechs Mitglieder dagegen: „Mit der Zulässigkeit der PID als rechtmäßiges Verfahren erZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK
klärt der Gesetzgeber die Verhinderung der
Geburt von Menschen mit Behinderung für
rechtens und billigt negativ-eugenische Tendenzen. Sowohl eine Regelung im Sinne einer
Generalklausel als auch im Sinne eines Indikationenkatalogs zwingt den Gesetzgeber oder
den/die Rechtsanwender/in, Erbkrankheiten
zu benennen, bei deren Vorliegen eine Selektion zulässig sein soll. Damit wird die Diskriminierung öffentlich gemacht. Die Sorge der Behindertenverbände ist nicht von der Hand zu
weisen, daß das technisch vermeidbar Gewesene als gesellschaftliche Zumutung empfunden wird, und die Vermeidung von Menschen
mit Behinderung Priorität erlangt. Diese Sorge
kann nicht mit dem Argument entkräftet werden, noch nie sei so viel für Menschen mit
Behinderung getan worden, weil die Priorität
der Vermeidung keineswegs einer gesteigerten Hilfeleistung für Menschen mit Behinderung widerstreitet. Das Problem ist das Selbstverständnis dieser Menschen. Denn sie müssen sich eingestehen, in einer Gesellschaft zu
leben, für welche die Hilfestellung für Menschen mit Behinderung gleichrangig mit der
Verhinderung ihrer Geburt ist.“ [15]
Die ethische Bewertung der PID hängt in
hohem Maß von der Antwort auf die Frage ab,
welchen ontologischen und moralischen Status der Embryo hat. Konsequent setzen sich
auch im Bericht der Bioethikkommission beide Positionen mit dieser Frage und den diesbezüglichen Argumenten auseinander:
In der Stellungnahme für eine beschränkte
Zulassung wird betont, daß die Klärung dieser
Status-Frage zwar ein „unumgängliches Element der bioethischen Urteilsbildung, jedoch
kein hinreichendes Kriterium“ für die Frage
der Zulässigkeit der PID ist: „Die vermeintlich
strikte Alternative zwischen der vorgeblich
objektiven Grenzziehung bei der Kernverschmelzung als maßgeblichem Beginn der
moralischen Schutzwürdigkeit von Embryonen und allen anderen scheinbar willkürlichen
Definitionen des Lebensanfangs vermag in
dieser Schärfe schon deshalb nicht zu überzeugen, weil keine der in der Statusfrage eingenommenen Positionen ohne philosophische
oder theologische Zusatzannahmen auskommt.“ [16] Die These eines durchgehenden
und jenem geborener Personen vergleichbaren moralischen Schutzanspruches während
der Gesamtphase der Embryonalentwicklung
[5] Nachweise zum
Meinungsstand bei
Mayrhofer, Reproduktionsmedizinrecht, 2003, 95 f;
Kopetzki, Rechtliche
Aspekte des
Embryonenschutzes, in:
Körtner/Kopetzki (Hg),
Embryonenschutz –
Hemmschuh für die
Biomedizin, 2003, 54.
[6] Mayrhofer,
Reproduktionsmedizinrecht,
2003, 97.
[7] DIE PRESSE 20.7.2004.
[8] Bericht, 47,
Empfehlung 5.1.
[9] WIENER ZEITUNG
22.7.2004. siehe auch
Körtner, PID – Argumente
für eine beschränkte
Zulassung,
in: http://science.orf.at/
science/koertner/117997.
[10] Bericht, 47f,
Empfehlungen 5.3. bis 5.8.
[11] Bericht, 48,
Empfehlung 5.6.
[12] Bericht, 47,
Empfehlung 5.3.
[13] Bericht, 61.
[14] Bericht, 48,
Empfehlung 4.9.
[15] Bericht, 61f.
[16] Bericht, 31.
Nr. 3 | 3. Jahrgang 2004 |
185
쑺 Bioethik
[17] Bericht, 57.
[18] Bericht, 39.
[19] Zum diskursiven
Umfeld in Österreich vgl.
Grabner, Schlaglichter auf
die österreichische
biopolitische Debatte, ÖZP,
32 (2003) 2, 201-211;
Gmeiner, Biopolitische
Debatten in Österreich,
in: Zeitschrift für Biopolitik,
Nr. 3/2003, 159-168.
[20] Vgl. DER STANDARD
9.7.2004; DIE PRESSE
19.7.2004, 20.7.2004;
WIENER ZEITUNG 22.7.2004;
SALZBURGER NACHRICHTEN
20.7.2004;
KURIER 20.7.2004.
[21] DIE FURCHE
Nr. 30/2004;
DER STANDARD 20.7.2004.
[22] DIE PRESSE 23.7.2004.
[23] Kampits, Autonomie
des Einzelnen, in:
DIE PRESSE 23.7.2004.
[24] DER STANDARD
24.7.2004;
Körtner, PID – Argumente
für eine beschränkte
Zulassung
in: http://science.orf.at/
science/koertner/117997.
[25] Presseaussendungen
der Ethikkommission FÜR
die Bundesregierung
(20.7.2004), der Lebenshilfe
186
| Nr. 3 | 3. Jahrgang 2004
ab der Befruchtung werde meist durch eine
Kombination von Potentialitäts-, Kontinuitätsund Identitätsargumenten zu begründen versucht. Diese Argumente seien jedoch weder
für sich noch genommen noch in ihrer Kombination stichhaltig und könnten die daraus gezogenen Schlußfolgerungen nicht schlüssig begründen. Die Vertreter dieser Position ergänzen, daß mit der Zuschreibung eines bestimmten moralischen Status des Embryos die Frage
unbeantwortet bleibe, wie der von der Rechtsordnung zu leistende Schutz ausgestaltet sei.
Und hier sei festzuhalten, daß das geltende
österreichische Recht ein differenziertes
Schutzkonzept derart verwirkliche, daß der
Embryo einerseits nicht als Person im Rechtssinn qualifiziert sei, ihm aber andererseits sehr
wohl ein – entwicklungsabhängig ansteigender – gradueller Schutz zuteil werde.
In der Stellungnahme für die Beibehaltung
der bestehenden Gesetzeslage wird diese philosophisch-anthropologische Frage – die zwar
nicht ohne naturwissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch nicht schon durch diese zu beantworten sei – zu dem Eingeständnis verdichtet,
„daß man bei der Bestimmung des moralischen Status eines menschlichen Embryos über
kein eindeutiges, alle relevanten Zweifel behebendes Wissen verfügen kann und in diesem
Sinn über ein Nichtwissen nicht hinauskommt.” Nun dürfe aber ein „Nichtwissen, ob
etwas vorliegt, nicht gleichgesetzt werden mit
einem Wissen, daß etwas nicht vorliegt. Wer
aus dem Zugeständnis eines Nichtwissens die
Zulässigkeit eines instrumentalisierenden
Umgangs mit menschlichen Embryonen folgert, beansprucht Wissen dort, wo ein solches
nicht möglich ist, und leistet einem weiteren
instrumentellen Umgang mit menschlichem
Leben Vorschub.” Da sich die Zulässigkeit
einer Güterabwägung menschlicher Embryonen nicht mit subjektiven Zielvorstellungen
rechtfertigen lasse und angesichts der gesellschaftspolitisch nicht wünschbaren Folgenlast,
die eine zulässige Güterabwägung der Frühestphasen menschlichen Lebens bedeute, sei
„aus der chronometrischen Unbestimmbarkeit des Beginns eines Menschenlebens die
praktische Folgerung in dubio pro embryone zu
ziehen. Das bedeutet, sich für den biologisch
bestimmten Beginn zu entscheiden, und den
menschlichen Embryo ab Befruchtung nicht
als bloßes Rechtsgut, sondern als Träger eige-
ner Rechte anzuerkennen, unter den vollen
Lebensschutz sowie das Instrumentalisierungsverbot zu stellen und damit einer Abwägung
mit anderen Gütern zu entziehen. Aus der
Schwierigkeit, eine Grenze zu erkennen, darf
nicht der Schluß gezogen werden, es gebe keine. Der biologisch bestimmte Beginn neuen
menschlichen Lebens ist der einzig willkürfreie Zeitpunkt, was von allen anderen Markierungen, die den Lebensschutz zu einem
späteren Zeitpunkt einsetzen lassen, nicht gesagt werden kann – ein Umstand, der für eine
gesetzliche Regelung, die auf klare Grenzziehungen angewiesen ist, von besonderer Bedeutung ist.” [17]
Neben ethischen Argumenten spielen für
die Kommissionsmehrheit vor allem verfassungsrechtliche Argumente eine wesentliche
Rolle, weil “die ethische Beurteilung der PID je
nach den zugrunde gelegten Moralauffassungen – weltweit – umstritten ist und es in einer
vom Grundsatz der Religions- und Weltanschauungsfreiheit getragenen Gesellschaft keine allgemeingültige Moral geben kann, die als
Leitlinie der staatlichen Rechtspolitik tauglich
wäre und die damit letztlich auch rechtliche
Verbindlichkeit für jene Menschen erlangen
würde, die diese Moralauffassung möglicherweise nicht teilen. Es ist nicht Aufgabe des
Rechts, moralische Wertungen möglichst unbeschadet in rechtliche Ge- und Verbote umzusetzen. Da das Recht nicht der umfassenden
Moral- oder Werteverwirklichung, sondern der
Gewährleistung des friedlichen Zusammenlebens dient, sollte sich die Formulierung von
Verboten auf die Sicherung eines „ethischen
Minimums” beschränken. Gerade in ethisch
und gesellschaftlich umstrittenen Bereichen
sollten gesetzliche Verbote daher nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden.” [18] So werden auch hier die derzeit gänzlich abweichenden rechtlichen Rahmenbedingungen von PND
und PID als unter Aspekten des Gleichheitssatzes unsachliche und somit verfassungswidrige Differenzierung qualifiziert. Oder es wird
zugestanden, daß die österreichische Rechtsordnung den verfassungsrechtlichen Schutz
des Lebens nicht auf die frühe embryonale
Phase (in vitro oder in vivo) erstreckt. Verfassungsrechtlich ergibt sich auch aus dem Schutz
der Menschenwürde – die in Österreich auf
Verfassungsebene nicht ausdrücklich festgeschrieben und deren Verankerung als allgeZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK
Bioethik 쑸
meines Prinzip der Rechtsordnung oder als
Element der Grundrechtsordnung umstritten
ist – kein taugliches Argument für ein Verbot
der PID. Auch aus der Verfassungsbestimmung, wonach „niemand … wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ darf, läßt
sich nicht ableiten, daß diagnostische Maßnahmen während oder vor der Schwangerschaft, die auf das Erkennen genetisch bedingter Erkrankungen abzielen, verboten sind.
Die Mitglieder, die für eine Beibehaltung
des Status quo eintreten, argumentieren im
Gegensatz dazu in erster Linie rechtspolitisch,
wenn sie zum einen darauf hinweisen, daß im
Licht der Europäischen Charta der Grundrechte der grundrechtliche Status des Embryos
auch in Österreich neu zu bestimmen sein
werde. Zum anderen sei eine Begrenzung der
PID sowohl in Form einer Generalklausel als
auch eines Indikationenkataloges, wie die analoge Erfahrung mit der PND zeige, dem sachimmanenten Ausweitungsdruck nicht gewachsen.
Das erweiterte
Meinungsspektrum [19]
Sowohl der Bericht selbst als auch die Pressekonferenz am 19. Juli 2004 haben in Tagesmedien, Radio und Fernsehen regen Nachhall
gehabt. Die Rezeption und Kommentierung
war über weite Strecken positiv [20], Zweifel
wurden aber angebracht, ob dieser Bericht mit
unterschiedlichen Stellungnahmen der Politik
die Entscheidung erleichtern wird [21]. In einem Kommentar unter dem Titel „Mehr Rationalität“ hebt Dr. Gertrude Brinek – immerhin
Wissenschaftssprecherin der ÖVP im Nationalrat – die ethische Schräglage zwischen (umstrittener) PID und (erlaubter) PND und der
Möglichkeit von Spätabtreibungen hervor und
kommt zum Schluß, die Bioethikkommission
habe sorgfältig geurteilt, nun gehe es um die
rationale Weiterentwicklung der Konsequenzen.[22] In anderen Diskussionsbeiträgen wird
davon gesprochen, daß „hier konservative und
liberale Argumente aufeinanderprallen“, die
von der Bioethikkommission vorgeschlagene
Lösung zwinge aber niemanden zur Durchführung einer PID, sie eröffne vielmehr den
Spielraum persönlicher Verantwortung. [23]
Bei verschiedenen Gelegenheiten hat
Univ.Prof. Dr. Ulrich Körtner, ein Mitglied der
ZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK
Kommission, zum Bericht Stellung genommen
und dabei im wesentlichen die Argumente für
eine beschränkte Zulassung der PID noch einmal aufbereitet. [24] Fast zeitgleich mit dem
Bericht ist von einem vom Verein „Dialog Gentechnik“ moderierten interdisziplinären Arbeitskreis ein Folder veröffentlicht worden,
der die ethischen Argumente sehr komprimiert zusammenfaßt.
Der Bericht der Bioethikkommission ist darüber hinaus auf klar definierte Positionen vor
allem der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen und der Aktion Leben gestoßen und ist erwartungsgemäß kritisch kommentiert worden. Sie lehnen die Freigabe der PID – im wesentlichen mit Hinweisen
auf den selektiven Charakter der PID („Qualitätskontrolle“) und die gesellschaftlichen Konsequenzen vor allem für Menschen mit Behinderungen – entschieden ab. [25] Eine von der
Aktion Leben durchgeführte und von ungefähr 64.000 Unterschriften getragene parlamentarische Bürgerinitiative, die am 5. Juli 2004
dem Parlament übergeben wurde, tritt für ein
klares Verbot der PID ein. [26]
Massive Kritik kommt auch von der Katholischen Kirche: In einer Stellungnahme der
Österreichischen Bischofskonferenz vom 16.
Juni 2004 (veröffentlicht am 19. Juli 2004, also
am Tag der Pressekonferenz der Bioethikkommission) wird zwar Verständnis geäußert,
Frauen die Implantation von lebensunfähigen
Embryonen zu ersparen. Die PID öffne aber –
„auch dann, wenn sie nur beschränkt zugelassen wird – einer schwer kontrollierbaren Menschenselektion Tür und Tor.“Es wird von vielen Gründen gesprochen, die „Nichtzulassung
der PID nicht aufzuweichen“. Unter anderem
sei die PID eine unsichere Methode und ein
„unmittelbares Instrument zur Selektion und
mittelbares Instrument zur Tötung von Menschenleben“, durch das Menschen mit Behinderungen einem unerträglichen und entwürdigenden sozialen Druck ausgesetzt sein würden. [27] Noch in der Stellungnahme vom 9.
November 2001 hatte sich die Bischofskonferenz nicht explizit zur PID geäußert, sondern
sich nur besorgt zur Entwicklung im Bereich
der pränatalen Diagnostik gezeigt.[28]
Die Evangelischen Kirchen A. und H.B. haben am 23. Oktober 2001 eine Denkschrift
„Verantwortung für das Leben” veröffentlicht
[29]. In elf Kapiteln befaßt sie sich mit allen
Wien (20.7.2004) und der
Aktion Leben (19.7.2004);
vgl. auch schon Lebenshilfe
Österreich (Hg),
Rasterfahndung nach
behindertem Leben, 2.A.,
2003; Ethikkommission
FÜR die Bundesregierung
(Hg), Standpunkte zur
Präimplantationsdiagnostik,
Argumente
(in:www.ethikkommission.at/
download/PID.doc);
[26] www.aktionleben.at/.
[27] Veröffentlicht in:
Kathpress, Tagesdienst
Nr. 169 vom 19.7.2004.
[28] Zitiert nach:
DIE FURCHE Nr. 46/2001.
[29] Wiederabgedruckt in:
epd-Dokumentation
4/2002, 34-59.
[30] Abgedruckt in: RECHT
DER MEDIZIN 2001, 29ff.
[31] Bundesministerium für
Justiz (Hg),
Fortpflanzungsmedizin –
Ethik und Rechtspolitik,
2000.
[32] www.virgil.at/de/
bildungszentrum/
1044556130/1075385427/.
Nr. 3 | 3. Jahrgang 2004 |
187
쑺 Bioethik
[33] Bundesministerium für
Justiz (Hg), Entwurf
Fortpflanzungsmedizingesetz-Novelle 2004, FMedGNov 2004, JMZ 3.509/614I.1/2003; siehe im Detail
zum gesamten
Begutachtungsverfahren:
www.parlament.gv.at/
portal page?_pageid=
908,642862&_dad=
portal&_schema=PORTAL.
[34] Profil Nr. 31/2004.
188
| Nr. 3 | 3. Jahrgang 2004
einschlägigen Fragen, die sich aus der In-Vitro-Fertilisation ergeben und die vom reproduktiven Klonen bis zur Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen reichen. Im
Kapitel 6 werden sehr umfassend die ethischen Aspekte der Präimplantationsdiagnostik – insbesondere der Zusammenhang mit
der pränatalen Diagnostik und die Argumente sowohl der Kritiker als auch der Befürworter – dargestellt. Die Schlußfolgerungen sind
aber sehr zurückhaltend, auch wenn die PID
nicht kategorisch abgelehnt wird. Es wird vor
allem bezweifelt, daß sich die PID in der Praxis
legistisch auf wenige Indikationen eingrenzen
lasse.
In einem Konsensuspapier der Österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin
und Endokrinologie (Stand: 26. November
2000) mit rechtspolitischen Vorschlägen zur
Änderung des FMedG [30] werden Beschränkungen des geltenden Rechts kritisiert und
vorgeschlagen, es dem Forscher und/oder dem
Arzt unter näher auszuführenden Auflagen
zu gestatten, in-vitro-Embryonen bis zur Entwicklung des sogenannten primitive streak
zu untersuchen (beispielsweise für Zwecke
einer Präimplantationsdiagnostik).
In den vergangenen Jahren ist die PID im
Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen thematisiert worden, unter anderem bereits im
November 2000 in einer von den zuständigen
Ministerien veranstalteten Enquête zu ethischen und rechtspolitischen Fragen der Fortpflanzungsmedizin [31] oder im Januar 2004
in einer Veranstaltung „Ethik:Rat öffentlich:
Akte XY – Zur Diskussion um die genetische
Frühdiagnostik“ in Salzburg [32]. Auch haben
sich zwei im Rahmen des österreichischen
GEN-AU-Programmes durchgeführte Diskurstage – im Oktober 2002 und im Juni 2004 –
unter anderem mit diesem Thema beschäftigt.
Präimplantationsdiagnostik … noch fortgeführt werden (muß)“, wobei auch die Entwicklung in anderen Staaten zu beobachten sein
werde [33]. Justizministerin Karin Miklautsch
(FPÖ) hat in einem Interview – angesprochen
unter anderem auf die PID – betont, das seien
„wirklich heikle und politische Fragen“, über
welche – hier sei sie sich ganz sicher – die
Debatte geführt werde. [34] Ob beziehungsweise in welcher Form das Thema in eine künftige Novellierung des GTG Eingang findet,
kann derzeit nicht abgeschätzt werden. Mit
Ausnahme der angeführten Äußerungen liegen bislang keine Stellungnahmen der politischen Parteien zum Bericht vor.
Bei realistischer Betrachtung wird davon
auszugehen sein, daß die Bioethikkommission
mit ihrem Bericht zur PID einen bisherigen
Meinungsfindungsprozeß sehr sorgfältig aufgearbeitet und verdichtet hat und damit in
weiterer Folge einen Entscheidungsfindungsprozeß angestoßen und begonnen hat, der aber
noch Jahre dauern kann.
Ausblick
MagDr. Robert Gmeiner ist Leiter der
Geschäftsstelle der Bioethikkommission im
österreichischen Bundeskanzleramt. Sie berät den
Bundeskanzler in gesellschaftlichen,
naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen,
die sich auf dem Gebiet der Humanmedizin und
Humanbiologie aus ethischer Sicht ergeben.
Die PID wird jedenfalls nicht im heurigen Jahr
einer – wie immer gearteten – Regelung im
Rahmen der schon angesprochenen Novelle
2004 zum FMedG zugeführt werden. Das zuständige Justizministerium hat in den Erläuterungen zu dem im Februar 2004 ausgesandten
Entwurf ausdrücklich festgehalten, daß „die
Auseinandersetzung zu einer Reihe von Fragen, wie etwa jener nach der Zulässigkeit der
Kontakt:
Dr. Robert Gmeiner
Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt
Hohenstaufengasse 3
1010 Wien
Österreich
Tel. : ++43-1-53115-4319
Fax:
++43-1-53115-4307
eMail: [email protected]
ZEITSCHRIFT für BIOPOLITIK