Malerei - Historisches Lexikon der Schweiz

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Malerei - Historisches Lexikon der Schweiz
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30/06/2010 |
Malerei
M. ist eine der ältesten künstler. Ausdrucksweisen des Menschen, die
ständigen ästhet., formalen, inhaltl. und materiellen Veränderungen
unterliegt. Sie wird in unterschiedlichste epochale, gestalter., inhaltl.
und techn. Kategorien unterteilt und kann auch eine unterstützende
Funktion einnehmen, z.B. als Farbfassung der Bildhauerei oder zur
Akzentuierung von Architektur (z.B. Fassadenmalerei, Sgrafitto).
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1 - Antike und Frühmittelalter
Die älteste originäre, figurative M. aus dem Gebiet der Schweiz datiert aus der Römerzeit. Sie entstand, wie
etwa die Wagenlenker-Fresken von Augst und Pully aus dem 1. Jh. n.Chr., im Kontext profaner
Dekorationsgestaltungen und gründete auf der Kunst des Mittelmeerraums. Mit dem Niedergang des röm.
Imperiums verschwand die gegenständl. M. in der Schweiz.
Erst mit der Christianisierung wird M. im Gebiet der Schweiz wieder fassbar, und zwar zunächst durchwegs im
sakralen und monast. Bereich (Frühmittelalterliche Kunst). Sie orientierte sich an röm.-byzantin. Techniken
und Merkmalen zur Kennzeichnung der dargestellten Figuren, Symbole und Szenen (Ikonografie). Eines der
frühesten Zeugnisse dieser Kunst sind die stark beschädigten Fresken in der bischöfl. Grabkammer unter der
Grabkirche St. Stephan in Chur (6.-7. Jh.).
In der karoling. Epoche setzte nicht nur die durch spätantike und kelt. Vorbilder inspirierte Buchmalerei ein,
sondern auch die Wandmalerei in Kirchen. Im Unterschied zur Buchmalerei, die nur einem exklusiven Kreis
von Betrachtern vorbehalten war, richtete sich die illustrative Wandmalerei an ein grösseres Publikum. Aus
dieser Epoche blieben jedoch nur die wenigsten Wandmalereien erhalten. Zumeist finden sie sich entlang
wichtiger Stationen der Nord-Süd-Transversale und zeugen von internat. Einflüssen. In Siedlungsgebieten
hingegen überdauerten die karoling. Wandmalereien kaum je die später erfolgten Umgestaltungen.
Die im Kloster Disentis vorgefundenen Reste einer plastisch unterlegten Monumentalmalerei byzantin.
Provenienz aus dem ausgehenden 8. Jh. mit über 150 überlebensgrossen Heiligenfiguren zeugen bereits von
hoher künstler. Qualität. Um 800 schufen oberital. Wandermaler im Kloster St. Johann in Müstair den ersten
grossen, erhaltenen Bilderzyklus der Schweiz. Das Repertoire (Jüngstes Gericht, Himmelfahrt Christi,
Heiligenviten) wie auch die Anordnung der Bildfelder in Apsiden oder als narrative Bildfelder in Registern
begründeten einen Kanon zur Belehrung der Gläubigen (Biblia pauperum), der bis ins Zeitalter der Aufklärung
für die sakrale M. verbindlich blieb. Auch die Fresken in der St. Georgskirche in Reichenau-Oberzell am
Bodensee (um 1000), das Hauptwerk der otton. M., werden von einer straffen Erzählstruktur und einer
architekton. Gliederung geprägt. Der Künstler vermengte dort antikisierendes Dekor mit Szenen der
Heilsgeschichte. Die im Obergaden der Kirche dargestellten Äbte sind zudem ein frühes Beispiel offizieller
Porträtmalerei in unseren Breitengraden.
In anderen religiösen Zentren der Schweiz (Einsiedeln, St. Gallen) haben sich neben der Buchmalerei keine
Wand- oder Tafelmalereien aus otton. Zeit erhalten. Verantwortlich dafür sind - wie auch in Freiburg und im
Wallis - meist bauliche Veränderungen oder gar Neubauten der entsprechenden Räume oder Raumteile im 17.
und 18. Jh. In der Westschweiz hingegen (Genf und Lausanne wie auch in Bern und Zürich) wurden in der
Reformation grosse Teile der religiösen M. des MA zerstört.
In der Kirche S. Ambrogio vecchio in Prugiasco traten u.a. bedeutende rom. Fresken zutage, die zwischen den
ersten Jahrzehnten des 11. und Anfang des 12. Jh. datiert werden und aus einer lombard. Werkstatt stammen.
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Als Höhepunkt der rom. M. in der Schweiz gilt die Bilderdecke von St. Martin in Zillis aus der 1. Hälfte des 12.
Jh. Die 153 bemalten Tafeln sind ein bewusster Rückgriff auf die Formensprache der Spätantike und damit im
ursprüngl. Sinn des Wortes romanisch (Romanik). Das komplexe Programm der Decke kann vielfältig
interpretiert werden und offenbart gerade dadurch das assoziative Potenzial der M., das von den versch.
Bildungsschichten unterschiedlich rezipiert wurde.
Autorin/Autor: Matthias Oberli
2 - Hoch- und Spätmittelalter
Während die M. im FrühMA primär auf monast.-kirchl. Räume beschränkt war bzw. nur in diesen erhalten
blieb, setzte im Hoch- und insbesondere im SpätMA eine Bildervielfalt im religiösen wie auch im profanen
Bereich ein. M. wurde zum Allgemeingut und gleichermassen von weltl. wie kirchl. Auftraggebern zu
repräsentativen bzw. didakt. Zwecken eingesetzt. Die ersten Maler wie der aus der Picardie stammende
Glasmaler Pierre d'Arras in Lausanne oder der im Kloster St. Gallen tätige Buchillustrator Luitherus werden
namentlich fassbar und lokalisierbar. Die M. entwickelte sich zu einem eigenständigen Handwerkszweig, in
den immer mehr Personen involviert waren.
Die am Übergang zum 13. Jh. einsetzende Welle der internat. Gotik beeinflusste die M. der Schweiz
nachhaltig. Ausdruck dieser grundlegenden Neuerung ist z.B. die teilweise Übermalung der karoling. Fresken
in St. Johann in Müstair mit neuen Wandbildern (Ende 12. Jh.). Ähnliches geschah auch im Baptisterium von
Riva San Vitale, wo am Ende des 12. Jh. karoling. Wandmalereien durch byzantinisch-gotisch inspirierte
Fresken ersetzt wurden.
Franz. Einflüsse manifestieren sich in der Westschweiz. Die Wandmalereien der Abtei Payerne entstanden,
wohl durch Vermittlung des Mutterklosters Cluny, zu Beginn des 13. Jh. Dadurch hielt in Payerne die franz.
Frühgotik Einzug und vermischte sich mit Nachklängen byzant. Kunst. Gleiches gilt für die Glasrose der
Kathedrale von Lausanne. Sie ist das Werk von Pierre d'Arras (um 1230).
Das Spektrum der M. erweiterte sich im 14. Jh. merklich, wobei neben dem Klerus vermehrt das Bürgertum als
Auftraggeber auftrat. Aus dieser Zeit haben sich einerseits erste profane Malereiaufträge erhalten, wie die
Manessische Handschrift, die zugleich als Glanzpunkt höf. M. des MA gilt. Andererseits eroberte die
Glasmalerei als neue Technik allmählich die Schweiz und erreichte mit den Fenstern von Königsfelden (ca.
1325-50) ihren Höhepunkt. Eine beeindruckende Synthese von höf.-profaner Formensprache und christl.
Heilsgeschichte zu einem modernen Bildzyklus findet sich in der Kirche St. Arbogast in Oberwinterthur
(Anfang 14. Jh.). Auch die Darstellung des berittenen Drachentöters in der Kirche St. Georg in Rhäzüns (um
1350) stammt aus der Bildwelt der Reitturniere an europ. Fürstenhöfen. Ebenso wurde die Wandmalerei in der
Efringer-Nische in St. Peter in Basel ganz im Geist der internat. Gotik ausgeführt (2. Hälfte des 14. Jh.). Die
Grablegungsszene erinnert an weit entfernte Vorbilder in Avignon oder Prag.
Ein "international" geprägter Modernisierungsschub vollzog sich im 14. Jh. auch in der Südschweiz. Die
Fresken in S. Maria Assunta in Brione (Verzasca) und in S. Maria dei Ghirli in Campione d'Italia sind vermutlich
die Arbeiten ital. Wandermaler. Mit ihrem Detailreichtum, ihrer Erzählfreude und ihrer Vorliebe für
architekton. Bildelemente in gewagter Perspektive stehen diese Fresken in der Nachfolge der revolutionären
Malkunst Giottos und brechen radikal mit der M. der vorangegangenen Jahrhunderte im Tessin.
Autorin/Autor: Matthias Oberli
3 - Frühe Neuzeit
3.1 - Renaissance
Wie im übrigen Europa wurde die Gotik auch in der Schweiz im 15. Jh. von der Renaissance abgelöst, die sich
in der M. mit aufsehenerregenden Neuerungen im techn., formalen und inhaltl. Bereich bemerkbar machte.
Die "Eroberung der Wirklichkeit" wurde zum vorherrschenden Ziel der M. und äusserte sich im
bahnbrechenden Wandel auf den Gebieten der Perspektivmalerei, der Körperdarstellungen und der
Naturbeobachtung. Es waren erneut Einflüsse aus den Nachbarländern (Burgund, Lombardei, Oberrhein),
welche die Schweizer M. befruchteten, die ihrerseits auf die umliegenden Kulturräume wirkende Lösungen
entwickelte. In diesem Sinn epochal ist z.B. das Altarbild "Der wunderbare Fischzug" (1444) des Basler Malers
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Konrad Witz, dessen Darstellung der Umgebung Genfs eine der ersten topografisch exakten
Landschaftsdarstellungen der Renaissance ist. Schilderungen des tägl. und polit. Lebens fanden vermehrt
Eingang in die M., wie z.B. in den ab 1470 aufkommenden Bilderchroniken (z.B. von Diebold Schilling) oder als
Staffage in Sakralbildern (z.B. Felix-und-Regula-Altar mit einem Panorama Zürichs von Hans Leu dem Älteren,
um 1500). Die Darstellung von Personen erfuhr einen bisher unbekannten Realitätsgrad, wie etwa in der
Wandmalerei des Basler Totentanzes (um 1440) und die Wiedergabe von Individuen in Stifterporträts nahm
einen immer wichtigeren Platz in der M. ein (z.B. Stiftertafel der Herren von Eschenbach aus dem
Zisterzienserkloster Kappel am Albis, 1438). Das erzähler. Spektrum der M. wurde, beeinflusst durch andere
Medien wie die neu aufkommende Druckgrafik, sowohl im sakralen wie im profanen Bereich immer breiter
und mit neuen Motiven zu Zyklen angereichert. Beispiele dieser Art sind die Wandmalerei der
Heiligkreuzlegende in Wiesendangen (1496-98) oder die Bildabfolge der sog. Neun Helden im Kalendensaal
der Valeria in Sitten (um 1470). In der ital. Schweiz vermengte die äusserst aktive Werkstatt der Seregnesi
(Fam. Seregno) Mitte des 15. Jh. sakrale Episoden mit scharf beobachteten Abbildungen des Alltags, wie in S.
Maria del Castello in Mesocco (1459-69) und in S. Nicolao in Giornico (1478).
Von einschneidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Schweizer M. wurde die Reformation. Der
Streit um die Bedeutung und Verehrung von Bildern und die darauf folgende Zerstörung vieler sakraler
Gemälde (Bildersturm) wirft ein erhellendes Licht auf das damalige Verständnis der M. Ihr wurde nicht nur
blosser Illustrations- und Belehrungscharakter attestiert, man hielt ihren Einfluss für grösser: Gemälde wurden
z.T. als Verkörperungen von Heiligen wahrgenommen und mit wundertätigen Aktionen in Verbindung
gebracht (Gnadenbilder). Dementsprechend wurden sie von den Ikonoklasten wie phys. Gestalten behandelt,
in Prozessen verurteilt und exekutiert.
Für die Kunstproduktion und besonders für die M. hatten diese Ereignisse weitreichende Konsequenzen.
Einerseits kam die religiöse M. in den ref. Gebieten der Schweiz abrupt zum Erliegen, andererseits wurde sie
in den kath. Regionen zum unverzichtbaren Instrument der religiösen Selbstbehauptung und der theol.
Propaganda. Besonders in ref. Gebieten führte das religiöse Bilderverbot zur Etablierung und Verbreitung
neuer Gattungen wie der Historien-, Porträt-, Genre- und Landschaftsmalerei. Gleichzeitig versuchten die
Schöpfer dieser Bilder, sich im Sinn der ital. Renaissance vom Handwerkerstatus zu lösen. Sie strebten eine
Stellung als freie Künstler an, was sich u.a. in der zunehmenden Produktion von Selbstbildnissen
manifestierte. Fehlende Klientel oder zünft. Einschränkungen führten jedoch oft dazu, dass Schweizer Maler
ihr Glück im Ausland suchten. Dieser fortan übl. Exodus brachte nach der Rückkehr der ausgewanderten
Künstler wichtige Impulse. Zugleich erfuhr die M. durch die Immigration ausländ. Künstler neue Einflüsse.
Geradezu exemplarisch für all diese Facetten der M. des 16. Jh. steht das Leben und Werk von Hans Holbein
dem Jüngeren, der in Basel wirkte.
In versch. Schweizer Städten profilierten sich Künstler, die das gesamte Repertoire der Renaissancemalerei
beherrschten, z.B. Hans Asper als führender Porträtist in Zürich, Tobias Stimmer als Fassaden- und
Bildnismaler in Schaffhausen oder Niklaus Manuel als Schöpfer religiöser und mytholog. Historien in Bern. Im
16. Jh. etablierte sich zunehmend die Darstellung des Soldaten- und Söldnerwesens als wichtiges Thema der
Schweizer M. und Grafik. Sie beeinflusste auch die Wappenscheibenmalerei.
Autorin/Autor: Matthias Oberli
3.2 - Barock
Im 17. Jh. verstärkte sich der Trend zur Auslandstätigkeit von Schweizer Künstlern. Joseph Heintz wirkte am
Prager Hof als wichtiger Vertreter des Manierismus. Der aus Genf stammende Jean Petitot und sein
gleichnamiger Sohn porträtierten die Mitglieder des engl. und franz. Hofs auf Email-Medaillons. Die beiden
Tessiner Künstler Giovanni Serodine und Pier Francesco Mola profilierten sich wie andere Künstler aus der ital.
Schweiz (Maestranze) in Rom als bedeutende Vertreter der barocken Sakralmalerei. Serodines Erfahrungen
flossen nach seiner Rückkehr nach Ascona in die dortige M. ein. Mitte des 17. Jh. schulte sich der Berner Maler
Joseph Werner in Paris und Augsburg in der höf. Barockmalerei (Barock), schuf Bildnisse des Berner Patriziats,
international geprägte Allegorien und Historiengemälde.
Die kath. Reform belebte die religiöse M. in den kath. Gebieten der Deutschschweiz und im Tessin von
Neuem. Kirchen wurden mit Tafelzyklen (Hergiswald) und ephemerem Bildschmuck (Fastentuch von Steinen,
1605) zur Belehrung der Gläubigen ausgestattet. Die enge Bindung zu Italien führte zu vermehrten Importen
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von ital. Bildern. Diese beeinflussten auch das Schaffen einheim. Meister wie Renward Forer, dem führenden
Kirchenmaler in Luzern. Polit. Themen wie hist. Allianzen und aktuelle Bündnisse wurden zunehmend in der
öffentl. M. dargestellt (z.B. Bilderzyklus der Kapellbrücke Luzern). Gleichermassen entwickelten sich die ab
dem 16. Jh. in der Grafik weit verbreiteten Darstellungen eidg. Gründungsmythen zum Gegenstand der M.
(z.B. "Rütlischwur" von Joseph Werner, 1677). Die sich im 16. Jh. autonomisierende Landschaftsmalerei wurde
im 17. Jh. zunehmend professionalisiert, so etwa vom Winterthurer Felix Meyer oder vom Strassburger
Immigranten Albrecht Kauw, der repräsentative Ansichten von Berner Herrensitzen malte. Aus den
Niederlanden brachte Samuel Hofmann in den 1630er Jahren das Genre des Stilllebens in die Schweiz.
Als Folge der Akademiegründungen und der ersten Ausstellungen brachte das 18. Jh. in den versch.
Gattungen der M. immer mehr Spezialisten hervor. Neu wurden auch Schweizer Malerinnen aktiv, z.B. Anna
Waser und Angelika Kauffmann. Die ersten grösseren, erhalten gebliebenen Bestände der Volksmalerei
(Volkskunst) stammen ebenfalls aus dieser Zeit (z.B. Votiv-M.). Für das Repräsentationsbedürfnis des Ancien
Régime wurde die Bildnismalerei immer wichtiger. Bedeutende Schweizer Porträtisten, die oftmals auch im
Ausland wirkten, waren der in Deutschland tätige Anton Graf aus Winterthur, der in London, Rom, Istanbul,
Den Haag und Wien lebende Genfer Maler Jean-Etienne Liotard, Johann Melchior Wyrsch aus Stans, der in der
Schweiz und in Frankreich arbeitete, oder der in Rom aktive Waadtländer Jacques Sablet. Die einheim. Elite
aus Wissenschaft und Politik porträtierte der in Bern tätige Emanuel Handmann.
Im 18. Jh. vollzog sich eine bedeutende Neuerung in der Landschaftsmalerei. Von der rein topograf.
Wiedergabe der Umwelt vollzog sich die Sublimierung der Alpenwelt und der Natur durch Maler wie Caspar
Wolf oder Künstler aus dem Umkreis der sog. Kleinmeister (u.a. Johann Ludwig Aberli, Heinrich Rieter, Johann
Jakob Biedermann). In akribisch komponierten Atelierbildern hielten sie die landschaftl. Sehenswürdigkeiten
der Schweiz fest und dokumentierten und förderten zugleich den aufkommenden Tourismus. Von volkskundl.
Interesse zeugen die typisierten Trachtenbildnisse von Joseph Reinhart.
In der Sakralmalerei wurden im 18. Jh. die Deckenfresken zum unverzichtbaren Kirchenschmuck. Als sorgfältig
konstruierter Blickfang sollten sie die Gläubigen in Erstaunen versetzen. Die führenden Meister auf diesem
Gebiet stammten aus Süddeutschland, dem Tessin und Norditalien: Die Deckenfresken in der Klosterkirche
Einsiedeln schufen die Brüder Cosmas Damian und Egid Quirin Asam aus Bayern, diverse Deckenbilder in der
Deutschschweiz die Brüder Giuseppe Antonio und Giovanni Antonio Torricelli aus Lugano. Bedeutendster
Kirchenmaler im Tessin und in dessen Umgebung war Giuseppe Antonio Petrini, während Vertreter von
Künstlerfamilien wie den Carlone, Casella, Colomba und Tencalla an dt. Fürstenhöfen und in Italien als Maler
aktiv waren. In der kath. Deutschschweiz nahm Johann Melchior Wyrsch als Schöpfer religiöser Bilder eine
bedeutende Stellung ein.
Die Historienmalerei des 18. Jh. hat mit dem Genfer Jean-Pierre Saint-Ours einen wichtigen Vertreter der
franz. Revolutionskunst hervorgebracht. Einzigartig ist hingegen das Œuvre des Zürchers Johann Heinrich
Füssli. Er emigrierte bereits in jungen Jahren nach England und schuf dort Gemälde zu diversen literar.
Vorlagen, die bis ins 20. Jh. wirkten, und beispielsweise für den Surrealismus von Bedeutung waren.
Autorin/Autor: Matthias Oberli
4 - 19. Jahrhundert
Die gesellschaftl. Umwälzungen des 19. Jh. brachten eine Demokratisierung der M. mit sich. Vom
repräsentativen und didakt. Kommunikationsträger einer kleinen Elite wandelte sich die M. zum
Massenmedium für breite Schichten der Bevölkerung. Kunstvereine und Künstlervereine organisierten
Ausstellungen und waren massgeblich an der Gründung von Museen beteiligt (Kunsthandel). Dadurch erhielt
die Öffentlichkeit Zugang zur M. und entwickelte eine gewisse Kennerschaft. M. wurde vermehrt zur
Unterhaltung und hist.-polit. Belehrung eingesetzt, wie in den Panoramen des Thunersees, der Schlacht bei
Murten oder der Bourbakiarmee. Gemälde und Grafiken wurden zum unverzichtbaren Mobiliar des bürgerl.
Interieurs, das Grossbürgertum profilierte sich als treibende Kraft des Mäzenatentums und baute private
Sammlungen auf. Dieser Bedarf an M. führte zu einer enormen Produktionssteigerung und
Professionalisierung. Zugleich betätigten sich immer mehr Autodidakten als Maler und schufen neue Genres
der Volkskunst, etwa Bartholomäus Lämmler als Begründer der Appenzellermalerei.
Im 19. Jh. sammelten die meisten Schweizer Maler Erfahrungen im Ausland, der weit gereiste Impressionist
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Frank Buchser sogar in Amerika. Neue Tendenzen aus den Kunstmetropolen München, Paris, Rom, Mailand
und Wien flossen dadurch schnell in die Schweizer M. ein, wie die Pleinairmalerei (Freilichtmalerei), der
Impressionismus oder der Symbolismus. Einige Schweizer Künstler machten in der Fremde Karriere und Geld:
Der Neuenburger Léopold Robert in Rom mit romant. Motiven der ital. Landbevölkerung, der Genfer JacquesLaurent Agasse als Tier- und Genremaler in England, der Basler Arnold Böcklin in Deutschland und Italien mit
Mythologien und Stimmungslandschaften, der Tessiner Antonio Ciseri in Florenz mit Sakral- und
Historienbildern oder der Lausanner Félix Vallotton in Paris als wichtiges Mitglied der Künstlergruppe Nabis
und als Wegbereiter der Neuen Sachlichkeit.
Unterdessen prägten in der Schweiz diverse herausragende Künstlerpersönlichkeiten mit ihrem
unverwechselbaren, oftmals patriotisch gefärbten Stil die versch. Gattungen der M. und ernteten dafür auch
im Ausland Erfolg. Alexandre Calame wurde Mitte des Jahrhunderts zum führenden Meister der heroischen
Gebirgsmalerei, Robert Zünd beeindruckte die Zeitgenossen mit seinen präzisen Wald- und
Landschaftsstücken, während Barthélemy Menn die Westschweiz in spontanen Landschaftsausschnitten
(Paysage intime) wiedergab. Romant. Schilderungen des Landlebens und der dörfl. Gemeinschaft machten
Rudolf Koller, Albert Anker und Luigi Rossi berühmt. Kollers anachronist. "Gotthardpost" (1873) wurde ebenso
zur Inkunabel der verklärten Schweizer M. wie Ankers Bilder von Hirtenjungen und Bauernmädchen, die kaum
etwas von der harten Realität der ländl. Jugend erahnen lassen. Ähnlich unkritisch zeigte sich zu grossen
Teilen auch die Historienmalerei des 19. Jh., zu deren wichtigsten Vertretern neben Charles Gleyre, Antonio
Barzaghi-Cattaneo und Ernst Stückelberg auch Anker gehörte. Zur Mythologisierung des bescheidenen,
opferbereiten und wehrhaften Schweizer Volkes wurden hist. Gegebenheiten und Sagen ebenso
herangezogen wie Darstellungen aus der Ur- und Frühzeit (Pfahlbauer, Helvetier), die zuweilen vom jungen
Bundesstaat selbst in Auftrag gegeben wurden.
In der Person Ferdinand Hodlers, der Überfigur der Schweizer M. des ausgehenden 19. Jh., kristallisierte sich
denn auch die zunehmende Diskrepanz zwischen den patriot. Aufgaben und deren krit. Umsetzung mit neuen
Stilmitteln. Hodler, der sowohl die Landschafts- und Porträtmalerei als auch die Genre- und Historienmalerei
der Schweiz revolutionierte, stiess zunächst auf heftigen Widerstand. Seine hist. Fresken im Landesmuseum
Zürich provozierten den ersten nationalen Kunstskandal. Die allmähl. Akzeptanz seiner Bilder, z.T. als Folge
der internat. Anerkennung des Künstlers, bedeutete jedoch einen Wendepunkt, der für die Schweizer M. des
20. Jh. von zentraler Bedeutung werden sollte. Nicht mehr die möglichst reale Wiedergabe, sondern die
formale und farbl. Evokation von Stimmungen durch neue Stilmittel (z.B. jene des Symbolismus oder des
Jugendstils) oder durch neue Techniken, wie den Divisionismus Giovanni Segantinis, zeigten den Weg zur
abstrakten Malerei des folgenden Jahrhunderts.
Autorin/Autor: Matthias Oberli
5 - Vom 20. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts
Im engen Austausch mit dem Ausland entwickelte die Schweizer M. des 20. Jh. eigene Varianten, wie den vom
franz. Fauvismus inspirierten sog. Schweizer Kolorismus, dessen Hauptvertreter Giovanni Giacometti und
Cuno Amiet waren. Die kubist. Auflösung der Formen zeichnete sich schon früh im Werk von Otto Morach und
dem Bauhausmitglied Johannes Itten ab. 1911 organisierte die Schweizer Künstlervereinigung Der Moderne
Bund ihre erste Ausstellung, u.a. mit Werken von Hans Arp, Pablo Picasso, Henri Matisse, Wassily Kandinsky
und Paul Klee. Von der Öffentlichkeit weitgehend abgelehnt, hielt damit die avantgardist., abstrakte M.
Einzug. Dt. Emigranten wie Ernst Ludwig Kirchner oder Arp liessen sich im Lauf des 1. Weltkriegs in der
Schweiz nieder und wurden zu wichtigen Vorreitern des Expressionismus bzw. zu Begründern des Dada. Der
in Bern lebende Klee seinerseits war lange in Deutschland als Künstler und Lehrer am Bauhaus tätig. Er
vertrat, im Gegensatz zum französisch geprägten, gegenständl. Surrealismus Meret Oppenheims, eine
abstrakte, surreale M., die Max von Moos weiterführte. Die Hinwendung zur rein farbtheoret. und geometr. M.
gipfelte in den 1930er und 40er Jahren in der Kunst der Konstruktivisten und Konkreten, deren wichtigste
Vertreter Camille Graeser, Max Bill, Fritz Glarner, Verena Loewensberg und Richard Paul Lohse sind.
Im Gegenzug wurde bis Mitte des 20. Jh. die gegenständl. M. besonders durch offizielle Aufträge gefördert.
Die Heimatmalerei, angefangen beim bieder realist. Landsgemeindebild von Albert Welti und Wilhelm Balmer
(1914) im Ständeratssaal des Bundeshauses über Hans Ernis avantgardistisch angehauchtes Panoramabild
zur Landesausstellung 1939 bis hin zum Bundesschwurfresko Walter Clénins im Bundesbriefmuseum Schwyz
(1947), entwickelte sich zum künstler. Mittel der Geistigen Landesverteidigung. Scharf hingegen fielen die
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Polemiken gegen modernere Entwürfe wie Heinrich Danioths Fresko am Bundesbriefarchiv (1935-36) aus.
Neue Impulse erfuhr die gegenständl. M. in der Landschaftsmalerei Adolf Dietrichs und den Genreszenen
Varlins sowie durch die spätexpressionist. Werke von René Auberjonois und Max Gubler.
Die Moderne und die ungegenständl. M. fanden erst nach dem 2. Weltkrieg breitere Akzeptanz. In der
Tradition des Konstruktivismus wird M. als eigenwertiges intellektuelles Zeichen- und Formsystem bis heute
weitergeführt (z.B. Italo Valenti, John M. Armleder). Andererseits wurde die bereits bei Alberto Giacometti
beobachtete inspirierende Wirkung des eigentl. Malakts in der gestischen Abstraktion (z.B. Tachismus,
Informel) bei Hans Falk, Helen Dahm, Gérard Schneider oder Rolf Iseli wie auch bei jüngeren Künstlern wie
Martin Disler zur Kunstform. Auch die gegenständl. M. hatte weiterhin Bestand, sowohl im Hyperrealismus
eines Franz Gertsch, als auch in surrealen Schöpfungen von Jean-Frédéric Schnyder, Alex Sadkowsky oder
Claude Sandoz. M. wurde zunehmend Bestandteil von Installationen und mit anderen Techniken und
gattungsfremden Materialien kombiniert. Solche Vermischungen finden sich bereits bei Jean Tinguely und D
aniel Spoerri, aktuelle Formen sind die Umgestaltungen von Abfall mittels Farbe durch Urs Frei. Im Zeitalter
der Digitalisierung nimmt M. weiterhin eine wichtige Funktion als authent. und originäre Kunstform ein.
Autorin/Autor: Matthias Oberli
Quellen und Literatur
Literatur
– J. Gantner, A. Reinle, Kunstgesch. der Schweiz, 4 Bde., 1936-62 (21968)
– From Liotard to Le Corbusier, Ausstellungskat. Atlanta, 1988
– AH 5-6, 10, 12
– Arte in Ticino, Ausstellungskat. Lugano, 4 Bde., 2001-04
– J. Albrecht et al., Das Kunstschaffen in der Schweiz 1848-2006, 2006
Autorin/Autor: Matthias Oberli
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