Heimarbeit

Transcription

Heimarbeit
Internationale Arbeitskonferenz
82. Tagung 1995
Bericht V (1)
Heimarbeit
Fünfter Punkt der Tagesordnung
Internationales Arbeitsamt
Genf
ISBN 92-2-709417-2
ISSN 0251-4095
Erste Auflage 1994
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Die in Veröffentlichungen des IAA verwendeten, der Praxis der Vereinten Nationen entsprechenden Bezeichnungen sowie die Anordnung und Darstellung des Inhalts sind keinesfalls als
eine Meinungsäußerung des Internationalen Arbeitsamtes hinsichtlich der Rechtsstellung
irgendeines Landes, Gebietes oder Territoriums oder dessen Behörden oder hinsichtlich der
Grenzen eines solchen Landes oder Gebietes aufzufassen.
Die Nennung von Firmen und gewerblichen Erzeugnissen und Verfahren bedeutet nicht, daß das
Internationale Arbeitsamt sie billigt, und das Fehlen eines Hinweises auf eine bestimmte Firma
oder ein bestimmtes Erzeugnis oder Verfahren ist nicht als Mißbilligung aufzufassen.
Veröffentlichungen des IAA können bei größeren Buchhandlungen, den Zweigämtern des IAA in
zahlreichen Ländern oder direkt beim Internationalen Arbeitsamt, ILO Publications, CH-1211
Genf 22, Schweiz, bestellt werden. Diese Stelle versendet auch kostenlos Kataloge oder
Verzeichnisse neuer Veröffentlichungen.
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Gedruckt in der Schweiz
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INHALTSVERZEICHNIS
Seite
EINLEITUNG
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KAPITEL I: Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit
Defintion der Heimarbeit
Statistiken über Heimarbeit
Tendenzen in der Heimarbeit
Merkmale der Heimarbeiter
Die Art der von Heimarbeitern verrichteten Arbeit
KAPITEL Ü: Vor- und Nachteile der Heimarbeit
Vorteile für die Arbeitgeber
Möglichkeiten für die Arbeitnehmer
Vorteile für die Volkswirtschaft
Probleme und Fragen
KAPITEL UJ: Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
Innerstaatliche gesetzliche und sonstige Vorschriften
Kollektivverträge
KAPITEL IV: Standpunkte zur Heimarbeit
Standpunkte von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden
Auffassungen der Sachverständigentagung über den Sozialschutz der Heimarbeiter .
KAPITEL V: Aktionsprogrammeßr
Heimarbeiter
Informationskampagnen
Die gewerkschaftliche Organisation von Heimarbeitern
Hilfszentren und Netzwerke
Zukünftige Aussichten
KAPITEL VI: Die IAO und Heimarbeit
Forderungen nach Maßnahmen auf internationaler Ebene
Internationale Arbeitsnormen
Sammlung und Verbreitung von Informationen
Tagungen
Technische Zusammenarbeit
Fragebogen
ANHANG: Schlußfolgerungen der IAO-Sachverständigentagung über den sozialen Schutz
von Heimarbeitern (1990)
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EINLEITUNG
Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes beschloß auf seiner
258. Tagung (November 1993), die Frage der Heimarbeit auf die Tagesordnung
der 82. Tagung (1995) der Internationalen Arbeitskonferenz zu setzen.
Heimarbeiter stellen wegen ihres unzureichenden rechtlichen Schutzes, ihrer
Isolierung und ihrer schwachen Verhandlungsposition eine besonders verletzliche
ArbeitnehmerRategorie dar. Sie erhalten oft nicht einmal den Mindestlohn, haben
eine sehr lange Arbeitszeit, keine Beschäftigungssicherheit und keinen Einfluß
darauf, ob vertragliche Verpflichtungen eingehalten werden. Die meisten Heimarbeiter sind Frauen, die aufgrund familiärer Verpflichtungen oder mangelnder
Qualifikationen keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgehen können. Menschen, die an ihre Wohnung gebunden sind, bietet Heimarbeit die Möglichkeit,
eine Erwerbstätigkeit auszuüben. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit oder
Unterbeschäftigung ist die Heimarbeit oft die einzige Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen.
Die vorhandenen Arbeitsstatistiken enthalten keine verläßlichen Schätzungen
der weltweit mit Heimarbeit beschäftigten Arbeitnehmer. Eine Reihe von Erhebungen und Mikrostudien zeigen jedoch, daß es sich bei der Heimarbeit um ein
sehr weitverbreitetes Phänomen handelt, das in den letzten Jahren offensichtlich
zugenommen hat.
Der Versuch, den sozialen Schutz der Heimarbeiter zu verbessern, hat erhebliche Kontroversen ausgelöst. Kritiker verurteilen die Heimarbeit als eine Praxis,
die auf Dauer zu minderwertigen oder unregulierten Beschäftigungsbedingungen
führt, und treten für ein Verbot ein. Andere befürworten die Heimarbeit, da sie
flexibel ist und Erwerbsmöglichkeiten bietet, und sprechen sich gegen eine Regulierung aus. Die Herausforderung, vor der politische Entscheidungsträger stehen,
besteht darin, Wege zu finden, um den effektiven Schutz der Heimarbeiter zu
verbessern und mißbräuchliche Praktiken zu verhindern und gleichzeitig die wirtschaftlichen Vorteile für diejenigen zu wahren, die zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf Heimarbeit angewiesen sind.
1984 hat die Internationale Arbeitskonferenz in ihren Schlußfolgerungen über
zukünftige Maßnahmen im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Umwelt
besonderes Gewicht auf die Notwendigkeit gelegt, Konzepte auszuarbeiten, um
Heimarbeiter effektiver zu schützen. 1985 ersuchte die Konferenz den Verwaltungsrat des IAA in den Schlußfolgerungen im Anhang ihrer Entschließ JJ13 über
die Chancengleichheit und Gleichbehandlung für Männer und Frauen in der
Beschäftigung, die Heimarbeit als neuen Gegenstand für a:artige Normen •;: oing
in Erwägung zu ziehen. Die Konferenz forderte ferne: r c (AO im Jahr 1988 in
ihren Schlußfolgerungen über die Förderung der ländii.iiM Beschäftigung auf,
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Heimarbeit
Programme zur Dokumentierung und Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Heimarbeiter auszuarbeiten.
Entsprechend einem Beschluß, den der Verwaltungsrat auf seiner 244. Tagung (November 1989) gefaßt hatte, veranstaltete die IAO eine Sachverständigentagung über den sozialen Schutz der Heimarbeiter, die vom 1. bis 5. Oktober 1990 in Genf stattfand. Die Tagung diente nicht nur dazu, das Wesen, den
Umfang und die Probleme der Heimarbeit zu behandeln und die nationalen
Erfahrungen beim Schutz und bei der gewerkschaftlichen Organisierung der
Heimarbeiter zu untersuchen, sondern sie sollte auch Empfehlungen im Hinblick
auf Konzepte und Maßnahmen auf nationaler Ebene sowie bezüglich zukünftiger
Maßnahmen der IAO im Bereich der Heimarbeit, einschließlich der Möglichkeit
neuer internationaler Arbeitsnormen, erarbeiten. Der Bericht der Sachverständigentagung1 mit dem vom Amt ausgearbeiteten fachlichen Grundlagendokument,
der Zusammenfassung der Diskussion und den von den Sachverständigen angenommenen Schlußfolgerungen wurde veröffentlicht und an alle Mitgliedstaaten
verteilt.
Der vorliegende Bericht soll die Beratungen der Konferenz über Heimarbeit
unterstützen und Informationen liefern, die nützlich sein können, um den am
Schluß des Berichts wiedergegebenen Fragebogen zu beantworten.
In Kapitel I des Berichts werden die unterschiedlichen Kriterien für eine
Definition der Heimarbeit sowie ihr Umfang und ihre Hauptmerkmale untersucht. Diese Informationen sind für den Geltungsbereich der vorgeschlagenen
internationalen Normen von besonderer Bedeutung. Die Vor- und Nachteile der
Heimarbeit aus der Sicht der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der nationalen
Volkswirtschaften werden in Kapitel II dargestellt. Kapitel III enthält einen
Überblick über den rechtlichen Schutz der Heimarbeiter. Der Umfang und Geltungsbereich der vorhandenen innerstaatlichen Gesetzgebung werden analysiert,
und es werden Lücken und Unklarheiten aufgezeigt. Besondere Aufmerksamkeit
wird den Grundprinzipien des Schutzes geschenkt, die bei der Normensetzung
berücksichtigt werden müßten. In Kapitel IV werden einige Einstellungen der
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zur Heimarbeit und die auf der
Sachverständigentagung zum Ausdruck gebrachten Auffassungen zusammengefaßt, während in Kapitel V verschiedene Aktionsprogramme beschrieben und
beurteilt werden, mit denen die Situation der Heimarbeiter verbessert worden ist.
Kapitel VI enthält Informationen über bereits früher von der IAO in Anbetracht
der zunehmenden internationalen Sorge durchgeführte Maßnahmen im Bereich
der Heimarbeit und untersucht die Bedeutung vorhandener internationaler Normen, der technischen Zusammenarbeit und der Schlußfolgerungen der Sachverständigentagung der IAO. Diese Schlußfolgerungen werden als Anhang zum
Bericht wiedergegeben.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß Mitgliedstaaten, deren Gesetzgebung und Praxis mit den wesentlichen Bestimmungen einer internationalen
Urkunde im Einklang stehen, dennoch manchmal nicht in der Lage sind, diese
Urkunde in aller Form zu ratifizieren oder anzunehmen, weil zwischen dem
genauen Wortlaut der Bestimmungen der Urkunde einerseits und der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis andererseits nur verhältnismäßig geringe
Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede können sich auf den Geltungsbereich
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Einleitung
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der Urkunde (der Geltungsbereich der einschlägigen innerstaatlichen Gesetzgebung stimmt vielleicht nicht vollständig mit dem der Urkunde überein) oder auf
eine unterschiedliche Definition des Bereichs oder der Bereiche, für die sie gilt,
beziehen. Ferner können sich die Unterschiede auf Einzelheiten in der Anwendung der grundlegenden Prinzipien beziehen. Es ist natürlich wünschenswert,
Schwierigkeiten dieser Art schon bei der Ausarbeitung der Urkunde zu berücksichtigen, damit festgestellt wird, ob sie so flexibel gestaltet werden kann, daß
diese Schwierigkeiten ohne Beeinträchtigung ihrer materiellen Wirkung behoben
werden. Aus diesem Grund wurde in den Fragebogen eine Frage aufgenommen,
in der die Mitgliedstaaten ersucht werden, mögliche Besonderheiten ihrer Gesetzgebung oder Praxis im Zusammenhang mit dem behandelten Gegenstand anzugeben, die ihrer Ansicht nach zu Schwierigkeiten bei der Durchführung der in
diesem Bericht in Aussicht genommenen internationalen Urkunde führen könnten, und konkrete Vorschläge zu machen, wie diese Schwierigkeiten behoben
werden können.
Die Konferenz wird diese Frage nach dem Verfahren der zweimaligen Beratung behandeln, das in Artikel 10 der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats und
in Artikel 39 ihrer eigenen Geschäftsordnung vorgesehen ist. Das Amt hat den
vorliegenden Bericht in Übereinstimmung mit dem letztgenannten Artikel ausgearbeitet, damit er bei der ersten Beratung der Konferenz als Grundlage dienen
kann. Dieser Artikel sieht ferner vor, daß dieser Bericht den Regierungen
spätestens zwölf Monate vor der Eröffnung der 82. Tagung der Konferenz im
Jahr 1995 übermittelt werden muß. Damit das Amt genügend Zeit zur Prüfung
der Antworten auf den Fragebogen und zur Ausarbeitung des zweiten Berichts
hat, werden die Regierungen ersucht, ihre Antworten so rechtzeitig zu übermitteln, daß sie spätestens am 30. September 1994 beim Amt in Genf eintreffen,
da sie den zweiten Bericht spätestens vier Monate vor Eröffnung der Tagung
erhalten müssen.
In diesem Zusammenhang wird die Aufmerksamkeit der Regierungen auf
Artikel 39 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz
gelenkt, wo sie gebeten werden, „die maßgebenden Verbände der Arbeitgeber
und der Arbeitnehmer zu befragen, bevor sie ihre Antworten endgültig fertigstellen" . Die Ergebnisse dieser Befragung sollten in den Antworten der Regierungen zum Ausdruck kommen. Die Regierungen werden gebeten, in ihren Antworten anzugeben, welche Verbände befragt worden sind.
Anmerkung
' IAA: Social Protection ofHomeworkers— Dokumente der Sachverständigentagung über den
sozialen Schutz der Heimarbeiter (Genf, 1990 — MEHW/1990/7).
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KAPITEL I
DEFINITON, UMFANG UND HAUPTMERKMALE
DER HEIMARBEIT
DEFINITION DER HEIMARBEIT
Unter Heimarbeit versteht man normalerweise die Herstellung von Waren
oder die Erbringung von Dienstleistungen für einen Arbeitgeber oder Auftraggeber gemäß einer Vereinbarung, wonach die Arbeit an einer vom Arbeitnehmer selbst gewählten Arbeitsstätte, bei der es sich oft um die eigene Wohnung des Arbeitnehmers handelt, durchgeführt wird. Normalerweise wird die
Arbeit nicht unter der direkten Aufsicht des Arbeitgebers oder Auftraggebers
durchgeführt. Diese Definition der Heimarbeit umfaßt nicht die Herstellung von
Waren, die lediglich für den persönlichen oder den Familienverbrauch bestimmt
sind, und umfaßt auch nicht Heimarbeit, die mit einer direkten Beziehung zwischen dem Hersteller und dem Endverbraucher verbunden ist.
Ein wichtiges Kriterium bei der Definition der Heimarbeit ist die Arbeitsstätte, die außerhalb des Betriebs des Arbeitgebers liegt. Heimarbeit kann auch
in benachbarten Werk- oder Arbeitsstätten oder an anderen Orten durchgeführt
werden, wo verschiedene Heimarbeiter zusammenarbeiten, die jedoch nicht dem
Arbeitgeber gehören.
Das Eigentum an den Werkzeugen und die Versorgung mit Material sind
keine wichtigen Kriterien, da hier viele verschiedene Praktiken existieren.
Manchmal sind die Heimarbeiter Eigentümer ihrer Werkzeuge, während in anderen Fällen der Arbeitgeber die Werkzeuge leihweise oder auf der Grundlage
eines Mietkaufs überläßt. In der Regel erhalten die Heimarbeiter das Rohmaterial vom Arbeitgeber, es kommt jedoch auch vor, daß sie es auf dem Markt
oder vom Arbeitgeber oder Auftraggeber kaufen und ihm das Fertig- oder Halbfertigprodukt zurückverkaufen.
Das wichtigste Kriterium, das Heimarbeit von anderen Arten der wirtschaftlichen Tätigkeit im eigenen Heim unterscheidet, ist die auf einer bezahlten
Beschäftigung beruhende Beziehung zwischen Heimarbeiter und Arbeitgeber,
Auftraggeber, Agent oder Vermittler. Diese Beziehung kann durch einen schriftlichen oder mündlichen Vertrag oder durch eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Vereinbarung hergestellt werden. Hier bestehen unterschiedliche
Praktiken, die manchmal in der innerstaatlichen Gesetzgebung festgelegt werden
(siehe Kapitel III).
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Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit
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Oft ist es schwierig, eine klare Unterscheidung zwischen Heimarbeitern und
unabhängigen (selbständig) Erwerbstätigen zu treffen. Viele der zu Hause Arbeitenden werden möglicherweise zu den selbständig Erwerbstätigen gezählt, sie
rechnen sich vermutlich selbst dieser Kategorie zu, tatsächlich sind sie jedoch
nichts anderes als Lohnempfänger, die nicht ohne weiteres als solche zu erkennen sind1. Der Heimarbeitern im Rahmen der Arbeitsgesetzgebung gewährte
Schutz ist oft davon abhängig, ob eindeutig feststeht, daß sie abhängig
beschäftigt sind bzw. daß sie Lohnempfänger sind.
Es gibt einige grundlegende Merkmale, die Lohnempfänger von selbständig
Erwerbstätigen unterscheiden. Während die Lohnempfänger für ihre Arbeit
bezahlt werden, stellen die Einkünfte der selbständig Erwerbstätigen den Ertrag
aus Kapital, Arbeitsleistung, unternehmerischem Können sowie Risikobereitschaft dar. Im Gegensatz zu einem Lohnempfänger ist der selbständig Erwerbstätige weitgehend unabhängig, er ist verantwortlich für eine Reihe wirtschaftlicher und finanzieller Entscheidungen und trägt einen großen Teil des wirtschaftlichen Risikos. Viele selbständig Erwerbstätige, vor allem in den Entwicklungsländern, wirtschaften jedoch am Rande des Existenzminimums, und es
ist möglich, daß sie in bezug auf ihre Arbeitsstätte von anderen abhängig sind
oder daß ihre Arbeit vom Eigentümer der Arbeitsstätte oder von Kreditgebern
oder Rohstofflieferanten kontrolliert wird. In derartigen Fällen ist die Unterscheidung nicht immer klar2.
Zwar ist es relativ einfach, die Kriterien zur Definition von Heimarbeit zu
umreißen, in der Praxis ist es jedoch viel schwieriger, Heimarbeit von anderen
Formen der Wirtschaftstätigkeit abzugrenzen oder bestimmte Arten von Heimarbeitern von anderen Arbeitnehmerkategorien zu unterscheiden. Besonders
schwer einzuordnende Fälle sind etwa Heimarbeiter, die Arbeiten an andere
Heimarbeiter vergeben und neben der Rolle des Unterauftragnehmers oder
Unternehmers selbst Heimarbeit verrichten; unbezahlt mithelfende Familienarbeitskräfte, die Heimarbeiter unterstützen, aber in keiner Beziehung zum
Arbeitgeber stehen; Heimarbeiter, die für eine Produktionsgenossenschaft
arbeiten, der sie angehören, und Heimarbeiter, die sich zu einer Vereinigung
zusammengeschlossen haben, um ihre Verhandlungsposition zu stärken und
Mittelsmänner auszuschalten.
Auf nationaler Ebene werden hinsichtlich der Rechtsstellung der Heimarbeiter unterschiedliche Ansätze verfolgt. Zwar gibt es in einigen Ländern
Rechtsvorschriften, die ein Beschäftigungsverhältnis voraussetzen, die Beschäftigungsbedingungen der Heimarbeiter und ihre Rechte als Arbeitnehmer werden
jedoch nur in sehr wenigen Ländern festgelegt. Meistens wird diese Frage in der
innerstaatlichen Gesetzgebung ausgeklammert oder nicht klar geregelt (siehe
Kapitel III).
STATISTIKEN ÜBER HEIMARBEIT
Zwar gibt es zahlreiche Studien, aus denen hervorgeht, wie Heimarbeit in
verschiedenen Ländern und Industriezweigen organisiert wird, diese Studien
stellen jedoch keine verläßliche Grundlage für eine Schätzung der Gesamtzahl
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der Heimarbeiter dar. Verläßliche Schätzungen können sich lediglich auf Daten
stützen, die auf Bevölkerungszählungen oder einer repräsentativen Haushaltsstichprobe beruhen, da weder in den Verwaltungsunterlagen der Arbeitsaufsichtsdienste noch in Betriebserhebungen alle Unternehmen erfaßt werden, die Heimarbeiter beschäftigen.
Bedauerlicherweise haben nur sehr wenige Länder versucht, die Zahl der
Heimarbeiter im Rahmen ihrer regelmäßig!.. Arbeitsmarkterhebungen oder
Volkszählungen zu erfassen. Möglich wäre dies, indem „Heimarbeiter" als
eigene Kategorie gekennzeichnet werden oder indem das Merkmal „Beschäftigter" anhand einer Frage nach dem Weg zur Arboit mit der Information verknüpft
wird, daß der Betreffende „zu Hause" arbeitet. Vim 1en 70 Ländern und Territorien, für die das Amt über Angaben verfüpt3, hatten bis 1990 lediglich sechs
(Algerien, Deutschland, Italien, Japan, MaroitKo und Hongkong) in ihrer regelmäßigen Arbeitsmarkterhebung die Möglichkeit zur Bestimmung dieser Arbeitnehmergruppe (oder einer ihr ziemlich ähnlichen Gruppe) vorgesehen. Nach den
vorliegenden Informationen ist jedoch zu erwarten, daß alle westeuropäischen
Länder sowie die Russische Föderation und die Ukraine Fragen über die Heimarbeit in ihre zukünftigen Arbeitsmarkterhebungen einbeziehen werden. Einige
andere Länder, wie z.B. Australien4 und das Vereinigte Königreich5, haben auf
Ad-hoc-Grundlage in Beilagen zu ihren regelmäßigen Erhebungen Angaben über
die Heimarbeit oder die zu Hause geleistete Arbeit veröffentlicht oder Sondererhebungen durchgeführt.
Aus den Angaben in den neuesten Volkszählungen geht hervor, daß eine
kleine Zahl von Ländern und Territorien in der Lage ist, aufgrund dieser Quelle
Schätzungen der Anzahl der Heimarbeiter vorzunehmen, entweder weil es sich
ausdrücklich um eine mögliche Antwort (z.B. Indien, Japan, Liechtenstein,
Schweiz und Hongkong) handelt oder weil von „Beschäftigten" die Rede ist, die
„zu Hause" arbeiten (z.B. Belize, Bermuda, Griechenland, Italien, Saint Lucia
und Singapur). Die Volkszählung von Cöte dTvoire umfaßt eine Kategorie mit
der Bezeichnung „Akkordarbeiter", während es in Marokko, Peru und Tunesien
eine Kategorie mit der Bezeichnung „selbständig erwerbstätig, zu Hause beschäftigt" gibt. Korrekt durchgeführt, liefern sowohl Volkszählungen als auch
Stichprobenerhebungen zur Erwerbstätigkeit Informationen über die Anzahl der
Heimarbeiter sowie über die Art der von ihnen durchgeführten Arbeiten, etwa
über die berufliche Tätigkeit und den Industriezweig sowie über ihre persönlichen Merkmale, wie Alter, Geschlecht und Bildungsniveau, was mit den Merkmalen anderer Beschäftigter verglichen werden kann. Indien hat in diesem
Bereich in seiner Volkszählung von 1991 besondere Bemühungen unternommen,
die Ergebnisse standen Mitte 1993 jedoch noch nicht zur Verfügung.
Die Tatsache, daß es keine internationalen statistischen Richtlinien zur
Definition der Heimarbeiter gibt, hat vermutlich die Zahl der Länder begrenzt,
die sich um eine regelmäßige Erhebung von Daten über diese Gruppe bemühen,
und hat internationale Vergleiche der vorhandenen Daten erschwert. Mit den
kürzlich angenommenen Änderungen der Internationalen Klassifikation der
Stellung im Erwerbsleben und des Systems volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen der Vereinten Nationen hat sich diese Situation verändert. Somit werden
vermutlich im Lauf der nächsten fünf bis zehn Jahre bessere Statistiken über
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Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit
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Anzahl und Merkmale der Heimarbeiter zur Verfügung stehen, sofern den nationalen statistischen Ämtern mitgeteilt wird, daß derartige Angaben erforderlich
sind6.
Die im Vereinigten Königreich (1981)5, in den Vereinigten Staaten (1985)7
und Australien (1989)4 durchgeführten besonderen Erhebungen verdeutlichen gut
die unterschiedlichen statistischen Grundlagen, auf denen sie beruhen, und die
Gefahren, die sich ergeben, wenn man versucht, sie zu Vergleichen heranzuziehen. Die Erhebung des Vereinigten Königreichs unterscheidet deutlich zwischen Personen, die zu Hause arbeiten, und Personen, die von ihrer Wohnung
aus arbeiten und diese als Ausgangsbasis für ihre Erwerbstätigkeit benutzen. So
gehören beispielsweise Verkäufer, selbständige Berater und Akademiker unterschiedlicher Art, freiberufliche Journalisten und Autoren zu denen, die von ihrer
Wohnung aus arbeiten. Die Erhebung schätzt die Gesamtzahl der Heimarbeiter
auf 658.250, von denen 229.790 (hauptsächlich Frauen) zu Hause arbeiten, während 400.810 (hauptsächlich Männer) ihre Wohnung als Ausgangsbasis der
Erwerbstätigkeit nutzen. Die Volkszählung der Vereinigten Staaten kennt diese
Unterscheidung nicht und nennt eine Gesamtzahl von fast 8,4 Millionen Menschen, die mindestens acht Stunden pro Woche zu Hause arbeiten und von denen
ein sehr großer Teil auf den Dienstleistungssektor entfällt. In der australischen
Erhebung gehörte fast die Hälfte der 241.500 Arbeitnehmer, die ihrer Hauptbeschäftigung zu Hause nachgingen, zum Dienstleistungssektor.
In einer 1987-88 vom Europarat in 15 Mitgliedstaaten durchgeführten Erhebung wurde die Zahl der Heimarbeiter aufgrund von Angaben aus verschiedenen
Quellen auf etwa 2,1 Millionen beziffert. Diese Angaben wurden als nicht
besonders präzise angesehen, außer vielleicht im Fall Deutschlands, der Schweiz
und des Vereinigten Königreichs; anderswo lagen nur Daten für gewerbliche
Heimarbeiter oder bestimmte Wirtschaftszweige vor. In Japan wurde die Zahl
der Heimarbeiter in der 1988 durchgeführten allgemeinen Erhebung über Heimarbeit auf 977.700 beziffert.
Über Art oder Umfang der Heimarbeit in Afrika liegen nur wenige Angaben
vor, obwohl bekannt ist, daß sie in Ägypten, Kenia, Marokko und Tunesien weit
verbreitet ist. Eine in Algerien im Juni 1989 durchgeführte Arbeitsmarkterhebung ermittelte 145.000 Heimarbeiter, was einem Anteil von 3,3 Prozent an
der Erwerbsbevölkerung entspricht10.
Auch in anderen Entwicklungsregionen gibt es Anzeichen dafür, daß Heimarbeit sehr verbreitet ist. In Indien" wurden 1981 in der Volkszählung rund
7,7 Millionen Personen als Hauptbeschäftigte in der „Haushaltsindustrie" erfaßt
(dazu gehören selbständige Handwerker und mithelfende Familienangehörige
sowie Heimarbeiter). Nach der Arbeitsstatistik waren allein 2,25 Millionen
Heimarbeiter als Bididreher (Zigarettendreher) tätig12.
In den achtziger Jahren bezifferten offizielle Quellen auf den Philippinen13
allein die Zahl der Heimarbeiter in der Bekleidungsindustrie auf 450.000 bis
500.000. Aufgrund von empirischen Angaben wird geschätzt, daß von den
17,5 Millionen Personen, die abhängig beschäftigt oder selbständig erwerbstätig
sind, 34,2 Prozent zu Hause arbeiten14. In Indonesien15 wurde bei einer Stichprobenerhebung im Raum Semarang in Zentraljava festgestellt, daß 21 Prozent
der Haushalte Heimarbeit verrichteten.
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Heimarbeit
Auch in Lateinamerika gibt es Anzeichen dafür, daß die Heimarbeit einen
wichtigen Beitrag zur Produktion vieler Industriezweige leistet, insbesondere der
Bekleidungsindustrie. In Argentinien16 stellte der Nationale Rat für Mindestlöhne
bereits 1965 fest, daß 55 Prozent der Fertigung der Bekleidungsindustrie direkt
von Heimarbeitern geleistet wurde, weitere 30 Prozent von Zwischenmeistern,
die Heimarbeiter beschäftigten, und lediglich 15 Prozent in Fabriken. In
Mexiko17 beschäftigten 5.000 Betriebe in der Bekleidungsindustrie Heimarbeiter,
deren Anteil an der Gesamtbeschäftigung sich auf 30 Prozent belief. Es gibt auch
eine große Zahl von Heimarbeitern in der Bekleidungsindustrie in Chile und
Kolumbien, während vom Arbeitsministerium in Peru18 geschätzt wurde, daß es
allein im Einzugsbereich von Lima 1987 215.326 Heimarbeiter gab, was
10,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung der Stadt entspricht.
Im großen und ganzen sind die verfügbaren Statistiken über Heimarbeiter
unzuverlässig und bruchstückhaft. Insgesamt lassen sie jedoch den Schluß zu,
daß Heimarbeit sowohl in Industrie- wie in Entwicklungsländern in großem
Umfang praktiziert wird. Der Hinweis ist angebracht, daß die tatsächliche
Situation in den Statistiken über Heimarbeit in der Regel unterschätzt wird.
Teilweise ist dies darauf zurückzuführen, daß es sich in großem Umfang um
Schwarzarbeit oder nicht angemeldete Arbeit handelt, und selbst dort, wo die
Arbeit nicht bewußt verheimlicht wird, ist die Registrierung unzureichend. In
den meisten Ländern gibt es bisher noch keine verläßlichen Mittel, um eine
unzureichende amtliche Erfassung zu korrigieren. Es ist daher durchaus möglich,
daß die über den Umfang der Heimarbeit verfügbaren Informationen nur die
Spitze des Eisbergs darstellen.
TENDENZEN IN DER HEIMARBEIT
Verschiedene Gründe stützen die Annahme, daß die Heimarbeit sowohl in
Industrie- wie in Entwicklungsländern zunimmt.
Viele Länder, insbesondere Industrieländer, benötigen in Anbetracht des
raschen technologischen und strukturellen Wandels und der offensichtlichen
Notwendigkeit von Veränderungen beim Einsatz der Erwerbstätigen mehr Flexibilität und Mobilität, um das Wachstum ihrer Wirtschaft, ihrer Produktivität und
ihrer Beschäftigung wieder anzukurbeln. In den Industrieländern war in den
letzten zehn bis fünfzehn Jahren ein Trend in Richtung auf weniger feste
Arbeitsverhältnisse zu beobachten. Anstelle einer regulären Vollzeitbeschäftigung
gehen immer mehr Menschen einer Teilzeitarbeit, einer temporären Beschäftigung oder anderen Formen der Gelegenheitsarbeit nach".
Die Zunahme der verschiedenen Formen von Gelegenheitsbeschäftigung kann
jedoch auch auf die Verschlechterung der Arbeitsmarktbedingungen in den letzten 15 Jahren zurückgeführt werden, die sich vor allem in hoher Arbeitslosigkeit
äußert, insbesondere in Westeuropa20 und in letzter Zeit auch in Osteuropa. In
Kanada geht aus einer neuen, im Juni 1993 von Statistics Canada veröffentlichten Studie hervor, daß sich die Anzahl der Einwohner des Großraums Toronto,
die von ihrer Wohnung aus arbeiten, zwischen 1981 und 1991 verdoppelt hat.
Bezogen auf ganz Kanada belief sich die Zunahme während desselben Zeitraums
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Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit
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auf 40 Prozent, und es wird davon ausgegangen, daß sich dieser Trend in den
nächsten fünf Jahren fortsetzen wird.
Das Interesse der Betriebe an flexibleren Formen der Beschäftigung kann
auch auf die sich verändernden betrieblichen Strukturen aufgrund des internationalen Wettbewerbs und der internationalen Integration zurückzuführen sein.
Das Modell der „flexiblen Firma" ist in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch. Bei diesem Modell verfolgen die Firmen die Strategie, daß sie eine feste
Gruppe von Stammarbeitnehmern und eine periphere Gruppe von Zeit- und
Gelegenheitsarbeitnehmern, externen Mitarbeitern und Unterauftragnehmern
beschäftigen. Diese periphere Arbeitnehmergruppe bildet eine Arbeitsreserve,
die es den Unternehmen ermöglicht, den Arbeitseinsatz rasch an Markterfordernisse anzupassen, ohne daß sie ständig die Kosten einer großen Belegschaft
tragen müssen, um Spitzen im Arbeitsanfall zu bewältigen21.
Hinzu kommt, daß viele Industriezweige wegen einer wachsenden Nachfrageunsicherheit immer mehr Gelegenheitsarbeiter beschäftigen.
In Anbetracht des immer größeren Drucks, die Wettbewerbsfähigkeit im
Handel aufrechtzuerhalten und die Arbeitskosten zu verringern, führen Unternehmen nicht nur strukturelle Veränderungen durch, sondern verlagern auch
immer mehr Arbeiten in Regionen mit einem reichlichen, oft weiblichen Arbeitskräftereservoir. Dies betrifft besonders die arbeitsintensiven Industriezweige. Ein
typisches Beispiel für diese Entwicklung ist die Bekleidungsindustrie, die stets
die größte Zahl von Heimarbeitern beschäftigt hat. Andere Industriezweige, etwa
die spitzentechnologische Fertigung und die Herstellung von Elektro-, Kunststoff- und Leichtmetallwaren, benötigen ebenfalls zahlreiche arbeitsintensive
Prozesse, die in separate bzw. autonome Aufgaben zerlegt werden können, die
unabhängig und in großer Entfernung durchgeführt werden können. Auch im
Dienstleistungssektor beginnen Unternehmen, Arbeiten in wirtschaftlich
schwache ländliche Gebiete oder in Länder zu verlagern, wo die Löhne niedriger
sind.
Diese Verlagerung der weltweiten Produktion und des Handels im Bereich
arbeitsintensiver Industriezweige in Niedriglohnwirtschaften hat Veränderungen
in der internationalen Arbeitsteilung bewirkt und dazu geführt, daß die Entwicklungsländer zu wichtigen Akteuren auf dem internationalen Arbeitsmarkt
geworden sind. Der internationalen Untervertragsvergabe kommt bei dieser
Entwicklung eine wichtige Rolle zu. So werden beispielsweise in der Bekleidungsindustrie die Entwürfe, Schnitte und Stoffe oft von multinationalen Unternehmen an Herstellerfirmen in Entwicklungsländern geliefert, die in erheblichem
Umfang Heimarbeit nutzen. Die Herstellung von Bekleidungsartikeln ist zu einer
wirklich internationalen Tätigkeit geworden, die einen erheblichen Einfluß auf
die Beschäftigung in den verschiedenen Ländern ausübt, wobei die Beschäftigung
im Bekleidungssektor in den Entwicklungsländern zunimmt und in den Industrioländern mit Marktwirtschaft abnimmt22.
Wenn die technologische Entwicklung des Industriezweigs eine deranigc
Dezentralisierung des Produktionsprozesses zuläßt, ist es sehr wahrscheinlich,
daß ein großer Teil der Arbeit an Subunternehmen vergeben wird. Eine kürzlich
in Malaysia durchgeführte Umfrage bei 3.000 Fertigungsbetrieben kam zu dem
Ergebnis, daß über ein Drittel aller Elektronik-, Textil- und Bekleidungsfirmen
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einen Teil der Fertigungstätigkeiten an Subunternehmen vergeben. Interessanterweise stellte sich heraus, daß die Auftragsvergabe an Subunternehmen um so
häufiger war, je größer das betreffende Unternehmen war23.
Mit diesem Trend der wachsenden Arbeitsflexibilität ist eine zunehmende
Feminisierung der Erwerbsbevölkerung verbunden. Die Erwerbsquote der
Frauen hat in den meisten Ländern rasch zugenommen und sich in einigen Ländern der der Männer angenähert24. Das Wachstum der weiblichen Beschäftigung
war jedoch besonders stark im Bereich der Gelegenheitsarbeit. Es wurden zwar
bereits einige Fortschritte erzielt, Frauen nehmen jedoch im allgemeinen nach
wie vor auf dem Arbeitsmarkt eine untergeordnete Position ein, was ihre Löhne
und die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen betrifft. Dies führt zu ernsten
Problemen insbesondere für Frauen, die den größten Teil des Familieneinkommens erwirtschaften. In Anbetracht der Schwierigkeiten vieler Frauen, eine feste
Stelle zu finden, stellt die Heimarbeit eine wichtige — und manchmal die einzige
— Möglichkeit zur Erzielung eines Einkommens dar.
Die Heimarbeit ist aufgrund ihres Wesens weitgehend „unsichtbar" und wird
daher oft in Makrodaten nicht erfaßt. In Mikrostudien wurde festgestellt, daß die
Heimarbeit in letzter Zeit zugenommen hat. Teilweise könnte dies auf grundsatzpolitisch bedingte Veränderungen in der Struktur der Wirtschaft zurückzuführen
sein.
So haben landwirtschaftliche Politiken beispielsweise manchmal zu einer
Zunahme der grundbesitzlosen Armen geführt, die sich während der Saison nach
landwirtschaftlichen Arbeiten und in der Nebensaison nach anderen Hilfstätigkeiten umsehen. Selbst in „traditionellen" ländlichen Haushalten müssen
Frauen immer öfter das Familieneinkommen durch Heimarbeit aufbessern. In
Asien und Lateinamerika durchgeführte Fallstudien lassen den Schluß zu, daß
ein enger Zusammenhang besteht zwischen Heimarbeit und wachsender Armut
und Grundbesitzlosigkeit unter der Landbevölkerung25.
Auf den Philippinen und in Sri Lanka haben die Bemühungen um eine Ausweitung der Ausfuhren-von handwerklich hergestellten Artikeln in Verbindung
mit dem großen Angebot an Heimarbeitern, die ihre Arbeitskraft günstig
anbieten, zu einer erheblichen Zunahme der nach Stücklohn bezahlten Heimarbeit geführt26.
In vielen Entwicklungsländern Lateinamerikas haben das rasche Bevölkerungswachstum und massive Wanderungsbewegungen von ländlichen in städtische Gebiete zu einer Verlagerung von Arbeitskräften von der Landwirtschaft
in die informellen Fertigungs- und Dienstleistungssektoren geführt. Diese
Entwicklung, die durch die erdrückende Schuldenlast, die galoppierende Inflation
und die ständig steigende Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren noch zusätzlich
geschürt wird, hat viele arme Haushalte gezwungen, unterschiedliche Überlebensstrategien anzuwenden, darunter auch Heimarbeit. Da diese Haushalte
nicht wie der formelle Sektor durch Lohnindexierungssysteme geschützt werden,
mußten sie inmitten wachsender Armut ihr Überleben sichern. In letzter Zeit war
in diesen Ländern zudem ein rasches Wachstum der Schattenwirtschaft zu beobachten, und die armen Bevölkerungsschichten sind gezwungen, den verschiedensten informellen Tätigkeiten und Schwarzarbeiten nachzugehen, die oft am
besten in der eigenen Wohnung verrichtet werden.
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Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit
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Auch der technologische Wandel beeinflußt die Art und Weise, wie sich die
Heimarbeit in Zukunft entwickeln wird. Insbesondere die Telearbeit dürfte an
Bedeutung gewinnen. Sie hat sich zwar nicht so rasch entwickelt, wie ursprünglich angenommen, mit ihr muß jedoch gerechnet werden, da sie zweifellos
zunehmen wird. Die Telearbeit sollte jedoch nicht von den schwierigen Fragen
und Problemen ablenken, die sich im Zusammenhang mit den üblicheren und
traditionelleren Formen der Heimarbeit stellen.
MERKMALE DER HEIMARBEITER
Aus vielen Erhebungen geht hervor, daß Frauen einen sehr hohen Anteil der
Heimarbeiter stellen. Die folgenden Zahlen machen dies deutlich27. In Europa
liegt der Frauenanteil unter Heimarbeitern bei 90 bis 95 Prozent in Deutschland,
Griechenland, Irland, Italien und den Niederlanden, bei 84 Prozent in Frankreich, bei 75 Prozent in Spanien und bei 70 Prozent im Vereinigten Königreich.
Es handelt sich vorwiegend um verheiratete Frauen mit Kindern im Durchschnittsalter von 25 bis 45 Jahren (d.h. die Jahre, in denen in den Industrieländern Kinder ausgetragen bzw. aufgezogen werden). In Japan waren 93,5 Prozent
der Heimarbeiter in der 1988 durchgeführten Erhebung Frauen, und in der
australischen Bekleidungsindustrie sind 95 Prozent der Beschäftigten Frauen
(mehrheitlich Einwanderinnen).
In einer Reihe von Industrieländern konzentriert sich die Heimarbeit auf die
traditionellen Industriegebiete und die großen städtischen Ballungszentren, wo
eine große Anzahl neuer (und oft illegaler) Einwanderer und ethnische Minderheiten leben. Oft können die Frauen aufgrund rassischer Diskriminierung,
schlechter Sprachkenntnisse und einer mangelhaften formalen Ausbildung keine
konventionelle Beschäftigung aufnehmen; viele ziehen es vor, anonym zu bleiben
und zu Hause zu arbeiten. Dieses Phänomen zeigt sich deutlich in bestimmten
Stadtteilen vieler städtischer Zentren in Europa und Nordamerika.
Auch in den Entwicklungsländern stellen die Frauen die große Mehrheit der
Heimarbeiter, etwa in der brasilianischen Bekleidungsindustrie und unter den
2,25 Millionen Bididrehern (Zigarettendreher) in Indien, von denen fast 90 Prozent Frauen sind. In einer in Algerien im Jahr 1991 veröffentlichten Studie
waren fast 97 Prozent der Heimarbeiter Frauen, von denen die meisten mit Näharbeiten (39 Prozent), der Teppichherstellung (19 Prozent) und mit Strickarbeiten
(13 Prozent) beschäftigt waren28.
In der industriellen Heimarbeit übernehmen Männer oft die Rolle von Subunternehmern oder Zwischenmeistern oder sie verrichten Nebenaufgaben wie die
Sammlung und Auslieferung von Material und Fertigwaren. Es kommt selten
vor, daß sie selbst zu Hause arbeiten oder die Frauen unterstützen. In einigen
Ländern gibt es jedoch Berufe, oft qualifizierter oder handwerklicher Art, die
von Männern ausgeübt werden. So wird beispielsweise in Indien in Familien, die
Handweberei betreiben, die vorbereitende Arbeit von Frauen und Kindern
erledigt, während die Männer das eigentliche Weben übernehmen.
Körperlich oder geistig Behinderte sind eine andere Kategorie von Arbeitnehmern, die vielfach von Heimarbeit abhängig sind, um ein Einkommen zu erzie3012-5.G94
12
Heimarbeit
len. In einigen Ländern wird ihnen in der Gesetzgebung über Heimarbeit eine
Vorzugsbehandlung eingeräumt. Insbesondere in osteuropäischen Ländern haben
sie sich oft in Genossenschaften zusammengeschlossen. In Polen sind über eine
Viertelmillion Heimarbeiter Mitglieder der Genossenschaftsbewegung der Körperbehinderten. Verschiedene andere Länder (z.B. Belgien, Frankreich und die
Vereinigten Staaten) haben geschützte Werkstätten für behinderte Heimarbeiter
eingerichtet, um ihrer Isolierung entgegenzuwirken und die Verteilung der Arbeit
zu erleichtern. Staatliche Programme zur Unterstützung der Behinderten gibt es
in vielen Ländern, wo mit Hilfe von Ausbildungsprogrammen versucht wird, sie
für hochspezialisierte oder auch hochrangige Positionen zu qualifizieren.
Es kommt oft vor, daß Heimarbeiter andere Familienangehörige um Mithilfe
bitten, insbesondere um bei starkem Arbeitsanfall Termine einzuhalten. In der
Regel handelt es sich dabei um Kinder, auch in Industrieländern, wo bekannt ist,
daß im Schutz der eigenen vier Wände in erheblichem Umfang illegale Heimarbeit von Kindern verrichtet wird. Ebenso ist bekannt, daß in den Entwicklungsländern Kinder einen bedeutenden Anteil der Erwerbstätigen im Bereich der
Heimarbeit stellen. Dies ist ein Problem, das ausführlicher in Kapitel II
behandelt wird.
DIE ART DER VON HEIMARBEITERN VERRICHTETEN ARBEIT
In den meisten Ländern dominiert nach wie vor die industrielle Heimarbeit,
unabhängig davon, ob es sich um Industrie- oder Entwicklungsländer handelt.
Die Palette der Tätigkeiten und Produkte ist sehr groß. Bekleidung, Textilien,
Wand- und Bodenteppiche sowie bestimmte Arten der Lederverarbeitung (z.B.
Schuhe) sind Industriezweige, in denen in Europa, Südostasien, Nordamerika
und Lateinamerika traditionell Heimarbeit verrichtet wird. Die erforderliche
Ausstattung ist minimal, und in vielen Fällen werden die Werkzeuge oder
Maschinen nicht elektrisch betrieben; die Arbeit ist arbeitsintensiv, und sie kann
zerlegt und auf Stücklohngrundlage verteilt werden. Im allgemeinen benötigt der
Heimarbeiter einfache Fertigkeiten und eine gewisse manuelle Geschicklichkeit.
In vielen Fällen erweitert sich jedoch das Spektrum der zu Hause durchgeführten
Tätigkeiten. Nebenarbeiten wie Sortieren, Reinigen, Verpacken und Etikettieren
sind arbeitsintensiv und daher für Heimarbeit geeignet.
In Deutschland werden die Heimarbeiter unter 13 verschiedenen Industriezweigen aufgeführt: die größte Anzahl wird in der Eisen-, Metall-, Elektronikund optischen Industrie beschäftigt, gefolgt von den Bereichen Bekleidung,
Chemie und kunststoffverarbeitende Industrie sowie Papier- und Pappeverarbeitung29. Ec sollte jedoch daraufhingewiesen werden, daß die Heimarbeiter bei der
Erstellung von Statistiken unabhängig von ihrer genauen Tätigkeit in der industriellen Kategorie des Endprodukts angeführt werden. So ist es beispielsweise
w-niig w, brscheinlich, daß zahlreiche Heimarbeiter chemische Arbeiten zu Hause
dun hiük, <•>.. In Japan, wo die Auftragsvergabe an Subunternehmen sehr häufig
ist, gehöif ii das Spulenwickeln oder das Löten von Radio- oder Fernsehteilen zu
den Tätigkeiten, die in Heimarbeit ausgeführt werden.
3012-5.G94
Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit
13
In Lateinamerika ist eine Form der Heimarbeit sehr verbreitet, die als
maquila (Zusammensetzung) bezeichnet wird, wobei die Arbeit (z.B. die Herstellung eines Kleidungsstücks) in verschiedene Bestandteile zerlegt wird, die
von verschiedenen Heimarbeitern übernommen werden und anschließend zum
Endprodukt zusammengefügt werden. Auch die Montage von Teilen für Automobile wird in Teilen Lateinamerikas auf diesem Weg bewerkstelligt.
Abgesehen von der Bekleidungsindustrie gibt es in Indien viele andere traditionelle Industriezweige, die Heimarbeit nutzen. Einige widmen sich der
Zubereitung von Speisen, etwa dem Rollen von patad (Teig), der Herstellung
von Bidi (Zigaretten) und agarbatti (Räucherstäbchen) sowie der Montage von
Elektro- und Elektronikerzeugnissen.
Im Dienstleistungssektor nimmt die Heimarbeit immer mehr zu. In vielen
Industrieländern, wo die Heimarbeit in den letzten zehn Jahren stagnierte oder
sogar rückläufig war, nimmt sie jetzt in Anbetracht der Stärkung des Dienstleistungssektors wieder zu. Vieles spricht dafür, daß in Ländern wie Frankreich,
dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten die Anzahl derjenigen,
die im Dienstleistungssektor zu Hause arbeiten, weit höher liegt als die der
manuellen Heimarbeiter.
Ein großer Teil dieser Arbeit entfällt auf Büroarbeiten: Schreibmaschineschreiben, Text- und Datenverarbeitung, das Schreiben von Rechnungen sowie
Redigieren und Übersetzen. Darüber hinaus gibt es einfache Aufgaben, etwa
Adressieren von Briefumschlägen und Kuvertieren, Werbesendungen vorbereiten
usw. Eher traditionelle Tätigkeiten umfassen Wäschereinigung, Frisieren,
Lebensmittelzubereitung und Kinderbetreuung.
Am anderen Ende der beruflichen Skala befindet sich die Telearbeit, bei der
die Arbeit zu Hause an einem PC oder einem Bildschirm erledigt wird, der mit
dem Zentralcomputer des Betriebs verbunden ist. Ein Teil der Telearbeit ist
jedoch eine moderne Form der Büroarbeit (z.B. Text- und Datenverarbeitung),
die von Industrieländern an Entwicklungsländer vergeben werden kann, wo die
Arbeits- und sonstigen Kosten niedriger sind.
Insbesondere in den Entwicklungsländern können auch eine Reihe von Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Sektor als Heimarbeit bezeichnet werden: Baumwollentkernung, Reisschälen, Tabakschneiden, Erbsenschälen, Nüsseknacken,
das Dreschen von Jute usw. In einigen Fällen übernehmen Heimarbeiter sogar
die Aufzucht von Vieh und Geflügel und geben die Tiere an den Besitzer zurück,
wenn sie eine marktfähige Größe erreicht haben. Für diese Art von Arbeit werden Heimarbeiter in der Regel in Naturalien bezahlt.
Die Fischindustrie ist ein weiterer Sektor, wo bestimmte Arten arbeitsintensiver Arbeiten an Heimarbeiter vergeben werden. Das Schälen von Garnelen ist
eine typische Heimarbeit in vielen asiatischen Ländern, aber auch in den Niederlanden werden viele Heimarbeiter damit beschäftigt. Darüber hinaus wird das
Reinigen und Verpacken von anderen Sorten von Fisch oft von Heimarbeitern
übernommen.
3012-5.G94
14
Heimarbeit
Anmerkungen
1
Zur Vertiefung dieses Problems siehe IAA: Report of the Conference, 15. Internationale
Konferenz der Arbeitsstatistiker, Genf, 1993, resolution concerning the International Classification
of Status in Employment, S. 65-72; ebd., Revision ofthe International Classification of Status in
Employment, Bericht IV; und IAA: Revision of the International Classification of Status in
Employment, Bericht n, Sachverständigentagung über Arbeitsstatistiken, Genf, 1992.
2
IAA: Die Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit, Bericht VII, Internationale
Arbeitskonferenz, 77. Tagung, 1990 (Genf, 1990), S. 2.
3
IAA: Statistical sources and methods, Bd. 3: Economically active population, employment,
unemployment and hours of work (household surveys) (Genf, 1990).
* W. McLennan: Persons employed at home, Australia, Apr. 1989, (Canberra, Australian
Bureau of Statistics, 1989; Katalog Nr. 6275.0).
5
C. Hakim: „Homeworking in Britain: Key Undings from the national survey of home-based
workers", in Employment Gazette (London, HMSO), Febr. 1987.
6
Siehe IAA, Report of the Conference, a.a.O., und Kapitel IV, „Institutional sectors and
units", in Vereinte Nationen: Revised System of National Accounts, Abschn. G.3 (ST/ESA/SER.F/2/Rev.4).
7
F.W. Horvath: „Work at home: New findings from the current population survey", in
Monthly Labor Review (Washington, D.C., Bureau of Labor Statistics), Nov. 1986.
8
Europarat: The protection ofpersons working at home, Report prepared by the Study Group
ofthe 1987/88 Co-ordinated Social Research Programme (Straßburg, 1989), S. 8-9.
9
Management and Co-ordination Agency: Laborforce survey.
10
Direction des statistiques sociales: Enquete main-d'oeuvre 1989 (Algier, ONS, 1991).
" Census of India 1981, Series 1: India, Part-iI-Special: zitiert bei H. Dholakia: „On
Estimating Home Workers in India", in B.B. Patel (Hrsg.): Problems of home-based workers in
India (Gandhi Labour Institute, Ahmedabad, 1989), S. 33-51.
12
E. Bhatt: „The invisibility of home-based work: The case of piece-rate workers in India",
inA.M. SinghundA. Kelles-Viitanen(Hrsg.): Invisiblehands: Women in home-basedproduction
(Neu-Delhi, Sage Publications, 1987), S. 29.
13
IAA: HomeworkersofSoutheastAsia — The strugglefor social protection in the Philippines
(Bangkok, 1992), S. 2.
14
IAA: From the shadows to the fore — Practical actions for the social protection of
homeworkers in Philippines (Bangkok, IAA, 1993).
15
H. Wijaya: „Home-based workers in Indonesia: A short note", auf dem AhmedabadWorkshop vorgestelltes Papier, Apr. 1989 (Malang, Indonesien, The Rural Development
Foundation; hektographiert).
16
B. Schmukle: „Relaciones actuales de producciön en industrias tradicionales argentinas",
zitiert bei J.C. Neffa: Condiciones y medio ambiente de trabajo de los trabajadores a domicilio
en Argentina (Genf, IAA, 1987; hektographiert).
17
IAA: Contract labour in the clothing industry, Bericht n, Zweite Dreigliedrige Fachtagung
für die Bekleidungsindustrie, Genf, 1980, S. 21-22.
" Asociaciön laboral para el desarrollo (ADEC, ATC): Trabajo a domicilio — Peru (Lima,
1989; hektographiert).
" IAA: World employment review (Genf, Weltbeschäftigungsprogramm, 1988).
20
G. und I. Rodgers (Hrsg): Precarious Jobs in labour market regulation: The growth of
atypical employment in Western Europe (Genf, Internationales Institut für Arbeitsfragen, IAA,
1989, S. 9.
21
G. und J. Rodgers, a.a.O., S. 10.
22
IAA: General report, Bericht I, Zweite Dreigliedrige Fachtagung für die Bekleidungsindustrie, Genf, 1980.
23
G. Standing: Growth of extemal labour flexibility in a nascent NIC: Malaysian Labour
Flexibility Survey (MFLS), WEP Research Working Paper No. 35 (Genf, IAA, 1989).
24
G. Standing: Global feminisation through flexible labour, Labour Market Analysis and
Employment Planning, Working Paper No. 31 (Genf, IAA, 1989).
3012-5.G94
Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit
25
15
Siehe beispielsweise R. Pineda-Ofreneo: „Philippine domesticoutwork: Subcontracting for
export-orientated industries", in J.G. Taylor und A. Turton (Hrsg): Sociology of developing
societies: South-east Asia (Macmillan, 1988), S. 158-164; und Chulalongkorn University Social
Research Institute: Thailand rural women homeworkers, auf der IAO-Fachtagung für ländliche
Heimarbeiterinnen vorgelegter Bericht, Bangkok, Juni 1989, S. 1-9.
26
Siehe beispielsweise V. Miraiao: „Labour conditions in the Philippine craft industries", in
S. Kathuria, V. Miraiao und R. Joseph (Hrsg): Artisan industries in Asia: Four case studies
(IRDC, Kanada, 1988); Centre for Women's Research: Subcontracting in industry — Impact on
women (Colombo, 1989); und S. Mukhopadhy: Urban labour markets in India, Labour Analysis
and Employment Planning, Working Paper No. 32 (Genf, IAA, 1989).
27
Nähere Einzelheiten in IAA: Conditions ofWork Digest — Home work, Bd. 8, Nr. 2 (Genf,
1989), S. 7-9.
a
Direction des statistiques sociales, Enquete main-d'oeuvre 1989, a.a.O., S. 137.
25
Bundesarbeitsblatt (Bonn), Nr. 3, März 1985, S. 133.
3012-5.G94
KAPITEL II
VOR- UND NACHTEILE DER HEIMARBEIT
Während der Debatte über den Tagesordnungspunkt wurde im Verwaltungsrat der Wunsch geäußert, sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte
der Heimarbeit hervorzuheben. Die anhaltende Nachfrage nach Heimarbeit auf
Arbeitnehmer- wie auch Arbeitgeberseite zeigt in der Tat, daß diese Arbeitsform
beiden Vorteile bringt. Deshalb wird dieses Kapitel zunächst einen Überblick
über die Vorteile und Möglichkeiten geben, die die Heimarbeit den Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Volkswirtschaften bietet, bevor die Hauptfragen und
-probleme aufgeworfen werden, die aus der Natur dieser Arbeit und der Art
ihrer Abwicklung in Entwicklungs- wie auch in Industrieländern entstehen.
VORTEILE FÜR DIE ARBEITGEBER
Der Hauptvorteil der Heimarbeit für die Arbeitgeber liegt in ihrer Flexibilität. Diese Flexibilität hat direkte Folgen für die Kostenstruktur und Gewinnmargen eines Unternehmens. Sie wirkt sich auf dreierlei Weise aus: erstens
durch die größere Freiheit, das an die Heimarbeiter verteilte Arbeitsvolumen zu
variieren, zweitens durch die verbesserte Fähigkeit, auf unregelmäßige und
saisonbedingte Marktveränderungen zu reagieren, und drittens durch die
erweiterten Möglichkeiten, die Natur der Arbeit zu verändern.
In vielen Ländern, ganz besonders, aber nicht ausschließlich, in den Industrieländern, sind viele von Heimarbeit abhängige Wirtschaftssektoren durch
unregelmäßige und saisonbedingte Nachfrageschwankungen, hohe Produktdifferenzierung sowie Schwankungen in Mode und Tendenzen gekennzeichnet. Die
Heimarbeit ist unschwer in der Lage, ihr Produktionsvolumen und ihre Erzeugniseigenschaften den Marktbedürfnissen anzupassen.
Vom Standpunkt der Arbeitsorganisation können die Arbeitgeber folgende
gewichtige Argumente zugunsten der Heimarbeit vorbringen: Sie verfügen für
die Personalsuche über einen bedeutend größeren Einzugsbereich als bei der
andernfalls bestehenden Beschränkung auf einen Bereich mit „zumutbaren" Entfernungen vom Arbeitsplatz, sie können Arbeitnehmer einstellen, wann immer
sie sie nach Maßgabe saisonbedingter und sonstiger Bedarfsschwankungen benötigen, sie müssen sich weniger mit Gewerkschaften auseinandersetzen, und sie
können in Einzelfällen auf die „besten und intelligentesten" Arbeitskräfte
zurückgreifen'.
3012-5.G94
Vor- und Nachteile der Heimarbeit
17
Der am stärksten ins Gewicht fallende Vorteil für die Arbeitgeber ist mit
Sicherheit die organisatorische Maßnahme der geographischen Streuung der
Arbeitskräfte im Weltmaßstab, das sogenannte „offshoring". Mit diesem Verfahren werden Arbeiten von Unternehmen in Industrieländern an Arbeitskräfte in
Entwicklungsländern vergeben. So verwenden z.B. Firmen der Vereinigten Staaten Bürokräfte in Barbados, China, Indien, Irland, Jamaika, der Republik Korea,
Mexiko und Singapur2 für die elektronische Datenfernverarbeitung und -Verwaltung, in erster Linie wegen der durch diese Strategie gebotenen Möglichkeiten
der Einsparung organisationsbedingter Kosten (Kapital-, Betriebs- und Arbeitskosten). Diese Betriebsweise beruht häufig auf Informationstechnologien mit
kompatibler Hardware und Software, der Verfügbarkeit anpassungsfähiger (vielfach junger) Arbeitskräfte, die mit diesen Technologien vertraut sind, sowie auf
dem Umstand, daß ein derartiger Betrieb wenig Investitionen benötigt und daher
kostengünstig wieder eingestellt oder verlagert werden kann.
Abgesehen von den kostengünstigen Auswirkungen der erwähnten organisatorischen Flexibilität bietet die Heimarbeit dem Arbeitgeber weitere sehr erhebliche Kostenvorteile, wie z.B. die Möglichkeit einer Senkung der Arbeitskosten.
Heimarbeiter werden gewöhnlich auf Stücklohnbasis entlohnt, und es herrscht
allgemein die Auffassung, daß die Löhne für Heimarbeit niedriger, in den meisten Fällen wesentlich niedriger, sind als die innerhalb des Betriebs für
quantitativ und qualitativ vergleichbare Arbeit gezahlten Löhne.
Selbst bei gleichen Nominallöhnen können die realen Kosten durch höhere
Produktivität gesenkt werden. Dies wurde insbesondere bei der Telearbeit beobachtet. Nach einem Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften3
hat die Einführung der Heimarbeit in zwei Programmierfirmen im Vereinigten
Königreich angeblich zu einer Produktivitätssteigerung von 30 oder mehr Prozent geführt. Derselbe Bericht erwähnt eine in Frankreich durchgeführte Untersuchung, aus der hervorgeht, daß die Heimarbeit in einer EDV-Dienstleistungsfirma die Produktivität wesentlich verbesserte. Nach allgemeinen Schätzungen
liegen die Produktivitätsgewinne im Bereich zwischen 20 und 100 Prozent. Als
Gründe für die Produktivitätsgewinne werden genannt: keine Arbeitsunterbrechung und bessere Konzentration, stärkere Motivierung und höhere Arbeitszufriedenheit, mehr Arbeitsinteresse und bessere Arbeitsmoral, gestiegene
Arbeitsenergie dank Wegfall von Zeitverlust und Nervenbelastung durch Fahrten
zur Arbeit, unbezahlte oder nur teilweise bezahlte Überstunden.
Geringere Arbeitskosten ergeben sich auch aus den niedrigeren Soziallasten
für Heimarbeiter. Während die Beiträge zur Sozialen Sicherheit und zu anderen
Sozialleistungen im Fall der im Betrieb arbeitenden Arbeitnehmer fast immer zu
Lasten des Arbeitgebers gehen (oder von ihm und dem Arbeitnehmer geteilt werden), entfallen sie bei Heimarbeitern oder werden umgangen.
Die Heimarbeit bietet auch Gelegenheiten zur Senkung von Kapital- und
Betriebsgemeinkosten. Die Dezentralisierung von Arbeit und Produktion ermöglicht Einsparungen an Fabrik- und Büroraum, verbunden mit einer Senkung von
Zins- und Mietkosten, Heizungs-, Beleuchtungs-, Strom- und sonstigen Energiekosten, Versicherungsprämien und ähnlichen Ausgaben. Versuche mit Telearbeit
bei Rank Xerox im Vereinigten Königreich führten 1982 zu wesentlichen Kürzungen der Gesamtbetriebskosten und einer Dezentralisierung von Arbeitspro3012-5.G94
18
Heimarbeit
zessen auf Dauer. Eine französische Untersuchung gelangte zu der Erkenntnis,
daß schätzungsweise 15 Prozent der Fixkosten durch Heimarbeit eingespart werden können4. Die Heimarbeit kann auch eine Erweiterung der Produktionskapazitäten ermöglichen, ohne daß Investitionen in Kapitalgüter wie Gebäude,
Maschinen und Anlagen notwendig sind.
Heimarbeit erlaubt dem Unternehmen eine bessere Kontrolle seiner Produktionskosten. Besonders kleine Firmen können durch die Arbeitszuteilung auf
Stückbasis die Arbeitskosten je Produktionseinheit viel genauer kalkulieren, als
dies sonst der Fall ist.
Eine moderne Organisationsstrategie zur Verringerung der Produktions- und
sonstigen Betriebskosten besteht darin, den Fertigungsprozeß in immer kleinere
Einzelabschnitte zu zerlegen, so daß zahlreiche Unterauftragnehmer beteiligt und
somit bestimmte Vorgänge an einzelne Heimarbeiter vergeben werden können.
Bestimmte Spezial- oder Schlüsselaufgaben verbleiben aus Qualitätsgründen und
zu sonstigen Kontrollzwecken im Betrieb, während die einfachen Arbeitsaufgaben Heimarbeitern übertragen werden. In bestimmten Fällen werden Arbeiten
von spezialisierter Art an zuverlässige Spezialfirmen oder sogar einzelne
Heimarbeiter vergeben.
Bestimmte Produktionsverfahren zeichnen sich durch langjährige Handwerkstradition aus;.einige Beispiele unter vielen sind die Glasbläserei, Stickerei,
Trachtenstickerei, das Schnitzen von Musikinstrumenten und andere Holzbearbeitungsverfahren. Diese Arbeiten erfordern Fertigkeiten und Erfahrung und
verlangen Liebe zum Detail, handwerkliches Geschick und persönliche Kreativität. Heimarbeit ist die natürliche Umwelt dieser Handwerker, und ein Arbeitgeber würde kaum eine Anzahl von Arbeitskräften mit den erforderlichen Fähigkeiten finden, die bereit wären, unter den üblichen Fabrikbedingungen zu
arbeiten. Häufig hilft der Tourismus, die Nachfrage nach solchen Erzeugnissen
anzufachen, was zur Entstehung von Einzelhandelsläden und Großhandelsbetrieben führt, die die Produktion von großen Mengen in Auftrag geben. Diese muß
dann an ein Netz von Heimarbeitern verteilt werden.
MÖGLICHKEITEN FÜR DIE ARBEITNEHMER
Nicht alle Vorteile der Heimarbeit kommen den Arbeitgebern zugute. Für
die Arbeitnehmer stellt die Heimarbeit eine Gelegenheit dar, zum Familieneinkommen beizutragen, zu Hause zu arbeiten und dabei gleichzeitig die Kinder zu
betreuen oder anderen Aufgaben nachzugehen, den Arbeitsrhythmus selbst zu
wählen und in manchen Fällen mehr zu verdienen als ein normal beschäftigter
Vollzeitarbeitnehmer, weil Heimarbeiter für mehrere Arbeitgeber zugleich
arbeiten können.
Die Heimarbeit bietet einzigartige Erwerbsmöglichkeiten für Arbeitnehmer,
die aus Familiengründen, z.B. weil sie Kinder beaufsichtigen oder Kranke oder
Alte pflegen müssen, an ihr Heim gebunden sind, wie auch für Personen, die
selbst alt oder behindert sind. Vielen Menschen in diesen Gruppen, vor allem
weiblichen Haushaltsvorständen, bietet die Heimarbeit die einzige reale Möglichkeit, zum Familienbudget und zu ihrem eigenen Unterhalt beizutragen. Uber3012-5.G94
Vor- und Nachteile der Heimarbeit
19
wältigend sind die Beweise dafür, daß es sich bei der großen Mehrheit der
Heimarbeiter um Frauen handelt, für die es schwierig, wenn nicht gar völlig
unmöglich wäre, eine reguläre Beschäftigung zu finden. Dies trifft besonders
dort zu, wo, aus welchen Gründen auch immer, Einrichtungen zur Kinderbetreuung wie Tageskindergärten und -krippen an Arbeitsstätten oder in der Gemeinde
selten, inexistent oder unerschwinglich sind.
Auch andere Gruppen benachteiligter Personen machen sich die von der
Heimarbeit gebotenen Vorteile zunutze. Diese Gruppen, die man als marginalisierte Arbeitskräfte bezeichnen könnte, umfassen Neueinwanderer, ethnische
Minderheiten und die Armen in Stadt und Land, die ohne diese Zufluchtsmöglichkeit buchstäblich mittellos wären, insbesondere in Verhältnissen, wo die
Leistungen der Sozialen Sicherheit kein wirksames Auffangnetz darstellen.
Neueinwanderer und ethnische Minderheiten benötigen Zeit, um in ihrer neuen
Gemeinschaft Fuß zu fassen. Heimarbeit kann hier den am leichtesten zu
beschreitenden Weg zum Arbeitsmarkt darstellen. Sie ist unter Umständen auch
eine „Brücke" zu regelmäßigeren Beschäftigungsformen.
Wo religiöse und kulturelle Gebräuche die Mobilität der Frauen und ihre
direkte Teilnahme am offenen Arbeitsmarkt beschränken, kann die Heimarbeit
eine geeignete Alternative sein. Selbst wenn die Arbeit beim Arbeitgeber abgeholt und abgeliefert werden muß, kann dies von Männern besorgt werden, während die Arbeit selbst von Frauen zu Hause ausgeführt wird. In anderen Fällen
kann bezahlte Arbeit als unschicklich für „ehrbare" Ehefrauen betrachtet werden, weshalb sie in der Privatsphäre des eigenen Heims geleistet wird5.
Ein der Heimarbeit seit jeher zugeschriebener Vorteil ist die Unabhängigkeit
des Heimarbeiters. Diese können zu Hause arbeiten, zu ihnen genehmen Zeiten
und in ihrem eigenen Rhythmus. Sie sind auch von den Regeln und Zwängen
befreit, denen zwangsläufig jede Person unterliegt, die mit anderen unter demselben Dach zusammenarbeitet. Sie sind keiner unter Umständen als lästig
empfundenen Beaufsichtigung unterworfen.
Für die meisten Telearbeiter, jedenfalls für die hochqualifizierten Fachkräfte,
kann der wahre Gewinn zumeist in einer echten Flexibilität und Autonomie
bestehen, im Gegensatz zu vielen manuellen Heimarbeitern, bei denen diese nur
in der Einbildung gegeben sind.
Die Heimarbeit leistet auch einen Beitrag zur Gesamtverbesserung der Qualität des Arbeitslebens, indem sie die Streßbelastung durch die Fahrt von und zur
Arbeit ausschaltet6.
VORTEILE FÜR DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Das durch Heimarbeit erzielte Einkommen ist nicht nur für das Überleben
armer Familien, sondern auch für die Volkswirtschaft wichtig. Die Heimarbeit
spielt eine bedeutende Rolle im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und leistet in
manchen Fällen einen erheblichen Beitrag zum BSP und zu den Exporterlösen
der Länder.
Wegen der Unzulänglichkeit der makroökonomischen Angaben über Heimarbeiter kann über die Auswirkungen der Heimarbeit auf die Volkswirtschaften
3012-5.G94
20
Heimarbeit
nur sehr wenig gesagt werden. Es gibt jedoch bestimmte Indikatoren, aus denen
hervorgeht, daß die Heimarbeit in mehreren Ländern in letzter Zeit wesentlich
zu den Ausfuhrerlösen beigetragen hat. Auf den Philippinen7 z.B. verzeichneten
die Produktion und Ausfuhr von Bekleidung, Handwerkserzeugnissen und Schuhen in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung. Die meisten dieser
Industriezweige sind bekanntlich stark auf Heimarbeit angewiesen. Ein hoher
Anteil der Heimarbeit an Exportindustrien wurde auch von Bangladesch, Indien8,
Sri Lanka9, Thailand10 und der Türkei" berichtet.
Heimarbeiter bleiben zwar in amtlichen Statistiken im allgemeinen als Produktionsarbeitskräfte unberücksichtigt, doch ist ihr Beitrag zum Einkommen der
Haushalte, besonders der sehr armen Haushalte, in der Praxis nachweislich ganz
erheblich. In einer Umfrage unter ländlichen Heimarbeitern in Aguascalientes
in Mexiko12 wurde festgestellt, daß 69 Prozent des Einkommens der am Rande
des Existenzminimums lebenden Haushalte aus der maquila, d.h. Heimarbeit,
stammte. In städtischen Haushalten ist diese Abhängigkeit dagegen im Durchschnitt weniger ausgeprägt. In Mexiko-Stadt13 z.B. machte das Einkommen aus
maquila durchschnittlich 25 Prozent des Haushaltseinkommens der untersuchten
Haushalte aus und zeigte ein hohes Maß an Streuung. Bei einer Stichprobenauswahl von Teppichweberinnen in der Zentraltürkei" wurde festgestellt, daß
50 Prozent der Haushaltseinkommen aus der Heimarbeit in Haushalten stammte,
die von Monokulturen lebten. Selbst unter den etwas bessergestellten Familien,
die Doppelfruchtanbau betreiben, stellte das Teppichweben der Frauen in Heimarbeit ein Drittel der Haushaltseinkommen dar.
In den meisten Fällen dient das Einkommen aus Heimarbeit der Deckung der
Grundbedürfnisse der Haushalte. Im Rahmen einer Erhebung über Akkordarbeit
in Lahore, Pakistan, erklärten zwar über 38 Prozent der befragten Frauen, daß
die Ersparnisse aus dem Heimarbeitsverdienst zur Bezahlung ihrer Mitgift verwendet würden, doch hatten mehr als 75 Prozent dieses Einkommen benutzt, um
Haushaltsbedürfnisse zu befriedigen oder die Ausgaben für Kindererziehung oder
Gesundheitspflege zu bestreiten14.
Ein weiterer Vorteil der Heimarbeit besteht darin, daß sie dazu verwendet
werden kann, die Wirtschaft in entlegenen und notleidenden Regionen zu beleben. So kann die Heimarbeit z.B. in ländlichen Gebieten mit saisonabhängiger
Landwirtschaft und ohne sonstige Arbeitsmöglichkeiten eine wichtige Ergänzung
der Einkommen während der beschäftigungsarmen Zeiten im landwirtschaftlichen
Kreislauf darstellen. Dies erspart es den Arbeitnehmern, weite Strecken zurückzulegen, um Arbeit zu finden, oder ihren Heimatort zu verlassen, was sie nur
ungern tun würden, nicht einmal um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Unter
diesen Umständen kann die Schaffung von Heimarbeit ein bewußt angestrebtes
Ziel der staatlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik sein. So wird z.B. in der
Schweiz von der Regierung seit langem anerkannt, daß die Heimarbeit einen
wertvollen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Beitrag zu den Bemühungen
leistet, der Abwanderung aus ländlichen Gebieten und Bergregionen Einhalt zu
gebieten, und sie gewährt dazu eine finanzielle und verwaltungsmäßige Unterstützung aus Bundesmitteln.
Die vorstehenden Beispiele zeigen, daß die Heimarbeit zur regionalen und
nationalen Wirtschaftstätigkeit sowie zur Einkommensschaffung in sehr armen
3012-5.G94
Vor- und Nachteile der Heimarbeit
21
Haushalten, die so gut wie keine alternativen Erwerbsmöglichkeiten haben, einen
wesentlichen Beitrag leistet. Kapitel V beschreibt, mit welchen Maßnahmen die
Wirtschaftsentwicklung in ländlichen Gebieten gefördert werden konnte.
PROBLEME UND FRAGEN
Die Heimarbeit hat, wie man sieht, Vorteile für die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Volkswirtschaften. Sie fallen jedoch nicht auf natürliche oder
unvermeidliche Weise zusammen; sie können vielmehr Interessenkonflikte hervorrufen und vielerlei Probleme und Fragen aufwerfen, was sie in der Tat auch
tun. Das schlimmste Problem ist die Tatsache, daß Heimarbeiter zum weitaus
größten Teil sehr schlecht entlohnt werden, übermäßig lange Arbeitszeiten haben
und so gut wie keinen Sozialschutz genießen. Andere Gefahren sind die Isolierung von Arbeitskollegen und das Eindringen der Heimarbeit in das Privatleben
der Arbeitnehmer.
Niedriges Lohnniveau
Das sehr niedrige Lohnniveau der weitaus meisten Heimarbeiter ist das folgenschwerste Einzelproblem, weil es mit anderen Problemen einhergeht oder sie
verursacht. Heimarbeiterlöhne beruhen fast überall auf dem Stücklohnsystem,
und dessen Folgen sind übermäßig lange Arbeitszeiten, die Beschäftigung einer
versteckten Armee unbezahlter „Assistenten" und Kinderarbeit. Überarbeitung
untergräbt daneben die Gesundheit und beeinträchtigt die Qualität des Arbeitslebens im allgemeinen.
Niedrige Löhne für Heimarbeit sind die Regel. Eine in Ahmedabad, Indien",
durchgeführte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß unter den Arbeitnehmern des informellen Sektors die Heimarbeiter am schlechtesten bezahlt wurden.
Im Zeitpunkt der Untersuchung verdienten sie im Monatsdurchschnitt nur
130 Rupien, während Straßenverkäufer etwa 250 Rupien und ungelernte Arbeiter
170 Rupien verdienten. Im Distrikt Allahabad von Uttar Pradesh lebten 75 Prozent der Frauen, die zu Hause bidi (Zigaretten) drehten, unterhalb der Armutsgrenze für die ländliche Bevölkerung. In Gujarat waren die meisten bidi-Dxthtrinnen in der Lage, täglich etwa 1000 bidi zu drehen, womit sie 6 bis 8 Rupien
verdienten, während der amtliche Mindestlohn zu jener Zeit 11,66 Rupien täglich betrug (der Wechselkurs lag damals — 1983 — bei 9,80 Rupien je US-Dollar).
In der Bekleidungsindustrie in Delhi16 schwankte der Stücklohn für Zuschneidearbeit zwischen 0,50 und 2,00 Rupien. Das tägliche Durchschnittseinkommen betrug 6 Rupien, und nur sehr wenige Arbeitnehmerinnen kamen auf
10 Rupien am Tag, was überhaupt nur während der sehr kurzen Spitzenproduktionszeit möglich war.
Ähnliche Berichte über Niedriglöhne liegen für Indonesien, die Philippinen
und Thailand vor. Fast immer sind die Löhne für Heimarbeiter niedriger als für
die entsprechenden Fabrikarbeiter. In der Bekleidungsindustrie in Säo Paulo,
Brasilien17, erhielt z.B. eine Heimarbeiterin für die Fertigung einer Bluse
26 Cruzeiros, eine Fabrikarbeiterin dagegen für die gleiche Arbeit 55 Cruzeiros,
3012-5.G94
22
Heimarbeit
und für einen Blazer nur 36 Cruzeiros gegenüber einem Fabrikarbeiterlohn von
72 Cruzeiros. Niedriglöhne beschränken sich darüber hinaus nicht auf traditionelle Gewerbe wie die Bekleidungsfertigung, sondern erstrecken sich z.B. in
Mexiko-Stadt auf die Herstellung von Spielzeug, elektronischen Spulen, Kunststoffartikeln usw. für einen wöchentlichen Heimarbeiterlohn von 444 Pesos bei
48 Wochenstunden, was wesentlich unter dem Mindestlohn liegt18.
Die Hauptursachen des niedrigen Lohnniveaus für Heimarbeiter liegen in den
Grundgegebenheiten, die überhaupt erst zur Entstehung dieser Arbeitsform führten, nämlich in ihrer sozialen Anfälligkeit. Die große Mehrheit der Heimarbeiter
sind Frauen, die häufig, besonders in Entwicklungsländern, den ärmsten Gesellschaftsschichten angehören und deshalb verzweifelt nach Mitteln zum wirtschaftlichen Überleben suchen. Wahrscheinlich arbeiten sie in ländlichen Gebieten, wo alternative Arbeitsmöglichkeiten, selbst in der Landwirtschaft, knapp
und gewöhnlich saisonabhängig sind. Sie arbeiten dann und nur dann, wenn Aufträge hereinkommen, und sehen sich ohne Arbeit, wenn keine mehr vorliegen,
und akzeptieren Lohnsätze weit unter den üblichen Sätzen für ungelernte Arbeit.
In vielen in Entwicklungsländern durchgeführten Untersuchungen wurde festgestellt, daß die Heimarbeiter sich über ein ungenügendes und unregelmäßiges
Arbeitsangebot beklagten. Sie scheuten sich, höhere Lohnsätze zu verlangen, um
nicht den Verlust ihrer Arbeit zu riskieren, da viele andere Heimarbeiter bereitwillig die Arbeit zu den angebotenen Sätzen angenommen hätten.
In allen Ländern haben Heimarbeiter die Tendenz, sich von anderen Arbeitnehmern zu isolieren. In Entwicklungsländern gehören Heimarbeiter dem informellen Wirtschaftssektor an, während es sich in Industrieländern bei ihrer Arbeit
durchaus um Schwarzarbeit oder eine „unsichtbare" Tätigkeit handeln kann. Alle
diese und noch andere Faktoren versetzen die Heimarbeiter in eine sehr
schwache Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber oder Subunternehmer, und es ist durchaus möglich, daß sie keine Vorstellung darüber haben, zu
welchem Preis das von ihnen hergestellte Erzeugnis verkauft wird.
Die extrem schwache Verhandlungsposition der Heimarbeiter, besonders in
ländlichen Gebieten, wurde in einer Studie über die Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie in Aguascalientes (Mexiko)19 hervorgehoben. Im Jahr 1982 erhielten Frauen, die mit Nähmaschinen Wäschestücke mit Blumenmustern verzierten,
pro Stück nur 10 bis 20 mexikanische Cents, so daß sie zwei Stunden brauchten,
um 20 Pesos (damals etwa 50 US-Cents) zu verdienen. Die gleiche Studie
berichtet, daß gewerbliche Heimarbeit im ländlichen Sektor stark konzentriert
ist unter Frauen aus Haushalten, denen das Land für eine Selbstversorgungswirtschaft fehlt oder die von landwirtschaftlicher Lohnarbeit lebten (d.h. die
Ärmsten unter den Armen).
Niedriglöhne findet man auch in Industrieländern, insbesondere unter Heimarbeitern aus Einwandererkreisen und ethnischen Minderheiten, wie z.B. im
Vereinigten Königreich20.
In manchen Industrieländern, selbst da, wo die Stücklohntarife für Heimarbeiter und Fabrikarbeiter laut Gesetz gleich sein sollten, kommt es vor, daß
Heimarbeiter am Ende weniger verdienen als ihre Kollegen in der Fabrik, weil
ihnen in der Praxis eine schwierigere Arbeit zugeteilt wird. In Australien21 haben
Heimarbeiter aufgrund des Bundesschiedsspruchs für die Bekleidungsindustrie
3012-5.G94
Vor- und Nachteile der Heimarbeit
23
Anspruch auf einen mit dem der Fabrikarbeiter vergleichbaren Lohn, aber der
Arbeitgeber ermittelt die Zeit, die zur Ausführung der einzelnen Arbeitsvorgänge
benötigt wird. So erhielt z.B. 1983 eine Heimarbeiterin für das Nähen von Kleidern mit „Designer-Etiketts" einen Stücklohn zwischen 2,50 und 2,75 australischen Dollar (1983 entsprach 1,27 australische Dollar 1 US-Dollar). Die
Fertigstellung jedes einzelnen Kleides erforderte mehr als eine Stunde. Sie
arbeitete 70 bis 75 Stunden wöchentlich, um 230 bis 240 australische Dollar zu
verdienen. Fabrikarbeiterinnen erhielten einen Stundenlohn von 6 Dollar zuzüglich Nebenleistungen. In einem anderen Fall zahlte ein Arbeitgeber einer lizensierten Heimarbeiterin brutto 1,80 australische Dollar je Kleidungsstück und
räumte zu seiner Fertigstellung ohne Rücksicht auf die Kompliziertheit der
Arbeit insgesamt 20 Minuten ein. Nach Aussage der Heimarbeiterinnen brauchten sie für die meisten Modelle mehr als 20 Minuten zur Fertigstellung, bei
einigen sogar 40 Minuten. Hinzu kam, daß die Heimarbeiterinnen oft zusätzliche
Arbeiten erledigen mußten, wie z.B. das Auspacken der Arbeitsbündel, die
Überprüfung von Nummern, das Zählen und Verpacken der fertigen Kleidungsstücke usw., während diese Aufgaben in der Fabrik anderen Arbeitskräften
zufielen.
Eine Untersuchung über Heimarbeit im Gebiet von Tilburg in den Niederlanden22 kam zu der Feststellung, daß die Heimarbeiter auf Stücklohnbasis
entlohnt wurden und daß ihre Einkünfte schwankten, je nachdem, wie schnell sie
arbeiteten. In der Bekleidungsindustrie brauchen Heimarbeiterinnen für das
Nähen eines Kleidungsstücks ebensoviel Zeit wie die Arbeiterinnen in der
Fabrik. So wurde z.B. Arbeiterinnen für das Nähen eines Damenjacketts ein
Zeitraum von 16 Minuten eingeräumt, jedoch beruhte die Berechnung dieser
Zeitspanne auf den Produktionsverfahren in der Fabrik, wo verschiedene
Arbeitskräfte verschiedene Aufgaben zu bewältigen hatten. Die Heimarbeiterin
mußte alle Arbeitsvorgänge selbst ausführen und während des Arbeitsablaufs
Nadeln auswechseln. Sie erreichte einen durchschnittlichen Stundenlohn von
etwa 4,38 Gulden. Der Durchschnittsverdienst betrug dagegen 1983 in der
niederländischen Bekleidungsindustrie 13 Gulden (1,99 Gulden = 1 US-Dollar)
und in der Lederindustrie 14,45 Gulden.
Das Problem der niedrigen Löhne wird noch akuter, wenn das Lohnniveau
sinkt oder durch Inflation ausgehöhlt wird.
Auf den Philippinen23 sind sich die Heimarbeiterinnen auf dem Land (Näherinnen und Stickerinnen) offenbar bewußt, daß ihr Reallohn zurückgegangen ist.
Der 1981 am meisten genannte Betrag war 50 Centavos (rund 6 US-Cents) je
Kleidungsstück, während er sich 1962 noch auf 30 Centavos (nach damaligem
Wechselkurs 8 US-Cents) belaufen hatte, ein bedeutend höherer Betrag in
Anbetracht des ständigen Wertverfalls des Pesos. Eine Näherin konnte am Tag
höchstens ein Dutzend Baby-Kleider fertigstellen, wofür sie bei einem Stücklohn
zwischen 50 und 75 Centavos zwischen 6 und 9 Pesos (0,73 bis 1,10 US-Dollar)
erhielt. Arbeit gab es jedoch nur für etwa zweieinhalb Wochen im Monat, so
daß der Monatsverdienst nur 102 bis 189 Pesos (12,43 bis 23,05 US-Dollar)
betrug. Von diesem Betrag wurden die Garnkosten und die Kosten für den
Transport vom und zum Vermittler abgezogen.
3012-5.G94
24
Heimarbeit
Ähnliche Entwicklungen waren in Thailand24 zu beobachten. Die meisten
Arbeiter der Bekleidungsindustrie beklagten sich über niedrige Lohntarife, da sie
manchmal weniger als 1 Bäht und im allgemeinen höchstens 5 Bäht Stücklohn
erhielten. Fabrikarbeiter in der Bekleidungsindustrie verdienen mehr, etwa 11
bis 20 Bäht je Kleidungsstück, während die mit der Herstellung künstlicher
Blumen Beschäftigten einen Monatslohn erhalten. Fast alle erklärten, der Tarif
habe sich während eines fast zweijährigen Zeitraums nicht geändert. Einige
beklagten sich, daß ihr Verdienst um 11 bis 30 Prozent oder noch mehr
zurückgegangen sei.
Einer der Faktoren in der Lage der Heimarbeit, die weltweit eine Hauptursache des Rückgangs der Heimarbeiterlöhne darstellen, ist das Netz von
Agenten, Unternehmern, Subunternehmern, Mittelsmännern und sonstigen Vermittlern zwischen dem Unternehmen und dem einzelnen Heimarbeiter. Es handelt sich um das „Verlagssystem", bei dem das zu bewältigende Gesamtarbeitsvolumen schrittweise in immer kleinere Einheiten aufgeteilt wird, bis es
schließlich bei den einzelnen Heimarbeitern ankommt, die die ihnen zugeteilte
Arbeitsmenge des Gesamtauftrags auszuführen haben. Zwangsläufig führt dies
dazu, daß der Heimarbeiter einen sehr niedrigen Lohn erhält, weil jeder
Mittelsmann von dem ursprünglich sicher bereits scharf kalkulierten Preis einen
Gewinnanteil einbehält. Die ländlichen Akkordarbeiter befinden sich am unteren
Ende der Untervergabeleiter und werden am stärksten ausgebeutet.
In Lateinamerika25 ist beobachtet worden, daß die Vergabe von Unterverträgen oft von Firmen mittlerer und relativ kleiner Größe ausgeht, die meisten
Heimarbeiter aber von großen Handels- und Auslandsfirmen beschäftigt werden,
von denen auch die Produktions- und Wettbewerbsnormen des Wirtschaftszweigs
bestimmt werden. So verpflichten z.B. in Peru multinationale und nationale
Unternehmen in großer Zahl Arbeitnehmer vertraglich zur Heimarbeit; in ähnlicher Weise werden in den großen Ballungszentren Mexikos (Mexiko-Stadt,
Guadalajara, Monterrey) und in ländlichen Gegenden Tausende von Heimnäherinnen für Arbeiten im Auftrag der größten Bekleidungshersteller rekrutiert.
Die Auswirkungen der Unterauftragsvergabe machen sich in gleicher Weise
in Indien bemerkbar. In der Bekleidungsindustrie in Delhi26 konnte nachgewiesen
werden, daß Heimarbeit dort nur an „gute Arbeitskräfte" (d.h. diejenigen, die
keine Fragen stellten und sich nicht beklagten) vergeben wurde. In vielen Fällen
zahlt der Vermittler nicht voll den anerkannten Stücklohn, sondern reduziert ihn
so weit, wie es erfahrungsgemäß problemlos möglich ist. Gelegentlich kommt
es vor, daß Unternehmer während der Hauptsaison den Tarif anheben, wenn die
Frauen protestieren.
Skrupellose Unternehmer können die Reallöhne mittels verschiedener unfairer Praktiken kürzen. So kann z.B. im Gewerbe des Zigaretten(foV#)drehens m
Gujarat ein Arbeitgeber, wahrscheinlicher noch ein Unternehmer, eine übermäßige Menge von Zigaretten aus fadenscheinigen Qualitätsgründen zurückweisen und dann den „Ausschuß", für den die Heimarbeiter nicht bezahlt werden,
verkaufen oder „Extramengen" verlangen, die er nicht bezahlt, oder auch die
Kosten des Rohmaterials des „Ausschusses" vom Verdienst der Heimarbeiter
abziehen27.
3012-5.G94
Vor- und Nachteile der Heimarbeit
25
Lange Arbeitszeiten
Einer der meistgepriesenen Vorteile der Heimarbeit ist die den Heimarbeitern
gebotene Möglichkeit, zu der ihnen genehmen Zeit zu arbeiten, ihren Arbeitsrhythmus zu bestimmen und die Aufteilung ihrer Zeit zwischen Arbeit, Familienleben und Freizeit selbst zu bestimmen. In der Praxis ist dies unter
Umständen nicht der Fall. Heimarbeit hat nämlich die Tendenz, den Unterschied
zwischen Arbeits- und Familienleben zu verwischen. Der Umstand, daß Heimarbeit normalerweise auf Stückbasis entlohnt wird, erzeugt Druck, ein ausreichendes Einkommen zu verdienen. Dieses Streben, verbunden mit der Notwendigkeit, Mengenziele (besonders in Zeiten hoher Nachfrage) ebenso wie
Qualitätsnormen zu erreichen, zwingt dazu, der Arbeit einen wesentlichen Teil
der Zeit zu widmen, Zeit, die sich leicht zu übermäßig langen Arbeitsstunden
auswachsen kann, wenn sie mit Familien- und häuslichen Pflichten in Einklang
gebracht werden muß. Der durch Stücklohn verursachte Druck und Streß sowie
der für viele Heimarbeiter bestehende Zwang zur Sicherung des Lebensunterhalts
belasten wahrscheinlich besonders schwer ältere und kranke Frauen und Frauen
mit kleinen Kindern. Dies ist ein besonders ernstes Problem in Haushalten mit
weiblichem Vorstand (üblich in Entwicklungsländern wie Indien) und für Alleinerziehende (bei den Heimarbeitern handelt es sich gewöhnlich, wenn auch nicht
immer, um Frauen), die als Heimarbeiter(innen) allein für den Familienunterhalt
sorgen.
In Indien28 ist festgestellt worden, daß den Frauen neben der Heimarbeit auch
alle Aufgaben im Zusammenhang mit Haus, Haushalt und Familie zufallen, wodurch sie praktisch eine doppelte Last zu tragen haben; verheiratete Frauen
arbeiten täglich durchschnittlich fünf Stunden im Haushalt und sieben Stunden
an Heimarbeitsaufträgen.
Die Heimarbeiterinnen in Guadalajara29 liefern Beispiele für das halsbrecherische Tempo der /TW^Hi/a-Produktion (gewerbliche Unterauftragsvergabe). Die Frauen klagen über mühsame Arbeitspläne und die Unmöglichkeit,
die Heimarbeit mit anderen Haushaltspflichten zu vereinbaren, insbesondere
während Zeiten der Spitzennachfrage, wenn sie täglich mehr als 700 Sportmützenschirme nähen und abliefern.
In Zeiten der Spitzenbelastung wird der Druck zur Einhaltung der Lieferund Exporttermine sogar noch stärker und dringender. Heimarbeiterinnen der
Bekleidungsindustrie der Philippinen30 beklagen sich z.B., daß sie täglich 12 bis
14 Stunden arbeiten, davon fünf bis neun Stunden Näharbeiten. Eine zusätzliche
Belastung für einige von ihnen (die zu längerer Abwesenheit von zu Hause führt)
ist das Abholen und Abliefern der Arbeit, das 30 Minuten bis neun Stunden in
Anspruch nehmen kann.
Unzureichender Zugang zu Sozialer Sicherheit,
Wohlfahrt und ähnlichen Leistungen
Über den rechtlichen Zugang der Heimarbeiter zu Leistungen der Sozialen
Sicherheit läßt sich nicht ohne weiteres eine allgemeine Aussage machen. Die
Schwierigkeiten rühren her von der Vielzahl der in den verschiedenen Ländern
bestehenden Systeme der Sozialen Sicherheit sowie von den Unterschieden im
3012-5.G94
26
Heimarbeit
Geltungsbereich, die gewöhnlich mit dem Entwicklungsstand der betreffenden
Länder verbunden sind. So haben z.B. in Europa viele Länder gesetzliche
Systeme der Sozialen Sicherheit, obgleich Heimarbeiter in der Praxis Schwierigkeiten haben können, voll in deren Genuß zu kommen, weil ihre wirksame
Beteiligung von ihrem Beschäftigungsstatus abhängt, wie auch davon, ob sie als
Arbeitnehmer gemeldet sind und Beiträge für sie entrichtet werden. Manchmal
sind die Heimarbeiter wenigstens teilweise von der staatlichen Sozialen
Sicherheit geschützt, selbst wenn sie nicht über das Unternehmen geschützt
werden. Wo Heimarbeit versteckt geleistet wird, ist die Folge, daß die
Betroffenen oft zu den ärmsten Arbeitnehmern gehören, die des sozialen
Schutzes am meisten bedürfen, ihn aber gerade wegen der heimlichen Natur
ihrer Beschäftigung entbehren müssen.
In den Entwicklungsländern werden Heimarbeiter heute gewöhnlich nicht von
den bestehenden sozialen Sicherungssystemen erfaßt. In Indien z.B. bieten ihnen
die Arbeitgeber „keine Sozialbetreuung, keine Krankenversicherung, keinen
Mutterschutz, keine Alters Vorsorge, keinen bezahlten Urlaub"31. Auch in Südostasien (Indonesien, Philippinen, Thailand) haben Heimarbeiter „keinen
Anspruch auf Erholungs- oder Krankenurlaub, wie ihn die Arbeitnehmer im
formellen Sektor kennen. Offenbar gibt es weder Nebenleistungen noch eine
Sozialversicherung für Heimarbeiter"32.
Auch in den maquiladoras (Montagebetriebe) von Costa Rica wird bestätigt,
daß Heimarbeiter „keinen Anspruch auf Nebenleistungen aus dem Arbeitsverhältnis oder Leistungen der Sozialen Sicherheit" haben33. In Honduras und
Venezuela (mit Ausnahme der Konfektions- und Tabakindustrie) haben sie
ebenfalls keinen Anspruch auf Soziale Sicherheit. Selbst in Ländern (wie
Frankreich und Italien), wo der Anspruch der Heimarbeiter auf Leistungen der
Sozialen Sicherheit aufgrund gesetzlich verbrieften Rechts mit dem der im
Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer vergleichbar ist, wird die tatsächliche
Gewährung dieser Leistungen offenbar weitgehend umgangen.
Gesundheits- und Sicherheitsprobleme
Die mit der Heimarbeit verbundenen Gesundheits- und Sicherheitsprobleme
verdienen eine ziemlich ausführliche Behandlung, sei es auch nur, weil sie
häufig vernachlässigt oder übersehen werden. Die Gefahren können die Heimarbeiter selbst, ihre unmittelbaren Angehörigen und Nachbarn (besonders anfällig
sind Kinder und ältere Menschen) und die Gesellschaft insgesamt bedrohen.
Natürlich sind bestimmte Gewerbe potentiell gefährlicher als andere, aber selbst
Büroarbeiten und Dienstleistungen sind geeignet, Verletzungen zu verursachen.
Die Gesetzgebung enthält recht wenig Bestimmungen über heimarbeitsbedingte
Berufsrisiken und ihre Verhütung (siehe Kapitel III).
Kraftbetriebene Maschinen stellen eindeutig Gefahrenquellen dar, besonders
für Personen, die nicht mit ihnen vertraut sind, aber selbst einfache Arbeitsverrichtungen wie das Nähen von Kleidungsstücken sind möglicherweise nicht ungefährlich, besonders in überfüllten Arbeitsräumen — man denke nur an den
Umgang mit scharfen Werkzeugen, wie Nadeln, Scheren und Messern. Von den
Philippinen wird über Handverletzungen und andere Wunden berichtet, die sich
3012-5.G94
Vor- und Nachteile der Heimarbeit
27
Rattan-Arbeiter beim Umgang mit den scharfen Rattan-Stengeln, aber auch beim
ständigen und langwierigen Abschmirgeln von Möbelteilen zuziehen34.
Die Auswirkung überlanger Arbeitszeiten, die Nichtbeachtung ergonomischer
Grundsätze, die Belastung durch starke Hitze, Feuchtigkeit, Lärm und Vibrationen gelten gemeinhin als besonders unbefriedigende Merkmale der Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter. Die Telearbeit kann z.B. zu Augenermüdung und
zu Schmerzen und Überanstrengung durch schlechte Haltung führen. Solche
Bedingungen stellen potentielle Quellen berufsbedingter Gesundheitsschäden dar
und können latente physiologische Krankheitsbefunde verschlimmern.
Rückenschmerzen sowie Hand- und Körperüberanstrengungserscheinungen
bei Handweberinnen infolge wiederholter Bewegungen und konstanter Körperhaltung bei der Arbeit wurden als weitere Formen der beruflich verursachten
Gesundheitsbeeinträchtigung festgestellt. Die Heimfertigung von Leder- und
Textilerzeugnissen kann bedingen, daß gefährliche Werkstoffe und Arbeitsverfahren ohne Umweltkontrolle oder -Überwachung in Wohnräume gelangen. So
haben die Behörden in Italien und Spanien35 über diese Seite der Heimarbeit ihre
Besorgnis ausgedrückt. Viele andere Heimindustrien verwenden Lösungsmittel,
Firnisse und Lacke, Fixier- und Reinigungsmittel (einschließlich Säuren) und
andere ätzende Chemikalien sowie leicht entzündliche und sogar explosive
Stoffe. Sie sind alle potentiell gefährlich, besonders da, wo hinreichende
Anleitung und Ausbildung über ihre Gefahren und die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen fehlen. In der Schuhindustrie kann z.B. durch die bei der Häuteund Lederverarbeitung entstehenden giftigen Dämpfe toxische Polyneuritis
hervorgerufen werden. Das Drehen von bidi ist mit der Gefahr der Nikotinvergiftung verbunden, verursacht durch Hautaufnahme infolge wiederholter und
anhaltender Exposition beim Umgang mit dem Tabak. Technische Arbeiten, wie
Schweißen und Löten, erzeugen häufig giftige Gase, z.B. die Bleigase bei der
Schmuckfertigung.
Der Einsatz von elektrischer Energie zum Betrieb einfacher Maschinen, wie
Bohrern, Sägen und Nähmaschinen, ist zweifellos mit Gefahren verbunden, ganz
besonders dann, wenn Leitungen schlecht isoliert sind oder das Versorgungskabel nicht ordnungsgemäß angeschlossen ist (z.B. durch Einführung blanker
Drähte in Steckdosen, gehalten durch Streichhölzer, eine verbreitete Praxis).
Kriechende Kinder mit neugierigen Fingern sind besonders gefährdet.
An Gefahrenbeispielen besteht kein Mangel in Anbetracht der gewaltigen
Zahl und Vielfalt der von Heimarbeitern hergestellten Erzeugnisse und
erbrachten Dienstleistungen. Die Risiken für alle Beteiligten werden wahrscheinlich noch verschlimmert durch die Überfüllung der Räume, Slums und
mangelnde Hygiene sowie die Nähe zu anderen Wohnungen, eine typische
Erscheinung der städtischen Heimarbeit überall.
Die Häufigkeit und Ursachen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten von
Heimarbeitern scheinen nur wenig bekannt, zumindest nicht verzeichnet zu sein.
Hier würde es sich vielleicht lohnen, eine Untersuchung vorzunehmen. Dabei ist
allerdings zuzugeben, daß die Erhebung aussagekräftiger Daten eine äußerst
schwierige Aufgabe darstellen würde. Ein Schritt nach vorn könnte darin
bestehen, beschränkte Untersuchungen in Programme zur Verhütung von
Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aufzunehmen.
3012-5.G94
28
Heimarbeit
Kinderarbeit
In Industrieländern geben die Befürworter eines allgemeinen Verbots der
Heimarbeit dafür als Standardbegründung an, sie leiste der Kinderarbeit
Vorschub. In Anbetracht des Umfangs illegaler und schwarzer Heimarbeit in
Industrieländern kann kein Zweifel daran bestehen, daß Kinder an der Heimarbeit beteiligt sind, selbst wenn es sich nur um wenige Stunden nach dem
Schulbesuch handelt. Es steht jedoch fest, daß in den armen Gegenden dieser
Länder die Kinder einen bedeutenden Teil der Heimarbeiterschaft, oft als
unbezahlt mithelfende Familienarbeitskräfte, ausmachen.
Das allgemeine Problem der Kinderarbeit ist viel akuter in Entwicklungsländern, was in anderen IAA-Veröffentlichungen ausführlich belegt ist36. Erhebungen mit besonderem Schwerpunkt auf den vielen mit Heimarbeit beschäftigten
Kindern sind jedoch gegenwärtig sehr beschränkt. Einige Forschungsarbeiten
wurden auf den Philippinen37 durchgeführt, wo Kinder in der Bekleidungsindustrie von Manila und auf dem Land mit dem Nähen von Blusen und
Herrenhemden beschäftigt werden. Die meisten Kinder (65 Prozent) arbeiten für
einen niedrigen Lohn 15 bis 30 Stunden in der Woche.
Kinderarbeit ist besonders leicht auszubeuten, selbst wenn sie innerhalb der
Familie verrichtet wird. Kinderarbeit beeinträchtigt außerdem stark die natürliche
Entwicklung und die Erziehung der Kinder, häufig schon auf Grundschulniveau.
Sonstige Probleme
Die Verrichtung von Arbeit zu Hause verkürzt nicht nur die Zeit für andere
Aufgaben, sondern sie breitet sich auch räumlich aus. Arbeitsgerät wird nach
Hause gebracht, wo es den möglicherweise bereits überfüllten Wohnraum in
Beschlag nimmt; dies hindert nicht nur die Familie an dessen Nutzung zu eigenen Zwecken, sondern kann auch dazu führen, daß Kinder in nächster Nähe zu
gefährlichen Maschinen oder Chemikalien spielen.
Anmerkungen
' R.O. Metzger und M.A. von Glinow: „Off-site workers: At home and abroad", in
California Management Review (Berkeley, University of California), Frühjahr 1988, S. 105.
2
Weitere Beispiele für die ins Ausland verlagerte Telearbeit finden sich in IAA: Conditions
of Work Digest, Bd. 9, Nr. 1: Telework (Genf, 1990).
3
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Homeworking in Italy, France and United
Kingdom (Brüssel, 1986), S. 20-21.
' Ebd., S. 22.
5
A. Prasad und K.V. Eswara Prasad: Home-working in India: A review (Genf, IAA, 1987;
vervielfältigt).
6
Metzger und Glinow, a.a.O., S. 102.
1
R. Pineda-Ofreneo: Industrial homework in the Philippines (Genf, IAA, 1987), S. 1-4.
' M. Mies, V. Bernholdt-Thomsen und C. von Werlhof: Women — the last colony (NeuDelhi, Kali for Women, 1988).
9
Centre for Women's Research: Subcontracting in industry — Impact on women (Colombo,
1989).
3012-5.G94
Vor- und Nachteile der Heimarbeit
10
29
L.S. Lazo: Homework in Thailand: A review of the literature (Genf, IAA, 1990), S. 9.
" G. Berik: Women carpet weavers in rural Turkey: Patterns of employment, earnings and
status (Genf, IAA, 1987), S. 58.
12
M.A. Crummett: Rural women and industrial home work in Latin America: Research
review and agenda, World Employment Programme Research Working Paper No. 46 (Genf, IAA,
1988), S.18.
13
L. Benerfa und M. Roldän: The crosswind of class and gender in industrial home work
subcontracting and household dynamics in Mexico City (Chicago, University of Chicago Press,
1987), S. 6.
14
F. Shaheed und K. Mumtaz: Invisible workers: Piecework labour amongst women in Lahore
(Islamabad, Women's Division, Government of Pakistan, ohne Datum), S. 50-57.
" J. Sebstad: Struggle and development among self-employed women (Washington, D.C.,
USAID, 1982), zitiert in A.M. Singh und A. Kelles-Viitanen (Hrsg.): Invisible hands: Women in
home-based production (Neu-Delhi, Sage Publications, 1987), S. 29-33.
16
R. Rao und S. Husain: „Invisible hands: Women in home-based production in the garment
export industry in Delhi", ebd., S. 61-62.
17
C. Spindel: „O uso do trabalho da mulher na industria do vestuario", zitiert in Crummett,
a.a.O., S. 8.
" Beneria und Roldän, a.a.O., (Chicago, Chicago University Press, 1987), S. 62, zitiert in
Crummett, a.a.O.
"Crummett, a.a.O., S. 10.
20
Europarat: The protection of persons working at home, Bericht der Studiengruppe des
koordinierten Sozialforschungsprogramms 1987-88 (Straßburg, 1989), S. 19 und 21.
21
TNC Workers' Research: Anti-union employment practices: Final report (Sydney, Juni
1985).
22
A. van Luijken und S. Mitter (Hrsg.): Unseen phenomenon: The rise and conditions of
homeworking (London, Change, 1989).
23
Pineda-Ofreneo, a.a.O., S. 18.
24
L.S. Lazo: „Homeworkers in Southeast Asia: Problems and approaches", in IAA:
Proceedings, Asian Subregional Tripartite Seminar on the Protection of Homeworkers, Manila,
Dez. 1988, S. 72.
25
Crummett, a.a.O., S. 4.
26
Rao und Husain, a.a.O., S. 62.
27
R. Jhabavla, R. Dhawan und K. Mahajan: Women who roll bidis: Two studies of Gujarat
(Ahmedabad, Self-Employed Women's Association, 1985), S. 71.
a
Rao und Husain, a.a.O., S. 63.
29
Crummett, a.a.O., S. 13.
30
Lazo, a.a.O., S. 72.
21
E. Bhatt: „The invisibility of home-based work: The case of piece-rate workers in India",
in Singh und Kelles-Viitanen, a.a.O., S. 32.
32
Lazo, a.a.O., S. 73.
33
Crummett, a.a.O., S. 9.
54
V.A. Miraiao, zitiert in Pineda-Ofreneo, a.a.O., S. 51.
35
Europarat: The protection of persons working at home, a.a.O., S. 23.
36
IAA: Kinderarbeit, Teil I des Berichts des Generaldirektors an die Internationale
Arbeitskonferenz, 69. Tagung, 1983 (Genf, 1983); A. BequeleundJ. Boyden(Hrsg.): Combating
child labour (Genf, IAA, 1988).
37
Bequele und Boyden, a.a.O., S. 83-84.
301215.G94
KAPITEL III
GESETZLICHER SCHUTZ DER HEIMARBEITER
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über den Schutz, der Heimarbeitern in
den einzelnen Ländern durch gesetzliche und sonstige Vorschriften und
Gesamtarbeitsverträge geboten wird. Es wird versucht, die Wirksamkeit des
gebotenen Schutzes einzuschätzen und auf Schwierigkeiten, unklare Verhältnisse
und Lücken hinzuweisen.
INNERSTAATLICHE GESETZLICHE UND SONSTIGE VORSCHRIFTEN
Die Gesetzgebung von über 150 Mitgliedstaaten der IAO wurde zu dem
Zweck untersucht, die für Heimarbeiter geltenden Rechtsvorschriften zu ermitteln1. Davon haben 18 Länder (Argentinien, Deutschland2, Indien, Italien, Japan,
Kuba, Marokko, Niederlande, Norwegen, Österreich, Peru, Polen, Portugal,
Russische Föderation, San Marino, Schweiz, Ungarn, Uruguay) eine eigene
gesetzliche Regelung der Heimarbeit. In mindestens 22 Ländern (Afghanistan,
Äthiopien, Bolivien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El
Salvador, Frankreich, Guatemala, Haiti, Honduras, Kolumbien, Mexiko,
Nicaragua, Panama, Paraguay, Philippinen, Slowakei, Spanien, Tschechische
Republik, Venezuela) regelt ein Teil des Arbeitsrechts die Heimarbeit in
gewissem Umfang. In diesen zwei Ländergruppen können die gesetzliche Regelung der Heimarbeit oder bestimmte Teile des Arbeitsgesetzbuchs durch allgemeine arbeitsrechtliche Vorschriften ergänzt werden.
In einigen Ländern wie Dänemark, Malta und Schweden sind die für die
Heimarbeit geltenden Bestimmungen in unterschiedlichem Maß in der allgemeinen Arbeitsgesetzgebung enthalten, aber Heimarbeiter können ausdrücklich
von einigen Bestimmungen ausgenommen sein (z.B. Arbeitszeit, bezahlter
Jahresurlaub und Arbeitsschutz). In Chile sind Arbeitnehmer von den Bestimmungen über die Begrenzung der Arbeitszeit ausgenommen, wenn sie ohne Aufsicht arbeiten.
In wieder einer anderen Ländergruppe sind die Heimarbeiter in den Geltungsbereich des innerstaatlichen Arbeitsrechts aufgenommen worden, indem sie
entweder regulären Arbeitnehmern gleichgestellt werden (wie in Australien
(Neusüdwales), Kanada (Quebec) und Frankreich) oder ihr Beschäftigungsverhältnis als Arbeitsvertrag betrachtet wird (Brasilien, Finnland, Haiti,
Kolumbien).
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
31
In vielen der industrialisierten Länder geht die gesetzliche Regelung der
Heimarbeit auf die frühen Jahrzehnte dieses Jahrhunderts zurück (in Norwegen
ab 1918, in den Niederlanden ab 1933) — mit oder ohne Versuche, sie abzuändern und zu aktualisieren, um modernen Verhältnissen gerecht zu werden. Es
gibt jedoch relativ neuere Heimarbeitsgesetze in der Russischen Föderation, der
Schweiz und Ungarn; sie wurden alle 1981 verabschiedet.
Außerdem erließ Peru eine Regelung, durch die Bestimmungen über die
Heimarbeit in ein neues Beschäftigungsförderungsgesetz aufgenommen wurden.
Portugal schuf 1991 einen gesetzlichen Rahmen für die Heimarbeit (Gesetz
Nr. 440), der an Bestimmungen in der gesetzlichen Regelung der Einzelarbeitsverträge von 1969 anschloß, die Rechtsvorschriften zur Regelung der besonderen
Lage der Heimarbeiter vorsahen. Andere Länder, die in letzter Zeit Bestimmungen über die Heimarbeit angenommen oder abgeändert haben, sind Afghanistan,
Äthiopien und Chile, die ihr Arbeitsrecht abgeändert haben, um Bestimmungen
über die Heimarbeit aufzunehmen, sowie die Philippinen, die 1992 Vorschriften
zur Durchführung der Heimarbeitsbestimmungen im Arbeitsrecht verabschiedeten. Auch die Dominikanische Republik nahm 1992 gesetzliche Änderungen vor
und erließ 1993 Vorschriften, wobei auch die Bestimmungen über die Zulassung
von Heimarbeit erweitert wurden.
Die einzelnen Länder haben verschiedene Ansätze zur Regelung der Heimarbeit und zur Bewältigung der damit verbundenen besonderen Probleme
gewählt. Einige Länder (Argentinien, Deutschland, Italien, Japan, Marokko,
Peru, einige Bundesstaaten in den Vereinigten Staaten) haben Gesetze eigens zu
dem Zweck verabschiedet, die Bedingungen zu regeln, unter denen Heimarbeit
vergeben werden kann (d.h. sie können die Heimarbeit effektiv verbieten,
gewöhnlich in bestimmten Industriesektoren und/oder an bestimmten Standorten). In anderenlxindien, Niederlande, Norwegen) gilt das Heimarbeitsrecht
nur für bestimmte Wirtschaftszweige oder wirtschaftliche Tätigkeiten, in denen
Heimarbeit traditionell oder überwiegend vorkommt.
Die Natur des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Heimarbeiter und
dem Arbeitgeber ist entscheidend dafür, ob die allgemeine Arbeitsgesetzgebung
für Heimarbeiter gilt oder nicht. Dies gilt besonders für die Länder, in denen es
kein eigenes Heimarbeitsrecht gibt und die Gerichte in jedem einzelnen Fall zu
entscheiden haben, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt.
Definitionen
Das Heimarbeitsrecht vieler Länder versucht eine Definition der „Heimarbeit" und des „Heimarbeiters". Die meisten Heimarbeitsgesetze beginnen mit
einer Definition des „Heimarbeiters" als einer Person, „die Arbeit für eine
andere Person zu Hause oder an einem selbstgewählten Ort ohne direkte Aufsicht und Kontrolle durch den Arbeitgeber verrichtet". Der Heimarbeiter kann
die Arbeit persönlich oder mit Unterstützung anderer (oft Angehöriger seiner
Familie) verrichten. Der Arbeitgeber wird oft schlicht als die Person (oder das
Unternehmen) definiert, die Arbeit vergibt, die nach ihren Weisungen zu verrichten ist.
In einigen Fällen können sich die Definitionen der Heimarbeit auf bestimmte
Tätigkeiten oder Produktionsprozesse beschränken oder auf einen durch die
3012-5.G94
32
Heimarbeit
allgemeine Gesetzgebung abgedeckten Sektor oder Wirtschaftszweig beziehen;
die Heimarbeit kann somit in einem recht begrenzten Bereich geregelt sein. Die
Definition kann auch auf die Bereitstellung von Werkzeugen und Material eingehen, die zumeist von jeder der Parteien gestellt werden können. Andere in
einer Definition geregelten Aspekte beziehen sich mitunter auf eine garantierte
Arbeitsmenge.
In einigen wenigen Ländern (Dominikanische Republik, Frankreich, Italien,
Mexiko, Uruguay) ist es dem Heimarbeiter gestattet — oder zumindest nicht
verboten —, für mehr als einen Arbeitgeber zu arbeiten, während in anderen
(z.B. Singapur) Heimarbeiter als selbständig erwerbstätig gelten, wenn sie für
mehr als einen Arbeitgeber arbeiten.
Im Heimarbeitsrecht wird zum Teil auf die Rolle der Vermittler oder Mittelsmänner eingegangen (sie werden z.B. in Deutschland und Österreich als die vom
Arbeitgeber für die Weitergabe der Arbeit an den Heimarbeiter eingeschalteten
Personen definiert). Mitunter sind auch ihre Pflichten in diesem Rahmen
geregelt. In Argentinien kann ein Vermittler sowohl als Heimarbeiter als auch
als Arbeitgeber betrachtet werden, aber in der Dominikanischen Republik und
Mexiko ist die Einschaltung eines Vermittlers oder Mittelsmanns verboten.
Der Beschäftigungsstatus der Heimarbeiter
Die Gesetzgebung ist sehr ungenau, was die Rechtsstellung der Heimarbeiter
angeht, obwohl dies entscheidend wichtig ist für den Stand des Schutzes, den
ihnen das Gesetz bietet. Weder das eigene Heimarbeitsrecht noch das Arbeitsrecht hat die Frage des Beschäftigungsverhältnisses zwischen den Parteien
wirksam geregelt. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, schreibt die
Gesetzgebung keinen Vertrag irgendeiner Art vor. Dies erklärt die grundlegende
Ungenauigkeit in bezug auf den Status der Heimarbeiter. Selbst wenn die Heimarbeit unter Bedingungen verrichtet wird, wie sie vom Gesetz vorgeschrieben
werden, begründen diese Bedingungen keine anerkannte Vertragsform. Tatsächlich ist die Natur der Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und dem Heimarbeiter „in der Praxis von einer Verschwommenheit und im Gesetz von einem
Vakuum umgeben, wie sie im Bereich der zivilrechtlichen Verträge durchaus
unbekannt sind"3.
Im Mittelpunkt der Debatte über die Rechtsstellung der Heimarbeiter steht
die Natur des Beschäftigungsverhältnisses. In den Fällen, in denen die Heimarbeiter in den Geltungsbereich des Arbeitsrechts fallen, werden sie als reguläre
Arbeitnehmer betrachtet. In anderen Ländern stellt sich die Frage, ob sie als
Beschäftigte, selbständig Erwerbstätige oder eigene Kategorie betrachtet werden.
Da die Natur des Beschäftigungsverhältnisses im Gesetz nicht definiert ist, fällt
sie in die Zuständigkeit der Gerichte.
Das Konzept der Unterstellung
Nach dem traditionellen Arbeitsrecht liegt ein Beschäftigungsverhältnis vor,
wenn eine Person, die einem Arbeitgeber unmittelbar unterstellt ist, gegen Entgelt und nach im voraus festgelegten Arbeitsbedingungen persönlich eine Arbeit
verrichtet. Dies gilt nicht für Heimarbeiter. Erstens haben Heimarbeiter von
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
33
Anfang an in der Regel keine genau bestimmte Berufsbeschreibung: Sie werden
verpflichtet, um auf unregelmäßiger Grundlage verschiedene Arbeiten auszuführen. Außerdem verrichten die Heimarbeiter die Arbeit nicht immer allein; es
kann ihnen von Familienangehörigen und anderen geholfen werden, wie dies
nach dem Gesetz einer Reihe von Ländern zulässig ist. Schließlich würde der
traditionelle Begriff der Unterstellung voraussetzen, daß der Heimarbeiter unter
der direkten Aufsicht und Kontrolle des Arbeitgebers in dessen eigenen Räumlichkeiten arbeitet, was natürlich nicht der Fall ist.
Der Begriff der Unterstellung ist im kodifizierten Recht nicht definiert, aber
er wurde durch das Fallrecht weiter ausgeführt. Bei einer strengen Anwendung
des Begriffs der Unterstellung sind die Heimarbeiter vom Beschäftigungsstatus
ausgeschlossen. Es gibt jedoch einen Trend, der vom traditionellen Konzept der
Unterstellung wegführt, weil es sich nicht mehr für bestimmte Arbeitnehmergruppen eignen mag, die ihre Arbeit in einer gewissen Entfernung außerhalb des
Unternehmens, aber im Auftrag des Unternehmens verrichten.
Ein Beispiel, das diese Entwicklung veranschaulicht, ist die unbestimmte
Auslegung des Begriffs der Unterstellung durch den belgischen Kassationsgerichtshof. Nach diesem Gericht „gibt eine Person, die sich verpflichtet, unter
der Autorität einer anderen Person zu arbeiten, ihre Freiheit nicht völlig auf; die
Tatsache, daß sie bei der Ausübung ihres Berufs oder ihres Handwerks ein
gewisses Maß an Freiheit bewahrt, schließt das Vorliegen einer Unterstellungsbeziehung nicht aus". Diese Entscheidung hat manche Kreise zu der Auffassung
veranlaßt, daß „der logische Schluß des Rechtsprechungsverfahrens zweifellos
die Einbeziehung der Heimarbeit in die Arbeitsverträge wäre"4. Diese breite
Auslegung ist jedoch von den Rechtskommentatoren in Belgien nicht einmütig
übernommen worden.
Sehr ähnliche Argumente wurden von den Gerichten in Indien geprüft5, wo
Verfahren im englischen Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Beziehung
zwischen Dienstherr und Angestellter (oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer)
berücksichtigt wurden. Klar wird insbesondere durch das Urteil des indischen
Obersten Gerichtshofs von 19856, wonach das Gesetz über Arbeitnehmerversorgungskassen für Heimarbeiter in der Bidi-Industrie gilt, daß das Gericht
davon ausging, daß Heimarbeiter in diesem Fall die Stellung von Arbeitnehmern
haben.
In Frankreich hat das Heimarbeitsgesetz die Frage der Unterstellung umgangen; als Kriterium für die Feststellung der Existenz eines Arbeitsvertrags wurde
sie ausdrücklich ausgeklammert. Es wird davon ausgegangen, daß die Arbeitsvereinbarung zwischen dem Heimarbeiter und dem Arbeitgeber ein Arbeitsvertrag ist, ob die Unterstellung nun gegeben ist oder nicht. Diese Regelung bietet
indessen keinen absoluten Schutz, da nur die Vermutung dieser Stellung dem
Heimarbeiter zugute kommt; wenn der Heimarbeiter behauptet, selbständig
erwerbstätig zu sein, möglicherweise unter dem Druck der Person, die ihm die
Arbeit gibt, greift der Schutz nicht.
In Italien wurde das traditionelle Konzept der Unterstellung durch eine
andere Form der Unterstellung ersetzt, die als „Halbunterstellung" bezeichnet
wird und der Lage des Heimarbeiters angepaßt ist. Es wird davon ausgegangen,
daß Heimarbeit in Unterstellung unter einen Arbeitgeber verrichtet, wer bei der
3012-5.G94
34
Heimarbeit
vollständigen oder teilweisen Herstellung oder Fertigstellung von Produkten, die
mit der Tätigkeit des Arbeitgebers zusammenhängen, verpflichtet ist, sich an die
Weisungen des Arbeitgebers in bezug auf den Arbeitsprozeß, seine Natur und
seine Anforderungen zu halten.
In Portugal schützen neue gesetzliche Bestimmungen die Personen, die zu
Hause ohne ein strenges Unterstellungsverhältnis arbeiten, aber wirtschaftlich
von der Person abhängen, die ihnen die Arbeit gibt.
Besondere Erwähnung verdient die moderne Erscheinung der Telearbeit7.
Online-Telearbeiter sind direkt mit dem Zentralcomputer des Betriebs verbunden, so daß ihre Arbeit über den Computer der Kontrolle und Weisungsbefugnis
des Arbeitgebers unterliegt; das Terminal des Telearbeiters kann als Erweiterung
des Betriebs des Arbeitgebers betrachtet werden. Dem Heimarbeiter kann jedoch
auch Offline-Arbeit angeboten werden; in diesem Fall erhält er seine Weisungen
indirekt durch elektronische Post, Telefon oder Post, und das Arbeitsergebnis
wird auf dem gleichen Weg abgeliefert. Es gibt keine Überwachung und Kontrolle der Arbeit durch den Arbeitgeber während der eigentlichen Ausführung,
und diese Arbeit läßt sich daher weit mehr mit den traditionellen Formen der
Heimarbeit vergleichen als die Online-Arbeit.
Das Konzept der selbständigen Erwerbstätigkeit
Eine weitere Komplikation ist, daß sich bei der Heimarbeit Statuselemente
des Arbeitnehmers und des selbständigen Unternehmers miteinander verbinden.
Einerseits hängen die Heimarbeiter wie andere Beschäftigte im Betrieb normalerweise von der Arbeit ab, die ihnen der Arbeitgeber gibt, und sie unterliegen Qualitätskontrollen und Fristen für die Ablieferung der fertigen Arbeit.
Andererseits ist der Arbeitsplatz nicht der Betrieb des Arbeitgebers, und es gibt
daher wie bei einem selbständigen Unternehmer keine direkte Überwachung des
Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber.
In einer Reihe von Ländern, so z.B. im Vereinigten Königreich, wo das einzige Erfordernis darin besteht, daß die Arbeit für die Zwecke eines Gewerbebetriebs geleistet wird, haben die Behörden die Auffassung gefördert, daß Heimarbeiter selbständig erwerbstätig sind.
Bei der Entscheidung, ob Heimarbeiter selbständig erwerbstätig oder Arbeitnehmer sind, gehen die Gerichte in ihren Erkenntnissen in der Regel davon aus,
wie das Beschäftigungsverhältnis in der Praxis ausgeführt wird, nicht aber von
der Formulierung des Vertrags; dadurch soll bewußten Versuchen vorgebeugt
werden, das Gesetz zu umgehen, indem der Vertrag so formuliert wird, daß es
den Anschein hat, als ob der Heimarbeiter ein Zulieferer sei. Bei der Entscheidung über den Status des Heimarbeiters werden im allgemeinen die folgenden Faktoren berücksichtigt:
a) Persönliche Verrichtung der Arbeit: Im Fall eines regulären Beschäftigungsverhältnisses haben die Arbeitnehmer die Arbeit persönlich ohne Hilfe Dritter auszuführen. In bestimmten Fällen gestattet das Gesetz dem Heimarbeiter
jedoch, sich von Familienangehörigen oder bezahlten Assistenten helfen zu
lassen. Die Hilfe Dritter ist im Fallrecht nicht als Hindernis für den Arbeitnehmerstatus des Heimarbeiters betrachtet worden. Greift der Heimarbeiter
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
35
jedoch ohne Genehmigung des Arbeitgebers auf andere zurück, um die
Arbeit zu verrichten, so läßt dies auf Selbständigenstatus schließen.
b) Kontrolle der Heimarbeiter: Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben,
wenn der Arbeitgeber effektiv die Verdienstmöglichkeiten der Heimarbeiter
kontrolliert, indem er ihnen Material zur Verfügung stellt, Ausrüstung liefert
und sie nach Stücklohn bezahlt.
c) Indirekte Kontrolle der Arbeitszeit: Die Freiheit der Heimarbeiter erstreckt
sich oft nur auf die Wahl ihrer Arbeitszeit, aber in der Praxis können sie
gezwungen sein, eine Zielmenge binnen einer bestimmten Frist in einer vorbestimmten Art und nach den finanziellen Bedingungen des Arbeitgebers herzustellen.
d) Vermarktung der Produkte: Es ist eher wahrscheinlich, daß Heimarbeiter
selbständig erwerbstätig sind, wenn sie ihre Preise selbst festsetzen, ihre
Produkte vermarkten, an verschiedene Stellen verkaufen und sich selbst um
die Rohstoffversorgung kümmern.
e) Dauer: Die dauernde Beziehung zwischen einem Heimarbeiter und einem
bestimmten Arbeitgeber läßt auf ein Beschäftigungsverhältnis schließen.
Wenn ein Heimarbeiter das Beschäftigungsverhältnis beenden und seine
Arbeit anderswo anbieten kann, wird dies als Hinweis auf eine selbständige
Erwerbstätigkeit aufgefaßt.
f) Initiative: Wenn der Heimarbeiter Wahlfreiheit in bezug auf die Aufträge
hat, die er erfüllt, läßt dies auf selbständige Erwerbstätigkeit schließen; ist
er jedoch gezwungen, die Aufträge anzunehmen, die ihm erteilt werden, so
darf angenommen werden, daß er abhängig ist.
Vom Begriff her ist es zwar nicht schwierig, zwischen selbständiger
Erwerbstätigkeit und Heimarbeit zu unterscheiden, aber in der Praxis ist dies
nicht immer leicht. Mitunter wird eine gesetzwidrige Kauf-Verkauf-Fiktion
geschaffen, wonach davon ausgegangen wird, daß der Arbeitnehmer das Rohmaterial vom Arbeitgeber gekauft und ihm sodann die Fertigprodukte verkauft
hat. In Deutschland werden bisweilen Maschinen zu relativ hohen Preisen an
Heimarbeiter verkauft, die dann wenig oder keine zusätzlichen Aufträge
bekommen — eine Regelung, die den Eindruck erwecken soll, daß sie selbständig erwerbstätig sind. Nach äthiopischem Recht wird eine Abmachung über den
Verkauf von Rohstoffen oder Werkzeugen durch einen Arbeitgeber an einen
Heimarbeiter und den Wiederverkauf der Produkte an den Arbeitgeber oder jede
andere ähnliche Regelung als Heimarbeitsvertrag betrachtet.
In Lateinamerika verlangen Unternehmen oft von Heimarbeitern, daß sie ihre
Wohnung als selbständige Werkstätten eintragen lassen, um das Gesetz zu umgehen. In Uruguay z.B. ist es Heimarbeitern sehr schwer gefallen, sich gesetzlich verankerte Leistungen zu sichern, weil die Arbeitgeber die Auffassung
vertreten, daß sie als „Hobby" zu Hause arbeiten8.
Insgesamt hat es den Anschein, daß es selbst dort, wo die innerstaatliche
Gesetzgebung versucht, den Beschäftigungsstatus des Heimarbeiters und die
Natur des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen, in der Praxis den Gerichten
überlassen wird, die Frage anhand des Sachverhalts in jedem konkreten Fall zu
entscheiden. Dadurch wird große Unsicherheit geschaffen, besonders für Heim3012-5.G94
36
Heimarbeit
arbeiter, aber auch für Arbeitgeber. Es spricht daher einiges dafür, die
Schaffung eines besonderen Beschäftigungsstatus für Heimarbeiter zu erwägen,
der den spezifischen Merkmalen der Heimarbeit Rechnung tragen würde.
Ein weiteres Kriterium, das berücksichtigt werden kann, wenn zu entscheiden ist, ob ein Heimarbeiter Arbeitnehmer oder selbständig Erwerbstätiger
ist, ist die Heranziehung von Helfern bei der Ausführung der Arbeit. Die
gesetzlichen Regelungen sind in dieser Hinsicht recht verschieden. Einige Länder
gestatten die Mithilfe von unterhaltsberechtigten Angehörigen des Heimarbeiters,
schließen aber fremde Mithilfe aus (Italien, Japan, Portugal, Schweiz).
Anderswo reicht die zulässige Zahl der Mithelfer von einem (Frankreich) oder
zwei (Deutschland) bis zu sechs (Spanien). Wird die Schwelle überschritten, so
entsteht eine Lage, die nicht mehr als Heimarbeit, sondern als selbständige
Erwerbstätigkeit eingestuft wird.
Arbeitsverträge
Heimarbeitsverträge, die die Beschäftigungsbedingungen festlegen, bedürfen
gewöhnlich — sofern sie erforderlich sind — der Schriftform, wie in vielen der
lateinamerikanischen Länder und Polen, aber in anderen (Äquatorialguinea,
Äthiopien, Bolivien, Kolumbien, Kuba, Russische Föderation) wird auch ein
mündlicher Vertrag anerkannt oder gilt unter bestimmten Voraussetzungen als
gegeben. Nach der schweizerischen HeimarbeitsVerordnung (1982) hat der
Arbeitgeber dem Heimarbeiter die auf Betriebsvereinbarungen oder Gesamtarbeitsverträgen beruhenden allgemeinen Beschäftigungsbedingungen schriftlich
mitzuteilen. Weisungen für die Ausführung der Arbeit müssen in Form eines
Arbeitsblatts oder Arbeitsbuchs weitergegeben werden.
In einer Reihe von Ländern hat der Gesetzgeber sogenannte „Heimarbeitsvertrage" eingeführt, aber in den meisten Fällen ist unklar, ob dies normale
Arbeitsverträge sind, die der Heimarbeit angepaßt wurden, oder ob es sich um
neue Vertragsformen handelt, die eine Sonderstellung für Heimarbeiter begründen. In Spanien z.B. werden in der Arbeitnehmercharta spezifische „Verträge
für Heimarbeit" erwähnt. Spanische Gerichte haben sich mit dieser Frage in
Fällen befaßt, in denen Heimarbeiter keine Arbeit mehr von ihrem Arbeitgeber
erhielten, ohne in aller Form gekündigt worden zu sein. Sie haben den Heimarbeitsvertrag nicht als Arbeitsvertrag betrachtet, wobei sie in ihren Schlußfolgerungen von der Natur des Beschäftigungsverhältnisses ausgegangen sind. Mit
anderen Worten: Die Gerichte beurteilten das Verhältnis, um zu entscheiden, ob
es die Elemente eines regulären Arbeitsvertrags hatte (Unterstellung, Regelmäßigkeit der Arbeit und ähnliches). Daher wurde durch die Einbettung der Heimarbeitsverträge in das Gesetz die Natur des Beschäftigungsverhältnisses oft nicht
geklärt. Das Schweizer Recht hat jedoch diese Frage gelöst: Im Obligationenrecht heißt es, daß Heimarbeitsverträge den Regeln unterliegen, wie sie für
Arbeitsverträge gelten.
Rechtsstellung der Helfer
Die Schutzgesetzgebung gilt normalerweise nur für die Heimarbeiter selbst,
ohne daß auf Familienangehörige oder Helfer eingegangen wird. Es stellt sich
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
37
daher die Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Helfer und dem
Heimarbeiter besteht. Die finnische Gesetzgebung erwähnt, daß ein von einem
Heimarbeiter eingestellter Helfer kein Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitgeber eingehen darf, es sei denn, daß dies ausdrücklich mit dem Arbeitgeber
vereinbart wurde. In einigen Fällen sind mithelfende Familienangehörige
anderswo vollzeitig beschäftigt und helfen dem Heimarbeiter lediglich in Zeiten
mit hohem Arbeitsanfall aus, aber oft hängt der Helfer in bezug auf Einkommen
und Arbeitsbedingungen völlig vom Heimarbeiter ab.
Der völlige Mangel an Klarheit über die Rechtsstellung der Helfer hat weitreichende Folgen. So kann z.B. die Gesetzgebung die Lohnfindungsmethode nur
für die Heimarbeiter und überhaupt nicht für die Helfer festlegen. Das Gesetz
zur Regelung der Heimarbeit in den Niederlanden veranschaulicht das Problem:
Die Definition des mithelfenden Arbeiters enthält die Feststellung, daß Hilfe
„gegen Entgelt oder nicht" gewährt werden kann. Ein weiteres ungelöstes Problem ist die Stellung der Helfer der Sozialen Sicherheit gegenüber. Werden sie
durch die Beiträge des Arbeitgebers gedeckt, wenn Heimarbeiter einem Pflichtsystem der Sozialen Sicherheit unterstellt sind, oder sind sie selbst für ihre
Beiträge verantwortlich?
Das französische Arbeitsgesetzbuch hat Vorschriften über Helfer gebracht,
die einen Teil der oben angeschnittenen Fragen beantworten. Laut Artikel L
721-5 ist der Heimarbeiter, der auf Helfer zurückgreift, verantwortlich dafür,
daß auf sie alle für Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Vorschriften angewandt
werden. Mit anderen Worten: Obwohl Heimarbeiter nach französischem Recht
die Stellung von Arbeitnehmern haben, haben sie Helfern gegenüber die Verantwortung von Arbeitgebern. Dies kann natürlich auf Seiten der Heimarbeiter eine
Verbindlichkeit ihren Helfern gegenüber schaffen, die sie in der Praxis nicht
tragen können, z.B. wenn der ursprüngliche Arbeitgeber die Löhne nicht zahlt.
Unter diesen Umständen gilt Artikel L 125-2 des Arbeitsgesetzbuchs: Wenn der
Leiter eines Industrieunternehmens einen Vertrag für die Ausführung einer
bestimmten Arbeit mit einem Zulieferer abschließt, der sodann Heimarbeiter
beschäftigt, tritt das Unternehmen im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in bezug auf die Zahlung des Lohnes, den bezahlten Urlaub und die Zahlung der Beiträge zum System der Familienleistungen an die Stelle des Zulieferers. Der Hauptarbeitgeber wird haftbar für die Zahlungen, die an die Helfer zu
leisten sind. Statt zwischen dem „Hauptheimarbeiter" und den „Helfern" zu
unterscheiden, könnten die Helfer besser geschützt sein, wenn die Gesetzgebung
sie selbst wie Heimarbeiter behandelte.
Die Rolle der Vermittler
Die Einschaltung von Vermittlern ist ein weiterer Problembereich, wenn es
um die Bestimmung der Natur des Beschäftigungsverhältnisses des Heimarbeiters
geht. Vermittler werden als Personen definiert, die ein Einkommen daraus erzielen, daß sie Aufträge von einem oder mehr Unternehmen annehmen und von
einem oder mehr Heimarbeitern erfüllen lassen. In der Tat berechnen sie dem
Arbeitgeber einen Prozentsatz des Stücklohns, der dem Heimarbeiter gezahlt
wird. In den Definitionen der Heimarbeit werden die Vermittler zumeist als
Mittel zur Abstimmung von Angebot und Nachfrage anerkannt (Deutschland,
3012-5.G94
38
Heimarbeit
Österreich). In einer Reihe von Ländern jedoch wird davon ausgegangen, daß
sie das Gesetz umgehen, und sie sind daher verboten. Der Europarat hat erklärt9:
„Es ist nachgewiesen worden, daß sich Arbeitgeber sehr oft mit den Vermittlern
absprechen, um diese als Strohmänner zu benutzen, was sie von ihren vertraglichen Verpflichtungen den Arbeitnehmern gegenüber befreit." Da es der Vermittler ist, der unmittelbar mit dem Heimarbeiter in Verbindung steht und den
Vertrag abschließt, ist es für den Heimarbeiter sehr oft schwierig zu wissen, wer
der echte Arbeitgeber ist (wenn dies nicht im Vertrag offengelegt wird). Dies ist
ein System, das als Kunstgriff benutzt werden kann, um die Hauptarbeitgeber
von ihren Verpflichtungen zu befreien.
Selbst wenn — wie in Italien10 — die Vermittler gesetzlich verboten sind,
können Wege zur Umgehung des Verbots gefunden werden, z.B. durch ein
„Kettensystem", das auf eine Reihe von Zulieferern zurückgreift, die schließlich
einen Teil der Arbeit an Heimarbeiter vergeben. Es gibt auch das System der
Scheingenossenschaften, die den Heimarbeitern vom Zulieferer aufgezwungen
werden, so daß sie über Vermittler verhandeln müssen. So vermeidet der Zulieferer jede direkte Beziehung zu den einzelnen Heimarbeitern und hat damit keine
gesetzlichen Verpflichtungen ihnen gegenüber.
Eines der Hauptprobleme im Zusammenhang mit der Umgehung des Gesetzes durch den Rückgriff auf Vermittler ist ihre unklare Rechtsstellung. Gelten
sie als Arbeitnehmer, als Arbeitgeber, die Heimarbeiter verpflichten, oder als
selbständig Erwerbstätige? Das Recht der meisten Länder regelt diese Frage
nicht. In Argentinien wurde eine Lösung gewählt, die zeigt, wie komplex das
Problem ist. Vermittler werden einerseits im Zusammenhang mit dem Unternehmen, das die Arbeit vergibt, als Heimarbeiter definiert, andererseits im
Zusammenhang mit den Arbeitnehmern, denen sie Arbeit geben, als Arbeitgeber, die den Verpflichtungen aus dem Heimarbeitsgesetz unterliegen. Was die
Verantwortung angeht, haftet das Unternehmen, weil davon ausgegangen wird,
daß die von Vermittlern verpflichteten Arbeitnehmer vom ursprünglichen Arbeitgeber eingestellt wurden. Unternehmen und ihre Vermittler haften gemeinsam
für die Zahlung der Löhne und haben sicherzustellen, daß die Erfordernisse in
bezug auf die Arbeitsbedingungen eingehalten werden.
Einige wenige Länder, so z.B. Ecuador, behandeln Vermittler, als ob sie die
Stellung des Hauptarbeitgebers hätten, und als solche sind sie für die Einhaltung
der Rechtsvorschriften verantwortlich, wie sie für die Arbeitsbedingungen des
Heimarbeiters maßgebend sind. In Frankreich sieht das Arbeitsgesetzbuch ausdrücklich vor, daß der Arbeitgeber selbst dann für die Einhaltung verantwortlich
ist, wenn auf Vermittler zurückgegriffen wird, aber in der Praxis kann es
schwierig sein, die Verantwortung des Arbeitgebers nachzuweisen. In Australien
(Victoria)" ist im Bekleidungssektor, der Vermittler benutzt, eine der Hauptschwierigkeiten für die Heimarbeiter die Bestimmung ihres Hauptarbeitgebers
oder letztlichen Arbeitgebers, wenn sie eine Leistung aus der gesetzlichen
Unfallversicherung zu beantragen versuchen. Das entsprechende Gesetz bürdet
die Verantwortung für die Entschädigung von Heimarbeitern dem „primären"
Arbeitgeber und nicht dem Vermittler auf.
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
39
Arbeitsbedingungen
Die Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter sind in begrenztem Maß im Heimarbeitsrecht geregelt. In einigen Fällen (Dänemark, Deutschland, Vereinigtes
Königreich) wird ihre Festlegung Kollektivverträgen oder Schiedssprüchen überlassen; in anderen (Japan) legt das Gesetz Mindestnormen fest. In Österreich
wird davon ausgegangen, daß die Bestimmungen eines für die Heimarbeit geltenden Kollektivvertrags fester Bestandteil des Arbeitsvertrags sind. Viele
Probleme ergeben sich jedoch aus dem Versuch, das Arbeitsrecht auf Heimarbeiter auszudehnen, ohne es den besonderen Umständen und Merkmalen der
Heimarbeit anzupassen.
Entgelt
Einer der Hauptzwecke des innerstaatlichen Heimarbeitsrechts ist, dem
Heimarbeiter einen Lohn zu sichern, der sich mit jenem eines Arbeitnehmers im
Unternehmen vergleichen läßt, oder einen Mindestlohn festzusetzen, der für
Heimarbeiter im allgemeinen oder für Heimarbeiter in einem bestimmten Wirtschaftssektor gilt. Der Teil von Kapitel II dieses Berichts, in dem auf die Höhe
des Entgelts eingegangen wird, enthält Beispiele, die darauf schließen lassen,
daß dieses Ziel oft nicht erreicht wird und viele Heimarbeiter erheblich weniger
erhalten als ihre Kollegen in einer regelmäßigen Beschäftigung. Es gibt viele
Gründe dafür, darunter die grundlegende Anfälligkeit der Heimarbeiter und das
Fehlen von Aufsicht und Vollstreckung, auf die später in diesem Kapitel eingegangen wird. Ein Teil des Problems kommt jedoch daher, daß das Lohnschutzrecht sowohl in industrialisierten Staaten als auch in Entwicklungsländern
Mängel aufweist.
In vielen Ländern überläßt das Arbeitsrecht die Festsetzung der Lohnsätze
für Heimarbeiter den betroffenen Parteien (dem Arbeitgeber und dem einzelnen
Heimarbeiter) oder Kollektivverträgen, die für den betreffenden Industrie- oder
Wirtschaftszweig gelten. In Australien werden die Sätze in Schiedssprüchen festgelegt, die für eine Industrie oder einen Beruf verbindlich sind. In Frankreich
werden sie durch Ministerialverordnung festgelegt, wenn es keinen für Heimarbeiter geltenden Gesamtarbeitsvertrag gibt. In einigen Ländern (Deutschland,
Italien, Japan, San Marino) sehen die Heimarbeitsgesetze die Bildung von
besonderen dreigliedrigen Ausschüssen zur Festsetzung der Löhne der Heimarbeiter vor. In Italien ist der Direktor des regionalen Arbeitsamts verantwortlich
für die Festsetzung der Löhne, wenn der regionale Heimarbeitsausschuß binnen
einer bestimmten Frist keine Einigung erzielen kann.
In einigen Ländern werden durch Sondervorschriften Lohnsätze für
bestimmte Wirtschaftszweige festgelegt. So setzt z.B. in Irland die 1983 vom
paritätischen Arbeitsausschuß für die Hemdenschneiderei erlassene Verordnung
zur Regelung der Beschäftigung Zeit- und Stücklohnsätze für alle Berufs- und
Arbeitnehmergruppen fest, auch für die Heimarbeiter.
Wenn die Löhne der Heimarbeiter durch die Gesetzgebung festgelegt werden, ist diese in der Regel äußerst unbestimmt. Einige der älteren Gesetze
sprechen davon, daß die Sätze auf dem „beruhen" sollten, was für ähnliche
Arbeit in der Fabrik gezahlt wird, ohne effektiv festzustellen, daß sie gleich sein
3012-5.G94
40
Heimarbeit
sollten. In anderen Fällen heißt es in den Bestimmungen, daß die Heimarbeiter
einen Lohn erhalten sollten, der sich mit dem Lohn eines Arbeitnehmers vergleichen läßt, der die gleiche Art von Arbeit im Unternehmen verrichtet, oder
der nicht niedriger sein sollte. Nicht berücksichtigt werden dabei der Unterschied
in den Arbeitsbedingungen in der Fabrik und im Heim oder die mit der Heimarbeit verbundenen Einsparungen für den Arbeitgeber und zusätzlichen Kosten
für den Arbeitnehmer. Wenn keine Vergleichsgrundlage gegeben ist, liegt es in
der Verantwortung des Arbeitgebers, die Zeit einzuschätzen, die für die Erfüllung der Aufgabe notwendig ist (Schweiz, Vereinigte Staaten), und die Berechnungsmethode wird dem Heimarbeiter mitgeteilt (aber nicht unbedingt mit ihm
vereinbart) (Deutschland). Ferner wird dabei — außer im Fall neuerer Schweizer
Rechtsvorschriften — in der Regel übersehen, daß Vergleiche unmöglich sind,
wenn im Unternehmen keine ähnlichen Tätigkeiten ausgeführt werden.
In einer erheblichen Zahl von Ländern gilt eine gesetzliche Mindestlohnregelung für Heimarbeiter, aber in anderen ist nicht klar, ob Heimarbeiter
unterstellt sind oder nicht (Kanada). In Japan muß den Heimarbeitern wenigstens
der Mindestlohn gezahlt werden (das japanische Heimarbeitsgesetz von 1970 gibt
dem Minister Vollmacht, falls notwendig Mindestlohnsätze festzulegen). In
Mexiko entscheiden regionale Mindestlohnkommissionen die Frage. In einigen
Fällen müssen unter Umständen Sondersätze angenommen werden (Indien).
Einige Länder, wie z.B. Frankreich, die einen nationalen Mindestlohn eingeführt
haben, wenden diesen auf Heimarbeiter an, die damit wie Arbeitnehmer behandelt werden. Dies ist jedoch eine Quelle rechtlicher Komplikationen und nicht
immer wirkungsvoll. In Kanada (Quebec) z.B. schließt der Ausdruck „Arbeitnehmer" die Heimarbeiter ein, aber das Provinzgericht hat entschieden, daß
Arbeitnehmer, die in bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsmethoden keinerlei
Kontrolle unterliegen, nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes
definiert werden können.
Die Gesetze bestimmen mitunter, daß die Löhne der Heimarbeiter auf Stücklohnbasis festzusetzen sind, wobei davon ausgegangen wird, daß die Herstellung
jedes Stückes einen bestimmten Zeitaufwand erfordert. Viele Gesetze schweigen
sich aus oder unterlassen die Regelung der Fertigungszeiten, wie sie normalerweise vom Arbeitgeber festgesetzt werden; diese können zu niedrig angesetzt
sein und den Heimarbeiter zwingen, schwerer oder länger zu arbeiten als der
gewöhnliche Arbeitnehmer. Für die Festsetzung von Stücklohnsätzen in Portugal
sieht das Gesetz vor, daß von der durchschnittlichen Zeit auszugehen ist, die für
die Erzeugung der Ware oder Dienstleistung benötigt wird; dabei ist die Durchschnittszeit die Zeit, die normalerweise für die Erfüllung der gleichen Aufgabe
im Betrieb aufgewendet würde. Beispiele aus der australischen Bekleidungsindustrie und den Niederlanden sind bereits in dem Teil von Kapitel II erwähnt
worden, der dem Entgelt gilt. Im Bericht des Europarats wird die Festsetzung
von Vorgabezeiten durch einen sachkundigen, unparteiischen Beamten (z.B. den
Beamten der Arbeitsaufsicht), wenn die Normzeit für eine bestimmte Aufgabe
nicht durch Kollektivvertrag festgelegt ist, als wesentliche Voraussetzung für die
Herstellung der Lohnvergleichbarkeit für Heimarbeiter angesehen12. Verordnungen auf den Philippinen sehen vor, daß das Ministerium für Arbeit und
Beschäftigung auf eigene Initiative oder auf Antrag eine Standardproduktion oder
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Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
41
einen Stück- oder Mindestlohn für eine bestimmte Arbeit festsetzen kann. Mit
der Festsetzung von Lohnsätzen können Zeit- und Bewegungsstudien, vom Ministerium gebilligte Einzel- oder Kollektivverträge oder dreigliedrige Konferenzen
verbunden sein.
In Frankreich regelt das Gesetz Vorgabezeiten und Kollektivverträge für die
Berufe, in denen Heimarbeiter beschäftigt sind; ansonsten hat der Präfekt eines
Departements — in Ermangelung eines Kollektivvertrags — ein Schema der für
den Abschluß von Standardarbeiten erforderlichen Zeiten herauszugeben. Zur
Berechnung des Mindestlohns des Heimarbeiters wird der feste Stundenlohn mit
der für den Abschluß der Arbeit erforderlichen Zeit multipliziert. Gleichwohl
zeigt eine von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Frankreich
durchgeführte Erhebung13, daß „Brachzeiten" in der Fertigung (z.B. Werkzeugwechsel, Materialsortierung usw.) bei der Berechnung der Stücklöhne übergangen werden, so daß es immer eine Differenz zwischen der effektiv für die
Arbeit aufgewandten Zeit und der Zeit gibt, die bezahlt wird.
In einigen Ländern (Deutschland, Ecuador, Niederlande, Österreich) müssen
die Lohntarife deutlich sichtbar an einer Stelle ausgehängt werden, an der die
Arbeitnehmer Arbeit abholen oder abliefern oder ihren Lohn empfangen.
Das eigens für die Heimarbeit geltende Recht — nicht aber das allgemeine
Arbeitsrecht — schreibt oft vor, daß Heimarbeitern ihre Spesen zu erstatten sind
und daß ihnen eine Entschädigung für die Benutzung ihrer eigenen Räumlichkeiten, Arbeitsmittel, Energie usw. zu gewähren ist. In mehreren Ländern (Frankreich, Peru, Russische Föderation, Ungarn) ist ein als Prozentsatz des Lohnes
bemessener fester Satz als Zuschlag zu zahlen.
Ein weiterer Faktor einer gerechten Lohnfindung sind die Transportkosten,
die vom Arbeitgeber nicht erstattet werden. Wenn Heimarbeiter einen Weg
zurückzulegen haben, um Aufträge zu erhalten oder die fertige Arbeit abzuliefern, entstehen ihnen Unkosten, deren Erstattung oft nicht gesetzlich
vorgesehen ist. Nur in El Salvador, Mexiko, Österreich, Paraguay, Peru, Polen
und Ungarn muß der Heimarbeiter für die Wartezeit entschädigt werden, die er
im Betrieb des Arbeitgebers verbringt, aber die Erstattung der Fahrtkosten ist
in der Gesetzgebung nicht vorgesehen.
Verschiedene Länder (Costa Rica, Guatemala, Haiti, Paraguay, Polen) regeln
die Grenzen, in denen der Arbeitgeber das Recht hat, Lohnabzüge wegen mangelhafter Arbeit, Materialverschwendung und ähnlichem vorzunehmen, und
bestimmen den Betrag, der abgezogen werden kann.
Schließlich ist der Versuch, auf dem Weg über die Gesetzgebung einen
Mindestlohn zu begründen, völlig unwirksam, wenn der Heimarbeiter nicht
genug Arbeit hat, um dieses Einkommen zu erreichen. Die Gesetzgebung ist auf
diese Schwierigkeit nicht eingegangen. Die innerstaatlichen gesetzlichen und
sonstigen Vorschriften zwingen die Arbeitgeber nicht, ihren Heimarbeitern ein
konstantes Arbeitsvolumen zu geben; tatsächlich ist eine ungleichmäßige Arbeitslast und damit ein unregelmäßiger Verdienst typisch für die Heimarbeit, ohne
daß es in Zeiten mit niedrigem oder ohne Verdienst Ausgleichszahlungen gibt.
Ein Kollektivvertrag hat in Portugal14 eine Verpflichtung zur Versorgung mit
Arbeit eingeführt, die es Heimarbeitern gestattet, einen Monatslohn zu erzielen,
der ihrem durchschnittlichen Monatslohn im vorangegangenen Jahr oder in der
3012-5.G94
42
Heimarbeit
vorangegangenen Vertragsperiode entspricht, falls diese kürzer war. Dieser
Ansatz könnte im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung unter angemessenen
Umständen erwogen werden.
Sicherheit der Beschäftigung
Die Frage der Sicherheit der Beschäftigung hat für Heimarbeiter zwei
Aspekte: das Fehlen eines garantierten Einkommens und der Kündigungsschutz.
Wenn Heimarbeiter vom Gesetzgeber als „Arbeitnehmer" anerkannt werden,
sind sie in gleichem Maß wie andere Arbeitnehmer vor ungerechtfertigter Entlassung geschützt, und der Arbeitgeber ist verpflichtet, bei Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses eine vorgeschriebene Mindestkündigungsfrist einzuhalten. Wie jedoch bereits angemerkt, stellt die Gesetzgebung in vielen Fällen
nicht sicher, daß der Heimarbeiter diese Stellung hat. Es stellt sich daher die
Frage, ob eine Entlassung vorliegt, wenn der Arbeitgeber auf längere Zeit keine
Arbeit vergibt. Dies mag lediglich darauf zurückzuführen sein, daß der Arbeitgeber selbst keine Aufträge hat, nicht aber auf den Wunsch, auf die Dienste des
Heimarbeiters zu verzichten. Der Zustand mag nur vorübergehend sein, obwohl
sich seine Dauer durchaus nicht vorhersagen läßt. Natürlich können Arbeitgeber
bestimmten Heimarbeitern bewußt Arbeit vorenthalten; in diesem Fall sind sie
nicht verpflichtet, einen Grund anzugeben, wie dies im Fall eines förmlichen
Entlassungsverfahrens notwendig wäre, und keine Kündigungsfrist ist vorgeschrieben. Dies läuft de facto auf eine „verkappte Entlassung" hinaus.
Einige Länder gehen auf die Beendigung eines Vertrags wegen Arbeitsmangels ein. So sehen z.B. Änderungen der letzten Zeit im Recht der Dominikanischen Republik vor, daß ein Grund für die Beendigung des Heimarbeitsvertrags gegeben ist, wenn der Arbeitgeber es versäumt, während einer Dauer von
vier Wochen mindestens drei Tage Arbeit wöchentlich zu vergeben, oder wenn
der Arbeitnehmer für eine solche Arbeit nicht zur Verfügung steht. Falls nichts
anderes vereinbart ist, wird in Portugal davon ausgegangen, daß der Vertrag
eines Heimarbeiters, der während mehr als 60 aufeinanderfolgenden Tagen keine
Arbeit erhalten hat, nach dem Ende dieses Zeitraums beendigt ist. In diesem Fall
hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung in Höhe von
mindestens 50 Prozent des Entgelts für die Zeit ohne Arbeit oder eines Durchschnittswerts für das vorangegangene Jahr oder die Vertragsperiode, wenn diese
kürzer ist.
Nur einige wenige Länder haben die Entlassung von Heimarbeitern gesetzlich geregelt. Das deutsche Heimarbeitsgesetz fordert die gesetzliche Beendigung
des Vertrags zum Zeichen, daß das Beschäftigungsverhältnis beendigt ist. Die
Kündigungsverfahren sind in einer ähnlichen Form geregelt wie für normale
Arbeitsverträge: In den ersten zwei Wochen der Beschäftigung kann dem Heimarbeiter von einem Tag zum anderen gekündigt werden, danach beträgt die
Kündigungsfrist aber zwei Wochen. Die Kündigungsfrist gilt jedoch nur, wenn
der Heimarbeiter regelmäßig vom Arbeitgeber beschäftigt wird. Das gleiche
Gesetz sieht vor, daß das Beschäftigungs Verhältnis nach einer Dauer von fünf
Jahren nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat beendigt
werden kann (nach zehn Jahren zwei Monate; nach 20 Jahren drei Monate). Es
enthält auch Maßnahmen, durch die verhindert werden soll, daß das Entlassungs3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
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verfahren vermieden wird, da ein Arbeitgeber ansonsten sehr leicht die Kündigungsfrist umgehen könnte, indem er dem Heimarbeiter weniger oder gar
keine Arbeit gibt. Schließlich sind auch Maßnahmen vorgesehen, die skrupellose
Praktiken verhindern sollen, wie z.B. die weitgehende Einschränkung der vergebenen Aufträge, um den Heimarbeiter zu zwingen, die Bedingungen des
Arbeitgebers anzunehmen. Will der Arbeitgeber die Arbeitsmenge um mehr als
25 Prozent der ursprünglichen Arbeit verringern, so muß er die Kündigungsfrist
einhalten, wie wenn es sich um eine gesetzliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses handelte.
Auch im japanischen Recht gibt es eine Wartezeit (sechs Monate ununterbrochener Beschäftigung); hat der Heimarbeiter diese Zeit zurückgelegt, so muß
der Arbeitgeber in aller Form kündigen. Auch in Portugal regelt das Gesetz die
Beendigung von Verträgen und sieht Kündigungsfristen vor, die sich nach der
Beschäftigungsdauer richten.
Auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses wird nur in einigen
wenigen Ländern eingegangen, aber noch kleiner ist die Zahl der Länder, in
denen das Gesetz eine Abfindung bei Entlassung vorsieht; dies gilt z.B. für
Deutschland, Portugal und Uruguay. Nach dem deutschen Heimarbeitsgesetz
haben Heimarbeiter bei Entlassung Anspruch auf eine Barabfindung in Form
eines Prozentsatzes des in den vorangegangenen 24 Wochen verdienten Lohnes.
Wie schon weiter oben angemerkt, ist auch in Portugal eine Abfindung vorgesehen, wenn Arbeitsmangel zum Ablauf eines Vertrags führt.
Arbeitszeit
Es mag zwar unangebracht erscheinen, die Arbeitszeit von Arbeitnehmern
zu regeln, denen es wirklich freisteht, ihre Arbeitszeit zu organisieren, doch
sollte die Wahlfreiheit nicht zu übermäßigen Arbeitszeiten führen. Dies ist aber
üblich in der Heimarbeit, wo die Lieferfristen oft zu kurz sind, die Fertigungszeiten vom Arbeitgeber zu niedrig angesetzt werden und die Löhne niedrig sind.
Als Ergebnis muß der Heimarbeiter zumeist länger arbeiten, um einen Mindestlohn zu verdienen.
In den meisten Ländern gelten die zwingenden Arbeitszeit- und Überstundenregelungen nicht für Heimarbeiter. In Belgien sind die Heimarbeiter
ausdrücklich von den Bestimmungen über die Arbeitszeit und die Sonntagsruhe
ausgenommen, und in Brasilien und Kanada sind sie von den gesetzlichen
Arbeitszeit- und Überstundenvorschriften ausgenommen.
In Frankreich, Haiti, Marokko und der Russischen Föderation gelten für
Heimarbeiter die gleichen Regeln wie für andere im selben Betrieb. In Haiti muß
der Arbeitgeber Liefertermine vereinbaren, die auf die gesetzliche Regelung der
Arbeitszeit, der wöchentlichen Ruhezeiten und der Feiertage Bedacht nehmen.
Einige wenige andere Länder (Deutschland, Japan, Österreich und die
Schweiz) bemühen sich, übermäßig lange Arbeitszeiten zu begrenzen. Nach dem
österreichischen Heimarbeitsgesetz sollte die für die Ablieferung der Arbeit
eingeräumte Zeit die Möglichkeit bieten, den Auftrag binnen der gesetzlichen
Arbeitszeit zu erledigen, ohne daß an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden
muß. Wenn Arbeit an schwangere Frauen oder stillende Mütter vergeben wird,
muß die Zeit so bemessen sein, daß der Auftrag ohne Nachtarbeit oder Arbeit
3012-5.G94
44
Heimarbeit
an Sonn- oder Feiertagen erledigt werden kann. Um sicherzustellen, daß diese
Vorschriften wirksam angewandt werden, ist es in das Ermessen der Arbeitsaufsicht gestellt, auf Antrag des Arbeitgebers, des Vermittlers oder des Heimarbeiters zu entscheiden, welche Arbeitsmenge zulässig ist.
In Deutschland darf die Menge der vergebenen Heimarbeit nicht größer sein
als das, was ein gesunder Arbeitnehmer ohne Hilfe in der normalen Arbeitszeit
vergleichbarer Industriearbeiter leisten kann. In Japan muß die Vergabe der
Arbeit so organisiert werden, daß der Heimarbeiter nicht länger arbeiten muß
als die gewöhnliche Arbeitszeit. Wie im Bundesheimarbeitsgesetz der Schweiz
festgestellt wird, muß die zeitliche Frist für den Abschluß der Arbeit so
bemessen sein, daß der Heimarbeiter nicht mehr als acht Stunden täglich und
nicht an Sonntagen zu arbeiten hat. Das Schweizer Recht geht sogar noch einen
Schritt weiter: Es fordert vom Arbeitgeber die Einschätzung der persönlichen
Produktionskapazität des Heimarbeiters.
Es ist anzumerken, daß diese Arbeitszeitbegrenzungen mit realistisch
bestimmten Zeiten für die Erledigung von Aufträgen verbunden sein müssen,
wenn sie nicht nur die Arbeitszeit begrenzen, sondern dem Heimarbeiter auch
einen angemessenen Verdienst gewährleisten sollen. Ansonsten könnten sie eine
Verdienstminderung durch Verkürzung der Arbeitszeit zur Folge haben.
Bezahlter Jahresurlaub und bezahlte Feiertage
Die Gesetzgebung mehrerer Länder gewährt Heimarbeitern einen Anspruch
auf Jahresurlaub unter ähnlichen Bedingungen wie für Arbeitnehmer im Betrieb;
allerdings kann das Urlaubsgeld in den unterschiedlichsten Formen berechnet
werden. Als großes Hindernis steht der Wahrnehmung dieses Anspruchs jedoch
das Erfordernis entgegen, daß Heimarbeiter mehr oder weniger dauernd von
einem Arbeitgeber beschäftigt werden müssen. Mit anderen Worten: Wenn
Heimarbeiter unregelmäßig und für verschiedene Arbeitgeber arbeiten, haben sie
keinen Anspruch auf solche Leistungen.
In Argentinien muß der Arbeitgeber zwölf Zweiwochenperioden im Kalenderjahr gearbeitet haben, um den Anspruch zu erwerben, und in Österreich hat
er einen Urlaubsanspruch von zweieinhalb Arbeitstagen je gearbeiteten Monat,
sofern er sechs Monate ununterbrochen beim betreffenden Arbeitgeber beschäftigt war. In Kanada (Ontario) und der Dominikanischen Republik hat ein Heimarbeiter Anspruch auf zwei Wochen bezahlten Urlaub nach jeweils zwölf
Beschäftigungsmonaten. Die Wartezeit beträgt zwölf Monate in El Salvador und
elf Monate in Panama. In Deutschland wird ein bezahlter Urlaub von 18 Tagen
gewährt; das Urlaubsgeld beläuft sich auf 6,75 Prozent des Bruttojahresverdienstes. In Ungarn haben nur bestimmte Heimarbeiter einen gesetzlichen Anspruch
auf bezahlten Jahresurlaub, aber in Uruguay haben alle Heimarbeiter Anspruch
auf einen bezahlten Jahresurlaub, der sich nach der gearbeiteten Zeit und dem
Verdienst richtet; die Arbeitgeber zahlen Beiträge in einen Heimarbeitsfonds ein,
aus dem verschiedene Leistungen — auch bezahlter Urlaub — finanziert werden.
Eine ähnliche Kontinuität der Beschäftigung ist auch Voraussetzung für den
Anspruch auf Feiertage. In Paraguay z.B. haben Heimarbeiter Anspruch auf
bezahlte Feiertage, wenn sie in den vorangegangenen zwei Wochen gearbeitet
haben.
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
45
Die Gesetzgebung sieht mitunter für Heimarbeiter den gleichen bezahlten
Urlaub vor wie für reguläre Arbeitnehmer (z.B. in Norwegen); andere Länder
(Barbados, Irland und Paraguay) schließen sie ausdrücklich vom gesetzlich
bezahlten Urlaub aus.
Einige Gesetze sehen die Zahlung einer Zulage anstelle des bezahlten
Urlaubs vor. In Frankreich haben Heimarbeiter und ihre Helfer Anspruch auf
ein Jahresurlaubsgeld, das sich auf 10 Prozent des Bruttojahres Verdienstes
beläuft. Wie es jedoch scheint, bietet dies Heimarbeitern einen Anreiz, länger
zu arbeiten, da es finanziell attraktiver ist, keinen Urlaub zu nehmen, weil die
Zulage dann höher ist. Ein wirkungsvollerer Ansatz besteht darin, eine
bestimmte Zahl von Urlaubstagen mit Urlaubsgeld zu gewähren, wie in Deutschland und Österreich.
Ob eine solche gesetzliche Regelung wirklich funktioniert, hängt zum Teil
von der Einstellung des Arbeitgebers ab. Die Bestimmungen über den bezahlten
Jahresurlaub dürften unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber während der
Urlaubszeit des Heimarbeiters weiter Arbeit vergibt; einige Gesetze, so z.B. in
Argentinien, schreiben daher vor, daß in einer Urlaubszeit keine Arbeit vergeben
werden darf.
Soziale Sicherheit
In den meisten Ländern ist die Soziale Sicherheit ein beschäftigungsbezogenes System, das auf den Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer oder beider beruht. Die Höhe der Rente und anderer regelmäßig wiederkehrender Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Mutterschaft oder
Arbeitsunfall hängt gewöhnlich mit der Höhe des Arbeitsverdienstes zusammen.
Der Anspruch auf Leistungen der Sozialen Sicherheit hängt davon ab, daß ein
Beschäftigungsverhältnis besteht. Folglich ist die soziale Sicherung nur den
Heimarbeitern gewährleistet, die nach innerstaatlichem Recht die Stellung von
Arbeitnehmern haben. Da dies in vielen Ländern nicht der Fall ist, dürften die
Heimarbeiter von den Systemen der Sozialen Sicherheit ausgeschlossen sein.
Eine Leistung können auch die Heimarbeiter in den Ländern beziehen, in
denen es Systeme in Form eines „Sicherheitsnetzes" gibt, die allen Einwohnern
und Bürgern ohne Rücksicht auf die individuellen Beiträge eine niedrige
Pauschalleistung gewähren, sofern sie eine Wohnsitzbedingung erfüllen. Einige
Systeme der Sozialen Sicherheit gestatten Erwerbstätigen, insbesondere selbständig Erwerbstätigen, auch Beiträge auf freiwilliger Basis, wobei sich der Staat
mit Steuermitteln an der Finanzierung beteiligt.
Länder mit einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Heimarbeit schreiben oft klar die Unterstellung der Heimarbeiter unter die Soziale Sicherheit vor,
wobei de facto die für reguläre Arbeitnehmer geltenden Maßnahmen auf die
Heimarbeiter erstreckt werden. Da aber die Arbeitsbedingungen und Bedürfnisse
der Heimarbeiter erheblich anders sind, können Durchführungsprobleme entstehen. Außerdem kann der Anspruch auf Leistungen aus dem System von verschiedenen Voraussetzungen abhängen, deren Erfüllung Heimarbeitern schwerfallen mag.
Der Anspruch auf Leistungen der Sozialen Sicherheit hängt mitunter von
einer Mindestzahl von Arbeitsstunden in Verbindung mit einem Mindestverdienst
3012-5.G94
46
Heimarbeit
ab. In Österreich z.B. müssen Heimarbeiter den Gegenwert von zehn bis
zwölf Stundenlöhnen wöchentlich verdienen. In den Niederlanden gilt als
Voraussetzung, daß sie mindestens 40 Prozent des monatlichen Mindestlohns
verdienen. Es mag für Heimarbeiter schwer sein, dieses vorgeschriebene Mindesteinkommen zu erreichen, weil ihr Lohn niedrig ist. Überdies halten die
Arbeitgeber die Arbeitslast oft bewußt unter diesem Stand. Das Erfordernis einer
ununterbrochenen Arbeit kann ebenfalls ein schweres Hindernis für den
Anspruch auf Leistungen der Sozialen Sicherheit sein, da die Heimarbeit durch
eine unregelmäßige und ungleichmäßige Arbeitslast geprägt ist. Nach einer
Empfehlung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften15 sollte die
Gesetzgebung vorsehen, daß Arbeitszeiten, die der Heimarbeiter für verschiedene Arbeitgeber leistet, im Hinblick auf die Erfüllung der Voraussetzungen
für Leistungen der Sozialen Sicherheit zusammengerechnet werden können.
In vielen industrialisierten Ländern (z.B. Deutschland, Finnland, Österreich,
Slowakei, Tschechische Republik) werden die Heimarbeiter zumindest teilweise
durch die Soziale Sicherheit geschützt, sofern sie als Arbeitnehmer gemeldet sind
und Beiträge für sie geleistet werden. In den Niederlanden und Spanien wurden
für Heimarbeiter besondere Regelungen der Sozialen Sicherheit erlassen. In
Portugal sind die Heimarbeiter dem allgemeinen System der Sozialen Sicherheit
unterstellt, das jene schützt, die für einen anderen arbeiten und bei Familienpflichten, Mutterschaft, Berufskrankheiten, Invalidität, Alter und Tod geschützt
sind. In Uruguay unterstehen die Heimarbeiter allgemein dem für andere Arbeitnehmer geltenden System der Sozialen Sicherheit. Ärztliche Betreuung steht den
Heimarbeitern zur Verfügung, die das Mindesteinkommenserfordernis erfüllen
und für die laufend Beiträge gezahlt wurden. Können sie die Voraussetzungen
aufgrund von gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen über
gearbeitete Tage und Stunden nicht erfüllen, so sieht die Krankenversicherung
Leistungen für Heimarbeiter vor, die mindestens 13 Tage monatlich arbeiten
oder das l,25fache des nationalen Mindestlohns beziehen. In Honduras und
Venezuela haben Heimarbeiter keinen Anspruch auf Soziale Sicherheit, außer in
der Bekleidungs- und Tabakindustrie.
Bei der prekären Lage der Heimarbeiter ist der Anspruch auf Soziale Sicherheit von lebenswichtiger Bedeutung für sie. In vielen Entwicklungsländern gibt
es jedoch entweder keine Vorkehrungen zur sozialen Sicherung oder sie stecken
noch in den Kinderschuhen, und der Heimarbeiter ist daher in dieser Hinsicht
nicht schlechter gestellt als andere.
Arbeitslosengeld
Wie bereits ausgeführt wurde, können Heimarbeiter wegen ihrer ungleichmäßigen Arbeitslast oft Zeiten einer „vorübergehenden Arbeitslosigkeit"
ausgesetzt sein — ein Sachverhalt, der normalerweise vom Recht der Sozialen
Sicherheit nicht anerkannt wird. Zu den Anspruchsvoraussetzungen für das
Arbeitslosengeld gehören oft eine Mindestbeschäftigung während einer vorgeschriebenen Zeitdauer und/oder ein Mindestverdienst in dieser Zeit. Im
Vereinigten Königreich z.B. haben Heimarbeiter Anspruch auf Arbeitslosengeld
nur dann, wenn sie für mindestens 50 Wochen Beiträge gezahlt und ein bestimmtes Einkommen verdient haben. In den Niederlanden berechnet das Arbeitslosen3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
47
geldsystem, das sich nicht auf ständig Beschäftigte beschränkt, die Leistungen
aufgrund des früheren Verdienstes, was bedeutet, daß Heimarbeiter mit geringem und unregelmäßigem Einkommen niedrige Leistungen bei Arbeitslosigkeit
erhalten.
Krankengeld
Heimarbeiter haben zwar theoretisch Anspruch auf Krankengeld, aber dieses
Recht ist gefährdet, wenn sie von ihrem Arbeitgeber der Sozialen Sicherheit
nicht gemeldet werden. Selbst wenn sie vom Gesetz als reguläre Arbeitnehmer
betrachtet werden, haben sie nicht immer dieselben Rechte. In Deutschland z.B.
wird Arbeitnehmern bei Krankheit der volle Lohn für sechs Wochen weitergezahlt, während Heimarbeiter nur Anspruch auf einen Prozentsatz ihres
normalen Verdienstes haben.
Ein anderes Problem betrifft die Krankenversicherung. Die Niederlande
unterscheiden z.B. in der Versicherung nach Tagen und nach Wochen, und ein
unregelmäßig beschäftigter Arbeitnehmer kann nur an den Tagen geschützt sein,
an denen die Arbeit ausgeführt werden soll. Dies hat viele Probleme für
Heimarbeiter geschaffen, da das Krankengeld verweigert werden kann, wenn die
Krankheit vor dem von der Versicherung gedeckten Tag bestand, z.B. an dem
Tag, an dem ein neuer Auftrag anlaufen soll.
Mutterschaftsgeld
Da zu bedenken ist, daß die meisten Heimarbeiter Frauen sind, ist das
Mutterschaftsgeld eine wichtige Frage. Mutterschaftsurlaub und andere
Leistungen können theoretisch für Heimarbeiter gelten, aber in der Praxis stehen
sie nur sehr wenigen von ihnen zu. Damit zusammenhängende Sozialleistungen,
wie z.B. bezahlter Urlaub zur Versorgung eines kranken Kindes, Erziehungsurlaub oder bezahlte Stillpausen, stehen Heimarbeitern gewöhnlich nicht zur
Verfügung.
Arbeitsschutz
Der Arbeitsschutz kann besonders wichtig sein, wenn Arbeiten in Räumlichkeiten und unter Bedingungen verrichtet werden, die nicht für diesen Zweck
gedacht waren. Sehr verschiedene Ansätze prägen die einschlägige Gesetzgebung. In einer Reihe von Ländern (Costa Rica, Panama, Uruguay, Venezuela)
müssen die entsprechenden Arbeiten oder Räumlichkeiten in bezug auf Gesundheit und Sicherheit den von den zuständigen Stellen vorgeschriebenen Bedingungen genügen. In Deutschland wurde dieser Ansatz in der Form erweitert, daß
Verordnungen im Zusammenhang mit den Gefahren erlassen werden können, die
nach entsprechender Feststellung bestimmten Wirtschaftssektoren gemeinsam
sind.
Anderswo (Frankreich, Italien, Japan, Polen, Portugal) sind aufgrund
verschiedener Vorschriften bestimmte Heimarbeiten verboten, die z.B. das
Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Heimarbeiter, der mit ihnen
lebenden Personen oder der Öffentlichkeit im allgemeinen gefährden würden. In
wieder anderen Ländern, wie z.B. Haiti und Österreich, schreibt das Gesetz vor,
3012-5.G94
48
Heimarbeit
daß diese Gefahren zu vermeiden sind, oder es ermächtigt den Minister, Heimarbeit unter bestimmten Umständen zu verbieten (dies ist der Fall in Österreich,
wenn bestimmte vorgeschriebene Gefahrstoffe verwendet werden sollen). In
einer Reihe von Ländern (Costa Rica, Japan, Schweiz) haben die Arbeitgeber die
Heimarbeiter in die Vorsichtsmaßnahmen einzuweisen, die notwendig sind, um
Gefahren abzuwenden, wenn sie mit gefährlichen Stoffen und Arbeitsmitteln
umgehen.
In einigen wenigen Ländern (Bolivien, Guatemala, Norwegen, Vereinigte
Staaten (New York)) ist Heimarbeitern der Umgang mit Lebensmitteln und
anderen Konsumgütern verboten, wenn dadurch Infektionskrankheiten verbreitet
werden könnten. In Portugal muß für Heimarbeiter, deren Arbeit mit dem
Umgang mit Lebensmitteln verbunden ist, anhand einer ärztlichen Untersuchung
bescheinigt werden, daß sie frei von übertragbaren Krankheiten sind.
Am anderen Ende der Skala schließen Bolivien, Finnland und Singapur die
Heimarbeiter überhaupt vom Geltungsbereich des Arbeitsschutzrechts aus,
während sie in Dänemark und Schweden nur von bestimmten, ausdrücklich
angegebenen Vorschriften ausgenommen sind.
Ganz abgesehen von der Schwierigkeit der Durchsetzung, auf die später in
diesem Kapitel eingegangen wird, ist die Gesetzgebung zur Gewährleistung der
Gesundheit und Sicherheit der Heimarbeiter oft durchaus unzulänglich. Der
Europarat16 fordert dringend die Behandlung von Arbeitsschutzfragen im Heimarbeitsrecht, möglicherweise nach dem Muster des italienischen Gesetzes, das
Tätigkeiten verbietet, wenn sie mit der Verwendung von Material verbunden
sind, das schädlich oder gefährlich für die Gesundheit ist. Dieses Verbot könnte
in Fällen gelockert werden, in denen angemessene Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden.
Meldung, Registrierung und Aufsicht
Die Gesetzgebung mehrerer Länder (Dominikanische Republik, Kanada
(Ontario), Russische Föderation) versucht, die Heimarbeit dadurch zu kontrollieren, daß sie dem Arbeitgeber die Auflage erteilt, eine besondere
Genehmigung oder Lizenz einzuholen, damit er überhaupt ein Heimarbeitssystem
betreiben kann. In anderen Fällen (Deutschland, Kanada (Manitoba), Mexiko,
Österreich, Schweden) ist das Gesetz tolerant, schreibt dem Arbeitgeber aber
vor, die Behörden zu verständigen, wenn Heimarbeit für das Unternehmen
ausgeführt wird.
Die Arbeitgeber können auch verpflichtet werden, Aufzeichnungen über die
von ihnen beschäftigten Heimarbeiter zu führen und sie den Behörden entweder
als Berichte auf regelmäßiger Grundlage oder auf Verlangen zur Verfügung zu
stellen. In mehreren Ländern (Argentinien, Brasilien, Frankreich, Nicaragua,
Spanien, Venezuela) muß den Heimarbeitern ein Arbeitsbuch ausgehändigt
werden, das bestimmte vorgeschriebene Angaben über den gezahlten Lohn, die
vergebene und abgeschlossene Arbeit und in einigen Fällen über die Arbeitsbedingungen enthalten muß.
Für die Aufsicht und Durchsetzung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Beschäftigungsbedingungen (Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, Anwendung
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
49
von Mindestlohnvorschriften, Arbeitsschutzfragen und ähnliches) ist oft die
nationale Arbeitsaufsicht zuständig. In mehreren Ländern (Argentinien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Österreich, Schweiz), wo es ein eigenes
Heimarbeitsrecht gibt, sind für die Aufsicht über die Durchführung der gesetzlichen Vorschriften besondere dreigliedrige Heimarbeitsausschüsse geschaffen
worden.
Die Gesetzgebung sieht zumeist eine Strafe irgendeiner Art, gewöhnlich eine
Geldbuße, für die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften vor. Eine
Gefängnisstrafe droht dem Arbeitgeber jedoch in Argentinien, wenn er den
Mindestlohn nicht zahlt, in der Dominikanischen Republik, wenn er die Existenz
eines Heimarbeitsvertrags verheimlicht, in Deutschland, wenn er es unterläßt,
Heimarbeiter über Arbeitsschutzvorschriften zu unterrichten, und in Japan, wenn
gegen das Arbeitsschutzrecht verstoßen wird.
Abgesehen von den von Hause aus gegebenen Mängeln der innerstaatlichen
Heimarbeitsgesetze und -Vorschriften ist das größte Problem der Mangel an
Aufsicht und Durchsetzung.
In Ländern, in denen das Heimarbeitsrecht sehr alt ist, wird es in der Regel
nicht durchgesetzt. In den Niederlanden z.B. wird das Heimarbeitsgesetz von
1933 inzwischen offenbar übergangen. Die in diesem Gesetz enthaltene Liste der
Tätigkeiten, die als Heimarbeit betrachtet werden, ist völlig überholt; sie nimmt
keine Rücksicht auf jüngste Entwicklungen in diesem Bereich, und die
Arbeitsaufsicht greift nur bei Klagen ein.
Die inkonsequente Art und Weise, in der das allgemeine Arbeitsrecht auf
Heimarbeiter angewandt wird, hat zur Verwirrung in der Auslegung geführt, so
daß es den Gerichten überlassen wird, den Beschäftigungsstatus der Heimarbeiter
zu bestimmen, wenn eine Klärung notwendig ist. Dies schafft Ungewißheiten für
die Vollstreckungsbehörden, die möglicherweise zögern, das Gesetz in strittigen
Bereichen durchzusetzen.
Das gewichtigste Vollstreckungsproblem betrifft das Entgelt der Heimarbeiter. Obwohl es Gesetze gibt, die vorschreiben, daß Heimarbeiter mindestens
soviel verdienen sollten wie Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit im Unternehmen verrichten, und nicht weniger als den Mindestlohn, wird den Heimarbeitern in der Praxis oft weniger gezahlt. Es gibt dafür hauptsächlich drei
Gründe.
Erstens arbeiten die Institutionen, die zur Festsetzung von Löhnen und
Arbeitsbedingungen geschaffen wurden, unter Umständen nicht immer wirksam.
So wurden z.B. die niederländischen Heimarbeitsausschüsse und die argentinischen Lohnräte nie eingesetzt. In Argentinien mußte das Ministerium für Arbeit
und Soziale Sicherheit Mindestlöhne für Heimarbeiter festsetzen, weil die
Lohnräte nicht funktionierten. In Italien hängt die wirksame Arbeitsweise der
dreigliedrigen Aufsichtsausschüsse von dem von den Arbeitgebern bekundeten
Interesse und vom Eifer der Arbeitnehmervertreter ab.
Zweitens wird häufig das Erfordernis übergangen, wonach die Arbeitgeber
die Heimarbeiter bei den Behörden zu melden und ihnen Lohnbücher mit
Angaben über Löhne und Arbeitsbedingungen zu geben haben.
Drittens haben die Unwirksamkeit der Heimarbeitsausschüsse und die
begrenzten Mittel der Arbeitsaufsicht in einzelnen Ländern die Aufsicht über die
3012-5.G94
50
Heimarbeit
Heimarbeiter nicht erleichtert. Bei massiver Verletzung der Meldepflicht hat die
Arbeitsaufsicht im einzelnen Land kein wirksames Mittel, dieses grundlegende
Hindernis auf dem Weg zur Durchsetzung zu überwinden. Heimarbeiter sind
verstreut und isoliert und daher weniger in der Lage, die traditionellen
Kontrollmechanismen selbst anzurufen. Auch ist nicht sicher, daß die Vergrößerung der nationalen Aufsicht oder ihre Ausstattung mit mehr Befugnissen
an sich eine spürbare Verbesserung in der Meldung, der Führung von Aufzeichnungen und der Aufdeckung von Zuwiderhandlungen bringen würde17.
Eine wirksame Arbeitsaufsicht wird auch durch mehrere Faktoren behindert,
u.a. dadurch, daß Arbeitgeber ihre Heimarbeiter nicht melden. Außerdem
werden Arbeitsschutzmaßnahmen im Heimarbeitssektor nur selten wirksam
durchgesetzt, da die Mitarbeiter der Arbeitsaufsicht und andere Aufsichtsbeamte
oft kein gesetzliches Recht haben, Privatwohnungen zu Inspektionszwecken zu
betreten. Es mag notwendig sein, das Gesetz in dieser Hinsicht abzuändern,
wobei aber strenge Sicherungen vorzusehen sind, um Mißbräuchen und Hausfriedensbruch vorzubeugen.
Sieht die Gesetzgebung den Schutz der Heimarbeiter durch Kollektivverträge
vor, so ist der Geltungsbereich des Schutzes entscheidend. Interessant ist in
diesem Zusammenhang der Vergleich zwischen den Heimarbeitsbestimmungen
des französischen Arbeitsrechts und des italienischen Gesetzes zum Erlaß neuer
Vorschriften für die Heimarbeit von 1973. Die italienischen Gerichte haben
entschieden, daß Kollektivverträge für Heimarbeiter gelten, selbst wenn sie in
den Verträgen nicht ausdrücklich erwähnt sind. In Frankreich jedoch sieht
Artikel L 721-6 des Arbeitsgesetzbuchs vor, daß Kollektivverträge für die in
ihren Geltungsbereich fallenden Heimarbeiter gelten, läßt aber die Möglichkeit
offen, in solchen Verträgen ihren Ausschluß zu verfügen.
DiejDurchführung des Gesetzes wird weiter behindert durch die Einschaltung
von Vermittlern, wodurch es schwierig wird, den Arbeitgeber zu ermitteln, der
gesetzlich für die Einhaltung der Rechtsvorschriften verantwortlich ist.
Im allgemeinen ist der Stand der Aufsicht über die Durchführung des Heimarbeitsrechts insgesamt nicht hoch, und es liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß
das Maß der Einhaltung entsprechend niedrig ist.
KOLLEKTIVVERTRÄGE
Kollektivverträge bilden einen kleinen, aber bedeutenden Teil der nationalen
Strategien zum Schutz der Heimarbeiter. Nur Deutschland hat offenbar Tarifverträge, die ausschließlich für sie gelten; in anderen Ländern sind die Bestimmungen über die Heimarbeit in Kollektivverträge aufgenommen worden, die für alle
Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem bestimmten Industrie- oder Wirtschaftssektor gelten. In einer Reihe von Fällen sind Kollektivverträge in der Gesetzgebung vorgesehen, wenn es auch in der Praxis relativ wenig Bestimmungen gibt,
die Heimarbeiter berühren — vielleicht ein Spiegelbild des begrenzten Interesses
der Gewerkschaften an der Frage.
Einige Kollektivverträge verbieten Heimarbeit in bestimmten Wirtschaftszweigen oder Ortschaften. Dies ist in den Vereinigten Staaten und für bestimmte
3012-5.G94
Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter
51
Teile der Bekleidungs- und Hutindustrie in Kanada (Quebec) der Fall. Im
graphischen Gewerbe der Niederlande kann das Verbot vorübergehend aufgehoben werden, wenn die Umstände dies erfordern. In Norwegen und den
Vereinigten Staaten darf in der Bekleidungsindustrie Heimarbeit nicht an bereits
im Betrieb beschäftigte Personen vergeben werden.
Das Ziel der meisten Kollektivverträge ist nicht das Verbot der Heimarbeit,
sondern die Festsetzung von Lohnsätzen für Heimarbeiter, die sich mit denen
vergleichen lassen, wie sie mit ähnlichen Arbeiten im Betrieb beschäftigte
Arbeitnehmer beziehen. Daraus spricht der Wunsch, sowohl Billigkeit für die
Heimarbeiter zu erreichen als auch die Löhne der Fabrikarbeiter davor zu
schützen, daß sie durch niedrigere Löhne auf dem Weg über die Heimarbeit
untergraben werden. Gezahlt werden Stunden-, Tages-, Monats- oder Stücklöhne, je nach der üblichen Zahlungsmethode im betreffenden Wirtschaftszweig.
In Belgien wird der Mindeststundenlohn für Schneider und Schneiderinnen in der
Form berechnet, daß der Stücklohn durch die Zahl der für die Herstellung des
Stücks erforderlichen Stunden dividiert wird. Wenn weder Lohngleichheit noch
die Lohnfindungsmethode vorgegeben ist, behandeln Kollektivverträge die
Entgeltfrage in der Regel recht allgemein. Wie es in der schwedischen
Maschinenbauindustrie im Vertrag lediglich heißt, ist die Zahlung für Heimarbeit
so zu berechnen, daß dem Heimarbeiter ein angemessenes Einkommen gesichert
wird.
Kollektivverträge gehen nicht nur auf den Grundverdienst ein, sondern
nehmen oft auch Bedacht auf die besonderen Verhältnisse der Heimarbeiter. So
können sie Anspruch auf einen Ausgleich für Nebenkosten (wie z.B. Heizung,
Beleuchtung usw.) und Abschreibung auf Anlagen (z.B. Nähmaschinen) haben.
Dieser Ausgleich stellt gewöhnlich einen Prozentsatz des Lohnes dar, ohne daß
die Aufwendungen getrennt aufgeführt werden. In Deutschland haben Schneiderinnen, Schneider und Schirmmacher Anspruch auf einen Zuschlag von 10 bis
12 Prozent zu ihren Löhnen. In einigen Kollektivverträgen ist der Prozentsatz
jedoch je nachdem verschieden, wer die Arbeitsmittel stellt; in der deutschen
Schuhindustrie haben Arbeitnehmer, die ihre eigenen Maschinen stellen,
Anspruch auf einen Zuschlag von 8 Prozent, während sie nur 6 Prozent
bekommen, wenn die Maschinen vom Arbeitgeber gestellt werden. Für die
Arbeit erforderliches zusätzliches Material wird normalerweise unentgeltlich vom
Arbeitgeber gestellt, aber für Heimarbeiter, die ihr eigenes Material stellen,
werden die Kosten entweder getrennt erstattet oder in den Gesamtzuschlag
einbezogen.
Die meisten Verträge gehen nicht auf das Problem der Überstunden von
Heimarbeitern ein; nur in der Bekleidungs- und Textilindustrie in Dänemark und
der Uhrenindustrie in der Schweiz gilt die Vorschrift, daß Überstunden zum
gleichen Satz wie für Arbeitnehmer im Betrieb zu vergüten sind. In Deutschland
erhalten Heimarbeiter in der Hutindustrie Sonn- und Feiertagszuschläge, und in
Italien haben Heimarbeiter in der Lederwarenindustrie Anspruch auf die gleichen
Nachtarbeitssätze wie andere Arbeitnehmer.
Bezahlter Jahresurlaub ist in den Kollektivverträgen einer Reihe von Ländern
vorgesehen. Der Anspruch wird in der Regel als Prozentsatz des Bruttojahres-
3012-5.G94
Heimarbeit
52
Verdienstes auf der Grundlage der Gesamtzahl der Arbeitsstunden oder des
Verdienstes in einer bestimmten Zeitspanne vor dem Urlaub berechnet.
Die Meldung der Heimarbeiter ist in Norwegen, Portugal und Spanien in
Kollektivverträgen geregelt. In der Handschuhindustrie in Norwegen steht es den
Arbeitnehmern im Betrieb zu, von der Beschäftigung von Heimarbeitern und
ihren Lohnsätzen zu erfahren, und der Betriebsrat muß verständigt werden, wenn
sie eingestellt werden. Auch dies ist primär ein Versuch, nicht den Heimarbeiter,
sondern den Fabrikarbeiter zu schützen.
Die Soziale Sicherheit für Heimarbeiter wird in Verträgen in den Niederlanden und Schweden erwähnt. In Schweden haben die Arbeitgeber nach
zwingender Vorschrift eine Versicherung für Heimarbeiter abzuschließen, und
sie müssen sie auch über die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken aufklären, die
mit der Verwendung der vom Arbeitgeber gelieferten Werkzeuge, Maschinen
und Werkstoffe verbunden sind.
Im graphischen Gewerbe der Niederlande geben Kollektivverträge Heimarbeitern den Vorrang für eine reguläre Beschäftigung, wenn sich freie Stellen
ergeben.
Anmerkungen
1
Siehe IAA: Conditions ofwork digest, Bd. 8, Nr. 2, 1989, a.a.O.
Die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer) gelten aufgrund des
Einigungsvertrags jetzt auch für die frühere Deutsche Demokratische Republik (neue Bundesländer).
3
Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O. S. 53.
4
S. Peles: „The legal aspects of home-based telework in Belgium", in Labour and Society
(Genf, Internationales Institut für Arbeitsfragen, Jan. 1986, S. 88.
5
P. Majmudar: „Legal Status of home workers: Theoretical contours", in B.B. Patel
(Hrsg.): Problems of home-based workers in India (Neu-Delhi, Oxford and IBH Publishing Co.,
1989), S. 293-302.
6
R.K.A. Subrahmanya: „A legislative framework for home workers", ebd., S. 321-332.
7
Siehe IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 9, Nr. 1, a.a.O.
• Crummett, a.a.O., S. 27.
9
Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O., S. 54.
10
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Homeworking in Itafy, France and United
Kingdom, a.a.O., S. 27.
11
Centre for Working Women: Women workers: A report documenting sweated labour in the
1980s (Footscray, Centre for Working Women Co-operative Ltd., 1986), S. 49-51.
12
Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O., S. 54-55.
13
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Homeworking in Italy, France and United
Kingdom, a.a.O., S. 28.
14
Siehe IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 8, Nr. 2, 1989, a.a.O., S. 155.
15
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Homeworking in Italy, France and United
Kingdom, a.a.O., S. 47.
16
Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O., S. 63-64.
17
S. Simitis: „The justification of labour relations", in Comparative Labor Law (Philadelphia,
University of Pennsylvania), Winter 1986, S. 141-142.
2
3012-5.G94
KAPITEL IV
STANDPUNKTE ZUR HEIMARBEIT
Die in den vorigen Kapiteln erörterten Fragen und Probleme bilden
bedeutende Aspekte der aktuellen Diskussion über die Heimarbeit. Verschiedene
Organisationen haben dazu ihre eigenen Standpunkte formuliert. Die in früheren
IAA-Dokumenten1 enthaltenen Auffassungen von verschiedenen Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerverbänden sowie die auf der Sachverständigentagung über den
Sozialschutz der Heimarbeiter zum Ausdruck gebrachten Auffassungen sind
nachstehend zusammengefaßt.
STANDPUNKTE VON ARBEITGEBER- UND ARBEITNEHMERVERBÄNDEN
Arbeitgeberverbände
Die Arbeitgeberverbände sind der Auffassung, daß die bei der Heimarbeit
bestehenden flexibleren Arbeitsformen sowohl den Arbeitgebern als auch den
Arbeitnehmern nutzen. Einerseits können Arbeitgeber zu Zeiten hohen Arbeitsanfalls, der von den festangestellten Beschäftigten des Unternehmens nicht
bewältigt werden kann, auf Heimarbeit zurückgreifen, und andererseits kann
Heimarbeit solchen Personengruppen eine bezahlte Tätigkeit bieten, die sonst
vom Erwerbsleben ausgeschlossen wären. Es wird die Ansicht vertreten, daß
Heimarbeit besonders für Frauen von Interesse ist, da sie es diesen ermöglicht,
eine berufliche Tätigkeit mit Familienpflichten zu verbinden und der Familie ein
zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Außerdem können Heimarbeiter ihre
Arbeitszeit nach eigenem Gutdünken einteilen, da sie nicht an regelmäßige
Arbeitszeiten gebunden sind2.
Generell sind Arbeitgeberverbände gegen starre Regelungen, weil diese ein
Heimgewerbe im Untergrund fördern und im allgemeinen die Vorteile der Heimarbeit sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer untergraben
könnten. Manche halten allerdings Rechtsvorschriften für geboten, um dem
mißbräuchlichen Einsatz von Heimarbeitern vorzubeugen, doch die jeweils
gewählten Lösungen sollten die unterschiedlichen Verhältnisse in jedem Land in
Betracht ziehen.
Außerdem verteidigen Arbeitgeberverbände ihre Einstellung damit, daß
Heimarbeiter nicht unbedingt Beschäftigte sind, daß sie selbständig Erwerbstätige
sein können und daß nicht unbedingt ein Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitgeber und einem Heimarbeiter besteht. Nach Ansicht des Dänischen Arbeitgeber3012-5.G94
54
Heimarbeit
Verbands muß diese Unterscheidung darauf beruhen, ob Heimarbeiter unter der
Aufsicht eines Unternehmens stehen. Falls ja, gilt die betreffende Person als
echter Beschäftigter und unterliegt dem Arbeitsrecht.
Arbeitnehmerverbände
Viele Gewerkschaften sind immer noch gegen Heimarbeit, und traditionell
haben sie deren gesetzliches Verbot gefordert. Diese negative Haltung beruht auf
der Befürchtung, daß die Heimarbeit eine Bedrohung für die Sicherheit des
Arbeitsplatzes von festangestellten Beschäftigten darstellt und deren bestehende
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gefährdet. Das kommt in zahlreichen
gewerkschaftlichen Entschließungen zum Ausdruck3.
Eine beträchtliche Zahl von Gewerkschaften haben aber inzwischen erkannt,
daß viele Menschen auf ein Einkommen aus Heimarbeit angewiesen sind, sie
wünschen jedoch ein aktives Vorgehen der Gewerkschaften, um Rahmen und
Umfang von Heimarbeit einzuschränken und für besseren Schutz von Heimarbeitern durch verstärkte Kontrolle und Regulierung ihrer Arbeitsbedingungen
zu sorgen. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften hat zur Annahme von
internationalen Arbeitsnormen und innerstaatlichen Gesetzen in allen Ländern
aufgerufen, in denen eine bedeutende Zahl von Heimarbeitern tätig sind, um
deren Grundrechte in bezug auf Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelt und Sozialleistungen zu gewährleisten. Der Weltgewerkschaftsbund hat für Heimarbeiter
den gleichen Rechtsschutz gefordert wie für festangestellte Lohnempfänger.
Viele Gewerkschaften betrachten Heimarbeiter als anfällige Beschäftigte, die
der Ausbeutung durch Arbeitgeber ausgesetzt sind und deshalb des Schutzes
bedürfen. Ihre Anfälligkeit ergibt sich aus ihrer völligen Abhängigkeit von der
ihnen vom Arbeitgeber übertragenen Arbeit, der Unregelmäßigkeit der Arbeit,
ihrer Isolierung und dem Mangel an anderen Beschäftigungsmöglichkeiten.
Diejenigen, die aufgrund von Familienpflichten ans Haus gebunden sind,
könnten von der Notwendigkeit der Heimarbeit befreit werden, wenn in den
Gemeinwesen angemessene Betreuungseinrichtungen vorhanden wären.
Wegen ihrer Isolierung lassen sich Heimarbeiter nur schwer gewerkschaftlich
organisieren, und in vielen Fällen sind ihnen ihre Rechte auch überhaupt nicht
bekannt. Ihre Angst vor dem Verlust ihrer Einkommensquelle hält sie eher
davon ab, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu fordern oder sich an
gewerkschaftlichen Aktivitäten zu beteiligen. Gewerkschaften kritisieren auch die
Einstellung von Arbeitgebern, die Heimarbeiter häufig als selbständig Erwerbstätige betrachten und sie so von den im Arbeitsrecht und in Gesetzen über die
Soziale Sicherheit vorgesehenen Leistungen ausschließen und einige ihrer
Betriebskosten auf die Heimarbeiter abwälzen.
Ein besserer Schutz von Heimarbeitern durch das bestehende Arbeitsrecht
gilt vielen Gewerkschaften als Voraussetzung für die Verbesserung der
Bedingungen von Heimarbeitern und die Beseitigung von Mißbräuchen.
Manche fordern Gleichbehandlung von Heimarbeitern und anderen
Arbeitnehmern, andere die Schaffung eines spezifischen Rechtsstatus für
Heimarbeiter. In einigen Ländern haben Gewerkschaften ihre eigenen Strategien
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Standpunkte zur Heimarbeit
55
für Verbesserungen und Reformen entwickelt, die sie bei innerstaatlichen
Gesetzen und Vorschriften für erforderlich halten.
Viele Gewerkschaften kritisieren, daß die meisten Heimarbeiter, selbst in
Ländern mit Heimarbeitsgesetzen, nicht als von Arbeitsverträgen erfaßt gelten
und folglich von den im Arbeitsrecht vorgesehenen Schutzbestimmungen und
Leistungen ausgeschlossen sind. Sie verweisen auch auf das niedrige Lohnniveau, das in den meisten Fällen unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder den
Löhnen von Beschäftigten in den Betrieben liegt. Arbeitgeber werden gelegentlich beschuldigt, Lücken im Gesetz zu nutzen oder davon zu profitieren, daß
bestehende Gesetze nicht durchgeführt werden.
Gewerkschaften halten eine bessere Durchführung von Gesetzen auch für ein
wertvolles Mittel zum effektiven Schutz von Heimarbeitern. Das ließe sich durch
eine personelle Verstärkung der für die Durchführung der Gesetze verantwortlichen Behörden machen. Ferner sind Gewerkschaften der Auffassung, daß Regierungen nicht genug tun, um Heimarbeit angemessen zu regulieren und zu beaufsichtigen und die Gesetze durchzuführen. Der Arbeitsaufsicht kommt ihrer
Meinung nach eine sehr wichtige Rolle zu.
Allgemein besteht die Auffassung, daß eine effektive Arbeitsaufsicht nur bei
einer obligatorischen Registrierung von Heimarbeitern und ihren Arbeitgebern
möglich ist. In einigen Ländern befürworten Gewerkschaften eine vorherige
Genehmigungspflicht, um das Ausmaß der Heimarbeit zu begrenzen, räumen
jedoch ein, daß sich Schwarzheimarbeit nur schwer feststellen läßt. Als
Gegenmaßnahmen werden diesbezüglich u.a. die Billigung von Arbeitsverträgen
durch den Betriebsrat und höhere Strafen für Arbeitgeber vorgeschlagen, die
ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen.
Nicht alle von den Gewerkschaften geforderten Aktionen sind Gesetzgebungsmaßnahmen. Gewerkschaften in Belgien, Deutschland und den Niederlanden haben sich in Entschließungen dafür ausgesprochen, daß in Kollektivverträgen die Arbeitsbedingungen von Heimarbeitern unter Berücksichtigung der
spezifischen Natur der Heimarbeit in jedem Wirtschaftszweig festgelegt werden.
Die Integration von Heimarbeitern in Gewerkschaften gilt häufig als
Voraussetzung für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Im Vereinigten
Königreich hat der Gewerkschaftskongreß (TUC) im Jahr 1985 in einer
Erklärung über Heimarbeiter einen umfassenden Vorschlag über die Rolle der
Gewerkschaften unterbreitet und empfohlen, daß Verbindungen zu Heimarbeitern
über Heimarbeitsbeauftragte von Kommunalbehörden und örtliche Unterstützungsgruppen hergestellt werden sollten, durch die die Mitgliedschaft in
Gewerkschaften gefördert wird. In manchen Ländern werden Experimente
durchgeführt, um Heimarbeiter in eigenen Gewerkschaften zu organisieren.
Zur Verbesserung der Situation der Heimarbeiter schlagen Gewerkschaften
ferner die Herstellung von Verbindungen zwischen Beschäftigten in den
Betrieben und Heimarbeitern vor. Dieses Ziel ließe sich durch die Beteiligung
von Heimarbeitern in der Arbeitnehmervertretung auf Betriebsebene erreichen.
Wenn Beschäftigte im Betrieb sich der Probleme von Heimarbeitern bewußt
sind, wäre es leichter, bessere Arbeitsbedingungen für diese auszuhandeln und
ihnen bei der Überwindung ihrer gesellschaftlichen Isolierung zu helfen.
3012-5.G94
56
Heimarbeit
Die Isolierung von Heimarbeitern und die Tatsache, daß sie für einen
begrenzten Zeitraum zur Durchführung einer spezifischen Aufgabe eingesetzt
werden, gelten als Haupthindernisse für ihren beruflichen Aufstieg. Der
Frauenverband des Niederländischen Gewerkschaftsbunds (FNV) empfiehlt, daß
Heimarbeiter bei der Besetzung freier Stellen im Unternehmen des Arbeitgebers
als interne Kandidaten angesehen werden sollten. Weibliche Arbeitnehmer sollten
ihre Stellung auf dem Arbeitsmarkt auch durch gewerkschaftlich organisierte
Berufsberatung und -ausbildung verbessern können.
AUFFASSUNGEN DER SACHVERSTÄNDIGENTAGUNG ÜBER DEN
SOZIALSCHUTZ DER HEIMARBEITER4
Definition von Heimarbeit
Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß Heimarbeit und Heimarbeiter definiert werden müßten und Heimarbeiter als Beschäftigte anerkannt
werden oder einen besonderen Status erhalten müßten. Es gab jedoch keinen
eindeutigen Konsens über die weitestmögliche Definition, die alle Beschäftigten
ungeachtet ihrer Arbeitsstätte umfassen würde, gegenüber einer engen Definition
oder einer Definition, die Heimarbeiter in mehrere Unterkategorien aufteilt.
Einige Sachverständige unterstrichen die Notwendigkeit von Flexibilität und die
Schwierigkeit einer präzisen rechtlichen Definition von Heimarbeit angesichts
der erheblichen Unterschiede in den Rechtssystemen sowie der unterschiedlichen
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systeme und Entwicklungsstufen von IAO-Mitgliedstaaten. Andere meinten, daß verschiedene Kategorien
oder Unterkategorien von Heimarbeitern festgelegt werden könnten, z.B. auf der
Grundlage des Ausmaßes der Abhängigkeit des Beschäftigten vom Arbeitgeber.
Auf diese Weise ließe sich feststellen, wer Mindestlöhne und andere Leistungen
auszuhandeln in der Lage sei und wer am dringendsten eines Schutzes bedürfe.
Ein Sachverständiger hielt eine Checkliste von Bedingungen und Kriterien für
die Bestimmung von „Heimarbeitern" mit dem Ziel der Erweiterung ihres
Schutzes für erforderlich. Andere meinten, das Problem einer präzisen Definition
ließe sich lösen, wenn Heimarbeiter als Arbeitnehmer betrachtet würden, solange
nichts anderes bewiesen sei.
Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß unverzügliches Handeln
am dringlichsten in traditionellen Industrien sei, die die Gesundheit von
Arbeitnehmern am stärksten gefährdeten, und daß sich die IAO vor allem mit
den ärmsten Gruppen befassen sollte, d.h. mit denen, die kaum andere
Beschäftigungsmöglichkeiten hätten, und den am stärksten Ausgebeuteten.
Angemerkt wurde auch, daß unbezahlte Familienhelfer in vielen Fällen Kinder
seien, die unbewußt von ihren eigenen Familien ausgebeutet würden. Es wurde
jedoch vorgeschlagen, die Definition nur auf erwachsene Arbeitnehmer zu
beziehen.
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Standpunkte zur Heimarbeit
57
Tendenzen der Heimarbeit
Mehrere Sachverständige waren der Auffassung, daß Heimarbeit allgemein
Zunehme. Selbst in Ländern wie dem Vereinigten Königreich, wo es einen
relativen Rückgang von Heimarbeit im traditionellen Fertigungsbereich
zugunsten des Dienstleistungssektors und der Telearbeit zu geben scheine,
würden etliche Fabriken zum Teil geschlossen und zunehmend Heimarbeiter
herangezogen. Ein Sachverständiger meinte, Heimarbeit nehme rasch in Sektoren
wie der Bekleidungsindustrie zu, in der intensiver internationaler Wettbewerb
herrsche. Auch in Italien, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten sei in
den letzten Jahren eine generelle Zunahme der Heimarbeit beobachtet worden.
Die Sachverständigen meinten, auch wenn diese Zunahme vielleicht nicht
beträchtlich sei, so sei sie doch von erheblicher Bedeutung und untergrabe die
arbeitsrechtlichen Vorschriften und Arbeitsbedingungen für festangestellte
Beschäftigte.
Mehrere Sachverständige aus Entwicklungsländern meinten ebenfalls, daß die
Heimarbeit zunehme, obwohl über ihr Ausmaß keine genauen Zahlen vorlägen.
Ein Sachverständiger äußerte die Ansicht, daß die Zahl der Heimarbeiter
aufgrund der Förderung des informellen Sektors durch die Regierung seines
Landes auch künftig weiter zunehmen könnte. In Kenia sei festgestellt worden,
daß Heimarbeit, die bisher vor allem auf Schneiderei und Holzarbeit beschränkt
gewesen sei, sich jetzt auch auf andere Tätigkeiten ausweite. Auch in Venezuela
habe die Heimarbeit anscheinend zugenommen. Ein Sachverständiger sagte, daß
in Panama die Änderungen des Arbeitsrechts, wonach Heimarbeit von den
arbeitsrechtlichen Vorschriften ausgenommen sei, jedoch keine bedeutende
Zunahme der Heimarbeit mit sich bringe.
Einige Sachverständige meinten, die Zunahme der Heimarbeit müsse im
Rahmen der zunehmenden Gelegenheitsarbeit und insbesondere ihrer Auswirkungen auf Frauen gesehen werden, die auf dem Arbeitsmarkt die schwächste
Position einnähmen, schlechter bezahlt würden und generell weniger Arbeitsplatzsicherheit hätten als Männer. Aufgrund von Diskriminierung und einer
negativen Regierungspolitik würden Frauen beim Zugang zum formellen
Arbeitsmarkt benachteiligt. Ein Sachverständiger meinte, die Kernfrage sei die
freie Wahl des Arbeitsplatzes, und die Regierungspolitik sollte darauf abzielen,
weiblichen Arbeitnehmern echte Wahlmöglichkeiten und Chancen durch die
Schaffung von Arbeitsplätzen und Kinderbetreuungseinrichtungen sowie
Maßnahmen zur Beseitigung von ausbeuterischen Tätigkeiten und Praktiken zu
bieten. Zum Verständnis des Phänomens der Heimarbeit sei ein Verständnis der
Struktur von Industrien und Regierungspolitiken erforderlich, welche die
Bedingungen geschaffen hätten, die das Wachstum von Heimarbeit förderten.
Ein Sachverständiger wies auf eine weitere neue Tendenz bei der Heimarbeit
hin, nämlich ihre Verlagerung aus Industrieländern in die ärmeren Regionen von
Entwicklungsländern. Auch die Art der Ausbreitung von multinationalen
Unternehmen in Entwicklungsländern und ihre Auswirkungen auf die Heimarbeit
wurden erwähnt. Es bestand die Auffassung, daß nicht nur spezifische Aspekte
der Heimarbeit auf landesweiter Ebene behandelt, sondern daß den Verbrauchern
von Produkten, die von Heimarbeitern in Entwicklungsländern hergestellt
würden, auch die Bedingungen der betreffenden Arbeitnehmer bewußtgemacht
3012-5.G94
58
Heimarbeit
werden sollten. Ähnliche Fragen ließen sich auch bezüglich der Schwarzarbeit
von Einwanderern in Europa aufwerfen. Als Mittel zur Bekämpfung illegaler
Praktiken wurden die Analyse und der Vergleich der tatsächlichen Produktion
mit der angegebenen Kapazität der Exportindustrien vorgeschlagen.
Ein Sachverständiger verwies insbesondere auf aktuelle und künftige
(langfristige) Tendenzen und zunehmende Anzeichen sinkender Arbeitsentgeltsätze für Telearbeiter sowie traditionellere Formen der Heimarbeit. Einige
Sachverständige hoben die unterschiedlichen Bedingungen und Tendenzen in
Industrie- und Entwicklungsländern hervor.
Viele Sachverständige unterstrichen die Bedeutung der Statistik bei der
Erfassung und Bestätigung des Phänomens der Heimarbeit und als nützliches
Hilfsmittel bei Grundsatzdiskussionen. Mehrere Sachverständige wiesen jedoch
darauf hin, daß im Bereich des Sozialschutzes von den vorhandenen Erkenntnissen ausgegangen werden könnte und nicht die Zusammenstellung von systematischen Daten abgewartet werden sollte.
Vorteile und Nachteile der Heimarbeit
Es gab eine recht ausführliche Diskussion über die Vorteile und Nachteile
der Heimarbeit, wobei von der Auffassung ausgegangen wurde, daß sich die
Heimarbeit nicht in einem so umfassenden Rahmen entwickelt hätte, wenn sie
nicht sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern Vorteile böte.
Allgemeine Übereinstimmung bestand bei allen Arbeitgebersachverständigen
und einigen Regierungssachverständigen darüber, daß die Heimarbeit sowohl den
Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern Vorteile und Chancen biete. Sie
unterstrichen das positive Potential der Heimarbeit für die Schaffung von
Arbeitsplätzen, geringere Kosten, Flexibilität, Erfassung von ländlichen Gebieten
und Schließung von Lücken bei der saisonbedingten Nachfrage nach Arbeitskräften. Einige Sachverständige glaubten, daß Heimarbeit denjenigen eine
nützliche Beschäftigungsalternative zu einer festen Anstellung bieten könnte, die
aus dem einen oder anderen Grund gezwungen seien oder es vorzögen, zu Hause
zu bleiben, und sie könnte eine Übergangslösung oder ein einstweiliges Mittel
zur Bestreitung des Lebensunterhalts für diejenigen sein, die noch keine feste
und sichere Anstellung gefunden hätten.
Einige Teilnehmer meinten jedoch, daß die Vorteile vor allem auf seiten der
Arbeitgeber seien. Heimarbeit biete Flexibilität und helfe den Unternehmen,
schwankende Nachfragen ohne Ausweitung ihrer Produktionskapazität zu
decken; es sei ein Weg, die Starrheiten des Arbeitsmarkts zu überwinden und
Arbeitskosten herabzusetzen.
Einige Sachverständige erklärten, daß die Vorteile für Arbeitgeber in den
Sektoren deutlicher seien, in denen häufig illegale Praktiken herrschten. Da es
Probleme der Produktivität und Qualitätskontrolle gebe, machten Arbeitgeber,
deren Fabrikproduktion reibungslos funktioniere, von der Heimarbeit keinen
Gebrauch. Arbeitgeber griffen auf Heimarbeiter nur zurück, um gesetzliche
Bestimmungen zu umgehen und um Sozialleistungen und Steuern zu sparen.
Heimarbeit bilde Teil der Schattenwirtschaft. Sie sei auch ein Mittel zur
Drückung von Löhnen und zur Vermeidung von gewerkschaftlichem Druck.
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Standpunkte zur Heimarbeit
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Ein Sachverständiger wies darauf hin, daß selbst dort, wo es keine illegalen
Praktiken gebe, die Gesetze möglicherweise nicht klar genug seien. So könne es
z.B. in den Niederlanden als legal betrachtet werden, Heimarbeiter für sehr
niedrige Löhne zu beschäftigen, solange diese nicht als abhängige Beschäftigte
gälten. Arbeitgeber hätten das Recht, die billigste Form der Produktion zu
wählen. Auch im Dienstleistungssektor gebe es viele Möglichkeiten für
Heimarbeit. Bei einer Erhebung in den Niederlanden seien über 150 Formen der
Heimarbeit festgestellt worden. Die Frage sei, ob es ethisch vertretbar sei, so
niedrige Löhne zu zahlen.
Ein anderer Sachverständiger wies darauf hin, daß die Produktivität in
einigen Fällen durch Heimarbeit erhöht werden konnte, weil die Heimarbeiter
besser motiviert und mit ihrer Arbeit zufriedener seien. Heimarbeit bringe auch
Einsparungen in bezug auf Fahrzeit, Mahlzeiten und Kleidung mit sich. Manche
würden ein Verbot der Heimarbeit als Eingriff in die persönliche Freiheit
betrachten.
Zu den Vorteilen für die Heimarbeiter — vor allem Frauen — zählt nach
Ansicht einiger Sachverständiger die Möglichkeit, Familienpflichten mit einer
Erwerbstätigkeit zu verbinden. Heimarbeit biete auch eine Möglichkeit, die
Verbindungen zu einem Arbeitgeber oder einem Beruf während eines Zeitraums
aufrechtzuerhalten, in dem der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zu Hause
bleiben möchte oder müsse. Andere unterstrichen jedoch, daß viele Frauen
wegen der Hindernisse, die einer festen Anstellung im Weg stünden, und wegen
Problemen bei der Verbindung einer Erwerbstätigkeit mit Familienpflichten
keine echte Wahl hätten. Sie meinten, der einzige Vorteil für Heimarbeiter sei
in der Praxis häufig nur, überhaupt Arbeit und ein gewisses Einkommen zu
haben, statt keinerlei Arbeit und keinerlei Einkommen zu haben.
Einige Teilnehmer sahen in der Heimarbeit auch Vorteile für Regierungen,
da Heimarbeit zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit aufgrund der den Arbeitgebern
dadurch gebotenen Flexibilität zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitrage. Ferner
rege diese die Gründung von Kleinbetrieben an. Allerdings müsse Heimarbeit
angemessen entlohnt werden. Frauen, die zu Hause arbeiteten und Kinder,
Kranke und ältere Menschen versorgten, sparten der Regierung auch Sozialkosten.
Als Nachteile der Heimarbeit wurden vor allem die Situation der Frauen und
die Tatsache genannt, daß Frauen häufig keine andere Wahl hätten, als diese
Form der Arbeit anzunehmen. Allerdings müsse zwischen verschiedenen
Ländern und Qualifikationen unterschieden werden. Ein Sachverständiger
meinte, die Diskussion konzentriere sich zu sehr auf Frauen, doch auch
Behinderte und Männer verrichteten Heimarbeit. Es wurde jedoch darauf
hingewiesen, daß sich männliche Heimarbeiter in der Regel ganz bewußt für
Heimarbeit entschieden hätten und einer anderen Arbeitnehmerkategorie
angehörten.
Eine Sachverständige äußerte sich besorgt über die Wahrung der Menschenwürde von Heimarbeitern. Es gebe viele schwarzarbeitende Heimarbeiter, und
diese Personen stünden auf der untersten Stufe des Arbeitsmarkts. Die Wirtschaft
müsse sich an Regeln halten, und Arbeitgeber und Beschäftigte müßten das
Gesetz achten. Es gebe nicht nur illegale Konkurrenz zwischen Arbeitgebern,
3012-5.G94
60
Heimarbeit
sondern auch Konkurrenz zwischen Beschäftigten in Betrieben und Heimarbeitern. Schwarzheimarbeit schade auch dem Staat, da die Steuerpolitik
untergraben werde, und könnte sich negativ auf die nationale und internationale
Wirtschaft auswirken. Wenn Gesetze nicht durchgeführt werden könnten, sei ihr
Nutzen zweifelhaft.
Rechtsschutz
Es bestand allgemeine Übereinstimmung darüber, daß das Fehlen einer
klaren Definition von „Heimarbeitern" in der Arbeitsgesetzgebung ein großes
Hindernis für die Ausweitung des Sozialschutzes auf diese Arbeitnehmer
darstellt. Viele Sachverständige aus Industrieländern waren der Meinung, daß
der rechtliche Rahmen für Heimarbeiter so umfassend wie möglich sein sollte,
um die größte Zahl von Beschäftigten zu erfassen. Ein weiterer Sachverständiger
unterstrich, daß ein Vergleich der Arbeitsbedingungen und Löhne von
Heimarbeitern mit denen von Fabrikarbeitern die Grundlage für die innerstaatliche Gesetzgebung bilden müsse.
Mehrere Sachverständige hielten die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des
Beschäftigungsstatus und der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung für das größte
Hindernis bei der Durchführung von Arbeitsgesetzen hinsichtlich Heimarbeitern.
Das sei sowohl in Ländern, in denen die allgemeine Arbeitsgesetzgebung auch
für Heimarbeiter gelte, als auch in Ländern mit spezifischen Gesetzen für
Heimarbeiter der Fall. In den meisten Fällen liege die Beweislast bei den
Heimarbeitern, und die Gerichte hätten zu entscheiden, ob ein Arbeitsvertrag
vorliege. Mehrere Sachverständige bekundeten die Auffassung, daß das Fehlen
von schriftlichen Verträgen, die „Unsichtbarkeit" von Heimarbeitern, die
ungleichen Machtverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und das
Fehlen von Informationen und Rechtsschutz für Heimarbeiter praktische
Hindernisse bei der Bestimmung der Art des Beschäftigungsverhältnisses seien.
Ein Sachverständiger verwies auch auf die Schwierigkeiten bei der Feststellung
des Arbeitgebers, wenn es eine Kette von Unternehmern und Vermittlern gebe.
Als große Schwierigkeit in Industrieländern wurde die Durchführung der
Gesetze bezeichnet, während das Hauptproblem in Entwicklungsländern im
Fehlen oder in erheblichen Unzulänglichkeiten von Gesetzen bestehe. Mehrere
Sachverständige unterstrichen die Unzulänglichkeit bestehender Mechanismen,
vor allem die begrenzte Zahl von Aufsichtsbeamten, die eine wirksame
Durchführung der Gesetze über Heimarbeiter unmöglich mache. Ein Sachverständiger unterstrich die Notwendigkeit, das Rechtssystem zu dezentralisieren
und auch Heimarbeiter darin einzubeziehen.
Bezüglich der Art der erforderlichen Maßnahmen ergaben sich aus den
Diskussionen verschiedene Ansätze. Mehrere Sachverständige hielten neue
Gesetze zur Anerkennung und zum Schutz von Heimarbeitern für erforderlich.
Andere äußerten Vorbehalte bezüglich zusätzlicher oder strenger Vorschriften,
da sich diese negativ auf das Beschäftigungswachstum und die Zahl der
verfügbaren Arbeitsplätze auswirken könnten. Ein Sachverständiger schlug statt
dessen die Erarbeitung einer Richtliniensammlung vor und meinte ferner, daß
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Standpunkte zur Heimarbeit
61
die Frage durch Kollektivverträge zwischen den Sozialpartnern und nicht durch
staatliche Gesetzgebung geregelt werden sollte.
In bezug auf den Inhalt der zu fördernden Mindestnormen meinte ein
Sachverständiger, daß trotz der verschiedenen Situationen in den einzelnen
Ländern ein gemeinsamer Nenner gefunden werden könnte. Mehrere andere
bezeichneten die Gewährung des Arbeitnehmerstatus für Heimarbeiter als
Hauptanliegen. Ein Sachverständiger unterstrich, daß der Arbeitgeber die
Beweislast hierfür tragen sollte.
Mehrere Sachverständige hielten die Festsetzung eines Mindestlohns für
Heimarbeiter für erforderlich. Verschiedene Wege wurden zur Festsetzung des
Mindestlohns für Akkordarbeiter vorgeschlagen, der mit dem von Fabrikarbeitern im gleichen Gewerbe oder Industriezweig vergleichbar sei. Ein
Sachverständiger meinte, daß die von Heimarbeitern bereitgestellten Einrichtungen und die damit verbundenen Kosten bei der Festsetzung einer
angemessenen Entlohnung in Betracht gezogen werden sollten. Einige Sachverständige schlugen die Einrichtung von dreigliedrigen Kommissionen zur
Festsetzung von Mindestlöhnen vor. Ein Sachverständiger schlug ein von allen
Parteien akzeptiertes Zwischengremium vor, das Kriterien für Mindestlöhne im
jeweiligen Gewerbe festlegen solle. Ein anderer Sachverständiger äußerte
Vorbehalte bezüglich der Ausdehnung des nationalen Mindestlohns auf
Heimarbeiter, weil diese Frage seiner Auffassung nach in Kollektivverträgen
zwischen den Sozialpartnern geregelt werden sollte.
Mehrere Sachverständige meinten, daß Mindestnormen auch Bestimmungen
über bezahlten Urlaub und Leistungen der Sozialen Sicherheit einschließen
sollten. Einige schlugen vor, daß Heimarbeiter auch entsprechend ihrer
Einkommenshöhe zu Sozialversicherungsfonds beitragen sollten. Ein anderer
verwies jedoch darauf, daß die Einkommen von Heimarbeitern in den meisten
Fällen so niedrig seien, daß sie zu Beiträgen für solche Fonds kaum in der Lage
wären. Ein Sachverständiger aus einem Entwicklungsland meinte, daß Regierungen auch erwägen sollten, Heimarbeiter im Rahmen ihrer Sozialfürsorge- und
Armutbekämpfungsprogramme zu unterstützen.
Allgemeine Übereinstimmung bestand über die Notwendigkeit einer Meldung
und Registrierung von Heimarbeitern. Ein Sachverständiger unterstrich die
Bedeutung von Transparenz zur Beseitigung illegaler Heimarbeit und eines
Informationssystems über die allgemeine Beschäftigungsstrategie von Unternehmen. Ein anderer bemerkte jedoch, daß diese Maßnahmen den Erfordernissen
von spezifischen Sektoren angepaßt werden sollten, da die Ausweitung von
Rechtsvorschriften auf alle Sektoren beschwerlich wäre und zu Arbeitsplatzverlusten führen könnte.
Ein Sachverständiger schlug Bestimmungen gegen eine willkürliche Entlassung von Heimarbeitern durch Arbeitgeber vor, insbesondere ein dreigliedriges Organ, das Kriterien über die Einstellung und Entlassung von Heimarbeitern festlegen solle.
Zahlreiche Sachverständige unterstrichen die Bedeutung des Arbeitsschutzes
für Heimarbeiter. Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß gefährliche
Tätigkeiten und die Verwendung gefährlicher Stoffe durch Heimarbeiter festgestellt, verboten oder reguliert werden sollten.
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62
Heimarbeit
Mehrere Sachverständige hielten es für notwendig, Kinderarbeit zu regulieren und die Ausbeutung von Kindern bei Heimarbeit zu verhindern.
Einige Sachverständige hielten offizielle Grundsatzerklärungen über
Heimarbeit für erforderlich. Einer unterstrich die Notwendigkeit, die Auswirkungen von technischen Veränderungen auf die Heimarbeit zu überwachen.
Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen
Mehrere Diskussionsteilnehmer sprachen von der Verantwortung der
Gewerkschaften gegenüber Heimarbeitern. Die Situation von Heimarbeitern
werde zu Recht als die anfälligste von allen Arbeitnehmern bezeichnet. Es wurde
auf ihre Isolierung, den Mangel an Informationen über ihre Rechte und auf
Probleme bei der Kontaktaufnahme zu ihnen hingewiesen. Gewerkschaften
sollten sich um Kontakte zu Heimarbeitern bemühen und ihnen Informationen
zukommen lassen.
Bezüglich Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen bestand allgemeine Übereinstimmung darüber, daß Heimarbeiter Vereinigungsfreiheit zumindest in den Ländern genießen sollten, die das Übereinkommen (Nr. 87) über die
Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948, ratifiziert
hätten. Das Problem seien nicht die Rechte, sondern die Art der Ausübung dieser Rechte.
Die gewerkschaftliche Organisation von Heimarbeitern sei gering, vor allem
in Entwicklungsländern. Die Anerkennung des Beschäftigungsverhältnisses von
Heimarbeitern durch die Regierung, die Gerichte und die Gewerkschaften der
einzelnen Länder habe Probleme ergeben. In manchen Sektoren wie Telearbeit
und kommerzielle Fertigung habe das Fehlen von gewerkschaftlichen Verbindungen zu spezifischen Industrien Probleme bei der Feststellung und Organisation von Heimarbeitern ergeben. Zu anderen Hindernissen bei der gewerkschaftlichen Organisation von Heimarbeitern zählten ihr mangelndes Bewußtsein,
die geographische Streuung, Armut und fehlende Mittel zur Unterstützung von
Organisationen und der gelegentlich illegale Status von ausländischen Arbeitnehmern oder die Schwarzarbeit, die die Feststellung von Heimarbeitern auf persönlicher Ebene höchst riskant machten.
Ein Sachverständiger hielt einen gesetzgeberischen Rahmen für erforderlich,
damit Heimarbeiter Verhandlungen führen können. Sowohl in Industrie- als auch
in Entwicklungsländern könnte sich das Recht auf Kollektivverhandlungen als
illusorisch oder einfach zu riskant für diejenigen erweisen, für die Heimarbeit
die letzte Möglichkeit des Überlebens sei, und diejenigen, deren Status als
Einwanderer möglicherweise illegal sei oder die Schwarzarbeit verrichteten. In
Indien z.B. riskierten Heimarbeiter Arbeitslosigkeit, wenn ihre Gewerkschaft
nicht aus einer Position der Stärke heraus verhandeln könne. Die Schaffung von
genossenschaftlichen Produktionseinheiten für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten habe die Verhandlungsposition von Heimarbeitern in einigen
Fällen gestärkt, doch die wirtschaftliche Existenzfähigkeit sei nicht immer
gewährleistet.
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Standpunkte zur Heimarbeit
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Programme
Die meisten Diskussionsteilnehmer verwiesen auch auf Aktionen und Politiken, die zur Verbesserung der Wirksamkeit gegenwärtiger Bemühungen um
Heimarbeiter notwendig seien. Eine Strategie zur Verbesserung ihrer Situation
müsse Registrierung, Gesetze und Durchführung der Gesetze umfassen.
Unterstützungsgruppen und Gewerkschaften könnten eine ergänzende Rolle bei
der Verstärkung der Sichtbarkeit von Heimarbeitern und der Aufklärung über
ihre Rechte spielen. Ein Arbeitgebersachverständiger befürwortete die Förderung
von Genossenschaften, die den Vorteil der Steuerfreiheit hätten und über die ein
System der Sozialen Sicherheit entwickelt werden könnte. Ein anderer
Sachverständiger meinte, der erste Schritt sollte die rechtliche Anerkennung von
Heimarbeitern als Arbeitnehmer sein; der Anspruch auf andere Leistungen,
darunter berufliche Bildung, würde automatisch folgen. Ein anderer Arbeitgebersachverständiger meinte hingegen, daß weitere Bestimmungen nicht
notwendig seien; in Lateinamerika hätten schon die bestehenden das Wachstum
des formellen Sektors behindert. Vorrang sollten vielmehr Erziehungs-,
Gesundheits- und Berufsbildungsprogramme zur Förderung der selbständigen
Erwerbstätigkeit erhalten. Gewerkschaften könnten bei der Unterstützung solcher
Programme eine Rolle spielen.
Bezüglich der Ausbildung wurde bemerkt, da Heimarbeiter zu Hause arbeiteten, sei eine Teilnahme an Ausbildungsprogrammen außerhalb ihres Hauses
schwierig für sie. Viele ethnische Minderheiten und Einwanderer hätten sehr
geringe Fertigkeiten. Freigesetzten Arbeitnehmern könnten Fertigkeiten
vermittelt werden, die sich für eine Beschäftigung verwenden ließen. Heimarbeit
könnte auch als Strategie zur Arbeitsbeschaffung für diese Arbeitnehmer benutzt
werden.
Internationale Normen
Hinsichtlich einer internationalen Normensetzung unterstrichen mehrere
Sachverständige die Notwendigkeit, das Ausmaß zu prüfen, in dem Heimarbeiter
von der Anwendung bestehender internationaler Arbeitsübereinkommen durch
Mitgliedstaaten, die diese ratifiziert hätten, ausgeschlossen seien. Ein Sachverständiger bemerkte, daß diese Übereinkommen ähnlich wie innerstaatliche
Gesetze seien — wenn Heimarbeiter nicht spezifisch erwähnt würden, bedeute
das in der Regel, daß sie ausgeschlossen seien. Übereinkommen sollten in
stärkerem Maß auch für Heimarbeiter gelten. Ein anderer Sachverständiger
bezweifelte, daß bestehende Übereinkommen nicht auf Heimarbeiter anwendbar
seien. Die meisten Sachverständigen glaubten, daß eine weitere Prüfung
bestehender Übereinkommen ein erster Schritt sei, um die Notwendigkeit neuer
Urkunden festzustellen.
Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß Heimarbeiter Schutz
benötigten und daß die Sorge um ihre Arbeitsbedingungen gerechtfertigt sei. In
einigen Ländern müßten Heimarbeiter vor Gericht gehen, um ihren Arbeitnehmerstatus zu beweisen. Ein einheitliches Verständnis des Beschäftigungsstatus
von Heimarbeitern würde Ad-hoc-Auslegungen der Arbeitsgesetzgebung
verhindern. Internationale Richtlinien zu diesem Punkt wären sehr nützlich.
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64
Heimarbeit
Mehrere Arbeitnehmersachverständige erklärten, daß Richtlinien für
Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bei ihren Bemühungen um
eine Definition des Rechtsstatus von Heimarbeitern und eine Verbesserung ihres
Schutzes und der Durchführung internationaler und innerstaatlicher Vorschriften
nicht ausreichend seien, da sie keine Sanktionen vorsähen.
Die Arbeitnehmersachverständigen bekräftigten ihre Auffassung, daß neue
internationale Normen über Heimarbeit erforderlich seien. Sie hielten ein neues
Übereinkommen für notwendig, um den Status von Heimarbeitern als abhängig
Beschäftigte und den Grundsatz der Gleichbehandlung von Heimarbeitern und
anderen Arbeitnehmern deutlich festzulegen. Darin sollten die Rechte von
Heimarbeitern auf eine amtliche Bescheinigung über ihren Status als registrierte
Arbeitnehmer und auf gleiche Entlohnung wie die anderer Arbeitnehmer im
gleichen Sektor enthalten sein. Ein Übereinkommen sollte auch die vorrangigen
Anliegen auf landesweiter Ebene wie Arbeitsschutzbestimmungen und das Verbot
gefährlicher Tätigkeiten zu Hause festlegen und die Pflichten des Arbeitgebers
und der Regierung sowie die Notwendigkeit der Einhaltung dreigliedriger
Vereinbarungen enthalten.
Arbeitnehmersachverständige führten den Zusammenhang zwischen Heimarbeit und internationalem Handel als zusätzliche Rechtfertigung für eine internationale Urkunde an. Es sei beobachtet worden, daß in Ländern, in denen
Heimarbeit verboten sei oder Heimarbeiter zum Zweck der Forderung besserer
Bedingungen organisiert seien, Unternehmen auf Subunternehmer in Entwicklungsländern zurückgriffen, die wiederum Arbeit an Heimarbeiter vergäben.
Deshalb müsse es eine international vereinbarte Norm über Heimarbeit geben,
die darüber hinaus auch Gewerkschaften in allen Ländern helfen würde, die
Rechte von Heimarbeitern zu verteidigen.
Ein Regierungssachverständiger bemerkte, daß die Existenz von Heimarbeit
eine Realität sei. Selbst in Afrika gebe es viele multinationale Unternehmen, und
das habe Auswirkungen auf ein internationales Vorgehen. Er schlug vor, daß die
Sachverständigen eine internationale Normensetzung empfehlen sollten, daß über
die Art der Urkunde jedoch auf einer anderen Ebene entschieden werden sollte.
Alle Arbeitgebersachverständigen äußerten die Auffassung, daß keine weitere
Regulierung von Heimarbeit erforderlich sei. Es wurden Beispiele von Ländern
angeführt, wo es einen angemessenen Rechtsschutz für Heimarbeiter gebe und
wo zu strenge Vorschriften zur Ausbreitung von Schwarzheimarbeit geführt
hätten. Ferner bekräftigten sie die Überzeugung, daß Heimarbeit den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern Vorteile biete, daß sie sich aus einer Nachfrage
nach dieser Art von Arbeit ergebe und daß sie zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten gefördert werden sollte. Entwicklungsländer könnten für
ausländische Investoren attraktiv sein, wenn die Bestimmungen flexibler wären.
Ferner müßten Ausbildung gefördert, Arbeitnehmer umgeschult und Kreditsysteme und Vereinigungen von Heimarbeitern geschaffen werden. Die Arbeitgebersachverständigen meinten ferner, daß es Aufgabe der Arbeitnehmer- und
der Arbeitgeberverbände sei, für die Durchführung von rechtlichen Bestimmungen zu sorgen.
Ein Regierungssachverständiger unterstützte die Auffassung, daß eine neue
internationale Norm über Heimarbeit nicht notwendig sei, trat jedoch für
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Standpunkte zur Heimarbeit
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internationale Richtlinien ein, die bei der Durchführung der Gesetze helfen
könnten. Ein anderer Regierungssachverständiger hielt es für verfrüht,
normensetzende Tätigkeiten vorzuschlagen, und regte eine weitere Untersuchung
der Anwendbarkeit bestehender Nonnen auf Heimarbeiter an. Zwei andere
Regierungssachverständige hielten eine einschlägige internationale Norm
hingegen für notwendig.
Angesichts dessen, daß über die Notwendigkeit einer internationalen
Regulierung von Heimarbeit keine Übereinstimmung bestand, versuchten einige
Sachverständige, Grundprinzipien vorzuschlagen, über die es einen Konsens
geben könnte. Zu diesen Grundprinzipien gehörten der Schutz von Heimarbeitern, Mindestrechte von Heimarbeitern auf einen menschenwürdigen
Lebensstandard und die Prüfung der Angemessenheit innerstaatlicher Gesetzgebung sowie von Problemen bei ihrer Durchführung.
Eine Arbeitnehmersachverständige bezeichnete ein internationales Übereinkommen über Heimarbeiter als längst überfällig. Die meisten Mitglieder von
Gewerkschaften seien Industriearbeiter, und es sei an der Zeit, die zahlreichen
im informellen Sektor Beschäftigten einzubeziehen. Heimarbeiter forderten keine
milden Gaben, sondern den ihnen zustehenden Platz in der Arbeiterbewegung.
Sie sollten nicht als selbständig Erwerbstätige behandelt werden. Ein Übereinkommen wäre ein wichtiger Schritt zu ihrer Anerkennung als Arbeitnehmer. Sie
erinnerte daran, daß der IBFG einstimmig eine Entschließung angenommen
habe, in der zur Anerkennung von Heimarbeitern und zur Normensetzung über
Heimarbeit aufgerufen werde. Ferner gab sie zu verstehen, daß IAO-Urkunden
Förderungscharakter haben könnten, was es den sie ratifizierenden Ländern
ermögliche, die Ziele innerhalb von Fristen und durch Methoden zu verfolgen,
die im Einklang mit innerstaatlichen Gegebenheiten stünden.
Andere Arbeitnehmersachverständige unterstützten diese Auffassung und
legten den Arbeitgebersachverständigen nahe, ihre Standpunkte zu überdenken
und Heimarbeitern einen Status zu verleihen, der ihnen auf dem Arbeitsmarkt
eine Verhandlungsposition verschaffe. Internationale Konkurrenz zwinge
Heimarbeiter, die niedrigsten Löhne anzunehmen. Die Festlegung internationaler
Regeln sei von großer Bedeutung. Für viele weibliche Arbeitnehmer in
Entwicklungsländern sei ein internationales Übereinkommen dringend erforderlich. Ein anderer Sachverständiger meinte, die Einfuhr von Gütern, deren
Herstellung auf der Arbeit von Heimarbeitern beruhe, sollte kontrolliert werden,
um die Ausbeutung von Arbeitnehmern zu verhindern und dafür zu sorgen, daß
Menschenrechte und internationale Arbeitsübereinkommen eingehalten würden.
Anmerkungen
1
Siehe IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 8, Nr. 2, a.a.O., S. 161-213.
Siehe IAA: Social protection of homeworkers, a.a.O.
3
Beispiele für solche Entschließungen und andere Erklärungen von Gewerkschaften finden
sich ebd., S. 26-31.
4
Ebd., S. 73-89.
2
3012-5.G94
KAPITEL V
AKTIONSPROGRAMME FÜR HEIMARBEITER
In Anbetracht der offensichtlich unzulänglichen Bemühungen um eine Regulierung und Kontrolle der Heimarbeit über den formalen Weg von gesetzlichen
Bestimmungen und Gesamtarbeitsverträgen haben Gewerkschaften und andere,
vorwiegend nichtstaatliche Organisationen eine alternative Strategie entwickelt.
Sie zielt darauf ab, einen Teil der Probleme mit Hilfe verschiedener Programme
zu lösen, die Heimarbeitern Hilfe und Unterstützung gewähren. Zwar gibt es
erst relativ wenige derartige Programme, und ihre Auswirkungen auf die
Heimarbeiter insgesamt sind gering, die sowohl in Entwicklungs- wie in
Industrieländern erzielten Erfolge sind jedoch ermutigend.
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die wichtigsten Formen der
Maßnahmen und führt Beispiele aus verschiedenen Ländern an, wobei der
Ursprung der Programme, ihre Entwicklung und ihre Leistungen dargestellt
werden1.
Die meisten Programme verfolgen ähnliche Ziele, nämlich die Heimarbeiter
zu schützen, sie aus ihrer Isolierung zu befreien und ihren sozioökonomischen
Status zu verbessern. Die zur Realisierung dieser Ziele eingesetzten Mittel sind
jedoch sehr unterschiedlich. Zwar gehen die umfassendsten Programme aus
verschiedenen Blickwinkeln an die Frage heran und kombinieren eine Reihe von
Maßnahmen, um die Probleme der Heimarbeiter zu lösen, dennoch kann man
zwischen folgenden Hauptkategorien differenzieren:
a) umfassende Informationskampagnen, die sich vor allem an Heimarbeiter
richten und oft in unterschiedlichen Sprachen abgefaßt sind, um ethnischen
Minderheiten und Einwanderern dabei zu helfen, ihre Rechte zu verstehen
und zu verteidigen;
b) die gewerkschaftliche Organisation der Heimarbeiter mit dem Ziel, ihre
Verhandlungsposition zu stärken, die Abhängigkeit von Mittelsmännern zu
beseitigen und bessere Beschäftigungsbedingungen auszuhandeln, entweder
über eine bestehende Gewerkschaft oder durch die Einrichtung separater
Heimarbeiterverbände oder -genossenschaften;
c) die Einrichtung von Zentren oder Netzwerken mit dem Ziel, Heimarbeiter
aus ihrer Isolierung zu befreien, sie zu unterstützen und ihnen Dienste
anzubieten, etwa Rechtsberatung und -Unterstützung, Ausbildung und
Weiterqualifizierung, Gesundheitsdienste usw.
3012-5.G94
Aktionsprogramme ßr Heimarbeiter
67
Diese Kategorien von Programmen schließen sich keineswegs gegenseitig
aus, und in der Tat ist es so, daß einige der erfolgreicheren Programme diese
Kategorien gleichzeitig oder nacheinander anwenden.
INFORMATIONSKAMPAGNEN
In Ländern, in denen es eine Gesetzgebung über Heimarbeit gibt, ist es
möglich, daß die betreffenden Arbeitnehmer nicht voll über die Beschäftigungsbedingungen informiert sind, auf die sie Anspruch haben. Eines der Hauptziele
von Informationskampagnen besteht darin, die unterschiedlichen Gruppen von
Heimarbeitern zu erreichen, sie über ihre Rechte aufzuklären und sie dabei zu
unterstützen, Ansprüche gegenüber ihren Arbeitgebern geltend zu machen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Informationskampagne der Textil-,
Bekleidungs- und Schuhwarengewerkschaft (früher Gewerkschaft der Bekleidungsindustrie und verwandter Industriezweige (CATU)) in Australien. Die
Nationale Heimarbeits-Kampagne gliederte sich in zwei Teile: 1) Eine industrielle Kampagne, mit der es 1987 gelang, Schiedsspruch-Ansprüche für Heimarbeiter durchzusetzen, die vergleichbar mit denen von Fabrikarbeitern sind; und
2) eine nationale Informationskampagne mit dem Ziel, Heimarbeiter über ihre
Ansprüche im Rahmen der neuen Schiedsspruch-Bestimmungen zu informieren.
Die Anzahl der Heimarbeiter wurde im Bereich der Bekleidungsindustrie auf
60.000 geschätzt. Auf dem Höhepunkt der Kampagne beschäftigte die Gewerkschaft 36 Mitarbeiter, um in allen Staaten Australiens über Druck- und
elektronische Medien Informationen zu vermitteln.
Im Bundesstaat Victoria arbeitete die Regierung eng mit der Gewerkschaft
zusammen und stellte eine mehrsprachige „Hotline" für Heimarbeiter zur
Verfügung, die mehr Informationen über ihre Rechte und die Kampagne
wünschten. Es wurden etwa 60.000 Informationsbroschüren in 14 verschiedenen
Sprachen gedruckt und überall verteilt. Ergänzt wurde dies durch Informationsveranstaltungen für Heimarbeiter, organisiert nach Sprachengruppe und Wohnort, ethnische Rundfunkansagen und Interviews sowie Unterstützung von Heimarbeitern bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber ihren Arbeitgebern.
Im Verlauf eines Jahres nahmen 6.000 Heimarbeiter mit der Gewerkschaft
Kontakt auf. In Anbetracht des Erfolgs dieser Strategie bei der Vermittlung von
Informationen für Heimarbeiter und die Gesellschaft insgesamt wurde 1990 eine
zweite Kampagne eingeleitet, und eine dritte ist für das Jahr 1994 geplant.
Andere Initiativen haben im Rahmen größerer Programme kleinere Informationskampagnen durchgeführt. So wurde beispielsweise in Kanada vom Distriktrat Toronto der Internationalen Gewerkschaft der Damenbekleidungsarbeiter
(ILGWU) eine Informationskampagne durchgeführt, um die Ergebnisse einer in
Toronto im Jahr 1991 durchgeführten Studie über Heimarbeiter im Bereich der
Bekleidungsindustrie bekanntzumachen und um vor einer gewerkschaftlichen
Organisation der Heimarbeiter politische Unterstützung für wichtige Gesetzesreformen zu gewinnen. Die Kampagne umfaßte die Veröffentlichung von
Artikeln über Heimarbeit in einer vielgelesenen, im ganzen Land erscheinenden
Zeitschrift über Arbeitsfragen, Konferenzen, Arbeitsseminare, das Versenden
3012-5.G94
68
Heimarbeit
von Postkarten an Arbeitgeber und Pressekonferenzen, um die Aufmerksamkeit
der Medien und der Öffentlichkeit auf die Existenz der Heimarbeiter und ihre
Arbeitsbedingungen zu lenken. Darüber hinaus wurde eine besondere „Hotline"
am Sitz der ILGWU eingerichtet, um Heimarbeiter über ihre Rechte zu informieren.
Im Vereinigten Königreich bildeten Kampagnen zur Verbesserung des Kenntnisstands der Öffentlichkeit, zur Kontaktaufnahme mit Heimarbeitern und zur
Unterstützung von Gesetzesänderungen Teil der Strategie zur Verbesserung der
Bedingungen der Heimarbeiter. Die Gruppe für Heimarbeits-Kampagnen mit Sitz
in Leicester erstellt Informationspakete, die grundlegende rechtliche und andere
Informationen enthalten, die für Heimarbeiter von Interesse sind, und verteilt
Informationsschriften in vier Sprachen an ethnische Minderheiten sowie ein
regelmäßiges Mitteilungsblatt. Das West-Yorkshire-Proj ekt veröffentlicht dreimal
im Jahr in sechs Sprachen die Zeitschrift Outworker News, die Informationen
über juristische Streitfälle, Lobbytätigkeiten, Briefe und Geschichten von
Heimarbeitern sowie internationale Nachrichten über Heimarbeit enthält.
DIE GEWERKSCHAFTLICHE ORGANISATION VON HEIMARBEITERN
Die Isolierung und schwache Verhandlungsposition der Heimarbeiter sind
möglicherweise die wichtigsten Gründe für ihre Schutzlosigkeit. In verschiedenen Programmen wird versucht, dieses Problem zu lösen, indem
Heimarbeiter ermutigt werden, sich zusammenzuschließen, um ihre Rechte zu
verteidigen und ausbeuterische Praktiken zu bekämpfen. Gemeinsam können sie
direkt mit Arbeitgebern verhandeln und Mittelsmänner ausschalten oder sogar
die Arbeitgeber ersetzen, indem sie zu selbständigen Herstellern werden, die ihre
Produkte über eigene Genossenschaften vertreiben.
Eines der erfolgreichsten Beispiele für den gewerkschaftlichen Zusammenschluß von Heimarbeitern ist die Vereinigung selbständig erwerbstätiger Frauen
(SEWA) in Indien. Sie entstand aus der Vereinigung der Textilarbeiter (TLA),
der -ältesten und größten Gewerkschaft der Textilarbeiter Indiens, die 1920
gegründet wurde. Nach einer Erhebung über Schneiderinnen, die durchgeführt
wurde, um Klagen über Ausbeutung durch Unternehmer nachzugehen, veranstaltete die für Frauenfragen zuständige Abteilung der TLA ein Treffen, auf dem
erörtert wurde, wie sich diese Frauen gewerkschaftlich organisieren könnten.
Dies führte zur Gründung der SEWA. Die offizielle Anerkennung als Gewerkschaft erwies sich als Problem. Das Arbeitsministerium weigerte sich, die SEWA
zu registrieren, da die Frauen als selbständig Erwerbstätige angesehen wurden
und es somit keinen Arbeitgeber gab, mit dem Verhandlungen geführt werden
konnten. Es wurde jedoch argumentiert, das Ziel der Gewerkschaft sei in erster
Linie die Einheit der Arbeitnehmer, und im April 1972 wurde die SEWA als
Gewerkschaft eingetragen. Seit Anfang 1986 unterstützt die IAO die SEWA über
Projekte der technischen Zusammenarbeit (siehe auch Kapitel VI).
Der SEWA gehören inzwischen insgesamt etwa 40.000 Mitglieder an, wobei
es sich um Kleinverkäufer, Kleinhändler, Straßenverkäufer, Erzeuger, die Waren
zu Hause herstellen, und um Tagelöhner handelt, die ihre Dienste oder ihre
3012-5.G94
Aktionsprogramme ßr Heimarbeiter
69
Arbeitskraft verkaufen. Von all diesen werden die Erzeuger, die Waren zu
Hause herstellen, am stärksten ausgebeutet und am schlechtesten bezahlt.
Die SEWA verfolgte zur Organisierung der Heimarbeiter ein umfassendes
Konzept, das die Notwendigkeit einer vollständigen Integration der Arbeitnehmer
auf allen Ebenen der Gesellschaft, d.h. in wirtschaftlicher, sozialer und
physischer Hinsicht, berücksichtigt. Um dies zu erreichen, wurde eine komplexe
Strategie angewandt, die folgende Bestandteile hatte:
a) Arbeiterbildungslehrgänge, Tagungen und allgemeine Kampagnen unter
Heimarbeitern mit dem Ziel, ein Bewußtsein für die Notwendigkeit zu
schaffen, sich einer Gewerkschaft anzuschließen und ihre gesetzlichen Rechte
einzufordern, einschließlich des Rechtes, direkte Maßnahmen zu ergreifen;
b) eine Unterstützungskampagne, um Heimarbeitern mehr öffentliche Geltung
zu verschaffen und sie in die Lage zu versetzen, gesetzliche Anerkennung
und gesetzlichen Schutz zu erhalten;
c) die Bekämpfung von Ausbeutung durch die Forderung nach besseren Löhnen
und Arbeitsbedingungen oder durch die Schaffung von Genossenschaften, um
so die Heimarbeiter zu Eigentümern der Produktionsmittel zu machen;
d) die Einrichtung eines auf Beiträgen beruhenden Systems der Sozialen
Sicherheit, aufgrund dessen Heimarbeiter eine GesundheitsVersorgung,
Kinderbetreuungseinrichtungen, Renten und eine Versicherung für Notfälle
erhalten können.
Eines der ersten Ziele der SEWA bestand darin sicherzustellen, daß
Heimarbeiter unter das Mindestlohngesetz fallen. Angesichts der zögernden
Haltung der Regierung organisierte die SEWA eine Demonstration von über
1.000 Frauen, die dem für Arbeitsfragen zuständigen Regierungsbeauftragten ein
Memorandum mit ihren Forderungen überreichten. Die Forderungen wurden
anschließend an den dreigliedrigen Mindestlohnausschuß weitergeleitet, und
aufgrund des anhaltenden Drucks der Frauen wurden sie schließlich gesetzlich
umgesetzt.
Mit der Verabschiedung eines Gesetzes ist der Kampf jedoch noch nicht
gewonnen. Die Durchführung erwies sich als schwierig, da die meisten
Heimarbeiter weder über Ausweise noch über Arbeitsbücher verfügten. Da sie
nirgendwo verzeichnet waren, wußten die Arbeitsaufsichtsbeamten nichts von
ihrer Existenz. Die SEWA wandte nun die Strategie an, den Arbeitsaufsichtsbeamten mitzuteilen, wann und wo Heimarbeiter Rohmaterial erhalten und
Fertigwaren abliefern würden. So waren die Arbeitsaufsichtsbeamten in der
Lage, die Erklärungen der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und sie zu registrieren.
Dies wiederum ermöglichte Verhandlungen über Mindestlöhne. Da die
Arbeitgeber in der Bekleidungsindustrie noch nicht einmal bereit waren,
50 Prozent des Mindestlohns zu zahlen, kamen die Verhandlungen zum
Stillstand, und einige Arbeitnehmer wurden entlassen. Zwei Jahre ging die
SEWA gerichtlich gegen die Entlassung der Arbeitnehmer vor, die schließlich
auf Beschluß des Obersten Zivilgerichts wiedereingestellt wurden und Lohnnachzahlungen erhielten. Die Arbeitgeber nahmen die Verhandlungen mit der SEWA
wieder auf, die einen verbesserten Lohnabschluß erreichen konnte. Die
3012-5.G94
70
Heimarbeit
Heimarbeiter gewannen an Vertrauen, und inzwischen gehören der SEWA
2.500 Heimarbeiter der Bekleidungsindustrie an.
Andere Textilarbeiter, die aus Stoffabfällen Steppdecken und kleine
Bekleidungsstücke herstellen, schlössen sich in einer Genossenschaft zusammen
und eröffneten ein Geschäft für den Verkauf ihrer Produkte. Um ihre Produkte
zu diversifizieren und die Qualität zu verbessern, erhielten die Heimarbeiter eine
besondere Ausbildung. Die Löhne der 400 weiblichen Mitglieder der Genossenschaft lagen um etwa 70 Prozent höher als der marktübliche Satz. Dies hat sich
auch auf die Löhne der anderen Heimarbeiter ausgewirkt, die direkt von
Arbeitgebern beschäftigt werden. Immer wenn die Genossenschaft die Löhne
anhebt, sind die Arbeitgeber gezwungen, dem Beispiel zu folgen. Jetzt liegen die
Löhne der Genossenschaft etwa 25 Prozent höher als die der anderen Heimarbeiter der Region.
Arbeitnehmerinnen, die in Heimarbeit Bidi (Zigaretten) herstellen, gehören
bzw. gehörten zu den am stärksten ausgebeuteten Heimarbeitern. Ein wichtiges
Ziel der SEWA bestand in der Durchsetzung des Urteils des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1985, wonach das Gesetz über die Arbeitnehmer-Versorgungskasse auch auf Bidi-Arbeitnehmer anwendbar ist. In drei Jahren gewann
die SEWA über 2.000 neue Mitglieder. Mit Unterstützung der SEWA gründeten
einige von ihnen Genossenschaften, darunter auch eine Spar- und Kreditgenossenschaft, die heute über 1.200 Mitglieder zählt, an die bei Bedarf
Darlehen vergeben werden.
In Lucknow, das für seine Chikan- und Zari-Arbeiten (Stickerei) bekannt ist,
stellte die SEWA fest, daß die Löhne der Arbeitnehmerinnen deutlich unter dem
Mindestlohn lagen und nur etwa der Hälfte des Lohns männlicher Arbeitnehmer
entsprachen. Die SEWA-Lucknow bewirkte einen gewerkschaftlichen Zusammenschluß der Arbeitnehmer innen und half ihnen dabei, beim Arbeitsministerium unter Berufung auf das Gesetz über gleiche Entlohnung Klage
einzureichen. Ferner führte sie Lehrgänge durch, um die Stickerei-Fertigkeiten
der Frauen zu verbessern, und eine bekannte Designerin bot ihre Dienste an.
Dies führte zu einer höheren Nachfrage nach diesen modischen Artikeln in den
Städten, und immer mehr Chikan-Arbeitnehmerinnen schlössen sich der SEWA
an, was einen Anstieg der Löhne auch anderer Arbeitnehmer bewirkte. Über
1.000 Frauen beteiligen sich an einer Spar- und Kreditvereinigung. Die SEWALucknow beschäftigt jetzt über 4.000 Frauen bei einem Jahresumsatz von fast
10 Millionen Rupien.
Auf nationaler Ebene hat die SEWA Seminare über rechtliche Fragen
veranstaltet, die zur Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs über den Schutz und
die Sozialfürsorge der Heimarbeiter geführt haben. Diese Gesetzesvorlage ist im
Parlament anhängig. Die SEWA hat sich darüber hinaus aktiv um eine
Unterstützung durch andere Gewerkschaften des Landes bemüht. Diese
Gewerkschaften, die Heimarbeit ursprünglich grundsätzlich ablehnten, haben
jetzt ihre Unterstützung zugesagt, und einige der nationalen Verbände haben
damit begonnen, selbst Heimarbeiter gewerkschaftlich zu organisieren.
Für die Zukunft plant die SEWA, Kontakte aufzunehmen zu ländlichen und
landwirtschaftlichen Heimarbeitern, angefangen mit einer Untersuchung ihrer
Arbeitsbedingungen, Produktionsbeziehungen usw. Ferner beabsichtigt sie, im
3012-5.G94
Aktionsprogramme für Heimarbeiter
71
Rahmen von Genossenschaften alternative Produktionssysteme zu fördern und
ihr System der Sozialen Sicherheit für Heimarbeiter auszuweiten, das eine
Krankenversicherung, eine Notfallversicherung, Kinderbetreuung und Unterstützung bei Wohnungsfragen umfaßt.
In Indien gibt es zahlreiche weitere Frauenverbände, die Heimarbeiter
gewerkschaftlich organisieren. So gewährt beispielsweise die Organisation
Annapurna Mahila Mandal Kredite an Frauen, die sich mit Näharbeiten,
handwerklichen Arbeiten, der Zubereitung von Mahlzeiten, dem Drehen von
Bidi, dem Mahlen von Gewürzen und der Herstellung von Papad-Teig
beschäftigen. Auch in der Nationalen Gewerkschaft arbeitender Frauen sind
Heimarbeiterinnen mit gleicher beruflicher Tätigkeit und gemeinsamen
Problemen zusammengeschlossen2.
Einige der ältesten Organisationen von Heimarbeitern, die anderen Ländern
als Vorbild dienten, befinden sich in Japan. Nach der japanischen Gesetzgebung
werden Heimarbeiter als selbständig Erwerbstätige angesehen. Sie haben nicht
das Recht, sich gewerkschaftlich zusammenzuschließen oder Kollektivverhandlungen zu fuhren. Sie haben nach der Verfassung lediglich das allgemeine Recht,
Vereinigungen zu gründen. Dennoch gibt es in den großen Städten zahlreiche
Gewerkschaften von Heimarbeitern. Die meisten wurden vor etwa 40 Jahren
gegründet, und viele von ihnen haben sich dem 1960 gegründeten Dachverband
der japanischen Heimarbeitergewerkschaften angeschlossen. Unter dem Druck
dieses Verbands wurde 1973 im Arbeitsministerium eine Abteilung für Heimarbeiterfragen eingerichtet.
Einer der größten Verbände ist der Arbeitnehmerrat der Schuhwarenindustrie
in Tokio, dem vier Gewerkschaften mit etwa 2.000 Heimarbeitern angehören.
Trotz fehlender Rechtsgrundlage haben diese Gewerkschaften Verhandlungen mit
Arbeitgeberverbänden geführt und in den letzten 40 Jahren Verbesserungen der
Löhne und Arbeitsbedingungen erzielt. Ihre größten Errungenschaften erzielten
sie jedoch im Bereich der Besteuerung, wo sie Heimarbeitern das Recht
verschafften, Einkommensteuern anstelle der Gewerbesteuern zu zahlen. Im
Bereich der Sozialen Sicherheit erreichten die Gewerkschaften, daß die
Gemeindeverwaltungen anstelle der Arbeitgeber Beiträge für Heimarbeiter
entrichten (die nach dem Gesetz nicht zwingend vorgeschrieben sind). Ferner
haben sich die vier Gewerkschaften gemeinsam einer nationalen Versicherungsgenossenschaft angeschlossen, die zahlreiche Sozialleistungen bietet. 1988 wurde
für alle Heimarbeiter und Kleinproduzenten in Tokio ein Versicherungsfonds auf
Gegenseitigkeit für Krankheiten und Unfälle eingerichtet. Es werden weitere
Bemühungen unternommen, um Anspruch auf bezahlten Urlaub und Leistungen
bei einer krankheits- oder unfallbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz zu
erreichen.
1951 wurden in Kyoto die Freundschafts Vereinigungen der Heimarbeiter
gegründet. Nach den Kriegsjahren suchten viele Menschen eine Beschäftigung,
und Heimarbeit war sehr begehrt. Die Heimarbeit wurde über öffentliche
Vermittlungszentren vergeben, die seit Anfang des Jahrhunderts existierten. Als
1956 beschlossen wurde, die Zentren zu schließen, wurden die inzwischen
entstandenen informellen Heimarbeitergruppen aufgefordert, Vereinigungen zu
gründen. Hierzu benötigte jede Gruppe mindestens 30 Mitglieder. Es entstanden
3012-5.G94
72
Heimarbeit
25 Gruppen mit insgesamt 2.000 Mitgliedern. Heute gibt es nur noch elf
Gruppen. Auch in anderen Städten, die zum Verwaltungsbezirk von Kyoto
gehören, wurden ähnliche Vereinigungen gegründet, von denen heute noch 23
existieren.
Jede dieser Vereinigungen verfügt über ein Büro, das die Rolle eines Zentrums übernimmt, wo die Heimarbeiter Rohmaterial, Werkzeuge und Ausbildung
erhalten. Die Zentren überprüfen die fertiggestellten Produkte vor der Lieferung
an die Auftraggeber und sichern somit eine hohe Qualität. Sie führen Verzeichnisse und erledigen die Buchhaltung. Von ihren Führern und ausgewählten
Heimarbeitern werden die Löhne und die Bedingungen der Kollektivverträge
zwischen der Vereinigung und den Auftraggebern ausgehandelt. Oft sind die
Arbeitgeber bereit, höhere Löhne zu zahlen, da es einfacher ist, mit einer
Vereinigung zu verhandeln, die alle Verwaltungsformalitäten erledigt und eine
Qualitätskontrolle durchführt, als mit einzelnen Heimarbeitern. Die Heimarbeiter
führen 14 Prozent ihrer Einkünfte an die Vereinigung zur Deckung ihrer
Betriebskosten ab. In Anbetracht der Tatsache, daß die Gewinnspanne
kommerzieller Vermittler über 20 Prozent beträgt, ist dies ein angemessener
Betrag. Die Vereinigungen spielen ferner eine wichtige Rolle als Nachbarschaftszentren, wo sich Heimarbeiter und ihre Familien treffen können, und als
Interessenvertretungen, die sich für gesetzliche Reformen einsetzen.
Vor kurzem organisierte der Distriktrat Ontario der ILGWU in Kanada eine
Kampagne, um Heimarbeiter gewerkschaftlich zusammenzuschließen. Zunächst
untersuchte die ILGWU die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, die in der
chinesischen Gemeinschaft in Heimarbeit Kleidungsstücke nähen. Eine Strategie
wurde entwickelt, um sie gewerkschaftlich zusammenzuschließen, und im Januar
1992 wurde der Heimarbeiterverband (HWA) von Toronto gegründet. Er wird
von der ILGWU in New York unterstützt und erhält finanzielle Beihilfen der
Provinz- und der Bundesregierung.
Der HWA hat ein Büro eingerichtet, an das sich Heimarbeiter mit Fragen
wenden können und das gesellschaftliche Veranstaltungen organisiert. Es bietet
juristische Beratung durch einen ehrenamtlichen Rechtsanwalt, organisiert
Englischunterricht und veranstaltet eine Vielzahl von informellen Seminaren über
unterschiedliche Fragen. Darüber hinaus gibt es ein chinesischsprachiges
Mitteilungsblatt heraus. 1993 wurde vom HWA eine Krankenversicherung
eingeführt.
Außerdem wurde eine Koalition für faire Löhne und Arbeitsbedingungen für
Heimarbeiter gegründet, der unterschiedliche kommunale Organisationen,
Frauenverbände und Kirchengruppen angehören. Ihre Aufgabe besteht darin, das
politische Klima für Gesetzesreformen zu schaffen, wozu auch das Recht der
Heimarbeiter auf den Beitritt zu Gewerkschaften gehört. Das Ziel besteht darin,
den HWA in eine vollwertige Gewerkschaft zu verwandeln und letztlich
Kollektivverhandlungen für Heimarbeiter zu führen. Im Dezember 1991 wurde
die Koalition bei drei politischen Parteien vorstellig, um sich für Gesetzesreformen einzusetzen. Darüber hinaus übte sie über die öffentliche Meinung
Druck auf bekannte Unternehmen aus, um die Bedingungen der Heimarbeiter zu
verbessern. Die Regierung Ontarios hat zwar noch keine Gesetzesänderungen für
3012-5.G94
Aktionsprogramme für Heimarbeiter
73
Heimarbeiter vorgelegt, doch sollte im Herbst 1993 ein Gesetzesentwurf
eingebracht werden.
Vorläufig konzentriert sich der HWA auf die chinesischen und vietnamesischen Heimarbeiter im Gebiet von Toronto. Es ist geplant, die Tätigkeit des
HWA auf andere ethnische und kulturelle Gruppen und auf andere Berufe
auszudehnen. Aufgrund finanzieller Einschränkungen wurden dabei jedoch nur
geringe Fortschritte erzielt.
In den Vereinigten Staaten findet man verschiedene Beispiele für Programme, wo sich Heimarbeiter zusammengeschlossen haben, um aus hauptsächlich
wirtschaftlichen Gründen eine eigene Organisation zu gründen. Eines der
bekanntesten Beispiele ist die Watermark Association of Artisans, die ihren Sitz
in ländlichen und nicht sehr wohlhabenden Gebieten des nordöstlichen
Nordkarolina hat.
Watermark ist eine Genossenschaft, die sich im Besitz ihrer 700 Mitglieder
befindet, von denen 97 Prozent Frauen sind. Die Gegend, in der sie leben, ist
isoliert und verfügt über keine Schnellstraßen, Eisenbahnverbindungen oder
Flughäfen. Das Land ist nicht sehr fruchtbar, und das Einkommen aus der Landwirtschaft reicht vielen Farmern nicht aus, um ihre Familien zu ernähren.
Watermark wurde 1978 von einer Gruppe von Frauen mit handwerklichen
Fähigkeiten gegründet, um alternative Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Die
Genossenschaft erhielt Unterstützung vom Landwirtschaftsministerium der
Vereinigten Staaten und vom Nordkarolina-Fonds für ländliche Entwicklung.
Watermark, das sich zu einem rentablen Unternehmen entwickelt hat, übernimmt für seine Mitglieder die Produktentwicklung und den Vertrieb. Der
Verkauf erfolgt über Großhandelsmärkte in großen Handelszentren und über
Großhandelskataloge, die von der Genossenschaft hergestellt werden, die
außerdem alle geschäftlichen Aufgaben und den größten Teil der Risiken in
bezug auf beschädigte Produkte, Konkurse usw. übernimmt. Sie ist in der Lage,
Großaufträge abzuwickeln, ohne daß einzelne Heimarbeiter dadurch übermäßig
belastet werden, und ermöglicht den Heimarbeitern, Nutzen aus dem Großeinkauf von Rohmaterial und Hilfsstoffen zu ziehen.
Die wichtigsten Produkte sind ländliche Handwerksarbeiten der traditionellen
und modernen Volkskunst und handwerkliche Geschenkartikel. Über 70 Prozent
der Mitglieder besuchen handwerkliche Fortbildungskurse. Nach ihrer Aufnahme
durch einen Prüflings- und Vereidigungsausschuß erwerben sie einen Unternehmensanteil und können Bestellungen für Produkte entgegennehmen. Die
Genossenschaft erteilt erst nach Eingang von Bestellungen Arbeitsaufträge.
Über die Hälfte der Mitglieder sehen in der Arbeit eine Freizeitbeschäftigung, und sie stellen nur eine kleine Zahl von Artikeln her, die sie über das
Einzelhandelsgeschäft der Genossenschaft verkaufen. Lediglich 100 Mitglieder
erzielen den größten oder einen wesentlichen Teil ihres Einkommens durch den
Großhandelsverkauf über die Genossenschaft. Wegen der sich verschlechternden
wirtschaftlichen Situation sind die meisten neuen Mitglieder jedoch dringend
darauf angewiesen, ein regelmäßiges monatliches Einkommen zu erwirtschaften,
da sie oft keine anderen Einnahmen haben.
Der Betrag, den jedes Mitglied für ein Produkt erhält, wird während der
Produktentwicklung festgelegt. Das Musterprodukt wird an drei Mitglieder
3012-5.G94
74
Heimarbeit
vergeben, die unterschiedlich schnell arbeiten (langsam, durchschnittlich und
schnell). Jedes Mitglied erstellt verschiedene Prototypen des jeweiligen Produkts;
dabei führt jeder eine Kostenanalyse unter Berücksichtigung der Kosten des
Materials, der Arbeitszeit sowie bestmöglicher Fertigungsmethoden usw. durch.
Die Mitarbeiter der Produktionsentwicklung analysieren anschließend die
Produkte und die entsprechenden Unterlagen und berechnen unter Mitwirkung
aller beteiligten Personen die durchschnittlichen Kosten. Die Genossenschaft
selbst nimmt nur so viel Geld, wie sie benötigt, um ihre Betriebskosten zu
decken. Der von den Mitgliedern erzielte Mindestlohn liegt wesentlich höher als
die ortsüblichen Löhne.
Watermarks Strategie hat der ländlichen Wirtschaftsentwicklung neue
Impulse verliehen. Watermark hat sich jedoch auch positiv auf seine Mitglieder
ausgewirkt, die an Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein gewonnen haben und
eine aktivere Rolle innerhalb ihrer Familien und ihrer Gemeinschaften
übernommen haben. Der Einfluß von Watermark geht auch weit über den
örtlichen Bereich hinaus, da das Unternehmen inzwischen zu einer der größten
und erfolgreichsten Handwerksgenossenschaften der Vereinigten Staaten
geworden ist. Die wirtschaftliche Entwicklungsstrategie des Unternehmens wurde
als eine der zehn besten Strategien des Landes bezeichnet, und internationale
Hilfsorganisationen haben Vertreter aus vielen Ländern beauftragt, das
Watermark-Modell zu untersuchen.
Eine ähnliche Wirtschaftsentwicklungsinitiative wurde 1991 im zentralen und
östlichen West-Virginia in einem ländlichen Gebiet entwickelt, das im Appalachen-Gebirge liegt und seit vielen Jahren unter Arbeitslosigkeit, Armut und
einem Mangel an Human- und Wirtschaftsressourcen leidet. Das Unternehmen
Appalachian Knitware (AK) ist ein Entwicklungsprojekt des Center for
Economic Options (CEO) (früher Women and Employment). Die Entwicklungskosten des Projekts wurden vom West Virginia Development Office, einer
staatlichen Stelle, von dem Unternehmen Esprit (ein Privatunternehmen und
Hauptabnehmer der Produkte) und von Zuschüssen privater Stiftungen getragen.
Die Ziele des Projekts bestehen darin, Landfrauen über eine selbständige
Erwerbstätigkeit und Arbeit im eigenen Heim eine langfristige Voll- oder
Teilzeitbeschäftigung zu ermöglichen, um eine gleichberechtigte Beteiligung von
Frauen an wirtschaftlicher Führung, der kommunalen Entwicklung und der
Erwerbstätigkeit sicherzustellen.
AK ist ein Netzwerk von Frauen, die zu Hause arbeiten und auf Strickmaschinen mit Hilfe eines Verfahrens, das als Handweben bezeichnet wird,
Pullover herstellen. Jede von ihnen ist eine einzelne Unternehmerin, die das
Netzwerk nutzt, um ihre Produkte abzusetzen. AK vergibt alle Fertigungsdienstleistungen an erfahrene Verwaltungskräfte und ausgebildete Strickerinnen und
Näherinnen. Die Strickerinnen müssen eine Strickmaschine besitzen oder zur
Verfügung haben, sie müssen Probearbeiten abliefern und sich gelegentlich für
Aufträge ausbilden lassen. Der Stundenlohn wurde von den Strickerinnen selbst
festgelegt, indem sie in einer Fachzeitschrift den für Handweberinnen marktüblichen Lohn ermittelten.
Für die Zukunft plant AK eine Ausdehnung auf den Großhandelsmarkt, was
eine höhere Gewinnspanne ermöglichen und die Ausbildung von über 140 Men3012-5.G94
Aktionsprogramme för Heimarbeiter
75
sehen im Verlauf der nächsten vier Jahre erfordern würde. Die Regierung des
Bundesstaats hat sich bereit erklärt, für die Ausbildung der Arbeitnehmer im
Rahmen des Gesetzes für partnerschaftliche Ausbildung öffentliche Mittel zur
Verfügung zu stellen, wenn das Unternehmen nachweisen kann, daß ein Markt
für seine Produkte besteht. In Anbetracht der begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten, die Landfrauen im Gebiet der Appalachen zur Verfügung stehen,
besitzt AK nach allgemeiner Auffassung echtes Potential, um das Gebiet
wirtschaftlich zu beleben. Es gibt Frauen die Möglichkeit einer nicht auf
Ausbeutung beruhenden Beschäftigung, der sie in ihrem Gemeinwesen auf
bequeme Weise je nach Bedarf und Wunsch nachgehen können.
Das Women of Colour Quilters Network ist eine weitere Genossenschaft,
deren Mitglieder zur Förderung und Unterstützung ihrer Kreativität Gespräche,
Workshops und eigene Ausstellungen der Arbeiten von Mitgliedern veranstalten
und die keine Zwischenhändler zum Verkauf ihrer Kunst einsetzen. Für die
Produkte ihrer Mitglieder tritt die Genossenschaft als Makler auf. Sie ist
wirtschaftlich unabhängig und hat bisher keine externen Mittel in Form von
Zuschüssen oder Darlehen in Anspruch genommen. Die Mitgliedschaft muß
jedes Jahr erneuert werden, und die Mitglieder führen zehn Prozent ihres
Umsatzes an das Netzwerk ab, das mit diesem Geld Anzeigen in Fachzeitschriften, Katalogen und Verzeichnissen und die Mitgliedschaft in größeren
Vereinigungen bezahlt.
Zu den Mitgliedern zählen hauptsächlich amerikanische Frauen, die sich als
selbständige Künstler zusammengeschlossen haben, um so die Händler auszuschalten, die Frauen, Minderheiten und Heimarbeiter stets benachteiligt haben.
Der größte Gewinn besteht für sie darin, daß sie nicht manipuliert werden
können und daß ihre Arbeit geschätzt wird. Abgesehen davon, daß sie ein
eigenes Einkommen erzielen, haben sie den von afrikanischen Amerikanern und
anderen Farbigen hergestellten textilen Kunstgegenständen einen neuen ästhetischen Wert gegeben. Die Zahl der Mitglieder, die auch aus anderen Teilen der
Welt kommen, schwankt zwischen 600 und 800.
Die vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Netzwerk und einzelnen
Künstlern erfolgen auf individueller Grundlage unter Berücksichtigung des
Wertes der herzustellenden Steppdecke und der Interessen des Kunden. Die
Mitglieder haben beim Verkauf und bei der Preisgestaltung ein Mitspracherecht,
und die Zahlung erfolgt direkt an das Mitglied. Einige Mitglieder betreiben die
Tätigkeit als Hobby, für andere ist die Textilkunst jedoch ein Beruf, mit dem sie
sich selbst und ihre Familien unterhalten. 90 Prozent der Mitglieder sind weibliche Haushaltsvorstände.
Entsprechend den Bestimmungen des Arbeitsministeriums der Vereinigten
Staaten gelten sie als „selbständige Unternehmer", und sie müssen Steuern für
eine selbständige Erwerbstägigkeit entrichten. Sie können jedoch in Steuerfragen
die Beratungsdienste des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten
in Anspruch nehmen.
Es gibt zahlreiche weitere Verbände von Heimarbeitern. In einigen europäischen Ländern haben sich Heimarbeiter in gewerblichen Genossenschaften
zusammengeschlossen. So haben sich beispielsweise in Polen im Jahr 1980 über
50.000 behinderte Heimarbeiter zusammengeschlossen. In der Schweiz erhalten
3012-5.G94
76
Heimarbeit
Heimarbeiter Unterstützung über ein staatliches Amt für Heimarbeit, das auch
Angebot und Nachfrage mit ihren Arbeitgebern koordiniert.
HILFSZENTREN UND NETZWERKE
Wenn sich Heimarbeiter zusammengeschlossen haben, sind dauerhaftere
Strukturen in Form von Zentren und Netzwerken erforderlich. Einige Beispiele
für derartige Strukturen wurden bereits im Abschnitt über den gewerkschaftlichen Zusammenschluß von Heimarbeitern erwähnt, etwa die Textilarbeiter, Bididreher und Stickereiarbeiter, die sich in Indien über die SEWA in Genossenschaften zusammengeschlossen haben, der Freundschaftsverband der Heimarbeiter von Kyoto in Japan und die drei Genossenschaften unabhängiger
Kunsthandwerker in den Vereinigten Staaten.
Zwar erfolgen in einigen Fällen gewerkschaftlicher Zusammenschluß und
Konsolidierung gleichzeitig, wobei sich beide Prozesse unterstützen, in anderen
Fällen verläuft die Entwicklung jedoch schrittweise.
Das PATAMABA Action Programme for Homeworkers' Empowerment auf
den Philippinen ist ein Beispiel dafür, wie sich ein solches Programm entwickeln
kann. Es begann 1980 mit einer Studie von Wissenschaftler innen über
Heimarbeiter, die der Association of the New Filipina (KaBaPa) angehörten,
einer 1975 gegründeten Basisorganisation, der hauptsächlich Landfrauen
angehören. Die Daten der Studie dienten ergänzt durch Informationstätigkeiten
als Ausgangspunkt für die Organisierung. Im Oktober 1989 bildeten Heimarbeiter aus neun Provinzen einen Ad-hoc-Koordinierungsausschuß, der die
Organisationsbemühungen im Hinblick auf die Einrichtung eines nationalen
Netzwerks (PATAMABA) übernahm.
Die Aufbautätigkeiten, wozu die Ausbildung von Organisatoren aus den
Reihen der Heimarbeiter sowie die Entwicklung und Verteilung von Informations- und Ausbildungsmaterial und der Zusammenschluß selbst gehörten,
wurden im Rahmen des subregionalen IAO-Projekts für ländliche Heimarbeiterinnen unterstützt (siehe Kapitel VI). Nach der Ausbildung reisten die für
den Zusammenschluß zuständigen Heimarbeiter in die verschiedenen Provinzen,
um den Informationsstand zu verbessern und die Organisation voranzutreiben.
Ihre Bemühungen führten dazu, daß im Mai 1991 ein Gründungskongreß stattfand, der eine Satzung und einen Aktionsplan für die nächsten fünf Jahre verabschiedete und einen aus zehn Mitgliedern bestehenden nationalen Koordinierungsausschuß einsetzte.
Der nächste Schritt bestand in der Konsolidierung des nationalen Netzwerks
durch die Schaffung formaler Strukturen und die Ernennung von hauptberuflichen Verantwortlichen für den Zusammenschluß sowie von Führungs- und
Verwaltungskräften. Es wurde ein Heimarbeiterzentrum eingerichtet, das groß
genug war, um darin ein Büro, eine Ausbildungsstätte und einen Ausstellungsraum für die Produkte unterzubringen. Gleichzeitig setzte das Netzwerk seine
Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und seine Forschungs- und Förderungstätigkeiten fort. Nach der Unterstützung der Einrichtung von Heimarbeitergenossenschaften und -betrieben führte PATAMABA Verhandlungen mit potentiellen
3012-5.G94
Aktionsprogramme ßr Heimarbeiter
11
Käufern, um sicherzustellen, daß Absatzmärkte für die Produkte vorhanden
waren.
PATAMABA ist inzwischen zu einer völlig selbständigen Organisation
geworden, der 3.000 Subunternehmer bzw. selbständig erwerbstätige Heimarbeiter angehören, die Produkte für den Binnenmarkt und für Exportmärkte
herstellen. Die vorwiegend ländlichen Heimarbeiter gehören weiterhin zu
KaBaPa, sie sind jetzt jedoch in einem Unterverband mit der Bezeichnung
KASAMBAHAY zusammengeschlossen. Die Zahl der erfaßten Heimarbeiter ist
immer noch sehr klein, wenn man berücksichtigt, daß es auf den Philippinen
etwa 5 bis 7 Millionen Heimarbeiter gibt. Der Demonstrationseffekt wirkt sich
jedoch sehr positiv aus, und für die Zukunft plant PATAMABA, das nationale
Netzwerk zu stärken, zu konsolidieren und auszuweiten, Heimarbeitern
zusätzliche Dienste für Sozialfürsorge und sozialen Schutz zu gewähren und die
Produktivität und wirtschaftliche Existenzfähigkeit der Projekte weiter zu
stärken.
In den Niederlanden hat der Frauenverband Hilfszentren für Heimarbeiter
eingerichtet. Der 1948 gegründete Frauenverband ist eine von 19 Gewerkschaften, die dem Niederländischen Gewerkschaftsbund (FNV) angehören. 1982
erhielt die Gewerkschaft Stimmrecht innerhalb des FNV, sie ist jedoch nicht
befugt, Gesamtarbeitsverträge abzuschließen, da dies in die Zuständigkeit der
verschiedenen Industriegewerkschaften fällt.
Der Frauenverband setzt sich seit mehr als zehn Jahren für eine Verbesserung der Stellung der Heimarbeiter ein. 1985 wurde das erste Zentrum in
Hengelo (östliche Niederlande) eingerichtet. Später wurden in anderen Regionen
mit öffentlicher Unterstützung drei weitere Zentren eröffnet. In allen vier
Regionen wurden vor und während der Einrichtung der Hilfszentren umfangreiche Forschungen zur Heimarbeit durchgeführt. Neben dem enormen
Bedarf an Informationen über eine Vielzahl von Themen gab es zahlreiche
Anfragen mit der Bitte, bei der Suche nach einer Arbeit — auch Heimarbeit —
behilflich zu sein.
Die Hilfszentren verfügen über aktualisierte Informationen über Unternehmen und Arbeitgeber und können somit auf konkrete Fragen von Heimarbeitern antworten. Heimarbeiter erhalten Informationen über Gesamtarbeitsverträge, Löhne, unregelmäßige Arbeit und darüber, wie sie die Beschäftigungsbedingungen mit dem Arbeitgeber aushandeln können. Die Mitglieder des
Frauenverbands können auf Rechtsberatung und Unterstützung durch den FNV
zählen. Derzeit laufen in einer Reihe von Heimarbeitssachen Berufungsverfahren. Zwischen 1985 und 1992 unterhielten die Hilfszentren Kontakte zu über
10.000 Heimarbeitern (männlichen und weiblichen).
In verschiedenen anderen Orten in den Niederlanden wurde versucht, Hilfszentren für Heimarbeit einzurichten, die Initiativen scheiterten jedoch, da nicht
genug finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Die Zentren in Hengelo und
Tilburg waren trotz gelegentlicher Schwierigkeiten im September 1993 noch in
Betrieb.
Gleichzeitig verhandelte der Frauenverband fast ein Jahr über die Finanzierung eines dreijährigen Projekts zur Integration der Heimarbeit (1992-95), das
gemeinsam von der Regierung, dem Zentralen Beschäftigungsrat und drei großen
3012-5.G94
78
Heimarbeit
FNV-Gewerkschaften finanziert wird. Das Ziel des Projekts besteht darin, durch
Beschäftigungspolitiken und Arbeitsgesetzgebung für eine bessere Integration der
Heimarbeiter in den Arbeitsmarkt zu sorgen. Der FNV hat seinen Einfluß bei
Mitgliedern des Parlaments und in Beiräten genutzt, um die Stellung der Heimarbeiter zu verbessern. Zum Teil ist es auf diese Bemühungen des FNV zurückzuführen, daß jetzt ein Gesetzesentwurf ausgearbeitet wird, um die Heimarbeit
in das Gesetz über Arbeitsbedingungen einzugliedern, wobei es sich um einen
Prozeß handelt, der wegen der geringen politischen Priorität ständigen Verzögerungen ausgesetzt war.
Ein großes nationales Netzwerk von Heimarbeitervereinigungen wurde im
Vereinigten Königreich eingerichtet, wo bereits seit vielen Jahren über die
Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter öffentlich diskutiert wird. In den siebziger
Jahren zielten die Aktivitäten vor allem darauf ab, ein Gesetz über den Schutz
der Heimarbeiter einzubringen, das Heimarbeitern denselben Schutz verschaffen
würde wie anderen Arbeitnehmern. Dem Parlament wurde der Entwurf eines
Gesetzes vorgelegt, das vor dem Regierungswechsel 1979 jedoch nicht angenommen wurde.
In den achtziger Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt auf örtliche
Gruppen, die direkt mit Heimarbeitern arbeiteten. Die erste dieser neu
entstandenen Gruppen war die Leicester Outwork Campaign, deren Anfänge auf
Arbeiten in der Gemeinschaft, die Frauenbewegung und gewerkschaftliche
Tätigkeiten zurückgehen. Sie ist zu einer der wichtigsten Heimarbeitergruppen
außerhalb Londons geworden. Gleichzeitig wurden wichtige Forschungsarbeiten
veröffentlicht. Der Greater London Council nahm die Heimarbeit in seine
Wirtschaftsstrategie auf und unterstützte sowohl örtliche unabhängige Projekte
wie Beauftragte für Heimarbeit. Die Gewerkschaften haben sich im allgemeinen
für örtliche Projekte eingesetzt und in' einigen Fällen versucht, eine eigene
Abteilung für Heimarbeiter einzurichten.
1984 wurde im Anschluß an eine Konferenz des Greater London Council die
Nationale Gruppe für Heimarbeit eingerichtet. Dieselbe Konferenz verabschiedete eine Charta, in der die noch immer gültigen Hauptziele der Nationalen
Gruppe niedergelegt sind. Die Charta enthält eine Reihe von Forderungen, um
im Bereich der Heimarbeit direkt über die Arbeitsgesetzgebung und indirekt über
verbesserte Kinderbetreuung und eine Bekämpfung von rassistischen und sexistischen Praktiken Änderungen zu bewirken. Die Nationale Gruppe für Heimarbeit stellt ein effektives Netzwerk dar, innerhalb dessen unterschiedliche
Gruppen und Einzelpersonen Erfahrungen über ihre örtliche Arbeit austauschen
können, und sie fungiert als Koordinierungsgremium, durch das örtliche Projekte
auf nationaler Ebene Einfluß nehmen können.
Die in zehn verschiedenen Regionen des Vereinigten Königreichs eingerichteten örtlichen Projekte gewähren Heimarbeitern in ihrem Tätigkeitsbereich
Beratungs- und Unterstützungsdienste, sie verbessern den Kenntnisstand der
örtlichen Behörden und Organisationen in bezug auf Fragen der Heimarbeit, sie
führen Prozesse, um Heimarbeitern Rechte zu verschaffen, und sie arbeiten
Ausbildungsprogramme für Heimarbeiter aus. In letzter Zeit haben einige der
örtlichen Projekte Heimarbeitern Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung gestellt,
um ihre Arbeit sicherer und gesünder zu gestalten (Stühle zur Verbesserung der
3012-5.G94
Aktionsprogramme für Heimarbeiter
79
Sitzhaltung, Lampen für bessere Beleuchtung usw.). Die Finanzierung ist
zunehmend davon abhängig, daß Heimarbeiter ermutigt werden, sich eine andere
Form der Beschäftigung zu suchen, etwa nach einer Ausbildung, oder daß sie
ihre Situation durch echte selbständige Erwerbstätigkeit verbessern, entweder
durch einen von einer Person geführten Kleinbetrieb oder über Genossenschaften
oder Gemeinschaftsunternehmen.
Die Ziele der Nationalen Gruppe entsprechen denen der örtlichen Projekte,
wobei der Schwerpunkt insbesondere darauf liegt, Änderungen in der Gesetzgebung zu bewirken, um Heimarbeitern dieselben Rechte zu verschaffen wie
anderen Arbeitnehmern, und Kontakte zu anderen Organisationen zu knüpfen,
um Fragen der Heimarbeit zu erörtern und allgemein Forderungen nach gleichen
Chancen und einer besseren Ausbildung und nach Bildungseinrichtungen für
Heimarbeiter zu erheben. Lokale Projekte und die Nationale Gruppe wurden
hauptsächlich durch Kommunalbehörden finanziert, die Regierung hat jedoch
auch indirekt finanzielle Mittel aus dem Sonderfonds für Minderheiten zur
Verfügung gestellt. In letzter Zeit mußten andere Finanzierungsquellen, wie
Hilfsorganisationen, Kirchengruppen und europäische Finanzmittel, in Anspruch
genommen werden. Der Mangel an sicherer Finanzierung ist weiterhin ein
Problem bei der Planung und Entwicklung der nationalen Arbeit sowie bei
einigen lokalen Projekten.
Die Nationale Gruppe war auch aktiv beim Aufbau von Beziehungen zu
Heimarbeitergruppen in anderen Ländern. Kontakte wurden geknüpft zum
Europäischen Parlament und zur Arbeitsgruppe für Heimarbeit der Europäischen
Kommission, um innerhalb der Europäischen Union ein Netzwerk aktiver
Heimarbeiterorganisationen zu schaffen. Der Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene war ein wichtiger Faktor bei der Schaffung von Beziehungen
zu anderen Frauen in einer globalen Wirtschaft. Ein internationales Netzwerk
könnte dazu beitragen, gemeinsam Informationen zu nutzen und ein Verständnis
für die Kräfte zu entwickeln, die für die Arbeit und das Leben der Heimarbeiter
bestimmend sind, und Ideen hervorzubringen, um Lösungen für ihre Probleme
zu finden.
ZUKÜNFTIGE AUSSICHTEN
Zwar sind die in diesem Kapitel beschriebenen Programme nicht zwangsläufig diejenigen, die für die betreffenden Länder am repräsentativsten sind, sie
sind jedoch gute Beispiele dafür, was getan werden kann, um Heimarbeiter zu
unterstützen. Hinsichtlich ihrer Erfolge und begrenzten Möglichkeiten können
einige Anmerkungen gemacht werden.
Abgesehen von sehr großen Informationskampagnen, wie sie etwa in Australien organisiert werden, haben die meisten Programme einen begrenzten Zielbereich. Sie konzentrieren sich in der Regel auf eine sehr spezifische Zielgruppe.
Die SEWA in Indien expandiert jedoch rasch, und ihre Aktivitäten betreffen
viele verschiedene Gruppen von Heimarbeitern. Sie ist nicht nur in Indien,
sondern auch auf internationaler Ebene sehr bekannt. Auch P AT AM AB A auf
den Philippinen hat das Potential, in der Zukunft rasch zu expandieren. Beide
3012-5.G94
80
Heimarbeit
Vereinigungen wurden mit Hilfe von Projekten der technischen Zusammenarbeit
der IAO unterstützt. Eines der Hauptziele besteht dabei darin, wirtschaftlich
existenzfähige, sich selbst tragende Aktivitäten zu schaffen.
Finanzielle Probleme stehen einer Ausweitung der Programme oft im Weg.
Zum Beispiel war dies der Fall in Kanada, wo der Zusammenschluß von Heimarbeitern durch einen Mangel an finanziellen Mitteln behindert wurde, in den
Niederlanden, wo verschiedene Hilfszentren geschlossen wurden, und im Vereinigten Königreich, wo die Nationale Gruppe für Heimarbeit mit Personalproblemen konfrontiert wurde. Wenn mehr Heimarbeiter von diesen Programmen erreicht werden sollen, müßte eine aktive nationale Politik im Bereich der
Heimarbeit darauf abzielen, mehr Unterstützung durch innerstaatliche Stellen und
die Sozialpartner zu erhalten.
Viele Verbände von Heimarbeitern haben das rechtliche Problem, formal als
Gewerkschaften anerkannt zu werden und befugt zu sein, Kollektivverhandlungen zu führen. Dies ist etwa in Japan, Kanada, den Niederlanden und in vielen
anderen Ländern der Fall. Einige Programme haben die Probleme der formalen
Anerkennung und unzureichenden Finanzmittel überwunden, indem sie erfolgreiche kommerzielle Unternehmen oder Genossenschaften gegründet haben.
Durch den eigenen Vertrieb der von ihnen hergestellten Güter können Heimarbeiter eine bessere Entlohnung ihrer Arbeit erzielen und eine unfaire
Behandlung vermeiden. Dennoch benötigen sie möglicherweise noch Unterstützung in anderer Form, darunter Ausbildung und Krediteinrichtungen,
Sozialleistungen und Soziale Sicherheit, Krankenversicherung, Mutterschaftsschutz usw. Selbst in diesen erfolgreichen Unternehmen ist sozialer Schutz noch
nicht völlig überflüssig geworden.
Eine der Lehren, die man aus dem Zusammenschluß von Heimarbeitern in
Indien und auf den Philippinen ziehen kann, ist, daß ein umfassender Ansatz
entwickelt werden muß, damit gewährleistet ist, daß Heimarbeitern, die um ihre
Rechte kämpfen, alternative Einkommensquellen zur Verfügung stehen, wenn
Arbeitgeber oder Subunternehmer Aufträge zurückziehen. Darüber hinaus
müssen die Heimarbeiter auf gewerblicher und territorialer Grundlage Einvernehmen und Einigkeit herstellen, damit die Auftraggeber nicht eine Gruppe
gegen eine andere ausspielen oder Arbeitsaufträge von einem Dorf in ein anderes
verlagern können.
Programme und Verbände müssen nicht nur auf regionaler und nationaler
Ebene entwickelt werden, sondern auch auf internationaler Ebene. Eine
verbesserte Koordination ist auch zwischen nationalen und internationalen Netzen
erforderlich, damit die sich zusammenschließenden Gruppen nicht selbst isoliert
sind, sondern von den anderswo gesammelten kollektiven Erfahrungen und
Erfolgen profitieren können.
Die Zahl der vorhandenen Programme ist noch sehr begrenzt, und im Verhältnis zur geschätzten Zahl der Heimarbeiter in der Welt ist ihr Einfluß gering.
Es gibt jedoch einige bemerkenswerte Beispiele, die in größerem Maßstab reproduziert werden könnten. Die Ausweitung des sozialen Schutzes auf Heimarbeiter
durch Programme ist eine relativ neue Strategie, die sich als Ergänzung zu
stärker formal ausgerichteten Aktionsmitteln bewährt hat.
3012-5.G94
Aktionsprogramme fiir Heimarbeiter
81
Anmerkungen
1
Die in diesem Kapitel enthaltenen Informationen stützen sich auf Fallstudien, die für eine
demnächst erscheinende IAA-Veröffentlichung über Aktionsprogramme für den sozialen Schutz
der Heimarbeiter ausgearbeitet worden sind. Siehe auch IAA: Conditions ofwork digest, Bd. 8,
Nr. 2, a.a.O., S. 217-239.
2
Weitere Beispiele von Programmen finden sich in IAA: Conditions of work digest, Bd. 8,
Nr. 2, a.a.O.
3012-5.G94
KAPITEL VI
DIE IAO UND HEIMARBEIT
In diesem Kapitel wird ein Überblick über die Maßnahmen gegeben, die von
der IAO in Anbetracht des zunehmenden internationalen Interesses am Phänomen
der Heimarbeit ergriffen worden sind. Angesichts der zahlreichen Erklärungen,
in denen auf verschiedenen internationalen Tagungen Maßnahmen der IAO
gefordert wurden, werden die bestehenden internationalen Arbeitsnormen und
ihre Bedeutung für die Heimarbeit untersucht. Sonstige Tätigkeiten der IAO,
insbesondere im Zusammenhang mit der Sammlung und Verbreitung von Informationen und der technischen Zusammenarbeit, haben einen Beitrag dazu
geleistet, die Probleme der Heimarbeiter besser zu verstehen und Möglichkeiten
aufzuzeigen, wie sie besser geschützt werden können. Zu diesen Arbeiten gehört
die Einberufung einer Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von
Heimarbeitern.
FORDERUNGEN NACH MASSNAHMEN AUF INTERNATIONALER EBENE
In den letzten Jahren wurde die internationale Arbeitsorganisation wiederholt
aufgefordert, dem sozialen Schutz der Heimarbeiter mehr Aufmerksamkeit zu
schenken.
Auf ihrer 70. Tagung (1984) hat die Internationale Arbeitskonferenz in ihren
Schlußfolgerungen über zukünftige Maßnahmen im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Umwelt den Schwerpunkt auf die notwendige Ausarbeitung
von Konzepten gelegt, um Heimarbeitern einen wirksamen Schutz zu gewähren.
In den Schlußfolgerungen im Anhang der von der Konferenz 1985 auf ihrer
71. Tagung angenommenen Entschließung über die Chancengleichheit und
Gleichbehandlung für Männer und Frauen in der Beschäftigung wurde das Amt
ferner aufgefordert, die Heimarbeit als möglichen neuen Gegenstand für
zukünftige Normensetzung in Betracht zu ziehen. In den von der Konferenz auf
ihrer 75. Tagung (1988) angenommenen Schlußfolgerungen über die Förderung
der ländlichen Beschäftigung wurde die IAO aufgerufen, die Forschung, die
Beratungsdienste und die technische Zusammenarbeit miteinander zu verbinden,
um ihre Unterstützung der Mitgliedstaaten zu stärken, u.a. bei der Gestaltung
von Programmen zur Dokumentierung und Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Heimarbeiter.
3012-5.G94
Die IAO und Heimarbeit
83
Auf ihrer 77. Tagung (1990) verabschiedete die Konferenz Schlußfolgerungen über die Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit, in denen die IAO
aufgefordert wurde, die Gesetzgebung und Praxis darauf hin zu überprüfen, in
welchem Umfang die dem Namen nach selbständig Erwerbstätigen, Heimarbeiter
und unselbständig Beschäftigten sowohl im Selbständigensektor als auch in den
regulären Beschäftigungssektoren geschützt sind. Dies wurde als wichtiger
Schritt zur verstärkten Anwendung der Arbeitsnormen auf alle Erwerbstätigen
angesehen, was im übrigen die Feststellung ermöglichen würde, inwieweit eine
zusätzliche Normensetzung angebracht wäre.
Auch in den Schlußfolgerungen von Industrieausschüssen und dreigliedrigen
Fachtagungen der IAO werden Heimarbeiter als Zielgruppe für zukünftige Maßnahmen der IAO genannt. Die 1991 veranstaltete Zwölfte Tagung des Ausschusses für die Textilindustrie verabschiedete eine Entschließung (Nr. 99) über
industrielle Heimarbeit in der Textilindustrie, in welcher der Verwaltungsrat des
IAA ersucht wurde:
a)
b)
a)
b)
c)
d)
(1) alle Mitgliedstaaten der IAO aufzufordern:
angemessene Maßnahmen im Hinblick auf die Regelung der Heimarbeit mit dem Ziel
durchzuführen, einen rechtlichen Status für Heimarbeiter festzulegen;
unter aktiver Beteiligung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände besonderes Gewicht
auf die Beseitigung von mißbräuchlichen Praktiken zu legen, die im Zusammenhang mit
Heimarbeit zu verzeichnen sind;
(2) den Generaldirektor zu ersuchen:
eine vergleichende Studie über die Situation der Heimarbeiter und aller anderen Arbeitnehmer
in der Textilindustrie auszuarbeiten;
Vorschläge vorzulegen, wie der wahre Umfang der Heimarbeit, insbesondere in der Textilindustrie, besser festgestellt werden kann;
Beziehungen zu Mitgliedstaaten und zu Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zu
unterhalten, um dreigliedrige Konzepte zur Entwicklung und Durchführung von Programmen
zu unterstützen, mit denen Heimarbeitern in der Textilindustrie geholfen wird, sichere
Arbeitsmethoden einzuführen und über gesündere Arbeits- und Lebensbedingungen zu
verfügen, etwa indem ausgewählte Arbeitnehmer der Textilindustrie kurzzeitig abgestellt
werden, um in Heimarbeitergemeinschaften Beratung über sichere Arbeitsmethoden und
gesunde Arbeitsverfahren zu erteilen;
die Schaffung von Einrichtungen, einschließlich genossenschaftlicher Einrichtungen, die für
Heimarbeiter von Nutzen sind, zu fördern und zu unterstützen.
Die Dritte Dreigliedrige Fachtagung für die Bekleidungsindustrie (1987)
verabschiedete eine Entschließung (Nr. 27) über industrielle Heimarbeit in der
Bekleidungsindustrie, in welcher sie den Verwaltungsrat des IAA ersuchte:
(1) alle Mitgliedstaaten, in denen Heimarbeit gestattet ist, aufzufordern, angemessene
Maßnahmen durchzuführen, um die Heimarbeit in wirksamer Weise mit dem Ziel zu regeln,
Heimarbeitern einen rechtlichen Status zu verschaffen, der den Bedingungen der Bekleidungsindustrie entspricht;
(2) alle Mitgliedstaaten aufzufordern, unter aktiver Beteiligung der Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerverbände besonderes Gewicht auf die Beseitigung von mißbräuchlichen Praktiken zu
legen, die im Zusammenhang mit Heimarbeit zu verzeichnen sind;
(3) den Generaldirektor zu ersuchen, einen Beitrag zur weiteren Ermittlung und Beurteilung
der besonderen Probleme und Bedingungen der Heimarbeiter in der Bekleidungsindustrie zu
leisten, indem er eine vergleichende Studie über die Situation der Heimarbeiter und der
3012-5.G94
84
Heimarbeit
Fabrikarbeiter durchfuhren läßt und die vorgesehene Dreigliedrige Sachverständigentagung über
Heimarbeit so bald wie möglich einberuft.
Auf Dreigliedrigen Fachtagungen für die Leder- und Schuhwarenindustrie
wurden wiederholt Maßnahmen im Bereich der Heimarbeit gefordert. 1979
ersuchte die Zweite Tagung in ihrer Entschließung (Nr. 13) über industrielle
Heimarbeit den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes, die Mitgliedstaaten aufzufordern, Maßnahmen zu ergreifen, um die Bedingungen der industriellen Heimarbeit zu regeln und die erforderlichen Kontrollmechanismen für
alle Formen der industriellen Heimarbeit einzurichten. Die Dritte Tagung
forderte 1985 in ihrer Entschließung (Nr. 22) über zukünftige Maßnahmen der
IAO in der Leder- und Schuhwarenindustrie dazu auf, eine Sachverständigentagung über die Frage der Heimarbeit in diesem Industriezweig durchzuführen.
1992 verabschiedete die Vierte Tagung eine Entschließung (Nr. 26) über
zukünftige Maßnahmen der IAO im Bereich der Leder- und Schuhwarenindustrie, in welcher der Verwaltungsrat des IAA gebeten wurde, den Generaldirektor zu ersuchen, die Frage der Heimarbeit in der Leder- und Schuhwarenindustrie in zukünftige Programme der Organisation aufzunehmen.
Die Sorge über den sozialen Schutz der Heimarbeiter wird auch von anderen
internationalen und regionalen Organisationen geteilt. Der Europarat setzte in
seinem Programm für den Zeitraum 1987-88 eine besondere Studiengruppe ein,
um eine Studie über den Schutz der zu Hause arbeitenden Personen (Heimarbeiter) durchzuführen. Die Gruppe legte Vorschläge hinsichtlich der Konzepte
und Grundsätze vor, die in die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis
aufgenommen werden sollten. Der Lenkungsausschuß für Beschäftigungs- und
Arbeitsfragen erörterte auf seiner Tagung im April 1989, ob eine Empfehlung
zur Annahme durch den Ministerausschuß der 23 Mitgliedstaaten ausgearbeitet
werden sollte, er beschloß jedoch, die Frage vorläufig nicht zu behandeln, da die
Einstimmigkeit, die zur Annahme eines solchen Textes erforderlich ist, seinerzeit
nicht sichergestellt war.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat eine Reihe von
Länderstudien durchgeführt und darüber hinaus bei anderen Einrichtungen
Forschungsarbeiten, insbesondere über moderne Formen der Heimarbeit, in
Auftrag gegeben. Sie vertritt die Auffassung, daß der soziale und rechtliche
Schutz der Heimarbeiter „ein Erfordernis unserer Zeit ist, das in der unmittelbaren Zukunft nicht an Bedeutung verlieren wird". Im Mai 1990 sprach sich das
Referat für Chancengleichheit der Kommission für die Einberufung einer
internationalen Konferenz über Heimarbeit aus, die Empfehlungen zur
Verbesserung der Gesetzgebung für Heimarbeiter ausarbeiten sollte. Anfang
1992 setzte sie eine Arbeitsgruppe für Heimarbeit ein. Ein von einer Ad-hocArbeitsgruppe der Kommission ausgearbeiteter Bericht' über die verschiedenen
Aspekte der Heimarbeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollte auf
einem Seminar erörtert werden, das im März 1994 stattfinden sollte, um über
Maßnahmen zu diskutieren, mit denen die Stellung der Heimarbeiter auf dem
Arbeitsmarkt gestärkt werden kann.
Auch einige der internationalen Arbeitnehmerverbände haben Sorge über den
Schutz der Heimarbeiter zum Ausdruck gebracht. Der Internationale Bund Freier
Gewerkschaften (IBFG) verabschiedete im März 1988 auf seinem 14. Weltkon3012-5.G94
Die IAO und Heimarbeit
85
greß eine Entschließung, in der gefordert wird, „eine weltweite Zählung der
Heimarbeiter durchzuführen und internationale Arbeitsnormen und nationale
Gesetzgebung in allen Ländern zu verabschieden, in denen eine bedeutende
Anzahl von Heimarbeitern beschäftigt werden, um ihre grundlegenden Rechte
in bezug auf Arbeitsbedingungen, Löhne und Sozialfürsorge zu gewährleisten"2.
INTERNATIONALE ARBEITSNORMEN
Kein Übereinkommen und keine Empfehlung der IAO befaßt sich speziell
mit den Problemen im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Heimarbeitern. Sie enthalten darüber hinaus auch keine Definition des „Heimarbeiters".
Der Geltungsbereich der Urkunden über grundlegende Menschenrechte (d.h.
Vereinigungsfreiheit, Abschaffung der Zwangsarbeit sowie Chancengleichheit
und Gleichbehandlung) und die Beschäftigung ist allgemeiner Art und umfaßt
alle Arbeitnehmer, auch Heimarbeiter.
Das Übereinkommen (Nr. 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und
Beruf), 1958, läßt keine Zweifel daran, daß es sich auf alle Arbeitnehmer „bei
der Arbeit" bezieht. Vom Sachverständigenausschuß für die Durchführung der
Übereinkommen und Empfehlungen wurde festgestellt, daß der Ausdruck „bei
der Arbeit" nicht nur Personen umfaßt, die als Arbeitnehmer gelten, sondern
auch „selbständig Erwerbstätige", „Arbeitgeber" oder „unbezahlt mithelfende
Famil ienarbeitskräfte "3.
Was den Geltungsbereich der Urkunden über das Mindestalter betrifft, so
wird oft die Formulierung „Beschäftigung oder Arbeit" verwandt, um alle
Wirtschaftstätigkeiten abzudecken, unabhängig vom formalen Beschäftigungsstatus der betreffenden Personen, was deutlich macht, daß sie auch auf
Heimarbeiter anwendbar sind4.
In einigen dieser Urkunden wird speziell auf Heimarbeiter Bezug genommen.
In der Empfehlung (Nr. 165) betreffend Arbeitnehmer mit Familienpflichten,
1981, wird gefordert, die Beschäftigungsbedingungen der Heimarbeiter, von
denen viele Familienpflichten haben, zu regeln und zu überwachen (Absatz
21 (1)). In der Empfehlung (Nr. 99) betreffend die berufliche Eingliederung und
Wiedereingliederung der Behinderten, 1955, wird gefordert, den Behinderten
eine nützliche und entlohnte Heimarbeit zu gewährleisten (Absatz 34).
Im Bereich der Löhne wird im Übereinkommen (Nr. 26) über Verfahren zur
Festsetzung von Mindestlöhnen, 1928, speziell auf Arbeitnehmer beschäftigt in
Zweigen der Heimarbeit Bezug genommen. 1985 lenkte der Sachverständigenausschuß für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen die
besondere Aufmerksamkeit der Länder, die dieses Übereinkommen oder das
Übereinkommen Nr. 131 aus dem Jahr 1970 zum gleichen Gegenstand ratifiziert
haben, auf deren Durchführung im Bereich der Heimarbeit und forderte, Verfahren zur Mindestlohnfestsetzung auf Heimarbeiter auszudehnen.
Ein weiterer Verweis auf Heimarbeiter findet sich im Übereinkommen
(Nr. 103) über den Mutterschutz (Neufassung), 1952, das sich bezieht auf
„Frauen, die in gewerblichen Betrieben ... beschäftigt sind, einschließlich der
Heimarbeiterinnen". Die Frage bleibt somit unbeantwortet, ob dies bedeutet, daß
3012-5.G94
86
Heimarbeit
Heimarbeiter so behandelt werden sollten, als ob sie im Betrieb beschäftigt
würden.
Im Bereich der Sozialen Sicherheit wird im Titel des Übereinkommens
(Nr. 35) über Altersversorgung (Gewerbe usw.), 1933, wie auch in einigen
anderen Urkunden über Soziale Sicherheit aus dieser Zeit Bezug genommen auf
„die Pflichtversicherung der Arbeitnehmer der gewerblichen Betriebe ... sowie
der Heimarbeiter ... für den Fall des Alters". Die Soziale Sicherheit betreffende
Urkunden aus neuerer Zeit enthalten Flexibilitätsklauseln, die implizit für
Heimarbeiter von Bedeutung sind.
Der Wortlaut anderer Urkunden der IAO wirft einige fundamentale Fragen
auf. So ist beispielsweise das Übereinkommen (Nr. 158) über die Beendigung
des Arbeitsverhältnisses, 1982, auf „alle Arbeitnehmer" anwendbar (Artikel 2 (1)); das Übereinkommen (Nr. 135) über Arbeitnehmervertreter, 1971,
bezieht sich auf „Arbeitnehmervertreter im Betrieb". In Anbetracht der sehr
unterschiedlichen Situation der Heimarbeiter, deren Arbeitsverträge oft nicht in
Schriftform abgefaßt und unklar sind und deren Arbeitsplatz sich nicht auf dem
Gelände des Arbeitgebers befindet, stellen sich daher zwei Fragen. Die erste
Frage lautet, ob alle Heimarbeiter als „Arbeitnehmer" im Sinne der Übereinkommen und Empfehlungen angesehen werden sollten. Die zweite Frage ist, ob
Heimarbeiter vom Konzept der „Arbeitnehmer in Betrieben oder Unternehmen"
ausgenommen werden sollten.
Viele der Urkunden über die Arbeitszeit beziehen sich auf „Arbeitnehmer in
Betrieben oder Unternehmen", d.h. die Frage nach der Definition bleibt unbeantwortet.
Die Urkunden über die Arbeitsaufsicht beziehen sich auf das Aufsichtssystem
in „Betrieben". Das Übereinkommen (Nr. 129) über die Arbeitsaufsicht (Landwirtschaft), 1969, enthält eine Bestimmung (Artikel 16 (2)), in der die
Bedingungen beschrieben werden, unter denen die Aufsichtsbeamten „die Privatwohnung" betreten dürfen, die in manchen Fällen durchaus als Betrieb gelten
kann und somit der Arbeitsaufsicht unterliegt5.
Was den Arbeitsschutz betrifft, so richtet sich die Aufmerksamkeit in letzter
Zeit verstärkt auf Erwerbstätige, die nicht der üblichen Lohnbeschäftigung
nachgehen. So wird beispielsweise in der Empfehlung (Nr. 164) betreffend den
Arbeitsschutz empfohlen, den selbständig Erwerbstätigen einen Schutz der
gleichen Art zu gewähren, wie er für andere Fälle vorgesehen ist, die unter die
Empfehlung und das Übereinkommen Nr. 155 zum gleichen Gegenstand fallen
(Absatz 1 (2)). Im Übereinkommen (Nr. 167) über den Arbeitsschutz im
Bauwesen, 1988, wird „Arbeitnehmer" als jede in diesem Sektor „beschäftigte"
Person definiert (Artikel 2 d)). So ergibt sich zwar ein Problem aus der
Tatsache, daß der „Arbeitsplatz" der Heimarbeiter nicht eine Arbeitsstätte des
Arbeitgebers ist, der Begriff „Arbeitsplatz" (wie er beispielsweise in Artikel 3 c)
des Übereinkommens (Nr. 155) über den Arbeitsschutz, 1981 definiert wird)
schließt jedoch offenbar nicht automatisch die Wohnung des Arbeitnehmers aus,
die ohne weiteres dem „mittelbaren" Verfügungsrecht des Arbeitgebers
unterliegen kann.
Wie man sieht, nehmen eine sehr große Anzahl von Urkunden ausdrücklich
oder stillschweigend auf die Heimarbeiter Bezug. Andererseits enthalten jedoch
3012-5.G94
Die IAO und Heimarbeit
87
auch eine Reihe von Übereinkommen Flexibilitätsklauseln, die es den ratifizierenden Staaten ermöglichen, bestimmte Arbeitnehmerkategorien auszuschließen.
So ermöglicht beispielsweise das Übereinkommen (Nr. 103) über den Mutterschutz (Neufassung), 1952, den ratifizierenden Ländern, „weibliche Lohnempfänger, die Heimarbeit verrichten" (Artikel 7 d)), vom Übereinkommen
auszuschließen. Diese Möglichkeit wurde jedoch erst von einem der 31 Länder,
die das Übereinkommen ratifiziert haben, in Anspruch genommen. Einige Übereinkommen im Bereich der Sozialen Sicherheit (Nr. 24, 25, 35, 36, 37, 38, 39)
erlauben Ausnahmen im Hinblick auf „Heimarbeiter, die nach Art ihrer Arbeitsbedingungen den Lohnempfängern im allgemeinen nicht gleichgestellt werden
können" (Artikel 2 Absatz 2 d) der Übereinkommen). Einige andere Übereinkommen sehen in allgemeinerer Weise mögliche Ausnahmen vor, so ist beispielsweise von begrenzten Kategorien von Arbeitnehmern die Rede, in bezug
auf die bei der Anwendung besondere Probleme von erheblicher Bedeutung
auftreten. Es ist zwar möglich, Heimarbeiter mit Hilfe solcher Bestimmungen
auszuschließen, es liegen jedoch keine Informationen darüber vor, in welchem
Umfang diese Flexibilitätsklauseln in Anspruch genommen worden sind.
1985 hatte der Sachverständigenausschuß in seinen allgemeinen Bemerkungen
zu den Mindestlohnübereinkommen die praktischen Schwierigkeiten eingeräumt,
die sich bei der Umsetzung der Bestimmungen der IAO-Urkunden über Mindestlöhne ergeben. Auch hat er in seinen allgemeinen Erhebungen darauf hingewiesen, daß Heimarbeiter bei der Umsetzung diesbezüglicher Urkunden in verschiedenen Ländern von der innerstaatlichen Gesetzgebung ausgeschlossen worden
sind (z.B. 1981 in bezug auf das Übereinkommen (Nr. 138) über das Mindestalter, 19736, sowie 1984 in bezug auf das Übereinkommen (Nr. 132) über den
bezahlten Urlaub (Neufassung), 1970)7. Die bereits erwähnte Flexibilität der
internationalen Normen dient zweifellos dazu, derartigen praktischen Schwierigkeiten auf nationaler Ebene Rechnung zu tragen. Die Lösung dieser Probleme
könnte erleichtert werden, wenn bei der Ausarbeitung internationaler Arbeitsnormen die besondere Situation dieser Arbeitnehmergruppe berücksichtigt
würde.
SAMMLUNG UND VERBREITUNG VON INFORMATIONEN
In Anbetracht der zunehmenden Bemühungen mit dem Ziel, den sozialen
Schutz der Heimarbeiter zu gewährleisten, hat die IAO verschiedene Tätigkeiten
durchgeführt, um die wichtigsten Probleme zu ermitteln und mögliche Konzepte
zu untersuchen, wie Heimarbeitern ein besserer Schutz verschafft werden kann.
In den achtziger Jahren wurden vom IAA verschiedene Studien über die
Beschäftigungsstrukturen und -bedingungen der Heimarbeiter in den Entwicklungsländern durchgeführt. Dazu gehören Fallstudien über Bididreher in
Allahabad in Indien8, Kunsthandwerker in Pakistan und Teppichweber in ländlichen Gebieten der Türkei9. Monographien über Heimarbeit wurden für Argentinien, Indien, die Philippinen, Sri Lanka und Venezuela ausgearbeitet. Es wurde
eine Übersicht der Literatur über Landfrauen und industrielle Heimarbeit in
Lateinamerika mit einem Plan für zukünftige Forschungsarbeiten erstellt. 1985
3012-5.G94
88
Heimarbeit
beteiligte sich das IAA im Rahmen einer Asiatischen Regionalkonferenz über
Frauen und Haushalte an einer Reihe von Arbeitsgruppen für Frauen und Heimarbeit, und 1987 wurden verschiedene ausgewählte Papiere zu dieser Frage
veröffentlicht10.
Auf der Grundlage von Arbeiten, die 1988-89 durchgeführt wurden, gab das
Amt eine größere Veröffentlichung über Heimarbeit heraus, die als Sonderausgabe der Reihe Conditions of Work Digest (Band 8, Nr. 2/189) erschien. Darin
enthalten waren eine umfassende Analyse der gesetzlichen Bestimmungen über
Heimarbeit in mehr als 70 Ländern; Beispiele für Bestimmungen in Gesamtarbeitsverträgen; Informationen über die Standpunkte von internationalen
Organisationen, nationalen Institutionen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie deren Vorschläge für zukünftige Maßnahmen; ferner Informationen über Programme zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation der
Heimarbeiter.
Die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie haben die
Verbreitung der elektronischen Heimarbeit unterstützt, die gewöhnlich als
„Telearbeit" bezeichnet wird. Die in diesem Bereich durchgeführten Arbeiten
führten zu einer Sonderausgabe der Reihe Conditions of Work Digest (Band 9,
Nr. 1/1990). Diese Veröffentlichung enthält Informationen über die Verbreitung
der Telearbeit, die Gründe für ihre Einführung und ihre Konsequenzen. Die
Veröffentlichung befaßt sich insbesondere mit dem rechtlichen Status der
Telearbeiter, mit ihrer Entlohnung und Produktivität, der Arbeitszeit, den
Veränderungen in bezug auf Arbeitsorganisation und Führungsstil, den
Auswirkungen auf den Arbeitsschutz, den Auswirkungen auf die Beschäftigung
und dem Potential der Telearbeit zur Unterstützung der Behinderten und anderer
besonderer Arbeitnehmergruppen. Die Veröffentlichung enthält ferner Fallbeschreibungen von Telearbeit in der Praxis, einschließlich Initiativen öffentlicher
Stellen und Unternehmenserfahrungen. Sie macht deutlich, warum Telearbeit
eingeführt worden ist, wie sie organisiert wird und wie sie sich auf die
Telearbeiter auswirkt.
Eine weitere Studie über Heimarbeit wurde in der Zweijahresperiode 199091 ausgearbeitet. Es war die letzte in einer Reihe von Studien, die vom IAA seit
Beginn des letzten Jahrzehnts über die sogenannte „atypische Arbeit" durchgeführt worden sind, wobei es sich um eine relativ große Zahl verschiedener
Formen der Beschäftigung handeln kann, die anders sind als das übliche feste
Beschäftigungsverhältnis. Der Zweck dieser Forschungsarbeiten bestand darin,
das Wissen über Heimarbeit zu vertiefen, und einen Überblick über die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis in bezug auf bestimmte Aspekte zu geben,
etwa in bezug auf die Arbeitsbedingungen, die Entlohnung, die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses und die Erfassung der Heimarbeiter durch Gewerkschaften
und Gesamtarbeitsverträge usw. Für die Studie wurden 15 nationale Monographien in Auftrag gegeben, und eine große Anzahl von Rechtsvorschriften wurden
zusammengetragen. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeiten war eine vom Amt
1992 ausgearbeitete vergleichende Studie, die zusammengefaßt in der International Labour Review veröffentlicht wurde".
Im Einklang mit den Schlußfolgerungen der Sachverständigentagung über den
sozialen Schutz von Heimarbeitern wurden weitere Studien durchgeführt. Eine
3012-5.G94
Die IAO und Heimarbeit
89
Studie enthält Beispiele für die bestmögliche Praxis und behandelt alle wichtigen
Aspekte der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen von Heimarbeitern und
von zu Hause beschäftigten Telearbeitern, die bei der Ausarbeitung von Richtlinien als Grundlage dienen könnten. Sie wird in der Reihe der Arbeitspapiere
der Abteilung Arbeitsbedingungen und Sozialeinrichtungen als Diskussionspapier
veröffentlicht werden. Die andere Studie beschäftigt sich mit Aktionsprogrammen für den sozialen Schutz der Heimarbeiter. Zehn Fallstudien über Programme aus Entwicklungs- und Industrieländern werden beschrieben, und es wird
untersucht, inwieweit sie durch eine Verbesserung der gesetzlichen Rechte, der
Verhandlungsposition, der Qualifikationen, der Chancen auf dem Arbeitsmarkt
und ganz allgemein der sozioökonomischen Situation die Lage der Heimarbeiter
positiv beeinflußt haben. Es ist zu hoffen, daß die Lehren, die sich anhand dieser
praktischen Beispiele ziehen lassen, Maßnahmen in anderen Ländern fördern
werden. Diese Veröffentlichung sollte Mitte 1994 zur Verfügung stehen.
TAGUNGEN
Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern
Auf seiner 244. Tagung (November 1989) ermächtigte der Verwaltungsrat
des Internationalen Arbeitsamtes den Generaldirektor, eine Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern vorzubereiten und einzuberufen. Die Tagung fand vom 1. bis 5. Oktober 1990 in Genf statt.
Die vom Verwaltungsrat auf seiner 244. Tagung gebilligte Tagesordnung
bestand aus folgenden Punkten:
— Prüfling der Art, des Ausmaßes und der Probleme der Heimarbeit;
— Bewertung nationaler Erfahrungen beim Schutz und bei der Organisation von
Heimarbeitern;
— Beratung über Konzepte und Maßnahmen, die zu einem effektiveren Schutz
der Heimarbeiter in den Mitgliedstaaten führen könnten; und
— Beratung über zukünftige Maßnahmen der IAO im Bereich der Heimarbeit,
einschließlich der möglichen Notwendigkeit neuer internationaler Arbeitsnormen.
Achtzehn Sachverständige wurden zu der Tagung eingeladen, davon waren
sechs von Regierungen, sechs nach Konsultationen mit der Arbeitgebergruppe
und sechs nach Konsultationen mit der Arbeitnehmergruppe des Verwaltungsrats
ernannt worden.
Ferner wurde die Tagung von verschiedenen Beobachtern besucht, und zwar
von Vertretern des Zentrums der Vereinten Nationen für soziale Entwicklung
und humanitäre Angelegenheiten (UNCSDHA), der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, der Europäischen Stiftung für die Verbesserung der
Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Arabischen Arbeitsorganisation (ALO),
der Internationalen Arbeitgeber-Organisation (IOE), des Internationalen Bundes
Freier Gewerkschaften (IBFG), des Weltverbandes der Arbeitnehmer (WVA),
des Weltgewerkschaftsbundes (WGB), des Internationalen Bundes der Privat3012-5.G94
90
Heimarbeit
angestellten (FIET) und der Internationalen Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter-Vereinigung (ITBLAV).
Die Fachleute waren sich allgemein einig, daß Heimarbeiter Schutz benötigen und daß die Sorgen im Hinblick auf ihre Arbeitsbedingungen gerechtfertigt
sind. Sie verabschiedeten einstimmig Schlußfolgerungen über auf nationaler
Ebene und von der IAO zu ergreifende Maßnahmen, sie waren sich jedoch nicht
einig, was die Normensetzung in diesem Bereich betrifft. Die Sachverständigen
der Arbeitgeberseite sprachen sich gegen eine internationale Regelung der
Heimarbeit aus, da dies zu einer Ausweitung der Schwarzheimarbeit führen
würde und weil die Bedingungen der Heimarbeit flexibel bleiben sollten, um
Investitionen und die Beschäftigung zu fördern. Die Sachverständigen der
Arbeitnehmerseite verteidigten die Notwendigkeit internationaler Arbeitsnormen
im Bereich der Heimarbeit. Sie hielten ein Übereinkommen für erforderlich, um
den Status von Heimarbeitern als Arbeitnehmer zu klären, die sich zusammenschließen und Verhandlungen führen können, und um den Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen ihnen und anderen Arbeitnehmern festzuschreiben. Sachverständige der Regierungsseite sprachen sich sowohl für wie gegen die
Annahme von neuen Normen aus. Die Sachverständigentagung kam zu dem
Schluß, der Verwaltungsrat solle beim Beschluß über geeignete Maßnahmen die
Bedeutung der diesbezüglichen Fragen abwägen (weitere Informationen über die
Beratungen können Kapitel IV entnommen werden). Der vollständige Text der
von der Sachverständigentagung angenommenen Schlußfolgerungen ist diesem
Bericht als Anhang beigefügt.
Der Bericht über die Tagung mit dem Titel „Sozialer Schutz von Heimarbeitern" wurde vom IAA veröffentlicht und weit verbreitet in der Hoffnung,
daß er einen Beitrag zur Ausarbeitung von Politiken und Maßnahmen leisten
werde mit dem Ziel, Heimarbeitern einen angemessenen Schutz zu sichern.
Regionaltagungen
Im Rahmen des Internationalen Programms für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumwelt (PIACT) wurde in Manila im Dezember
1988 ein Dreigliedriges Asiatisches Subregionalseminar über den Schutz der
Heimarbeiter veranstaltet12. Daran beteiligten sich 20 Vertreter von Regierungen,
Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus Bangladesch, China, Indien, Indone-sien,
Pakistan, den Philippinen, Sri Lanka und Thailand. Das Seminar war das erste
seiner Art und bot Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch über die wichtigsten
Probleme der Heimarbeiter, über die verschiedenen Ansätze, die auf nationaler
und kommunaler Ebene verfolgt werden, um Heimarbeiter effektiver zu
schützen, und über die Art von Maßnahmen, die erforderlich sind, um die
Beschäftigungsbedingungen und die Sozialfürsorge der Heimarbeiter zu verbessern. Ein ähnliches Seminar für die lateinamerikanische Region wurde in Säo
Paulo vom 22. bis 26. Oktober 1990 veranstaltet13. Die 31 Teilnehmer des Seminars kamen aus Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Ecuador, El Salvador,
Honduras, Kolumbien, Mexiko, Uruguay und Venezuela.
3012-5.G94
Die IAO und Heimarbeit
91
TECHNISCHE ZUSAMMENARBEIT
Ein weiteres wichtiges Aktionsmittel der IAO sind die Außendiensttätigkeiten, mit denen Maßnahmen auf nationaler Ebene direkt unterstützt
werden. Im Bereich der Heimarbeit wurden Maßnahmen der technischen
Zusammenarbeit Anfang 1986 in Indien im Rahmen eines dreijährigen Projekts
in Angriff genommen, das von der finnischen Regierung finanziert wurde. Es
wurde durchgeführt in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der selbständig
erwerbstätigen Frauen (SEWA), und die Schwerpunkte lagen auf der Stärkung
der rechtlichen Kenntnisse und der rechtlichen Ausbildung von Heimarbeiterinnen. Von dem Projekt wurden sowohl selbständig Erwerbstätige als auch
Akkordarbeiterinnen erfaßt. Die allgemeinen Ziele des Projekts bestanden darin,
Initiativen von Frauenverbänden und von Regierungen zur Förderung der industriellen Heimarbeit von Frauen zu unterstützen und die auf Heimarbeiter
anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und Politiken zu überprüfen, um
innovative Strategien für ihre Anwendung auszuarbeiten. Im Verlauf des Projekts
wurden Gesichtspunkte des Arbeitsschutzes und der Ergonomie zu immer wichtigeren Merkmalen der Arbeit. Ab 1990 erhielten neue Gruppen von Heimarbeiterinnen eine rechtliche Ausbildung im Rahmen des Projekts. 1992 wurde
eine Erhebung über Heimarbeiter in ländlichen Gebieten in Angriff genommen.
1993 wurde eine erste Untersuchung von Systemen der Sozialen Sicherheit
durchgeführt, .die sich möglicherweise für Heimarbeiter eignen, und die
Ergebnisse werden einer Prüfung unterzogen.
Im Juni 1988 wurde ein Indonesien, die Philippinen und Thailand umfassendes Regionalprojekt mit einer Laufzeit von drei Jahren in Angriff
genommen. Dieses von der dänischen Regierung finanzierte Projekt richtete sich
an arme Arbeitnehmerinnen in ländlichen Gebieten und Neuzuwanderer in städtischen Gebieten, die Heimarbeit verrichten. Es stellte eine Verbindung aus
Forschung und technischer Hilfe dar. Zu den Zielen des Projekts gehörten die
Sammlung von Daten, die Verbesserung des Informationsstands und die Anerkennung der Heimarbeit unter den betroffenen Parteien, die Förderung der
wirksamen Durchführung der diesbezüglichen Arbeitsgesetzgebung und Arbeitspolitiken und die Förderung des Zusammenschlusses von Heimarbeiterinnen. Die
1991 abgeschlossene erste Phase des Projekts befaßte sich mit der Sammlung
von Informationen, der Erstellung von Dokumentation und Konsultationen mit
Vertretern von Regierungen und von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden.
1992 wurde mit finanzieller Unterstützung der Regierung Dänemarks eine
zweite Phase zur Konsolidierung der Ausarbeitung und Umsetzung konkreter
Aktionspläne eingeleitet. Das Projekt verfolgt die zweifache Strategie einer
Förderung der Beschäftigung sowie einer Verbesserung der Produktivität der
Heimarbeiter bei gleichzeitiger Förderung ihres Zusammenschlusses und der
Einführung von Maßnahmen des sozialen Schutzes. In diesem Rahmen wurden
hauptsächlich drei Handlungsstrategien entwickelt:
(1) Nationale Kampagnen zur Verbesserung des Informationsstands, einschließlich der Veranstaltung dreigliedriger grundsatzpolitischer Arbeitsseminare
und der Einrichtung nationaler Beratungs- und Lenkungsausschüsse;
(2) Kapazitätsaufbau auf zwei Ebenen:
3012-5.G94
92
Heimarbeit
a) auf der Regierungsebene sollen die Arbeitsministerien und andere in Frage
kommende Ressorts in die Lage versetzt werden, grundsatzpolitische Rahmen für Heimarbeit und Mechanismen für Anschlußmaßnahmen und Überwachungstätigkeiten auszuarbeiten;
b) die Förderung des Zusammenschlusses der Heimarbeiter selbst;
(3) direkte sozioökonomische Unterstützung der Heimarbeiter.
Im Rahmen einer im Oktober 1993 durchgeführten Evaluierung des Projekts
wurden die wichtigsten Leistungen in den drei Ländern und den verschiedenen
Tätigkeitsbereichen überprüft.
In allen drei Ländern führten die Initiativen für Kapazitätsaufbau zu einer
Stärkung der Fähigkeit der Regierungen, Forschungsarbeiten und grundsatzpolitische Studien durchzuführen, den innerstaatlichen Informationsstand zu
verbessern und die auf Heimarbeiter anwendbare Gesetzgebung zu überprüfen.
Auf den Philippinen hat das Arbeitsministerium (DOLE) einen Gesetzesentwurf
für Heimarbeiter ausgearbeitet. Die Vorschriften über die Unterauftragsvergabe
wurden abgeändert und 1992 in Kraft gesetzt. In Indonesien wurde als wichtiger
weiterer Schritt für die Einrichtung von Programmen für Heimarbeiter innerhalb
der Regierungsstruktur im Arbeitsministerium (DEPNAKAR) eine Leitstelle für
Heimarbeiter eingerichtet. Die Regierungen entwickelten Aktionsprogramme zur
Verbesserung der statistischen Erfassung der Heimarbeiter, sie richteten
nationale Ausschüsse für grundsatzpolitische Beratung ein und befaßten sich mit
den Arbeitsschutzgefahren, denen Heimarbeiter ausgesetzt sind.
In den drei Ländern sind Heimarbeiterverbände und/oder -netzwerke eingerichtet worden, die jedoch unterschiedliche Formen und institutionelle Gestalt
angenommen haben. Auf den Philippinen wurde der Heimarbeiterverband
PATAMABA (ein nationales Netzwerk der Heimarbeiter) als rechtlich autonomes Organ eingerichtet, dem 3.000 Mitglieder in 60 Unterverbänden in 24
Provinzen angehören (siehe auch Kapitel V zu den Programmen). In Thailand
wurde ein Netzwerk von Organisationen und Vereinigungen, HOMENET, eingerichtet, das sich mit verschiedenen Aspekten der Heimarbeit und insbesondere
mit dem sozioökonomischen Aufstieg der Heimarbeiter beschäftigt. In Indonesien
haben verschiedene nichtstaatliche Organisationen Tätigkeiten für Heimarbeiter
aufgenommen. Das Projekt hat Heimarbeiterverbände und -netzwerke dabei
unterstützt, ihre Organisations- und Führungsfähigkeiten zu stärken, zu effektiven Gesprächspartnern der politischen Entscheidungsgremien und zu aktiven
Teilnehmern in den nationalen Beratungsausschüssen zu werden und einen
Beitrag zur Ausarbeitung von Politiken und Programmen der direkten Hilfe für
Heimarbeiter zu leisten.
In den drei Ländern wurden sozioökonomische Hilfsprogramme für Heimarbeiter in Angriff genommen, die Fachausbildung, Produkt- und Marktentwicklung sowie Kreditsysteme umfassen. In Thailand haben die von der Regierung
durchgeführten Programme zur Entwicklung von Kleinstbetrieben und zur
Ausbildung von Führungskräften zu einer wesentlich höheren Produktivität und
zu höheren Einkommen der Heimarbeiter geführt.
In allen drei Ländern bestand eine wichtige Zielrichtung des Projekts in einer
Verbesserung der statistischen Erfassung der Heimarbeiter entsprechend den
3012-5.G94
Die IAO und Heimarbeit
93
Schlußfolgerungen der Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von
Heimarbeitern aus dem Jahr 1990. Es wurden Piloterhebungen durchgeführt, um
verschiedene Methodologien auszuprobieren und um Richtlinien für die Erfassung der Heimarbeiter als separate Kategorie in verschiedenen nationalen
Zählungen und Arbeitsmarkterhebungen auszuarbeiten. Diese Bemühungen,
deren Ziel in einer systematischen Erfassung der Heimarbeiter in nationalen
Statistiken besteht, sollten ab 1994 zu konkreten Ergebnissen führen.
Auf regionaler und internationaler Ebene war das Projekt ein Katalysator für
den Austausch von Erfahrungen und für die Vernetzung. Auf drei subregionalen
dreigliedrigen Arbeitsseminaren, die in Manila, Bangkok und Malang (Indonesien) stattfanden, wurden die in jedem Land durchgeführten praktischen Maßnahmen überprüft. Im Verlauf von zwei Studienreisen nach Indien und Japan
konnten die Teilnehmer viel von den in diesen Ländern gesammelten Erfahrungen lernen, insbesondere über erfolgreiche Initiativen zur Entwicklung von
Kleinbetrieben, die Rolle der Arbeitsaufsichtsämter und die Existenzfähigkeit
von Heimarbeiterverbänden.
In einer Reihe von Veröffentlichungen14 wurden die Ergebnisse der Erhebungen, Überprüfungen von Rechtsvorschriften und Zusammenschlüssen sowie der
praktischen Maßnahmen des Projekts dokumentiert. Ferner ist beabsichtigt,
1994-95 eine Reihe von Richtlinien zu den verschiedenen Themen zu veröffentlichen.
Auf Ersuchen der Regierung von Vietnam wurde im Dezember 1993 eine
vorläufige Erhebung über Frauen im informellen Sektor und in heimgewerblichen Tätigkeiten eingeleitet, die im April 1994 abgeschlossen werden soll. Die
Ergebnisse werden als Grundlage für ein zweites, umfassenderes Hilfsprojekt für
Heimarbeiter dienen. Dieses Projekt, das voraussichtlich 1994 aufgenommen
wird, wird auch Bangladesch, Indien und Malaysia umfassen.
Anmerkungen
1
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Heimarbeit in der Europäischen Union —
Bericht der Ad-hoc-Arbeitsgruppe (Brüssel, 1994).
2
Weitere Einzelheiten über diese und andere Auffassungen finden sich in IAA: Conditions
of Work Digest, Bd. 8, Nr. 2, a.a.O., S. 168-178.
3
Siehe IAA: Equality in employment and occupation, Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Bericht III
(4B), Internationale Arbeitskonferenz, 75. Tagung, 1988, Abs. 86.
4
IAA: Minimum Age, Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für die
Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Bericht III (4B), Internationale Arbeitskonferenz, 67. Tagung, 1981, Abs. 61.
5
Siehe IAA: Labour inspection, Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für
die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Internationale Arbeitskonferenz, 71.
Tagung, 1985, Abs. 166.
6
IAA: Minimum age, a.a.O., Abs. 89.
7
IAA: Working time: Reduction of hours of work, weekly rest and holidays with pay,
Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen
und Empfehlungen, Internationale Arbeitskonferenz, 70. Tagung, 1984, Abs. 202-205.
3012-5.G94
Heimarbeit
94
!
Z. Bhatty: The economic wie and Status ofwomen in the beedi industry in Allahabad, India
(Saarbrücken, Verlag Breitenbach, 1981).
9
Berik, a.a.O.
10
Singh and Kelles-Viitanen, a.a.O.
" L. Vega Ruiz: „Home work: Towards a new regulatory framework", in IAA: International
Labour Review, (Genf), Bd. 131, 1992, Nr. 2, S. 197-216.
12
IAA: Proceedings, Asian Subregional Tripartite Seminar on die Protection of Homeworkers, Manila, 5.-9. Dez. 1988 (Genf, 1989).
13
Das Protokoll des Seminars ist enthalten in IAA: Seminario Regional Tripartito
Latinoamericano sobre la Protecciön de los Trabajadores a Domicilio — Nota sobre las labores
(Säo Paulo, 22.-26. Okt. 1990), (Genf, 1991), PIACT/1990/2 (nur auf Spanisch).
14
IAA: Homeworkers of Southeast Asia — The strugglefor Socialprotection in the Philippines
(Bangkok, 1992); Homeworkers of Southeast Asia — The strugglefor social protection in Thailand
(Bangkok, 1992); Homeworkers of Southeast Asia — The struggle for social protection in
Indonesia (Bangkok, 1992); Practical actions for the social protection of homeworkers in the
Philippines (Bangkok, 1993); Practical actions for the social protection of homeworkers in
Thailand (Bangkok, 1993); Practical actions for the social protection of homeworkers in Indonesia
(Bangkok, 1993); Proceedings, Subregional Meetings I and II of the ILO-DANIDA Subregional
Project on Rural Women Workers in the Putting Out System (RAS/91/M14/DAN) (Bangkok,
1993); Homeworkers of Southeast Asia: Silent no more (Bangkok, 1993).
3012-5.G94
FRAGEBOGEN
In Übereinstimmung mit Artikel 39 der Geschäftsordnung der Internationalen
Arbeitskonferenz werden die Regierungen ersucht, vor der endgültigen Fertigstellung ihrer Antworten auf den nachstehenden Fragebogen die maßgebenden
Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu befragen und ihre Antworten mit deren Begründung so rechtzeitig zu übermitteln, daß sie spätestens am
30. September 1994 beim Internationalen Arbeitsamt in Genf eintreffen.
Die meisten Fragen in diesem Fragebogen sind in getrennten Abschnitten
enthalten, die den möglichen Inhalt eines Übereinkommens bzw. den möglichen
Inhalt einer Empfehlung betreffen. Sie können in Beantwortung jeder Frage
angeben, daß die Bestimmung in die jeweils andere Urkunde aufgenommen
werden sollte.
I. Form der internationalen Urkunde(n)
1. Sollte die Internationale Arbeitskonferenz eine oder mehrere Urkunden
über Heimarbeit annehmen?
2. Wenn ja, sollte (n) die Urkunde (n) die Form
a) eines Übereinkommens;
b) einer Empfehlung;
c) eines Übereinkommens und einer ergänzenden Empfehlung erhalten?
II. Begriffsbestimmungen
3. Sollte im Sinne der Urkunde (n)
(1) der Ausdruck „Heimarbeiter" eine Person bedeuten, die unabhängig
davon, ob sie Arbeitnehmerstatus hat oder nicht, Heimarbeit im Sinne der
nachstehenden Begriffsbestimmung verrichtet;
(2) der Ausdruck „Arbeitgeber" eine natürliche oder juristische Person
bedeuten, die entweder unmittelbar oder über einen Vermittler Heimarbeit im
Sinne der nachstehenden Begriffsbestimmung an einen Heimarbeiter vergibt oder
vergeben läßt?
3012-5.G94
96
Heimarbeit
4. Sollte im Sinne der Urkunde(n) der Ausdruck „Heimarbeit" Arbeit bedeuten, die gegen ein im voraus festgelegtes Entgelt von einer Person in ihrer
Wohnung oder in einer anderen Arbeitsstätte ihrer Wahl durchgeführt wird und
deren Ergebnis Erzeugnisse oder Dienstleistungen sind, die nach den Vorschriften des Arbeitgebers und unter Verwendung der von diesem ganz oder
teilweise bereitgestellten Rohstoffe erstellt werden?
5. Sollte(n) die Urkunde(n) bestimmen, daß der Ausdruck „Heimarbeit"
Anwendungfindetunabhängig davon, ob:
a) die Arbeit vom Heimarbeiter allein oder mit Unterstützung von seinem Haushalt angehörenden Familienangehörigen durchgeführt wird;
b) die verwendete Ausrüstung vom Heimarbeiter, vom Vermittler oder vom
Arbeitgeber bereitgestellt wird?
6. Sollte (n) die Urkunde (n) vorsehen, daß die zuständige Stelle erforderlichenfalls weitere Kriterien für die Unterscheidung der Heimarbeiter von den
selbständig Erwerbstätigen festlegen sollte, wobei insbesondere dem Grad der
Selbständigkeit und der Eigeninitiative des Betreffenden bei der Gestaltung des
Erzeugnisses oder bei der Erbringung der Dienstleistung Rechnung getragen
werden sollte?
7. Sollte im Sinne der Urkunde (n)
(1) der Ausdruck „ Vermittler" eine Person bedeuten, die Arbeitsaufträge von
einem Arbeitgeber zwecks Weitergabe an einen Heimarbeiter erhält;
(2) der Ausdruck „Arbeitnehmer im Betrieb " einen Arbeitnehmer bedeuten,
der nicht Heimarbeiter ist und der die gleiche oder eine vergleichbare Art der
Arbeit wie der Heimarbeiter im Betrieb des Arbeitgebers oder, falls es keinen
derartigen Arbeitnehmer gibt, in einem Betrieb des betreffenden Wirtschaftszweigs und der betreffenden Region ausführt?
III. Inhalt eines Übereinkommens
8. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß jedes ratifizierende Mitglied sich
verpflichten sollte, in Beratung mit den maßgebenden Verbänden der Arbeitgeber
und der Arbeitnehmer und, soweit solche bestehen, mit den Verbänden der Heimarbeiter und der Arbeitgeber von Heimarbeitern eine innerstaatliche Heimarbeitspolitik festzulegen, durchzuführen und regelmäßig zu überprüfen?
9. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die innerstaatliche Heimarbeitspolitik die Gleichbehandlung von Heimarbeitern und Arbeitnehmern im Betrieb
durch Maßnahmen fördern sollte, die dazu bestimmt sind, die Lage der Heimarbeiter unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale der Heimarbeit zu
verbessern in bezug auf:
a) das Recht, Verbände ihrer Wahl zu gründen und solchen Verbänden beizutreten und Kollektivverhandlungen zuführen;
b) den Schutz gegen Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf;
c) den Arbeitsschutz;
3012-5.G94
Fragebogen
97
d)
e)
f)
g)
das Entgelt;
den Schutz durch die Soziale Sicherheit;
den Zugang zur Ausbildung;
sonstiges? (Bitte angeben.)
10. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die innerstaatliche Heimarbeitspolitik durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder auf eine andere geeignete, den innerstaatlichen
Gepflogenheiten entsprechende Weise durchgeführt werden sollte?
11. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die Einhaltung der für die
Heimarbeit geltenden Gesetzgebung durch ein Aufsichtssystem sichergestellt
werden sollte?
12. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß bei Verstößen gegen die für die
Heimarbeit geltende Gesetzgebung durch einen Arbeitgeber, einen Vermittler
oder einen Heimarbeiter ausreichende Zwangsmaßnahmen durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgesehen und wirksam durchgesetzt werden sollten?
13. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß günstigere Bestimmungen aufgrund anderer internationaler Arbeitsübereinkommen nicht berührt werden?
IV. Inhalt einer Empfehlung
ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN
14. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Gesamtverantwortungfür die
Festlegung und Durchführung einer innerstaatlichen Heimarbeitspolitik einer
innerstaatlichen Stelle übertragen werden sollte?
(2) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die in Absatz 1 erwähnte innerstaatliche Stelle neben der Anhörung der in Frage 8 erwähnten Verbände geeignete Vorkehrungen für die gleichberechtigte Teilnahme von Vertretern der
Heimarbeiter und der Arbeitgeber von Heimarbeitern auf allen geeigneten
Ebenen treffen sollte?
15. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß als Grundlage für eine innerstaatliche Heimarbeitspolitik ausführliche Informationen über Ausmaß und
Merkmale der Heimarbeit zusammengestellt und auf dem neuesten Stand gehalten
werden sollten?
16. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter bei ihrem ersten Auftrag vom Arbeitgeber oder vom Vermittler einen schriftlichen Vertrag oder eine
schriftliche Darlegung ihrer Arbeitsbedingungen erhalten sollten?
ÜBERWACHUNG DER HEIMARBEITER
17. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständigen Stellen auf der
innerstaatlichen Ebene und, soweit dies im Einklang mit den innerstaatlichen
30I2-5.G94
98
Heimarbeit
Verhältnissen und Gepflogenheiten steht, auf der regionalen, lokalen oder
sektoralen Ebene verantwortlich sein sollten für:
a) die Führung eines Verzeichnisses der Arbeitgeber von Heimarbeitern und der
Vermittler;
b) die Führung eines Verzeichnisses der Heimarbeiter in dem jeweiligen Gebiet ?
18. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein
sollten, vor der erstmaligen Vergabe von Arbeit an Heimarbeiter oder Vermittler
die zuständige Stelle zu benachrichtigen?
19. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständige Stelle die Informationen vorschreiben sollte, die Arbeitgeber in bezug auf Heimarbeiter und
Vermittler, an die sie Arbeit vergeben, vorlegen sollten?
20. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein
sollten, Unterlagen zuführen, die für jeden Heimarbeiterfolgendes ausweisen:
a) jedes vergebene Arbeitslos;
b) den Entgeltsatz und im Fall von Stücklohnsätzen die Zeitvorgabe für jedes
Stück oder jedes Los;
c) die vom Arbeitnehmer übernommenen Kosten und den davon erstatteten
Betrag;
d) das fällige Bruttoentgelt, die aufgrund der innerstaatlichen Gesetzgebung
vorgenommenen Abzüge und das ausgezahlte Nettoentgelt sowie den
Zahlungstermin ?
(2) Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein
sollten, den Heimarbeitern eine schriftliche Darlegung jeder der in den Buchstaben a) bis d) des Absatzes 1 aufgeführten Angelegenheiten zu geben?
21. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitsaufsichtsbeamten oder
die sonstigen mit der Durchsetzung der ßr Heimarbeit geltenden Vorschriften
beauftragten Bediensteten das Recht haben sollten:
a) anwesend zu sein, wenn Heimarbeit an Heimarbeiter vergeben wird und
wenn sie nach der Fertigstellung abgeliefert wird;
b) soweit dies mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis vereinbar ist,
diejenigen Teile einer Wohnung oder sonstiger privater Räumlichkeiten zu
betreten, in denen Heimarbeit durchgeführt wird?
22. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß ein Arbeitsauf Sichtsbeamter oder ein
anderer mit der Durchsetzung der für Heimarbeit geltenden Vorschriften beauftragter Bediensteter oder die zuständige Stelle, die aufgrund des Berichts eines
Arbeitsaufsichtsbeamten oder eines sonstigen Bediensteten tätig wird, die Befugnis haben sollte, eine Verfügung zu erlassen, durch die die Fortsetzung der
Heimarbeit bei einer unmittelbaren Gefahr für die Sicherheit oder Gesundheit
eines Heimarbeiters oder seiner Familie oder der Allgemeinheit untersagt wird?
23. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständige Stelle die Befugnis
haben sollte, bei ernsten oder wiederholten Verstößen gegen die für Heimarbeit
geltende Gesetzgebung die Vergabe von Arbeit durch einen Arbeitgeber oder
einen Vermittler oder die Durchführung von Heimarbeit durch eine Person ent3012-5.G94
Fragebogen
99
weder auf Dauer oder während eines vorgeschriebenen Zeitraums zu untersagen?
MINDESTALTER
24. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung
über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung oder Arbeit, soweit
dies nicht schon der Fall ist, für Heimarbeit gelten sollte, vor allem wenn sie die
Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit des Kindes oder Jugendlichen gefährden
dürfte?
ENTGELT
25. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Entgeltsätze festgelegt
werden sollten durch:
a) Beschlüsse der zuständigen Stelle nach Anhörung der Verbände der
Heimarbeiter und der Arbeitgeber von Heimarbeitern oder, falls solche nicht
bestehen, der Vertreter der in Betracht kommenden Heimarbeiter und Arbeitgeber;
b) Kollektivverhandlungen;
c) andere geeignete Lohnfestsetzungsverfahren auf nationaler, lokaler oder
sektoraler Ebene ?
(2) Wenn Heimarbeiter stückweise bezahlt werden, sollte ihr Entgelt dann in
Anwendung der in Frage 9 b) und d) dargelegten Grundsätze:
a) nach einer unparteiischen Schätzung der zur Fertigstellung des Stückes
erforderlichen Zeit festgelegt werden;
b) den Betrag berücksichtigen, den Arbeitnehmer im Betrieb, die zeitentlohnt
werden, für die in dieser Schätzung festgelegte Zeit erhalten würden?
26. Sollte die Empfehlung bestimmen, daß Heimarbeiter einen Ausgleich für
ihnen entstandene Kosten und für unvermeidbaren Zeitaufwand bei der Durchführung ihrer Arbeit erhalten sollten, insbesondere:
a) für Aufwendungen wie die Kosten für Heizung, Beleuchtung, Wasser,
Instandhaltung von Maschinen und Ausrüstungen, Post-, Fernsprech- und
Faximileverbindungen;
b) die für die Wartung von Maschinen, das Wechseln von Werkzeugen, Sortieren, Aus- und Einpacken und ähnliche Tätigkeiten aufgewandte Zeit?
27. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung
auf dem Gebiet des Lohnschutzes für Heimarbeiter gelten sollte?
(2) Sollte die Empfehlung ferner vorsehen, daß Abzüge vom Entgelt eines
Heimarbeiters zur Deckung der Kosten ßr Materialvergeudung oder fehlerhafte
Arbeit Beschränkungen unterliegen sollten?
3012-5.G94
100
Heimarbeit
(3) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter entweder bei Ablieferung jedes fertiggestellten Arbeitsloses oder in regelmäßigen Zeitabständen von
nicht mehr als einem Monat bezahlt werden sollten?
28. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß der Arbeitgeber und gegebenenfalls
der Vermittler für die Zahlung des geschuldeten Entgelts gesamtschuldnerisch
haften sollten?
SOZIALE SICHERHEIT
29. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter durch Systeme der
Sozialen Sicherheit in bezug auf die gleichen Fälle geschützt werden sollten wie
die Arbeitnehmer im Betrieb, vorzugsweise durch allgemeine Systeme der Sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder, wenn dies nicht möglich ist, auf eine
andere geeignete Weise, wie die Mitgliedschaft in einem Sondersystem für
Heimarbeiter oder in einem System für selbständig Erwerbstätige?
ARBEITSSCHUTZ
30. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung die
Arten von Arbeit bestimmen sollte, deren Ausgabe an Heimarbeiter aus Gründen
der Gesundheit und Sicherheit verboten werden sollte?
31. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter über etwaige Gefahren
im Zusammenhang mit der ihnen übertragenen Arbeit und über die zu treffenden
Vorsichtsmaßnahmen informiert und gegebenenfalls die erforderliche Ausbildung
erhalten sollten?
32. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein
sollten:
a) Heimarbeitern unentgeltlich die gegebenenfalls erforderliche persönliche
Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen;
b) sicherzustellen, daß die den Heimarbeitern zur Verfügung gestellten Maschinen, Werkzeuge oder sonstigen Ausrüstungen mit geeigneten Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet sind und ordnungsgemäß instand gehalten werden?
33. Sollte die zuständige Stelle Richtlinien betreffend die Sicherheits- und
Gesundheitsvorkehrungen, die Heimarbeitnehmer beachten sollten, ausarbeiten,
veröffentlichen und verbreiten?
ARBEITSZEIT, RUHEZEITEN UND URLAUB
34. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Normalarbeitszeit in dem betreffenden Betrieb oder Wirtschaftszweig als Grundlage für die Bestimmung des von
3012-5.G94
Fragebogen
101
einem Heimarbeiter innerhalb eines gegebenen Zeitraums zu erledigenden
Arbeitsvolumens dienen sollte?
35. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter Anspruch haben sollten auf:
a) bezahlte Feiertage;
b) bezahlten Jahresurlaub ?
36. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß in den Fällen, in denen aufgrund
der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis die Arbeitnehmer im Betrieb auf
Kosten des Arbeitgebers bezahlten Urlaub bei Krankheit oder Mutterschaft
erhalten, ein solcher Urlaub unter den gleichen Bedingungen auch Heimarbeitern
gewährt werden sollte?
SONSTIGE SCHUTZMASSNAHMEN
3 7. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung auf
dem Gebiet des Mutterschutzes für Heimarbeiter gelten sollte?
38. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß ein Arbeitgeber, der der
alleinige oder der Hauptarbeitgeber eines Heimarbeiters während eines von der
zuständigen Stelle festzulegenden Mindestzeitraums gewesen ist, verpflichtet sein
sollte, dem Heimarbeiter vor Beendigung der Heimarbeit eine schriftliche Kündigung zuzustellen?
(2) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Kündigungsfrist von der zuständigen Stelle festgelegt werden sollte?
(3) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß der Arbeitgeber während der Kündigungsfrist verpflichtet sein sollte, dem Heimarbeiter ein von der zuständigen
Stelle festgelegtes Arbeitsvolumen zu geben oder das diesem Arbeitsvolumen
entsprechende Entgelt zu zahlen?
DAS VEREINIGUNGSRECHT UND DAS RECHT ZU
KOLLEKTIVVERHANDLUNGEN
39. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß gesetzgeberische oder administrative
Beschränkungen oder sonstige Hindernisse, die dem Recht der Heimarbeiter entgegenstehen, Verbände ihrer Wahl zu gründen und diesen beizutreten, und dem
Recht der Heimarbeiterverbände, Gewerkschaftsbünden beizutreten, ermittelt und
beseitigt werden sollten?
40. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein
sollten, den in Betracht kommenden Arbeitnehmerverbänden auf Verlangen ein
Verzeichnis der Heimarbeiter zu übermitteln, die Arbeit für sie verrichten?
41. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Maßnahmen getroffen werden sollten, um Kollektivverhandlungen als Mittel zur Regelung der Arbeitsbedingungen
der Heimarbeiter anzuregen und zu fördern?
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Heimarbeit
BEILEGUNG VON STREITIGKEITEN
42. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständige Stelle sicherstellen
sollte, daß es spezifische Einrichtungen ßr die Beilegung von Streitigkeiten
zwischen einem Heimarbeiter und einem Arbeitgeber oder Vermittler zusätzlich
zu dem verfügbaren gerichtlichen Verfahren gibt?
PROGRAMME ZUR UNTERSTÜTZUNG VON HEIMARBEITERN
43. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Mitglieder Programme fördern
und unterstützen sollten, die:
a) das Bewußtsein ßr Heimarbeitsfragen unter Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, sonstigen nichtstaatlichen Organisationen und in der Öffentlichkeit verstärken;
b) die Heimarbeiter über ihre Rechte und die ihnen zur Verßgung stehende
Unterstützung aufklären;
c) den Zusammenschluß von Heimarbeitern erleichtern;
d) Ausbildung vermitteln, um Heimarbeiter in die Lage zu versetzen, in ihrem
Namen zu handeln, ihre Fertigkeiten zu verbessern sowie ihre Beschäftigungsmöglichkeiten zu erweitern und ihre Erwerbsfähigkeit zu steigern;
e) Zentren und Netze ßr Heimarbeiter einrichten mit dem Ziel, Informationen
bereitzustellen und den Zugang zu Dienstleistungen und zu Unterstützung zu
erleichtern sowie ihre Isolierung zu verringern?
V. Besondere Probleme
44. (I) Weist die Gesetzgebung oder Praxis in Ihrem Land Besonderheiten
auf, die Ihrer Ansicht nach Schwierigkeiten bei der Durchßhrung der in diesem
Fragebogen in Aussicht genommenen Urkunde(n) hervorrufen könnten?
(2) Wenn ja, aufweiche Weise könnten Ihrer Ansicht nach diese Schwierigkeiten überwunden werden?
45. (Nurßr Bundesstaaten) Wären Ihrer Ansicht nach im Fall der Annahme
eines Übereinkommens in bezug auf den Gegenstand Bundesmaßnahmen oder
hinsichtlich aller oder bestimmter Punkte Maßnahmen der Gliedstaaten
angezeigt?
46. Gibt es Ihrer Ansicht nach andere einschlägige Probleme, die im vorliegenden Fragebogen nicht erfaßt sind, die aber bei der Abfassung der
Urkunde(n) berücksichtigt werden sollten? Wenn ja, geben Sie diese Probleme
bitte an.
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ANHANG
SCHLUSSFOLGERUNGEN
DER IAO-SACHVERSTÄNDIGENTAGUNG ÜBER DEN
SOZIALEN SCHUTZ VON HEIMARBEITERN (1990)
A. MASSNAHMEN AUF NATIONALER EBENE
1. Heimarbeiter stellen einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung vieler
Industrie- und Entwicklungsländer dar. Aufgrund des derzeitigen technologischen
Wandels und der Arbeitsmarktentwicklungen dürfte vermehrt auf Heimarbeit als
Beschäftigungs- und Produktionsmittel zurückgegriffen werden. Obgleich die Heimarbeit
unter angemessenen Umständen eine akzeptable und sogar nützliche Beschäftigungsform
sein kann, ist es auch möglich, daß es in bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Heimarbeiter zu Mißbräuchen und Benachteiligungen kommt.
Regierungen, Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie andere betroffene
Institutionen sollten sich erneut bemühen, den Heimarbeitern einen angemessenen
sozialen Schutz zu bieten.
2. Das Ziel nationaler Politiken im Bereich der Heimarbeit sollte es sein, die
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der derzeitigen und künftigen Heimarbeiter zu
verbessern, die Heimarbeiter vor Mißbräuchen zu schützen und ihnen einen gleichwertigen gesetzlichen Schutz zu bieten. Politiken und Programme für Heimarbeiter sollten
unter aktiver Beteiligung der Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, die sich
mit dieser Beschäftigungsart befassen, geplant und durchgeführt werden. Bei der
Ausarbeitung und Durchführung derartiger Politiken sollten auch Initiativen seitens der
Heimarbeiter gefördert werden.
3. Nationale Politiken für Heimarbeiter sollten mit den einschlägigen IAO-Normen
im Einklang stehen. Diejenigen Normen, welche die Vereinigungsfreiheit, Kollektivverhandlungen und das Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung für Arbeitnehmer mit Familienpflichten zum Thema haben, sollten besondere Berücksichtigung
finden.
4. Die Verbesserung der Bedingungen der Heimarbeiter sollte aktiv angestrebt und
bei der Ausarbeitung von Politiken und Programmen berücksichtigt werden, welche auf
eine Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer im
allgemeinen abzielen. Soweit durchführbar, sollte der Sozialschutz, welcher den
Arbeitnehmern, die ihre Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers durchführen, zur
Verfügung steht, auf Heimarbeiter ausgedehnt werden, wobei die Besonderheit der
Heimarbeit und ihre Bedingungen zu berücksichtigen sind.
5. Ferner sollten Maßnahmen in Erwägung gezogen werden, um die Bedürfnisse
der Heimarbeiter zu erfüllen und ihre Lage zu verbessern, und zwar insbesondere
Maßnahmen, die sich auf Ausgaben beziehen, welche mit der Durchführung der Arbeit
in der eigenen Wohnung des Arbeitnehmers zusammenhängen.
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Heimarbeit
6. Darüber hinaus sollten Ausbildungs- und sonstige Maßnahmen für Heimarbeiter,
die sich selbständig machen oder reguläre Arbeitnehmer werden wollen, Bestandteil
nationaler Heimarbeitspolitiken sein.
7. Maßnahmen auf nationaler Ebene zugunsten der Heimarbeiter sollten auf der
Grundlage von Informationen und Kenntnissen über die folgenden Faktoren geplant
werden: Ausmaß und Verbreitung der Heimarbeit in den verschiedenen Sektoren; Art
der durchgeführten Arbeit; individuelle Merkmale der betreffenden Arbeitnehmer; ihre
Probleme und sonstige einschlägige Faktoren. Auf diese Weise sollten die Zusammenstellung von Statistiken und das Einholen von Sachinformationen über Heimarbeiter
gefördert werden.
8. Politiken und Programme zur Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Heimarbeitern sollten in erster Linie darauf abzielen, diese stärker in
Erscheinung treten zu lassen, ihre Arbeitgeber zu ermitteln und Heimarbeiter als
abhängig Beschäftigte anzuerkennen.
Gesetzgebung und Durchführung
9. Jedes Land sollte Normen haben, die den Heimarbeitern durch geeignete Gesetze
und Vorschriften einen Grandschutz bieten. Geltungsbereich und Form dieser Gesetze
und Vorschriften sollten von den innerstaatlichen Gegebenheiten und Gepflogenheiten
abhängen.
10. Bei der Normensetzung sollten die Bedürfnisse der Heimarbeiter und die
Anliegen der Arbeitgeber berücksichtigt werden.
11. Innerstaatliche Gesetze und Vorschriften zum Schutz der Heimarbeiter sollten
auf den folgenden Überlegungen beruhen, wobei nationale Gegebenheiten und
Gepflogenheiten zu berücksichtigen sind:
a)
b)
c)
d)
e)
f)
g)
h)
Notwendigkeit einer eindeutigen Definition des Begriffs „Heimarbeiter";
Notwendigkeit eines schriftlichen Vertrags, in dem die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festgelegt sind;
Festlegung der Verantwortlichkeiten der Unterauftragnehmer oder Vermittler;
Grundsatz des gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit;
genaue Angabe, Regelung und erforderlichenfalls Verbot gefährlicher Tätig-keiten
und gefährlicher chemischer Stoffe sowie die Bereitstellung einer angemessenen
Ausbildung und Information für Heimarbeiter über die berufsbedingten Gefahren
und Risiken für Sicherheit und Gesundheit;
Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und die diesbezüglichen Voraussetzungen;
Zugang zur Sozialen Sicherheit, und
Verbot der illegalen Beschäftigung von Kindern.
12. Es sollten alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die wirksame
Durchführung innerstaatlicher Gesetze und Vorschriften zu gewährleisten. Die
Registrierung von Heimarbeitern und ihren Arbeitgebern ist sowohl für eine wirksame
Durchführung von Vorschriften als auch für die Bereitstellung von Schutz- und
Unterstützungsdiensten wünschenswert.
13. Angesichts der besonderen Schwierigkeiten bei der Durchführung von
Rechtsvorschriften über Heimarbeiter sollten Anstrengungen gemacht werden, um das
traditionelle Aufsichts- und Durchführungsinstrumentarium durch verschiedene
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Anhang
105
Maßnahmen zu verstärken. Diese könnten u.a umfassen: Zugang zu Rechtsberatung und
Aufsicht auf nationaler und lokaler Ebene; Förderung und Einbeziehung von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und sonstigen nichtstaatlichen Organisationen;
Informierung der Heimarbeiter über ihre gesetzlichen Rechte, u.a. durch Broschüren
über die einschlägigen Gesetze und Vorschriften, die in allgemein verständlicher Sprache
abgefaßt sind; und gegebenenfalls die Einsetzung eines industriellen Ombudsmanns, der
die Bedingungen überwachen und bei Klagen Schiedssprüche fällen kann.
Vereinigungsfreiheit und Kollektiwerhandlungen
14. Die Vereinigungsfreiheit von Heimarbeitern und ihr Recht auf Kollektivverhandlungen sollten im Gesetz anerkannt und in die Praxis umgesetzt werden.
15. Damit die Heimarbeiter ihr Recht auf Kollektivverhandlungen leichter ausüben
können, sollten:
a)
b)
die Gewerkschaften den Problemen der Heimarbeiter größere Aufmerksamkeit
widmen und deren Zusammenschluß fördern,
angesichts der Schwierigkeiten, auf die Heimarbeiter in der Praxis stoßen, wenn
sie in Kollektivverhandlungen eintreten wollen, und angesichts der wichtigen Rolle,
welche Gesamtarbeitsverträge bei der Bereitstellung eines angemessenen sozialen
Schutzes für Heimarbeiter spielen können, angemessene Maßnahmen ergriffen
werden, um Heimarbeitern den Zugang zu derartigen Gesamtarbeitsverträgen und
den Schutz durch diese Verträge im Rahmen des Übereinkommens Nr. 98 zu
verschaffen. Soweit erforderlich und angebracht, sollte die Möglichkeit in
Erwägung gezogen werden, dreigliedrige Gremien zur Festsetzung von Mindestlöhnen und sonstigen Beschäftigungsbedingungen einzusetzen.
Aktionsprogramme
16. Obgleich Gesetze und Gesamtarbeitsverträge eine Grundlage zum Schutz der
Heimarbeiter bilden können, sind auch praktische Maßnahmen zur Verbesserung der
Arbeits- und Lebensbedingungen der Heimarbeiter erforderlich. Aus diesem Grund
sollten Regierungen, Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und nichtstaatliche
Organisationen jeweils in ihrem Zuständigkeitsbereich Programme für Heimarbeiter
fördern und entwickeln. In Frage kämen die folgenden Arten von Programmen:
a)
Programme, welche auf eine Sensibilisierung für die Lage der Heimarbeiter und
ein Eintreten für diese Arbeitnehmer abzielen. Es sollten Informationen über die
Art und das Ausmaß der Heimarbeit und die Probleme der Heimarbeiter
insbesondere in bezug auf den Arbeitsschutz und die sonstigen Arbeits- und
Beschäftigungsbedingungen eingeholt werden. Diese Informationen könnten die
Grundlage für Tätigkeiten sein, die auf folgendes abzielen: i) Informierung der
Heimarbeiter über ihre Rechte und die ihnen zur Verfügung stehende Unterstützung; ii) Informierung der Entscheidungsträger über die Probleme der
Heimarbeiter und die Notwendigkeit, Gesetze und/oder Sonderprogramme für
Heimarbeiter vorzusehen; iii) Sensibilisierung der Arbeitnehmerverbände in bezug
auf die Bedürfnisse und die Lage der Heimarbeiter und Gewinnung ihrer
Unterstützung beim Zusammenschluß und bei der Ausbildung der Heimarbeiter;
und iv) Mobilisierung der Unterstützung durch die Allgemeinheit.
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106
b)
c)
d)
e)
f)
Heimarbeit
Ausbildungsprogramme zur Aufwertung der fachlichen und Leitungsfähigkeiten und
zur Erhöhung der Produktivität der Heimarbeiter;
Programme, welche den Zugang zu einer regulären Beschäftigung erleichtern, u.a.
Berufsbildung, Unterstützung bei der Frage, wie man sich um Stellen bewirbt und
wie ein Einstellungsgespräch geführt wird, eine erweiterte Betreuung für Kinder
und unterhaltsberechtigte Familienangehörige, Teilung von Familienpflichten und
Zugänglichkeit der Arbeitsplätze;
Programme, welche den Heimarbeitern Schreib- und Rechenkenntnisse und eine
informelle Bildung vermitteln sowie Informationen und Dienstleistungen wie z.B.
Hilfszentren bereitstellen;
soweit angebracht, Programme, welche den Heimarbeitern mehr Unabhängigkeit
und Sicherheit verschaffen, z.B. besondere Systeme zur Bereitstellung von Krediten
und sonstigen Vergünstigungen für Heimarbeiter und zur Verbesserung der
Produktvermarktung;
Programme, welche den Zusammenschluß der Heimarbeiter fördern und sie in die
Lage versetzen, in ihrem Namen zu handeln.
17. Schutz- und Unterstützungsprogramme sind sowohl für männliche als auch für
weibliche Heimarbeiter erforderlich, obgleich die spezielle Lage und die Bedürfnisse der
Frauen in entsprechenden Programmen behandelt werden sollten.
18. Es sollten Mechanismen gefördert werden, welche den Informationsaustausch
über wirksame Programme zur Verbesserung der Lage der Heimarbeiter vorsehen.
B. KÜNFTIGE IAO-MASSNAHMEN
19. Da die Heimarbeit in der ganzen Welt stark verbreitet ist und die Arbeits- und
Lebensbedingungen der Heimarbeiter verbessert werden müssen, sollte die IAO den
Problemen der Heimarbeiter und der Förderung von Politiken und Programmen, deren
Ziel die Bereitstellung eines angemessenen Schutzes ist, verstärkte Aufmerksamkeit
widmen.
20. Das Amt sollte überprüfen, inwieweit vorhandene IAO-Normen den Schutz der
Heimarbeiter vorsehen. Ferner sollte das Amt eine Erhebung durchführen, um zu
ermitteln, inwieweit sich internationale Normen, die für die Heimarbeit von Bedeutung
sind, in der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis niederschlagen. Besondere
Aufmerksamkeit sollte hierbei der Stellung der Heimarbeiter, den Meldeanforderungen,
dem Entgelt, dem Arbeitsschutz, der Beschäftigung von Kindern und den Pflichten der
Arbeitgeber und nationalen Behörden gewidmet werden.
21. Die IAO sollte aktiv Maßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene in
Industrie- wie in Entwicklungsländern dadurch fördern, daß sie auf die Heimarbeiter
aufmerksam macht, Schutzpolitiken und -Strategien ermittelt, deren Durchführung
erleichtert, den Zusammenschluß der Heimarbeiter fördert und beim Aufbau und bei der
Stärkung institutioneller Kapazität Hilfestellung leistet. Aus diesem Grund sollte die IAO
verschiedene miteinander verknüpfte Tätigkeiten durchführen, u.a.:
a)
Zusammenstellung und Verbreitung von Statistiken über Ausmaß und Verteilung
der Heimarbeit und Sachinformationen über die wirtschaftliche und soziale Lage
der Heimarbeiter sowie die Ausarbeitung geeigneter Methoden für statistische
Erhebungen;
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Anhang
b)
c)
d)
e)
f)
g)
h)
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gründliche Untersuchungen über den Wandel und die Tendenzen der Heimarbeit,
insbesondere die Telearbeit;
eine Studie über die sich wandelnden Tendenzen im internationalen Handel und
ihre Auswirkung auf Heimarbeit und die Lage der Heimarbeiter;
Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Unterstützungskampagnen
zugunsten der Heimarbeiter;
nationale und regionale Seminare, insbesondere in den Regionen, in denen
derartige Tätigkeiten noch nicht durchgeführt worden sind;
Erleichterung des Informationsaustauschs über erfolgreiche Strategien und
Programme zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Heimarbeitern;
Erarbeitung von Richtlinien für die Ausarbeitung nationaler Politiken und Gesetze
und für deren wirksame Durchführung sowie für Aktionen der Arbeitgeber und
Arbeitnehmer und ihrer Verbände;
Bereitstellung von Beratungsdiensten und technischer Unterstützung bei der
Ausarbeitung und Durchführung von Politiken und Programmen, insbesondere in
bezug auf Ausbildung, Beschäftigungsmöglichkeiten und den Zusammenschluß von
Heimarbeitern.
22. Angesichts der sehr unterschiedlichen Bedingungen, unter denen Heimarbeit
verrichtet wird, und ihrer Vielfalt sollte der Verwaltungsrat des IAA abwägen, wie
wichtig diese Probleme sind, um einen Beschluß über diesbezügliche geeignete
Maßnahmen der IAO zu fassen.
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