Karriere im Partyraum gestartet
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Karriere im Partyraum gestartet
WIRTSCHAFT Samstag, 8. Juni 2013 Karriere im Partyraum gestartet Fernmeldeelektroniker, Firmengründer, Familienmensch: Gerhard Ostertag Telefonanlagen kundenspezifisch ausgestalten: Mit der Umsetzung dieser Idee ist der Unternehmer Gerhard Ostertag erfolgreich. Von Hierarchien in der Ostertag Solutions AG in Walddorfhäslach hält er nichts. Zur Person Geburtsjahr/-ort: 1958, Bernhausen Familienstand: Verheiratet, zwei Kinder Hobbys: Garten, Basketball, Fußball Lieblingslektüre : Der Papalagi (Erich Scheurmann) Leibspeise: Schwäbischer Schweinebraten mit Spätzle und Kartoffelsalat Traumland: Italien Vorbild: Persönlichkeiten, die als EinMann-Unternehmen erfolgreich gestartet sind Berufswunsch als Kind: Koch Gerhard Ostertag am Lieblingsplatz im Unternehmen: Hier testen Mitarbeiter die Software-Lösungen. unserer schwäbischen Tüftelei gut ner sucht, rasch zu einer Verbindabei.“ So erfüllte er auch den Sondung verhelfen? Keine leichte Aufderwunsch des Ministerpräsidengabe bei 25 000 Anrufen, die pro Moten eines osteuropäischen Landes. nat in der Zentrale auflaufen. Mit eiDer schaltet bei Telefonkonferengener patentierter Software löste zen Mitarbeiter zu, indem er auf deOstertag das Problem. ren Fotos drückt. Für das betreute Wohnen schuf Sehr wichtig ist es Ostertag, den Ostertag eine Technologie, die in reKunden rasch zu helfen, wenn Telegelmäßigen Abständen prüft, wie es fonanlagen ausfallen. „Wir wollen um die Vitalität der Bewohner spätestens innerhalb einer Stunde steht. Die Bewohner erhalten einen nach dem Störfall beim automatisch generierten Kunden sein“, sagt OsterAnruf von der Anlage, die tag. Dafür hält das Unterregistriert, wie lange es nehmen ein dichtes Serdauert, bis der Angeruvicenetz vor. Die Mitarfene abhebt. Wenn nicht, erscheint auf dem TaDIE MACHER beiter starten von verschiedenen Standorten bleau der Aufsicht ein in der Republik aus. Sie Warnsignal. WOLFGANG SCHWENmüssen sehr mobil und Ostertag entwickelt GER AUS SÜSSEN sehr flexibel sein, sieben auch Konzepte für die Familienunternehmen Tage in der Woche. Um Prävention. Statt einer prägen die Wirtschaft. diese Mobilität zu erreiLautsprecher-Durchsage Wir stellen Beispiele chen, verfügt die Firma warnt ein Alarmsystem aus dem Südwesten über einen Fuhrpark mit über das Telefon-Display vor und zeigen, welche lautlos vor Amokläufern. Menschen dahinter ste- 100 Fahrzeugen. Hierarchien, so sagt Im Brandfall erscheinen cken. (Folge 94) Ostertag, werden im UnInformationen über die ternehmen nicht ausgeRettungswege. Beim Mölebt. Sein Anspruch an sich selbst belhersteller Rolf Benz erhalten die lautet: Mit dem Mitarbeiter auf AuArbeiter auf ihrem mobilen Telefon genhöhe reden. Kein Gespräch von am Arbeitsplatz detaillierte Produkoben herab. Dieser Führungsstil tionsanweisungen. Das erspart länzahle sich aus. Ostertag: „Wir haben gere Wege an den Computer und an kaum Abgänge und nur wenig Kranden Drucker. kenstand.“ So hat er noch Leute um Ein anderes Geschäftsfeld: Spesich, die bereits ein halbes Jahr zielle Anwendungen für Telefonkonnach der Firmengründung bei ihm ferenzen. Ostertag: „Da sind wir mit Foto: Klaus Franke angefangen haben. Der Eigner belässt die Gewinne im Unternehmen, „um es nach vorne zu bringen“. „Das“, so Ostertag, „kommt bei den Mitarbeitern gut an.“ Ostertag ist eigentlich immer im Betrieb. Das Wohnhaus grenzt an das Firmengebäude. Auszeiten? Urlaub? Ganz selten. Auf eines aber legt Ostertag Wert: Das gemeinsame Mittagessen mit der Familie. Dann geht er rüber in die Wohnung. Was Ostertag sehr schätzt, weil er bei dieser Gelegenheit mitkriegt, was bei den Kindern anliegt. Freilich, das Privatleben kommt zu kurz, für Hobbys, gar für einen Verein, findet Ostertag keine Zeit. Er besitzt das Bodenseeschiffer-Patent. Ein Törn auf dem Mittelmeer – das ist sein Traum. Doch diesen Wunsch zu verwirklichen, das schiebt Ostertag noch hinaus. Zum Unternehmen Gründungsjahr: 1995 Firmensitz: Walddorfhäslach Branche: Informations- und Telekommunikationstechnologie Umsatz: 11 Mio. Euro Mitarbeiter: 135 Standorte: Stuttgart, Rottweil, Nürnberg, Leipzig, Bad Nauheim, Karlsruhe Auslandsmärkte: Schweiz, England, USA „Arbeit verkommt zur Ramschware“ Gewerkschaft: Immer mehr Baden-Württemberger in bedenklichen Arbeitsverhältnissen Von einem unbefristeten Vollzeitjob können viele Menschen im Südwesten nur träumen. Arbeitnehmervertreter fordern nun einen Politikwechsel. ANTONIA LANGE, dpa Stuttgart. Zeitverträge, Mini-Jobs oder dauernd neue Befristungen: Immer mehr Menschen im Südwesten sind einer Studie zufolge in bedenklichen Arbeitsverhältnissen. Besonders betroffen sind junge Leute und Frauen. Das geht aus einer gestern veröffentlichten Studie des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie hervor, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Baden-Württemberg in Auftrag gegeben hatte. Demnach stieg der Anteil von Arbeitnehmern in zeitlich befristeten, Teilzeit- oder Minijobs in BadenWürttemberg 2011 auf 38,9 Prozent – 2003 hatte er noch bei 31,8 Pro- K O MME N TA R Es geht nicht ohne Flexibilität G RAIMUND WEIBLE Walddorfhäslach. Sein eigener Chef sein, selbst etwas gestalten zu können – davon träumte Gerhard Ostertag als Fernmeldeelektroniker bei Siemens. Er wollte es so machen wie der Onkel. Der hatte ein eigenes Gewerbe angefangen. 1995 war es auch bei Ostertag so weit. Mit 36 Jahren gründete er sein Unternehmen. Der Start von Ostertag Solutions fand zwar nicht in der Garage statt, aber: „Wir haben in unserem Partyraum im Keller begonnen. Erst danach haben wir ein Büro gemietet“, beschreibt der heute 55-jährige Schwabe den Anfang unter einfachsten Bedingungen. Inzwischen, nach 18 Jahren, ist er zusammen mit Alexander Knab, der 2011 dazu stieß, Vorstand der Ostertag Solutions AG mit 135 Mitarbeitern. Der Firmensitz ist da geblieben, wo er von Anfang an war: In verkehrsgünstiger Lage, in Walddorfhäslach im Kreis Reutlingen – nahe an der B 27, nahe an der A 8. Das Unternehmen floriert. Das Hauptgeschäftsfeld der Ostertag AG ist die Telekommunikation. Ostertag hat sich darauf spezialisiert, Telefonanlagen exakt auf die Bedürfnisse von gewerblichen Kunden abzustimmen. „Wir kaufen ein Produkt ein und veredeln es“, erläutert Ostertag, „an so einer Telefonanlage kann man viel machen.“ Die Firma entwickelt Lösungen etwa für einen Weltkonzern mit einer zentralen Nummer und 75 000 Anschlüssen. Wie kann die Zentrale einem Anrufer, der für eine bestimmte Thematik den passenden Ansprechpart- 26 zent gelegen. Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor. Die Gewerkschaft sieht für diese Menschen eine besonders große Gefahr, in die so genannte prekäre Beschäftigung abzurutschen. Das sind unsichere oder ungeschützte Jobs, bei denen Beschäftigte häufig trotz Arbeit in Armut leben. Der Studie zufolge müssen vor allem Frauen um eine sichere Anstellung bangen: Zuletzt arbeiteten im Land 56 Prozent der Frauen befristet oder nicht in Vollzeit. Bei den Männern waren es 22 Prozent. „Es gibt immer noch eine Mehrheit derer, die sagen: Ich will einen Teilzeitjob haben, weil ich andere Verpflichtungen habe“, räumte der Mitautor der Studie, Ernst Kistler, ein. Bei Frauen sei das häufig die Kindererziehung. Allerdings sei es fraglich, inwieweit die Teilzeit freiwillig sei – und nicht etwa Betreuungseinrichtungen fehlten. Auch junge Leute werden beim Einstieg in den Beruf zunehmend Für viele Baden-Württembergerinnen ist die Vollzeitstelle ein Traum. Foto: dpa mit befristeten Verträgen abgespeist, wie aus der Studie hervorgeht. Demnach lag der Anteil der 15- bis 24-Jährigen ohne unbefristete Vollzeitstelle 2011 bei über einem Drittel. Zehn Jahre zuvor waren es noch 12,3 Prozent. „Bei ihnen werden im Alter die negativen Folgen der Arbeitsmarktreformen und die Leistungseinschränkungen der Rentenreformen zusammentreffen“, sagte der DGBLandesvorsitzende Nikolaus Landgraf. Ihr Risiko der Altersarmut steige. „Arbeit verkommt immer mehr zur Ramschware ohne Wert, wenn wir nicht gegensteuern“, betonte Landgraf. Die Gewerkschaft sei nicht grundsätzlich gegen Leiharbeit oder Werkverträge. Sie dürften allerdings nicht missbraucht werden. Die Entwicklung sei vor allem von bundesrechtlichen Rahmenbedingungen und ökonomischen Fehlanreizen gesteuert. „Wir brauchen deshalb einen Politikwechsel.“ Die Arbeitgeber wiesen die Kritik von sich und warfen der Gewerkschaft vor, unnötig Ängste zu schüren. Der Arbeitsmarkt in BadenWürttemberg sei in einer guten Verfassung, erklärte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. leicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine gesellschaftliche Kernforderung, der wenig entgegen zu stellen ist. Nur: Wann ist Arbeit wirklich gleich? Die Globalisierung hat es mit sich gebracht, dass auch die Beschäftigungsmodelle zersplittern. Das nutzt Arbeitgebern wie Arbeitnehmern. Den einen bringt es Flexibilität und die Chance zur Kostensenkung, den anderen Zugewinn an Lebensqualität. Viele Branchen zahlen Gehälter, die auch zu 75 Prozent noch auskömmlich sind, und nicht zuletzt unter Lehrerinnen ist die Teilzeitbeschäftigung beliebt, weil sie damit Beruf und Kinder unter einen Hut bringen können. Teilzeit an sich ist nicht schrecklich, und für viele ist sie besser als Arbeitslosigkeit. Aber es ist Vorwahlkampf, und da neigt die Politik zur Schnappatmung wie SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, der faire Löhne gleichsetzt mit gleichen Löhnen. Soll, nur weil beide am selben Band schaffen, ein Facharbeiter, der Zylinderköpfe montiert, das gleiche Geld kassieren wie ein Handlanger, der sie am Ende in die Transportkiste legt? Hohe Tariflöhne freuen jeden Arbeiter – solange er die Arbeit hat. Aber: Ein starres, hohes Lohnniveau und Regelungen, die den Konzernen die Luft zum Atmen abschneiden, beschleunigen den Weg Deutschlands in die Desindustrialisierung. ANDREAS BÖHME Bundesrat billigt Bankentrennung Berlin. Das Banken- und Finanzsystem soll künftig besser vor Krisen und den Auswirkungen von Bankpleiten geschützt sein. Der Bundesrat billigte gestern ein Gesetz, wonach Großbanken künftig spekulative Geschäfte mit eigenem Geld von Geschäften mit den Spareinlagen der Kunden separiert müssen. Mit dem so genannten Trennbankengesetz werden die Eigengeschäfte in rechtlich selbständige Einheiten ausgelagert. Betroffen sind voraussichtlich zehn bis zwölf größere deutsche Banken, darunter Berichten zufolge vermutlich die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Landesbank Baden-Württemberg. Durch das Gesetz sollen Kunden- und Steuergelder besser geschützt und das Bankensystem krisenfester gemacht werden. afp Erwerbstätigkeit teurer geworden Wiesbaden. Höhere Gehälter und mehr Krankheitstage haben die Arbeitskosten in Deutschland im ersten Quartal 2013 weiter stark steigen lassen. Das Statistische Bundesamt bezifferte den Anstieg von Bruttoverdiensten und Lohnnebenkosten im Vergleich zum Vorjahresquartal auf zusammen 3,9 Prozent – der höchste Wert seit der Wirtschaftskrise 2008/2009. Vor allem zusätzliche Krankentage haben die von den Unternehmen zu tragenden Lohnnebenkosten überproportional um 5,3 Prozent wachsen lassen. Die Bruttolöhne und -gehälter stiegen um 3,5 Prozent. Zum Vorquartal betrug das Plus der zusammengefassten Arbeitskosten 1,1 Prozent. Seit 1997 hatte es nur im zweiten Quartal des Krisenjahres 2009 mit 4,5 Prozent eine höhere Steigerung der Arbeitskosten gegeben, als vor allem die hohen Kosten der Kurzarbeit zu tragen waren. Im europäischen Vergleich stiegen die Arbeitskosten im Jahr 2012 mit 2,7 Prozent stärker als der EU-Schnitt von 1,6 Prozent. dpa