Heimarbeit
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Heimarbeit
Internationale Arbeitskonferenz 82. Tagung 1995 Bericht V (1) Heimarbeit Fünfter Punkt der Tagesordnung Internationales Arbeitsamt Genf ISBN 92-2-709417-2 ISSN 0251-4095 Erste Auflage 1994 i -t t ••,-, i Die in Veröffentlichungen des IAA verwendeten, der Praxis der Vereinten Nationen entsprechenden Bezeichnungen sowie die Anordnung und Darstellung des Inhalts sind keinesfalls als eine Meinungsäußerung des Internationalen Arbeitsamtes hinsichtlich der Rechtsstellung irgendeines Landes, Gebietes oder Territoriums oder dessen Behörden oder hinsichtlich der Grenzen eines solchen Landes oder Gebietes aufzufassen. Die Nennung von Firmen und gewerblichen Erzeugnissen und Verfahren bedeutet nicht, daß das Internationale Arbeitsamt sie billigt, und das Fehlen eines Hinweises auf eine bestimmte Firma oder ein bestimmtes Erzeugnis oder Verfahren ist nicht als Mißbilligung aufzufassen. Veröffentlichungen des IAA können bei größeren Buchhandlungen, den Zweigämtern des IAA in zahlreichen Ländern oder direkt beim Internationalen Arbeitsamt, ILO Publications, CH-1211 Genf 22, Schweiz, bestellt werden. Diese Stelle versendet auch kostenlos Kataloge oder Verzeichnisse neuer Veröffentlichungen. , Gedruckt in der Schweiz HEL INHALTSVERZEICHNIS Seite EINLEITUNG 1 KAPITEL I: Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit Defintion der Heimarbeit Statistiken über Heimarbeit Tendenzen in der Heimarbeit Merkmale der Heimarbeiter Die Art der von Heimarbeitern verrichteten Arbeit KAPITEL Ü: Vor- und Nachteile der Heimarbeit Vorteile für die Arbeitgeber Möglichkeiten für die Arbeitnehmer Vorteile für die Volkswirtschaft Probleme und Fragen KAPITEL UJ: Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter Innerstaatliche gesetzliche und sonstige Vorschriften Kollektivverträge KAPITEL IV: Standpunkte zur Heimarbeit Standpunkte von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden Auffassungen der Sachverständigentagung über den Sozialschutz der Heimarbeiter . KAPITEL V: Aktionsprogrammeßr Heimarbeiter Informationskampagnen Die gewerkschaftliche Organisation von Heimarbeitern Hilfszentren und Netzwerke Zukünftige Aussichten KAPITEL VI: Die IAO und Heimarbeit Forderungen nach Maßnahmen auf internationaler Ebene Internationale Arbeitsnormen Sammlung und Verbreitung von Informationen Tagungen Technische Zusammenarbeit Fragebogen ANHANG: Schlußfolgerungen der IAO-Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern (1990) 3012-5.G94 4 4 5 8 11 12 16 16 18 19 21 30 30 50 53 53 56 66 67 68 76 79 82 82 85 87 89 91 95 103 EINLEITUNG Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes beschloß auf seiner 258. Tagung (November 1993), die Frage der Heimarbeit auf die Tagesordnung der 82. Tagung (1995) der Internationalen Arbeitskonferenz zu setzen. Heimarbeiter stellen wegen ihres unzureichenden rechtlichen Schutzes, ihrer Isolierung und ihrer schwachen Verhandlungsposition eine besonders verletzliche ArbeitnehmerRategorie dar. Sie erhalten oft nicht einmal den Mindestlohn, haben eine sehr lange Arbeitszeit, keine Beschäftigungssicherheit und keinen Einfluß darauf, ob vertragliche Verpflichtungen eingehalten werden. Die meisten Heimarbeiter sind Frauen, die aufgrund familiärer Verpflichtungen oder mangelnder Qualifikationen keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgehen können. Menschen, die an ihre Wohnung gebunden sind, bietet Heimarbeit die Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung ist die Heimarbeit oft die einzige Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen. Die vorhandenen Arbeitsstatistiken enthalten keine verläßlichen Schätzungen der weltweit mit Heimarbeit beschäftigten Arbeitnehmer. Eine Reihe von Erhebungen und Mikrostudien zeigen jedoch, daß es sich bei der Heimarbeit um ein sehr weitverbreitetes Phänomen handelt, das in den letzten Jahren offensichtlich zugenommen hat. Der Versuch, den sozialen Schutz der Heimarbeiter zu verbessern, hat erhebliche Kontroversen ausgelöst. Kritiker verurteilen die Heimarbeit als eine Praxis, die auf Dauer zu minderwertigen oder unregulierten Beschäftigungsbedingungen führt, und treten für ein Verbot ein. Andere befürworten die Heimarbeit, da sie flexibel ist und Erwerbsmöglichkeiten bietet, und sprechen sich gegen eine Regulierung aus. Die Herausforderung, vor der politische Entscheidungsträger stehen, besteht darin, Wege zu finden, um den effektiven Schutz der Heimarbeiter zu verbessern und mißbräuchliche Praktiken zu verhindern und gleichzeitig die wirtschaftlichen Vorteile für diejenigen zu wahren, die zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf Heimarbeit angewiesen sind. 1984 hat die Internationale Arbeitskonferenz in ihren Schlußfolgerungen über zukünftige Maßnahmen im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Umwelt besonderes Gewicht auf die Notwendigkeit gelegt, Konzepte auszuarbeiten, um Heimarbeiter effektiver zu schützen. 1985 ersuchte die Konferenz den Verwaltungsrat des IAA in den Schlußfolgerungen im Anhang ihrer Entschließ JJ13 über die Chancengleichheit und Gleichbehandlung für Männer und Frauen in der Beschäftigung, die Heimarbeit als neuen Gegenstand für a:artige Normen •;: oing in Erwägung zu ziehen. Die Konferenz forderte ferne: r c (AO im Jahr 1988 in ihren Schlußfolgerungen über die Förderung der ländii.iiM Beschäftigung auf, 3012-5.G94 2 Heimarbeit Programme zur Dokumentierung und Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Heimarbeiter auszuarbeiten. Entsprechend einem Beschluß, den der Verwaltungsrat auf seiner 244. Tagung (November 1989) gefaßt hatte, veranstaltete die IAO eine Sachverständigentagung über den sozialen Schutz der Heimarbeiter, die vom 1. bis 5. Oktober 1990 in Genf stattfand. Die Tagung diente nicht nur dazu, das Wesen, den Umfang und die Probleme der Heimarbeit zu behandeln und die nationalen Erfahrungen beim Schutz und bei der gewerkschaftlichen Organisierung der Heimarbeiter zu untersuchen, sondern sie sollte auch Empfehlungen im Hinblick auf Konzepte und Maßnahmen auf nationaler Ebene sowie bezüglich zukünftiger Maßnahmen der IAO im Bereich der Heimarbeit, einschließlich der Möglichkeit neuer internationaler Arbeitsnormen, erarbeiten. Der Bericht der Sachverständigentagung1 mit dem vom Amt ausgearbeiteten fachlichen Grundlagendokument, der Zusammenfassung der Diskussion und den von den Sachverständigen angenommenen Schlußfolgerungen wurde veröffentlicht und an alle Mitgliedstaaten verteilt. Der vorliegende Bericht soll die Beratungen der Konferenz über Heimarbeit unterstützen und Informationen liefern, die nützlich sein können, um den am Schluß des Berichts wiedergegebenen Fragebogen zu beantworten. In Kapitel I des Berichts werden die unterschiedlichen Kriterien für eine Definition der Heimarbeit sowie ihr Umfang und ihre Hauptmerkmale untersucht. Diese Informationen sind für den Geltungsbereich der vorgeschlagenen internationalen Normen von besonderer Bedeutung. Die Vor- und Nachteile der Heimarbeit aus der Sicht der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der nationalen Volkswirtschaften werden in Kapitel II dargestellt. Kapitel III enthält einen Überblick über den rechtlichen Schutz der Heimarbeiter. Der Umfang und Geltungsbereich der vorhandenen innerstaatlichen Gesetzgebung werden analysiert, und es werden Lücken und Unklarheiten aufgezeigt. Besondere Aufmerksamkeit wird den Grundprinzipien des Schutzes geschenkt, die bei der Normensetzung berücksichtigt werden müßten. In Kapitel IV werden einige Einstellungen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zur Heimarbeit und die auf der Sachverständigentagung zum Ausdruck gebrachten Auffassungen zusammengefaßt, während in Kapitel V verschiedene Aktionsprogramme beschrieben und beurteilt werden, mit denen die Situation der Heimarbeiter verbessert worden ist. Kapitel VI enthält Informationen über bereits früher von der IAO in Anbetracht der zunehmenden internationalen Sorge durchgeführte Maßnahmen im Bereich der Heimarbeit und untersucht die Bedeutung vorhandener internationaler Normen, der technischen Zusammenarbeit und der Schlußfolgerungen der Sachverständigentagung der IAO. Diese Schlußfolgerungen werden als Anhang zum Bericht wiedergegeben. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß Mitgliedstaaten, deren Gesetzgebung und Praxis mit den wesentlichen Bestimmungen einer internationalen Urkunde im Einklang stehen, dennoch manchmal nicht in der Lage sind, diese Urkunde in aller Form zu ratifizieren oder anzunehmen, weil zwischen dem genauen Wortlaut der Bestimmungen der Urkunde einerseits und der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis andererseits nur verhältnismäßig geringe Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede können sich auf den Geltungsbereich 3012-5.G94 Einleitung 3 der Urkunde (der Geltungsbereich der einschlägigen innerstaatlichen Gesetzgebung stimmt vielleicht nicht vollständig mit dem der Urkunde überein) oder auf eine unterschiedliche Definition des Bereichs oder der Bereiche, für die sie gilt, beziehen. Ferner können sich die Unterschiede auf Einzelheiten in der Anwendung der grundlegenden Prinzipien beziehen. Es ist natürlich wünschenswert, Schwierigkeiten dieser Art schon bei der Ausarbeitung der Urkunde zu berücksichtigen, damit festgestellt wird, ob sie so flexibel gestaltet werden kann, daß diese Schwierigkeiten ohne Beeinträchtigung ihrer materiellen Wirkung behoben werden. Aus diesem Grund wurde in den Fragebogen eine Frage aufgenommen, in der die Mitgliedstaaten ersucht werden, mögliche Besonderheiten ihrer Gesetzgebung oder Praxis im Zusammenhang mit dem behandelten Gegenstand anzugeben, die ihrer Ansicht nach zu Schwierigkeiten bei der Durchführung der in diesem Bericht in Aussicht genommenen internationalen Urkunde führen könnten, und konkrete Vorschläge zu machen, wie diese Schwierigkeiten behoben werden können. Die Konferenz wird diese Frage nach dem Verfahren der zweimaligen Beratung behandeln, das in Artikel 10 der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats und in Artikel 39 ihrer eigenen Geschäftsordnung vorgesehen ist. Das Amt hat den vorliegenden Bericht in Übereinstimmung mit dem letztgenannten Artikel ausgearbeitet, damit er bei der ersten Beratung der Konferenz als Grundlage dienen kann. Dieser Artikel sieht ferner vor, daß dieser Bericht den Regierungen spätestens zwölf Monate vor der Eröffnung der 82. Tagung der Konferenz im Jahr 1995 übermittelt werden muß. Damit das Amt genügend Zeit zur Prüfung der Antworten auf den Fragebogen und zur Ausarbeitung des zweiten Berichts hat, werden die Regierungen ersucht, ihre Antworten so rechtzeitig zu übermitteln, daß sie spätestens am 30. September 1994 beim Amt in Genf eintreffen, da sie den zweiten Bericht spätestens vier Monate vor Eröffnung der Tagung erhalten müssen. In diesem Zusammenhang wird die Aufmerksamkeit der Regierungen auf Artikel 39 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz gelenkt, wo sie gebeten werden, „die maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu befragen, bevor sie ihre Antworten endgültig fertigstellen" . Die Ergebnisse dieser Befragung sollten in den Antworten der Regierungen zum Ausdruck kommen. Die Regierungen werden gebeten, in ihren Antworten anzugeben, welche Verbände befragt worden sind. Anmerkung ' IAA: Social Protection ofHomeworkers— Dokumente der Sachverständigentagung über den sozialen Schutz der Heimarbeiter (Genf, 1990 — MEHW/1990/7). 3012-5.G94 KAPITEL I DEFINITON, UMFANG UND HAUPTMERKMALE DER HEIMARBEIT DEFINITION DER HEIMARBEIT Unter Heimarbeit versteht man normalerweise die Herstellung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen für einen Arbeitgeber oder Auftraggeber gemäß einer Vereinbarung, wonach die Arbeit an einer vom Arbeitnehmer selbst gewählten Arbeitsstätte, bei der es sich oft um die eigene Wohnung des Arbeitnehmers handelt, durchgeführt wird. Normalerweise wird die Arbeit nicht unter der direkten Aufsicht des Arbeitgebers oder Auftraggebers durchgeführt. Diese Definition der Heimarbeit umfaßt nicht die Herstellung von Waren, die lediglich für den persönlichen oder den Familienverbrauch bestimmt sind, und umfaßt auch nicht Heimarbeit, die mit einer direkten Beziehung zwischen dem Hersteller und dem Endverbraucher verbunden ist. Ein wichtiges Kriterium bei der Definition der Heimarbeit ist die Arbeitsstätte, die außerhalb des Betriebs des Arbeitgebers liegt. Heimarbeit kann auch in benachbarten Werk- oder Arbeitsstätten oder an anderen Orten durchgeführt werden, wo verschiedene Heimarbeiter zusammenarbeiten, die jedoch nicht dem Arbeitgeber gehören. Das Eigentum an den Werkzeugen und die Versorgung mit Material sind keine wichtigen Kriterien, da hier viele verschiedene Praktiken existieren. Manchmal sind die Heimarbeiter Eigentümer ihrer Werkzeuge, während in anderen Fällen der Arbeitgeber die Werkzeuge leihweise oder auf der Grundlage eines Mietkaufs überläßt. In der Regel erhalten die Heimarbeiter das Rohmaterial vom Arbeitgeber, es kommt jedoch auch vor, daß sie es auf dem Markt oder vom Arbeitgeber oder Auftraggeber kaufen und ihm das Fertig- oder Halbfertigprodukt zurückverkaufen. Das wichtigste Kriterium, das Heimarbeit von anderen Arten der wirtschaftlichen Tätigkeit im eigenen Heim unterscheidet, ist die auf einer bezahlten Beschäftigung beruhende Beziehung zwischen Heimarbeiter und Arbeitgeber, Auftraggeber, Agent oder Vermittler. Diese Beziehung kann durch einen schriftlichen oder mündlichen Vertrag oder durch eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Vereinbarung hergestellt werden. Hier bestehen unterschiedliche Praktiken, die manchmal in der innerstaatlichen Gesetzgebung festgelegt werden (siehe Kapitel III). 3012-5.G94 Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit 5 Oft ist es schwierig, eine klare Unterscheidung zwischen Heimarbeitern und unabhängigen (selbständig) Erwerbstätigen zu treffen. Viele der zu Hause Arbeitenden werden möglicherweise zu den selbständig Erwerbstätigen gezählt, sie rechnen sich vermutlich selbst dieser Kategorie zu, tatsächlich sind sie jedoch nichts anderes als Lohnempfänger, die nicht ohne weiteres als solche zu erkennen sind1. Der Heimarbeitern im Rahmen der Arbeitsgesetzgebung gewährte Schutz ist oft davon abhängig, ob eindeutig feststeht, daß sie abhängig beschäftigt sind bzw. daß sie Lohnempfänger sind. Es gibt einige grundlegende Merkmale, die Lohnempfänger von selbständig Erwerbstätigen unterscheiden. Während die Lohnempfänger für ihre Arbeit bezahlt werden, stellen die Einkünfte der selbständig Erwerbstätigen den Ertrag aus Kapital, Arbeitsleistung, unternehmerischem Können sowie Risikobereitschaft dar. Im Gegensatz zu einem Lohnempfänger ist der selbständig Erwerbstätige weitgehend unabhängig, er ist verantwortlich für eine Reihe wirtschaftlicher und finanzieller Entscheidungen und trägt einen großen Teil des wirtschaftlichen Risikos. Viele selbständig Erwerbstätige, vor allem in den Entwicklungsländern, wirtschaften jedoch am Rande des Existenzminimums, und es ist möglich, daß sie in bezug auf ihre Arbeitsstätte von anderen abhängig sind oder daß ihre Arbeit vom Eigentümer der Arbeitsstätte oder von Kreditgebern oder Rohstofflieferanten kontrolliert wird. In derartigen Fällen ist die Unterscheidung nicht immer klar2. Zwar ist es relativ einfach, die Kriterien zur Definition von Heimarbeit zu umreißen, in der Praxis ist es jedoch viel schwieriger, Heimarbeit von anderen Formen der Wirtschaftstätigkeit abzugrenzen oder bestimmte Arten von Heimarbeitern von anderen Arbeitnehmerkategorien zu unterscheiden. Besonders schwer einzuordnende Fälle sind etwa Heimarbeiter, die Arbeiten an andere Heimarbeiter vergeben und neben der Rolle des Unterauftragnehmers oder Unternehmers selbst Heimarbeit verrichten; unbezahlt mithelfende Familienarbeitskräfte, die Heimarbeiter unterstützen, aber in keiner Beziehung zum Arbeitgeber stehen; Heimarbeiter, die für eine Produktionsgenossenschaft arbeiten, der sie angehören, und Heimarbeiter, die sich zu einer Vereinigung zusammengeschlossen haben, um ihre Verhandlungsposition zu stärken und Mittelsmänner auszuschalten. Auf nationaler Ebene werden hinsichtlich der Rechtsstellung der Heimarbeiter unterschiedliche Ansätze verfolgt. Zwar gibt es in einigen Ländern Rechtsvorschriften, die ein Beschäftigungsverhältnis voraussetzen, die Beschäftigungsbedingungen der Heimarbeiter und ihre Rechte als Arbeitnehmer werden jedoch nur in sehr wenigen Ländern festgelegt. Meistens wird diese Frage in der innerstaatlichen Gesetzgebung ausgeklammert oder nicht klar geregelt (siehe Kapitel III). STATISTIKEN ÜBER HEIMARBEIT Zwar gibt es zahlreiche Studien, aus denen hervorgeht, wie Heimarbeit in verschiedenen Ländern und Industriezweigen organisiert wird, diese Studien stellen jedoch keine verläßliche Grundlage für eine Schätzung der Gesamtzahl 3012-5.G94 6 Heimarbeit der Heimarbeiter dar. Verläßliche Schätzungen können sich lediglich auf Daten stützen, die auf Bevölkerungszählungen oder einer repräsentativen Haushaltsstichprobe beruhen, da weder in den Verwaltungsunterlagen der Arbeitsaufsichtsdienste noch in Betriebserhebungen alle Unternehmen erfaßt werden, die Heimarbeiter beschäftigen. Bedauerlicherweise haben nur sehr wenige Länder versucht, die Zahl der Heimarbeiter im Rahmen ihrer regelmäßig!.. Arbeitsmarkterhebungen oder Volkszählungen zu erfassen. Möglich wäre dies, indem „Heimarbeiter" als eigene Kategorie gekennzeichnet werden oder indem das Merkmal „Beschäftigter" anhand einer Frage nach dem Weg zur Arboit mit der Information verknüpft wird, daß der Betreffende „zu Hause" arbeitet. Vim 1en 70 Ländern und Territorien, für die das Amt über Angaben verfüpt3, hatten bis 1990 lediglich sechs (Algerien, Deutschland, Italien, Japan, MaroitKo und Hongkong) in ihrer regelmäßigen Arbeitsmarkterhebung die Möglichkeit zur Bestimmung dieser Arbeitnehmergruppe (oder einer ihr ziemlich ähnlichen Gruppe) vorgesehen. Nach den vorliegenden Informationen ist jedoch zu erwarten, daß alle westeuropäischen Länder sowie die Russische Föderation und die Ukraine Fragen über die Heimarbeit in ihre zukünftigen Arbeitsmarkterhebungen einbeziehen werden. Einige andere Länder, wie z.B. Australien4 und das Vereinigte Königreich5, haben auf Ad-hoc-Grundlage in Beilagen zu ihren regelmäßigen Erhebungen Angaben über die Heimarbeit oder die zu Hause geleistete Arbeit veröffentlicht oder Sondererhebungen durchgeführt. Aus den Angaben in den neuesten Volkszählungen geht hervor, daß eine kleine Zahl von Ländern und Territorien in der Lage ist, aufgrund dieser Quelle Schätzungen der Anzahl der Heimarbeiter vorzunehmen, entweder weil es sich ausdrücklich um eine mögliche Antwort (z.B. Indien, Japan, Liechtenstein, Schweiz und Hongkong) handelt oder weil von „Beschäftigten" die Rede ist, die „zu Hause" arbeiten (z.B. Belize, Bermuda, Griechenland, Italien, Saint Lucia und Singapur). Die Volkszählung von Cöte dTvoire umfaßt eine Kategorie mit der Bezeichnung „Akkordarbeiter", während es in Marokko, Peru und Tunesien eine Kategorie mit der Bezeichnung „selbständig erwerbstätig, zu Hause beschäftigt" gibt. Korrekt durchgeführt, liefern sowohl Volkszählungen als auch Stichprobenerhebungen zur Erwerbstätigkeit Informationen über die Anzahl der Heimarbeiter sowie über die Art der von ihnen durchgeführten Arbeiten, etwa über die berufliche Tätigkeit und den Industriezweig sowie über ihre persönlichen Merkmale, wie Alter, Geschlecht und Bildungsniveau, was mit den Merkmalen anderer Beschäftigter verglichen werden kann. Indien hat in diesem Bereich in seiner Volkszählung von 1991 besondere Bemühungen unternommen, die Ergebnisse standen Mitte 1993 jedoch noch nicht zur Verfügung. Die Tatsache, daß es keine internationalen statistischen Richtlinien zur Definition der Heimarbeiter gibt, hat vermutlich die Zahl der Länder begrenzt, die sich um eine regelmäßige Erhebung von Daten über diese Gruppe bemühen, und hat internationale Vergleiche der vorhandenen Daten erschwert. Mit den kürzlich angenommenen Änderungen der Internationalen Klassifikation der Stellung im Erwerbsleben und des Systems volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen der Vereinten Nationen hat sich diese Situation verändert. Somit werden vermutlich im Lauf der nächsten fünf bis zehn Jahre bessere Statistiken über 3012-5.G94 Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit 7 Anzahl und Merkmale der Heimarbeiter zur Verfügung stehen, sofern den nationalen statistischen Ämtern mitgeteilt wird, daß derartige Angaben erforderlich sind6. Die im Vereinigten Königreich (1981)5, in den Vereinigten Staaten (1985)7 und Australien (1989)4 durchgeführten besonderen Erhebungen verdeutlichen gut die unterschiedlichen statistischen Grundlagen, auf denen sie beruhen, und die Gefahren, die sich ergeben, wenn man versucht, sie zu Vergleichen heranzuziehen. Die Erhebung des Vereinigten Königreichs unterscheidet deutlich zwischen Personen, die zu Hause arbeiten, und Personen, die von ihrer Wohnung aus arbeiten und diese als Ausgangsbasis für ihre Erwerbstätigkeit benutzen. So gehören beispielsweise Verkäufer, selbständige Berater und Akademiker unterschiedlicher Art, freiberufliche Journalisten und Autoren zu denen, die von ihrer Wohnung aus arbeiten. Die Erhebung schätzt die Gesamtzahl der Heimarbeiter auf 658.250, von denen 229.790 (hauptsächlich Frauen) zu Hause arbeiten, während 400.810 (hauptsächlich Männer) ihre Wohnung als Ausgangsbasis der Erwerbstätigkeit nutzen. Die Volkszählung der Vereinigten Staaten kennt diese Unterscheidung nicht und nennt eine Gesamtzahl von fast 8,4 Millionen Menschen, die mindestens acht Stunden pro Woche zu Hause arbeiten und von denen ein sehr großer Teil auf den Dienstleistungssektor entfällt. In der australischen Erhebung gehörte fast die Hälfte der 241.500 Arbeitnehmer, die ihrer Hauptbeschäftigung zu Hause nachgingen, zum Dienstleistungssektor. In einer 1987-88 vom Europarat in 15 Mitgliedstaaten durchgeführten Erhebung wurde die Zahl der Heimarbeiter aufgrund von Angaben aus verschiedenen Quellen auf etwa 2,1 Millionen beziffert. Diese Angaben wurden als nicht besonders präzise angesehen, außer vielleicht im Fall Deutschlands, der Schweiz und des Vereinigten Königreichs; anderswo lagen nur Daten für gewerbliche Heimarbeiter oder bestimmte Wirtschaftszweige vor. In Japan wurde die Zahl der Heimarbeiter in der 1988 durchgeführten allgemeinen Erhebung über Heimarbeit auf 977.700 beziffert. Über Art oder Umfang der Heimarbeit in Afrika liegen nur wenige Angaben vor, obwohl bekannt ist, daß sie in Ägypten, Kenia, Marokko und Tunesien weit verbreitet ist. Eine in Algerien im Juni 1989 durchgeführte Arbeitsmarkterhebung ermittelte 145.000 Heimarbeiter, was einem Anteil von 3,3 Prozent an der Erwerbsbevölkerung entspricht10. Auch in anderen Entwicklungsregionen gibt es Anzeichen dafür, daß Heimarbeit sehr verbreitet ist. In Indien" wurden 1981 in der Volkszählung rund 7,7 Millionen Personen als Hauptbeschäftigte in der „Haushaltsindustrie" erfaßt (dazu gehören selbständige Handwerker und mithelfende Familienangehörige sowie Heimarbeiter). Nach der Arbeitsstatistik waren allein 2,25 Millionen Heimarbeiter als Bididreher (Zigarettendreher) tätig12. In den achtziger Jahren bezifferten offizielle Quellen auf den Philippinen13 allein die Zahl der Heimarbeiter in der Bekleidungsindustrie auf 450.000 bis 500.000. Aufgrund von empirischen Angaben wird geschätzt, daß von den 17,5 Millionen Personen, die abhängig beschäftigt oder selbständig erwerbstätig sind, 34,2 Prozent zu Hause arbeiten14. In Indonesien15 wurde bei einer Stichprobenerhebung im Raum Semarang in Zentraljava festgestellt, daß 21 Prozent der Haushalte Heimarbeit verrichteten. 3012-5.G94 8 Heimarbeit Auch in Lateinamerika gibt es Anzeichen dafür, daß die Heimarbeit einen wichtigen Beitrag zur Produktion vieler Industriezweige leistet, insbesondere der Bekleidungsindustrie. In Argentinien16 stellte der Nationale Rat für Mindestlöhne bereits 1965 fest, daß 55 Prozent der Fertigung der Bekleidungsindustrie direkt von Heimarbeitern geleistet wurde, weitere 30 Prozent von Zwischenmeistern, die Heimarbeiter beschäftigten, und lediglich 15 Prozent in Fabriken. In Mexiko17 beschäftigten 5.000 Betriebe in der Bekleidungsindustrie Heimarbeiter, deren Anteil an der Gesamtbeschäftigung sich auf 30 Prozent belief. Es gibt auch eine große Zahl von Heimarbeitern in der Bekleidungsindustrie in Chile und Kolumbien, während vom Arbeitsministerium in Peru18 geschätzt wurde, daß es allein im Einzugsbereich von Lima 1987 215.326 Heimarbeiter gab, was 10,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung der Stadt entspricht. Im großen und ganzen sind die verfügbaren Statistiken über Heimarbeiter unzuverlässig und bruchstückhaft. Insgesamt lassen sie jedoch den Schluß zu, daß Heimarbeit sowohl in Industrie- wie in Entwicklungsländern in großem Umfang praktiziert wird. Der Hinweis ist angebracht, daß die tatsächliche Situation in den Statistiken über Heimarbeit in der Regel unterschätzt wird. Teilweise ist dies darauf zurückzuführen, daß es sich in großem Umfang um Schwarzarbeit oder nicht angemeldete Arbeit handelt, und selbst dort, wo die Arbeit nicht bewußt verheimlicht wird, ist die Registrierung unzureichend. In den meisten Ländern gibt es bisher noch keine verläßlichen Mittel, um eine unzureichende amtliche Erfassung zu korrigieren. Es ist daher durchaus möglich, daß die über den Umfang der Heimarbeit verfügbaren Informationen nur die Spitze des Eisbergs darstellen. TENDENZEN IN DER HEIMARBEIT Verschiedene Gründe stützen die Annahme, daß die Heimarbeit sowohl in Industrie- wie in Entwicklungsländern zunimmt. Viele Länder, insbesondere Industrieländer, benötigen in Anbetracht des raschen technologischen und strukturellen Wandels und der offensichtlichen Notwendigkeit von Veränderungen beim Einsatz der Erwerbstätigen mehr Flexibilität und Mobilität, um das Wachstum ihrer Wirtschaft, ihrer Produktivität und ihrer Beschäftigung wieder anzukurbeln. In den Industrieländern war in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ein Trend in Richtung auf weniger feste Arbeitsverhältnisse zu beobachten. Anstelle einer regulären Vollzeitbeschäftigung gehen immer mehr Menschen einer Teilzeitarbeit, einer temporären Beschäftigung oder anderen Formen der Gelegenheitsarbeit nach". Die Zunahme der verschiedenen Formen von Gelegenheitsbeschäftigung kann jedoch auch auf die Verschlechterung der Arbeitsmarktbedingungen in den letzten 15 Jahren zurückgeführt werden, die sich vor allem in hoher Arbeitslosigkeit äußert, insbesondere in Westeuropa20 und in letzter Zeit auch in Osteuropa. In Kanada geht aus einer neuen, im Juni 1993 von Statistics Canada veröffentlichten Studie hervor, daß sich die Anzahl der Einwohner des Großraums Toronto, die von ihrer Wohnung aus arbeiten, zwischen 1981 und 1991 verdoppelt hat. Bezogen auf ganz Kanada belief sich die Zunahme während desselben Zeitraums 3012-5.G94 Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit 9 auf 40 Prozent, und es wird davon ausgegangen, daß sich dieser Trend in den nächsten fünf Jahren fortsetzen wird. Das Interesse der Betriebe an flexibleren Formen der Beschäftigung kann auch auf die sich verändernden betrieblichen Strukturen aufgrund des internationalen Wettbewerbs und der internationalen Integration zurückzuführen sein. Das Modell der „flexiblen Firma" ist in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch. Bei diesem Modell verfolgen die Firmen die Strategie, daß sie eine feste Gruppe von Stammarbeitnehmern und eine periphere Gruppe von Zeit- und Gelegenheitsarbeitnehmern, externen Mitarbeitern und Unterauftragnehmern beschäftigen. Diese periphere Arbeitnehmergruppe bildet eine Arbeitsreserve, die es den Unternehmen ermöglicht, den Arbeitseinsatz rasch an Markterfordernisse anzupassen, ohne daß sie ständig die Kosten einer großen Belegschaft tragen müssen, um Spitzen im Arbeitsanfall zu bewältigen21. Hinzu kommt, daß viele Industriezweige wegen einer wachsenden Nachfrageunsicherheit immer mehr Gelegenheitsarbeiter beschäftigen. In Anbetracht des immer größeren Drucks, die Wettbewerbsfähigkeit im Handel aufrechtzuerhalten und die Arbeitskosten zu verringern, führen Unternehmen nicht nur strukturelle Veränderungen durch, sondern verlagern auch immer mehr Arbeiten in Regionen mit einem reichlichen, oft weiblichen Arbeitskräftereservoir. Dies betrifft besonders die arbeitsintensiven Industriezweige. Ein typisches Beispiel für diese Entwicklung ist die Bekleidungsindustrie, die stets die größte Zahl von Heimarbeitern beschäftigt hat. Andere Industriezweige, etwa die spitzentechnologische Fertigung und die Herstellung von Elektro-, Kunststoff- und Leichtmetallwaren, benötigen ebenfalls zahlreiche arbeitsintensive Prozesse, die in separate bzw. autonome Aufgaben zerlegt werden können, die unabhängig und in großer Entfernung durchgeführt werden können. Auch im Dienstleistungssektor beginnen Unternehmen, Arbeiten in wirtschaftlich schwache ländliche Gebiete oder in Länder zu verlagern, wo die Löhne niedriger sind. Diese Verlagerung der weltweiten Produktion und des Handels im Bereich arbeitsintensiver Industriezweige in Niedriglohnwirtschaften hat Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung bewirkt und dazu geführt, daß die Entwicklungsländer zu wichtigen Akteuren auf dem internationalen Arbeitsmarkt geworden sind. Der internationalen Untervertragsvergabe kommt bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle zu. So werden beispielsweise in der Bekleidungsindustrie die Entwürfe, Schnitte und Stoffe oft von multinationalen Unternehmen an Herstellerfirmen in Entwicklungsländern geliefert, die in erheblichem Umfang Heimarbeit nutzen. Die Herstellung von Bekleidungsartikeln ist zu einer wirklich internationalen Tätigkeit geworden, die einen erheblichen Einfluß auf die Beschäftigung in den verschiedenen Ländern ausübt, wobei die Beschäftigung im Bekleidungssektor in den Entwicklungsländern zunimmt und in den Industrioländern mit Marktwirtschaft abnimmt22. Wenn die technologische Entwicklung des Industriezweigs eine deranigc Dezentralisierung des Produktionsprozesses zuläßt, ist es sehr wahrscheinlich, daß ein großer Teil der Arbeit an Subunternehmen vergeben wird. Eine kürzlich in Malaysia durchgeführte Umfrage bei 3.000 Fertigungsbetrieben kam zu dem Ergebnis, daß über ein Drittel aller Elektronik-, Textil- und Bekleidungsfirmen 3012-5.G94 10 Heimarbeit einen Teil der Fertigungstätigkeiten an Subunternehmen vergeben. Interessanterweise stellte sich heraus, daß die Auftragsvergabe an Subunternehmen um so häufiger war, je größer das betreffende Unternehmen war23. Mit diesem Trend der wachsenden Arbeitsflexibilität ist eine zunehmende Feminisierung der Erwerbsbevölkerung verbunden. Die Erwerbsquote der Frauen hat in den meisten Ländern rasch zugenommen und sich in einigen Ländern der der Männer angenähert24. Das Wachstum der weiblichen Beschäftigung war jedoch besonders stark im Bereich der Gelegenheitsarbeit. Es wurden zwar bereits einige Fortschritte erzielt, Frauen nehmen jedoch im allgemeinen nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt eine untergeordnete Position ein, was ihre Löhne und die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen betrifft. Dies führt zu ernsten Problemen insbesondere für Frauen, die den größten Teil des Familieneinkommens erwirtschaften. In Anbetracht der Schwierigkeiten vieler Frauen, eine feste Stelle zu finden, stellt die Heimarbeit eine wichtige — und manchmal die einzige — Möglichkeit zur Erzielung eines Einkommens dar. Die Heimarbeit ist aufgrund ihres Wesens weitgehend „unsichtbar" und wird daher oft in Makrodaten nicht erfaßt. In Mikrostudien wurde festgestellt, daß die Heimarbeit in letzter Zeit zugenommen hat. Teilweise könnte dies auf grundsatzpolitisch bedingte Veränderungen in der Struktur der Wirtschaft zurückzuführen sein. So haben landwirtschaftliche Politiken beispielsweise manchmal zu einer Zunahme der grundbesitzlosen Armen geführt, die sich während der Saison nach landwirtschaftlichen Arbeiten und in der Nebensaison nach anderen Hilfstätigkeiten umsehen. Selbst in „traditionellen" ländlichen Haushalten müssen Frauen immer öfter das Familieneinkommen durch Heimarbeit aufbessern. In Asien und Lateinamerika durchgeführte Fallstudien lassen den Schluß zu, daß ein enger Zusammenhang besteht zwischen Heimarbeit und wachsender Armut und Grundbesitzlosigkeit unter der Landbevölkerung25. Auf den Philippinen und in Sri Lanka haben die Bemühungen um eine Ausweitung der Ausfuhren-von handwerklich hergestellten Artikeln in Verbindung mit dem großen Angebot an Heimarbeitern, die ihre Arbeitskraft günstig anbieten, zu einer erheblichen Zunahme der nach Stücklohn bezahlten Heimarbeit geführt26. In vielen Entwicklungsländern Lateinamerikas haben das rasche Bevölkerungswachstum und massive Wanderungsbewegungen von ländlichen in städtische Gebiete zu einer Verlagerung von Arbeitskräften von der Landwirtschaft in die informellen Fertigungs- und Dienstleistungssektoren geführt. Diese Entwicklung, die durch die erdrückende Schuldenlast, die galoppierende Inflation und die ständig steigende Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren noch zusätzlich geschürt wird, hat viele arme Haushalte gezwungen, unterschiedliche Überlebensstrategien anzuwenden, darunter auch Heimarbeit. Da diese Haushalte nicht wie der formelle Sektor durch Lohnindexierungssysteme geschützt werden, mußten sie inmitten wachsender Armut ihr Überleben sichern. In letzter Zeit war in diesen Ländern zudem ein rasches Wachstum der Schattenwirtschaft zu beobachten, und die armen Bevölkerungsschichten sind gezwungen, den verschiedensten informellen Tätigkeiten und Schwarzarbeiten nachzugehen, die oft am besten in der eigenen Wohnung verrichtet werden. 3012-5.G94 Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit 11 Auch der technologische Wandel beeinflußt die Art und Weise, wie sich die Heimarbeit in Zukunft entwickeln wird. Insbesondere die Telearbeit dürfte an Bedeutung gewinnen. Sie hat sich zwar nicht so rasch entwickelt, wie ursprünglich angenommen, mit ihr muß jedoch gerechnet werden, da sie zweifellos zunehmen wird. Die Telearbeit sollte jedoch nicht von den schwierigen Fragen und Problemen ablenken, die sich im Zusammenhang mit den üblicheren und traditionelleren Formen der Heimarbeit stellen. MERKMALE DER HEIMARBEITER Aus vielen Erhebungen geht hervor, daß Frauen einen sehr hohen Anteil der Heimarbeiter stellen. Die folgenden Zahlen machen dies deutlich27. In Europa liegt der Frauenanteil unter Heimarbeitern bei 90 bis 95 Prozent in Deutschland, Griechenland, Irland, Italien und den Niederlanden, bei 84 Prozent in Frankreich, bei 75 Prozent in Spanien und bei 70 Prozent im Vereinigten Königreich. Es handelt sich vorwiegend um verheiratete Frauen mit Kindern im Durchschnittsalter von 25 bis 45 Jahren (d.h. die Jahre, in denen in den Industrieländern Kinder ausgetragen bzw. aufgezogen werden). In Japan waren 93,5 Prozent der Heimarbeiter in der 1988 durchgeführten Erhebung Frauen, und in der australischen Bekleidungsindustrie sind 95 Prozent der Beschäftigten Frauen (mehrheitlich Einwanderinnen). In einer Reihe von Industrieländern konzentriert sich die Heimarbeit auf die traditionellen Industriegebiete und die großen städtischen Ballungszentren, wo eine große Anzahl neuer (und oft illegaler) Einwanderer und ethnische Minderheiten leben. Oft können die Frauen aufgrund rassischer Diskriminierung, schlechter Sprachkenntnisse und einer mangelhaften formalen Ausbildung keine konventionelle Beschäftigung aufnehmen; viele ziehen es vor, anonym zu bleiben und zu Hause zu arbeiten. Dieses Phänomen zeigt sich deutlich in bestimmten Stadtteilen vieler städtischer Zentren in Europa und Nordamerika. Auch in den Entwicklungsländern stellen die Frauen die große Mehrheit der Heimarbeiter, etwa in der brasilianischen Bekleidungsindustrie und unter den 2,25 Millionen Bididrehern (Zigarettendreher) in Indien, von denen fast 90 Prozent Frauen sind. In einer in Algerien im Jahr 1991 veröffentlichten Studie waren fast 97 Prozent der Heimarbeiter Frauen, von denen die meisten mit Näharbeiten (39 Prozent), der Teppichherstellung (19 Prozent) und mit Strickarbeiten (13 Prozent) beschäftigt waren28. In der industriellen Heimarbeit übernehmen Männer oft die Rolle von Subunternehmern oder Zwischenmeistern oder sie verrichten Nebenaufgaben wie die Sammlung und Auslieferung von Material und Fertigwaren. Es kommt selten vor, daß sie selbst zu Hause arbeiten oder die Frauen unterstützen. In einigen Ländern gibt es jedoch Berufe, oft qualifizierter oder handwerklicher Art, die von Männern ausgeübt werden. So wird beispielsweise in Indien in Familien, die Handweberei betreiben, die vorbereitende Arbeit von Frauen und Kindern erledigt, während die Männer das eigentliche Weben übernehmen. Körperlich oder geistig Behinderte sind eine andere Kategorie von Arbeitnehmern, die vielfach von Heimarbeit abhängig sind, um ein Einkommen zu erzie3012-5.G94 12 Heimarbeit len. In einigen Ländern wird ihnen in der Gesetzgebung über Heimarbeit eine Vorzugsbehandlung eingeräumt. Insbesondere in osteuropäischen Ländern haben sie sich oft in Genossenschaften zusammengeschlossen. In Polen sind über eine Viertelmillion Heimarbeiter Mitglieder der Genossenschaftsbewegung der Körperbehinderten. Verschiedene andere Länder (z.B. Belgien, Frankreich und die Vereinigten Staaten) haben geschützte Werkstätten für behinderte Heimarbeiter eingerichtet, um ihrer Isolierung entgegenzuwirken und die Verteilung der Arbeit zu erleichtern. Staatliche Programme zur Unterstützung der Behinderten gibt es in vielen Ländern, wo mit Hilfe von Ausbildungsprogrammen versucht wird, sie für hochspezialisierte oder auch hochrangige Positionen zu qualifizieren. Es kommt oft vor, daß Heimarbeiter andere Familienangehörige um Mithilfe bitten, insbesondere um bei starkem Arbeitsanfall Termine einzuhalten. In der Regel handelt es sich dabei um Kinder, auch in Industrieländern, wo bekannt ist, daß im Schutz der eigenen vier Wände in erheblichem Umfang illegale Heimarbeit von Kindern verrichtet wird. Ebenso ist bekannt, daß in den Entwicklungsländern Kinder einen bedeutenden Anteil der Erwerbstätigen im Bereich der Heimarbeit stellen. Dies ist ein Problem, das ausführlicher in Kapitel II behandelt wird. DIE ART DER VON HEIMARBEITERN VERRICHTETEN ARBEIT In den meisten Ländern dominiert nach wie vor die industrielle Heimarbeit, unabhängig davon, ob es sich um Industrie- oder Entwicklungsländer handelt. Die Palette der Tätigkeiten und Produkte ist sehr groß. Bekleidung, Textilien, Wand- und Bodenteppiche sowie bestimmte Arten der Lederverarbeitung (z.B. Schuhe) sind Industriezweige, in denen in Europa, Südostasien, Nordamerika und Lateinamerika traditionell Heimarbeit verrichtet wird. Die erforderliche Ausstattung ist minimal, und in vielen Fällen werden die Werkzeuge oder Maschinen nicht elektrisch betrieben; die Arbeit ist arbeitsintensiv, und sie kann zerlegt und auf Stücklohngrundlage verteilt werden. Im allgemeinen benötigt der Heimarbeiter einfache Fertigkeiten und eine gewisse manuelle Geschicklichkeit. In vielen Fällen erweitert sich jedoch das Spektrum der zu Hause durchgeführten Tätigkeiten. Nebenarbeiten wie Sortieren, Reinigen, Verpacken und Etikettieren sind arbeitsintensiv und daher für Heimarbeit geeignet. In Deutschland werden die Heimarbeiter unter 13 verschiedenen Industriezweigen aufgeführt: die größte Anzahl wird in der Eisen-, Metall-, Elektronikund optischen Industrie beschäftigt, gefolgt von den Bereichen Bekleidung, Chemie und kunststoffverarbeitende Industrie sowie Papier- und Pappeverarbeitung29. Ec sollte jedoch daraufhingewiesen werden, daß die Heimarbeiter bei der Erstellung von Statistiken unabhängig von ihrer genauen Tätigkeit in der industriellen Kategorie des Endprodukts angeführt werden. So ist es beispielsweise w-niig w, brscheinlich, daß zahlreiche Heimarbeiter chemische Arbeiten zu Hause dun hiük, <•>.. In Japan, wo die Auftragsvergabe an Subunternehmen sehr häufig ist, gehöif ii das Spulenwickeln oder das Löten von Radio- oder Fernsehteilen zu den Tätigkeiten, die in Heimarbeit ausgeführt werden. 3012-5.G94 Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit 13 In Lateinamerika ist eine Form der Heimarbeit sehr verbreitet, die als maquila (Zusammensetzung) bezeichnet wird, wobei die Arbeit (z.B. die Herstellung eines Kleidungsstücks) in verschiedene Bestandteile zerlegt wird, die von verschiedenen Heimarbeitern übernommen werden und anschließend zum Endprodukt zusammengefügt werden. Auch die Montage von Teilen für Automobile wird in Teilen Lateinamerikas auf diesem Weg bewerkstelligt. Abgesehen von der Bekleidungsindustrie gibt es in Indien viele andere traditionelle Industriezweige, die Heimarbeit nutzen. Einige widmen sich der Zubereitung von Speisen, etwa dem Rollen von patad (Teig), der Herstellung von Bidi (Zigaretten) und agarbatti (Räucherstäbchen) sowie der Montage von Elektro- und Elektronikerzeugnissen. Im Dienstleistungssektor nimmt die Heimarbeit immer mehr zu. In vielen Industrieländern, wo die Heimarbeit in den letzten zehn Jahren stagnierte oder sogar rückläufig war, nimmt sie jetzt in Anbetracht der Stärkung des Dienstleistungssektors wieder zu. Vieles spricht dafür, daß in Ländern wie Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten die Anzahl derjenigen, die im Dienstleistungssektor zu Hause arbeiten, weit höher liegt als die der manuellen Heimarbeiter. Ein großer Teil dieser Arbeit entfällt auf Büroarbeiten: Schreibmaschineschreiben, Text- und Datenverarbeitung, das Schreiben von Rechnungen sowie Redigieren und Übersetzen. Darüber hinaus gibt es einfache Aufgaben, etwa Adressieren von Briefumschlägen und Kuvertieren, Werbesendungen vorbereiten usw. Eher traditionelle Tätigkeiten umfassen Wäschereinigung, Frisieren, Lebensmittelzubereitung und Kinderbetreuung. Am anderen Ende der beruflichen Skala befindet sich die Telearbeit, bei der die Arbeit zu Hause an einem PC oder einem Bildschirm erledigt wird, der mit dem Zentralcomputer des Betriebs verbunden ist. Ein Teil der Telearbeit ist jedoch eine moderne Form der Büroarbeit (z.B. Text- und Datenverarbeitung), die von Industrieländern an Entwicklungsländer vergeben werden kann, wo die Arbeits- und sonstigen Kosten niedriger sind. Insbesondere in den Entwicklungsländern können auch eine Reihe von Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Sektor als Heimarbeit bezeichnet werden: Baumwollentkernung, Reisschälen, Tabakschneiden, Erbsenschälen, Nüsseknacken, das Dreschen von Jute usw. In einigen Fällen übernehmen Heimarbeiter sogar die Aufzucht von Vieh und Geflügel und geben die Tiere an den Besitzer zurück, wenn sie eine marktfähige Größe erreicht haben. Für diese Art von Arbeit werden Heimarbeiter in der Regel in Naturalien bezahlt. Die Fischindustrie ist ein weiterer Sektor, wo bestimmte Arten arbeitsintensiver Arbeiten an Heimarbeiter vergeben werden. Das Schälen von Garnelen ist eine typische Heimarbeit in vielen asiatischen Ländern, aber auch in den Niederlanden werden viele Heimarbeiter damit beschäftigt. Darüber hinaus wird das Reinigen und Verpacken von anderen Sorten von Fisch oft von Heimarbeitern übernommen. 3012-5.G94 14 Heimarbeit Anmerkungen 1 Zur Vertiefung dieses Problems siehe IAA: Report of the Conference, 15. Internationale Konferenz der Arbeitsstatistiker, Genf, 1993, resolution concerning the International Classification of Status in Employment, S. 65-72; ebd., Revision ofthe International Classification of Status in Employment, Bericht IV; und IAA: Revision of the International Classification of Status in Employment, Bericht n, Sachverständigentagung über Arbeitsstatistiken, Genf, 1992. 2 IAA: Die Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit, Bericht VII, Internationale Arbeitskonferenz, 77. Tagung, 1990 (Genf, 1990), S. 2. 3 IAA: Statistical sources and methods, Bd. 3: Economically active population, employment, unemployment and hours of work (household surveys) (Genf, 1990). * W. McLennan: Persons employed at home, Australia, Apr. 1989, (Canberra, Australian Bureau of Statistics, 1989; Katalog Nr. 6275.0). 5 C. Hakim: „Homeworking in Britain: Key Undings from the national survey of home-based workers", in Employment Gazette (London, HMSO), Febr. 1987. 6 Siehe IAA, Report of the Conference, a.a.O., und Kapitel IV, „Institutional sectors and units", in Vereinte Nationen: Revised System of National Accounts, Abschn. G.3 (ST/ESA/SER.F/2/Rev.4). 7 F.W. Horvath: „Work at home: New findings from the current population survey", in Monthly Labor Review (Washington, D.C., Bureau of Labor Statistics), Nov. 1986. 8 Europarat: The protection ofpersons working at home, Report prepared by the Study Group ofthe 1987/88 Co-ordinated Social Research Programme (Straßburg, 1989), S. 8-9. 9 Management and Co-ordination Agency: Laborforce survey. 10 Direction des statistiques sociales: Enquete main-d'oeuvre 1989 (Algier, ONS, 1991). " Census of India 1981, Series 1: India, Part-iI-Special: zitiert bei H. Dholakia: „On Estimating Home Workers in India", in B.B. Patel (Hrsg.): Problems of home-based workers in India (Gandhi Labour Institute, Ahmedabad, 1989), S. 33-51. 12 E. Bhatt: „The invisibility of home-based work: The case of piece-rate workers in India", inA.M. SinghundA. Kelles-Viitanen(Hrsg.): Invisiblehands: Women in home-basedproduction (Neu-Delhi, Sage Publications, 1987), S. 29. 13 IAA: HomeworkersofSoutheastAsia — The strugglefor social protection in the Philippines (Bangkok, 1992), S. 2. 14 IAA: From the shadows to the fore — Practical actions for the social protection of homeworkers in Philippines (Bangkok, IAA, 1993). 15 H. Wijaya: „Home-based workers in Indonesia: A short note", auf dem AhmedabadWorkshop vorgestelltes Papier, Apr. 1989 (Malang, Indonesien, The Rural Development Foundation; hektographiert). 16 B. Schmukle: „Relaciones actuales de producciön en industrias tradicionales argentinas", zitiert bei J.C. Neffa: Condiciones y medio ambiente de trabajo de los trabajadores a domicilio en Argentina (Genf, IAA, 1987; hektographiert). 17 IAA: Contract labour in the clothing industry, Bericht n, Zweite Dreigliedrige Fachtagung für die Bekleidungsindustrie, Genf, 1980, S. 21-22. " Asociaciön laboral para el desarrollo (ADEC, ATC): Trabajo a domicilio — Peru (Lima, 1989; hektographiert). " IAA: World employment review (Genf, Weltbeschäftigungsprogramm, 1988). 20 G. und I. Rodgers (Hrsg): Precarious Jobs in labour market regulation: The growth of atypical employment in Western Europe (Genf, Internationales Institut für Arbeitsfragen, IAA, 1989, S. 9. 21 G. und J. Rodgers, a.a.O., S. 10. 22 IAA: General report, Bericht I, Zweite Dreigliedrige Fachtagung für die Bekleidungsindustrie, Genf, 1980. 23 G. Standing: Growth of extemal labour flexibility in a nascent NIC: Malaysian Labour Flexibility Survey (MFLS), WEP Research Working Paper No. 35 (Genf, IAA, 1989). 24 G. Standing: Global feminisation through flexible labour, Labour Market Analysis and Employment Planning, Working Paper No. 31 (Genf, IAA, 1989). 3012-5.G94 Definition, Umfang und Hauptmerkmale der Heimarbeit 25 15 Siehe beispielsweise R. Pineda-Ofreneo: „Philippine domesticoutwork: Subcontracting for export-orientated industries", in J.G. Taylor und A. Turton (Hrsg): Sociology of developing societies: South-east Asia (Macmillan, 1988), S. 158-164; und Chulalongkorn University Social Research Institute: Thailand rural women homeworkers, auf der IAO-Fachtagung für ländliche Heimarbeiterinnen vorgelegter Bericht, Bangkok, Juni 1989, S. 1-9. 26 Siehe beispielsweise V. Miraiao: „Labour conditions in the Philippine craft industries", in S. Kathuria, V. Miraiao und R. Joseph (Hrsg): Artisan industries in Asia: Four case studies (IRDC, Kanada, 1988); Centre for Women's Research: Subcontracting in industry — Impact on women (Colombo, 1989); und S. Mukhopadhy: Urban labour markets in India, Labour Analysis and Employment Planning, Working Paper No. 32 (Genf, IAA, 1989). 27 Nähere Einzelheiten in IAA: Conditions ofWork Digest — Home work, Bd. 8, Nr. 2 (Genf, 1989), S. 7-9. a Direction des statistiques sociales, Enquete main-d'oeuvre 1989, a.a.O., S. 137. 25 Bundesarbeitsblatt (Bonn), Nr. 3, März 1985, S. 133. 3012-5.G94 KAPITEL II VOR- UND NACHTEILE DER HEIMARBEIT Während der Debatte über den Tagesordnungspunkt wurde im Verwaltungsrat der Wunsch geäußert, sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte der Heimarbeit hervorzuheben. Die anhaltende Nachfrage nach Heimarbeit auf Arbeitnehmer- wie auch Arbeitgeberseite zeigt in der Tat, daß diese Arbeitsform beiden Vorteile bringt. Deshalb wird dieses Kapitel zunächst einen Überblick über die Vorteile und Möglichkeiten geben, die die Heimarbeit den Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Volkswirtschaften bietet, bevor die Hauptfragen und -probleme aufgeworfen werden, die aus der Natur dieser Arbeit und der Art ihrer Abwicklung in Entwicklungs- wie auch in Industrieländern entstehen. VORTEILE FÜR DIE ARBEITGEBER Der Hauptvorteil der Heimarbeit für die Arbeitgeber liegt in ihrer Flexibilität. Diese Flexibilität hat direkte Folgen für die Kostenstruktur und Gewinnmargen eines Unternehmens. Sie wirkt sich auf dreierlei Weise aus: erstens durch die größere Freiheit, das an die Heimarbeiter verteilte Arbeitsvolumen zu variieren, zweitens durch die verbesserte Fähigkeit, auf unregelmäßige und saisonbedingte Marktveränderungen zu reagieren, und drittens durch die erweiterten Möglichkeiten, die Natur der Arbeit zu verändern. In vielen Ländern, ganz besonders, aber nicht ausschließlich, in den Industrieländern, sind viele von Heimarbeit abhängige Wirtschaftssektoren durch unregelmäßige und saisonbedingte Nachfrageschwankungen, hohe Produktdifferenzierung sowie Schwankungen in Mode und Tendenzen gekennzeichnet. Die Heimarbeit ist unschwer in der Lage, ihr Produktionsvolumen und ihre Erzeugniseigenschaften den Marktbedürfnissen anzupassen. Vom Standpunkt der Arbeitsorganisation können die Arbeitgeber folgende gewichtige Argumente zugunsten der Heimarbeit vorbringen: Sie verfügen für die Personalsuche über einen bedeutend größeren Einzugsbereich als bei der andernfalls bestehenden Beschränkung auf einen Bereich mit „zumutbaren" Entfernungen vom Arbeitsplatz, sie können Arbeitnehmer einstellen, wann immer sie sie nach Maßgabe saisonbedingter und sonstiger Bedarfsschwankungen benötigen, sie müssen sich weniger mit Gewerkschaften auseinandersetzen, und sie können in Einzelfällen auf die „besten und intelligentesten" Arbeitskräfte zurückgreifen'. 3012-5.G94 Vor- und Nachteile der Heimarbeit 17 Der am stärksten ins Gewicht fallende Vorteil für die Arbeitgeber ist mit Sicherheit die organisatorische Maßnahme der geographischen Streuung der Arbeitskräfte im Weltmaßstab, das sogenannte „offshoring". Mit diesem Verfahren werden Arbeiten von Unternehmen in Industrieländern an Arbeitskräfte in Entwicklungsländern vergeben. So verwenden z.B. Firmen der Vereinigten Staaten Bürokräfte in Barbados, China, Indien, Irland, Jamaika, der Republik Korea, Mexiko und Singapur2 für die elektronische Datenfernverarbeitung und -Verwaltung, in erster Linie wegen der durch diese Strategie gebotenen Möglichkeiten der Einsparung organisationsbedingter Kosten (Kapital-, Betriebs- und Arbeitskosten). Diese Betriebsweise beruht häufig auf Informationstechnologien mit kompatibler Hardware und Software, der Verfügbarkeit anpassungsfähiger (vielfach junger) Arbeitskräfte, die mit diesen Technologien vertraut sind, sowie auf dem Umstand, daß ein derartiger Betrieb wenig Investitionen benötigt und daher kostengünstig wieder eingestellt oder verlagert werden kann. Abgesehen von den kostengünstigen Auswirkungen der erwähnten organisatorischen Flexibilität bietet die Heimarbeit dem Arbeitgeber weitere sehr erhebliche Kostenvorteile, wie z.B. die Möglichkeit einer Senkung der Arbeitskosten. Heimarbeiter werden gewöhnlich auf Stücklohnbasis entlohnt, und es herrscht allgemein die Auffassung, daß die Löhne für Heimarbeit niedriger, in den meisten Fällen wesentlich niedriger, sind als die innerhalb des Betriebs für quantitativ und qualitativ vergleichbare Arbeit gezahlten Löhne. Selbst bei gleichen Nominallöhnen können die realen Kosten durch höhere Produktivität gesenkt werden. Dies wurde insbesondere bei der Telearbeit beobachtet. Nach einem Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften3 hat die Einführung der Heimarbeit in zwei Programmierfirmen im Vereinigten Königreich angeblich zu einer Produktivitätssteigerung von 30 oder mehr Prozent geführt. Derselbe Bericht erwähnt eine in Frankreich durchgeführte Untersuchung, aus der hervorgeht, daß die Heimarbeit in einer EDV-Dienstleistungsfirma die Produktivität wesentlich verbesserte. Nach allgemeinen Schätzungen liegen die Produktivitätsgewinne im Bereich zwischen 20 und 100 Prozent. Als Gründe für die Produktivitätsgewinne werden genannt: keine Arbeitsunterbrechung und bessere Konzentration, stärkere Motivierung und höhere Arbeitszufriedenheit, mehr Arbeitsinteresse und bessere Arbeitsmoral, gestiegene Arbeitsenergie dank Wegfall von Zeitverlust und Nervenbelastung durch Fahrten zur Arbeit, unbezahlte oder nur teilweise bezahlte Überstunden. Geringere Arbeitskosten ergeben sich auch aus den niedrigeren Soziallasten für Heimarbeiter. Während die Beiträge zur Sozialen Sicherheit und zu anderen Sozialleistungen im Fall der im Betrieb arbeitenden Arbeitnehmer fast immer zu Lasten des Arbeitgebers gehen (oder von ihm und dem Arbeitnehmer geteilt werden), entfallen sie bei Heimarbeitern oder werden umgangen. Die Heimarbeit bietet auch Gelegenheiten zur Senkung von Kapital- und Betriebsgemeinkosten. Die Dezentralisierung von Arbeit und Produktion ermöglicht Einsparungen an Fabrik- und Büroraum, verbunden mit einer Senkung von Zins- und Mietkosten, Heizungs-, Beleuchtungs-, Strom- und sonstigen Energiekosten, Versicherungsprämien und ähnlichen Ausgaben. Versuche mit Telearbeit bei Rank Xerox im Vereinigten Königreich führten 1982 zu wesentlichen Kürzungen der Gesamtbetriebskosten und einer Dezentralisierung von Arbeitspro3012-5.G94 18 Heimarbeit zessen auf Dauer. Eine französische Untersuchung gelangte zu der Erkenntnis, daß schätzungsweise 15 Prozent der Fixkosten durch Heimarbeit eingespart werden können4. Die Heimarbeit kann auch eine Erweiterung der Produktionskapazitäten ermöglichen, ohne daß Investitionen in Kapitalgüter wie Gebäude, Maschinen und Anlagen notwendig sind. Heimarbeit erlaubt dem Unternehmen eine bessere Kontrolle seiner Produktionskosten. Besonders kleine Firmen können durch die Arbeitszuteilung auf Stückbasis die Arbeitskosten je Produktionseinheit viel genauer kalkulieren, als dies sonst der Fall ist. Eine moderne Organisationsstrategie zur Verringerung der Produktions- und sonstigen Betriebskosten besteht darin, den Fertigungsprozeß in immer kleinere Einzelabschnitte zu zerlegen, so daß zahlreiche Unterauftragnehmer beteiligt und somit bestimmte Vorgänge an einzelne Heimarbeiter vergeben werden können. Bestimmte Spezial- oder Schlüsselaufgaben verbleiben aus Qualitätsgründen und zu sonstigen Kontrollzwecken im Betrieb, während die einfachen Arbeitsaufgaben Heimarbeitern übertragen werden. In bestimmten Fällen werden Arbeiten von spezialisierter Art an zuverlässige Spezialfirmen oder sogar einzelne Heimarbeiter vergeben. Bestimmte Produktionsverfahren zeichnen sich durch langjährige Handwerkstradition aus;.einige Beispiele unter vielen sind die Glasbläserei, Stickerei, Trachtenstickerei, das Schnitzen von Musikinstrumenten und andere Holzbearbeitungsverfahren. Diese Arbeiten erfordern Fertigkeiten und Erfahrung und verlangen Liebe zum Detail, handwerkliches Geschick und persönliche Kreativität. Heimarbeit ist die natürliche Umwelt dieser Handwerker, und ein Arbeitgeber würde kaum eine Anzahl von Arbeitskräften mit den erforderlichen Fähigkeiten finden, die bereit wären, unter den üblichen Fabrikbedingungen zu arbeiten. Häufig hilft der Tourismus, die Nachfrage nach solchen Erzeugnissen anzufachen, was zur Entstehung von Einzelhandelsläden und Großhandelsbetrieben führt, die die Produktion von großen Mengen in Auftrag geben. Diese muß dann an ein Netz von Heimarbeitern verteilt werden. MÖGLICHKEITEN FÜR DIE ARBEITNEHMER Nicht alle Vorteile der Heimarbeit kommen den Arbeitgebern zugute. Für die Arbeitnehmer stellt die Heimarbeit eine Gelegenheit dar, zum Familieneinkommen beizutragen, zu Hause zu arbeiten und dabei gleichzeitig die Kinder zu betreuen oder anderen Aufgaben nachzugehen, den Arbeitsrhythmus selbst zu wählen und in manchen Fällen mehr zu verdienen als ein normal beschäftigter Vollzeitarbeitnehmer, weil Heimarbeiter für mehrere Arbeitgeber zugleich arbeiten können. Die Heimarbeit bietet einzigartige Erwerbsmöglichkeiten für Arbeitnehmer, die aus Familiengründen, z.B. weil sie Kinder beaufsichtigen oder Kranke oder Alte pflegen müssen, an ihr Heim gebunden sind, wie auch für Personen, die selbst alt oder behindert sind. Vielen Menschen in diesen Gruppen, vor allem weiblichen Haushaltsvorständen, bietet die Heimarbeit die einzige reale Möglichkeit, zum Familienbudget und zu ihrem eigenen Unterhalt beizutragen. Uber3012-5.G94 Vor- und Nachteile der Heimarbeit 19 wältigend sind die Beweise dafür, daß es sich bei der großen Mehrheit der Heimarbeiter um Frauen handelt, für die es schwierig, wenn nicht gar völlig unmöglich wäre, eine reguläre Beschäftigung zu finden. Dies trifft besonders dort zu, wo, aus welchen Gründen auch immer, Einrichtungen zur Kinderbetreuung wie Tageskindergärten und -krippen an Arbeitsstätten oder in der Gemeinde selten, inexistent oder unerschwinglich sind. Auch andere Gruppen benachteiligter Personen machen sich die von der Heimarbeit gebotenen Vorteile zunutze. Diese Gruppen, die man als marginalisierte Arbeitskräfte bezeichnen könnte, umfassen Neueinwanderer, ethnische Minderheiten und die Armen in Stadt und Land, die ohne diese Zufluchtsmöglichkeit buchstäblich mittellos wären, insbesondere in Verhältnissen, wo die Leistungen der Sozialen Sicherheit kein wirksames Auffangnetz darstellen. Neueinwanderer und ethnische Minderheiten benötigen Zeit, um in ihrer neuen Gemeinschaft Fuß zu fassen. Heimarbeit kann hier den am leichtesten zu beschreitenden Weg zum Arbeitsmarkt darstellen. Sie ist unter Umständen auch eine „Brücke" zu regelmäßigeren Beschäftigungsformen. Wo religiöse und kulturelle Gebräuche die Mobilität der Frauen und ihre direkte Teilnahme am offenen Arbeitsmarkt beschränken, kann die Heimarbeit eine geeignete Alternative sein. Selbst wenn die Arbeit beim Arbeitgeber abgeholt und abgeliefert werden muß, kann dies von Männern besorgt werden, während die Arbeit selbst von Frauen zu Hause ausgeführt wird. In anderen Fällen kann bezahlte Arbeit als unschicklich für „ehrbare" Ehefrauen betrachtet werden, weshalb sie in der Privatsphäre des eigenen Heims geleistet wird5. Ein der Heimarbeit seit jeher zugeschriebener Vorteil ist die Unabhängigkeit des Heimarbeiters. Diese können zu Hause arbeiten, zu ihnen genehmen Zeiten und in ihrem eigenen Rhythmus. Sie sind auch von den Regeln und Zwängen befreit, denen zwangsläufig jede Person unterliegt, die mit anderen unter demselben Dach zusammenarbeitet. Sie sind keiner unter Umständen als lästig empfundenen Beaufsichtigung unterworfen. Für die meisten Telearbeiter, jedenfalls für die hochqualifizierten Fachkräfte, kann der wahre Gewinn zumeist in einer echten Flexibilität und Autonomie bestehen, im Gegensatz zu vielen manuellen Heimarbeitern, bei denen diese nur in der Einbildung gegeben sind. Die Heimarbeit leistet auch einen Beitrag zur Gesamtverbesserung der Qualität des Arbeitslebens, indem sie die Streßbelastung durch die Fahrt von und zur Arbeit ausschaltet6. VORTEILE FÜR DIE VOLKSWIRTSCHAFT Das durch Heimarbeit erzielte Einkommen ist nicht nur für das Überleben armer Familien, sondern auch für die Volkswirtschaft wichtig. Die Heimarbeit spielt eine bedeutende Rolle im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und leistet in manchen Fällen einen erheblichen Beitrag zum BSP und zu den Exporterlösen der Länder. Wegen der Unzulänglichkeit der makroökonomischen Angaben über Heimarbeiter kann über die Auswirkungen der Heimarbeit auf die Volkswirtschaften 3012-5.G94 20 Heimarbeit nur sehr wenig gesagt werden. Es gibt jedoch bestimmte Indikatoren, aus denen hervorgeht, daß die Heimarbeit in mehreren Ländern in letzter Zeit wesentlich zu den Ausfuhrerlösen beigetragen hat. Auf den Philippinen7 z.B. verzeichneten die Produktion und Ausfuhr von Bekleidung, Handwerkserzeugnissen und Schuhen in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung. Die meisten dieser Industriezweige sind bekanntlich stark auf Heimarbeit angewiesen. Ein hoher Anteil der Heimarbeit an Exportindustrien wurde auch von Bangladesch, Indien8, Sri Lanka9, Thailand10 und der Türkei" berichtet. Heimarbeiter bleiben zwar in amtlichen Statistiken im allgemeinen als Produktionsarbeitskräfte unberücksichtigt, doch ist ihr Beitrag zum Einkommen der Haushalte, besonders der sehr armen Haushalte, in der Praxis nachweislich ganz erheblich. In einer Umfrage unter ländlichen Heimarbeitern in Aguascalientes in Mexiko12 wurde festgestellt, daß 69 Prozent des Einkommens der am Rande des Existenzminimums lebenden Haushalte aus der maquila, d.h. Heimarbeit, stammte. In städtischen Haushalten ist diese Abhängigkeit dagegen im Durchschnitt weniger ausgeprägt. In Mexiko-Stadt13 z.B. machte das Einkommen aus maquila durchschnittlich 25 Prozent des Haushaltseinkommens der untersuchten Haushalte aus und zeigte ein hohes Maß an Streuung. Bei einer Stichprobenauswahl von Teppichweberinnen in der Zentraltürkei" wurde festgestellt, daß 50 Prozent der Haushaltseinkommen aus der Heimarbeit in Haushalten stammte, die von Monokulturen lebten. Selbst unter den etwas bessergestellten Familien, die Doppelfruchtanbau betreiben, stellte das Teppichweben der Frauen in Heimarbeit ein Drittel der Haushaltseinkommen dar. In den meisten Fällen dient das Einkommen aus Heimarbeit der Deckung der Grundbedürfnisse der Haushalte. Im Rahmen einer Erhebung über Akkordarbeit in Lahore, Pakistan, erklärten zwar über 38 Prozent der befragten Frauen, daß die Ersparnisse aus dem Heimarbeitsverdienst zur Bezahlung ihrer Mitgift verwendet würden, doch hatten mehr als 75 Prozent dieses Einkommen benutzt, um Haushaltsbedürfnisse zu befriedigen oder die Ausgaben für Kindererziehung oder Gesundheitspflege zu bestreiten14. Ein weiterer Vorteil der Heimarbeit besteht darin, daß sie dazu verwendet werden kann, die Wirtschaft in entlegenen und notleidenden Regionen zu beleben. So kann die Heimarbeit z.B. in ländlichen Gebieten mit saisonabhängiger Landwirtschaft und ohne sonstige Arbeitsmöglichkeiten eine wichtige Ergänzung der Einkommen während der beschäftigungsarmen Zeiten im landwirtschaftlichen Kreislauf darstellen. Dies erspart es den Arbeitnehmern, weite Strecken zurückzulegen, um Arbeit zu finden, oder ihren Heimatort zu verlassen, was sie nur ungern tun würden, nicht einmal um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Unter diesen Umständen kann die Schaffung von Heimarbeit ein bewußt angestrebtes Ziel der staatlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik sein. So wird z.B. in der Schweiz von der Regierung seit langem anerkannt, daß die Heimarbeit einen wertvollen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Beitrag zu den Bemühungen leistet, der Abwanderung aus ländlichen Gebieten und Bergregionen Einhalt zu gebieten, und sie gewährt dazu eine finanzielle und verwaltungsmäßige Unterstützung aus Bundesmitteln. Die vorstehenden Beispiele zeigen, daß die Heimarbeit zur regionalen und nationalen Wirtschaftstätigkeit sowie zur Einkommensschaffung in sehr armen 3012-5.G94 Vor- und Nachteile der Heimarbeit 21 Haushalten, die so gut wie keine alternativen Erwerbsmöglichkeiten haben, einen wesentlichen Beitrag leistet. Kapitel V beschreibt, mit welchen Maßnahmen die Wirtschaftsentwicklung in ländlichen Gebieten gefördert werden konnte. PROBLEME UND FRAGEN Die Heimarbeit hat, wie man sieht, Vorteile für die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Volkswirtschaften. Sie fallen jedoch nicht auf natürliche oder unvermeidliche Weise zusammen; sie können vielmehr Interessenkonflikte hervorrufen und vielerlei Probleme und Fragen aufwerfen, was sie in der Tat auch tun. Das schlimmste Problem ist die Tatsache, daß Heimarbeiter zum weitaus größten Teil sehr schlecht entlohnt werden, übermäßig lange Arbeitszeiten haben und so gut wie keinen Sozialschutz genießen. Andere Gefahren sind die Isolierung von Arbeitskollegen und das Eindringen der Heimarbeit in das Privatleben der Arbeitnehmer. Niedriges Lohnniveau Das sehr niedrige Lohnniveau der weitaus meisten Heimarbeiter ist das folgenschwerste Einzelproblem, weil es mit anderen Problemen einhergeht oder sie verursacht. Heimarbeiterlöhne beruhen fast überall auf dem Stücklohnsystem, und dessen Folgen sind übermäßig lange Arbeitszeiten, die Beschäftigung einer versteckten Armee unbezahlter „Assistenten" und Kinderarbeit. Überarbeitung untergräbt daneben die Gesundheit und beeinträchtigt die Qualität des Arbeitslebens im allgemeinen. Niedrige Löhne für Heimarbeit sind die Regel. Eine in Ahmedabad, Indien", durchgeführte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß unter den Arbeitnehmern des informellen Sektors die Heimarbeiter am schlechtesten bezahlt wurden. Im Zeitpunkt der Untersuchung verdienten sie im Monatsdurchschnitt nur 130 Rupien, während Straßenverkäufer etwa 250 Rupien und ungelernte Arbeiter 170 Rupien verdienten. Im Distrikt Allahabad von Uttar Pradesh lebten 75 Prozent der Frauen, die zu Hause bidi (Zigaretten) drehten, unterhalb der Armutsgrenze für die ländliche Bevölkerung. In Gujarat waren die meisten bidi-Dxthtrinnen in der Lage, täglich etwa 1000 bidi zu drehen, womit sie 6 bis 8 Rupien verdienten, während der amtliche Mindestlohn zu jener Zeit 11,66 Rupien täglich betrug (der Wechselkurs lag damals — 1983 — bei 9,80 Rupien je US-Dollar). In der Bekleidungsindustrie in Delhi16 schwankte der Stücklohn für Zuschneidearbeit zwischen 0,50 und 2,00 Rupien. Das tägliche Durchschnittseinkommen betrug 6 Rupien, und nur sehr wenige Arbeitnehmerinnen kamen auf 10 Rupien am Tag, was überhaupt nur während der sehr kurzen Spitzenproduktionszeit möglich war. Ähnliche Berichte über Niedriglöhne liegen für Indonesien, die Philippinen und Thailand vor. Fast immer sind die Löhne für Heimarbeiter niedriger als für die entsprechenden Fabrikarbeiter. In der Bekleidungsindustrie in Säo Paulo, Brasilien17, erhielt z.B. eine Heimarbeiterin für die Fertigung einer Bluse 26 Cruzeiros, eine Fabrikarbeiterin dagegen für die gleiche Arbeit 55 Cruzeiros, 3012-5.G94 22 Heimarbeit und für einen Blazer nur 36 Cruzeiros gegenüber einem Fabrikarbeiterlohn von 72 Cruzeiros. Niedriglöhne beschränken sich darüber hinaus nicht auf traditionelle Gewerbe wie die Bekleidungsfertigung, sondern erstrecken sich z.B. in Mexiko-Stadt auf die Herstellung von Spielzeug, elektronischen Spulen, Kunststoffartikeln usw. für einen wöchentlichen Heimarbeiterlohn von 444 Pesos bei 48 Wochenstunden, was wesentlich unter dem Mindestlohn liegt18. Die Hauptursachen des niedrigen Lohnniveaus für Heimarbeiter liegen in den Grundgegebenheiten, die überhaupt erst zur Entstehung dieser Arbeitsform führten, nämlich in ihrer sozialen Anfälligkeit. Die große Mehrheit der Heimarbeiter sind Frauen, die häufig, besonders in Entwicklungsländern, den ärmsten Gesellschaftsschichten angehören und deshalb verzweifelt nach Mitteln zum wirtschaftlichen Überleben suchen. Wahrscheinlich arbeiten sie in ländlichen Gebieten, wo alternative Arbeitsmöglichkeiten, selbst in der Landwirtschaft, knapp und gewöhnlich saisonabhängig sind. Sie arbeiten dann und nur dann, wenn Aufträge hereinkommen, und sehen sich ohne Arbeit, wenn keine mehr vorliegen, und akzeptieren Lohnsätze weit unter den üblichen Sätzen für ungelernte Arbeit. In vielen in Entwicklungsländern durchgeführten Untersuchungen wurde festgestellt, daß die Heimarbeiter sich über ein ungenügendes und unregelmäßiges Arbeitsangebot beklagten. Sie scheuten sich, höhere Lohnsätze zu verlangen, um nicht den Verlust ihrer Arbeit zu riskieren, da viele andere Heimarbeiter bereitwillig die Arbeit zu den angebotenen Sätzen angenommen hätten. In allen Ländern haben Heimarbeiter die Tendenz, sich von anderen Arbeitnehmern zu isolieren. In Entwicklungsländern gehören Heimarbeiter dem informellen Wirtschaftssektor an, während es sich in Industrieländern bei ihrer Arbeit durchaus um Schwarzarbeit oder eine „unsichtbare" Tätigkeit handeln kann. Alle diese und noch andere Faktoren versetzen die Heimarbeiter in eine sehr schwache Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber oder Subunternehmer, und es ist durchaus möglich, daß sie keine Vorstellung darüber haben, zu welchem Preis das von ihnen hergestellte Erzeugnis verkauft wird. Die extrem schwache Verhandlungsposition der Heimarbeiter, besonders in ländlichen Gebieten, wurde in einer Studie über die Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie in Aguascalientes (Mexiko)19 hervorgehoben. Im Jahr 1982 erhielten Frauen, die mit Nähmaschinen Wäschestücke mit Blumenmustern verzierten, pro Stück nur 10 bis 20 mexikanische Cents, so daß sie zwei Stunden brauchten, um 20 Pesos (damals etwa 50 US-Cents) zu verdienen. Die gleiche Studie berichtet, daß gewerbliche Heimarbeit im ländlichen Sektor stark konzentriert ist unter Frauen aus Haushalten, denen das Land für eine Selbstversorgungswirtschaft fehlt oder die von landwirtschaftlicher Lohnarbeit lebten (d.h. die Ärmsten unter den Armen). Niedriglöhne findet man auch in Industrieländern, insbesondere unter Heimarbeitern aus Einwandererkreisen und ethnischen Minderheiten, wie z.B. im Vereinigten Königreich20. In manchen Industrieländern, selbst da, wo die Stücklohntarife für Heimarbeiter und Fabrikarbeiter laut Gesetz gleich sein sollten, kommt es vor, daß Heimarbeiter am Ende weniger verdienen als ihre Kollegen in der Fabrik, weil ihnen in der Praxis eine schwierigere Arbeit zugeteilt wird. In Australien21 haben Heimarbeiter aufgrund des Bundesschiedsspruchs für die Bekleidungsindustrie 3012-5.G94 Vor- und Nachteile der Heimarbeit 23 Anspruch auf einen mit dem der Fabrikarbeiter vergleichbaren Lohn, aber der Arbeitgeber ermittelt die Zeit, die zur Ausführung der einzelnen Arbeitsvorgänge benötigt wird. So erhielt z.B. 1983 eine Heimarbeiterin für das Nähen von Kleidern mit „Designer-Etiketts" einen Stücklohn zwischen 2,50 und 2,75 australischen Dollar (1983 entsprach 1,27 australische Dollar 1 US-Dollar). Die Fertigstellung jedes einzelnen Kleides erforderte mehr als eine Stunde. Sie arbeitete 70 bis 75 Stunden wöchentlich, um 230 bis 240 australische Dollar zu verdienen. Fabrikarbeiterinnen erhielten einen Stundenlohn von 6 Dollar zuzüglich Nebenleistungen. In einem anderen Fall zahlte ein Arbeitgeber einer lizensierten Heimarbeiterin brutto 1,80 australische Dollar je Kleidungsstück und räumte zu seiner Fertigstellung ohne Rücksicht auf die Kompliziertheit der Arbeit insgesamt 20 Minuten ein. Nach Aussage der Heimarbeiterinnen brauchten sie für die meisten Modelle mehr als 20 Minuten zur Fertigstellung, bei einigen sogar 40 Minuten. Hinzu kam, daß die Heimarbeiterinnen oft zusätzliche Arbeiten erledigen mußten, wie z.B. das Auspacken der Arbeitsbündel, die Überprüfung von Nummern, das Zählen und Verpacken der fertigen Kleidungsstücke usw., während diese Aufgaben in der Fabrik anderen Arbeitskräften zufielen. Eine Untersuchung über Heimarbeit im Gebiet von Tilburg in den Niederlanden22 kam zu der Feststellung, daß die Heimarbeiter auf Stücklohnbasis entlohnt wurden und daß ihre Einkünfte schwankten, je nachdem, wie schnell sie arbeiteten. In der Bekleidungsindustrie brauchen Heimarbeiterinnen für das Nähen eines Kleidungsstücks ebensoviel Zeit wie die Arbeiterinnen in der Fabrik. So wurde z.B. Arbeiterinnen für das Nähen eines Damenjacketts ein Zeitraum von 16 Minuten eingeräumt, jedoch beruhte die Berechnung dieser Zeitspanne auf den Produktionsverfahren in der Fabrik, wo verschiedene Arbeitskräfte verschiedene Aufgaben zu bewältigen hatten. Die Heimarbeiterin mußte alle Arbeitsvorgänge selbst ausführen und während des Arbeitsablaufs Nadeln auswechseln. Sie erreichte einen durchschnittlichen Stundenlohn von etwa 4,38 Gulden. Der Durchschnittsverdienst betrug dagegen 1983 in der niederländischen Bekleidungsindustrie 13 Gulden (1,99 Gulden = 1 US-Dollar) und in der Lederindustrie 14,45 Gulden. Das Problem der niedrigen Löhne wird noch akuter, wenn das Lohnniveau sinkt oder durch Inflation ausgehöhlt wird. Auf den Philippinen23 sind sich die Heimarbeiterinnen auf dem Land (Näherinnen und Stickerinnen) offenbar bewußt, daß ihr Reallohn zurückgegangen ist. Der 1981 am meisten genannte Betrag war 50 Centavos (rund 6 US-Cents) je Kleidungsstück, während er sich 1962 noch auf 30 Centavos (nach damaligem Wechselkurs 8 US-Cents) belaufen hatte, ein bedeutend höherer Betrag in Anbetracht des ständigen Wertverfalls des Pesos. Eine Näherin konnte am Tag höchstens ein Dutzend Baby-Kleider fertigstellen, wofür sie bei einem Stücklohn zwischen 50 und 75 Centavos zwischen 6 und 9 Pesos (0,73 bis 1,10 US-Dollar) erhielt. Arbeit gab es jedoch nur für etwa zweieinhalb Wochen im Monat, so daß der Monatsverdienst nur 102 bis 189 Pesos (12,43 bis 23,05 US-Dollar) betrug. Von diesem Betrag wurden die Garnkosten und die Kosten für den Transport vom und zum Vermittler abgezogen. 3012-5.G94 24 Heimarbeit Ähnliche Entwicklungen waren in Thailand24 zu beobachten. Die meisten Arbeiter der Bekleidungsindustrie beklagten sich über niedrige Lohntarife, da sie manchmal weniger als 1 Bäht und im allgemeinen höchstens 5 Bäht Stücklohn erhielten. Fabrikarbeiter in der Bekleidungsindustrie verdienen mehr, etwa 11 bis 20 Bäht je Kleidungsstück, während die mit der Herstellung künstlicher Blumen Beschäftigten einen Monatslohn erhalten. Fast alle erklärten, der Tarif habe sich während eines fast zweijährigen Zeitraums nicht geändert. Einige beklagten sich, daß ihr Verdienst um 11 bis 30 Prozent oder noch mehr zurückgegangen sei. Einer der Faktoren in der Lage der Heimarbeit, die weltweit eine Hauptursache des Rückgangs der Heimarbeiterlöhne darstellen, ist das Netz von Agenten, Unternehmern, Subunternehmern, Mittelsmännern und sonstigen Vermittlern zwischen dem Unternehmen und dem einzelnen Heimarbeiter. Es handelt sich um das „Verlagssystem", bei dem das zu bewältigende Gesamtarbeitsvolumen schrittweise in immer kleinere Einheiten aufgeteilt wird, bis es schließlich bei den einzelnen Heimarbeitern ankommt, die die ihnen zugeteilte Arbeitsmenge des Gesamtauftrags auszuführen haben. Zwangsläufig führt dies dazu, daß der Heimarbeiter einen sehr niedrigen Lohn erhält, weil jeder Mittelsmann von dem ursprünglich sicher bereits scharf kalkulierten Preis einen Gewinnanteil einbehält. Die ländlichen Akkordarbeiter befinden sich am unteren Ende der Untervergabeleiter und werden am stärksten ausgebeutet. In Lateinamerika25 ist beobachtet worden, daß die Vergabe von Unterverträgen oft von Firmen mittlerer und relativ kleiner Größe ausgeht, die meisten Heimarbeiter aber von großen Handels- und Auslandsfirmen beschäftigt werden, von denen auch die Produktions- und Wettbewerbsnormen des Wirtschaftszweigs bestimmt werden. So verpflichten z.B. in Peru multinationale und nationale Unternehmen in großer Zahl Arbeitnehmer vertraglich zur Heimarbeit; in ähnlicher Weise werden in den großen Ballungszentren Mexikos (Mexiko-Stadt, Guadalajara, Monterrey) und in ländlichen Gegenden Tausende von Heimnäherinnen für Arbeiten im Auftrag der größten Bekleidungshersteller rekrutiert. Die Auswirkungen der Unterauftragsvergabe machen sich in gleicher Weise in Indien bemerkbar. In der Bekleidungsindustrie in Delhi26 konnte nachgewiesen werden, daß Heimarbeit dort nur an „gute Arbeitskräfte" (d.h. diejenigen, die keine Fragen stellten und sich nicht beklagten) vergeben wurde. In vielen Fällen zahlt der Vermittler nicht voll den anerkannten Stücklohn, sondern reduziert ihn so weit, wie es erfahrungsgemäß problemlos möglich ist. Gelegentlich kommt es vor, daß Unternehmer während der Hauptsaison den Tarif anheben, wenn die Frauen protestieren. Skrupellose Unternehmer können die Reallöhne mittels verschiedener unfairer Praktiken kürzen. So kann z.B. im Gewerbe des Zigaretten(foV#)drehens m Gujarat ein Arbeitgeber, wahrscheinlicher noch ein Unternehmer, eine übermäßige Menge von Zigaretten aus fadenscheinigen Qualitätsgründen zurückweisen und dann den „Ausschuß", für den die Heimarbeiter nicht bezahlt werden, verkaufen oder „Extramengen" verlangen, die er nicht bezahlt, oder auch die Kosten des Rohmaterials des „Ausschusses" vom Verdienst der Heimarbeiter abziehen27. 3012-5.G94 Vor- und Nachteile der Heimarbeit 25 Lange Arbeitszeiten Einer der meistgepriesenen Vorteile der Heimarbeit ist die den Heimarbeitern gebotene Möglichkeit, zu der ihnen genehmen Zeit zu arbeiten, ihren Arbeitsrhythmus zu bestimmen und die Aufteilung ihrer Zeit zwischen Arbeit, Familienleben und Freizeit selbst zu bestimmen. In der Praxis ist dies unter Umständen nicht der Fall. Heimarbeit hat nämlich die Tendenz, den Unterschied zwischen Arbeits- und Familienleben zu verwischen. Der Umstand, daß Heimarbeit normalerweise auf Stückbasis entlohnt wird, erzeugt Druck, ein ausreichendes Einkommen zu verdienen. Dieses Streben, verbunden mit der Notwendigkeit, Mengenziele (besonders in Zeiten hoher Nachfrage) ebenso wie Qualitätsnormen zu erreichen, zwingt dazu, der Arbeit einen wesentlichen Teil der Zeit zu widmen, Zeit, die sich leicht zu übermäßig langen Arbeitsstunden auswachsen kann, wenn sie mit Familien- und häuslichen Pflichten in Einklang gebracht werden muß. Der durch Stücklohn verursachte Druck und Streß sowie der für viele Heimarbeiter bestehende Zwang zur Sicherung des Lebensunterhalts belasten wahrscheinlich besonders schwer ältere und kranke Frauen und Frauen mit kleinen Kindern. Dies ist ein besonders ernstes Problem in Haushalten mit weiblichem Vorstand (üblich in Entwicklungsländern wie Indien) und für Alleinerziehende (bei den Heimarbeitern handelt es sich gewöhnlich, wenn auch nicht immer, um Frauen), die als Heimarbeiter(innen) allein für den Familienunterhalt sorgen. In Indien28 ist festgestellt worden, daß den Frauen neben der Heimarbeit auch alle Aufgaben im Zusammenhang mit Haus, Haushalt und Familie zufallen, wodurch sie praktisch eine doppelte Last zu tragen haben; verheiratete Frauen arbeiten täglich durchschnittlich fünf Stunden im Haushalt und sieben Stunden an Heimarbeitsaufträgen. Die Heimarbeiterinnen in Guadalajara29 liefern Beispiele für das halsbrecherische Tempo der /TW^Hi/a-Produktion (gewerbliche Unterauftragsvergabe). Die Frauen klagen über mühsame Arbeitspläne und die Unmöglichkeit, die Heimarbeit mit anderen Haushaltspflichten zu vereinbaren, insbesondere während Zeiten der Spitzennachfrage, wenn sie täglich mehr als 700 Sportmützenschirme nähen und abliefern. In Zeiten der Spitzenbelastung wird der Druck zur Einhaltung der Lieferund Exporttermine sogar noch stärker und dringender. Heimarbeiterinnen der Bekleidungsindustrie der Philippinen30 beklagen sich z.B., daß sie täglich 12 bis 14 Stunden arbeiten, davon fünf bis neun Stunden Näharbeiten. Eine zusätzliche Belastung für einige von ihnen (die zu längerer Abwesenheit von zu Hause führt) ist das Abholen und Abliefern der Arbeit, das 30 Minuten bis neun Stunden in Anspruch nehmen kann. Unzureichender Zugang zu Sozialer Sicherheit, Wohlfahrt und ähnlichen Leistungen Über den rechtlichen Zugang der Heimarbeiter zu Leistungen der Sozialen Sicherheit läßt sich nicht ohne weiteres eine allgemeine Aussage machen. Die Schwierigkeiten rühren her von der Vielzahl der in den verschiedenen Ländern bestehenden Systeme der Sozialen Sicherheit sowie von den Unterschieden im 3012-5.G94 26 Heimarbeit Geltungsbereich, die gewöhnlich mit dem Entwicklungsstand der betreffenden Länder verbunden sind. So haben z.B. in Europa viele Länder gesetzliche Systeme der Sozialen Sicherheit, obgleich Heimarbeiter in der Praxis Schwierigkeiten haben können, voll in deren Genuß zu kommen, weil ihre wirksame Beteiligung von ihrem Beschäftigungsstatus abhängt, wie auch davon, ob sie als Arbeitnehmer gemeldet sind und Beiträge für sie entrichtet werden. Manchmal sind die Heimarbeiter wenigstens teilweise von der staatlichen Sozialen Sicherheit geschützt, selbst wenn sie nicht über das Unternehmen geschützt werden. Wo Heimarbeit versteckt geleistet wird, ist die Folge, daß die Betroffenen oft zu den ärmsten Arbeitnehmern gehören, die des sozialen Schutzes am meisten bedürfen, ihn aber gerade wegen der heimlichen Natur ihrer Beschäftigung entbehren müssen. In den Entwicklungsländern werden Heimarbeiter heute gewöhnlich nicht von den bestehenden sozialen Sicherungssystemen erfaßt. In Indien z.B. bieten ihnen die Arbeitgeber „keine Sozialbetreuung, keine Krankenversicherung, keinen Mutterschutz, keine Alters Vorsorge, keinen bezahlten Urlaub"31. Auch in Südostasien (Indonesien, Philippinen, Thailand) haben Heimarbeiter „keinen Anspruch auf Erholungs- oder Krankenurlaub, wie ihn die Arbeitnehmer im formellen Sektor kennen. Offenbar gibt es weder Nebenleistungen noch eine Sozialversicherung für Heimarbeiter"32. Auch in den maquiladoras (Montagebetriebe) von Costa Rica wird bestätigt, daß Heimarbeiter „keinen Anspruch auf Nebenleistungen aus dem Arbeitsverhältnis oder Leistungen der Sozialen Sicherheit" haben33. In Honduras und Venezuela (mit Ausnahme der Konfektions- und Tabakindustrie) haben sie ebenfalls keinen Anspruch auf Soziale Sicherheit. Selbst in Ländern (wie Frankreich und Italien), wo der Anspruch der Heimarbeiter auf Leistungen der Sozialen Sicherheit aufgrund gesetzlich verbrieften Rechts mit dem der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer vergleichbar ist, wird die tatsächliche Gewährung dieser Leistungen offenbar weitgehend umgangen. Gesundheits- und Sicherheitsprobleme Die mit der Heimarbeit verbundenen Gesundheits- und Sicherheitsprobleme verdienen eine ziemlich ausführliche Behandlung, sei es auch nur, weil sie häufig vernachlässigt oder übersehen werden. Die Gefahren können die Heimarbeiter selbst, ihre unmittelbaren Angehörigen und Nachbarn (besonders anfällig sind Kinder und ältere Menschen) und die Gesellschaft insgesamt bedrohen. Natürlich sind bestimmte Gewerbe potentiell gefährlicher als andere, aber selbst Büroarbeiten und Dienstleistungen sind geeignet, Verletzungen zu verursachen. Die Gesetzgebung enthält recht wenig Bestimmungen über heimarbeitsbedingte Berufsrisiken und ihre Verhütung (siehe Kapitel III). Kraftbetriebene Maschinen stellen eindeutig Gefahrenquellen dar, besonders für Personen, die nicht mit ihnen vertraut sind, aber selbst einfache Arbeitsverrichtungen wie das Nähen von Kleidungsstücken sind möglicherweise nicht ungefährlich, besonders in überfüllten Arbeitsräumen — man denke nur an den Umgang mit scharfen Werkzeugen, wie Nadeln, Scheren und Messern. Von den Philippinen wird über Handverletzungen und andere Wunden berichtet, die sich 3012-5.G94 Vor- und Nachteile der Heimarbeit 27 Rattan-Arbeiter beim Umgang mit den scharfen Rattan-Stengeln, aber auch beim ständigen und langwierigen Abschmirgeln von Möbelteilen zuziehen34. Die Auswirkung überlanger Arbeitszeiten, die Nichtbeachtung ergonomischer Grundsätze, die Belastung durch starke Hitze, Feuchtigkeit, Lärm und Vibrationen gelten gemeinhin als besonders unbefriedigende Merkmale der Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter. Die Telearbeit kann z.B. zu Augenermüdung und zu Schmerzen und Überanstrengung durch schlechte Haltung führen. Solche Bedingungen stellen potentielle Quellen berufsbedingter Gesundheitsschäden dar und können latente physiologische Krankheitsbefunde verschlimmern. Rückenschmerzen sowie Hand- und Körperüberanstrengungserscheinungen bei Handweberinnen infolge wiederholter Bewegungen und konstanter Körperhaltung bei der Arbeit wurden als weitere Formen der beruflich verursachten Gesundheitsbeeinträchtigung festgestellt. Die Heimfertigung von Leder- und Textilerzeugnissen kann bedingen, daß gefährliche Werkstoffe und Arbeitsverfahren ohne Umweltkontrolle oder -Überwachung in Wohnräume gelangen. So haben die Behörden in Italien und Spanien35 über diese Seite der Heimarbeit ihre Besorgnis ausgedrückt. Viele andere Heimindustrien verwenden Lösungsmittel, Firnisse und Lacke, Fixier- und Reinigungsmittel (einschließlich Säuren) und andere ätzende Chemikalien sowie leicht entzündliche und sogar explosive Stoffe. Sie sind alle potentiell gefährlich, besonders da, wo hinreichende Anleitung und Ausbildung über ihre Gefahren und die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen fehlen. In der Schuhindustrie kann z.B. durch die bei der Häuteund Lederverarbeitung entstehenden giftigen Dämpfe toxische Polyneuritis hervorgerufen werden. Das Drehen von bidi ist mit der Gefahr der Nikotinvergiftung verbunden, verursacht durch Hautaufnahme infolge wiederholter und anhaltender Exposition beim Umgang mit dem Tabak. Technische Arbeiten, wie Schweißen und Löten, erzeugen häufig giftige Gase, z.B. die Bleigase bei der Schmuckfertigung. Der Einsatz von elektrischer Energie zum Betrieb einfacher Maschinen, wie Bohrern, Sägen und Nähmaschinen, ist zweifellos mit Gefahren verbunden, ganz besonders dann, wenn Leitungen schlecht isoliert sind oder das Versorgungskabel nicht ordnungsgemäß angeschlossen ist (z.B. durch Einführung blanker Drähte in Steckdosen, gehalten durch Streichhölzer, eine verbreitete Praxis). Kriechende Kinder mit neugierigen Fingern sind besonders gefährdet. An Gefahrenbeispielen besteht kein Mangel in Anbetracht der gewaltigen Zahl und Vielfalt der von Heimarbeitern hergestellten Erzeugnisse und erbrachten Dienstleistungen. Die Risiken für alle Beteiligten werden wahrscheinlich noch verschlimmert durch die Überfüllung der Räume, Slums und mangelnde Hygiene sowie die Nähe zu anderen Wohnungen, eine typische Erscheinung der städtischen Heimarbeit überall. Die Häufigkeit und Ursachen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten von Heimarbeitern scheinen nur wenig bekannt, zumindest nicht verzeichnet zu sein. Hier würde es sich vielleicht lohnen, eine Untersuchung vorzunehmen. Dabei ist allerdings zuzugeben, daß die Erhebung aussagekräftiger Daten eine äußerst schwierige Aufgabe darstellen würde. Ein Schritt nach vorn könnte darin bestehen, beschränkte Untersuchungen in Programme zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aufzunehmen. 3012-5.G94 28 Heimarbeit Kinderarbeit In Industrieländern geben die Befürworter eines allgemeinen Verbots der Heimarbeit dafür als Standardbegründung an, sie leiste der Kinderarbeit Vorschub. In Anbetracht des Umfangs illegaler und schwarzer Heimarbeit in Industrieländern kann kein Zweifel daran bestehen, daß Kinder an der Heimarbeit beteiligt sind, selbst wenn es sich nur um wenige Stunden nach dem Schulbesuch handelt. Es steht jedoch fest, daß in den armen Gegenden dieser Länder die Kinder einen bedeutenden Teil der Heimarbeiterschaft, oft als unbezahlt mithelfende Familienarbeitskräfte, ausmachen. Das allgemeine Problem der Kinderarbeit ist viel akuter in Entwicklungsländern, was in anderen IAA-Veröffentlichungen ausführlich belegt ist36. Erhebungen mit besonderem Schwerpunkt auf den vielen mit Heimarbeit beschäftigten Kindern sind jedoch gegenwärtig sehr beschränkt. Einige Forschungsarbeiten wurden auf den Philippinen37 durchgeführt, wo Kinder in der Bekleidungsindustrie von Manila und auf dem Land mit dem Nähen von Blusen und Herrenhemden beschäftigt werden. Die meisten Kinder (65 Prozent) arbeiten für einen niedrigen Lohn 15 bis 30 Stunden in der Woche. Kinderarbeit ist besonders leicht auszubeuten, selbst wenn sie innerhalb der Familie verrichtet wird. Kinderarbeit beeinträchtigt außerdem stark die natürliche Entwicklung und die Erziehung der Kinder, häufig schon auf Grundschulniveau. Sonstige Probleme Die Verrichtung von Arbeit zu Hause verkürzt nicht nur die Zeit für andere Aufgaben, sondern sie breitet sich auch räumlich aus. Arbeitsgerät wird nach Hause gebracht, wo es den möglicherweise bereits überfüllten Wohnraum in Beschlag nimmt; dies hindert nicht nur die Familie an dessen Nutzung zu eigenen Zwecken, sondern kann auch dazu führen, daß Kinder in nächster Nähe zu gefährlichen Maschinen oder Chemikalien spielen. Anmerkungen ' R.O. Metzger und M.A. von Glinow: „Off-site workers: At home and abroad", in California Management Review (Berkeley, University of California), Frühjahr 1988, S. 105. 2 Weitere Beispiele für die ins Ausland verlagerte Telearbeit finden sich in IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 9, Nr. 1: Telework (Genf, 1990). 3 Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Homeworking in Italy, France and United Kingdom (Brüssel, 1986), S. 20-21. ' Ebd., S. 22. 5 A. Prasad und K.V. Eswara Prasad: Home-working in India: A review (Genf, IAA, 1987; vervielfältigt). 6 Metzger und Glinow, a.a.O., S. 102. 1 R. Pineda-Ofreneo: Industrial homework in the Philippines (Genf, IAA, 1987), S. 1-4. ' M. Mies, V. Bernholdt-Thomsen und C. von Werlhof: Women — the last colony (NeuDelhi, Kali for Women, 1988). 9 Centre for Women's Research: Subcontracting in industry — Impact on women (Colombo, 1989). 3012-5.G94 Vor- und Nachteile der Heimarbeit 10 29 L.S. Lazo: Homework in Thailand: A review of the literature (Genf, IAA, 1990), S. 9. " G. Berik: Women carpet weavers in rural Turkey: Patterns of employment, earnings and status (Genf, IAA, 1987), S. 58. 12 M.A. Crummett: Rural women and industrial home work in Latin America: Research review and agenda, World Employment Programme Research Working Paper No. 46 (Genf, IAA, 1988), S.18. 13 L. Benerfa und M. Roldän: The crosswind of class and gender in industrial home work subcontracting and household dynamics in Mexico City (Chicago, University of Chicago Press, 1987), S. 6. 14 F. Shaheed und K. Mumtaz: Invisible workers: Piecework labour amongst women in Lahore (Islamabad, Women's Division, Government of Pakistan, ohne Datum), S. 50-57. " J. Sebstad: Struggle and development among self-employed women (Washington, D.C., USAID, 1982), zitiert in A.M. Singh und A. Kelles-Viitanen (Hrsg.): Invisible hands: Women in home-based production (Neu-Delhi, Sage Publications, 1987), S. 29-33. 16 R. Rao und S. Husain: „Invisible hands: Women in home-based production in the garment export industry in Delhi", ebd., S. 61-62. 17 C. Spindel: „O uso do trabalho da mulher na industria do vestuario", zitiert in Crummett, a.a.O., S. 8. " Beneria und Roldän, a.a.O., (Chicago, Chicago University Press, 1987), S. 62, zitiert in Crummett, a.a.O. "Crummett, a.a.O., S. 10. 20 Europarat: The protection of persons working at home, Bericht der Studiengruppe des koordinierten Sozialforschungsprogramms 1987-88 (Straßburg, 1989), S. 19 und 21. 21 TNC Workers' Research: Anti-union employment practices: Final report (Sydney, Juni 1985). 22 A. van Luijken und S. Mitter (Hrsg.): Unseen phenomenon: The rise and conditions of homeworking (London, Change, 1989). 23 Pineda-Ofreneo, a.a.O., S. 18. 24 L.S. Lazo: „Homeworkers in Southeast Asia: Problems and approaches", in IAA: Proceedings, Asian Subregional Tripartite Seminar on the Protection of Homeworkers, Manila, Dez. 1988, S. 72. 25 Crummett, a.a.O., S. 4. 26 Rao und Husain, a.a.O., S. 62. 27 R. Jhabavla, R. Dhawan und K. Mahajan: Women who roll bidis: Two studies of Gujarat (Ahmedabad, Self-Employed Women's Association, 1985), S. 71. a Rao und Husain, a.a.O., S. 63. 29 Crummett, a.a.O., S. 13. 30 Lazo, a.a.O., S. 72. 21 E. Bhatt: „The invisibility of home-based work: The case of piece-rate workers in India", in Singh und Kelles-Viitanen, a.a.O., S. 32. 32 Lazo, a.a.O., S. 73. 33 Crummett, a.a.O., S. 9. 54 V.A. Miraiao, zitiert in Pineda-Ofreneo, a.a.O., S. 51. 35 Europarat: The protection of persons working at home, a.a.O., S. 23. 36 IAA: Kinderarbeit, Teil I des Berichts des Generaldirektors an die Internationale Arbeitskonferenz, 69. Tagung, 1983 (Genf, 1983); A. BequeleundJ. Boyden(Hrsg.): Combating child labour (Genf, IAA, 1988). 37 Bequele und Boyden, a.a.O., S. 83-84. 301215.G94 KAPITEL III GESETZLICHER SCHUTZ DER HEIMARBEITER Dieses Kapitel gibt einen Überblick über den Schutz, der Heimarbeitern in den einzelnen Ländern durch gesetzliche und sonstige Vorschriften und Gesamtarbeitsverträge geboten wird. Es wird versucht, die Wirksamkeit des gebotenen Schutzes einzuschätzen und auf Schwierigkeiten, unklare Verhältnisse und Lücken hinzuweisen. INNERSTAATLICHE GESETZLICHE UND SONSTIGE VORSCHRIFTEN Die Gesetzgebung von über 150 Mitgliedstaaten der IAO wurde zu dem Zweck untersucht, die für Heimarbeiter geltenden Rechtsvorschriften zu ermitteln1. Davon haben 18 Länder (Argentinien, Deutschland2, Indien, Italien, Japan, Kuba, Marokko, Niederlande, Norwegen, Österreich, Peru, Polen, Portugal, Russische Föderation, San Marino, Schweiz, Ungarn, Uruguay) eine eigene gesetzliche Regelung der Heimarbeit. In mindestens 22 Ländern (Afghanistan, Äthiopien, Bolivien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Frankreich, Guatemala, Haiti, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Philippinen, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik, Venezuela) regelt ein Teil des Arbeitsrechts die Heimarbeit in gewissem Umfang. In diesen zwei Ländergruppen können die gesetzliche Regelung der Heimarbeit oder bestimmte Teile des Arbeitsgesetzbuchs durch allgemeine arbeitsrechtliche Vorschriften ergänzt werden. In einigen Ländern wie Dänemark, Malta und Schweden sind die für die Heimarbeit geltenden Bestimmungen in unterschiedlichem Maß in der allgemeinen Arbeitsgesetzgebung enthalten, aber Heimarbeiter können ausdrücklich von einigen Bestimmungen ausgenommen sein (z.B. Arbeitszeit, bezahlter Jahresurlaub und Arbeitsschutz). In Chile sind Arbeitnehmer von den Bestimmungen über die Begrenzung der Arbeitszeit ausgenommen, wenn sie ohne Aufsicht arbeiten. In wieder einer anderen Ländergruppe sind die Heimarbeiter in den Geltungsbereich des innerstaatlichen Arbeitsrechts aufgenommen worden, indem sie entweder regulären Arbeitnehmern gleichgestellt werden (wie in Australien (Neusüdwales), Kanada (Quebec) und Frankreich) oder ihr Beschäftigungsverhältnis als Arbeitsvertrag betrachtet wird (Brasilien, Finnland, Haiti, Kolumbien). 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 31 In vielen der industrialisierten Länder geht die gesetzliche Regelung der Heimarbeit auf die frühen Jahrzehnte dieses Jahrhunderts zurück (in Norwegen ab 1918, in den Niederlanden ab 1933) — mit oder ohne Versuche, sie abzuändern und zu aktualisieren, um modernen Verhältnissen gerecht zu werden. Es gibt jedoch relativ neuere Heimarbeitsgesetze in der Russischen Föderation, der Schweiz und Ungarn; sie wurden alle 1981 verabschiedet. Außerdem erließ Peru eine Regelung, durch die Bestimmungen über die Heimarbeit in ein neues Beschäftigungsförderungsgesetz aufgenommen wurden. Portugal schuf 1991 einen gesetzlichen Rahmen für die Heimarbeit (Gesetz Nr. 440), der an Bestimmungen in der gesetzlichen Regelung der Einzelarbeitsverträge von 1969 anschloß, die Rechtsvorschriften zur Regelung der besonderen Lage der Heimarbeiter vorsahen. Andere Länder, die in letzter Zeit Bestimmungen über die Heimarbeit angenommen oder abgeändert haben, sind Afghanistan, Äthiopien und Chile, die ihr Arbeitsrecht abgeändert haben, um Bestimmungen über die Heimarbeit aufzunehmen, sowie die Philippinen, die 1992 Vorschriften zur Durchführung der Heimarbeitsbestimmungen im Arbeitsrecht verabschiedeten. Auch die Dominikanische Republik nahm 1992 gesetzliche Änderungen vor und erließ 1993 Vorschriften, wobei auch die Bestimmungen über die Zulassung von Heimarbeit erweitert wurden. Die einzelnen Länder haben verschiedene Ansätze zur Regelung der Heimarbeit und zur Bewältigung der damit verbundenen besonderen Probleme gewählt. Einige Länder (Argentinien, Deutschland, Italien, Japan, Marokko, Peru, einige Bundesstaaten in den Vereinigten Staaten) haben Gesetze eigens zu dem Zweck verabschiedet, die Bedingungen zu regeln, unter denen Heimarbeit vergeben werden kann (d.h. sie können die Heimarbeit effektiv verbieten, gewöhnlich in bestimmten Industriesektoren und/oder an bestimmten Standorten). In anderenlxindien, Niederlande, Norwegen) gilt das Heimarbeitsrecht nur für bestimmte Wirtschaftszweige oder wirtschaftliche Tätigkeiten, in denen Heimarbeit traditionell oder überwiegend vorkommt. Die Natur des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Heimarbeiter und dem Arbeitgeber ist entscheidend dafür, ob die allgemeine Arbeitsgesetzgebung für Heimarbeiter gilt oder nicht. Dies gilt besonders für die Länder, in denen es kein eigenes Heimarbeitsrecht gibt und die Gerichte in jedem einzelnen Fall zu entscheiden haben, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt. Definitionen Das Heimarbeitsrecht vieler Länder versucht eine Definition der „Heimarbeit" und des „Heimarbeiters". Die meisten Heimarbeitsgesetze beginnen mit einer Definition des „Heimarbeiters" als einer Person, „die Arbeit für eine andere Person zu Hause oder an einem selbstgewählten Ort ohne direkte Aufsicht und Kontrolle durch den Arbeitgeber verrichtet". Der Heimarbeiter kann die Arbeit persönlich oder mit Unterstützung anderer (oft Angehöriger seiner Familie) verrichten. Der Arbeitgeber wird oft schlicht als die Person (oder das Unternehmen) definiert, die Arbeit vergibt, die nach ihren Weisungen zu verrichten ist. In einigen Fällen können sich die Definitionen der Heimarbeit auf bestimmte Tätigkeiten oder Produktionsprozesse beschränken oder auf einen durch die 3012-5.G94 32 Heimarbeit allgemeine Gesetzgebung abgedeckten Sektor oder Wirtschaftszweig beziehen; die Heimarbeit kann somit in einem recht begrenzten Bereich geregelt sein. Die Definition kann auch auf die Bereitstellung von Werkzeugen und Material eingehen, die zumeist von jeder der Parteien gestellt werden können. Andere in einer Definition geregelten Aspekte beziehen sich mitunter auf eine garantierte Arbeitsmenge. In einigen wenigen Ländern (Dominikanische Republik, Frankreich, Italien, Mexiko, Uruguay) ist es dem Heimarbeiter gestattet — oder zumindest nicht verboten —, für mehr als einen Arbeitgeber zu arbeiten, während in anderen (z.B. Singapur) Heimarbeiter als selbständig erwerbstätig gelten, wenn sie für mehr als einen Arbeitgeber arbeiten. Im Heimarbeitsrecht wird zum Teil auf die Rolle der Vermittler oder Mittelsmänner eingegangen (sie werden z.B. in Deutschland und Österreich als die vom Arbeitgeber für die Weitergabe der Arbeit an den Heimarbeiter eingeschalteten Personen definiert). Mitunter sind auch ihre Pflichten in diesem Rahmen geregelt. In Argentinien kann ein Vermittler sowohl als Heimarbeiter als auch als Arbeitgeber betrachtet werden, aber in der Dominikanischen Republik und Mexiko ist die Einschaltung eines Vermittlers oder Mittelsmanns verboten. Der Beschäftigungsstatus der Heimarbeiter Die Gesetzgebung ist sehr ungenau, was die Rechtsstellung der Heimarbeiter angeht, obwohl dies entscheidend wichtig ist für den Stand des Schutzes, den ihnen das Gesetz bietet. Weder das eigene Heimarbeitsrecht noch das Arbeitsrecht hat die Frage des Beschäftigungsverhältnisses zwischen den Parteien wirksam geregelt. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, schreibt die Gesetzgebung keinen Vertrag irgendeiner Art vor. Dies erklärt die grundlegende Ungenauigkeit in bezug auf den Status der Heimarbeiter. Selbst wenn die Heimarbeit unter Bedingungen verrichtet wird, wie sie vom Gesetz vorgeschrieben werden, begründen diese Bedingungen keine anerkannte Vertragsform. Tatsächlich ist die Natur der Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und dem Heimarbeiter „in der Praxis von einer Verschwommenheit und im Gesetz von einem Vakuum umgeben, wie sie im Bereich der zivilrechtlichen Verträge durchaus unbekannt sind"3. Im Mittelpunkt der Debatte über die Rechtsstellung der Heimarbeiter steht die Natur des Beschäftigungsverhältnisses. In den Fällen, in denen die Heimarbeiter in den Geltungsbereich des Arbeitsrechts fallen, werden sie als reguläre Arbeitnehmer betrachtet. In anderen Ländern stellt sich die Frage, ob sie als Beschäftigte, selbständig Erwerbstätige oder eigene Kategorie betrachtet werden. Da die Natur des Beschäftigungsverhältnisses im Gesetz nicht definiert ist, fällt sie in die Zuständigkeit der Gerichte. Das Konzept der Unterstellung Nach dem traditionellen Arbeitsrecht liegt ein Beschäftigungsverhältnis vor, wenn eine Person, die einem Arbeitgeber unmittelbar unterstellt ist, gegen Entgelt und nach im voraus festgelegten Arbeitsbedingungen persönlich eine Arbeit verrichtet. Dies gilt nicht für Heimarbeiter. Erstens haben Heimarbeiter von 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 33 Anfang an in der Regel keine genau bestimmte Berufsbeschreibung: Sie werden verpflichtet, um auf unregelmäßiger Grundlage verschiedene Arbeiten auszuführen. Außerdem verrichten die Heimarbeiter die Arbeit nicht immer allein; es kann ihnen von Familienangehörigen und anderen geholfen werden, wie dies nach dem Gesetz einer Reihe von Ländern zulässig ist. Schließlich würde der traditionelle Begriff der Unterstellung voraussetzen, daß der Heimarbeiter unter der direkten Aufsicht und Kontrolle des Arbeitgebers in dessen eigenen Räumlichkeiten arbeitet, was natürlich nicht der Fall ist. Der Begriff der Unterstellung ist im kodifizierten Recht nicht definiert, aber er wurde durch das Fallrecht weiter ausgeführt. Bei einer strengen Anwendung des Begriffs der Unterstellung sind die Heimarbeiter vom Beschäftigungsstatus ausgeschlossen. Es gibt jedoch einen Trend, der vom traditionellen Konzept der Unterstellung wegführt, weil es sich nicht mehr für bestimmte Arbeitnehmergruppen eignen mag, die ihre Arbeit in einer gewissen Entfernung außerhalb des Unternehmens, aber im Auftrag des Unternehmens verrichten. Ein Beispiel, das diese Entwicklung veranschaulicht, ist die unbestimmte Auslegung des Begriffs der Unterstellung durch den belgischen Kassationsgerichtshof. Nach diesem Gericht „gibt eine Person, die sich verpflichtet, unter der Autorität einer anderen Person zu arbeiten, ihre Freiheit nicht völlig auf; die Tatsache, daß sie bei der Ausübung ihres Berufs oder ihres Handwerks ein gewisses Maß an Freiheit bewahrt, schließt das Vorliegen einer Unterstellungsbeziehung nicht aus". Diese Entscheidung hat manche Kreise zu der Auffassung veranlaßt, daß „der logische Schluß des Rechtsprechungsverfahrens zweifellos die Einbeziehung der Heimarbeit in die Arbeitsverträge wäre"4. Diese breite Auslegung ist jedoch von den Rechtskommentatoren in Belgien nicht einmütig übernommen worden. Sehr ähnliche Argumente wurden von den Gerichten in Indien geprüft5, wo Verfahren im englischen Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Beziehung zwischen Dienstherr und Angestellter (oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer) berücksichtigt wurden. Klar wird insbesondere durch das Urteil des indischen Obersten Gerichtshofs von 19856, wonach das Gesetz über Arbeitnehmerversorgungskassen für Heimarbeiter in der Bidi-Industrie gilt, daß das Gericht davon ausging, daß Heimarbeiter in diesem Fall die Stellung von Arbeitnehmern haben. In Frankreich hat das Heimarbeitsgesetz die Frage der Unterstellung umgangen; als Kriterium für die Feststellung der Existenz eines Arbeitsvertrags wurde sie ausdrücklich ausgeklammert. Es wird davon ausgegangen, daß die Arbeitsvereinbarung zwischen dem Heimarbeiter und dem Arbeitgeber ein Arbeitsvertrag ist, ob die Unterstellung nun gegeben ist oder nicht. Diese Regelung bietet indessen keinen absoluten Schutz, da nur die Vermutung dieser Stellung dem Heimarbeiter zugute kommt; wenn der Heimarbeiter behauptet, selbständig erwerbstätig zu sein, möglicherweise unter dem Druck der Person, die ihm die Arbeit gibt, greift der Schutz nicht. In Italien wurde das traditionelle Konzept der Unterstellung durch eine andere Form der Unterstellung ersetzt, die als „Halbunterstellung" bezeichnet wird und der Lage des Heimarbeiters angepaßt ist. Es wird davon ausgegangen, daß Heimarbeit in Unterstellung unter einen Arbeitgeber verrichtet, wer bei der 3012-5.G94 34 Heimarbeit vollständigen oder teilweisen Herstellung oder Fertigstellung von Produkten, die mit der Tätigkeit des Arbeitgebers zusammenhängen, verpflichtet ist, sich an die Weisungen des Arbeitgebers in bezug auf den Arbeitsprozeß, seine Natur und seine Anforderungen zu halten. In Portugal schützen neue gesetzliche Bestimmungen die Personen, die zu Hause ohne ein strenges Unterstellungsverhältnis arbeiten, aber wirtschaftlich von der Person abhängen, die ihnen die Arbeit gibt. Besondere Erwähnung verdient die moderne Erscheinung der Telearbeit7. Online-Telearbeiter sind direkt mit dem Zentralcomputer des Betriebs verbunden, so daß ihre Arbeit über den Computer der Kontrolle und Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unterliegt; das Terminal des Telearbeiters kann als Erweiterung des Betriebs des Arbeitgebers betrachtet werden. Dem Heimarbeiter kann jedoch auch Offline-Arbeit angeboten werden; in diesem Fall erhält er seine Weisungen indirekt durch elektronische Post, Telefon oder Post, und das Arbeitsergebnis wird auf dem gleichen Weg abgeliefert. Es gibt keine Überwachung und Kontrolle der Arbeit durch den Arbeitgeber während der eigentlichen Ausführung, und diese Arbeit läßt sich daher weit mehr mit den traditionellen Formen der Heimarbeit vergleichen als die Online-Arbeit. Das Konzept der selbständigen Erwerbstätigkeit Eine weitere Komplikation ist, daß sich bei der Heimarbeit Statuselemente des Arbeitnehmers und des selbständigen Unternehmers miteinander verbinden. Einerseits hängen die Heimarbeiter wie andere Beschäftigte im Betrieb normalerweise von der Arbeit ab, die ihnen der Arbeitgeber gibt, und sie unterliegen Qualitätskontrollen und Fristen für die Ablieferung der fertigen Arbeit. Andererseits ist der Arbeitsplatz nicht der Betrieb des Arbeitgebers, und es gibt daher wie bei einem selbständigen Unternehmer keine direkte Überwachung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber. In einer Reihe von Ländern, so z.B. im Vereinigten Königreich, wo das einzige Erfordernis darin besteht, daß die Arbeit für die Zwecke eines Gewerbebetriebs geleistet wird, haben die Behörden die Auffassung gefördert, daß Heimarbeiter selbständig erwerbstätig sind. Bei der Entscheidung, ob Heimarbeiter selbständig erwerbstätig oder Arbeitnehmer sind, gehen die Gerichte in ihren Erkenntnissen in der Regel davon aus, wie das Beschäftigungsverhältnis in der Praxis ausgeführt wird, nicht aber von der Formulierung des Vertrags; dadurch soll bewußten Versuchen vorgebeugt werden, das Gesetz zu umgehen, indem der Vertrag so formuliert wird, daß es den Anschein hat, als ob der Heimarbeiter ein Zulieferer sei. Bei der Entscheidung über den Status des Heimarbeiters werden im allgemeinen die folgenden Faktoren berücksichtigt: a) Persönliche Verrichtung der Arbeit: Im Fall eines regulären Beschäftigungsverhältnisses haben die Arbeitnehmer die Arbeit persönlich ohne Hilfe Dritter auszuführen. In bestimmten Fällen gestattet das Gesetz dem Heimarbeiter jedoch, sich von Familienangehörigen oder bezahlten Assistenten helfen zu lassen. Die Hilfe Dritter ist im Fallrecht nicht als Hindernis für den Arbeitnehmerstatus des Heimarbeiters betrachtet worden. Greift der Heimarbeiter 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 35 jedoch ohne Genehmigung des Arbeitgebers auf andere zurück, um die Arbeit zu verrichten, so läßt dies auf Selbständigenstatus schließen. b) Kontrolle der Heimarbeiter: Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Arbeitgeber effektiv die Verdienstmöglichkeiten der Heimarbeiter kontrolliert, indem er ihnen Material zur Verfügung stellt, Ausrüstung liefert und sie nach Stücklohn bezahlt. c) Indirekte Kontrolle der Arbeitszeit: Die Freiheit der Heimarbeiter erstreckt sich oft nur auf die Wahl ihrer Arbeitszeit, aber in der Praxis können sie gezwungen sein, eine Zielmenge binnen einer bestimmten Frist in einer vorbestimmten Art und nach den finanziellen Bedingungen des Arbeitgebers herzustellen. d) Vermarktung der Produkte: Es ist eher wahrscheinlich, daß Heimarbeiter selbständig erwerbstätig sind, wenn sie ihre Preise selbst festsetzen, ihre Produkte vermarkten, an verschiedene Stellen verkaufen und sich selbst um die Rohstoffversorgung kümmern. e) Dauer: Die dauernde Beziehung zwischen einem Heimarbeiter und einem bestimmten Arbeitgeber läßt auf ein Beschäftigungsverhältnis schließen. Wenn ein Heimarbeiter das Beschäftigungsverhältnis beenden und seine Arbeit anderswo anbieten kann, wird dies als Hinweis auf eine selbständige Erwerbstätigkeit aufgefaßt. f) Initiative: Wenn der Heimarbeiter Wahlfreiheit in bezug auf die Aufträge hat, die er erfüllt, läßt dies auf selbständige Erwerbstätigkeit schließen; ist er jedoch gezwungen, die Aufträge anzunehmen, die ihm erteilt werden, so darf angenommen werden, daß er abhängig ist. Vom Begriff her ist es zwar nicht schwierig, zwischen selbständiger Erwerbstätigkeit und Heimarbeit zu unterscheiden, aber in der Praxis ist dies nicht immer leicht. Mitunter wird eine gesetzwidrige Kauf-Verkauf-Fiktion geschaffen, wonach davon ausgegangen wird, daß der Arbeitnehmer das Rohmaterial vom Arbeitgeber gekauft und ihm sodann die Fertigprodukte verkauft hat. In Deutschland werden bisweilen Maschinen zu relativ hohen Preisen an Heimarbeiter verkauft, die dann wenig oder keine zusätzlichen Aufträge bekommen — eine Regelung, die den Eindruck erwecken soll, daß sie selbständig erwerbstätig sind. Nach äthiopischem Recht wird eine Abmachung über den Verkauf von Rohstoffen oder Werkzeugen durch einen Arbeitgeber an einen Heimarbeiter und den Wiederverkauf der Produkte an den Arbeitgeber oder jede andere ähnliche Regelung als Heimarbeitsvertrag betrachtet. In Lateinamerika verlangen Unternehmen oft von Heimarbeitern, daß sie ihre Wohnung als selbständige Werkstätten eintragen lassen, um das Gesetz zu umgehen. In Uruguay z.B. ist es Heimarbeitern sehr schwer gefallen, sich gesetzlich verankerte Leistungen zu sichern, weil die Arbeitgeber die Auffassung vertreten, daß sie als „Hobby" zu Hause arbeiten8. Insgesamt hat es den Anschein, daß es selbst dort, wo die innerstaatliche Gesetzgebung versucht, den Beschäftigungsstatus des Heimarbeiters und die Natur des Arbeitsverhältnisses zu bestimmen, in der Praxis den Gerichten überlassen wird, die Frage anhand des Sachverhalts in jedem konkreten Fall zu entscheiden. Dadurch wird große Unsicherheit geschaffen, besonders für Heim3012-5.G94 36 Heimarbeit arbeiter, aber auch für Arbeitgeber. Es spricht daher einiges dafür, die Schaffung eines besonderen Beschäftigungsstatus für Heimarbeiter zu erwägen, der den spezifischen Merkmalen der Heimarbeit Rechnung tragen würde. Ein weiteres Kriterium, das berücksichtigt werden kann, wenn zu entscheiden ist, ob ein Heimarbeiter Arbeitnehmer oder selbständig Erwerbstätiger ist, ist die Heranziehung von Helfern bei der Ausführung der Arbeit. Die gesetzlichen Regelungen sind in dieser Hinsicht recht verschieden. Einige Länder gestatten die Mithilfe von unterhaltsberechtigten Angehörigen des Heimarbeiters, schließen aber fremde Mithilfe aus (Italien, Japan, Portugal, Schweiz). Anderswo reicht die zulässige Zahl der Mithelfer von einem (Frankreich) oder zwei (Deutschland) bis zu sechs (Spanien). Wird die Schwelle überschritten, so entsteht eine Lage, die nicht mehr als Heimarbeit, sondern als selbständige Erwerbstätigkeit eingestuft wird. Arbeitsverträge Heimarbeitsverträge, die die Beschäftigungsbedingungen festlegen, bedürfen gewöhnlich — sofern sie erforderlich sind — der Schriftform, wie in vielen der lateinamerikanischen Länder und Polen, aber in anderen (Äquatorialguinea, Äthiopien, Bolivien, Kolumbien, Kuba, Russische Föderation) wird auch ein mündlicher Vertrag anerkannt oder gilt unter bestimmten Voraussetzungen als gegeben. Nach der schweizerischen HeimarbeitsVerordnung (1982) hat der Arbeitgeber dem Heimarbeiter die auf Betriebsvereinbarungen oder Gesamtarbeitsverträgen beruhenden allgemeinen Beschäftigungsbedingungen schriftlich mitzuteilen. Weisungen für die Ausführung der Arbeit müssen in Form eines Arbeitsblatts oder Arbeitsbuchs weitergegeben werden. In einer Reihe von Ländern hat der Gesetzgeber sogenannte „Heimarbeitsvertrage" eingeführt, aber in den meisten Fällen ist unklar, ob dies normale Arbeitsverträge sind, die der Heimarbeit angepaßt wurden, oder ob es sich um neue Vertragsformen handelt, die eine Sonderstellung für Heimarbeiter begründen. In Spanien z.B. werden in der Arbeitnehmercharta spezifische „Verträge für Heimarbeit" erwähnt. Spanische Gerichte haben sich mit dieser Frage in Fällen befaßt, in denen Heimarbeiter keine Arbeit mehr von ihrem Arbeitgeber erhielten, ohne in aller Form gekündigt worden zu sein. Sie haben den Heimarbeitsvertrag nicht als Arbeitsvertrag betrachtet, wobei sie in ihren Schlußfolgerungen von der Natur des Beschäftigungsverhältnisses ausgegangen sind. Mit anderen Worten: Die Gerichte beurteilten das Verhältnis, um zu entscheiden, ob es die Elemente eines regulären Arbeitsvertrags hatte (Unterstellung, Regelmäßigkeit der Arbeit und ähnliches). Daher wurde durch die Einbettung der Heimarbeitsverträge in das Gesetz die Natur des Beschäftigungsverhältnisses oft nicht geklärt. Das Schweizer Recht hat jedoch diese Frage gelöst: Im Obligationenrecht heißt es, daß Heimarbeitsverträge den Regeln unterliegen, wie sie für Arbeitsverträge gelten. Rechtsstellung der Helfer Die Schutzgesetzgebung gilt normalerweise nur für die Heimarbeiter selbst, ohne daß auf Familienangehörige oder Helfer eingegangen wird. Es stellt sich 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 37 daher die Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Helfer und dem Heimarbeiter besteht. Die finnische Gesetzgebung erwähnt, daß ein von einem Heimarbeiter eingestellter Helfer kein Beschäftigungsverhältnis mit dem Arbeitgeber eingehen darf, es sei denn, daß dies ausdrücklich mit dem Arbeitgeber vereinbart wurde. In einigen Fällen sind mithelfende Familienangehörige anderswo vollzeitig beschäftigt und helfen dem Heimarbeiter lediglich in Zeiten mit hohem Arbeitsanfall aus, aber oft hängt der Helfer in bezug auf Einkommen und Arbeitsbedingungen völlig vom Heimarbeiter ab. Der völlige Mangel an Klarheit über die Rechtsstellung der Helfer hat weitreichende Folgen. So kann z.B. die Gesetzgebung die Lohnfindungsmethode nur für die Heimarbeiter und überhaupt nicht für die Helfer festlegen. Das Gesetz zur Regelung der Heimarbeit in den Niederlanden veranschaulicht das Problem: Die Definition des mithelfenden Arbeiters enthält die Feststellung, daß Hilfe „gegen Entgelt oder nicht" gewährt werden kann. Ein weiteres ungelöstes Problem ist die Stellung der Helfer der Sozialen Sicherheit gegenüber. Werden sie durch die Beiträge des Arbeitgebers gedeckt, wenn Heimarbeiter einem Pflichtsystem der Sozialen Sicherheit unterstellt sind, oder sind sie selbst für ihre Beiträge verantwortlich? Das französische Arbeitsgesetzbuch hat Vorschriften über Helfer gebracht, die einen Teil der oben angeschnittenen Fragen beantworten. Laut Artikel L 721-5 ist der Heimarbeiter, der auf Helfer zurückgreift, verantwortlich dafür, daß auf sie alle für Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Vorschriften angewandt werden. Mit anderen Worten: Obwohl Heimarbeiter nach französischem Recht die Stellung von Arbeitnehmern haben, haben sie Helfern gegenüber die Verantwortung von Arbeitgebern. Dies kann natürlich auf Seiten der Heimarbeiter eine Verbindlichkeit ihren Helfern gegenüber schaffen, die sie in der Praxis nicht tragen können, z.B. wenn der ursprüngliche Arbeitgeber die Löhne nicht zahlt. Unter diesen Umständen gilt Artikel L 125-2 des Arbeitsgesetzbuchs: Wenn der Leiter eines Industrieunternehmens einen Vertrag für die Ausführung einer bestimmten Arbeit mit einem Zulieferer abschließt, der sodann Heimarbeiter beschäftigt, tritt das Unternehmen im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in bezug auf die Zahlung des Lohnes, den bezahlten Urlaub und die Zahlung der Beiträge zum System der Familienleistungen an die Stelle des Zulieferers. Der Hauptarbeitgeber wird haftbar für die Zahlungen, die an die Helfer zu leisten sind. Statt zwischen dem „Hauptheimarbeiter" und den „Helfern" zu unterscheiden, könnten die Helfer besser geschützt sein, wenn die Gesetzgebung sie selbst wie Heimarbeiter behandelte. Die Rolle der Vermittler Die Einschaltung von Vermittlern ist ein weiterer Problembereich, wenn es um die Bestimmung der Natur des Beschäftigungsverhältnisses des Heimarbeiters geht. Vermittler werden als Personen definiert, die ein Einkommen daraus erzielen, daß sie Aufträge von einem oder mehr Unternehmen annehmen und von einem oder mehr Heimarbeitern erfüllen lassen. In der Tat berechnen sie dem Arbeitgeber einen Prozentsatz des Stücklohns, der dem Heimarbeiter gezahlt wird. In den Definitionen der Heimarbeit werden die Vermittler zumeist als Mittel zur Abstimmung von Angebot und Nachfrage anerkannt (Deutschland, 3012-5.G94 38 Heimarbeit Österreich). In einer Reihe von Ländern jedoch wird davon ausgegangen, daß sie das Gesetz umgehen, und sie sind daher verboten. Der Europarat hat erklärt9: „Es ist nachgewiesen worden, daß sich Arbeitgeber sehr oft mit den Vermittlern absprechen, um diese als Strohmänner zu benutzen, was sie von ihren vertraglichen Verpflichtungen den Arbeitnehmern gegenüber befreit." Da es der Vermittler ist, der unmittelbar mit dem Heimarbeiter in Verbindung steht und den Vertrag abschließt, ist es für den Heimarbeiter sehr oft schwierig zu wissen, wer der echte Arbeitgeber ist (wenn dies nicht im Vertrag offengelegt wird). Dies ist ein System, das als Kunstgriff benutzt werden kann, um die Hauptarbeitgeber von ihren Verpflichtungen zu befreien. Selbst wenn — wie in Italien10 — die Vermittler gesetzlich verboten sind, können Wege zur Umgehung des Verbots gefunden werden, z.B. durch ein „Kettensystem", das auf eine Reihe von Zulieferern zurückgreift, die schließlich einen Teil der Arbeit an Heimarbeiter vergeben. Es gibt auch das System der Scheingenossenschaften, die den Heimarbeitern vom Zulieferer aufgezwungen werden, so daß sie über Vermittler verhandeln müssen. So vermeidet der Zulieferer jede direkte Beziehung zu den einzelnen Heimarbeitern und hat damit keine gesetzlichen Verpflichtungen ihnen gegenüber. Eines der Hauptprobleme im Zusammenhang mit der Umgehung des Gesetzes durch den Rückgriff auf Vermittler ist ihre unklare Rechtsstellung. Gelten sie als Arbeitnehmer, als Arbeitgeber, die Heimarbeiter verpflichten, oder als selbständig Erwerbstätige? Das Recht der meisten Länder regelt diese Frage nicht. In Argentinien wurde eine Lösung gewählt, die zeigt, wie komplex das Problem ist. Vermittler werden einerseits im Zusammenhang mit dem Unternehmen, das die Arbeit vergibt, als Heimarbeiter definiert, andererseits im Zusammenhang mit den Arbeitnehmern, denen sie Arbeit geben, als Arbeitgeber, die den Verpflichtungen aus dem Heimarbeitsgesetz unterliegen. Was die Verantwortung angeht, haftet das Unternehmen, weil davon ausgegangen wird, daß die von Vermittlern verpflichteten Arbeitnehmer vom ursprünglichen Arbeitgeber eingestellt wurden. Unternehmen und ihre Vermittler haften gemeinsam für die Zahlung der Löhne und haben sicherzustellen, daß die Erfordernisse in bezug auf die Arbeitsbedingungen eingehalten werden. Einige wenige Länder, so z.B. Ecuador, behandeln Vermittler, als ob sie die Stellung des Hauptarbeitgebers hätten, und als solche sind sie für die Einhaltung der Rechtsvorschriften verantwortlich, wie sie für die Arbeitsbedingungen des Heimarbeiters maßgebend sind. In Frankreich sieht das Arbeitsgesetzbuch ausdrücklich vor, daß der Arbeitgeber selbst dann für die Einhaltung verantwortlich ist, wenn auf Vermittler zurückgegriffen wird, aber in der Praxis kann es schwierig sein, die Verantwortung des Arbeitgebers nachzuweisen. In Australien (Victoria)" ist im Bekleidungssektor, der Vermittler benutzt, eine der Hauptschwierigkeiten für die Heimarbeiter die Bestimmung ihres Hauptarbeitgebers oder letztlichen Arbeitgebers, wenn sie eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu beantragen versuchen. Das entsprechende Gesetz bürdet die Verantwortung für die Entschädigung von Heimarbeitern dem „primären" Arbeitgeber und nicht dem Vermittler auf. 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 39 Arbeitsbedingungen Die Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter sind in begrenztem Maß im Heimarbeitsrecht geregelt. In einigen Fällen (Dänemark, Deutschland, Vereinigtes Königreich) wird ihre Festlegung Kollektivverträgen oder Schiedssprüchen überlassen; in anderen (Japan) legt das Gesetz Mindestnormen fest. In Österreich wird davon ausgegangen, daß die Bestimmungen eines für die Heimarbeit geltenden Kollektivvertrags fester Bestandteil des Arbeitsvertrags sind. Viele Probleme ergeben sich jedoch aus dem Versuch, das Arbeitsrecht auf Heimarbeiter auszudehnen, ohne es den besonderen Umständen und Merkmalen der Heimarbeit anzupassen. Entgelt Einer der Hauptzwecke des innerstaatlichen Heimarbeitsrechts ist, dem Heimarbeiter einen Lohn zu sichern, der sich mit jenem eines Arbeitnehmers im Unternehmen vergleichen läßt, oder einen Mindestlohn festzusetzen, der für Heimarbeiter im allgemeinen oder für Heimarbeiter in einem bestimmten Wirtschaftssektor gilt. Der Teil von Kapitel II dieses Berichts, in dem auf die Höhe des Entgelts eingegangen wird, enthält Beispiele, die darauf schließen lassen, daß dieses Ziel oft nicht erreicht wird und viele Heimarbeiter erheblich weniger erhalten als ihre Kollegen in einer regelmäßigen Beschäftigung. Es gibt viele Gründe dafür, darunter die grundlegende Anfälligkeit der Heimarbeiter und das Fehlen von Aufsicht und Vollstreckung, auf die später in diesem Kapitel eingegangen wird. Ein Teil des Problems kommt jedoch daher, daß das Lohnschutzrecht sowohl in industrialisierten Staaten als auch in Entwicklungsländern Mängel aufweist. In vielen Ländern überläßt das Arbeitsrecht die Festsetzung der Lohnsätze für Heimarbeiter den betroffenen Parteien (dem Arbeitgeber und dem einzelnen Heimarbeiter) oder Kollektivverträgen, die für den betreffenden Industrie- oder Wirtschaftszweig gelten. In Australien werden die Sätze in Schiedssprüchen festgelegt, die für eine Industrie oder einen Beruf verbindlich sind. In Frankreich werden sie durch Ministerialverordnung festgelegt, wenn es keinen für Heimarbeiter geltenden Gesamtarbeitsvertrag gibt. In einigen Ländern (Deutschland, Italien, Japan, San Marino) sehen die Heimarbeitsgesetze die Bildung von besonderen dreigliedrigen Ausschüssen zur Festsetzung der Löhne der Heimarbeiter vor. In Italien ist der Direktor des regionalen Arbeitsamts verantwortlich für die Festsetzung der Löhne, wenn der regionale Heimarbeitsausschuß binnen einer bestimmten Frist keine Einigung erzielen kann. In einigen Ländern werden durch Sondervorschriften Lohnsätze für bestimmte Wirtschaftszweige festgelegt. So setzt z.B. in Irland die 1983 vom paritätischen Arbeitsausschuß für die Hemdenschneiderei erlassene Verordnung zur Regelung der Beschäftigung Zeit- und Stücklohnsätze für alle Berufs- und Arbeitnehmergruppen fest, auch für die Heimarbeiter. Wenn die Löhne der Heimarbeiter durch die Gesetzgebung festgelegt werden, ist diese in der Regel äußerst unbestimmt. Einige der älteren Gesetze sprechen davon, daß die Sätze auf dem „beruhen" sollten, was für ähnliche Arbeit in der Fabrik gezahlt wird, ohne effektiv festzustellen, daß sie gleich sein 3012-5.G94 40 Heimarbeit sollten. In anderen Fällen heißt es in den Bestimmungen, daß die Heimarbeiter einen Lohn erhalten sollten, der sich mit dem Lohn eines Arbeitnehmers vergleichen läßt, der die gleiche Art von Arbeit im Unternehmen verrichtet, oder der nicht niedriger sein sollte. Nicht berücksichtigt werden dabei der Unterschied in den Arbeitsbedingungen in der Fabrik und im Heim oder die mit der Heimarbeit verbundenen Einsparungen für den Arbeitgeber und zusätzlichen Kosten für den Arbeitnehmer. Wenn keine Vergleichsgrundlage gegeben ist, liegt es in der Verantwortung des Arbeitgebers, die Zeit einzuschätzen, die für die Erfüllung der Aufgabe notwendig ist (Schweiz, Vereinigte Staaten), und die Berechnungsmethode wird dem Heimarbeiter mitgeteilt (aber nicht unbedingt mit ihm vereinbart) (Deutschland). Ferner wird dabei — außer im Fall neuerer Schweizer Rechtsvorschriften — in der Regel übersehen, daß Vergleiche unmöglich sind, wenn im Unternehmen keine ähnlichen Tätigkeiten ausgeführt werden. In einer erheblichen Zahl von Ländern gilt eine gesetzliche Mindestlohnregelung für Heimarbeiter, aber in anderen ist nicht klar, ob Heimarbeiter unterstellt sind oder nicht (Kanada). In Japan muß den Heimarbeitern wenigstens der Mindestlohn gezahlt werden (das japanische Heimarbeitsgesetz von 1970 gibt dem Minister Vollmacht, falls notwendig Mindestlohnsätze festzulegen). In Mexiko entscheiden regionale Mindestlohnkommissionen die Frage. In einigen Fällen müssen unter Umständen Sondersätze angenommen werden (Indien). Einige Länder, wie z.B. Frankreich, die einen nationalen Mindestlohn eingeführt haben, wenden diesen auf Heimarbeiter an, die damit wie Arbeitnehmer behandelt werden. Dies ist jedoch eine Quelle rechtlicher Komplikationen und nicht immer wirkungsvoll. In Kanada (Quebec) z.B. schließt der Ausdruck „Arbeitnehmer" die Heimarbeiter ein, aber das Provinzgericht hat entschieden, daß Arbeitnehmer, die in bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsmethoden keinerlei Kontrolle unterliegen, nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes definiert werden können. Die Gesetze bestimmen mitunter, daß die Löhne der Heimarbeiter auf Stücklohnbasis festzusetzen sind, wobei davon ausgegangen wird, daß die Herstellung jedes Stückes einen bestimmten Zeitaufwand erfordert. Viele Gesetze schweigen sich aus oder unterlassen die Regelung der Fertigungszeiten, wie sie normalerweise vom Arbeitgeber festgesetzt werden; diese können zu niedrig angesetzt sein und den Heimarbeiter zwingen, schwerer oder länger zu arbeiten als der gewöhnliche Arbeitnehmer. Für die Festsetzung von Stücklohnsätzen in Portugal sieht das Gesetz vor, daß von der durchschnittlichen Zeit auszugehen ist, die für die Erzeugung der Ware oder Dienstleistung benötigt wird; dabei ist die Durchschnittszeit die Zeit, die normalerweise für die Erfüllung der gleichen Aufgabe im Betrieb aufgewendet würde. Beispiele aus der australischen Bekleidungsindustrie und den Niederlanden sind bereits in dem Teil von Kapitel II erwähnt worden, der dem Entgelt gilt. Im Bericht des Europarats wird die Festsetzung von Vorgabezeiten durch einen sachkundigen, unparteiischen Beamten (z.B. den Beamten der Arbeitsaufsicht), wenn die Normzeit für eine bestimmte Aufgabe nicht durch Kollektivvertrag festgelegt ist, als wesentliche Voraussetzung für die Herstellung der Lohnvergleichbarkeit für Heimarbeiter angesehen12. Verordnungen auf den Philippinen sehen vor, daß das Ministerium für Arbeit und Beschäftigung auf eigene Initiative oder auf Antrag eine Standardproduktion oder 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 41 einen Stück- oder Mindestlohn für eine bestimmte Arbeit festsetzen kann. Mit der Festsetzung von Lohnsätzen können Zeit- und Bewegungsstudien, vom Ministerium gebilligte Einzel- oder Kollektivverträge oder dreigliedrige Konferenzen verbunden sein. In Frankreich regelt das Gesetz Vorgabezeiten und Kollektivverträge für die Berufe, in denen Heimarbeiter beschäftigt sind; ansonsten hat der Präfekt eines Departements — in Ermangelung eines Kollektivvertrags — ein Schema der für den Abschluß von Standardarbeiten erforderlichen Zeiten herauszugeben. Zur Berechnung des Mindestlohns des Heimarbeiters wird der feste Stundenlohn mit der für den Abschluß der Arbeit erforderlichen Zeit multipliziert. Gleichwohl zeigt eine von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Frankreich durchgeführte Erhebung13, daß „Brachzeiten" in der Fertigung (z.B. Werkzeugwechsel, Materialsortierung usw.) bei der Berechnung der Stücklöhne übergangen werden, so daß es immer eine Differenz zwischen der effektiv für die Arbeit aufgewandten Zeit und der Zeit gibt, die bezahlt wird. In einigen Ländern (Deutschland, Ecuador, Niederlande, Österreich) müssen die Lohntarife deutlich sichtbar an einer Stelle ausgehängt werden, an der die Arbeitnehmer Arbeit abholen oder abliefern oder ihren Lohn empfangen. Das eigens für die Heimarbeit geltende Recht — nicht aber das allgemeine Arbeitsrecht — schreibt oft vor, daß Heimarbeitern ihre Spesen zu erstatten sind und daß ihnen eine Entschädigung für die Benutzung ihrer eigenen Räumlichkeiten, Arbeitsmittel, Energie usw. zu gewähren ist. In mehreren Ländern (Frankreich, Peru, Russische Föderation, Ungarn) ist ein als Prozentsatz des Lohnes bemessener fester Satz als Zuschlag zu zahlen. Ein weiterer Faktor einer gerechten Lohnfindung sind die Transportkosten, die vom Arbeitgeber nicht erstattet werden. Wenn Heimarbeiter einen Weg zurückzulegen haben, um Aufträge zu erhalten oder die fertige Arbeit abzuliefern, entstehen ihnen Unkosten, deren Erstattung oft nicht gesetzlich vorgesehen ist. Nur in El Salvador, Mexiko, Österreich, Paraguay, Peru, Polen und Ungarn muß der Heimarbeiter für die Wartezeit entschädigt werden, die er im Betrieb des Arbeitgebers verbringt, aber die Erstattung der Fahrtkosten ist in der Gesetzgebung nicht vorgesehen. Verschiedene Länder (Costa Rica, Guatemala, Haiti, Paraguay, Polen) regeln die Grenzen, in denen der Arbeitgeber das Recht hat, Lohnabzüge wegen mangelhafter Arbeit, Materialverschwendung und ähnlichem vorzunehmen, und bestimmen den Betrag, der abgezogen werden kann. Schließlich ist der Versuch, auf dem Weg über die Gesetzgebung einen Mindestlohn zu begründen, völlig unwirksam, wenn der Heimarbeiter nicht genug Arbeit hat, um dieses Einkommen zu erreichen. Die Gesetzgebung ist auf diese Schwierigkeit nicht eingegangen. Die innerstaatlichen gesetzlichen und sonstigen Vorschriften zwingen die Arbeitgeber nicht, ihren Heimarbeitern ein konstantes Arbeitsvolumen zu geben; tatsächlich ist eine ungleichmäßige Arbeitslast und damit ein unregelmäßiger Verdienst typisch für die Heimarbeit, ohne daß es in Zeiten mit niedrigem oder ohne Verdienst Ausgleichszahlungen gibt. Ein Kollektivvertrag hat in Portugal14 eine Verpflichtung zur Versorgung mit Arbeit eingeführt, die es Heimarbeitern gestattet, einen Monatslohn zu erzielen, der ihrem durchschnittlichen Monatslohn im vorangegangenen Jahr oder in der 3012-5.G94 42 Heimarbeit vorangegangenen Vertragsperiode entspricht, falls diese kürzer war. Dieser Ansatz könnte im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung unter angemessenen Umständen erwogen werden. Sicherheit der Beschäftigung Die Frage der Sicherheit der Beschäftigung hat für Heimarbeiter zwei Aspekte: das Fehlen eines garantierten Einkommens und der Kündigungsschutz. Wenn Heimarbeiter vom Gesetzgeber als „Arbeitnehmer" anerkannt werden, sind sie in gleichem Maß wie andere Arbeitnehmer vor ungerechtfertigter Entlassung geschützt, und der Arbeitgeber ist verpflichtet, bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses eine vorgeschriebene Mindestkündigungsfrist einzuhalten. Wie jedoch bereits angemerkt, stellt die Gesetzgebung in vielen Fällen nicht sicher, daß der Heimarbeiter diese Stellung hat. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Entlassung vorliegt, wenn der Arbeitgeber auf längere Zeit keine Arbeit vergibt. Dies mag lediglich darauf zurückzuführen sein, daß der Arbeitgeber selbst keine Aufträge hat, nicht aber auf den Wunsch, auf die Dienste des Heimarbeiters zu verzichten. Der Zustand mag nur vorübergehend sein, obwohl sich seine Dauer durchaus nicht vorhersagen läßt. Natürlich können Arbeitgeber bestimmten Heimarbeitern bewußt Arbeit vorenthalten; in diesem Fall sind sie nicht verpflichtet, einen Grund anzugeben, wie dies im Fall eines förmlichen Entlassungsverfahrens notwendig wäre, und keine Kündigungsfrist ist vorgeschrieben. Dies läuft de facto auf eine „verkappte Entlassung" hinaus. Einige Länder gehen auf die Beendigung eines Vertrags wegen Arbeitsmangels ein. So sehen z.B. Änderungen der letzten Zeit im Recht der Dominikanischen Republik vor, daß ein Grund für die Beendigung des Heimarbeitsvertrags gegeben ist, wenn der Arbeitgeber es versäumt, während einer Dauer von vier Wochen mindestens drei Tage Arbeit wöchentlich zu vergeben, oder wenn der Arbeitnehmer für eine solche Arbeit nicht zur Verfügung steht. Falls nichts anderes vereinbart ist, wird in Portugal davon ausgegangen, daß der Vertrag eines Heimarbeiters, der während mehr als 60 aufeinanderfolgenden Tagen keine Arbeit erhalten hat, nach dem Ende dieses Zeitraums beendigt ist. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung in Höhe von mindestens 50 Prozent des Entgelts für die Zeit ohne Arbeit oder eines Durchschnittswerts für das vorangegangene Jahr oder die Vertragsperiode, wenn diese kürzer ist. Nur einige wenige Länder haben die Entlassung von Heimarbeitern gesetzlich geregelt. Das deutsche Heimarbeitsgesetz fordert die gesetzliche Beendigung des Vertrags zum Zeichen, daß das Beschäftigungsverhältnis beendigt ist. Die Kündigungsverfahren sind in einer ähnlichen Form geregelt wie für normale Arbeitsverträge: In den ersten zwei Wochen der Beschäftigung kann dem Heimarbeiter von einem Tag zum anderen gekündigt werden, danach beträgt die Kündigungsfrist aber zwei Wochen. Die Kündigungsfrist gilt jedoch nur, wenn der Heimarbeiter regelmäßig vom Arbeitgeber beschäftigt wird. Das gleiche Gesetz sieht vor, daß das Beschäftigungs Verhältnis nach einer Dauer von fünf Jahren nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat beendigt werden kann (nach zehn Jahren zwei Monate; nach 20 Jahren drei Monate). Es enthält auch Maßnahmen, durch die verhindert werden soll, daß das Entlassungs3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 43 verfahren vermieden wird, da ein Arbeitgeber ansonsten sehr leicht die Kündigungsfrist umgehen könnte, indem er dem Heimarbeiter weniger oder gar keine Arbeit gibt. Schließlich sind auch Maßnahmen vorgesehen, die skrupellose Praktiken verhindern sollen, wie z.B. die weitgehende Einschränkung der vergebenen Aufträge, um den Heimarbeiter zu zwingen, die Bedingungen des Arbeitgebers anzunehmen. Will der Arbeitgeber die Arbeitsmenge um mehr als 25 Prozent der ursprünglichen Arbeit verringern, so muß er die Kündigungsfrist einhalten, wie wenn es sich um eine gesetzliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses handelte. Auch im japanischen Recht gibt es eine Wartezeit (sechs Monate ununterbrochener Beschäftigung); hat der Heimarbeiter diese Zeit zurückgelegt, so muß der Arbeitgeber in aller Form kündigen. Auch in Portugal regelt das Gesetz die Beendigung von Verträgen und sieht Kündigungsfristen vor, die sich nach der Beschäftigungsdauer richten. Auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses wird nur in einigen wenigen Ländern eingegangen, aber noch kleiner ist die Zahl der Länder, in denen das Gesetz eine Abfindung bei Entlassung vorsieht; dies gilt z.B. für Deutschland, Portugal und Uruguay. Nach dem deutschen Heimarbeitsgesetz haben Heimarbeiter bei Entlassung Anspruch auf eine Barabfindung in Form eines Prozentsatzes des in den vorangegangenen 24 Wochen verdienten Lohnes. Wie schon weiter oben angemerkt, ist auch in Portugal eine Abfindung vorgesehen, wenn Arbeitsmangel zum Ablauf eines Vertrags führt. Arbeitszeit Es mag zwar unangebracht erscheinen, die Arbeitszeit von Arbeitnehmern zu regeln, denen es wirklich freisteht, ihre Arbeitszeit zu organisieren, doch sollte die Wahlfreiheit nicht zu übermäßigen Arbeitszeiten führen. Dies ist aber üblich in der Heimarbeit, wo die Lieferfristen oft zu kurz sind, die Fertigungszeiten vom Arbeitgeber zu niedrig angesetzt werden und die Löhne niedrig sind. Als Ergebnis muß der Heimarbeiter zumeist länger arbeiten, um einen Mindestlohn zu verdienen. In den meisten Ländern gelten die zwingenden Arbeitszeit- und Überstundenregelungen nicht für Heimarbeiter. In Belgien sind die Heimarbeiter ausdrücklich von den Bestimmungen über die Arbeitszeit und die Sonntagsruhe ausgenommen, und in Brasilien und Kanada sind sie von den gesetzlichen Arbeitszeit- und Überstundenvorschriften ausgenommen. In Frankreich, Haiti, Marokko und der Russischen Föderation gelten für Heimarbeiter die gleichen Regeln wie für andere im selben Betrieb. In Haiti muß der Arbeitgeber Liefertermine vereinbaren, die auf die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit, der wöchentlichen Ruhezeiten und der Feiertage Bedacht nehmen. Einige wenige andere Länder (Deutschland, Japan, Österreich und die Schweiz) bemühen sich, übermäßig lange Arbeitszeiten zu begrenzen. Nach dem österreichischen Heimarbeitsgesetz sollte die für die Ablieferung der Arbeit eingeräumte Zeit die Möglichkeit bieten, den Auftrag binnen der gesetzlichen Arbeitszeit zu erledigen, ohne daß an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden muß. Wenn Arbeit an schwangere Frauen oder stillende Mütter vergeben wird, muß die Zeit so bemessen sein, daß der Auftrag ohne Nachtarbeit oder Arbeit 3012-5.G94 44 Heimarbeit an Sonn- oder Feiertagen erledigt werden kann. Um sicherzustellen, daß diese Vorschriften wirksam angewandt werden, ist es in das Ermessen der Arbeitsaufsicht gestellt, auf Antrag des Arbeitgebers, des Vermittlers oder des Heimarbeiters zu entscheiden, welche Arbeitsmenge zulässig ist. In Deutschland darf die Menge der vergebenen Heimarbeit nicht größer sein als das, was ein gesunder Arbeitnehmer ohne Hilfe in der normalen Arbeitszeit vergleichbarer Industriearbeiter leisten kann. In Japan muß die Vergabe der Arbeit so organisiert werden, daß der Heimarbeiter nicht länger arbeiten muß als die gewöhnliche Arbeitszeit. Wie im Bundesheimarbeitsgesetz der Schweiz festgestellt wird, muß die zeitliche Frist für den Abschluß der Arbeit so bemessen sein, daß der Heimarbeiter nicht mehr als acht Stunden täglich und nicht an Sonntagen zu arbeiten hat. Das Schweizer Recht geht sogar noch einen Schritt weiter: Es fordert vom Arbeitgeber die Einschätzung der persönlichen Produktionskapazität des Heimarbeiters. Es ist anzumerken, daß diese Arbeitszeitbegrenzungen mit realistisch bestimmten Zeiten für die Erledigung von Aufträgen verbunden sein müssen, wenn sie nicht nur die Arbeitszeit begrenzen, sondern dem Heimarbeiter auch einen angemessenen Verdienst gewährleisten sollen. Ansonsten könnten sie eine Verdienstminderung durch Verkürzung der Arbeitszeit zur Folge haben. Bezahlter Jahresurlaub und bezahlte Feiertage Die Gesetzgebung mehrerer Länder gewährt Heimarbeitern einen Anspruch auf Jahresurlaub unter ähnlichen Bedingungen wie für Arbeitnehmer im Betrieb; allerdings kann das Urlaubsgeld in den unterschiedlichsten Formen berechnet werden. Als großes Hindernis steht der Wahrnehmung dieses Anspruchs jedoch das Erfordernis entgegen, daß Heimarbeiter mehr oder weniger dauernd von einem Arbeitgeber beschäftigt werden müssen. Mit anderen Worten: Wenn Heimarbeiter unregelmäßig und für verschiedene Arbeitgeber arbeiten, haben sie keinen Anspruch auf solche Leistungen. In Argentinien muß der Arbeitgeber zwölf Zweiwochenperioden im Kalenderjahr gearbeitet haben, um den Anspruch zu erwerben, und in Österreich hat er einen Urlaubsanspruch von zweieinhalb Arbeitstagen je gearbeiteten Monat, sofern er sechs Monate ununterbrochen beim betreffenden Arbeitgeber beschäftigt war. In Kanada (Ontario) und der Dominikanischen Republik hat ein Heimarbeiter Anspruch auf zwei Wochen bezahlten Urlaub nach jeweils zwölf Beschäftigungsmonaten. Die Wartezeit beträgt zwölf Monate in El Salvador und elf Monate in Panama. In Deutschland wird ein bezahlter Urlaub von 18 Tagen gewährt; das Urlaubsgeld beläuft sich auf 6,75 Prozent des Bruttojahresverdienstes. In Ungarn haben nur bestimmte Heimarbeiter einen gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, aber in Uruguay haben alle Heimarbeiter Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub, der sich nach der gearbeiteten Zeit und dem Verdienst richtet; die Arbeitgeber zahlen Beiträge in einen Heimarbeitsfonds ein, aus dem verschiedene Leistungen — auch bezahlter Urlaub — finanziert werden. Eine ähnliche Kontinuität der Beschäftigung ist auch Voraussetzung für den Anspruch auf Feiertage. In Paraguay z.B. haben Heimarbeiter Anspruch auf bezahlte Feiertage, wenn sie in den vorangegangenen zwei Wochen gearbeitet haben. 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 45 Die Gesetzgebung sieht mitunter für Heimarbeiter den gleichen bezahlten Urlaub vor wie für reguläre Arbeitnehmer (z.B. in Norwegen); andere Länder (Barbados, Irland und Paraguay) schließen sie ausdrücklich vom gesetzlich bezahlten Urlaub aus. Einige Gesetze sehen die Zahlung einer Zulage anstelle des bezahlten Urlaubs vor. In Frankreich haben Heimarbeiter und ihre Helfer Anspruch auf ein Jahresurlaubsgeld, das sich auf 10 Prozent des Bruttojahres Verdienstes beläuft. Wie es jedoch scheint, bietet dies Heimarbeitern einen Anreiz, länger zu arbeiten, da es finanziell attraktiver ist, keinen Urlaub zu nehmen, weil die Zulage dann höher ist. Ein wirkungsvollerer Ansatz besteht darin, eine bestimmte Zahl von Urlaubstagen mit Urlaubsgeld zu gewähren, wie in Deutschland und Österreich. Ob eine solche gesetzliche Regelung wirklich funktioniert, hängt zum Teil von der Einstellung des Arbeitgebers ab. Die Bestimmungen über den bezahlten Jahresurlaub dürften unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber während der Urlaubszeit des Heimarbeiters weiter Arbeit vergibt; einige Gesetze, so z.B. in Argentinien, schreiben daher vor, daß in einer Urlaubszeit keine Arbeit vergeben werden darf. Soziale Sicherheit In den meisten Ländern ist die Soziale Sicherheit ein beschäftigungsbezogenes System, das auf den Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer oder beider beruht. Die Höhe der Rente und anderer regelmäßig wiederkehrender Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Mutterschaft oder Arbeitsunfall hängt gewöhnlich mit der Höhe des Arbeitsverdienstes zusammen. Der Anspruch auf Leistungen der Sozialen Sicherheit hängt davon ab, daß ein Beschäftigungsverhältnis besteht. Folglich ist die soziale Sicherung nur den Heimarbeitern gewährleistet, die nach innerstaatlichem Recht die Stellung von Arbeitnehmern haben. Da dies in vielen Ländern nicht der Fall ist, dürften die Heimarbeiter von den Systemen der Sozialen Sicherheit ausgeschlossen sein. Eine Leistung können auch die Heimarbeiter in den Ländern beziehen, in denen es Systeme in Form eines „Sicherheitsnetzes" gibt, die allen Einwohnern und Bürgern ohne Rücksicht auf die individuellen Beiträge eine niedrige Pauschalleistung gewähren, sofern sie eine Wohnsitzbedingung erfüllen. Einige Systeme der Sozialen Sicherheit gestatten Erwerbstätigen, insbesondere selbständig Erwerbstätigen, auch Beiträge auf freiwilliger Basis, wobei sich der Staat mit Steuermitteln an der Finanzierung beteiligt. Länder mit einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Heimarbeit schreiben oft klar die Unterstellung der Heimarbeiter unter die Soziale Sicherheit vor, wobei de facto die für reguläre Arbeitnehmer geltenden Maßnahmen auf die Heimarbeiter erstreckt werden. Da aber die Arbeitsbedingungen und Bedürfnisse der Heimarbeiter erheblich anders sind, können Durchführungsprobleme entstehen. Außerdem kann der Anspruch auf Leistungen aus dem System von verschiedenen Voraussetzungen abhängen, deren Erfüllung Heimarbeitern schwerfallen mag. Der Anspruch auf Leistungen der Sozialen Sicherheit hängt mitunter von einer Mindestzahl von Arbeitsstunden in Verbindung mit einem Mindestverdienst 3012-5.G94 46 Heimarbeit ab. In Österreich z.B. müssen Heimarbeiter den Gegenwert von zehn bis zwölf Stundenlöhnen wöchentlich verdienen. In den Niederlanden gilt als Voraussetzung, daß sie mindestens 40 Prozent des monatlichen Mindestlohns verdienen. Es mag für Heimarbeiter schwer sein, dieses vorgeschriebene Mindesteinkommen zu erreichen, weil ihr Lohn niedrig ist. Überdies halten die Arbeitgeber die Arbeitslast oft bewußt unter diesem Stand. Das Erfordernis einer ununterbrochenen Arbeit kann ebenfalls ein schweres Hindernis für den Anspruch auf Leistungen der Sozialen Sicherheit sein, da die Heimarbeit durch eine unregelmäßige und ungleichmäßige Arbeitslast geprägt ist. Nach einer Empfehlung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften15 sollte die Gesetzgebung vorsehen, daß Arbeitszeiten, die der Heimarbeiter für verschiedene Arbeitgeber leistet, im Hinblick auf die Erfüllung der Voraussetzungen für Leistungen der Sozialen Sicherheit zusammengerechnet werden können. In vielen industrialisierten Ländern (z.B. Deutschland, Finnland, Österreich, Slowakei, Tschechische Republik) werden die Heimarbeiter zumindest teilweise durch die Soziale Sicherheit geschützt, sofern sie als Arbeitnehmer gemeldet sind und Beiträge für sie geleistet werden. In den Niederlanden und Spanien wurden für Heimarbeiter besondere Regelungen der Sozialen Sicherheit erlassen. In Portugal sind die Heimarbeiter dem allgemeinen System der Sozialen Sicherheit unterstellt, das jene schützt, die für einen anderen arbeiten und bei Familienpflichten, Mutterschaft, Berufskrankheiten, Invalidität, Alter und Tod geschützt sind. In Uruguay unterstehen die Heimarbeiter allgemein dem für andere Arbeitnehmer geltenden System der Sozialen Sicherheit. Ärztliche Betreuung steht den Heimarbeitern zur Verfügung, die das Mindesteinkommenserfordernis erfüllen und für die laufend Beiträge gezahlt wurden. Können sie die Voraussetzungen aufgrund von gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen über gearbeitete Tage und Stunden nicht erfüllen, so sieht die Krankenversicherung Leistungen für Heimarbeiter vor, die mindestens 13 Tage monatlich arbeiten oder das l,25fache des nationalen Mindestlohns beziehen. In Honduras und Venezuela haben Heimarbeiter keinen Anspruch auf Soziale Sicherheit, außer in der Bekleidungs- und Tabakindustrie. Bei der prekären Lage der Heimarbeiter ist der Anspruch auf Soziale Sicherheit von lebenswichtiger Bedeutung für sie. In vielen Entwicklungsländern gibt es jedoch entweder keine Vorkehrungen zur sozialen Sicherung oder sie stecken noch in den Kinderschuhen, und der Heimarbeiter ist daher in dieser Hinsicht nicht schlechter gestellt als andere. Arbeitslosengeld Wie bereits ausgeführt wurde, können Heimarbeiter wegen ihrer ungleichmäßigen Arbeitslast oft Zeiten einer „vorübergehenden Arbeitslosigkeit" ausgesetzt sein — ein Sachverhalt, der normalerweise vom Recht der Sozialen Sicherheit nicht anerkannt wird. Zu den Anspruchsvoraussetzungen für das Arbeitslosengeld gehören oft eine Mindestbeschäftigung während einer vorgeschriebenen Zeitdauer und/oder ein Mindestverdienst in dieser Zeit. Im Vereinigten Königreich z.B. haben Heimarbeiter Anspruch auf Arbeitslosengeld nur dann, wenn sie für mindestens 50 Wochen Beiträge gezahlt und ein bestimmtes Einkommen verdient haben. In den Niederlanden berechnet das Arbeitslosen3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 47 geldsystem, das sich nicht auf ständig Beschäftigte beschränkt, die Leistungen aufgrund des früheren Verdienstes, was bedeutet, daß Heimarbeiter mit geringem und unregelmäßigem Einkommen niedrige Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten. Krankengeld Heimarbeiter haben zwar theoretisch Anspruch auf Krankengeld, aber dieses Recht ist gefährdet, wenn sie von ihrem Arbeitgeber der Sozialen Sicherheit nicht gemeldet werden. Selbst wenn sie vom Gesetz als reguläre Arbeitnehmer betrachtet werden, haben sie nicht immer dieselben Rechte. In Deutschland z.B. wird Arbeitnehmern bei Krankheit der volle Lohn für sechs Wochen weitergezahlt, während Heimarbeiter nur Anspruch auf einen Prozentsatz ihres normalen Verdienstes haben. Ein anderes Problem betrifft die Krankenversicherung. Die Niederlande unterscheiden z.B. in der Versicherung nach Tagen und nach Wochen, und ein unregelmäßig beschäftigter Arbeitnehmer kann nur an den Tagen geschützt sein, an denen die Arbeit ausgeführt werden soll. Dies hat viele Probleme für Heimarbeiter geschaffen, da das Krankengeld verweigert werden kann, wenn die Krankheit vor dem von der Versicherung gedeckten Tag bestand, z.B. an dem Tag, an dem ein neuer Auftrag anlaufen soll. Mutterschaftsgeld Da zu bedenken ist, daß die meisten Heimarbeiter Frauen sind, ist das Mutterschaftsgeld eine wichtige Frage. Mutterschaftsurlaub und andere Leistungen können theoretisch für Heimarbeiter gelten, aber in der Praxis stehen sie nur sehr wenigen von ihnen zu. Damit zusammenhängende Sozialleistungen, wie z.B. bezahlter Urlaub zur Versorgung eines kranken Kindes, Erziehungsurlaub oder bezahlte Stillpausen, stehen Heimarbeitern gewöhnlich nicht zur Verfügung. Arbeitsschutz Der Arbeitsschutz kann besonders wichtig sein, wenn Arbeiten in Räumlichkeiten und unter Bedingungen verrichtet werden, die nicht für diesen Zweck gedacht waren. Sehr verschiedene Ansätze prägen die einschlägige Gesetzgebung. In einer Reihe von Ländern (Costa Rica, Panama, Uruguay, Venezuela) müssen die entsprechenden Arbeiten oder Räumlichkeiten in bezug auf Gesundheit und Sicherheit den von den zuständigen Stellen vorgeschriebenen Bedingungen genügen. In Deutschland wurde dieser Ansatz in der Form erweitert, daß Verordnungen im Zusammenhang mit den Gefahren erlassen werden können, die nach entsprechender Feststellung bestimmten Wirtschaftssektoren gemeinsam sind. Anderswo (Frankreich, Italien, Japan, Polen, Portugal) sind aufgrund verschiedener Vorschriften bestimmte Heimarbeiten verboten, die z.B. das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Heimarbeiter, der mit ihnen lebenden Personen oder der Öffentlichkeit im allgemeinen gefährden würden. In wieder anderen Ländern, wie z.B. Haiti und Österreich, schreibt das Gesetz vor, 3012-5.G94 48 Heimarbeit daß diese Gefahren zu vermeiden sind, oder es ermächtigt den Minister, Heimarbeit unter bestimmten Umständen zu verbieten (dies ist der Fall in Österreich, wenn bestimmte vorgeschriebene Gefahrstoffe verwendet werden sollen). In einer Reihe von Ländern (Costa Rica, Japan, Schweiz) haben die Arbeitgeber die Heimarbeiter in die Vorsichtsmaßnahmen einzuweisen, die notwendig sind, um Gefahren abzuwenden, wenn sie mit gefährlichen Stoffen und Arbeitsmitteln umgehen. In einigen wenigen Ländern (Bolivien, Guatemala, Norwegen, Vereinigte Staaten (New York)) ist Heimarbeitern der Umgang mit Lebensmitteln und anderen Konsumgütern verboten, wenn dadurch Infektionskrankheiten verbreitet werden könnten. In Portugal muß für Heimarbeiter, deren Arbeit mit dem Umgang mit Lebensmitteln verbunden ist, anhand einer ärztlichen Untersuchung bescheinigt werden, daß sie frei von übertragbaren Krankheiten sind. Am anderen Ende der Skala schließen Bolivien, Finnland und Singapur die Heimarbeiter überhaupt vom Geltungsbereich des Arbeitsschutzrechts aus, während sie in Dänemark und Schweden nur von bestimmten, ausdrücklich angegebenen Vorschriften ausgenommen sind. Ganz abgesehen von der Schwierigkeit der Durchsetzung, auf die später in diesem Kapitel eingegangen wird, ist die Gesetzgebung zur Gewährleistung der Gesundheit und Sicherheit der Heimarbeiter oft durchaus unzulänglich. Der Europarat16 fordert dringend die Behandlung von Arbeitsschutzfragen im Heimarbeitsrecht, möglicherweise nach dem Muster des italienischen Gesetzes, das Tätigkeiten verbietet, wenn sie mit der Verwendung von Material verbunden sind, das schädlich oder gefährlich für die Gesundheit ist. Dieses Verbot könnte in Fällen gelockert werden, in denen angemessene Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden. Meldung, Registrierung und Aufsicht Die Gesetzgebung mehrerer Länder (Dominikanische Republik, Kanada (Ontario), Russische Föderation) versucht, die Heimarbeit dadurch zu kontrollieren, daß sie dem Arbeitgeber die Auflage erteilt, eine besondere Genehmigung oder Lizenz einzuholen, damit er überhaupt ein Heimarbeitssystem betreiben kann. In anderen Fällen (Deutschland, Kanada (Manitoba), Mexiko, Österreich, Schweden) ist das Gesetz tolerant, schreibt dem Arbeitgeber aber vor, die Behörden zu verständigen, wenn Heimarbeit für das Unternehmen ausgeführt wird. Die Arbeitgeber können auch verpflichtet werden, Aufzeichnungen über die von ihnen beschäftigten Heimarbeiter zu führen und sie den Behörden entweder als Berichte auf regelmäßiger Grundlage oder auf Verlangen zur Verfügung zu stellen. In mehreren Ländern (Argentinien, Brasilien, Frankreich, Nicaragua, Spanien, Venezuela) muß den Heimarbeitern ein Arbeitsbuch ausgehändigt werden, das bestimmte vorgeschriebene Angaben über den gezahlten Lohn, die vergebene und abgeschlossene Arbeit und in einigen Fällen über die Arbeitsbedingungen enthalten muß. Für die Aufsicht und Durchsetzung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Beschäftigungsbedingungen (Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, Anwendung 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 49 von Mindestlohnvorschriften, Arbeitsschutzfragen und ähnliches) ist oft die nationale Arbeitsaufsicht zuständig. In mehreren Ländern (Argentinien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Österreich, Schweiz), wo es ein eigenes Heimarbeitsrecht gibt, sind für die Aufsicht über die Durchführung der gesetzlichen Vorschriften besondere dreigliedrige Heimarbeitsausschüsse geschaffen worden. Die Gesetzgebung sieht zumeist eine Strafe irgendeiner Art, gewöhnlich eine Geldbuße, für die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften vor. Eine Gefängnisstrafe droht dem Arbeitgeber jedoch in Argentinien, wenn er den Mindestlohn nicht zahlt, in der Dominikanischen Republik, wenn er die Existenz eines Heimarbeitsvertrags verheimlicht, in Deutschland, wenn er es unterläßt, Heimarbeiter über Arbeitsschutzvorschriften zu unterrichten, und in Japan, wenn gegen das Arbeitsschutzrecht verstoßen wird. Abgesehen von den von Hause aus gegebenen Mängeln der innerstaatlichen Heimarbeitsgesetze und -Vorschriften ist das größte Problem der Mangel an Aufsicht und Durchsetzung. In Ländern, in denen das Heimarbeitsrecht sehr alt ist, wird es in der Regel nicht durchgesetzt. In den Niederlanden z.B. wird das Heimarbeitsgesetz von 1933 inzwischen offenbar übergangen. Die in diesem Gesetz enthaltene Liste der Tätigkeiten, die als Heimarbeit betrachtet werden, ist völlig überholt; sie nimmt keine Rücksicht auf jüngste Entwicklungen in diesem Bereich, und die Arbeitsaufsicht greift nur bei Klagen ein. Die inkonsequente Art und Weise, in der das allgemeine Arbeitsrecht auf Heimarbeiter angewandt wird, hat zur Verwirrung in der Auslegung geführt, so daß es den Gerichten überlassen wird, den Beschäftigungsstatus der Heimarbeiter zu bestimmen, wenn eine Klärung notwendig ist. Dies schafft Ungewißheiten für die Vollstreckungsbehörden, die möglicherweise zögern, das Gesetz in strittigen Bereichen durchzusetzen. Das gewichtigste Vollstreckungsproblem betrifft das Entgelt der Heimarbeiter. Obwohl es Gesetze gibt, die vorschreiben, daß Heimarbeiter mindestens soviel verdienen sollten wie Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit im Unternehmen verrichten, und nicht weniger als den Mindestlohn, wird den Heimarbeitern in der Praxis oft weniger gezahlt. Es gibt dafür hauptsächlich drei Gründe. Erstens arbeiten die Institutionen, die zur Festsetzung von Löhnen und Arbeitsbedingungen geschaffen wurden, unter Umständen nicht immer wirksam. So wurden z.B. die niederländischen Heimarbeitsausschüsse und die argentinischen Lohnräte nie eingesetzt. In Argentinien mußte das Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherheit Mindestlöhne für Heimarbeiter festsetzen, weil die Lohnräte nicht funktionierten. In Italien hängt die wirksame Arbeitsweise der dreigliedrigen Aufsichtsausschüsse von dem von den Arbeitgebern bekundeten Interesse und vom Eifer der Arbeitnehmervertreter ab. Zweitens wird häufig das Erfordernis übergangen, wonach die Arbeitgeber die Heimarbeiter bei den Behörden zu melden und ihnen Lohnbücher mit Angaben über Löhne und Arbeitsbedingungen zu geben haben. Drittens haben die Unwirksamkeit der Heimarbeitsausschüsse und die begrenzten Mittel der Arbeitsaufsicht in einzelnen Ländern die Aufsicht über die 3012-5.G94 50 Heimarbeit Heimarbeiter nicht erleichtert. Bei massiver Verletzung der Meldepflicht hat die Arbeitsaufsicht im einzelnen Land kein wirksames Mittel, dieses grundlegende Hindernis auf dem Weg zur Durchsetzung zu überwinden. Heimarbeiter sind verstreut und isoliert und daher weniger in der Lage, die traditionellen Kontrollmechanismen selbst anzurufen. Auch ist nicht sicher, daß die Vergrößerung der nationalen Aufsicht oder ihre Ausstattung mit mehr Befugnissen an sich eine spürbare Verbesserung in der Meldung, der Führung von Aufzeichnungen und der Aufdeckung von Zuwiderhandlungen bringen würde17. Eine wirksame Arbeitsaufsicht wird auch durch mehrere Faktoren behindert, u.a. dadurch, daß Arbeitgeber ihre Heimarbeiter nicht melden. Außerdem werden Arbeitsschutzmaßnahmen im Heimarbeitssektor nur selten wirksam durchgesetzt, da die Mitarbeiter der Arbeitsaufsicht und andere Aufsichtsbeamte oft kein gesetzliches Recht haben, Privatwohnungen zu Inspektionszwecken zu betreten. Es mag notwendig sein, das Gesetz in dieser Hinsicht abzuändern, wobei aber strenge Sicherungen vorzusehen sind, um Mißbräuchen und Hausfriedensbruch vorzubeugen. Sieht die Gesetzgebung den Schutz der Heimarbeiter durch Kollektivverträge vor, so ist der Geltungsbereich des Schutzes entscheidend. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich zwischen den Heimarbeitsbestimmungen des französischen Arbeitsrechts und des italienischen Gesetzes zum Erlaß neuer Vorschriften für die Heimarbeit von 1973. Die italienischen Gerichte haben entschieden, daß Kollektivverträge für Heimarbeiter gelten, selbst wenn sie in den Verträgen nicht ausdrücklich erwähnt sind. In Frankreich jedoch sieht Artikel L 721-6 des Arbeitsgesetzbuchs vor, daß Kollektivverträge für die in ihren Geltungsbereich fallenden Heimarbeiter gelten, läßt aber die Möglichkeit offen, in solchen Verträgen ihren Ausschluß zu verfügen. DiejDurchführung des Gesetzes wird weiter behindert durch die Einschaltung von Vermittlern, wodurch es schwierig wird, den Arbeitgeber zu ermitteln, der gesetzlich für die Einhaltung der Rechtsvorschriften verantwortlich ist. Im allgemeinen ist der Stand der Aufsicht über die Durchführung des Heimarbeitsrechts insgesamt nicht hoch, und es liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß das Maß der Einhaltung entsprechend niedrig ist. KOLLEKTIVVERTRÄGE Kollektivverträge bilden einen kleinen, aber bedeutenden Teil der nationalen Strategien zum Schutz der Heimarbeiter. Nur Deutschland hat offenbar Tarifverträge, die ausschließlich für sie gelten; in anderen Ländern sind die Bestimmungen über die Heimarbeit in Kollektivverträge aufgenommen worden, die für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem bestimmten Industrie- oder Wirtschaftssektor gelten. In einer Reihe von Fällen sind Kollektivverträge in der Gesetzgebung vorgesehen, wenn es auch in der Praxis relativ wenig Bestimmungen gibt, die Heimarbeiter berühren — vielleicht ein Spiegelbild des begrenzten Interesses der Gewerkschaften an der Frage. Einige Kollektivverträge verbieten Heimarbeit in bestimmten Wirtschaftszweigen oder Ortschaften. Dies ist in den Vereinigten Staaten und für bestimmte 3012-5.G94 Gesetzlicher Schutz der Heimarbeiter 51 Teile der Bekleidungs- und Hutindustrie in Kanada (Quebec) der Fall. Im graphischen Gewerbe der Niederlande kann das Verbot vorübergehend aufgehoben werden, wenn die Umstände dies erfordern. In Norwegen und den Vereinigten Staaten darf in der Bekleidungsindustrie Heimarbeit nicht an bereits im Betrieb beschäftigte Personen vergeben werden. Das Ziel der meisten Kollektivverträge ist nicht das Verbot der Heimarbeit, sondern die Festsetzung von Lohnsätzen für Heimarbeiter, die sich mit denen vergleichen lassen, wie sie mit ähnlichen Arbeiten im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer beziehen. Daraus spricht der Wunsch, sowohl Billigkeit für die Heimarbeiter zu erreichen als auch die Löhne der Fabrikarbeiter davor zu schützen, daß sie durch niedrigere Löhne auf dem Weg über die Heimarbeit untergraben werden. Gezahlt werden Stunden-, Tages-, Monats- oder Stücklöhne, je nach der üblichen Zahlungsmethode im betreffenden Wirtschaftszweig. In Belgien wird der Mindeststundenlohn für Schneider und Schneiderinnen in der Form berechnet, daß der Stücklohn durch die Zahl der für die Herstellung des Stücks erforderlichen Stunden dividiert wird. Wenn weder Lohngleichheit noch die Lohnfindungsmethode vorgegeben ist, behandeln Kollektivverträge die Entgeltfrage in der Regel recht allgemein. Wie es in der schwedischen Maschinenbauindustrie im Vertrag lediglich heißt, ist die Zahlung für Heimarbeit so zu berechnen, daß dem Heimarbeiter ein angemessenes Einkommen gesichert wird. Kollektivverträge gehen nicht nur auf den Grundverdienst ein, sondern nehmen oft auch Bedacht auf die besonderen Verhältnisse der Heimarbeiter. So können sie Anspruch auf einen Ausgleich für Nebenkosten (wie z.B. Heizung, Beleuchtung usw.) und Abschreibung auf Anlagen (z.B. Nähmaschinen) haben. Dieser Ausgleich stellt gewöhnlich einen Prozentsatz des Lohnes dar, ohne daß die Aufwendungen getrennt aufgeführt werden. In Deutschland haben Schneiderinnen, Schneider und Schirmmacher Anspruch auf einen Zuschlag von 10 bis 12 Prozent zu ihren Löhnen. In einigen Kollektivverträgen ist der Prozentsatz jedoch je nachdem verschieden, wer die Arbeitsmittel stellt; in der deutschen Schuhindustrie haben Arbeitnehmer, die ihre eigenen Maschinen stellen, Anspruch auf einen Zuschlag von 8 Prozent, während sie nur 6 Prozent bekommen, wenn die Maschinen vom Arbeitgeber gestellt werden. Für die Arbeit erforderliches zusätzliches Material wird normalerweise unentgeltlich vom Arbeitgeber gestellt, aber für Heimarbeiter, die ihr eigenes Material stellen, werden die Kosten entweder getrennt erstattet oder in den Gesamtzuschlag einbezogen. Die meisten Verträge gehen nicht auf das Problem der Überstunden von Heimarbeitern ein; nur in der Bekleidungs- und Textilindustrie in Dänemark und der Uhrenindustrie in der Schweiz gilt die Vorschrift, daß Überstunden zum gleichen Satz wie für Arbeitnehmer im Betrieb zu vergüten sind. In Deutschland erhalten Heimarbeiter in der Hutindustrie Sonn- und Feiertagszuschläge, und in Italien haben Heimarbeiter in der Lederwarenindustrie Anspruch auf die gleichen Nachtarbeitssätze wie andere Arbeitnehmer. Bezahlter Jahresurlaub ist in den Kollektivverträgen einer Reihe von Ländern vorgesehen. Der Anspruch wird in der Regel als Prozentsatz des Bruttojahres- 3012-5.G94 Heimarbeit 52 Verdienstes auf der Grundlage der Gesamtzahl der Arbeitsstunden oder des Verdienstes in einer bestimmten Zeitspanne vor dem Urlaub berechnet. Die Meldung der Heimarbeiter ist in Norwegen, Portugal und Spanien in Kollektivverträgen geregelt. In der Handschuhindustrie in Norwegen steht es den Arbeitnehmern im Betrieb zu, von der Beschäftigung von Heimarbeitern und ihren Lohnsätzen zu erfahren, und der Betriebsrat muß verständigt werden, wenn sie eingestellt werden. Auch dies ist primär ein Versuch, nicht den Heimarbeiter, sondern den Fabrikarbeiter zu schützen. Die Soziale Sicherheit für Heimarbeiter wird in Verträgen in den Niederlanden und Schweden erwähnt. In Schweden haben die Arbeitgeber nach zwingender Vorschrift eine Versicherung für Heimarbeiter abzuschließen, und sie müssen sie auch über die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken aufklären, die mit der Verwendung der vom Arbeitgeber gelieferten Werkzeuge, Maschinen und Werkstoffe verbunden sind. Im graphischen Gewerbe der Niederlande geben Kollektivverträge Heimarbeitern den Vorrang für eine reguläre Beschäftigung, wenn sich freie Stellen ergeben. Anmerkungen 1 Siehe IAA: Conditions ofwork digest, Bd. 8, Nr. 2, 1989, a.a.O. Die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer) gelten aufgrund des Einigungsvertrags jetzt auch für die frühere Deutsche Demokratische Republik (neue Bundesländer). 3 Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O. S. 53. 4 S. Peles: „The legal aspects of home-based telework in Belgium", in Labour and Society (Genf, Internationales Institut für Arbeitsfragen, Jan. 1986, S. 88. 5 P. Majmudar: „Legal Status of home workers: Theoretical contours", in B.B. Patel (Hrsg.): Problems of home-based workers in India (Neu-Delhi, Oxford and IBH Publishing Co., 1989), S. 293-302. 6 R.K.A. Subrahmanya: „A legislative framework for home workers", ebd., S. 321-332. 7 Siehe IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 9, Nr. 1, a.a.O. • Crummett, a.a.O., S. 27. 9 Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O., S. 54. 10 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Homeworking in Itafy, France and United Kingdom, a.a.O., S. 27. 11 Centre for Working Women: Women workers: A report documenting sweated labour in the 1980s (Footscray, Centre for Working Women Co-operative Ltd., 1986), S. 49-51. 12 Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O., S. 54-55. 13 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Homeworking in Italy, France and United Kingdom, a.a.O., S. 28. 14 Siehe IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 8, Nr. 2, 1989, a.a.O., S. 155. 15 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Homeworking in Italy, France and United Kingdom, a.a.O., S. 47. 16 Europarat, The protection ofpersons working at home, a.a.O., S. 63-64. 17 S. Simitis: „The justification of labour relations", in Comparative Labor Law (Philadelphia, University of Pennsylvania), Winter 1986, S. 141-142. 2 3012-5.G94 KAPITEL IV STANDPUNKTE ZUR HEIMARBEIT Die in den vorigen Kapiteln erörterten Fragen und Probleme bilden bedeutende Aspekte der aktuellen Diskussion über die Heimarbeit. Verschiedene Organisationen haben dazu ihre eigenen Standpunkte formuliert. Die in früheren IAA-Dokumenten1 enthaltenen Auffassungen von verschiedenen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden sowie die auf der Sachverständigentagung über den Sozialschutz der Heimarbeiter zum Ausdruck gebrachten Auffassungen sind nachstehend zusammengefaßt. STANDPUNKTE VON ARBEITGEBER- UND ARBEITNEHMERVERBÄNDEN Arbeitgeberverbände Die Arbeitgeberverbände sind der Auffassung, daß die bei der Heimarbeit bestehenden flexibleren Arbeitsformen sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern nutzen. Einerseits können Arbeitgeber zu Zeiten hohen Arbeitsanfalls, der von den festangestellten Beschäftigten des Unternehmens nicht bewältigt werden kann, auf Heimarbeit zurückgreifen, und andererseits kann Heimarbeit solchen Personengruppen eine bezahlte Tätigkeit bieten, die sonst vom Erwerbsleben ausgeschlossen wären. Es wird die Ansicht vertreten, daß Heimarbeit besonders für Frauen von Interesse ist, da sie es diesen ermöglicht, eine berufliche Tätigkeit mit Familienpflichten zu verbinden und der Familie ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Außerdem können Heimarbeiter ihre Arbeitszeit nach eigenem Gutdünken einteilen, da sie nicht an regelmäßige Arbeitszeiten gebunden sind2. Generell sind Arbeitgeberverbände gegen starre Regelungen, weil diese ein Heimgewerbe im Untergrund fördern und im allgemeinen die Vorteile der Heimarbeit sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer untergraben könnten. Manche halten allerdings Rechtsvorschriften für geboten, um dem mißbräuchlichen Einsatz von Heimarbeitern vorzubeugen, doch die jeweils gewählten Lösungen sollten die unterschiedlichen Verhältnisse in jedem Land in Betracht ziehen. Außerdem verteidigen Arbeitgeberverbände ihre Einstellung damit, daß Heimarbeiter nicht unbedingt Beschäftigte sind, daß sie selbständig Erwerbstätige sein können und daß nicht unbedingt ein Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitgeber und einem Heimarbeiter besteht. Nach Ansicht des Dänischen Arbeitgeber3012-5.G94 54 Heimarbeit Verbands muß diese Unterscheidung darauf beruhen, ob Heimarbeiter unter der Aufsicht eines Unternehmens stehen. Falls ja, gilt die betreffende Person als echter Beschäftigter und unterliegt dem Arbeitsrecht. Arbeitnehmerverbände Viele Gewerkschaften sind immer noch gegen Heimarbeit, und traditionell haben sie deren gesetzliches Verbot gefordert. Diese negative Haltung beruht auf der Befürchtung, daß die Heimarbeit eine Bedrohung für die Sicherheit des Arbeitsplatzes von festangestellten Beschäftigten darstellt und deren bestehende Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gefährdet. Das kommt in zahlreichen gewerkschaftlichen Entschließungen zum Ausdruck3. Eine beträchtliche Zahl von Gewerkschaften haben aber inzwischen erkannt, daß viele Menschen auf ein Einkommen aus Heimarbeit angewiesen sind, sie wünschen jedoch ein aktives Vorgehen der Gewerkschaften, um Rahmen und Umfang von Heimarbeit einzuschränken und für besseren Schutz von Heimarbeitern durch verstärkte Kontrolle und Regulierung ihrer Arbeitsbedingungen zu sorgen. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften hat zur Annahme von internationalen Arbeitsnormen und innerstaatlichen Gesetzen in allen Ländern aufgerufen, in denen eine bedeutende Zahl von Heimarbeitern tätig sind, um deren Grundrechte in bezug auf Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelt und Sozialleistungen zu gewährleisten. Der Weltgewerkschaftsbund hat für Heimarbeiter den gleichen Rechtsschutz gefordert wie für festangestellte Lohnempfänger. Viele Gewerkschaften betrachten Heimarbeiter als anfällige Beschäftigte, die der Ausbeutung durch Arbeitgeber ausgesetzt sind und deshalb des Schutzes bedürfen. Ihre Anfälligkeit ergibt sich aus ihrer völligen Abhängigkeit von der ihnen vom Arbeitgeber übertragenen Arbeit, der Unregelmäßigkeit der Arbeit, ihrer Isolierung und dem Mangel an anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Diejenigen, die aufgrund von Familienpflichten ans Haus gebunden sind, könnten von der Notwendigkeit der Heimarbeit befreit werden, wenn in den Gemeinwesen angemessene Betreuungseinrichtungen vorhanden wären. Wegen ihrer Isolierung lassen sich Heimarbeiter nur schwer gewerkschaftlich organisieren, und in vielen Fällen sind ihnen ihre Rechte auch überhaupt nicht bekannt. Ihre Angst vor dem Verlust ihrer Einkommensquelle hält sie eher davon ab, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu fordern oder sich an gewerkschaftlichen Aktivitäten zu beteiligen. Gewerkschaften kritisieren auch die Einstellung von Arbeitgebern, die Heimarbeiter häufig als selbständig Erwerbstätige betrachten und sie so von den im Arbeitsrecht und in Gesetzen über die Soziale Sicherheit vorgesehenen Leistungen ausschließen und einige ihrer Betriebskosten auf die Heimarbeiter abwälzen. Ein besserer Schutz von Heimarbeitern durch das bestehende Arbeitsrecht gilt vielen Gewerkschaften als Voraussetzung für die Verbesserung der Bedingungen von Heimarbeitern und die Beseitigung von Mißbräuchen. Manche fordern Gleichbehandlung von Heimarbeitern und anderen Arbeitnehmern, andere die Schaffung eines spezifischen Rechtsstatus für Heimarbeiter. In einigen Ländern haben Gewerkschaften ihre eigenen Strategien 3012-5.G94 Standpunkte zur Heimarbeit 55 für Verbesserungen und Reformen entwickelt, die sie bei innerstaatlichen Gesetzen und Vorschriften für erforderlich halten. Viele Gewerkschaften kritisieren, daß die meisten Heimarbeiter, selbst in Ländern mit Heimarbeitsgesetzen, nicht als von Arbeitsverträgen erfaßt gelten und folglich von den im Arbeitsrecht vorgesehenen Schutzbestimmungen und Leistungen ausgeschlossen sind. Sie verweisen auch auf das niedrige Lohnniveau, das in den meisten Fällen unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder den Löhnen von Beschäftigten in den Betrieben liegt. Arbeitgeber werden gelegentlich beschuldigt, Lücken im Gesetz zu nutzen oder davon zu profitieren, daß bestehende Gesetze nicht durchgeführt werden. Gewerkschaften halten eine bessere Durchführung von Gesetzen auch für ein wertvolles Mittel zum effektiven Schutz von Heimarbeitern. Das ließe sich durch eine personelle Verstärkung der für die Durchführung der Gesetze verantwortlichen Behörden machen. Ferner sind Gewerkschaften der Auffassung, daß Regierungen nicht genug tun, um Heimarbeit angemessen zu regulieren und zu beaufsichtigen und die Gesetze durchzuführen. Der Arbeitsaufsicht kommt ihrer Meinung nach eine sehr wichtige Rolle zu. Allgemein besteht die Auffassung, daß eine effektive Arbeitsaufsicht nur bei einer obligatorischen Registrierung von Heimarbeitern und ihren Arbeitgebern möglich ist. In einigen Ländern befürworten Gewerkschaften eine vorherige Genehmigungspflicht, um das Ausmaß der Heimarbeit zu begrenzen, räumen jedoch ein, daß sich Schwarzheimarbeit nur schwer feststellen läßt. Als Gegenmaßnahmen werden diesbezüglich u.a. die Billigung von Arbeitsverträgen durch den Betriebsrat und höhere Strafen für Arbeitgeber vorgeschlagen, die ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen. Nicht alle von den Gewerkschaften geforderten Aktionen sind Gesetzgebungsmaßnahmen. Gewerkschaften in Belgien, Deutschland und den Niederlanden haben sich in Entschließungen dafür ausgesprochen, daß in Kollektivverträgen die Arbeitsbedingungen von Heimarbeitern unter Berücksichtigung der spezifischen Natur der Heimarbeit in jedem Wirtschaftszweig festgelegt werden. Die Integration von Heimarbeitern in Gewerkschaften gilt häufig als Voraussetzung für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Im Vereinigten Königreich hat der Gewerkschaftskongreß (TUC) im Jahr 1985 in einer Erklärung über Heimarbeiter einen umfassenden Vorschlag über die Rolle der Gewerkschaften unterbreitet und empfohlen, daß Verbindungen zu Heimarbeitern über Heimarbeitsbeauftragte von Kommunalbehörden und örtliche Unterstützungsgruppen hergestellt werden sollten, durch die die Mitgliedschaft in Gewerkschaften gefördert wird. In manchen Ländern werden Experimente durchgeführt, um Heimarbeiter in eigenen Gewerkschaften zu organisieren. Zur Verbesserung der Situation der Heimarbeiter schlagen Gewerkschaften ferner die Herstellung von Verbindungen zwischen Beschäftigten in den Betrieben und Heimarbeitern vor. Dieses Ziel ließe sich durch die Beteiligung von Heimarbeitern in der Arbeitnehmervertretung auf Betriebsebene erreichen. Wenn Beschäftigte im Betrieb sich der Probleme von Heimarbeitern bewußt sind, wäre es leichter, bessere Arbeitsbedingungen für diese auszuhandeln und ihnen bei der Überwindung ihrer gesellschaftlichen Isolierung zu helfen. 3012-5.G94 56 Heimarbeit Die Isolierung von Heimarbeitern und die Tatsache, daß sie für einen begrenzten Zeitraum zur Durchführung einer spezifischen Aufgabe eingesetzt werden, gelten als Haupthindernisse für ihren beruflichen Aufstieg. Der Frauenverband des Niederländischen Gewerkschaftsbunds (FNV) empfiehlt, daß Heimarbeiter bei der Besetzung freier Stellen im Unternehmen des Arbeitgebers als interne Kandidaten angesehen werden sollten. Weibliche Arbeitnehmer sollten ihre Stellung auf dem Arbeitsmarkt auch durch gewerkschaftlich organisierte Berufsberatung und -ausbildung verbessern können. AUFFASSUNGEN DER SACHVERSTÄNDIGENTAGUNG ÜBER DEN SOZIALSCHUTZ DER HEIMARBEITER4 Definition von Heimarbeit Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß Heimarbeit und Heimarbeiter definiert werden müßten und Heimarbeiter als Beschäftigte anerkannt werden oder einen besonderen Status erhalten müßten. Es gab jedoch keinen eindeutigen Konsens über die weitestmögliche Definition, die alle Beschäftigten ungeachtet ihrer Arbeitsstätte umfassen würde, gegenüber einer engen Definition oder einer Definition, die Heimarbeiter in mehrere Unterkategorien aufteilt. Einige Sachverständige unterstrichen die Notwendigkeit von Flexibilität und die Schwierigkeit einer präzisen rechtlichen Definition von Heimarbeit angesichts der erheblichen Unterschiede in den Rechtssystemen sowie der unterschiedlichen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systeme und Entwicklungsstufen von IAO-Mitgliedstaaten. Andere meinten, daß verschiedene Kategorien oder Unterkategorien von Heimarbeitern festgelegt werden könnten, z.B. auf der Grundlage des Ausmaßes der Abhängigkeit des Beschäftigten vom Arbeitgeber. Auf diese Weise ließe sich feststellen, wer Mindestlöhne und andere Leistungen auszuhandeln in der Lage sei und wer am dringendsten eines Schutzes bedürfe. Ein Sachverständiger hielt eine Checkliste von Bedingungen und Kriterien für die Bestimmung von „Heimarbeitern" mit dem Ziel der Erweiterung ihres Schutzes für erforderlich. Andere meinten, das Problem einer präzisen Definition ließe sich lösen, wenn Heimarbeiter als Arbeitnehmer betrachtet würden, solange nichts anderes bewiesen sei. Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß unverzügliches Handeln am dringlichsten in traditionellen Industrien sei, die die Gesundheit von Arbeitnehmern am stärksten gefährdeten, und daß sich die IAO vor allem mit den ärmsten Gruppen befassen sollte, d.h. mit denen, die kaum andere Beschäftigungsmöglichkeiten hätten, und den am stärksten Ausgebeuteten. Angemerkt wurde auch, daß unbezahlte Familienhelfer in vielen Fällen Kinder seien, die unbewußt von ihren eigenen Familien ausgebeutet würden. Es wurde jedoch vorgeschlagen, die Definition nur auf erwachsene Arbeitnehmer zu beziehen. 3012-5.G94 Standpunkte zur Heimarbeit 57 Tendenzen der Heimarbeit Mehrere Sachverständige waren der Auffassung, daß Heimarbeit allgemein Zunehme. Selbst in Ländern wie dem Vereinigten Königreich, wo es einen relativen Rückgang von Heimarbeit im traditionellen Fertigungsbereich zugunsten des Dienstleistungssektors und der Telearbeit zu geben scheine, würden etliche Fabriken zum Teil geschlossen und zunehmend Heimarbeiter herangezogen. Ein Sachverständiger meinte, Heimarbeit nehme rasch in Sektoren wie der Bekleidungsindustrie zu, in der intensiver internationaler Wettbewerb herrsche. Auch in Italien, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten sei in den letzten Jahren eine generelle Zunahme der Heimarbeit beobachtet worden. Die Sachverständigen meinten, auch wenn diese Zunahme vielleicht nicht beträchtlich sei, so sei sie doch von erheblicher Bedeutung und untergrabe die arbeitsrechtlichen Vorschriften und Arbeitsbedingungen für festangestellte Beschäftigte. Mehrere Sachverständige aus Entwicklungsländern meinten ebenfalls, daß die Heimarbeit zunehme, obwohl über ihr Ausmaß keine genauen Zahlen vorlägen. Ein Sachverständiger äußerte die Ansicht, daß die Zahl der Heimarbeiter aufgrund der Förderung des informellen Sektors durch die Regierung seines Landes auch künftig weiter zunehmen könnte. In Kenia sei festgestellt worden, daß Heimarbeit, die bisher vor allem auf Schneiderei und Holzarbeit beschränkt gewesen sei, sich jetzt auch auf andere Tätigkeiten ausweite. Auch in Venezuela habe die Heimarbeit anscheinend zugenommen. Ein Sachverständiger sagte, daß in Panama die Änderungen des Arbeitsrechts, wonach Heimarbeit von den arbeitsrechtlichen Vorschriften ausgenommen sei, jedoch keine bedeutende Zunahme der Heimarbeit mit sich bringe. Einige Sachverständige meinten, die Zunahme der Heimarbeit müsse im Rahmen der zunehmenden Gelegenheitsarbeit und insbesondere ihrer Auswirkungen auf Frauen gesehen werden, die auf dem Arbeitsmarkt die schwächste Position einnähmen, schlechter bezahlt würden und generell weniger Arbeitsplatzsicherheit hätten als Männer. Aufgrund von Diskriminierung und einer negativen Regierungspolitik würden Frauen beim Zugang zum formellen Arbeitsmarkt benachteiligt. Ein Sachverständiger meinte, die Kernfrage sei die freie Wahl des Arbeitsplatzes, und die Regierungspolitik sollte darauf abzielen, weiblichen Arbeitnehmern echte Wahlmöglichkeiten und Chancen durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Maßnahmen zur Beseitigung von ausbeuterischen Tätigkeiten und Praktiken zu bieten. Zum Verständnis des Phänomens der Heimarbeit sei ein Verständnis der Struktur von Industrien und Regierungspolitiken erforderlich, welche die Bedingungen geschaffen hätten, die das Wachstum von Heimarbeit förderten. Ein Sachverständiger wies auf eine weitere neue Tendenz bei der Heimarbeit hin, nämlich ihre Verlagerung aus Industrieländern in die ärmeren Regionen von Entwicklungsländern. Auch die Art der Ausbreitung von multinationalen Unternehmen in Entwicklungsländern und ihre Auswirkungen auf die Heimarbeit wurden erwähnt. Es bestand die Auffassung, daß nicht nur spezifische Aspekte der Heimarbeit auf landesweiter Ebene behandelt, sondern daß den Verbrauchern von Produkten, die von Heimarbeitern in Entwicklungsländern hergestellt würden, auch die Bedingungen der betreffenden Arbeitnehmer bewußtgemacht 3012-5.G94 58 Heimarbeit werden sollten. Ähnliche Fragen ließen sich auch bezüglich der Schwarzarbeit von Einwanderern in Europa aufwerfen. Als Mittel zur Bekämpfung illegaler Praktiken wurden die Analyse und der Vergleich der tatsächlichen Produktion mit der angegebenen Kapazität der Exportindustrien vorgeschlagen. Ein Sachverständiger verwies insbesondere auf aktuelle und künftige (langfristige) Tendenzen und zunehmende Anzeichen sinkender Arbeitsentgeltsätze für Telearbeiter sowie traditionellere Formen der Heimarbeit. Einige Sachverständige hoben die unterschiedlichen Bedingungen und Tendenzen in Industrie- und Entwicklungsländern hervor. Viele Sachverständige unterstrichen die Bedeutung der Statistik bei der Erfassung und Bestätigung des Phänomens der Heimarbeit und als nützliches Hilfsmittel bei Grundsatzdiskussionen. Mehrere Sachverständige wiesen jedoch darauf hin, daß im Bereich des Sozialschutzes von den vorhandenen Erkenntnissen ausgegangen werden könnte und nicht die Zusammenstellung von systematischen Daten abgewartet werden sollte. Vorteile und Nachteile der Heimarbeit Es gab eine recht ausführliche Diskussion über die Vorteile und Nachteile der Heimarbeit, wobei von der Auffassung ausgegangen wurde, daß sich die Heimarbeit nicht in einem so umfassenden Rahmen entwickelt hätte, wenn sie nicht sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern Vorteile böte. Allgemeine Übereinstimmung bestand bei allen Arbeitgebersachverständigen und einigen Regierungssachverständigen darüber, daß die Heimarbeit sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern Vorteile und Chancen biete. Sie unterstrichen das positive Potential der Heimarbeit für die Schaffung von Arbeitsplätzen, geringere Kosten, Flexibilität, Erfassung von ländlichen Gebieten und Schließung von Lücken bei der saisonbedingten Nachfrage nach Arbeitskräften. Einige Sachverständige glaubten, daß Heimarbeit denjenigen eine nützliche Beschäftigungsalternative zu einer festen Anstellung bieten könnte, die aus dem einen oder anderen Grund gezwungen seien oder es vorzögen, zu Hause zu bleiben, und sie könnte eine Übergangslösung oder ein einstweiliges Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für diejenigen sein, die noch keine feste und sichere Anstellung gefunden hätten. Einige Teilnehmer meinten jedoch, daß die Vorteile vor allem auf seiten der Arbeitgeber seien. Heimarbeit biete Flexibilität und helfe den Unternehmen, schwankende Nachfragen ohne Ausweitung ihrer Produktionskapazität zu decken; es sei ein Weg, die Starrheiten des Arbeitsmarkts zu überwinden und Arbeitskosten herabzusetzen. Einige Sachverständige erklärten, daß die Vorteile für Arbeitgeber in den Sektoren deutlicher seien, in denen häufig illegale Praktiken herrschten. Da es Probleme der Produktivität und Qualitätskontrolle gebe, machten Arbeitgeber, deren Fabrikproduktion reibungslos funktioniere, von der Heimarbeit keinen Gebrauch. Arbeitgeber griffen auf Heimarbeiter nur zurück, um gesetzliche Bestimmungen zu umgehen und um Sozialleistungen und Steuern zu sparen. Heimarbeit bilde Teil der Schattenwirtschaft. Sie sei auch ein Mittel zur Drückung von Löhnen und zur Vermeidung von gewerkschaftlichem Druck. 3012-5.G94 Standpunkte zur Heimarbeit 59 Ein Sachverständiger wies darauf hin, daß selbst dort, wo es keine illegalen Praktiken gebe, die Gesetze möglicherweise nicht klar genug seien. So könne es z.B. in den Niederlanden als legal betrachtet werden, Heimarbeiter für sehr niedrige Löhne zu beschäftigen, solange diese nicht als abhängige Beschäftigte gälten. Arbeitgeber hätten das Recht, die billigste Form der Produktion zu wählen. Auch im Dienstleistungssektor gebe es viele Möglichkeiten für Heimarbeit. Bei einer Erhebung in den Niederlanden seien über 150 Formen der Heimarbeit festgestellt worden. Die Frage sei, ob es ethisch vertretbar sei, so niedrige Löhne zu zahlen. Ein anderer Sachverständiger wies darauf hin, daß die Produktivität in einigen Fällen durch Heimarbeit erhöht werden konnte, weil die Heimarbeiter besser motiviert und mit ihrer Arbeit zufriedener seien. Heimarbeit bringe auch Einsparungen in bezug auf Fahrzeit, Mahlzeiten und Kleidung mit sich. Manche würden ein Verbot der Heimarbeit als Eingriff in die persönliche Freiheit betrachten. Zu den Vorteilen für die Heimarbeiter — vor allem Frauen — zählt nach Ansicht einiger Sachverständiger die Möglichkeit, Familienpflichten mit einer Erwerbstätigkeit zu verbinden. Heimarbeit biete auch eine Möglichkeit, die Verbindungen zu einem Arbeitgeber oder einem Beruf während eines Zeitraums aufrechtzuerhalten, in dem der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zu Hause bleiben möchte oder müsse. Andere unterstrichen jedoch, daß viele Frauen wegen der Hindernisse, die einer festen Anstellung im Weg stünden, und wegen Problemen bei der Verbindung einer Erwerbstätigkeit mit Familienpflichten keine echte Wahl hätten. Sie meinten, der einzige Vorteil für Heimarbeiter sei in der Praxis häufig nur, überhaupt Arbeit und ein gewisses Einkommen zu haben, statt keinerlei Arbeit und keinerlei Einkommen zu haben. Einige Teilnehmer sahen in der Heimarbeit auch Vorteile für Regierungen, da Heimarbeit zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit aufgrund der den Arbeitgebern dadurch gebotenen Flexibilität zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitrage. Ferner rege diese die Gründung von Kleinbetrieben an. Allerdings müsse Heimarbeit angemessen entlohnt werden. Frauen, die zu Hause arbeiteten und Kinder, Kranke und ältere Menschen versorgten, sparten der Regierung auch Sozialkosten. Als Nachteile der Heimarbeit wurden vor allem die Situation der Frauen und die Tatsache genannt, daß Frauen häufig keine andere Wahl hätten, als diese Form der Arbeit anzunehmen. Allerdings müsse zwischen verschiedenen Ländern und Qualifikationen unterschieden werden. Ein Sachverständiger meinte, die Diskussion konzentriere sich zu sehr auf Frauen, doch auch Behinderte und Männer verrichteten Heimarbeit. Es wurde jedoch darauf hingewiesen, daß sich männliche Heimarbeiter in der Regel ganz bewußt für Heimarbeit entschieden hätten und einer anderen Arbeitnehmerkategorie angehörten. Eine Sachverständige äußerte sich besorgt über die Wahrung der Menschenwürde von Heimarbeitern. Es gebe viele schwarzarbeitende Heimarbeiter, und diese Personen stünden auf der untersten Stufe des Arbeitsmarkts. Die Wirtschaft müsse sich an Regeln halten, und Arbeitgeber und Beschäftigte müßten das Gesetz achten. Es gebe nicht nur illegale Konkurrenz zwischen Arbeitgebern, 3012-5.G94 60 Heimarbeit sondern auch Konkurrenz zwischen Beschäftigten in Betrieben und Heimarbeitern. Schwarzheimarbeit schade auch dem Staat, da die Steuerpolitik untergraben werde, und könnte sich negativ auf die nationale und internationale Wirtschaft auswirken. Wenn Gesetze nicht durchgeführt werden könnten, sei ihr Nutzen zweifelhaft. Rechtsschutz Es bestand allgemeine Übereinstimmung darüber, daß das Fehlen einer klaren Definition von „Heimarbeitern" in der Arbeitsgesetzgebung ein großes Hindernis für die Ausweitung des Sozialschutzes auf diese Arbeitnehmer darstellt. Viele Sachverständige aus Industrieländern waren der Meinung, daß der rechtliche Rahmen für Heimarbeiter so umfassend wie möglich sein sollte, um die größte Zahl von Beschäftigten zu erfassen. Ein weiterer Sachverständiger unterstrich, daß ein Vergleich der Arbeitsbedingungen und Löhne von Heimarbeitern mit denen von Fabrikarbeitern die Grundlage für die innerstaatliche Gesetzgebung bilden müsse. Mehrere Sachverständige hielten die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Beschäftigungsstatus und der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung für das größte Hindernis bei der Durchführung von Arbeitsgesetzen hinsichtlich Heimarbeitern. Das sei sowohl in Ländern, in denen die allgemeine Arbeitsgesetzgebung auch für Heimarbeiter gelte, als auch in Ländern mit spezifischen Gesetzen für Heimarbeiter der Fall. In den meisten Fällen liege die Beweislast bei den Heimarbeitern, und die Gerichte hätten zu entscheiden, ob ein Arbeitsvertrag vorliege. Mehrere Sachverständige bekundeten die Auffassung, daß das Fehlen von schriftlichen Verträgen, die „Unsichtbarkeit" von Heimarbeitern, die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und das Fehlen von Informationen und Rechtsschutz für Heimarbeiter praktische Hindernisse bei der Bestimmung der Art des Beschäftigungsverhältnisses seien. Ein Sachverständiger verwies auch auf die Schwierigkeiten bei der Feststellung des Arbeitgebers, wenn es eine Kette von Unternehmern und Vermittlern gebe. Als große Schwierigkeit in Industrieländern wurde die Durchführung der Gesetze bezeichnet, während das Hauptproblem in Entwicklungsländern im Fehlen oder in erheblichen Unzulänglichkeiten von Gesetzen bestehe. Mehrere Sachverständige unterstrichen die Unzulänglichkeit bestehender Mechanismen, vor allem die begrenzte Zahl von Aufsichtsbeamten, die eine wirksame Durchführung der Gesetze über Heimarbeiter unmöglich mache. Ein Sachverständiger unterstrich die Notwendigkeit, das Rechtssystem zu dezentralisieren und auch Heimarbeiter darin einzubeziehen. Bezüglich der Art der erforderlichen Maßnahmen ergaben sich aus den Diskussionen verschiedene Ansätze. Mehrere Sachverständige hielten neue Gesetze zur Anerkennung und zum Schutz von Heimarbeitern für erforderlich. Andere äußerten Vorbehalte bezüglich zusätzlicher oder strenger Vorschriften, da sich diese negativ auf das Beschäftigungswachstum und die Zahl der verfügbaren Arbeitsplätze auswirken könnten. Ein Sachverständiger schlug statt dessen die Erarbeitung einer Richtliniensammlung vor und meinte ferner, daß 3012-5.G94 Standpunkte zur Heimarbeit 61 die Frage durch Kollektivverträge zwischen den Sozialpartnern und nicht durch staatliche Gesetzgebung geregelt werden sollte. In bezug auf den Inhalt der zu fördernden Mindestnormen meinte ein Sachverständiger, daß trotz der verschiedenen Situationen in den einzelnen Ländern ein gemeinsamer Nenner gefunden werden könnte. Mehrere andere bezeichneten die Gewährung des Arbeitnehmerstatus für Heimarbeiter als Hauptanliegen. Ein Sachverständiger unterstrich, daß der Arbeitgeber die Beweislast hierfür tragen sollte. Mehrere Sachverständige hielten die Festsetzung eines Mindestlohns für Heimarbeiter für erforderlich. Verschiedene Wege wurden zur Festsetzung des Mindestlohns für Akkordarbeiter vorgeschlagen, der mit dem von Fabrikarbeitern im gleichen Gewerbe oder Industriezweig vergleichbar sei. Ein Sachverständiger meinte, daß die von Heimarbeitern bereitgestellten Einrichtungen und die damit verbundenen Kosten bei der Festsetzung einer angemessenen Entlohnung in Betracht gezogen werden sollten. Einige Sachverständige schlugen die Einrichtung von dreigliedrigen Kommissionen zur Festsetzung von Mindestlöhnen vor. Ein Sachverständiger schlug ein von allen Parteien akzeptiertes Zwischengremium vor, das Kriterien für Mindestlöhne im jeweiligen Gewerbe festlegen solle. Ein anderer Sachverständiger äußerte Vorbehalte bezüglich der Ausdehnung des nationalen Mindestlohns auf Heimarbeiter, weil diese Frage seiner Auffassung nach in Kollektivverträgen zwischen den Sozialpartnern geregelt werden sollte. Mehrere Sachverständige meinten, daß Mindestnormen auch Bestimmungen über bezahlten Urlaub und Leistungen der Sozialen Sicherheit einschließen sollten. Einige schlugen vor, daß Heimarbeiter auch entsprechend ihrer Einkommenshöhe zu Sozialversicherungsfonds beitragen sollten. Ein anderer verwies jedoch darauf, daß die Einkommen von Heimarbeitern in den meisten Fällen so niedrig seien, daß sie zu Beiträgen für solche Fonds kaum in der Lage wären. Ein Sachverständiger aus einem Entwicklungsland meinte, daß Regierungen auch erwägen sollten, Heimarbeiter im Rahmen ihrer Sozialfürsorge- und Armutbekämpfungsprogramme zu unterstützen. Allgemeine Übereinstimmung bestand über die Notwendigkeit einer Meldung und Registrierung von Heimarbeitern. Ein Sachverständiger unterstrich die Bedeutung von Transparenz zur Beseitigung illegaler Heimarbeit und eines Informationssystems über die allgemeine Beschäftigungsstrategie von Unternehmen. Ein anderer bemerkte jedoch, daß diese Maßnahmen den Erfordernissen von spezifischen Sektoren angepaßt werden sollten, da die Ausweitung von Rechtsvorschriften auf alle Sektoren beschwerlich wäre und zu Arbeitsplatzverlusten führen könnte. Ein Sachverständiger schlug Bestimmungen gegen eine willkürliche Entlassung von Heimarbeitern durch Arbeitgeber vor, insbesondere ein dreigliedriges Organ, das Kriterien über die Einstellung und Entlassung von Heimarbeitern festlegen solle. Zahlreiche Sachverständige unterstrichen die Bedeutung des Arbeitsschutzes für Heimarbeiter. Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß gefährliche Tätigkeiten und die Verwendung gefährlicher Stoffe durch Heimarbeiter festgestellt, verboten oder reguliert werden sollten. 3012-5.G94 62 Heimarbeit Mehrere Sachverständige hielten es für notwendig, Kinderarbeit zu regulieren und die Ausbeutung von Kindern bei Heimarbeit zu verhindern. Einige Sachverständige hielten offizielle Grundsatzerklärungen über Heimarbeit für erforderlich. Einer unterstrich die Notwendigkeit, die Auswirkungen von technischen Veränderungen auf die Heimarbeit zu überwachen. Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen Mehrere Diskussionsteilnehmer sprachen von der Verantwortung der Gewerkschaften gegenüber Heimarbeitern. Die Situation von Heimarbeitern werde zu Recht als die anfälligste von allen Arbeitnehmern bezeichnet. Es wurde auf ihre Isolierung, den Mangel an Informationen über ihre Rechte und auf Probleme bei der Kontaktaufnahme zu ihnen hingewiesen. Gewerkschaften sollten sich um Kontakte zu Heimarbeitern bemühen und ihnen Informationen zukommen lassen. Bezüglich Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen bestand allgemeine Übereinstimmung darüber, daß Heimarbeiter Vereinigungsfreiheit zumindest in den Ländern genießen sollten, die das Übereinkommen (Nr. 87) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948, ratifiziert hätten. Das Problem seien nicht die Rechte, sondern die Art der Ausübung dieser Rechte. Die gewerkschaftliche Organisation von Heimarbeitern sei gering, vor allem in Entwicklungsländern. Die Anerkennung des Beschäftigungsverhältnisses von Heimarbeitern durch die Regierung, die Gerichte und die Gewerkschaften der einzelnen Länder habe Probleme ergeben. In manchen Sektoren wie Telearbeit und kommerzielle Fertigung habe das Fehlen von gewerkschaftlichen Verbindungen zu spezifischen Industrien Probleme bei der Feststellung und Organisation von Heimarbeitern ergeben. Zu anderen Hindernissen bei der gewerkschaftlichen Organisation von Heimarbeitern zählten ihr mangelndes Bewußtsein, die geographische Streuung, Armut und fehlende Mittel zur Unterstützung von Organisationen und der gelegentlich illegale Status von ausländischen Arbeitnehmern oder die Schwarzarbeit, die die Feststellung von Heimarbeitern auf persönlicher Ebene höchst riskant machten. Ein Sachverständiger hielt einen gesetzgeberischen Rahmen für erforderlich, damit Heimarbeiter Verhandlungen führen können. Sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern könnte sich das Recht auf Kollektivverhandlungen als illusorisch oder einfach zu riskant für diejenigen erweisen, für die Heimarbeit die letzte Möglichkeit des Überlebens sei, und diejenigen, deren Status als Einwanderer möglicherweise illegal sei oder die Schwarzarbeit verrichteten. In Indien z.B. riskierten Heimarbeiter Arbeitslosigkeit, wenn ihre Gewerkschaft nicht aus einer Position der Stärke heraus verhandeln könne. Die Schaffung von genossenschaftlichen Produktionseinheiten für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten habe die Verhandlungsposition von Heimarbeitern in einigen Fällen gestärkt, doch die wirtschaftliche Existenzfähigkeit sei nicht immer gewährleistet. 3012-5.G94 Standpunkte zur Heimarbeit 63 Programme Die meisten Diskussionsteilnehmer verwiesen auch auf Aktionen und Politiken, die zur Verbesserung der Wirksamkeit gegenwärtiger Bemühungen um Heimarbeiter notwendig seien. Eine Strategie zur Verbesserung ihrer Situation müsse Registrierung, Gesetze und Durchführung der Gesetze umfassen. Unterstützungsgruppen und Gewerkschaften könnten eine ergänzende Rolle bei der Verstärkung der Sichtbarkeit von Heimarbeitern und der Aufklärung über ihre Rechte spielen. Ein Arbeitgebersachverständiger befürwortete die Förderung von Genossenschaften, die den Vorteil der Steuerfreiheit hätten und über die ein System der Sozialen Sicherheit entwickelt werden könnte. Ein anderer Sachverständiger meinte, der erste Schritt sollte die rechtliche Anerkennung von Heimarbeitern als Arbeitnehmer sein; der Anspruch auf andere Leistungen, darunter berufliche Bildung, würde automatisch folgen. Ein anderer Arbeitgebersachverständiger meinte hingegen, daß weitere Bestimmungen nicht notwendig seien; in Lateinamerika hätten schon die bestehenden das Wachstum des formellen Sektors behindert. Vorrang sollten vielmehr Erziehungs-, Gesundheits- und Berufsbildungsprogramme zur Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit erhalten. Gewerkschaften könnten bei der Unterstützung solcher Programme eine Rolle spielen. Bezüglich der Ausbildung wurde bemerkt, da Heimarbeiter zu Hause arbeiteten, sei eine Teilnahme an Ausbildungsprogrammen außerhalb ihres Hauses schwierig für sie. Viele ethnische Minderheiten und Einwanderer hätten sehr geringe Fertigkeiten. Freigesetzten Arbeitnehmern könnten Fertigkeiten vermittelt werden, die sich für eine Beschäftigung verwenden ließen. Heimarbeit könnte auch als Strategie zur Arbeitsbeschaffung für diese Arbeitnehmer benutzt werden. Internationale Normen Hinsichtlich einer internationalen Normensetzung unterstrichen mehrere Sachverständige die Notwendigkeit, das Ausmaß zu prüfen, in dem Heimarbeiter von der Anwendung bestehender internationaler Arbeitsübereinkommen durch Mitgliedstaaten, die diese ratifiziert hätten, ausgeschlossen seien. Ein Sachverständiger bemerkte, daß diese Übereinkommen ähnlich wie innerstaatliche Gesetze seien — wenn Heimarbeiter nicht spezifisch erwähnt würden, bedeute das in der Regel, daß sie ausgeschlossen seien. Übereinkommen sollten in stärkerem Maß auch für Heimarbeiter gelten. Ein anderer Sachverständiger bezweifelte, daß bestehende Übereinkommen nicht auf Heimarbeiter anwendbar seien. Die meisten Sachverständigen glaubten, daß eine weitere Prüfung bestehender Übereinkommen ein erster Schritt sei, um die Notwendigkeit neuer Urkunden festzustellen. Allgemeine Übereinstimmung bestand darüber, daß Heimarbeiter Schutz benötigten und daß die Sorge um ihre Arbeitsbedingungen gerechtfertigt sei. In einigen Ländern müßten Heimarbeiter vor Gericht gehen, um ihren Arbeitnehmerstatus zu beweisen. Ein einheitliches Verständnis des Beschäftigungsstatus von Heimarbeitern würde Ad-hoc-Auslegungen der Arbeitsgesetzgebung verhindern. Internationale Richtlinien zu diesem Punkt wären sehr nützlich. 3012-5.G94 64 Heimarbeit Mehrere Arbeitnehmersachverständige erklärten, daß Richtlinien für Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bei ihren Bemühungen um eine Definition des Rechtsstatus von Heimarbeitern und eine Verbesserung ihres Schutzes und der Durchführung internationaler und innerstaatlicher Vorschriften nicht ausreichend seien, da sie keine Sanktionen vorsähen. Die Arbeitnehmersachverständigen bekräftigten ihre Auffassung, daß neue internationale Normen über Heimarbeit erforderlich seien. Sie hielten ein neues Übereinkommen für notwendig, um den Status von Heimarbeitern als abhängig Beschäftigte und den Grundsatz der Gleichbehandlung von Heimarbeitern und anderen Arbeitnehmern deutlich festzulegen. Darin sollten die Rechte von Heimarbeitern auf eine amtliche Bescheinigung über ihren Status als registrierte Arbeitnehmer und auf gleiche Entlohnung wie die anderer Arbeitnehmer im gleichen Sektor enthalten sein. Ein Übereinkommen sollte auch die vorrangigen Anliegen auf landesweiter Ebene wie Arbeitsschutzbestimmungen und das Verbot gefährlicher Tätigkeiten zu Hause festlegen und die Pflichten des Arbeitgebers und der Regierung sowie die Notwendigkeit der Einhaltung dreigliedriger Vereinbarungen enthalten. Arbeitnehmersachverständige führten den Zusammenhang zwischen Heimarbeit und internationalem Handel als zusätzliche Rechtfertigung für eine internationale Urkunde an. Es sei beobachtet worden, daß in Ländern, in denen Heimarbeit verboten sei oder Heimarbeiter zum Zweck der Forderung besserer Bedingungen organisiert seien, Unternehmen auf Subunternehmer in Entwicklungsländern zurückgriffen, die wiederum Arbeit an Heimarbeiter vergäben. Deshalb müsse es eine international vereinbarte Norm über Heimarbeit geben, die darüber hinaus auch Gewerkschaften in allen Ländern helfen würde, die Rechte von Heimarbeitern zu verteidigen. Ein Regierungssachverständiger bemerkte, daß die Existenz von Heimarbeit eine Realität sei. Selbst in Afrika gebe es viele multinationale Unternehmen, und das habe Auswirkungen auf ein internationales Vorgehen. Er schlug vor, daß die Sachverständigen eine internationale Normensetzung empfehlen sollten, daß über die Art der Urkunde jedoch auf einer anderen Ebene entschieden werden sollte. Alle Arbeitgebersachverständigen äußerten die Auffassung, daß keine weitere Regulierung von Heimarbeit erforderlich sei. Es wurden Beispiele von Ländern angeführt, wo es einen angemessenen Rechtsschutz für Heimarbeiter gebe und wo zu strenge Vorschriften zur Ausbreitung von Schwarzheimarbeit geführt hätten. Ferner bekräftigten sie die Überzeugung, daß Heimarbeit den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern Vorteile biete, daß sie sich aus einer Nachfrage nach dieser Art von Arbeit ergebe und daß sie zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten gefördert werden sollte. Entwicklungsländer könnten für ausländische Investoren attraktiv sein, wenn die Bestimmungen flexibler wären. Ferner müßten Ausbildung gefördert, Arbeitnehmer umgeschult und Kreditsysteme und Vereinigungen von Heimarbeitern geschaffen werden. Die Arbeitgebersachverständigen meinten ferner, daß es Aufgabe der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberverbände sei, für die Durchführung von rechtlichen Bestimmungen zu sorgen. Ein Regierungssachverständiger unterstützte die Auffassung, daß eine neue internationale Norm über Heimarbeit nicht notwendig sei, trat jedoch für 3012-5.G94 Standpunkte zur Heimarbeit 65 internationale Richtlinien ein, die bei der Durchführung der Gesetze helfen könnten. Ein anderer Regierungssachverständiger hielt es für verfrüht, normensetzende Tätigkeiten vorzuschlagen, und regte eine weitere Untersuchung der Anwendbarkeit bestehender Nonnen auf Heimarbeiter an. Zwei andere Regierungssachverständige hielten eine einschlägige internationale Norm hingegen für notwendig. Angesichts dessen, daß über die Notwendigkeit einer internationalen Regulierung von Heimarbeit keine Übereinstimmung bestand, versuchten einige Sachverständige, Grundprinzipien vorzuschlagen, über die es einen Konsens geben könnte. Zu diesen Grundprinzipien gehörten der Schutz von Heimarbeitern, Mindestrechte von Heimarbeitern auf einen menschenwürdigen Lebensstandard und die Prüfung der Angemessenheit innerstaatlicher Gesetzgebung sowie von Problemen bei ihrer Durchführung. Eine Arbeitnehmersachverständige bezeichnete ein internationales Übereinkommen über Heimarbeiter als längst überfällig. Die meisten Mitglieder von Gewerkschaften seien Industriearbeiter, und es sei an der Zeit, die zahlreichen im informellen Sektor Beschäftigten einzubeziehen. Heimarbeiter forderten keine milden Gaben, sondern den ihnen zustehenden Platz in der Arbeiterbewegung. Sie sollten nicht als selbständig Erwerbstätige behandelt werden. Ein Übereinkommen wäre ein wichtiger Schritt zu ihrer Anerkennung als Arbeitnehmer. Sie erinnerte daran, daß der IBFG einstimmig eine Entschließung angenommen habe, in der zur Anerkennung von Heimarbeitern und zur Normensetzung über Heimarbeit aufgerufen werde. Ferner gab sie zu verstehen, daß IAO-Urkunden Förderungscharakter haben könnten, was es den sie ratifizierenden Ländern ermögliche, die Ziele innerhalb von Fristen und durch Methoden zu verfolgen, die im Einklang mit innerstaatlichen Gegebenheiten stünden. Andere Arbeitnehmersachverständige unterstützten diese Auffassung und legten den Arbeitgebersachverständigen nahe, ihre Standpunkte zu überdenken und Heimarbeitern einen Status zu verleihen, der ihnen auf dem Arbeitsmarkt eine Verhandlungsposition verschaffe. Internationale Konkurrenz zwinge Heimarbeiter, die niedrigsten Löhne anzunehmen. Die Festlegung internationaler Regeln sei von großer Bedeutung. Für viele weibliche Arbeitnehmer in Entwicklungsländern sei ein internationales Übereinkommen dringend erforderlich. Ein anderer Sachverständiger meinte, die Einfuhr von Gütern, deren Herstellung auf der Arbeit von Heimarbeitern beruhe, sollte kontrolliert werden, um die Ausbeutung von Arbeitnehmern zu verhindern und dafür zu sorgen, daß Menschenrechte und internationale Arbeitsübereinkommen eingehalten würden. Anmerkungen 1 Siehe IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 8, Nr. 2, a.a.O., S. 161-213. Siehe IAA: Social protection of homeworkers, a.a.O. 3 Beispiele für solche Entschließungen und andere Erklärungen von Gewerkschaften finden sich ebd., S. 26-31. 4 Ebd., S. 73-89. 2 3012-5.G94 KAPITEL V AKTIONSPROGRAMME FÜR HEIMARBEITER In Anbetracht der offensichtlich unzulänglichen Bemühungen um eine Regulierung und Kontrolle der Heimarbeit über den formalen Weg von gesetzlichen Bestimmungen und Gesamtarbeitsverträgen haben Gewerkschaften und andere, vorwiegend nichtstaatliche Organisationen eine alternative Strategie entwickelt. Sie zielt darauf ab, einen Teil der Probleme mit Hilfe verschiedener Programme zu lösen, die Heimarbeitern Hilfe und Unterstützung gewähren. Zwar gibt es erst relativ wenige derartige Programme, und ihre Auswirkungen auf die Heimarbeiter insgesamt sind gering, die sowohl in Entwicklungs- wie in Industrieländern erzielten Erfolge sind jedoch ermutigend. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die wichtigsten Formen der Maßnahmen und führt Beispiele aus verschiedenen Ländern an, wobei der Ursprung der Programme, ihre Entwicklung und ihre Leistungen dargestellt werden1. Die meisten Programme verfolgen ähnliche Ziele, nämlich die Heimarbeiter zu schützen, sie aus ihrer Isolierung zu befreien und ihren sozioökonomischen Status zu verbessern. Die zur Realisierung dieser Ziele eingesetzten Mittel sind jedoch sehr unterschiedlich. Zwar gehen die umfassendsten Programme aus verschiedenen Blickwinkeln an die Frage heran und kombinieren eine Reihe von Maßnahmen, um die Probleme der Heimarbeiter zu lösen, dennoch kann man zwischen folgenden Hauptkategorien differenzieren: a) umfassende Informationskampagnen, die sich vor allem an Heimarbeiter richten und oft in unterschiedlichen Sprachen abgefaßt sind, um ethnischen Minderheiten und Einwanderern dabei zu helfen, ihre Rechte zu verstehen und zu verteidigen; b) die gewerkschaftliche Organisation der Heimarbeiter mit dem Ziel, ihre Verhandlungsposition zu stärken, die Abhängigkeit von Mittelsmännern zu beseitigen und bessere Beschäftigungsbedingungen auszuhandeln, entweder über eine bestehende Gewerkschaft oder durch die Einrichtung separater Heimarbeiterverbände oder -genossenschaften; c) die Einrichtung von Zentren oder Netzwerken mit dem Ziel, Heimarbeiter aus ihrer Isolierung zu befreien, sie zu unterstützen und ihnen Dienste anzubieten, etwa Rechtsberatung und -Unterstützung, Ausbildung und Weiterqualifizierung, Gesundheitsdienste usw. 3012-5.G94 Aktionsprogramme ßr Heimarbeiter 67 Diese Kategorien von Programmen schließen sich keineswegs gegenseitig aus, und in der Tat ist es so, daß einige der erfolgreicheren Programme diese Kategorien gleichzeitig oder nacheinander anwenden. INFORMATIONSKAMPAGNEN In Ländern, in denen es eine Gesetzgebung über Heimarbeit gibt, ist es möglich, daß die betreffenden Arbeitnehmer nicht voll über die Beschäftigungsbedingungen informiert sind, auf die sie Anspruch haben. Eines der Hauptziele von Informationskampagnen besteht darin, die unterschiedlichen Gruppen von Heimarbeitern zu erreichen, sie über ihre Rechte aufzuklären und sie dabei zu unterstützen, Ansprüche gegenüber ihren Arbeitgebern geltend zu machen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Informationskampagne der Textil-, Bekleidungs- und Schuhwarengewerkschaft (früher Gewerkschaft der Bekleidungsindustrie und verwandter Industriezweige (CATU)) in Australien. Die Nationale Heimarbeits-Kampagne gliederte sich in zwei Teile: 1) Eine industrielle Kampagne, mit der es 1987 gelang, Schiedsspruch-Ansprüche für Heimarbeiter durchzusetzen, die vergleichbar mit denen von Fabrikarbeitern sind; und 2) eine nationale Informationskampagne mit dem Ziel, Heimarbeiter über ihre Ansprüche im Rahmen der neuen Schiedsspruch-Bestimmungen zu informieren. Die Anzahl der Heimarbeiter wurde im Bereich der Bekleidungsindustrie auf 60.000 geschätzt. Auf dem Höhepunkt der Kampagne beschäftigte die Gewerkschaft 36 Mitarbeiter, um in allen Staaten Australiens über Druck- und elektronische Medien Informationen zu vermitteln. Im Bundesstaat Victoria arbeitete die Regierung eng mit der Gewerkschaft zusammen und stellte eine mehrsprachige „Hotline" für Heimarbeiter zur Verfügung, die mehr Informationen über ihre Rechte und die Kampagne wünschten. Es wurden etwa 60.000 Informationsbroschüren in 14 verschiedenen Sprachen gedruckt und überall verteilt. Ergänzt wurde dies durch Informationsveranstaltungen für Heimarbeiter, organisiert nach Sprachengruppe und Wohnort, ethnische Rundfunkansagen und Interviews sowie Unterstützung von Heimarbeitern bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber ihren Arbeitgebern. Im Verlauf eines Jahres nahmen 6.000 Heimarbeiter mit der Gewerkschaft Kontakt auf. In Anbetracht des Erfolgs dieser Strategie bei der Vermittlung von Informationen für Heimarbeiter und die Gesellschaft insgesamt wurde 1990 eine zweite Kampagne eingeleitet, und eine dritte ist für das Jahr 1994 geplant. Andere Initiativen haben im Rahmen größerer Programme kleinere Informationskampagnen durchgeführt. So wurde beispielsweise in Kanada vom Distriktrat Toronto der Internationalen Gewerkschaft der Damenbekleidungsarbeiter (ILGWU) eine Informationskampagne durchgeführt, um die Ergebnisse einer in Toronto im Jahr 1991 durchgeführten Studie über Heimarbeiter im Bereich der Bekleidungsindustrie bekanntzumachen und um vor einer gewerkschaftlichen Organisation der Heimarbeiter politische Unterstützung für wichtige Gesetzesreformen zu gewinnen. Die Kampagne umfaßte die Veröffentlichung von Artikeln über Heimarbeit in einer vielgelesenen, im ganzen Land erscheinenden Zeitschrift über Arbeitsfragen, Konferenzen, Arbeitsseminare, das Versenden 3012-5.G94 68 Heimarbeit von Postkarten an Arbeitgeber und Pressekonferenzen, um die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit auf die Existenz der Heimarbeiter und ihre Arbeitsbedingungen zu lenken. Darüber hinaus wurde eine besondere „Hotline" am Sitz der ILGWU eingerichtet, um Heimarbeiter über ihre Rechte zu informieren. Im Vereinigten Königreich bildeten Kampagnen zur Verbesserung des Kenntnisstands der Öffentlichkeit, zur Kontaktaufnahme mit Heimarbeitern und zur Unterstützung von Gesetzesänderungen Teil der Strategie zur Verbesserung der Bedingungen der Heimarbeiter. Die Gruppe für Heimarbeits-Kampagnen mit Sitz in Leicester erstellt Informationspakete, die grundlegende rechtliche und andere Informationen enthalten, die für Heimarbeiter von Interesse sind, und verteilt Informationsschriften in vier Sprachen an ethnische Minderheiten sowie ein regelmäßiges Mitteilungsblatt. Das West-Yorkshire-Proj ekt veröffentlicht dreimal im Jahr in sechs Sprachen die Zeitschrift Outworker News, die Informationen über juristische Streitfälle, Lobbytätigkeiten, Briefe und Geschichten von Heimarbeitern sowie internationale Nachrichten über Heimarbeit enthält. DIE GEWERKSCHAFTLICHE ORGANISATION VON HEIMARBEITERN Die Isolierung und schwache Verhandlungsposition der Heimarbeiter sind möglicherweise die wichtigsten Gründe für ihre Schutzlosigkeit. In verschiedenen Programmen wird versucht, dieses Problem zu lösen, indem Heimarbeiter ermutigt werden, sich zusammenzuschließen, um ihre Rechte zu verteidigen und ausbeuterische Praktiken zu bekämpfen. Gemeinsam können sie direkt mit Arbeitgebern verhandeln und Mittelsmänner ausschalten oder sogar die Arbeitgeber ersetzen, indem sie zu selbständigen Herstellern werden, die ihre Produkte über eigene Genossenschaften vertreiben. Eines der erfolgreichsten Beispiele für den gewerkschaftlichen Zusammenschluß von Heimarbeitern ist die Vereinigung selbständig erwerbstätiger Frauen (SEWA) in Indien. Sie entstand aus der Vereinigung der Textilarbeiter (TLA), der -ältesten und größten Gewerkschaft der Textilarbeiter Indiens, die 1920 gegründet wurde. Nach einer Erhebung über Schneiderinnen, die durchgeführt wurde, um Klagen über Ausbeutung durch Unternehmer nachzugehen, veranstaltete die für Frauenfragen zuständige Abteilung der TLA ein Treffen, auf dem erörtert wurde, wie sich diese Frauen gewerkschaftlich organisieren könnten. Dies führte zur Gründung der SEWA. Die offizielle Anerkennung als Gewerkschaft erwies sich als Problem. Das Arbeitsministerium weigerte sich, die SEWA zu registrieren, da die Frauen als selbständig Erwerbstätige angesehen wurden und es somit keinen Arbeitgeber gab, mit dem Verhandlungen geführt werden konnten. Es wurde jedoch argumentiert, das Ziel der Gewerkschaft sei in erster Linie die Einheit der Arbeitnehmer, und im April 1972 wurde die SEWA als Gewerkschaft eingetragen. Seit Anfang 1986 unterstützt die IAO die SEWA über Projekte der technischen Zusammenarbeit (siehe auch Kapitel VI). Der SEWA gehören inzwischen insgesamt etwa 40.000 Mitglieder an, wobei es sich um Kleinverkäufer, Kleinhändler, Straßenverkäufer, Erzeuger, die Waren zu Hause herstellen, und um Tagelöhner handelt, die ihre Dienste oder ihre 3012-5.G94 Aktionsprogramme ßr Heimarbeiter 69 Arbeitskraft verkaufen. Von all diesen werden die Erzeuger, die Waren zu Hause herstellen, am stärksten ausgebeutet und am schlechtesten bezahlt. Die SEWA verfolgte zur Organisierung der Heimarbeiter ein umfassendes Konzept, das die Notwendigkeit einer vollständigen Integration der Arbeitnehmer auf allen Ebenen der Gesellschaft, d.h. in wirtschaftlicher, sozialer und physischer Hinsicht, berücksichtigt. Um dies zu erreichen, wurde eine komplexe Strategie angewandt, die folgende Bestandteile hatte: a) Arbeiterbildungslehrgänge, Tagungen und allgemeine Kampagnen unter Heimarbeitern mit dem Ziel, ein Bewußtsein für die Notwendigkeit zu schaffen, sich einer Gewerkschaft anzuschließen und ihre gesetzlichen Rechte einzufordern, einschließlich des Rechtes, direkte Maßnahmen zu ergreifen; b) eine Unterstützungskampagne, um Heimarbeitern mehr öffentliche Geltung zu verschaffen und sie in die Lage zu versetzen, gesetzliche Anerkennung und gesetzlichen Schutz zu erhalten; c) die Bekämpfung von Ausbeutung durch die Forderung nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen oder durch die Schaffung von Genossenschaften, um so die Heimarbeiter zu Eigentümern der Produktionsmittel zu machen; d) die Einrichtung eines auf Beiträgen beruhenden Systems der Sozialen Sicherheit, aufgrund dessen Heimarbeiter eine GesundheitsVersorgung, Kinderbetreuungseinrichtungen, Renten und eine Versicherung für Notfälle erhalten können. Eines der ersten Ziele der SEWA bestand darin sicherzustellen, daß Heimarbeiter unter das Mindestlohngesetz fallen. Angesichts der zögernden Haltung der Regierung organisierte die SEWA eine Demonstration von über 1.000 Frauen, die dem für Arbeitsfragen zuständigen Regierungsbeauftragten ein Memorandum mit ihren Forderungen überreichten. Die Forderungen wurden anschließend an den dreigliedrigen Mindestlohnausschuß weitergeleitet, und aufgrund des anhaltenden Drucks der Frauen wurden sie schließlich gesetzlich umgesetzt. Mit der Verabschiedung eines Gesetzes ist der Kampf jedoch noch nicht gewonnen. Die Durchführung erwies sich als schwierig, da die meisten Heimarbeiter weder über Ausweise noch über Arbeitsbücher verfügten. Da sie nirgendwo verzeichnet waren, wußten die Arbeitsaufsichtsbeamten nichts von ihrer Existenz. Die SEWA wandte nun die Strategie an, den Arbeitsaufsichtsbeamten mitzuteilen, wann und wo Heimarbeiter Rohmaterial erhalten und Fertigwaren abliefern würden. So waren die Arbeitsaufsichtsbeamten in der Lage, die Erklärungen der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und sie zu registrieren. Dies wiederum ermöglichte Verhandlungen über Mindestlöhne. Da die Arbeitgeber in der Bekleidungsindustrie noch nicht einmal bereit waren, 50 Prozent des Mindestlohns zu zahlen, kamen die Verhandlungen zum Stillstand, und einige Arbeitnehmer wurden entlassen. Zwei Jahre ging die SEWA gerichtlich gegen die Entlassung der Arbeitnehmer vor, die schließlich auf Beschluß des Obersten Zivilgerichts wiedereingestellt wurden und Lohnnachzahlungen erhielten. Die Arbeitgeber nahmen die Verhandlungen mit der SEWA wieder auf, die einen verbesserten Lohnabschluß erreichen konnte. Die 3012-5.G94 70 Heimarbeit Heimarbeiter gewannen an Vertrauen, und inzwischen gehören der SEWA 2.500 Heimarbeiter der Bekleidungsindustrie an. Andere Textilarbeiter, die aus Stoffabfällen Steppdecken und kleine Bekleidungsstücke herstellen, schlössen sich in einer Genossenschaft zusammen und eröffneten ein Geschäft für den Verkauf ihrer Produkte. Um ihre Produkte zu diversifizieren und die Qualität zu verbessern, erhielten die Heimarbeiter eine besondere Ausbildung. Die Löhne der 400 weiblichen Mitglieder der Genossenschaft lagen um etwa 70 Prozent höher als der marktübliche Satz. Dies hat sich auch auf die Löhne der anderen Heimarbeiter ausgewirkt, die direkt von Arbeitgebern beschäftigt werden. Immer wenn die Genossenschaft die Löhne anhebt, sind die Arbeitgeber gezwungen, dem Beispiel zu folgen. Jetzt liegen die Löhne der Genossenschaft etwa 25 Prozent höher als die der anderen Heimarbeiter der Region. Arbeitnehmerinnen, die in Heimarbeit Bidi (Zigaretten) herstellen, gehören bzw. gehörten zu den am stärksten ausgebeuteten Heimarbeitern. Ein wichtiges Ziel der SEWA bestand in der Durchsetzung des Urteils des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1985, wonach das Gesetz über die Arbeitnehmer-Versorgungskasse auch auf Bidi-Arbeitnehmer anwendbar ist. In drei Jahren gewann die SEWA über 2.000 neue Mitglieder. Mit Unterstützung der SEWA gründeten einige von ihnen Genossenschaften, darunter auch eine Spar- und Kreditgenossenschaft, die heute über 1.200 Mitglieder zählt, an die bei Bedarf Darlehen vergeben werden. In Lucknow, das für seine Chikan- und Zari-Arbeiten (Stickerei) bekannt ist, stellte die SEWA fest, daß die Löhne der Arbeitnehmerinnen deutlich unter dem Mindestlohn lagen und nur etwa der Hälfte des Lohns männlicher Arbeitnehmer entsprachen. Die SEWA-Lucknow bewirkte einen gewerkschaftlichen Zusammenschluß der Arbeitnehmer innen und half ihnen dabei, beim Arbeitsministerium unter Berufung auf das Gesetz über gleiche Entlohnung Klage einzureichen. Ferner führte sie Lehrgänge durch, um die Stickerei-Fertigkeiten der Frauen zu verbessern, und eine bekannte Designerin bot ihre Dienste an. Dies führte zu einer höheren Nachfrage nach diesen modischen Artikeln in den Städten, und immer mehr Chikan-Arbeitnehmerinnen schlössen sich der SEWA an, was einen Anstieg der Löhne auch anderer Arbeitnehmer bewirkte. Über 1.000 Frauen beteiligen sich an einer Spar- und Kreditvereinigung. Die SEWALucknow beschäftigt jetzt über 4.000 Frauen bei einem Jahresumsatz von fast 10 Millionen Rupien. Auf nationaler Ebene hat die SEWA Seminare über rechtliche Fragen veranstaltet, die zur Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs über den Schutz und die Sozialfürsorge der Heimarbeiter geführt haben. Diese Gesetzesvorlage ist im Parlament anhängig. Die SEWA hat sich darüber hinaus aktiv um eine Unterstützung durch andere Gewerkschaften des Landes bemüht. Diese Gewerkschaften, die Heimarbeit ursprünglich grundsätzlich ablehnten, haben jetzt ihre Unterstützung zugesagt, und einige der nationalen Verbände haben damit begonnen, selbst Heimarbeiter gewerkschaftlich zu organisieren. Für die Zukunft plant die SEWA, Kontakte aufzunehmen zu ländlichen und landwirtschaftlichen Heimarbeitern, angefangen mit einer Untersuchung ihrer Arbeitsbedingungen, Produktionsbeziehungen usw. Ferner beabsichtigt sie, im 3012-5.G94 Aktionsprogramme für Heimarbeiter 71 Rahmen von Genossenschaften alternative Produktionssysteme zu fördern und ihr System der Sozialen Sicherheit für Heimarbeiter auszuweiten, das eine Krankenversicherung, eine Notfallversicherung, Kinderbetreuung und Unterstützung bei Wohnungsfragen umfaßt. In Indien gibt es zahlreiche weitere Frauenverbände, die Heimarbeiter gewerkschaftlich organisieren. So gewährt beispielsweise die Organisation Annapurna Mahila Mandal Kredite an Frauen, die sich mit Näharbeiten, handwerklichen Arbeiten, der Zubereitung von Mahlzeiten, dem Drehen von Bidi, dem Mahlen von Gewürzen und der Herstellung von Papad-Teig beschäftigen. Auch in der Nationalen Gewerkschaft arbeitender Frauen sind Heimarbeiterinnen mit gleicher beruflicher Tätigkeit und gemeinsamen Problemen zusammengeschlossen2. Einige der ältesten Organisationen von Heimarbeitern, die anderen Ländern als Vorbild dienten, befinden sich in Japan. Nach der japanischen Gesetzgebung werden Heimarbeiter als selbständig Erwerbstätige angesehen. Sie haben nicht das Recht, sich gewerkschaftlich zusammenzuschließen oder Kollektivverhandlungen zu fuhren. Sie haben nach der Verfassung lediglich das allgemeine Recht, Vereinigungen zu gründen. Dennoch gibt es in den großen Städten zahlreiche Gewerkschaften von Heimarbeitern. Die meisten wurden vor etwa 40 Jahren gegründet, und viele von ihnen haben sich dem 1960 gegründeten Dachverband der japanischen Heimarbeitergewerkschaften angeschlossen. Unter dem Druck dieses Verbands wurde 1973 im Arbeitsministerium eine Abteilung für Heimarbeiterfragen eingerichtet. Einer der größten Verbände ist der Arbeitnehmerrat der Schuhwarenindustrie in Tokio, dem vier Gewerkschaften mit etwa 2.000 Heimarbeitern angehören. Trotz fehlender Rechtsgrundlage haben diese Gewerkschaften Verhandlungen mit Arbeitgeberverbänden geführt und in den letzten 40 Jahren Verbesserungen der Löhne und Arbeitsbedingungen erzielt. Ihre größten Errungenschaften erzielten sie jedoch im Bereich der Besteuerung, wo sie Heimarbeitern das Recht verschafften, Einkommensteuern anstelle der Gewerbesteuern zu zahlen. Im Bereich der Sozialen Sicherheit erreichten die Gewerkschaften, daß die Gemeindeverwaltungen anstelle der Arbeitgeber Beiträge für Heimarbeiter entrichten (die nach dem Gesetz nicht zwingend vorgeschrieben sind). Ferner haben sich die vier Gewerkschaften gemeinsam einer nationalen Versicherungsgenossenschaft angeschlossen, die zahlreiche Sozialleistungen bietet. 1988 wurde für alle Heimarbeiter und Kleinproduzenten in Tokio ein Versicherungsfonds auf Gegenseitigkeit für Krankheiten und Unfälle eingerichtet. Es werden weitere Bemühungen unternommen, um Anspruch auf bezahlten Urlaub und Leistungen bei einer krankheits- oder unfallbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz zu erreichen. 1951 wurden in Kyoto die Freundschafts Vereinigungen der Heimarbeiter gegründet. Nach den Kriegsjahren suchten viele Menschen eine Beschäftigung, und Heimarbeit war sehr begehrt. Die Heimarbeit wurde über öffentliche Vermittlungszentren vergeben, die seit Anfang des Jahrhunderts existierten. Als 1956 beschlossen wurde, die Zentren zu schließen, wurden die inzwischen entstandenen informellen Heimarbeitergruppen aufgefordert, Vereinigungen zu gründen. Hierzu benötigte jede Gruppe mindestens 30 Mitglieder. Es entstanden 3012-5.G94 72 Heimarbeit 25 Gruppen mit insgesamt 2.000 Mitgliedern. Heute gibt es nur noch elf Gruppen. Auch in anderen Städten, die zum Verwaltungsbezirk von Kyoto gehören, wurden ähnliche Vereinigungen gegründet, von denen heute noch 23 existieren. Jede dieser Vereinigungen verfügt über ein Büro, das die Rolle eines Zentrums übernimmt, wo die Heimarbeiter Rohmaterial, Werkzeuge und Ausbildung erhalten. Die Zentren überprüfen die fertiggestellten Produkte vor der Lieferung an die Auftraggeber und sichern somit eine hohe Qualität. Sie führen Verzeichnisse und erledigen die Buchhaltung. Von ihren Führern und ausgewählten Heimarbeitern werden die Löhne und die Bedingungen der Kollektivverträge zwischen der Vereinigung und den Auftraggebern ausgehandelt. Oft sind die Arbeitgeber bereit, höhere Löhne zu zahlen, da es einfacher ist, mit einer Vereinigung zu verhandeln, die alle Verwaltungsformalitäten erledigt und eine Qualitätskontrolle durchführt, als mit einzelnen Heimarbeitern. Die Heimarbeiter führen 14 Prozent ihrer Einkünfte an die Vereinigung zur Deckung ihrer Betriebskosten ab. In Anbetracht der Tatsache, daß die Gewinnspanne kommerzieller Vermittler über 20 Prozent beträgt, ist dies ein angemessener Betrag. Die Vereinigungen spielen ferner eine wichtige Rolle als Nachbarschaftszentren, wo sich Heimarbeiter und ihre Familien treffen können, und als Interessenvertretungen, die sich für gesetzliche Reformen einsetzen. Vor kurzem organisierte der Distriktrat Ontario der ILGWU in Kanada eine Kampagne, um Heimarbeiter gewerkschaftlich zusammenzuschließen. Zunächst untersuchte die ILGWU die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, die in der chinesischen Gemeinschaft in Heimarbeit Kleidungsstücke nähen. Eine Strategie wurde entwickelt, um sie gewerkschaftlich zusammenzuschließen, und im Januar 1992 wurde der Heimarbeiterverband (HWA) von Toronto gegründet. Er wird von der ILGWU in New York unterstützt und erhält finanzielle Beihilfen der Provinz- und der Bundesregierung. Der HWA hat ein Büro eingerichtet, an das sich Heimarbeiter mit Fragen wenden können und das gesellschaftliche Veranstaltungen organisiert. Es bietet juristische Beratung durch einen ehrenamtlichen Rechtsanwalt, organisiert Englischunterricht und veranstaltet eine Vielzahl von informellen Seminaren über unterschiedliche Fragen. Darüber hinaus gibt es ein chinesischsprachiges Mitteilungsblatt heraus. 1993 wurde vom HWA eine Krankenversicherung eingeführt. Außerdem wurde eine Koalition für faire Löhne und Arbeitsbedingungen für Heimarbeiter gegründet, der unterschiedliche kommunale Organisationen, Frauenverbände und Kirchengruppen angehören. Ihre Aufgabe besteht darin, das politische Klima für Gesetzesreformen zu schaffen, wozu auch das Recht der Heimarbeiter auf den Beitritt zu Gewerkschaften gehört. Das Ziel besteht darin, den HWA in eine vollwertige Gewerkschaft zu verwandeln und letztlich Kollektivverhandlungen für Heimarbeiter zu führen. Im Dezember 1991 wurde die Koalition bei drei politischen Parteien vorstellig, um sich für Gesetzesreformen einzusetzen. Darüber hinaus übte sie über die öffentliche Meinung Druck auf bekannte Unternehmen aus, um die Bedingungen der Heimarbeiter zu verbessern. Die Regierung Ontarios hat zwar noch keine Gesetzesänderungen für 3012-5.G94 Aktionsprogramme für Heimarbeiter 73 Heimarbeiter vorgelegt, doch sollte im Herbst 1993 ein Gesetzesentwurf eingebracht werden. Vorläufig konzentriert sich der HWA auf die chinesischen und vietnamesischen Heimarbeiter im Gebiet von Toronto. Es ist geplant, die Tätigkeit des HWA auf andere ethnische und kulturelle Gruppen und auf andere Berufe auszudehnen. Aufgrund finanzieller Einschränkungen wurden dabei jedoch nur geringe Fortschritte erzielt. In den Vereinigten Staaten findet man verschiedene Beispiele für Programme, wo sich Heimarbeiter zusammengeschlossen haben, um aus hauptsächlich wirtschaftlichen Gründen eine eigene Organisation zu gründen. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Watermark Association of Artisans, die ihren Sitz in ländlichen und nicht sehr wohlhabenden Gebieten des nordöstlichen Nordkarolina hat. Watermark ist eine Genossenschaft, die sich im Besitz ihrer 700 Mitglieder befindet, von denen 97 Prozent Frauen sind. Die Gegend, in der sie leben, ist isoliert und verfügt über keine Schnellstraßen, Eisenbahnverbindungen oder Flughäfen. Das Land ist nicht sehr fruchtbar, und das Einkommen aus der Landwirtschaft reicht vielen Farmern nicht aus, um ihre Familien zu ernähren. Watermark wurde 1978 von einer Gruppe von Frauen mit handwerklichen Fähigkeiten gegründet, um alternative Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Die Genossenschaft erhielt Unterstützung vom Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten und vom Nordkarolina-Fonds für ländliche Entwicklung. Watermark, das sich zu einem rentablen Unternehmen entwickelt hat, übernimmt für seine Mitglieder die Produktentwicklung und den Vertrieb. Der Verkauf erfolgt über Großhandelsmärkte in großen Handelszentren und über Großhandelskataloge, die von der Genossenschaft hergestellt werden, die außerdem alle geschäftlichen Aufgaben und den größten Teil der Risiken in bezug auf beschädigte Produkte, Konkurse usw. übernimmt. Sie ist in der Lage, Großaufträge abzuwickeln, ohne daß einzelne Heimarbeiter dadurch übermäßig belastet werden, und ermöglicht den Heimarbeitern, Nutzen aus dem Großeinkauf von Rohmaterial und Hilfsstoffen zu ziehen. Die wichtigsten Produkte sind ländliche Handwerksarbeiten der traditionellen und modernen Volkskunst und handwerkliche Geschenkartikel. Über 70 Prozent der Mitglieder besuchen handwerkliche Fortbildungskurse. Nach ihrer Aufnahme durch einen Prüflings- und Vereidigungsausschuß erwerben sie einen Unternehmensanteil und können Bestellungen für Produkte entgegennehmen. Die Genossenschaft erteilt erst nach Eingang von Bestellungen Arbeitsaufträge. Über die Hälfte der Mitglieder sehen in der Arbeit eine Freizeitbeschäftigung, und sie stellen nur eine kleine Zahl von Artikeln her, die sie über das Einzelhandelsgeschäft der Genossenschaft verkaufen. Lediglich 100 Mitglieder erzielen den größten oder einen wesentlichen Teil ihres Einkommens durch den Großhandelsverkauf über die Genossenschaft. Wegen der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation sind die meisten neuen Mitglieder jedoch dringend darauf angewiesen, ein regelmäßiges monatliches Einkommen zu erwirtschaften, da sie oft keine anderen Einnahmen haben. Der Betrag, den jedes Mitglied für ein Produkt erhält, wird während der Produktentwicklung festgelegt. Das Musterprodukt wird an drei Mitglieder 3012-5.G94 74 Heimarbeit vergeben, die unterschiedlich schnell arbeiten (langsam, durchschnittlich und schnell). Jedes Mitglied erstellt verschiedene Prototypen des jeweiligen Produkts; dabei führt jeder eine Kostenanalyse unter Berücksichtigung der Kosten des Materials, der Arbeitszeit sowie bestmöglicher Fertigungsmethoden usw. durch. Die Mitarbeiter der Produktionsentwicklung analysieren anschließend die Produkte und die entsprechenden Unterlagen und berechnen unter Mitwirkung aller beteiligten Personen die durchschnittlichen Kosten. Die Genossenschaft selbst nimmt nur so viel Geld, wie sie benötigt, um ihre Betriebskosten zu decken. Der von den Mitgliedern erzielte Mindestlohn liegt wesentlich höher als die ortsüblichen Löhne. Watermarks Strategie hat der ländlichen Wirtschaftsentwicklung neue Impulse verliehen. Watermark hat sich jedoch auch positiv auf seine Mitglieder ausgewirkt, die an Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein gewonnen haben und eine aktivere Rolle innerhalb ihrer Familien und ihrer Gemeinschaften übernommen haben. Der Einfluß von Watermark geht auch weit über den örtlichen Bereich hinaus, da das Unternehmen inzwischen zu einer der größten und erfolgreichsten Handwerksgenossenschaften der Vereinigten Staaten geworden ist. Die wirtschaftliche Entwicklungsstrategie des Unternehmens wurde als eine der zehn besten Strategien des Landes bezeichnet, und internationale Hilfsorganisationen haben Vertreter aus vielen Ländern beauftragt, das Watermark-Modell zu untersuchen. Eine ähnliche Wirtschaftsentwicklungsinitiative wurde 1991 im zentralen und östlichen West-Virginia in einem ländlichen Gebiet entwickelt, das im Appalachen-Gebirge liegt und seit vielen Jahren unter Arbeitslosigkeit, Armut und einem Mangel an Human- und Wirtschaftsressourcen leidet. Das Unternehmen Appalachian Knitware (AK) ist ein Entwicklungsprojekt des Center for Economic Options (CEO) (früher Women and Employment). Die Entwicklungskosten des Projekts wurden vom West Virginia Development Office, einer staatlichen Stelle, von dem Unternehmen Esprit (ein Privatunternehmen und Hauptabnehmer der Produkte) und von Zuschüssen privater Stiftungen getragen. Die Ziele des Projekts bestehen darin, Landfrauen über eine selbständige Erwerbstätigkeit und Arbeit im eigenen Heim eine langfristige Voll- oder Teilzeitbeschäftigung zu ermöglichen, um eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an wirtschaftlicher Führung, der kommunalen Entwicklung und der Erwerbstätigkeit sicherzustellen. AK ist ein Netzwerk von Frauen, die zu Hause arbeiten und auf Strickmaschinen mit Hilfe eines Verfahrens, das als Handweben bezeichnet wird, Pullover herstellen. Jede von ihnen ist eine einzelne Unternehmerin, die das Netzwerk nutzt, um ihre Produkte abzusetzen. AK vergibt alle Fertigungsdienstleistungen an erfahrene Verwaltungskräfte und ausgebildete Strickerinnen und Näherinnen. Die Strickerinnen müssen eine Strickmaschine besitzen oder zur Verfügung haben, sie müssen Probearbeiten abliefern und sich gelegentlich für Aufträge ausbilden lassen. Der Stundenlohn wurde von den Strickerinnen selbst festgelegt, indem sie in einer Fachzeitschrift den für Handweberinnen marktüblichen Lohn ermittelten. Für die Zukunft plant AK eine Ausdehnung auf den Großhandelsmarkt, was eine höhere Gewinnspanne ermöglichen und die Ausbildung von über 140 Men3012-5.G94 Aktionsprogramme för Heimarbeiter 75 sehen im Verlauf der nächsten vier Jahre erfordern würde. Die Regierung des Bundesstaats hat sich bereit erklärt, für die Ausbildung der Arbeitnehmer im Rahmen des Gesetzes für partnerschaftliche Ausbildung öffentliche Mittel zur Verfügung zu stellen, wenn das Unternehmen nachweisen kann, daß ein Markt für seine Produkte besteht. In Anbetracht der begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten, die Landfrauen im Gebiet der Appalachen zur Verfügung stehen, besitzt AK nach allgemeiner Auffassung echtes Potential, um das Gebiet wirtschaftlich zu beleben. Es gibt Frauen die Möglichkeit einer nicht auf Ausbeutung beruhenden Beschäftigung, der sie in ihrem Gemeinwesen auf bequeme Weise je nach Bedarf und Wunsch nachgehen können. Das Women of Colour Quilters Network ist eine weitere Genossenschaft, deren Mitglieder zur Förderung und Unterstützung ihrer Kreativität Gespräche, Workshops und eigene Ausstellungen der Arbeiten von Mitgliedern veranstalten und die keine Zwischenhändler zum Verkauf ihrer Kunst einsetzen. Für die Produkte ihrer Mitglieder tritt die Genossenschaft als Makler auf. Sie ist wirtschaftlich unabhängig und hat bisher keine externen Mittel in Form von Zuschüssen oder Darlehen in Anspruch genommen. Die Mitgliedschaft muß jedes Jahr erneuert werden, und die Mitglieder führen zehn Prozent ihres Umsatzes an das Netzwerk ab, das mit diesem Geld Anzeigen in Fachzeitschriften, Katalogen und Verzeichnissen und die Mitgliedschaft in größeren Vereinigungen bezahlt. Zu den Mitgliedern zählen hauptsächlich amerikanische Frauen, die sich als selbständige Künstler zusammengeschlossen haben, um so die Händler auszuschalten, die Frauen, Minderheiten und Heimarbeiter stets benachteiligt haben. Der größte Gewinn besteht für sie darin, daß sie nicht manipuliert werden können und daß ihre Arbeit geschätzt wird. Abgesehen davon, daß sie ein eigenes Einkommen erzielen, haben sie den von afrikanischen Amerikanern und anderen Farbigen hergestellten textilen Kunstgegenständen einen neuen ästhetischen Wert gegeben. Die Zahl der Mitglieder, die auch aus anderen Teilen der Welt kommen, schwankt zwischen 600 und 800. Die vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Netzwerk und einzelnen Künstlern erfolgen auf individueller Grundlage unter Berücksichtigung des Wertes der herzustellenden Steppdecke und der Interessen des Kunden. Die Mitglieder haben beim Verkauf und bei der Preisgestaltung ein Mitspracherecht, und die Zahlung erfolgt direkt an das Mitglied. Einige Mitglieder betreiben die Tätigkeit als Hobby, für andere ist die Textilkunst jedoch ein Beruf, mit dem sie sich selbst und ihre Familien unterhalten. 90 Prozent der Mitglieder sind weibliche Haushaltsvorstände. Entsprechend den Bestimmungen des Arbeitsministeriums der Vereinigten Staaten gelten sie als „selbständige Unternehmer", und sie müssen Steuern für eine selbständige Erwerbstägigkeit entrichten. Sie können jedoch in Steuerfragen die Beratungsdienste des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten in Anspruch nehmen. Es gibt zahlreiche weitere Verbände von Heimarbeitern. In einigen europäischen Ländern haben sich Heimarbeiter in gewerblichen Genossenschaften zusammengeschlossen. So haben sich beispielsweise in Polen im Jahr 1980 über 50.000 behinderte Heimarbeiter zusammengeschlossen. In der Schweiz erhalten 3012-5.G94 76 Heimarbeit Heimarbeiter Unterstützung über ein staatliches Amt für Heimarbeit, das auch Angebot und Nachfrage mit ihren Arbeitgebern koordiniert. HILFSZENTREN UND NETZWERKE Wenn sich Heimarbeiter zusammengeschlossen haben, sind dauerhaftere Strukturen in Form von Zentren und Netzwerken erforderlich. Einige Beispiele für derartige Strukturen wurden bereits im Abschnitt über den gewerkschaftlichen Zusammenschluß von Heimarbeitern erwähnt, etwa die Textilarbeiter, Bididreher und Stickereiarbeiter, die sich in Indien über die SEWA in Genossenschaften zusammengeschlossen haben, der Freundschaftsverband der Heimarbeiter von Kyoto in Japan und die drei Genossenschaften unabhängiger Kunsthandwerker in den Vereinigten Staaten. Zwar erfolgen in einigen Fällen gewerkschaftlicher Zusammenschluß und Konsolidierung gleichzeitig, wobei sich beide Prozesse unterstützen, in anderen Fällen verläuft die Entwicklung jedoch schrittweise. Das PATAMABA Action Programme for Homeworkers' Empowerment auf den Philippinen ist ein Beispiel dafür, wie sich ein solches Programm entwickeln kann. Es begann 1980 mit einer Studie von Wissenschaftler innen über Heimarbeiter, die der Association of the New Filipina (KaBaPa) angehörten, einer 1975 gegründeten Basisorganisation, der hauptsächlich Landfrauen angehören. Die Daten der Studie dienten ergänzt durch Informationstätigkeiten als Ausgangspunkt für die Organisierung. Im Oktober 1989 bildeten Heimarbeiter aus neun Provinzen einen Ad-hoc-Koordinierungsausschuß, der die Organisationsbemühungen im Hinblick auf die Einrichtung eines nationalen Netzwerks (PATAMABA) übernahm. Die Aufbautätigkeiten, wozu die Ausbildung von Organisatoren aus den Reihen der Heimarbeiter sowie die Entwicklung und Verteilung von Informations- und Ausbildungsmaterial und der Zusammenschluß selbst gehörten, wurden im Rahmen des subregionalen IAO-Projekts für ländliche Heimarbeiterinnen unterstützt (siehe Kapitel VI). Nach der Ausbildung reisten die für den Zusammenschluß zuständigen Heimarbeiter in die verschiedenen Provinzen, um den Informationsstand zu verbessern und die Organisation voranzutreiben. Ihre Bemühungen führten dazu, daß im Mai 1991 ein Gründungskongreß stattfand, der eine Satzung und einen Aktionsplan für die nächsten fünf Jahre verabschiedete und einen aus zehn Mitgliedern bestehenden nationalen Koordinierungsausschuß einsetzte. Der nächste Schritt bestand in der Konsolidierung des nationalen Netzwerks durch die Schaffung formaler Strukturen und die Ernennung von hauptberuflichen Verantwortlichen für den Zusammenschluß sowie von Führungs- und Verwaltungskräften. Es wurde ein Heimarbeiterzentrum eingerichtet, das groß genug war, um darin ein Büro, eine Ausbildungsstätte und einen Ausstellungsraum für die Produkte unterzubringen. Gleichzeitig setzte das Netzwerk seine Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und seine Forschungs- und Förderungstätigkeiten fort. Nach der Unterstützung der Einrichtung von Heimarbeitergenossenschaften und -betrieben führte PATAMABA Verhandlungen mit potentiellen 3012-5.G94 Aktionsprogramme ßr Heimarbeiter 11 Käufern, um sicherzustellen, daß Absatzmärkte für die Produkte vorhanden waren. PATAMABA ist inzwischen zu einer völlig selbständigen Organisation geworden, der 3.000 Subunternehmer bzw. selbständig erwerbstätige Heimarbeiter angehören, die Produkte für den Binnenmarkt und für Exportmärkte herstellen. Die vorwiegend ländlichen Heimarbeiter gehören weiterhin zu KaBaPa, sie sind jetzt jedoch in einem Unterverband mit der Bezeichnung KASAMBAHAY zusammengeschlossen. Die Zahl der erfaßten Heimarbeiter ist immer noch sehr klein, wenn man berücksichtigt, daß es auf den Philippinen etwa 5 bis 7 Millionen Heimarbeiter gibt. Der Demonstrationseffekt wirkt sich jedoch sehr positiv aus, und für die Zukunft plant PATAMABA, das nationale Netzwerk zu stärken, zu konsolidieren und auszuweiten, Heimarbeitern zusätzliche Dienste für Sozialfürsorge und sozialen Schutz zu gewähren und die Produktivität und wirtschaftliche Existenzfähigkeit der Projekte weiter zu stärken. In den Niederlanden hat der Frauenverband Hilfszentren für Heimarbeiter eingerichtet. Der 1948 gegründete Frauenverband ist eine von 19 Gewerkschaften, die dem Niederländischen Gewerkschaftsbund (FNV) angehören. 1982 erhielt die Gewerkschaft Stimmrecht innerhalb des FNV, sie ist jedoch nicht befugt, Gesamtarbeitsverträge abzuschließen, da dies in die Zuständigkeit der verschiedenen Industriegewerkschaften fällt. Der Frauenverband setzt sich seit mehr als zehn Jahren für eine Verbesserung der Stellung der Heimarbeiter ein. 1985 wurde das erste Zentrum in Hengelo (östliche Niederlande) eingerichtet. Später wurden in anderen Regionen mit öffentlicher Unterstützung drei weitere Zentren eröffnet. In allen vier Regionen wurden vor und während der Einrichtung der Hilfszentren umfangreiche Forschungen zur Heimarbeit durchgeführt. Neben dem enormen Bedarf an Informationen über eine Vielzahl von Themen gab es zahlreiche Anfragen mit der Bitte, bei der Suche nach einer Arbeit — auch Heimarbeit — behilflich zu sein. Die Hilfszentren verfügen über aktualisierte Informationen über Unternehmen und Arbeitgeber und können somit auf konkrete Fragen von Heimarbeitern antworten. Heimarbeiter erhalten Informationen über Gesamtarbeitsverträge, Löhne, unregelmäßige Arbeit und darüber, wie sie die Beschäftigungsbedingungen mit dem Arbeitgeber aushandeln können. Die Mitglieder des Frauenverbands können auf Rechtsberatung und Unterstützung durch den FNV zählen. Derzeit laufen in einer Reihe von Heimarbeitssachen Berufungsverfahren. Zwischen 1985 und 1992 unterhielten die Hilfszentren Kontakte zu über 10.000 Heimarbeitern (männlichen und weiblichen). In verschiedenen anderen Orten in den Niederlanden wurde versucht, Hilfszentren für Heimarbeit einzurichten, die Initiativen scheiterten jedoch, da nicht genug finanzielle Mittel zur Verfügung standen. Die Zentren in Hengelo und Tilburg waren trotz gelegentlicher Schwierigkeiten im September 1993 noch in Betrieb. Gleichzeitig verhandelte der Frauenverband fast ein Jahr über die Finanzierung eines dreijährigen Projekts zur Integration der Heimarbeit (1992-95), das gemeinsam von der Regierung, dem Zentralen Beschäftigungsrat und drei großen 3012-5.G94 78 Heimarbeit FNV-Gewerkschaften finanziert wird. Das Ziel des Projekts besteht darin, durch Beschäftigungspolitiken und Arbeitsgesetzgebung für eine bessere Integration der Heimarbeiter in den Arbeitsmarkt zu sorgen. Der FNV hat seinen Einfluß bei Mitgliedern des Parlaments und in Beiräten genutzt, um die Stellung der Heimarbeiter zu verbessern. Zum Teil ist es auf diese Bemühungen des FNV zurückzuführen, daß jetzt ein Gesetzesentwurf ausgearbeitet wird, um die Heimarbeit in das Gesetz über Arbeitsbedingungen einzugliedern, wobei es sich um einen Prozeß handelt, der wegen der geringen politischen Priorität ständigen Verzögerungen ausgesetzt war. Ein großes nationales Netzwerk von Heimarbeitervereinigungen wurde im Vereinigten Königreich eingerichtet, wo bereits seit vielen Jahren über die Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter öffentlich diskutiert wird. In den siebziger Jahren zielten die Aktivitäten vor allem darauf ab, ein Gesetz über den Schutz der Heimarbeiter einzubringen, das Heimarbeitern denselben Schutz verschaffen würde wie anderen Arbeitnehmern. Dem Parlament wurde der Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, das vor dem Regierungswechsel 1979 jedoch nicht angenommen wurde. In den achtziger Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt auf örtliche Gruppen, die direkt mit Heimarbeitern arbeiteten. Die erste dieser neu entstandenen Gruppen war die Leicester Outwork Campaign, deren Anfänge auf Arbeiten in der Gemeinschaft, die Frauenbewegung und gewerkschaftliche Tätigkeiten zurückgehen. Sie ist zu einer der wichtigsten Heimarbeitergruppen außerhalb Londons geworden. Gleichzeitig wurden wichtige Forschungsarbeiten veröffentlicht. Der Greater London Council nahm die Heimarbeit in seine Wirtschaftsstrategie auf und unterstützte sowohl örtliche unabhängige Projekte wie Beauftragte für Heimarbeit. Die Gewerkschaften haben sich im allgemeinen für örtliche Projekte eingesetzt und in' einigen Fällen versucht, eine eigene Abteilung für Heimarbeiter einzurichten. 1984 wurde im Anschluß an eine Konferenz des Greater London Council die Nationale Gruppe für Heimarbeit eingerichtet. Dieselbe Konferenz verabschiedete eine Charta, in der die noch immer gültigen Hauptziele der Nationalen Gruppe niedergelegt sind. Die Charta enthält eine Reihe von Forderungen, um im Bereich der Heimarbeit direkt über die Arbeitsgesetzgebung und indirekt über verbesserte Kinderbetreuung und eine Bekämpfung von rassistischen und sexistischen Praktiken Änderungen zu bewirken. Die Nationale Gruppe für Heimarbeit stellt ein effektives Netzwerk dar, innerhalb dessen unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen Erfahrungen über ihre örtliche Arbeit austauschen können, und sie fungiert als Koordinierungsgremium, durch das örtliche Projekte auf nationaler Ebene Einfluß nehmen können. Die in zehn verschiedenen Regionen des Vereinigten Königreichs eingerichteten örtlichen Projekte gewähren Heimarbeitern in ihrem Tätigkeitsbereich Beratungs- und Unterstützungsdienste, sie verbessern den Kenntnisstand der örtlichen Behörden und Organisationen in bezug auf Fragen der Heimarbeit, sie führen Prozesse, um Heimarbeitern Rechte zu verschaffen, und sie arbeiten Ausbildungsprogramme für Heimarbeiter aus. In letzter Zeit haben einige der örtlichen Projekte Heimarbeitern Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung gestellt, um ihre Arbeit sicherer und gesünder zu gestalten (Stühle zur Verbesserung der 3012-5.G94 Aktionsprogramme für Heimarbeiter 79 Sitzhaltung, Lampen für bessere Beleuchtung usw.). Die Finanzierung ist zunehmend davon abhängig, daß Heimarbeiter ermutigt werden, sich eine andere Form der Beschäftigung zu suchen, etwa nach einer Ausbildung, oder daß sie ihre Situation durch echte selbständige Erwerbstätigkeit verbessern, entweder durch einen von einer Person geführten Kleinbetrieb oder über Genossenschaften oder Gemeinschaftsunternehmen. Die Ziele der Nationalen Gruppe entsprechen denen der örtlichen Projekte, wobei der Schwerpunkt insbesondere darauf liegt, Änderungen in der Gesetzgebung zu bewirken, um Heimarbeitern dieselben Rechte zu verschaffen wie anderen Arbeitnehmern, und Kontakte zu anderen Organisationen zu knüpfen, um Fragen der Heimarbeit zu erörtern und allgemein Forderungen nach gleichen Chancen und einer besseren Ausbildung und nach Bildungseinrichtungen für Heimarbeiter zu erheben. Lokale Projekte und die Nationale Gruppe wurden hauptsächlich durch Kommunalbehörden finanziert, die Regierung hat jedoch auch indirekt finanzielle Mittel aus dem Sonderfonds für Minderheiten zur Verfügung gestellt. In letzter Zeit mußten andere Finanzierungsquellen, wie Hilfsorganisationen, Kirchengruppen und europäische Finanzmittel, in Anspruch genommen werden. Der Mangel an sicherer Finanzierung ist weiterhin ein Problem bei der Planung und Entwicklung der nationalen Arbeit sowie bei einigen lokalen Projekten. Die Nationale Gruppe war auch aktiv beim Aufbau von Beziehungen zu Heimarbeitergruppen in anderen Ländern. Kontakte wurden geknüpft zum Europäischen Parlament und zur Arbeitsgruppe für Heimarbeit der Europäischen Kommission, um innerhalb der Europäischen Union ein Netzwerk aktiver Heimarbeiterorganisationen zu schaffen. Der Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene war ein wichtiger Faktor bei der Schaffung von Beziehungen zu anderen Frauen in einer globalen Wirtschaft. Ein internationales Netzwerk könnte dazu beitragen, gemeinsam Informationen zu nutzen und ein Verständnis für die Kräfte zu entwickeln, die für die Arbeit und das Leben der Heimarbeiter bestimmend sind, und Ideen hervorzubringen, um Lösungen für ihre Probleme zu finden. ZUKÜNFTIGE AUSSICHTEN Zwar sind die in diesem Kapitel beschriebenen Programme nicht zwangsläufig diejenigen, die für die betreffenden Länder am repräsentativsten sind, sie sind jedoch gute Beispiele dafür, was getan werden kann, um Heimarbeiter zu unterstützen. Hinsichtlich ihrer Erfolge und begrenzten Möglichkeiten können einige Anmerkungen gemacht werden. Abgesehen von sehr großen Informationskampagnen, wie sie etwa in Australien organisiert werden, haben die meisten Programme einen begrenzten Zielbereich. Sie konzentrieren sich in der Regel auf eine sehr spezifische Zielgruppe. Die SEWA in Indien expandiert jedoch rasch, und ihre Aktivitäten betreffen viele verschiedene Gruppen von Heimarbeitern. Sie ist nicht nur in Indien, sondern auch auf internationaler Ebene sehr bekannt. Auch P AT AM AB A auf den Philippinen hat das Potential, in der Zukunft rasch zu expandieren. Beide 3012-5.G94 80 Heimarbeit Vereinigungen wurden mit Hilfe von Projekten der technischen Zusammenarbeit der IAO unterstützt. Eines der Hauptziele besteht dabei darin, wirtschaftlich existenzfähige, sich selbst tragende Aktivitäten zu schaffen. Finanzielle Probleme stehen einer Ausweitung der Programme oft im Weg. Zum Beispiel war dies der Fall in Kanada, wo der Zusammenschluß von Heimarbeitern durch einen Mangel an finanziellen Mitteln behindert wurde, in den Niederlanden, wo verschiedene Hilfszentren geschlossen wurden, und im Vereinigten Königreich, wo die Nationale Gruppe für Heimarbeit mit Personalproblemen konfrontiert wurde. Wenn mehr Heimarbeiter von diesen Programmen erreicht werden sollen, müßte eine aktive nationale Politik im Bereich der Heimarbeit darauf abzielen, mehr Unterstützung durch innerstaatliche Stellen und die Sozialpartner zu erhalten. Viele Verbände von Heimarbeitern haben das rechtliche Problem, formal als Gewerkschaften anerkannt zu werden und befugt zu sein, Kollektivverhandlungen zu führen. Dies ist etwa in Japan, Kanada, den Niederlanden und in vielen anderen Ländern der Fall. Einige Programme haben die Probleme der formalen Anerkennung und unzureichenden Finanzmittel überwunden, indem sie erfolgreiche kommerzielle Unternehmen oder Genossenschaften gegründet haben. Durch den eigenen Vertrieb der von ihnen hergestellten Güter können Heimarbeiter eine bessere Entlohnung ihrer Arbeit erzielen und eine unfaire Behandlung vermeiden. Dennoch benötigen sie möglicherweise noch Unterstützung in anderer Form, darunter Ausbildung und Krediteinrichtungen, Sozialleistungen und Soziale Sicherheit, Krankenversicherung, Mutterschaftsschutz usw. Selbst in diesen erfolgreichen Unternehmen ist sozialer Schutz noch nicht völlig überflüssig geworden. Eine der Lehren, die man aus dem Zusammenschluß von Heimarbeitern in Indien und auf den Philippinen ziehen kann, ist, daß ein umfassender Ansatz entwickelt werden muß, damit gewährleistet ist, daß Heimarbeitern, die um ihre Rechte kämpfen, alternative Einkommensquellen zur Verfügung stehen, wenn Arbeitgeber oder Subunternehmer Aufträge zurückziehen. Darüber hinaus müssen die Heimarbeiter auf gewerblicher und territorialer Grundlage Einvernehmen und Einigkeit herstellen, damit die Auftraggeber nicht eine Gruppe gegen eine andere ausspielen oder Arbeitsaufträge von einem Dorf in ein anderes verlagern können. Programme und Verbände müssen nicht nur auf regionaler und nationaler Ebene entwickelt werden, sondern auch auf internationaler Ebene. Eine verbesserte Koordination ist auch zwischen nationalen und internationalen Netzen erforderlich, damit die sich zusammenschließenden Gruppen nicht selbst isoliert sind, sondern von den anderswo gesammelten kollektiven Erfahrungen und Erfolgen profitieren können. Die Zahl der vorhandenen Programme ist noch sehr begrenzt, und im Verhältnis zur geschätzten Zahl der Heimarbeiter in der Welt ist ihr Einfluß gering. Es gibt jedoch einige bemerkenswerte Beispiele, die in größerem Maßstab reproduziert werden könnten. Die Ausweitung des sozialen Schutzes auf Heimarbeiter durch Programme ist eine relativ neue Strategie, die sich als Ergänzung zu stärker formal ausgerichteten Aktionsmitteln bewährt hat. 3012-5.G94 Aktionsprogramme fiir Heimarbeiter 81 Anmerkungen 1 Die in diesem Kapitel enthaltenen Informationen stützen sich auf Fallstudien, die für eine demnächst erscheinende IAA-Veröffentlichung über Aktionsprogramme für den sozialen Schutz der Heimarbeiter ausgearbeitet worden sind. Siehe auch IAA: Conditions ofwork digest, Bd. 8, Nr. 2, a.a.O., S. 217-239. 2 Weitere Beispiele von Programmen finden sich in IAA: Conditions of work digest, Bd. 8, Nr. 2, a.a.O. 3012-5.G94 KAPITEL VI DIE IAO UND HEIMARBEIT In diesem Kapitel wird ein Überblick über die Maßnahmen gegeben, die von der IAO in Anbetracht des zunehmenden internationalen Interesses am Phänomen der Heimarbeit ergriffen worden sind. Angesichts der zahlreichen Erklärungen, in denen auf verschiedenen internationalen Tagungen Maßnahmen der IAO gefordert wurden, werden die bestehenden internationalen Arbeitsnormen und ihre Bedeutung für die Heimarbeit untersucht. Sonstige Tätigkeiten der IAO, insbesondere im Zusammenhang mit der Sammlung und Verbreitung von Informationen und der technischen Zusammenarbeit, haben einen Beitrag dazu geleistet, die Probleme der Heimarbeiter besser zu verstehen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie besser geschützt werden können. Zu diesen Arbeiten gehört die Einberufung einer Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern. FORDERUNGEN NACH MASSNAHMEN AUF INTERNATIONALER EBENE In den letzten Jahren wurde die internationale Arbeitsorganisation wiederholt aufgefordert, dem sozialen Schutz der Heimarbeiter mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auf ihrer 70. Tagung (1984) hat die Internationale Arbeitskonferenz in ihren Schlußfolgerungen über zukünftige Maßnahmen im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Umwelt den Schwerpunkt auf die notwendige Ausarbeitung von Konzepten gelegt, um Heimarbeitern einen wirksamen Schutz zu gewähren. In den Schlußfolgerungen im Anhang der von der Konferenz 1985 auf ihrer 71. Tagung angenommenen Entschließung über die Chancengleichheit und Gleichbehandlung für Männer und Frauen in der Beschäftigung wurde das Amt ferner aufgefordert, die Heimarbeit als möglichen neuen Gegenstand für zukünftige Normensetzung in Betracht zu ziehen. In den von der Konferenz auf ihrer 75. Tagung (1988) angenommenen Schlußfolgerungen über die Förderung der ländlichen Beschäftigung wurde die IAO aufgerufen, die Forschung, die Beratungsdienste und die technische Zusammenarbeit miteinander zu verbinden, um ihre Unterstützung der Mitgliedstaaten zu stärken, u.a. bei der Gestaltung von Programmen zur Dokumentierung und Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Heimarbeiter. 3012-5.G94 Die IAO und Heimarbeit 83 Auf ihrer 77. Tagung (1990) verabschiedete die Konferenz Schlußfolgerungen über die Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit, in denen die IAO aufgefordert wurde, die Gesetzgebung und Praxis darauf hin zu überprüfen, in welchem Umfang die dem Namen nach selbständig Erwerbstätigen, Heimarbeiter und unselbständig Beschäftigten sowohl im Selbständigensektor als auch in den regulären Beschäftigungssektoren geschützt sind. Dies wurde als wichtiger Schritt zur verstärkten Anwendung der Arbeitsnormen auf alle Erwerbstätigen angesehen, was im übrigen die Feststellung ermöglichen würde, inwieweit eine zusätzliche Normensetzung angebracht wäre. Auch in den Schlußfolgerungen von Industrieausschüssen und dreigliedrigen Fachtagungen der IAO werden Heimarbeiter als Zielgruppe für zukünftige Maßnahmen der IAO genannt. Die 1991 veranstaltete Zwölfte Tagung des Ausschusses für die Textilindustrie verabschiedete eine Entschließung (Nr. 99) über industrielle Heimarbeit in der Textilindustrie, in welcher der Verwaltungsrat des IAA ersucht wurde: a) b) a) b) c) d) (1) alle Mitgliedstaaten der IAO aufzufordern: angemessene Maßnahmen im Hinblick auf die Regelung der Heimarbeit mit dem Ziel durchzuführen, einen rechtlichen Status für Heimarbeiter festzulegen; unter aktiver Beteiligung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände besonderes Gewicht auf die Beseitigung von mißbräuchlichen Praktiken zu legen, die im Zusammenhang mit Heimarbeit zu verzeichnen sind; (2) den Generaldirektor zu ersuchen: eine vergleichende Studie über die Situation der Heimarbeiter und aller anderen Arbeitnehmer in der Textilindustrie auszuarbeiten; Vorschläge vorzulegen, wie der wahre Umfang der Heimarbeit, insbesondere in der Textilindustrie, besser festgestellt werden kann; Beziehungen zu Mitgliedstaaten und zu Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zu unterhalten, um dreigliedrige Konzepte zur Entwicklung und Durchführung von Programmen zu unterstützen, mit denen Heimarbeitern in der Textilindustrie geholfen wird, sichere Arbeitsmethoden einzuführen und über gesündere Arbeits- und Lebensbedingungen zu verfügen, etwa indem ausgewählte Arbeitnehmer der Textilindustrie kurzzeitig abgestellt werden, um in Heimarbeitergemeinschaften Beratung über sichere Arbeitsmethoden und gesunde Arbeitsverfahren zu erteilen; die Schaffung von Einrichtungen, einschließlich genossenschaftlicher Einrichtungen, die für Heimarbeiter von Nutzen sind, zu fördern und zu unterstützen. Die Dritte Dreigliedrige Fachtagung für die Bekleidungsindustrie (1987) verabschiedete eine Entschließung (Nr. 27) über industrielle Heimarbeit in der Bekleidungsindustrie, in welcher sie den Verwaltungsrat des IAA ersuchte: (1) alle Mitgliedstaaten, in denen Heimarbeit gestattet ist, aufzufordern, angemessene Maßnahmen durchzuführen, um die Heimarbeit in wirksamer Weise mit dem Ziel zu regeln, Heimarbeitern einen rechtlichen Status zu verschaffen, der den Bedingungen der Bekleidungsindustrie entspricht; (2) alle Mitgliedstaaten aufzufordern, unter aktiver Beteiligung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände besonderes Gewicht auf die Beseitigung von mißbräuchlichen Praktiken zu legen, die im Zusammenhang mit Heimarbeit zu verzeichnen sind; (3) den Generaldirektor zu ersuchen, einen Beitrag zur weiteren Ermittlung und Beurteilung der besonderen Probleme und Bedingungen der Heimarbeiter in der Bekleidungsindustrie zu leisten, indem er eine vergleichende Studie über die Situation der Heimarbeiter und der 3012-5.G94 84 Heimarbeit Fabrikarbeiter durchfuhren läßt und die vorgesehene Dreigliedrige Sachverständigentagung über Heimarbeit so bald wie möglich einberuft. Auf Dreigliedrigen Fachtagungen für die Leder- und Schuhwarenindustrie wurden wiederholt Maßnahmen im Bereich der Heimarbeit gefordert. 1979 ersuchte die Zweite Tagung in ihrer Entschließung (Nr. 13) über industrielle Heimarbeit den Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes, die Mitgliedstaaten aufzufordern, Maßnahmen zu ergreifen, um die Bedingungen der industriellen Heimarbeit zu regeln und die erforderlichen Kontrollmechanismen für alle Formen der industriellen Heimarbeit einzurichten. Die Dritte Tagung forderte 1985 in ihrer Entschließung (Nr. 22) über zukünftige Maßnahmen der IAO in der Leder- und Schuhwarenindustrie dazu auf, eine Sachverständigentagung über die Frage der Heimarbeit in diesem Industriezweig durchzuführen. 1992 verabschiedete die Vierte Tagung eine Entschließung (Nr. 26) über zukünftige Maßnahmen der IAO im Bereich der Leder- und Schuhwarenindustrie, in welcher der Verwaltungsrat des IAA gebeten wurde, den Generaldirektor zu ersuchen, die Frage der Heimarbeit in der Leder- und Schuhwarenindustrie in zukünftige Programme der Organisation aufzunehmen. Die Sorge über den sozialen Schutz der Heimarbeiter wird auch von anderen internationalen und regionalen Organisationen geteilt. Der Europarat setzte in seinem Programm für den Zeitraum 1987-88 eine besondere Studiengruppe ein, um eine Studie über den Schutz der zu Hause arbeitenden Personen (Heimarbeiter) durchzuführen. Die Gruppe legte Vorschläge hinsichtlich der Konzepte und Grundsätze vor, die in die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis aufgenommen werden sollten. Der Lenkungsausschuß für Beschäftigungs- und Arbeitsfragen erörterte auf seiner Tagung im April 1989, ob eine Empfehlung zur Annahme durch den Ministerausschuß der 23 Mitgliedstaaten ausgearbeitet werden sollte, er beschloß jedoch, die Frage vorläufig nicht zu behandeln, da die Einstimmigkeit, die zur Annahme eines solchen Textes erforderlich ist, seinerzeit nicht sichergestellt war. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat eine Reihe von Länderstudien durchgeführt und darüber hinaus bei anderen Einrichtungen Forschungsarbeiten, insbesondere über moderne Formen der Heimarbeit, in Auftrag gegeben. Sie vertritt die Auffassung, daß der soziale und rechtliche Schutz der Heimarbeiter „ein Erfordernis unserer Zeit ist, das in der unmittelbaren Zukunft nicht an Bedeutung verlieren wird". Im Mai 1990 sprach sich das Referat für Chancengleichheit der Kommission für die Einberufung einer internationalen Konferenz über Heimarbeit aus, die Empfehlungen zur Verbesserung der Gesetzgebung für Heimarbeiter ausarbeiten sollte. Anfang 1992 setzte sie eine Arbeitsgruppe für Heimarbeit ein. Ein von einer Ad-hocArbeitsgruppe der Kommission ausgearbeiteter Bericht' über die verschiedenen Aspekte der Heimarbeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollte auf einem Seminar erörtert werden, das im März 1994 stattfinden sollte, um über Maßnahmen zu diskutieren, mit denen die Stellung der Heimarbeiter auf dem Arbeitsmarkt gestärkt werden kann. Auch einige der internationalen Arbeitnehmerverbände haben Sorge über den Schutz der Heimarbeiter zum Ausdruck gebracht. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) verabschiedete im März 1988 auf seinem 14. Weltkon3012-5.G94 Die IAO und Heimarbeit 85 greß eine Entschließung, in der gefordert wird, „eine weltweite Zählung der Heimarbeiter durchzuführen und internationale Arbeitsnormen und nationale Gesetzgebung in allen Ländern zu verabschieden, in denen eine bedeutende Anzahl von Heimarbeitern beschäftigt werden, um ihre grundlegenden Rechte in bezug auf Arbeitsbedingungen, Löhne und Sozialfürsorge zu gewährleisten"2. INTERNATIONALE ARBEITSNORMEN Kein Übereinkommen und keine Empfehlung der IAO befaßt sich speziell mit den Problemen im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Heimarbeitern. Sie enthalten darüber hinaus auch keine Definition des „Heimarbeiters". Der Geltungsbereich der Urkunden über grundlegende Menschenrechte (d.h. Vereinigungsfreiheit, Abschaffung der Zwangsarbeit sowie Chancengleichheit und Gleichbehandlung) und die Beschäftigung ist allgemeiner Art und umfaßt alle Arbeitnehmer, auch Heimarbeiter. Das Übereinkommen (Nr. 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958, läßt keine Zweifel daran, daß es sich auf alle Arbeitnehmer „bei der Arbeit" bezieht. Vom Sachverständigenausschuß für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen wurde festgestellt, daß der Ausdruck „bei der Arbeit" nicht nur Personen umfaßt, die als Arbeitnehmer gelten, sondern auch „selbständig Erwerbstätige", „Arbeitgeber" oder „unbezahlt mithelfende Famil ienarbeitskräfte "3. Was den Geltungsbereich der Urkunden über das Mindestalter betrifft, so wird oft die Formulierung „Beschäftigung oder Arbeit" verwandt, um alle Wirtschaftstätigkeiten abzudecken, unabhängig vom formalen Beschäftigungsstatus der betreffenden Personen, was deutlich macht, daß sie auch auf Heimarbeiter anwendbar sind4. In einigen dieser Urkunden wird speziell auf Heimarbeiter Bezug genommen. In der Empfehlung (Nr. 165) betreffend Arbeitnehmer mit Familienpflichten, 1981, wird gefordert, die Beschäftigungsbedingungen der Heimarbeiter, von denen viele Familienpflichten haben, zu regeln und zu überwachen (Absatz 21 (1)). In der Empfehlung (Nr. 99) betreffend die berufliche Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten, 1955, wird gefordert, den Behinderten eine nützliche und entlohnte Heimarbeit zu gewährleisten (Absatz 34). Im Bereich der Löhne wird im Übereinkommen (Nr. 26) über Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, 1928, speziell auf Arbeitnehmer beschäftigt in Zweigen der Heimarbeit Bezug genommen. 1985 lenkte der Sachverständigenausschuß für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen die besondere Aufmerksamkeit der Länder, die dieses Übereinkommen oder das Übereinkommen Nr. 131 aus dem Jahr 1970 zum gleichen Gegenstand ratifiziert haben, auf deren Durchführung im Bereich der Heimarbeit und forderte, Verfahren zur Mindestlohnfestsetzung auf Heimarbeiter auszudehnen. Ein weiterer Verweis auf Heimarbeiter findet sich im Übereinkommen (Nr. 103) über den Mutterschutz (Neufassung), 1952, das sich bezieht auf „Frauen, die in gewerblichen Betrieben ... beschäftigt sind, einschließlich der Heimarbeiterinnen". Die Frage bleibt somit unbeantwortet, ob dies bedeutet, daß 3012-5.G94 86 Heimarbeit Heimarbeiter so behandelt werden sollten, als ob sie im Betrieb beschäftigt würden. Im Bereich der Sozialen Sicherheit wird im Titel des Übereinkommens (Nr. 35) über Altersversorgung (Gewerbe usw.), 1933, wie auch in einigen anderen Urkunden über Soziale Sicherheit aus dieser Zeit Bezug genommen auf „die Pflichtversicherung der Arbeitnehmer der gewerblichen Betriebe ... sowie der Heimarbeiter ... für den Fall des Alters". Die Soziale Sicherheit betreffende Urkunden aus neuerer Zeit enthalten Flexibilitätsklauseln, die implizit für Heimarbeiter von Bedeutung sind. Der Wortlaut anderer Urkunden der IAO wirft einige fundamentale Fragen auf. So ist beispielsweise das Übereinkommen (Nr. 158) über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, 1982, auf „alle Arbeitnehmer" anwendbar (Artikel 2 (1)); das Übereinkommen (Nr. 135) über Arbeitnehmervertreter, 1971, bezieht sich auf „Arbeitnehmervertreter im Betrieb". In Anbetracht der sehr unterschiedlichen Situation der Heimarbeiter, deren Arbeitsverträge oft nicht in Schriftform abgefaßt und unklar sind und deren Arbeitsplatz sich nicht auf dem Gelände des Arbeitgebers befindet, stellen sich daher zwei Fragen. Die erste Frage lautet, ob alle Heimarbeiter als „Arbeitnehmer" im Sinne der Übereinkommen und Empfehlungen angesehen werden sollten. Die zweite Frage ist, ob Heimarbeiter vom Konzept der „Arbeitnehmer in Betrieben oder Unternehmen" ausgenommen werden sollten. Viele der Urkunden über die Arbeitszeit beziehen sich auf „Arbeitnehmer in Betrieben oder Unternehmen", d.h. die Frage nach der Definition bleibt unbeantwortet. Die Urkunden über die Arbeitsaufsicht beziehen sich auf das Aufsichtssystem in „Betrieben". Das Übereinkommen (Nr. 129) über die Arbeitsaufsicht (Landwirtschaft), 1969, enthält eine Bestimmung (Artikel 16 (2)), in der die Bedingungen beschrieben werden, unter denen die Aufsichtsbeamten „die Privatwohnung" betreten dürfen, die in manchen Fällen durchaus als Betrieb gelten kann und somit der Arbeitsaufsicht unterliegt5. Was den Arbeitsschutz betrifft, so richtet sich die Aufmerksamkeit in letzter Zeit verstärkt auf Erwerbstätige, die nicht der üblichen Lohnbeschäftigung nachgehen. So wird beispielsweise in der Empfehlung (Nr. 164) betreffend den Arbeitsschutz empfohlen, den selbständig Erwerbstätigen einen Schutz der gleichen Art zu gewähren, wie er für andere Fälle vorgesehen ist, die unter die Empfehlung und das Übereinkommen Nr. 155 zum gleichen Gegenstand fallen (Absatz 1 (2)). Im Übereinkommen (Nr. 167) über den Arbeitsschutz im Bauwesen, 1988, wird „Arbeitnehmer" als jede in diesem Sektor „beschäftigte" Person definiert (Artikel 2 d)). So ergibt sich zwar ein Problem aus der Tatsache, daß der „Arbeitsplatz" der Heimarbeiter nicht eine Arbeitsstätte des Arbeitgebers ist, der Begriff „Arbeitsplatz" (wie er beispielsweise in Artikel 3 c) des Übereinkommens (Nr. 155) über den Arbeitsschutz, 1981 definiert wird) schließt jedoch offenbar nicht automatisch die Wohnung des Arbeitnehmers aus, die ohne weiteres dem „mittelbaren" Verfügungsrecht des Arbeitgebers unterliegen kann. Wie man sieht, nehmen eine sehr große Anzahl von Urkunden ausdrücklich oder stillschweigend auf die Heimarbeiter Bezug. Andererseits enthalten jedoch 3012-5.G94 Die IAO und Heimarbeit 87 auch eine Reihe von Übereinkommen Flexibilitätsklauseln, die es den ratifizierenden Staaten ermöglichen, bestimmte Arbeitnehmerkategorien auszuschließen. So ermöglicht beispielsweise das Übereinkommen (Nr. 103) über den Mutterschutz (Neufassung), 1952, den ratifizierenden Ländern, „weibliche Lohnempfänger, die Heimarbeit verrichten" (Artikel 7 d)), vom Übereinkommen auszuschließen. Diese Möglichkeit wurde jedoch erst von einem der 31 Länder, die das Übereinkommen ratifiziert haben, in Anspruch genommen. Einige Übereinkommen im Bereich der Sozialen Sicherheit (Nr. 24, 25, 35, 36, 37, 38, 39) erlauben Ausnahmen im Hinblick auf „Heimarbeiter, die nach Art ihrer Arbeitsbedingungen den Lohnempfängern im allgemeinen nicht gleichgestellt werden können" (Artikel 2 Absatz 2 d) der Übereinkommen). Einige andere Übereinkommen sehen in allgemeinerer Weise mögliche Ausnahmen vor, so ist beispielsweise von begrenzten Kategorien von Arbeitnehmern die Rede, in bezug auf die bei der Anwendung besondere Probleme von erheblicher Bedeutung auftreten. Es ist zwar möglich, Heimarbeiter mit Hilfe solcher Bestimmungen auszuschließen, es liegen jedoch keine Informationen darüber vor, in welchem Umfang diese Flexibilitätsklauseln in Anspruch genommen worden sind. 1985 hatte der Sachverständigenausschuß in seinen allgemeinen Bemerkungen zu den Mindestlohnübereinkommen die praktischen Schwierigkeiten eingeräumt, die sich bei der Umsetzung der Bestimmungen der IAO-Urkunden über Mindestlöhne ergeben. Auch hat er in seinen allgemeinen Erhebungen darauf hingewiesen, daß Heimarbeiter bei der Umsetzung diesbezüglicher Urkunden in verschiedenen Ländern von der innerstaatlichen Gesetzgebung ausgeschlossen worden sind (z.B. 1981 in bezug auf das Übereinkommen (Nr. 138) über das Mindestalter, 19736, sowie 1984 in bezug auf das Übereinkommen (Nr. 132) über den bezahlten Urlaub (Neufassung), 1970)7. Die bereits erwähnte Flexibilität der internationalen Normen dient zweifellos dazu, derartigen praktischen Schwierigkeiten auf nationaler Ebene Rechnung zu tragen. Die Lösung dieser Probleme könnte erleichtert werden, wenn bei der Ausarbeitung internationaler Arbeitsnormen die besondere Situation dieser Arbeitnehmergruppe berücksichtigt würde. SAMMLUNG UND VERBREITUNG VON INFORMATIONEN In Anbetracht der zunehmenden Bemühungen mit dem Ziel, den sozialen Schutz der Heimarbeiter zu gewährleisten, hat die IAO verschiedene Tätigkeiten durchgeführt, um die wichtigsten Probleme zu ermitteln und mögliche Konzepte zu untersuchen, wie Heimarbeitern ein besserer Schutz verschafft werden kann. In den achtziger Jahren wurden vom IAA verschiedene Studien über die Beschäftigungsstrukturen und -bedingungen der Heimarbeiter in den Entwicklungsländern durchgeführt. Dazu gehören Fallstudien über Bididreher in Allahabad in Indien8, Kunsthandwerker in Pakistan und Teppichweber in ländlichen Gebieten der Türkei9. Monographien über Heimarbeit wurden für Argentinien, Indien, die Philippinen, Sri Lanka und Venezuela ausgearbeitet. Es wurde eine Übersicht der Literatur über Landfrauen und industrielle Heimarbeit in Lateinamerika mit einem Plan für zukünftige Forschungsarbeiten erstellt. 1985 3012-5.G94 88 Heimarbeit beteiligte sich das IAA im Rahmen einer Asiatischen Regionalkonferenz über Frauen und Haushalte an einer Reihe von Arbeitsgruppen für Frauen und Heimarbeit, und 1987 wurden verschiedene ausgewählte Papiere zu dieser Frage veröffentlicht10. Auf der Grundlage von Arbeiten, die 1988-89 durchgeführt wurden, gab das Amt eine größere Veröffentlichung über Heimarbeit heraus, die als Sonderausgabe der Reihe Conditions of Work Digest (Band 8, Nr. 2/189) erschien. Darin enthalten waren eine umfassende Analyse der gesetzlichen Bestimmungen über Heimarbeit in mehr als 70 Ländern; Beispiele für Bestimmungen in Gesamtarbeitsverträgen; Informationen über die Standpunkte von internationalen Organisationen, nationalen Institutionen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sowie deren Vorschläge für zukünftige Maßnahmen; ferner Informationen über Programme zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Heimarbeiter. Die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie haben die Verbreitung der elektronischen Heimarbeit unterstützt, die gewöhnlich als „Telearbeit" bezeichnet wird. Die in diesem Bereich durchgeführten Arbeiten führten zu einer Sonderausgabe der Reihe Conditions of Work Digest (Band 9, Nr. 1/1990). Diese Veröffentlichung enthält Informationen über die Verbreitung der Telearbeit, die Gründe für ihre Einführung und ihre Konsequenzen. Die Veröffentlichung befaßt sich insbesondere mit dem rechtlichen Status der Telearbeiter, mit ihrer Entlohnung und Produktivität, der Arbeitszeit, den Veränderungen in bezug auf Arbeitsorganisation und Führungsstil, den Auswirkungen auf den Arbeitsschutz, den Auswirkungen auf die Beschäftigung und dem Potential der Telearbeit zur Unterstützung der Behinderten und anderer besonderer Arbeitnehmergruppen. Die Veröffentlichung enthält ferner Fallbeschreibungen von Telearbeit in der Praxis, einschließlich Initiativen öffentlicher Stellen und Unternehmenserfahrungen. Sie macht deutlich, warum Telearbeit eingeführt worden ist, wie sie organisiert wird und wie sie sich auf die Telearbeiter auswirkt. Eine weitere Studie über Heimarbeit wurde in der Zweijahresperiode 199091 ausgearbeitet. Es war die letzte in einer Reihe von Studien, die vom IAA seit Beginn des letzten Jahrzehnts über die sogenannte „atypische Arbeit" durchgeführt worden sind, wobei es sich um eine relativ große Zahl verschiedener Formen der Beschäftigung handeln kann, die anders sind als das übliche feste Beschäftigungsverhältnis. Der Zweck dieser Forschungsarbeiten bestand darin, das Wissen über Heimarbeit zu vertiefen, und einen Überblick über die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis in bezug auf bestimmte Aspekte zu geben, etwa in bezug auf die Arbeitsbedingungen, die Entlohnung, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Erfassung der Heimarbeiter durch Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträge usw. Für die Studie wurden 15 nationale Monographien in Auftrag gegeben, und eine große Anzahl von Rechtsvorschriften wurden zusammengetragen. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeiten war eine vom Amt 1992 ausgearbeitete vergleichende Studie, die zusammengefaßt in der International Labour Review veröffentlicht wurde". Im Einklang mit den Schlußfolgerungen der Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern wurden weitere Studien durchgeführt. Eine 3012-5.G94 Die IAO und Heimarbeit 89 Studie enthält Beispiele für die bestmögliche Praxis und behandelt alle wichtigen Aspekte der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen von Heimarbeitern und von zu Hause beschäftigten Telearbeitern, die bei der Ausarbeitung von Richtlinien als Grundlage dienen könnten. Sie wird in der Reihe der Arbeitspapiere der Abteilung Arbeitsbedingungen und Sozialeinrichtungen als Diskussionspapier veröffentlicht werden. Die andere Studie beschäftigt sich mit Aktionsprogrammen für den sozialen Schutz der Heimarbeiter. Zehn Fallstudien über Programme aus Entwicklungs- und Industrieländern werden beschrieben, und es wird untersucht, inwieweit sie durch eine Verbesserung der gesetzlichen Rechte, der Verhandlungsposition, der Qualifikationen, der Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ganz allgemein der sozioökonomischen Situation die Lage der Heimarbeiter positiv beeinflußt haben. Es ist zu hoffen, daß die Lehren, die sich anhand dieser praktischen Beispiele ziehen lassen, Maßnahmen in anderen Ländern fördern werden. Diese Veröffentlichung sollte Mitte 1994 zur Verfügung stehen. TAGUNGEN Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern Auf seiner 244. Tagung (November 1989) ermächtigte der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes den Generaldirektor, eine Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern vorzubereiten und einzuberufen. Die Tagung fand vom 1. bis 5. Oktober 1990 in Genf statt. Die vom Verwaltungsrat auf seiner 244. Tagung gebilligte Tagesordnung bestand aus folgenden Punkten: — Prüfling der Art, des Ausmaßes und der Probleme der Heimarbeit; — Bewertung nationaler Erfahrungen beim Schutz und bei der Organisation von Heimarbeitern; — Beratung über Konzepte und Maßnahmen, die zu einem effektiveren Schutz der Heimarbeiter in den Mitgliedstaaten führen könnten; und — Beratung über zukünftige Maßnahmen der IAO im Bereich der Heimarbeit, einschließlich der möglichen Notwendigkeit neuer internationaler Arbeitsnormen. Achtzehn Sachverständige wurden zu der Tagung eingeladen, davon waren sechs von Regierungen, sechs nach Konsultationen mit der Arbeitgebergruppe und sechs nach Konsultationen mit der Arbeitnehmergruppe des Verwaltungsrats ernannt worden. Ferner wurde die Tagung von verschiedenen Beobachtern besucht, und zwar von Vertretern des Zentrums der Vereinten Nationen für soziale Entwicklung und humanitäre Angelegenheiten (UNCSDHA), der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, der Europäischen Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Arabischen Arbeitsorganisation (ALO), der Internationalen Arbeitgeber-Organisation (IOE), des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG), des Weltverbandes der Arbeitnehmer (WVA), des Weltgewerkschaftsbundes (WGB), des Internationalen Bundes der Privat3012-5.G94 90 Heimarbeit angestellten (FIET) und der Internationalen Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter-Vereinigung (ITBLAV). Die Fachleute waren sich allgemein einig, daß Heimarbeiter Schutz benötigen und daß die Sorgen im Hinblick auf ihre Arbeitsbedingungen gerechtfertigt sind. Sie verabschiedeten einstimmig Schlußfolgerungen über auf nationaler Ebene und von der IAO zu ergreifende Maßnahmen, sie waren sich jedoch nicht einig, was die Normensetzung in diesem Bereich betrifft. Die Sachverständigen der Arbeitgeberseite sprachen sich gegen eine internationale Regelung der Heimarbeit aus, da dies zu einer Ausweitung der Schwarzheimarbeit führen würde und weil die Bedingungen der Heimarbeit flexibel bleiben sollten, um Investitionen und die Beschäftigung zu fördern. Die Sachverständigen der Arbeitnehmerseite verteidigten die Notwendigkeit internationaler Arbeitsnormen im Bereich der Heimarbeit. Sie hielten ein Übereinkommen für erforderlich, um den Status von Heimarbeitern als Arbeitnehmer zu klären, die sich zusammenschließen und Verhandlungen führen können, und um den Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen ihnen und anderen Arbeitnehmern festzuschreiben. Sachverständige der Regierungsseite sprachen sich sowohl für wie gegen die Annahme von neuen Normen aus. Die Sachverständigentagung kam zu dem Schluß, der Verwaltungsrat solle beim Beschluß über geeignete Maßnahmen die Bedeutung der diesbezüglichen Fragen abwägen (weitere Informationen über die Beratungen können Kapitel IV entnommen werden). Der vollständige Text der von der Sachverständigentagung angenommenen Schlußfolgerungen ist diesem Bericht als Anhang beigefügt. Der Bericht über die Tagung mit dem Titel „Sozialer Schutz von Heimarbeitern" wurde vom IAA veröffentlicht und weit verbreitet in der Hoffnung, daß er einen Beitrag zur Ausarbeitung von Politiken und Maßnahmen leisten werde mit dem Ziel, Heimarbeitern einen angemessenen Schutz zu sichern. Regionaltagungen Im Rahmen des Internationalen Programms für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumwelt (PIACT) wurde in Manila im Dezember 1988 ein Dreigliedriges Asiatisches Subregionalseminar über den Schutz der Heimarbeiter veranstaltet12. Daran beteiligten sich 20 Vertreter von Regierungen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus Bangladesch, China, Indien, Indone-sien, Pakistan, den Philippinen, Sri Lanka und Thailand. Das Seminar war das erste seiner Art und bot Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch über die wichtigsten Probleme der Heimarbeiter, über die verschiedenen Ansätze, die auf nationaler und kommunaler Ebene verfolgt werden, um Heimarbeiter effektiver zu schützen, und über die Art von Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Beschäftigungsbedingungen und die Sozialfürsorge der Heimarbeiter zu verbessern. Ein ähnliches Seminar für die lateinamerikanische Region wurde in Säo Paulo vom 22. bis 26. Oktober 1990 veranstaltet13. Die 31 Teilnehmer des Seminars kamen aus Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Ecuador, El Salvador, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Uruguay und Venezuela. 3012-5.G94 Die IAO und Heimarbeit 91 TECHNISCHE ZUSAMMENARBEIT Ein weiteres wichtiges Aktionsmittel der IAO sind die Außendiensttätigkeiten, mit denen Maßnahmen auf nationaler Ebene direkt unterstützt werden. Im Bereich der Heimarbeit wurden Maßnahmen der technischen Zusammenarbeit Anfang 1986 in Indien im Rahmen eines dreijährigen Projekts in Angriff genommen, das von der finnischen Regierung finanziert wurde. Es wurde durchgeführt in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der selbständig erwerbstätigen Frauen (SEWA), und die Schwerpunkte lagen auf der Stärkung der rechtlichen Kenntnisse und der rechtlichen Ausbildung von Heimarbeiterinnen. Von dem Projekt wurden sowohl selbständig Erwerbstätige als auch Akkordarbeiterinnen erfaßt. Die allgemeinen Ziele des Projekts bestanden darin, Initiativen von Frauenverbänden und von Regierungen zur Förderung der industriellen Heimarbeit von Frauen zu unterstützen und die auf Heimarbeiter anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und Politiken zu überprüfen, um innovative Strategien für ihre Anwendung auszuarbeiten. Im Verlauf des Projekts wurden Gesichtspunkte des Arbeitsschutzes und der Ergonomie zu immer wichtigeren Merkmalen der Arbeit. Ab 1990 erhielten neue Gruppen von Heimarbeiterinnen eine rechtliche Ausbildung im Rahmen des Projekts. 1992 wurde eine Erhebung über Heimarbeiter in ländlichen Gebieten in Angriff genommen. 1993 wurde eine erste Untersuchung von Systemen der Sozialen Sicherheit durchgeführt, .die sich möglicherweise für Heimarbeiter eignen, und die Ergebnisse werden einer Prüfung unterzogen. Im Juni 1988 wurde ein Indonesien, die Philippinen und Thailand umfassendes Regionalprojekt mit einer Laufzeit von drei Jahren in Angriff genommen. Dieses von der dänischen Regierung finanzierte Projekt richtete sich an arme Arbeitnehmerinnen in ländlichen Gebieten und Neuzuwanderer in städtischen Gebieten, die Heimarbeit verrichten. Es stellte eine Verbindung aus Forschung und technischer Hilfe dar. Zu den Zielen des Projekts gehörten die Sammlung von Daten, die Verbesserung des Informationsstands und die Anerkennung der Heimarbeit unter den betroffenen Parteien, die Förderung der wirksamen Durchführung der diesbezüglichen Arbeitsgesetzgebung und Arbeitspolitiken und die Förderung des Zusammenschlusses von Heimarbeiterinnen. Die 1991 abgeschlossene erste Phase des Projekts befaßte sich mit der Sammlung von Informationen, der Erstellung von Dokumentation und Konsultationen mit Vertretern von Regierungen und von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden. 1992 wurde mit finanzieller Unterstützung der Regierung Dänemarks eine zweite Phase zur Konsolidierung der Ausarbeitung und Umsetzung konkreter Aktionspläne eingeleitet. Das Projekt verfolgt die zweifache Strategie einer Förderung der Beschäftigung sowie einer Verbesserung der Produktivität der Heimarbeiter bei gleichzeitiger Förderung ihres Zusammenschlusses und der Einführung von Maßnahmen des sozialen Schutzes. In diesem Rahmen wurden hauptsächlich drei Handlungsstrategien entwickelt: (1) Nationale Kampagnen zur Verbesserung des Informationsstands, einschließlich der Veranstaltung dreigliedriger grundsatzpolitischer Arbeitsseminare und der Einrichtung nationaler Beratungs- und Lenkungsausschüsse; (2) Kapazitätsaufbau auf zwei Ebenen: 3012-5.G94 92 Heimarbeit a) auf der Regierungsebene sollen die Arbeitsministerien und andere in Frage kommende Ressorts in die Lage versetzt werden, grundsatzpolitische Rahmen für Heimarbeit und Mechanismen für Anschlußmaßnahmen und Überwachungstätigkeiten auszuarbeiten; b) die Förderung des Zusammenschlusses der Heimarbeiter selbst; (3) direkte sozioökonomische Unterstützung der Heimarbeiter. Im Rahmen einer im Oktober 1993 durchgeführten Evaluierung des Projekts wurden die wichtigsten Leistungen in den drei Ländern und den verschiedenen Tätigkeitsbereichen überprüft. In allen drei Ländern führten die Initiativen für Kapazitätsaufbau zu einer Stärkung der Fähigkeit der Regierungen, Forschungsarbeiten und grundsatzpolitische Studien durchzuführen, den innerstaatlichen Informationsstand zu verbessern und die auf Heimarbeiter anwendbare Gesetzgebung zu überprüfen. Auf den Philippinen hat das Arbeitsministerium (DOLE) einen Gesetzesentwurf für Heimarbeiter ausgearbeitet. Die Vorschriften über die Unterauftragsvergabe wurden abgeändert und 1992 in Kraft gesetzt. In Indonesien wurde als wichtiger weiterer Schritt für die Einrichtung von Programmen für Heimarbeiter innerhalb der Regierungsstruktur im Arbeitsministerium (DEPNAKAR) eine Leitstelle für Heimarbeiter eingerichtet. Die Regierungen entwickelten Aktionsprogramme zur Verbesserung der statistischen Erfassung der Heimarbeiter, sie richteten nationale Ausschüsse für grundsatzpolitische Beratung ein und befaßten sich mit den Arbeitsschutzgefahren, denen Heimarbeiter ausgesetzt sind. In den drei Ländern sind Heimarbeiterverbände und/oder -netzwerke eingerichtet worden, die jedoch unterschiedliche Formen und institutionelle Gestalt angenommen haben. Auf den Philippinen wurde der Heimarbeiterverband PATAMABA (ein nationales Netzwerk der Heimarbeiter) als rechtlich autonomes Organ eingerichtet, dem 3.000 Mitglieder in 60 Unterverbänden in 24 Provinzen angehören (siehe auch Kapitel V zu den Programmen). In Thailand wurde ein Netzwerk von Organisationen und Vereinigungen, HOMENET, eingerichtet, das sich mit verschiedenen Aspekten der Heimarbeit und insbesondere mit dem sozioökonomischen Aufstieg der Heimarbeiter beschäftigt. In Indonesien haben verschiedene nichtstaatliche Organisationen Tätigkeiten für Heimarbeiter aufgenommen. Das Projekt hat Heimarbeiterverbände und -netzwerke dabei unterstützt, ihre Organisations- und Führungsfähigkeiten zu stärken, zu effektiven Gesprächspartnern der politischen Entscheidungsgremien und zu aktiven Teilnehmern in den nationalen Beratungsausschüssen zu werden und einen Beitrag zur Ausarbeitung von Politiken und Programmen der direkten Hilfe für Heimarbeiter zu leisten. In den drei Ländern wurden sozioökonomische Hilfsprogramme für Heimarbeiter in Angriff genommen, die Fachausbildung, Produkt- und Marktentwicklung sowie Kreditsysteme umfassen. In Thailand haben die von der Regierung durchgeführten Programme zur Entwicklung von Kleinstbetrieben und zur Ausbildung von Führungskräften zu einer wesentlich höheren Produktivität und zu höheren Einkommen der Heimarbeiter geführt. In allen drei Ländern bestand eine wichtige Zielrichtung des Projekts in einer Verbesserung der statistischen Erfassung der Heimarbeiter entsprechend den 3012-5.G94 Die IAO und Heimarbeit 93 Schlußfolgerungen der Sachverständigentagung über den sozialen Schutz von Heimarbeitern aus dem Jahr 1990. Es wurden Piloterhebungen durchgeführt, um verschiedene Methodologien auszuprobieren und um Richtlinien für die Erfassung der Heimarbeiter als separate Kategorie in verschiedenen nationalen Zählungen und Arbeitsmarkterhebungen auszuarbeiten. Diese Bemühungen, deren Ziel in einer systematischen Erfassung der Heimarbeiter in nationalen Statistiken besteht, sollten ab 1994 zu konkreten Ergebnissen führen. Auf regionaler und internationaler Ebene war das Projekt ein Katalysator für den Austausch von Erfahrungen und für die Vernetzung. Auf drei subregionalen dreigliedrigen Arbeitsseminaren, die in Manila, Bangkok und Malang (Indonesien) stattfanden, wurden die in jedem Land durchgeführten praktischen Maßnahmen überprüft. Im Verlauf von zwei Studienreisen nach Indien und Japan konnten die Teilnehmer viel von den in diesen Ländern gesammelten Erfahrungen lernen, insbesondere über erfolgreiche Initiativen zur Entwicklung von Kleinbetrieben, die Rolle der Arbeitsaufsichtsämter und die Existenzfähigkeit von Heimarbeiterverbänden. In einer Reihe von Veröffentlichungen14 wurden die Ergebnisse der Erhebungen, Überprüfungen von Rechtsvorschriften und Zusammenschlüssen sowie der praktischen Maßnahmen des Projekts dokumentiert. Ferner ist beabsichtigt, 1994-95 eine Reihe von Richtlinien zu den verschiedenen Themen zu veröffentlichen. Auf Ersuchen der Regierung von Vietnam wurde im Dezember 1993 eine vorläufige Erhebung über Frauen im informellen Sektor und in heimgewerblichen Tätigkeiten eingeleitet, die im April 1994 abgeschlossen werden soll. Die Ergebnisse werden als Grundlage für ein zweites, umfassenderes Hilfsprojekt für Heimarbeiter dienen. Dieses Projekt, das voraussichtlich 1994 aufgenommen wird, wird auch Bangladesch, Indien und Malaysia umfassen. Anmerkungen 1 Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Heimarbeit in der Europäischen Union — Bericht der Ad-hoc-Arbeitsgruppe (Brüssel, 1994). 2 Weitere Einzelheiten über diese und andere Auffassungen finden sich in IAA: Conditions of Work Digest, Bd. 8, Nr. 2, a.a.O., S. 168-178. 3 Siehe IAA: Equality in employment and occupation, Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Bericht III (4B), Internationale Arbeitskonferenz, 75. Tagung, 1988, Abs. 86. 4 IAA: Minimum Age, Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Bericht III (4B), Internationale Arbeitskonferenz, 67. Tagung, 1981, Abs. 61. 5 Siehe IAA: Labour inspection, Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Internationale Arbeitskonferenz, 71. Tagung, 1985, Abs. 166. 6 IAA: Minimum age, a.a.O., Abs. 89. 7 IAA: Working time: Reduction of hours of work, weekly rest and holidays with pay, Allgemeine Erhebung des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Internationale Arbeitskonferenz, 70. Tagung, 1984, Abs. 202-205. 3012-5.G94 Heimarbeit 94 ! Z. Bhatty: The economic wie and Status ofwomen in the beedi industry in Allahabad, India (Saarbrücken, Verlag Breitenbach, 1981). 9 Berik, a.a.O. 10 Singh and Kelles-Viitanen, a.a.O. " L. Vega Ruiz: „Home work: Towards a new regulatory framework", in IAA: International Labour Review, (Genf), Bd. 131, 1992, Nr. 2, S. 197-216. 12 IAA: Proceedings, Asian Subregional Tripartite Seminar on die Protection of Homeworkers, Manila, 5.-9. Dez. 1988 (Genf, 1989). 13 Das Protokoll des Seminars ist enthalten in IAA: Seminario Regional Tripartito Latinoamericano sobre la Protecciön de los Trabajadores a Domicilio — Nota sobre las labores (Säo Paulo, 22.-26. Okt. 1990), (Genf, 1991), PIACT/1990/2 (nur auf Spanisch). 14 IAA: Homeworkers of Southeast Asia — The strugglefor Socialprotection in the Philippines (Bangkok, 1992); Homeworkers of Southeast Asia — The strugglefor social protection in Thailand (Bangkok, 1992); Homeworkers of Southeast Asia — The struggle for social protection in Indonesia (Bangkok, 1992); Practical actions for the social protection of homeworkers in the Philippines (Bangkok, 1993); Practical actions for the social protection of homeworkers in Thailand (Bangkok, 1993); Practical actions for the social protection of homeworkers in Indonesia (Bangkok, 1993); Proceedings, Subregional Meetings I and II of the ILO-DANIDA Subregional Project on Rural Women Workers in the Putting Out System (RAS/91/M14/DAN) (Bangkok, 1993); Homeworkers of Southeast Asia: Silent no more (Bangkok, 1993). 3012-5.G94 FRAGEBOGEN In Übereinstimmung mit Artikel 39 der Geschäftsordnung der Internationalen Arbeitskonferenz werden die Regierungen ersucht, vor der endgültigen Fertigstellung ihrer Antworten auf den nachstehenden Fragebogen die maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu befragen und ihre Antworten mit deren Begründung so rechtzeitig zu übermitteln, daß sie spätestens am 30. September 1994 beim Internationalen Arbeitsamt in Genf eintreffen. Die meisten Fragen in diesem Fragebogen sind in getrennten Abschnitten enthalten, die den möglichen Inhalt eines Übereinkommens bzw. den möglichen Inhalt einer Empfehlung betreffen. Sie können in Beantwortung jeder Frage angeben, daß die Bestimmung in die jeweils andere Urkunde aufgenommen werden sollte. I. Form der internationalen Urkunde(n) 1. Sollte die Internationale Arbeitskonferenz eine oder mehrere Urkunden über Heimarbeit annehmen? 2. Wenn ja, sollte (n) die Urkunde (n) die Form a) eines Übereinkommens; b) einer Empfehlung; c) eines Übereinkommens und einer ergänzenden Empfehlung erhalten? II. Begriffsbestimmungen 3. Sollte im Sinne der Urkunde (n) (1) der Ausdruck „Heimarbeiter" eine Person bedeuten, die unabhängig davon, ob sie Arbeitnehmerstatus hat oder nicht, Heimarbeit im Sinne der nachstehenden Begriffsbestimmung verrichtet; (2) der Ausdruck „Arbeitgeber" eine natürliche oder juristische Person bedeuten, die entweder unmittelbar oder über einen Vermittler Heimarbeit im Sinne der nachstehenden Begriffsbestimmung an einen Heimarbeiter vergibt oder vergeben läßt? 3012-5.G94 96 Heimarbeit 4. Sollte im Sinne der Urkunde(n) der Ausdruck „Heimarbeit" Arbeit bedeuten, die gegen ein im voraus festgelegtes Entgelt von einer Person in ihrer Wohnung oder in einer anderen Arbeitsstätte ihrer Wahl durchgeführt wird und deren Ergebnis Erzeugnisse oder Dienstleistungen sind, die nach den Vorschriften des Arbeitgebers und unter Verwendung der von diesem ganz oder teilweise bereitgestellten Rohstoffe erstellt werden? 5. Sollte(n) die Urkunde(n) bestimmen, daß der Ausdruck „Heimarbeit" Anwendungfindetunabhängig davon, ob: a) die Arbeit vom Heimarbeiter allein oder mit Unterstützung von seinem Haushalt angehörenden Familienangehörigen durchgeführt wird; b) die verwendete Ausrüstung vom Heimarbeiter, vom Vermittler oder vom Arbeitgeber bereitgestellt wird? 6. Sollte (n) die Urkunde (n) vorsehen, daß die zuständige Stelle erforderlichenfalls weitere Kriterien für die Unterscheidung der Heimarbeiter von den selbständig Erwerbstätigen festlegen sollte, wobei insbesondere dem Grad der Selbständigkeit und der Eigeninitiative des Betreffenden bei der Gestaltung des Erzeugnisses oder bei der Erbringung der Dienstleistung Rechnung getragen werden sollte? 7. Sollte im Sinne der Urkunde (n) (1) der Ausdruck „ Vermittler" eine Person bedeuten, die Arbeitsaufträge von einem Arbeitgeber zwecks Weitergabe an einen Heimarbeiter erhält; (2) der Ausdruck „Arbeitnehmer im Betrieb " einen Arbeitnehmer bedeuten, der nicht Heimarbeiter ist und der die gleiche oder eine vergleichbare Art der Arbeit wie der Heimarbeiter im Betrieb des Arbeitgebers oder, falls es keinen derartigen Arbeitnehmer gibt, in einem Betrieb des betreffenden Wirtschaftszweigs und der betreffenden Region ausführt? III. Inhalt eines Übereinkommens 8. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß jedes ratifizierende Mitglied sich verpflichten sollte, in Beratung mit den maßgebenden Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und, soweit solche bestehen, mit den Verbänden der Heimarbeiter und der Arbeitgeber von Heimarbeitern eine innerstaatliche Heimarbeitspolitik festzulegen, durchzuführen und regelmäßig zu überprüfen? 9. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die innerstaatliche Heimarbeitspolitik die Gleichbehandlung von Heimarbeitern und Arbeitnehmern im Betrieb durch Maßnahmen fördern sollte, die dazu bestimmt sind, die Lage der Heimarbeiter unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale der Heimarbeit zu verbessern in bezug auf: a) das Recht, Verbände ihrer Wahl zu gründen und solchen Verbänden beizutreten und Kollektivverhandlungen zuführen; b) den Schutz gegen Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf; c) den Arbeitsschutz; 3012-5.G94 Fragebogen 97 d) e) f) g) das Entgelt; den Schutz durch die Soziale Sicherheit; den Zugang zur Ausbildung; sonstiges? (Bitte angeben.) 10. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die innerstaatliche Heimarbeitspolitik durch die innerstaatliche Gesetzgebung, durch Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche oder auf eine andere geeignete, den innerstaatlichen Gepflogenheiten entsprechende Weise durchgeführt werden sollte? 11. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die Einhaltung der für die Heimarbeit geltenden Gesetzgebung durch ein Aufsichtssystem sichergestellt werden sollte? 12. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß bei Verstößen gegen die für die Heimarbeit geltende Gesetzgebung durch einen Arbeitgeber, einen Vermittler oder einen Heimarbeiter ausreichende Zwangsmaßnahmen durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorgesehen und wirksam durchgesetzt werden sollten? 13. Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß günstigere Bestimmungen aufgrund anderer internationaler Arbeitsübereinkommen nicht berührt werden? IV. Inhalt einer Empfehlung ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN 14. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Gesamtverantwortungfür die Festlegung und Durchführung einer innerstaatlichen Heimarbeitspolitik einer innerstaatlichen Stelle übertragen werden sollte? (2) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die in Absatz 1 erwähnte innerstaatliche Stelle neben der Anhörung der in Frage 8 erwähnten Verbände geeignete Vorkehrungen für die gleichberechtigte Teilnahme von Vertretern der Heimarbeiter und der Arbeitgeber von Heimarbeitern auf allen geeigneten Ebenen treffen sollte? 15. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß als Grundlage für eine innerstaatliche Heimarbeitspolitik ausführliche Informationen über Ausmaß und Merkmale der Heimarbeit zusammengestellt und auf dem neuesten Stand gehalten werden sollten? 16. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter bei ihrem ersten Auftrag vom Arbeitgeber oder vom Vermittler einen schriftlichen Vertrag oder eine schriftliche Darlegung ihrer Arbeitsbedingungen erhalten sollten? ÜBERWACHUNG DER HEIMARBEITER 17. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständigen Stellen auf der innerstaatlichen Ebene und, soweit dies im Einklang mit den innerstaatlichen 30I2-5.G94 98 Heimarbeit Verhältnissen und Gepflogenheiten steht, auf der regionalen, lokalen oder sektoralen Ebene verantwortlich sein sollten für: a) die Führung eines Verzeichnisses der Arbeitgeber von Heimarbeitern und der Vermittler; b) die Führung eines Verzeichnisses der Heimarbeiter in dem jeweiligen Gebiet ? 18. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein sollten, vor der erstmaligen Vergabe von Arbeit an Heimarbeiter oder Vermittler die zuständige Stelle zu benachrichtigen? 19. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständige Stelle die Informationen vorschreiben sollte, die Arbeitgeber in bezug auf Heimarbeiter und Vermittler, an die sie Arbeit vergeben, vorlegen sollten? 20. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein sollten, Unterlagen zuführen, die für jeden Heimarbeiterfolgendes ausweisen: a) jedes vergebene Arbeitslos; b) den Entgeltsatz und im Fall von Stücklohnsätzen die Zeitvorgabe für jedes Stück oder jedes Los; c) die vom Arbeitnehmer übernommenen Kosten und den davon erstatteten Betrag; d) das fällige Bruttoentgelt, die aufgrund der innerstaatlichen Gesetzgebung vorgenommenen Abzüge und das ausgezahlte Nettoentgelt sowie den Zahlungstermin ? (2) Sollte das Übereinkommen vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein sollten, den Heimarbeitern eine schriftliche Darlegung jeder der in den Buchstaben a) bis d) des Absatzes 1 aufgeführten Angelegenheiten zu geben? 21. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitsaufsichtsbeamten oder die sonstigen mit der Durchsetzung der ßr Heimarbeit geltenden Vorschriften beauftragten Bediensteten das Recht haben sollten: a) anwesend zu sein, wenn Heimarbeit an Heimarbeiter vergeben wird und wenn sie nach der Fertigstellung abgeliefert wird; b) soweit dies mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis vereinbar ist, diejenigen Teile einer Wohnung oder sonstiger privater Räumlichkeiten zu betreten, in denen Heimarbeit durchgeführt wird? 22. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß ein Arbeitsauf Sichtsbeamter oder ein anderer mit der Durchsetzung der für Heimarbeit geltenden Vorschriften beauftragter Bediensteter oder die zuständige Stelle, die aufgrund des Berichts eines Arbeitsaufsichtsbeamten oder eines sonstigen Bediensteten tätig wird, die Befugnis haben sollte, eine Verfügung zu erlassen, durch die die Fortsetzung der Heimarbeit bei einer unmittelbaren Gefahr für die Sicherheit oder Gesundheit eines Heimarbeiters oder seiner Familie oder der Allgemeinheit untersagt wird? 23. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständige Stelle die Befugnis haben sollte, bei ernsten oder wiederholten Verstößen gegen die für Heimarbeit geltende Gesetzgebung die Vergabe von Arbeit durch einen Arbeitgeber oder einen Vermittler oder die Durchführung von Heimarbeit durch eine Person ent3012-5.G94 Fragebogen 99 weder auf Dauer oder während eines vorgeschriebenen Zeitraums zu untersagen? MINDESTALTER 24. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung oder Arbeit, soweit dies nicht schon der Fall ist, für Heimarbeit gelten sollte, vor allem wenn sie die Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit des Kindes oder Jugendlichen gefährden dürfte? ENTGELT 25. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Entgeltsätze festgelegt werden sollten durch: a) Beschlüsse der zuständigen Stelle nach Anhörung der Verbände der Heimarbeiter und der Arbeitgeber von Heimarbeitern oder, falls solche nicht bestehen, der Vertreter der in Betracht kommenden Heimarbeiter und Arbeitgeber; b) Kollektivverhandlungen; c) andere geeignete Lohnfestsetzungsverfahren auf nationaler, lokaler oder sektoraler Ebene ? (2) Wenn Heimarbeiter stückweise bezahlt werden, sollte ihr Entgelt dann in Anwendung der in Frage 9 b) und d) dargelegten Grundsätze: a) nach einer unparteiischen Schätzung der zur Fertigstellung des Stückes erforderlichen Zeit festgelegt werden; b) den Betrag berücksichtigen, den Arbeitnehmer im Betrieb, die zeitentlohnt werden, für die in dieser Schätzung festgelegte Zeit erhalten würden? 26. Sollte die Empfehlung bestimmen, daß Heimarbeiter einen Ausgleich für ihnen entstandene Kosten und für unvermeidbaren Zeitaufwand bei der Durchführung ihrer Arbeit erhalten sollten, insbesondere: a) für Aufwendungen wie die Kosten für Heizung, Beleuchtung, Wasser, Instandhaltung von Maschinen und Ausrüstungen, Post-, Fernsprech- und Faximileverbindungen; b) die für die Wartung von Maschinen, das Wechseln von Werkzeugen, Sortieren, Aus- und Einpacken und ähnliche Tätigkeiten aufgewandte Zeit? 27. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung auf dem Gebiet des Lohnschutzes für Heimarbeiter gelten sollte? (2) Sollte die Empfehlung ferner vorsehen, daß Abzüge vom Entgelt eines Heimarbeiters zur Deckung der Kosten ßr Materialvergeudung oder fehlerhafte Arbeit Beschränkungen unterliegen sollten? 3012-5.G94 100 Heimarbeit (3) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter entweder bei Ablieferung jedes fertiggestellten Arbeitsloses oder in regelmäßigen Zeitabständen von nicht mehr als einem Monat bezahlt werden sollten? 28. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß der Arbeitgeber und gegebenenfalls der Vermittler für die Zahlung des geschuldeten Entgelts gesamtschuldnerisch haften sollten? SOZIALE SICHERHEIT 29. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter durch Systeme der Sozialen Sicherheit in bezug auf die gleichen Fälle geschützt werden sollten wie die Arbeitnehmer im Betrieb, vorzugsweise durch allgemeine Systeme der Sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder, wenn dies nicht möglich ist, auf eine andere geeignete Weise, wie die Mitgliedschaft in einem Sondersystem für Heimarbeiter oder in einem System für selbständig Erwerbstätige? ARBEITSSCHUTZ 30. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung die Arten von Arbeit bestimmen sollte, deren Ausgabe an Heimarbeiter aus Gründen der Gesundheit und Sicherheit verboten werden sollte? 31. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter über etwaige Gefahren im Zusammenhang mit der ihnen übertragenen Arbeit und über die zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen informiert und gegebenenfalls die erforderliche Ausbildung erhalten sollten? 32. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein sollten: a) Heimarbeitern unentgeltlich die gegebenenfalls erforderliche persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen; b) sicherzustellen, daß die den Heimarbeitern zur Verfügung gestellten Maschinen, Werkzeuge oder sonstigen Ausrüstungen mit geeigneten Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet sind und ordnungsgemäß instand gehalten werden? 33. Sollte die zuständige Stelle Richtlinien betreffend die Sicherheits- und Gesundheitsvorkehrungen, die Heimarbeitnehmer beachten sollten, ausarbeiten, veröffentlichen und verbreiten? ARBEITSZEIT, RUHEZEITEN UND URLAUB 34. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Normalarbeitszeit in dem betreffenden Betrieb oder Wirtschaftszweig als Grundlage für die Bestimmung des von 3012-5.G94 Fragebogen 101 einem Heimarbeiter innerhalb eines gegebenen Zeitraums zu erledigenden Arbeitsvolumens dienen sollte? 35. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Heimarbeiter Anspruch haben sollten auf: a) bezahlte Feiertage; b) bezahlten Jahresurlaub ? 36. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß in den Fällen, in denen aufgrund der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis die Arbeitnehmer im Betrieb auf Kosten des Arbeitgebers bezahlten Urlaub bei Krankheit oder Mutterschaft erhalten, ein solcher Urlaub unter den gleichen Bedingungen auch Heimarbeitern gewährt werden sollte? SONSTIGE SCHUTZMASSNAHMEN 3 7. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die innerstaatliche Gesetzgebung auf dem Gebiet des Mutterschutzes für Heimarbeiter gelten sollte? 38. (1) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß ein Arbeitgeber, der der alleinige oder der Hauptarbeitgeber eines Heimarbeiters während eines von der zuständigen Stelle festzulegenden Mindestzeitraums gewesen ist, verpflichtet sein sollte, dem Heimarbeiter vor Beendigung der Heimarbeit eine schriftliche Kündigung zuzustellen? (2) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Kündigungsfrist von der zuständigen Stelle festgelegt werden sollte? (3) Sollte die Empfehlung vorsehen, daß der Arbeitgeber während der Kündigungsfrist verpflichtet sein sollte, dem Heimarbeiter ein von der zuständigen Stelle festgelegtes Arbeitsvolumen zu geben oder das diesem Arbeitsvolumen entsprechende Entgelt zu zahlen? DAS VEREINIGUNGSRECHT UND DAS RECHT ZU KOLLEKTIVVERHANDLUNGEN 39. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß gesetzgeberische oder administrative Beschränkungen oder sonstige Hindernisse, die dem Recht der Heimarbeiter entgegenstehen, Verbände ihrer Wahl zu gründen und diesen beizutreten, und dem Recht der Heimarbeiterverbände, Gewerkschaftsbünden beizutreten, ermittelt und beseitigt werden sollten? 40. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Arbeitgeber verpflichtet sein sollten, den in Betracht kommenden Arbeitnehmerverbänden auf Verlangen ein Verzeichnis der Heimarbeiter zu übermitteln, die Arbeit für sie verrichten? 41. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß Maßnahmen getroffen werden sollten, um Kollektivverhandlungen als Mittel zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter anzuregen und zu fördern? 3012-5.G94 102 Heimarbeit BEILEGUNG VON STREITIGKEITEN 42. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die zuständige Stelle sicherstellen sollte, daß es spezifische Einrichtungen ßr die Beilegung von Streitigkeiten zwischen einem Heimarbeiter und einem Arbeitgeber oder Vermittler zusätzlich zu dem verfügbaren gerichtlichen Verfahren gibt? PROGRAMME ZUR UNTERSTÜTZUNG VON HEIMARBEITERN 43. Sollte die Empfehlung vorsehen, daß die Mitglieder Programme fördern und unterstützen sollten, die: a) das Bewußtsein ßr Heimarbeitsfragen unter Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, sonstigen nichtstaatlichen Organisationen und in der Öffentlichkeit verstärken; b) die Heimarbeiter über ihre Rechte und die ihnen zur Verßgung stehende Unterstützung aufklären; c) den Zusammenschluß von Heimarbeitern erleichtern; d) Ausbildung vermitteln, um Heimarbeiter in die Lage zu versetzen, in ihrem Namen zu handeln, ihre Fertigkeiten zu verbessern sowie ihre Beschäftigungsmöglichkeiten zu erweitern und ihre Erwerbsfähigkeit zu steigern; e) Zentren und Netze ßr Heimarbeiter einrichten mit dem Ziel, Informationen bereitzustellen und den Zugang zu Dienstleistungen und zu Unterstützung zu erleichtern sowie ihre Isolierung zu verringern? V. Besondere Probleme 44. (I) Weist die Gesetzgebung oder Praxis in Ihrem Land Besonderheiten auf, die Ihrer Ansicht nach Schwierigkeiten bei der Durchßhrung der in diesem Fragebogen in Aussicht genommenen Urkunde(n) hervorrufen könnten? (2) Wenn ja, aufweiche Weise könnten Ihrer Ansicht nach diese Schwierigkeiten überwunden werden? 45. (Nurßr Bundesstaaten) Wären Ihrer Ansicht nach im Fall der Annahme eines Übereinkommens in bezug auf den Gegenstand Bundesmaßnahmen oder hinsichtlich aller oder bestimmter Punkte Maßnahmen der Gliedstaaten angezeigt? 46. Gibt es Ihrer Ansicht nach andere einschlägige Probleme, die im vorliegenden Fragebogen nicht erfaßt sind, die aber bei der Abfassung der Urkunde(n) berücksichtigt werden sollten? Wenn ja, geben Sie diese Probleme bitte an. 3012-5.G94 ANHANG SCHLUSSFOLGERUNGEN DER IAO-SACHVERSTÄNDIGENTAGUNG ÜBER DEN SOZIALEN SCHUTZ VON HEIMARBEITERN (1990) A. MASSNAHMEN AUF NATIONALER EBENE 1. Heimarbeiter stellen einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung vieler Industrie- und Entwicklungsländer dar. Aufgrund des derzeitigen technologischen Wandels und der Arbeitsmarktentwicklungen dürfte vermehrt auf Heimarbeit als Beschäftigungs- und Produktionsmittel zurückgegriffen werden. Obgleich die Heimarbeit unter angemessenen Umständen eine akzeptable und sogar nützliche Beschäftigungsform sein kann, ist es auch möglich, daß es in bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Heimarbeiter zu Mißbräuchen und Benachteiligungen kommt. Regierungen, Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie andere betroffene Institutionen sollten sich erneut bemühen, den Heimarbeitern einen angemessenen sozialen Schutz zu bieten. 2. Das Ziel nationaler Politiken im Bereich der Heimarbeit sollte es sein, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der derzeitigen und künftigen Heimarbeiter zu verbessern, die Heimarbeiter vor Mißbräuchen zu schützen und ihnen einen gleichwertigen gesetzlichen Schutz zu bieten. Politiken und Programme für Heimarbeiter sollten unter aktiver Beteiligung der Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, die sich mit dieser Beschäftigungsart befassen, geplant und durchgeführt werden. Bei der Ausarbeitung und Durchführung derartiger Politiken sollten auch Initiativen seitens der Heimarbeiter gefördert werden. 3. Nationale Politiken für Heimarbeiter sollten mit den einschlägigen IAO-Normen im Einklang stehen. Diejenigen Normen, welche die Vereinigungsfreiheit, Kollektivverhandlungen und das Recht auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung für Arbeitnehmer mit Familienpflichten zum Thema haben, sollten besondere Berücksichtigung finden. 4. Die Verbesserung der Bedingungen der Heimarbeiter sollte aktiv angestrebt und bei der Ausarbeitung von Politiken und Programmen berücksichtigt werden, welche auf eine Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer im allgemeinen abzielen. Soweit durchführbar, sollte der Sozialschutz, welcher den Arbeitnehmern, die ihre Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers durchführen, zur Verfügung steht, auf Heimarbeiter ausgedehnt werden, wobei die Besonderheit der Heimarbeit und ihre Bedingungen zu berücksichtigen sind. 5. Ferner sollten Maßnahmen in Erwägung gezogen werden, um die Bedürfnisse der Heimarbeiter zu erfüllen und ihre Lage zu verbessern, und zwar insbesondere Maßnahmen, die sich auf Ausgaben beziehen, welche mit der Durchführung der Arbeit in der eigenen Wohnung des Arbeitnehmers zusammenhängen. 3012-5.G94 104 Heimarbeit 6. Darüber hinaus sollten Ausbildungs- und sonstige Maßnahmen für Heimarbeiter, die sich selbständig machen oder reguläre Arbeitnehmer werden wollen, Bestandteil nationaler Heimarbeitspolitiken sein. 7. Maßnahmen auf nationaler Ebene zugunsten der Heimarbeiter sollten auf der Grundlage von Informationen und Kenntnissen über die folgenden Faktoren geplant werden: Ausmaß und Verbreitung der Heimarbeit in den verschiedenen Sektoren; Art der durchgeführten Arbeit; individuelle Merkmale der betreffenden Arbeitnehmer; ihre Probleme und sonstige einschlägige Faktoren. Auf diese Weise sollten die Zusammenstellung von Statistiken und das Einholen von Sachinformationen über Heimarbeiter gefördert werden. 8. Politiken und Programme zur Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Heimarbeitern sollten in erster Linie darauf abzielen, diese stärker in Erscheinung treten zu lassen, ihre Arbeitgeber zu ermitteln und Heimarbeiter als abhängig Beschäftigte anzuerkennen. Gesetzgebung und Durchführung 9. Jedes Land sollte Normen haben, die den Heimarbeitern durch geeignete Gesetze und Vorschriften einen Grandschutz bieten. Geltungsbereich und Form dieser Gesetze und Vorschriften sollten von den innerstaatlichen Gegebenheiten und Gepflogenheiten abhängen. 10. Bei der Normensetzung sollten die Bedürfnisse der Heimarbeiter und die Anliegen der Arbeitgeber berücksichtigt werden. 11. Innerstaatliche Gesetze und Vorschriften zum Schutz der Heimarbeiter sollten auf den folgenden Überlegungen beruhen, wobei nationale Gegebenheiten und Gepflogenheiten zu berücksichtigen sind: a) b) c) d) e) f) g) h) Notwendigkeit einer eindeutigen Definition des Begriffs „Heimarbeiter"; Notwendigkeit eines schriftlichen Vertrags, in dem die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festgelegt sind; Festlegung der Verantwortlichkeiten der Unterauftragnehmer oder Vermittler; Grundsatz des gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit; genaue Angabe, Regelung und erforderlichenfalls Verbot gefährlicher Tätig-keiten und gefährlicher chemischer Stoffe sowie die Bereitstellung einer angemessenen Ausbildung und Information für Heimarbeiter über die berufsbedingten Gefahren und Risiken für Sicherheit und Gesundheit; Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und die diesbezüglichen Voraussetzungen; Zugang zur Sozialen Sicherheit, und Verbot der illegalen Beschäftigung von Kindern. 12. Es sollten alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die wirksame Durchführung innerstaatlicher Gesetze und Vorschriften zu gewährleisten. Die Registrierung von Heimarbeitern und ihren Arbeitgebern ist sowohl für eine wirksame Durchführung von Vorschriften als auch für die Bereitstellung von Schutz- und Unterstützungsdiensten wünschenswert. 13. Angesichts der besonderen Schwierigkeiten bei der Durchführung von Rechtsvorschriften über Heimarbeiter sollten Anstrengungen gemacht werden, um das traditionelle Aufsichts- und Durchführungsinstrumentarium durch verschiedene 3012-5.G94 Anhang 105 Maßnahmen zu verstärken. Diese könnten u.a umfassen: Zugang zu Rechtsberatung und Aufsicht auf nationaler und lokaler Ebene; Förderung und Einbeziehung von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und sonstigen nichtstaatlichen Organisationen; Informierung der Heimarbeiter über ihre gesetzlichen Rechte, u.a. durch Broschüren über die einschlägigen Gesetze und Vorschriften, die in allgemein verständlicher Sprache abgefaßt sind; und gegebenenfalls die Einsetzung eines industriellen Ombudsmanns, der die Bedingungen überwachen und bei Klagen Schiedssprüche fällen kann. Vereinigungsfreiheit und Kollektiwerhandlungen 14. Die Vereinigungsfreiheit von Heimarbeitern und ihr Recht auf Kollektivverhandlungen sollten im Gesetz anerkannt und in die Praxis umgesetzt werden. 15. Damit die Heimarbeiter ihr Recht auf Kollektivverhandlungen leichter ausüben können, sollten: a) b) die Gewerkschaften den Problemen der Heimarbeiter größere Aufmerksamkeit widmen und deren Zusammenschluß fördern, angesichts der Schwierigkeiten, auf die Heimarbeiter in der Praxis stoßen, wenn sie in Kollektivverhandlungen eintreten wollen, und angesichts der wichtigen Rolle, welche Gesamtarbeitsverträge bei der Bereitstellung eines angemessenen sozialen Schutzes für Heimarbeiter spielen können, angemessene Maßnahmen ergriffen werden, um Heimarbeitern den Zugang zu derartigen Gesamtarbeitsverträgen und den Schutz durch diese Verträge im Rahmen des Übereinkommens Nr. 98 zu verschaffen. Soweit erforderlich und angebracht, sollte die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, dreigliedrige Gremien zur Festsetzung von Mindestlöhnen und sonstigen Beschäftigungsbedingungen einzusetzen. Aktionsprogramme 16. Obgleich Gesetze und Gesamtarbeitsverträge eine Grundlage zum Schutz der Heimarbeiter bilden können, sind auch praktische Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Heimarbeiter erforderlich. Aus diesem Grund sollten Regierungen, Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und nichtstaatliche Organisationen jeweils in ihrem Zuständigkeitsbereich Programme für Heimarbeiter fördern und entwickeln. In Frage kämen die folgenden Arten von Programmen: a) Programme, welche auf eine Sensibilisierung für die Lage der Heimarbeiter und ein Eintreten für diese Arbeitnehmer abzielen. Es sollten Informationen über die Art und das Ausmaß der Heimarbeit und die Probleme der Heimarbeiter insbesondere in bezug auf den Arbeitsschutz und die sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen eingeholt werden. Diese Informationen könnten die Grundlage für Tätigkeiten sein, die auf folgendes abzielen: i) Informierung der Heimarbeiter über ihre Rechte und die ihnen zur Verfügung stehende Unterstützung; ii) Informierung der Entscheidungsträger über die Probleme der Heimarbeiter und die Notwendigkeit, Gesetze und/oder Sonderprogramme für Heimarbeiter vorzusehen; iii) Sensibilisierung der Arbeitnehmerverbände in bezug auf die Bedürfnisse und die Lage der Heimarbeiter und Gewinnung ihrer Unterstützung beim Zusammenschluß und bei der Ausbildung der Heimarbeiter; und iv) Mobilisierung der Unterstützung durch die Allgemeinheit. 3012-5.G94 106 b) c) d) e) f) Heimarbeit Ausbildungsprogramme zur Aufwertung der fachlichen und Leitungsfähigkeiten und zur Erhöhung der Produktivität der Heimarbeiter; Programme, welche den Zugang zu einer regulären Beschäftigung erleichtern, u.a. Berufsbildung, Unterstützung bei der Frage, wie man sich um Stellen bewirbt und wie ein Einstellungsgespräch geführt wird, eine erweiterte Betreuung für Kinder und unterhaltsberechtigte Familienangehörige, Teilung von Familienpflichten und Zugänglichkeit der Arbeitsplätze; Programme, welche den Heimarbeitern Schreib- und Rechenkenntnisse und eine informelle Bildung vermitteln sowie Informationen und Dienstleistungen wie z.B. Hilfszentren bereitstellen; soweit angebracht, Programme, welche den Heimarbeitern mehr Unabhängigkeit und Sicherheit verschaffen, z.B. besondere Systeme zur Bereitstellung von Krediten und sonstigen Vergünstigungen für Heimarbeiter und zur Verbesserung der Produktvermarktung; Programme, welche den Zusammenschluß der Heimarbeiter fördern und sie in die Lage versetzen, in ihrem Namen zu handeln. 17. Schutz- und Unterstützungsprogramme sind sowohl für männliche als auch für weibliche Heimarbeiter erforderlich, obgleich die spezielle Lage und die Bedürfnisse der Frauen in entsprechenden Programmen behandelt werden sollten. 18. Es sollten Mechanismen gefördert werden, welche den Informationsaustausch über wirksame Programme zur Verbesserung der Lage der Heimarbeiter vorsehen. B. KÜNFTIGE IAO-MASSNAHMEN 19. Da die Heimarbeit in der ganzen Welt stark verbreitet ist und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Heimarbeiter verbessert werden müssen, sollte die IAO den Problemen der Heimarbeiter und der Förderung von Politiken und Programmen, deren Ziel die Bereitstellung eines angemessenen Schutzes ist, verstärkte Aufmerksamkeit widmen. 20. Das Amt sollte überprüfen, inwieweit vorhandene IAO-Normen den Schutz der Heimarbeiter vorsehen. Ferner sollte das Amt eine Erhebung durchführen, um zu ermitteln, inwieweit sich internationale Normen, die für die Heimarbeit von Bedeutung sind, in der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis niederschlagen. Besondere Aufmerksamkeit sollte hierbei der Stellung der Heimarbeiter, den Meldeanforderungen, dem Entgelt, dem Arbeitsschutz, der Beschäftigung von Kindern und den Pflichten der Arbeitgeber und nationalen Behörden gewidmet werden. 21. Die IAO sollte aktiv Maßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene in Industrie- wie in Entwicklungsländern dadurch fördern, daß sie auf die Heimarbeiter aufmerksam macht, Schutzpolitiken und -Strategien ermittelt, deren Durchführung erleichtert, den Zusammenschluß der Heimarbeiter fördert und beim Aufbau und bei der Stärkung institutioneller Kapazität Hilfestellung leistet. Aus diesem Grund sollte die IAO verschiedene miteinander verknüpfte Tätigkeiten durchführen, u.a.: a) Zusammenstellung und Verbreitung von Statistiken über Ausmaß und Verteilung der Heimarbeit und Sachinformationen über die wirtschaftliche und soziale Lage der Heimarbeiter sowie die Ausarbeitung geeigneter Methoden für statistische Erhebungen; 3012-5.G94 Anhang b) c) d) e) f) g) h) 107 gründliche Untersuchungen über den Wandel und die Tendenzen der Heimarbeit, insbesondere die Telearbeit; eine Studie über die sich wandelnden Tendenzen im internationalen Handel und ihre Auswirkung auf Heimarbeit und die Lage der Heimarbeiter; Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Unterstützungskampagnen zugunsten der Heimarbeiter; nationale und regionale Seminare, insbesondere in den Regionen, in denen derartige Tätigkeiten noch nicht durchgeführt worden sind; Erleichterung des Informationsaustauschs über erfolgreiche Strategien und Programme zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Heimarbeitern; Erarbeitung von Richtlinien für die Ausarbeitung nationaler Politiken und Gesetze und für deren wirksame Durchführung sowie für Aktionen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ihrer Verbände; Bereitstellung von Beratungsdiensten und technischer Unterstützung bei der Ausarbeitung und Durchführung von Politiken und Programmen, insbesondere in bezug auf Ausbildung, Beschäftigungsmöglichkeiten und den Zusammenschluß von Heimarbeitern. 22. Angesichts der sehr unterschiedlichen Bedingungen, unter denen Heimarbeit verrichtet wird, und ihrer Vielfalt sollte der Verwaltungsrat des IAA abwägen, wie wichtig diese Probleme sind, um einen Beschluß über diesbezügliche geeignete Maßnahmen der IAO zu fassen. 3012-5.G94