Lucchesi, A.
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Lucchesi, A.
Die Versandapotheke Wie sie funktioniert und was sie bringt Viele Änderungen der Gesundheitsreform belasten die Geldbeutel der gesetzlich Versicherten. Versandapotheken bieten in der Regel eine gute Möglichkeit, wenigstens bei Arzneimittelkauf und Rezeptzuzahlung zu sparen. Dieser Beitrag zeigt am Beispiel von DocMorris, wie Versandapotheken funktionieren und was sie bringen – auch unter gynäkologischen Gesichtspunkten. DocMorris, die erste europäische Apotheke, ist im Jahr 2000 als Internet-Apotheke gestartet und hat sich inzwischen als Versandapotheke etabliert. Sie bietet verschreibungspflichtige und -freie Arzneimittel an, erstere nur gegen Originalrezept. Mit etwa einer halben Million Kunden ist DocMorris heute mittelständischer Branchenprimus, Mitglied in der European Association of Mail Service Pharmacies und nach der Qualitätsnorm ISO 9001-2000 zertifiziert. Von der Bestellung bis zur Lieferung Täglich flattern bei DocMorris rund 4.500 Bestellungen ins Haus: etwa 19 Prozent online, 7 Prozent per Fax und 74 Prozent auf dem Postweg (hauptsächlich Rezepte). Um den postalischen Bestelleingang für deutsche Kund(inn)en zu beschleunigen, hat das Unternehmen – mit Die Nachfrage boomt Geschäftsjahr Umsatz DocMorris Mio. € 2000 2001 2002 2003 2004 2005 1 5 22 51 130 200 (Prognose) Kassenversicherte bringen bei DocMorris etwa 75 Prozent des Umsatzes. Sitz in den Niederlanden – ein Postfach in Aachen eingerichtet. Neuerdings können rezeptfreie Medikamente auch telefonisch bestellt werden, was täglich gut 200 Kunden tun. Der typische Kunde ist über 50, chronisch krank, hat einen planbaren Arzneimittelbedarf und bestellt per Post. Jeder Fünfte bestellt Over-theCounter-Produkte (OTC), die in der Regel apothekenpflichtig aber verschreibungsfrei sind. Während die Bestellungen im Haus mehrere Stationen durchlaufen, sorgen rund 320 Mitarbeiter dafür, dass die bestellten Arzneimittel schnellstmöglich ausgeliefert werden. tical Character Recognition) beim Digitalisieren von Dokumenten jede Handschrift korrekt entziffern kann. Anschließend werden Auftragspapiere erstellt und die Rezepte zur Abrechnung mit der Krankenkasse bedruckt. Nach einer Wechselwirkungsprüfung durch die Apotheker werden die Bestellungen an den Versand übergeben. n 3. Station: Lager in der Versandhalle Anhand von Kommissionierlisten holen die Versandmitarbeiter die bestellten Arzneimittel aus den Lagerregalen. Sollte ein Mittel mal nicht vorrätig sein, wird es beim Großhandel nachbestellt – wie in jeder anderen Apotheke auch. Das Lager entspricht modernen Logistikstandards, dem so genannten „chaotischen Ordnungsprinzip“, wobei die Arzneimittel weder alphabetisch noch indikationsbezogen sortiert sind. Dadurch kann kein Mitarbeiter Routine entwickeln, Fehlgriffe werden vermieden. PRAXIS + ÖKONOMIE GESUNDHEITSMARKT n 1. Station: Posteingang im Order-Management Vormittag: Zum zweiten Mal an diesem Tag kommt die Post mit den Briefen aus dem Aachener Postfach. Sie werden geöffnet, die Rezepte entnommen und alle relevanten Dokumente gescannt (digitalisiert) – Faxbestellungen übrigens auch. Online-Bestellungen sind bereits digital im Apothekensystem verfügbar, sodass Mitarbeiter die Daten an jedem PC-Arbeitsplatz direkt aufrufen und bearbeiten können. n 2. Station: Pharma-Processing und Pharma-Controlling im Order-Management Etwa 85 Mitarbeiter prüfen die Bestelldaten von der Lieferadresse über den Medikamentennamen bis hin zu freiwilligen Angaben der Kunden. Das ist nötig, da keine OCR-Software (Op- Bevor die Pakete verschickt werden, machen die DocMorris-Apotheker Stichproben, um den Paketinhalt erneut zu kontrollieren. FRAUENARZT n 46 (2005) n Nr. 5 429 PRAXIS + ÖKONOMIE n 4. Station: Förderband in der Versandhalle Am Förderband werden alle Pakete kontrolliert, ihr Inhalt wird nochmals mit dem Bestellauftrag abgeglichen. So wird sichergestellt, dass die richtigen Arzneimittel im Paket sind. Auf jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel kommt ein Aufkleber mit dem Namen des Versicherten, dem Produktnamen, Dosierungshinweisen des Arztes, dem Abgabedatum und den Kontaktdaten der Versandapotheke. Jedes zehnte Paket wird von den Dienst habenden Apothekern zur abschließenden Stichprobenprüfung geöffnet und sicherheitshalber nochmals kontrolliert (Vier-Augen-Prinzip). n 5. Station: Auslieferung Täglich verlassen 4.500 bis 5.000 Arzneimittelpakete die Versandapotheke per Kurier. Die Pakete sind am nächsten Tag beim Kunden und werden ihm persönlich gegen Unterschrift ausgehändigt. Auch Gynäkologika werden bestellt Anwendungsgebiet Zahl der Kundinnen Durchschnittsalter der Kundinnen Klimakterium Kontrazeption Mykosen Fertilisation 35.550 28.401 5.268 280 53 28 45 31 10 Prozent der 500.000 DocMorris-Kunden sind Frauen, die Hormonpräparate bestellen. Sie bilden die fünfgrößte Kundengruppe des niederländischen Unternehmens. Wo liegen die Vorteile? Natürlich bekommt man benötigte Arzneimittel über den Versandhandel nicht ganz so schnell wie in der ortsansässigen Apotheke – sofern diese das Gewünschte vorrätig hat. Dennoch bieten Versandapotheken einige Vorteile, die sich insbesondere für Patienten mit planbarem Arzneimittelbedarf bezahlt machen. n Kostenersparnis Nur die Tatsache, dass es sich um eine Versandapotheke handelt, be- deutet nicht zwingend hohe Ersparnisse. So zeigt eine aktuelle Leipziger Studie zum Preisverfall von OTCMedikamenten, dass beispielsweise zwischen deutschen und ausländischen Versandapotheken im OTC-Bereich gute 7 Prozent Preisunterschied liegen können. OTC-Präparate bietet DocMorris grundsätzlich bis zu 30 Prozent günstiger an. Das ist möglich, da Apotheken bei rezeptfreien Arzneimitteln nicht an festgelegte Abgabepreise gebunden sind. Sparen mit rezeptfreien Arzneimitteln Arzneimittel Packungsgröße Darreichungsform empfohlener VK-Preis DocMorris-Preis Ersparnis Kadefungin 3 Buscopan plus Remifemin plus Orthomol femin 1 Kombipckg. 20 Filmtbl. 100 Drg. 60 Kps. € 7,95 € 8,98 € 19,40 € 32,20 € 7,55 € 7,95 € 17,95 € 28,95 € 0,40 € 1,03 € 1,45 € 3,25 Sparen mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln Arzneimittel Packungsgröße Darreichungsform empfohlener VK-Preis GKV-Patient zahlt DocMorrisPreis Ovestin Valette Kliogest Arimidex 50 g Vaginalcreme 3x21 Tbl. 3x28 Filmtbl. 100 Filmtbl. € 14,78 € 27,78 € 31,89 € 558,52 DocMorrisErsparnis Gesetzl. Zuzahlung € 5,00 € 26,39 € 5,00 € 10,00 € 2,50 € 1,39 € 2,50 € 5,00 Die gesetzliche Preisbindung für rezeptfreie apothekenpflichtige Arzneimittel (OTC-Produkte) wurde zum 1. Januar 2004 aufgehoben, wodurch die Preisgestaltung dem jeweiligen Anbieter überlassen bleibt. So liegen beispielsweise bei DocMorris rezeptfreie Arzneimittel bis zu 30 Prozent unter der unverbindlichen Preisempfehlung (UVP) des Herstellers. 430 FRAUENARZT n 46 (2005) n Nr. 5 PRAXIS + ÖKONOMIE Versandapotheken im Vergleich Anbieter Rabatt bei Rezept apo-rot.de apondo.de apotal.de berg-apotheke.de berni24.de docmorris.com nein nein nein nein nein ja europa-apotheek.de gefion.de mcpille.de mycare.de pharma24.de pharmakontor.com sanicare.de shop-apotheke.com versandapo.de ja nein nein nein nein nein nein nein nein Versand Versand frei frei bei ab € Rezept ja 40 nein nie ja 30 ja 50 ja 50 ab 2 40 rp.-pf. Medikam. ja 40 ja 30 ja 50 ja 40 ja 50 nein 20 ja immer ja 85 ab 3 80 rp.-pfl. Medikam. Bestell- Beraund tung Lieferservice ++ — + — ++ + ++ — ++ ++ ++ (—) ++ ++ ++ ¡ Website ¡ — — + — — + — (—) + + ¡ ¡ (—) — ¡ ¡ — ¡ ¡ ¡ + — + + (—) + + + Bewertungsschlüssel der Prüfergebnisse: ++ = Sehr gut (0,5–1,5), + = Gut (1,6–2,5), ¡ = Befriedigend (2,6–3,5), (—) = Ausreichend (3,6–4,5), — = Mangelhaft (4,6–5,5) Quelle: Stiftung Warentest, Stand Januar 2005 Im Februar 2005 hat Stiftung Warentest Versandapotheken untersucht. Das Ergebnis fiel insbesondere hinsichtlich der Beratungsleistung ziemlich schlecht aus. Anders als Apotheken in Deutschland gibt das ausländische Unternehmen zusätzlich jedem gesetzlich Versicherten einen Bonus in Höhe der halben Zuzahlung, ganz gleich, ob er zuzahlungspflichtig ist oder nicht. Zudem bestehen zwischen DocMorris und rund 200 deutschen Krankenkassen (mit etwa 36 Millionen Versicherten) Kooperationsverträge, die weitere Rabatte vorsehen. So können Patienten und Kassen gleichermaßen sparen. (Übrigens: Die gesetzlichen deutschen Krankenversicherungen rechnen mit den Versandapotheken ab wie mit allen anderen Apotheken.) Für Privatpatienten beträgt der Bonus bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln 3 Euro pro Medikament. Außerdem können sich alle Kunden die Servicepauschale von 4,95 Euro sparen, wenn sie mindestens zwei rezept- 432 FRAUENARZT n 46 (2005) n Nr. 5 pflichtige Arzneimittel bestellen oder der Bestellwert rezeptfreier Arzneimittel über 40 Euro liegt. Für Ärztinnen und Ärzte gibt es übrigens gesonderte Rabatte, die sich an Umsatz und Menge der bestellten Arzneimittel orientieren. Außerdem ist geplant, das Angebot auf Praxisbedarf auszuweiten. n Fachkundige Betreuung Ein entscheidender Faktor für die Kunden ist die Beratungskompetenz. Dabei ergänzen sich pharmazeutisches und technisches Know-how optimal. Das Ergebnis: Die Apotheker sind in der Lage, jeden Kunden bei seiner Bestellung professionell und umfassend zu beraten. Wie funktioniert das? In der Versandapotheke liegt für jeden Kunden eine elektronische Pa- tientenakte vor, die dem Kunden auf Wunsch auch quartalsweise zugeschickt wird. Mit einem Blick auf die individuelle Medikationshistorie erkennt der Apotheker vom Dienst, ob sich z.B. durch Verschreibungen verschiedener Ärzte bedenkliche Einnahmekombinationen ergeben. In solchen Fällen wird der Patient informiert – je nach Dringlichkeit mündlich oder schriftlich. Zudem bekommt er einen Brief für seinen Arzt, in dem auf die Situation hingewiesen wird. Gerade bei chronisch Kranken und älteren Menschen ist dieser Arzneimittel-Check wichtig, denn sie nehmen häufig mehrere Arzneimittel täglich. Wer solch einen Zusatzservice optimal nutzen will, sollte nicht bei unterschiedlichen Versandapotheken bestellen, was zu lückenhaften Verordnungsprofilen führen kann. Am besten informiert man sich vorab, wer das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Aber Vorsicht: Wie die bereits erwähnte Leipziger Studie zeigt, haben viele Anbieter ein begrenztes Arzneimittelsortiment. n Gute Erreichbarkeit und Diskretion Rund 45 Mitarbeiter sind 12 Stunden täglich nur für die Kunden da. Pro Tag gehen etwa 1.000 Anrufe und unzählige E-Mails ein. 80 Prozent betreffen Fragen zu Bestellung, Preisen und Sortiment. 20 Prozent sind pharmazeutische Fragen zu ArzWechselwirkungen, neimitteln, Nebenwirkungen, Einnahme-Empfehlungen oder Dosierung. Genutzt wird dieser Service auch aufgrund der Diskretion. In der benachbarten Apotheke fragt man nicht gerade gerne und ungeniert nach Medikamenten gegen Hämorrhoiden oder Potenzprobleme. Wie reagiert der Markt? Inzwischen bieten rund 800 deutsche offiziell zugelassene Apotheken Arzneimittel online an: einige sind klassische Versandapotheken, der Groß- PRAXIS + ÖKONOMIE teil jedoch sind Vor-Ort-Apotheken mit Internet-Auftritt. Wie die schon mehrfach zitierte Studie der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH) belegt, liegen die deutschen Versandapotheken mit einer durchschnittlichen Preisersparnis von 10,7 Prozent weit hinter den EU-ausländischen Versandapotheken (mit 17,8 Prozent) zurück. Dass die nichtdeutschen Anbieter derart günstige Preise machen können, ist mutmaßlich der Unternehmensgröße und den effizienteren Vertriebsstrukturen zuzuschreiben. Da kann die traditionelle Apotheke um die Ecke mit einer simplen Preisreduzierung von durchschnittlich 1,9 Prozent im OTC-Bereich natürlich kaum mithalten. Allerdings bietet sie mit exklusiver Dienstleistung (Notdienst, Rezepturen u.a.) einen Service, auf den Patienten nicht verzichten können. Deshalb fürchten besonders die Apotheken in ländlichen Regionen die Online-Konkurrenz nicht so sehr. Bislang haben die Versandapotheken etwa 1 Prozent des deutschen Marktes erobert. Schätzungen, dass sie mittelfristig die 8-Prozent-Marke überschreiten werden, scheinen nicht abwegig angesichts 5 Millionen Internetnutzern, die in Deutschland schon heute übers Web Arzneimittel kaufen. Aber Erfahrungen aus dem Ausland widerlegen diese These. In der Schweiz, wo es Versandapotheken schon länger gibt, liegt der Marktanteil bei etwa 5 Prozent. Und selbst in Flächenstaaten wie den USA werden 8 Prozent nicht überschritten, obwohl der Versandhandel mit Arzneimitteln bereits seit Jahrzehnten etabliert ist. AL FRAUENARZT n 46 (2005) n Nr. 5 433