Klaus Bittermann Alles schick in Kreuzberg

Transcription

Klaus Bittermann Alles schick in Kreuzberg
Klaus Bittermann
Alles schick in Kreuzberg
Klaus Bittermann ist Verleger und Autor und lebt seit
1981 in Berlin-Kreuzberg. Er schreibt ab und zu auch
was in seinen Blog: www.bittermann.edition-tiamat.de
Die meisten der hier abgedruckten Miniaturen erschienen als »Berliner Szenen« im Berlin-Teil der taz.
Mit Dank an Ulrich Gutmair, Katrin Bettina Müller,
Tine Roloff und Franz Dobler.
Edition
TIAMAT
Deutsche Erstveröffentlichung
1. Auflage: Berlin 2013
© Verlag Klaus Bittermann
www.edition-tiamat.de
Umschlag: Felder Kölnberlin Grafikdesign
ISBN: 978-3-89320-182-2
Klaus Bittermann
Alles schick in
Kreuzberg
Unter Touristen, Pennern,
Gentrifizierten
Critica
Diabolis
212
Edition
TIAMAT
Für Tania
Inhalt
Bierflaschenhalter 7
Miethaie raus 9
Bis es knallt 12
Kontaminiertes
Sushi 14
Hit the Road, Jack 16
Hey Yo! Was geht
ab? 18
Geile Schlampe 20
Imran muss geschlossen werden 23
Wählt Guy Debord 25
Letzte Worte 28
Schönen Tag noch 30
Doktor Seltsam 34
Immer Ärger mit der
Post 36
Occupy Römer 38
Kool & The Gang 41
Der Flaum im Gesicht
der Nazis 43
Scheiß Rechtsstaat 45
Versuchte Vergewaltigung 47
Ein bisschen mehr
Distanz 50
Trotzki im gentrifizierten Bezirk 53
Bierflaschenverbot in
Kreuzberg 55
Occupy und
Biennale 60
Murakami und Cem
Özdemir 64
In der Leichenhalle 66
Kriegst du auf
Fresse 68
Der Amir war’s
nicht 71
Fast wie in Mexiko
City 73
Bomben auf
Auschwitz 76
Der Geheimtipp 80
Zack, aufs Auge 85
Wellness beim Zoll 88
Very nice 93
Jonathan Meese im
Viertel 95
Auf dem DesignFestival 97
Cash! Cash! Cash! 104
Das Blau des
Himmels 106
Besuch bei
Springer 108
Bierflaschen hier 112
Jede Menge
Japaner 116
Im Tätowierstudio 121
Huf und Nagel 123
Peggy Parnass 125
Regentanz mit O sole
Mio 128
Das Pizzapappschachtelpärchen 131
Neues von Murakami 134
Fups erste Bodyguards 136
Touristenstau 138
Sommerlektüre 140
Veganer Schokokuchen 142
Mops und Lyrik 144
Vortrag in der Volksbühne 146
Das ToskanaViertel 151
Eine Ballerei 153
Anschlag auf
Klopp 155
Lolli und Salat 157
Nachts um
halbeins 159
Spiderman in Kreuzberg 161
Miethaie unterwegs 163
Der schwerhörige
Fotograf 165
Mit Messer und
Knarre 168
Die Offenbarung
Matusseks 172
Das läbände Buch 174
James Wood 176
Ein Dérive 178
Eine Investigation 187
Im Bundespressekonferenzhaus 189
Mit Sir Jan Off unterwegs 192
Greenpeace als
Kunst 194
Freilaufende Viren 198
Kreuzberg – Paris 200
Lesung mit Harry
Rowohlt 204
Raus aus Kreuzberg 206
Der Mann am
Klavier 208
Vor dem ProtestContainer 211
Scheiß-Bayern 214
Der Autohändler 216
Die Panzerknacker 219
»Bitte räumen Sie sofort die Straße!« 221
Der Bademantelmann 223
Niemand fickt hier
jemanden 225
Mein erster Flashmob 227
Theater mit
Pennern 231
Entspannt in die
Revolution 233
Register 236
Bierflaschenhalter
Seitdem mich jemand als einen »Walter Benjaminschen Flaneur« bezeichnet hat, bin ich etwas
gehemmt, denn meine Kontrollgänge durch das
Viertel sind ganz profan, außerdem geht ein richtiger Flaneur mit einer Schildkröte an der Leine
spazieren, während ich es meistens recht eilig
habe. Ich wüsste gar nicht, wo ich so eine Schildkröte herkriegen sollte. Ich meine eine Galapagos-Schildkröte, die ein bisschen auffällt, denn
sonst denken die Leute nur: »Steht halt ein Mann
rum«, weil sie die Schildkröte gar nicht sehen,
oder sie denken, wenn sie die Schildkröte doch
sehen: »Was macht denn die Schildkröte auf der
Straße?«
Ich versuche mich trotzdem mal als Walter Benjamin’scher Flaneur. Als Erstes fällt mir auf, dass
in einigen Ecken unauffällig Rentner sitzen. Sie
bewegen sich nicht, befinden sich aber in Begleitung eines Hackenporsches. Es ist sehr kalt, weshalb ich denke, dass die Rentner ganz schön abgehärtet sind. Die jüngere Generation ist das
nicht. Sie ist nicht zu sehen, nicht mal auf der
Admiralbrücke, obwohl man dort inzwischen bequem seine Bierflasche in einen Bierflaschenhal-
7
ter stecken kann und die Hand wieder in die
warme Hosentasche.
Der Bierflaschenhalter kann mindestens zwanzig Bierflaschen halten und ist angekettet, damit
ihn niemand mitnehmen kann. Er erinnert mich
an den Flaschentrockner von Marcel Duchamp,
aber zu dieser Berühmtheit wird es der Bierflaschenhalter wohl nicht bringen.
Am Kanal treffe ich doch noch Einen aus der
jüngeren Generation. Er trägt Bart und lange
Haare und ist ebenfalls unauffällig, bis er auf
einmal anfängt, wild mit den Armen zu rudern
und tänzelnde Schritte zu machen, wobei beide
Bewegungen eher disharmonisch sind. Mit einer
Schildkröte hätte ich mir das jetzt genau angucken können, ohne dass es aufgefallen wäre, so
aber will ich nicht einfach stehenbleiben und den
Mann anglotzen, der dann wahrscheinlich denken
würde, ich hätte sie nicht mehr alle.
8
Miethaie raus
Fup und ich stehen am Straßenrand und gaffen.
An uns vorbei ziehen Demonstranten, die gegen
Mieterhöhung in Kreuzberg demonstrieren. Die
Demonstranten rufen: »Leute, lasst das Gaffen
sein, kommt herunter, reiht euch ein!« Also lassen wir das Gaffen sein und reihen uns ein. Bleibt
einem ja nichts anderes übrig, denke ich, obwohl
das natürlich nicht stimmt, aber früher habe ich
das selbst mal gerufen, und weil da nie jemand
auf mich gehört hat, denke ich, muss jemand mal
mit gutem Beispiel vorangehen. Zum Beispiel ich.
Und Fup. Schließlich will man ja die Demonstranten nicht unnötig frustrieren, indem man
ihnen demonstrativ zeigt, dass man einfach weiter gafft.
Früher waren es allerdings »Bürger« statt »Leute«, die man aufgefordert hat, sich einzureihen,
und bei den Bürgern ist es eigentlich kein Wunder, dass sie nicht auf mich gehört haben, denn
die wollten, dass ich »nach drüben« ginge. Inzwischen gibt es kein »drüben« mehr, und außerdem
habe ich den Eindruck, dass es auch keine Bürger
mehr gibt.
Wir laufen hinter einem Wagen her, auf dem
9
Hip-Hop gespielt wird. Das gefällt Fup. Aber es
werden auch politische Ansprachen gehalten. Alle
sollen in ihren Wohnungen bleiben dürfen, auch
die Alkoholiker, nur die »Miethaie« sollen verschwinden. Und Parolen werden gerufen: »Mietenstopp – hopphopphopp!«
Die Anarchisten der FAU tragen rote Fahnen,
auf denen schwarz FAU steht. Die SDAJ hat auch
rote Fahnen mit ihrem Namen drauf, damit man
sie nicht verwechselt. Viele Leute tragen aber
lieber Pappschilder. Auf denen steht »Miethaie
raus« und »Die verdammte Miete ist zu hoch«.
Am Straßenrand stemmt sich ein etwas nachlässig gekleideter Mann gegen den Demonstrationszug und verteilt ganz kleine blaue Zettel, auf
denen er für ein »Gratiseinkommen« eintritt. Ein
Mann in bunten Freizeithosen trägt mit seiner
Freundin ein Transparent, das von hinten aus-
10
sieht wie eine Tapete, vorne aber steht drauf:
»Bonze, wir wissen, wo dein Auto steht!« Bonze?
Von dem habe ich ja schon lange nichts mehr gehört. Bestimmt schon seit dreißig Jahren nicht
mehr. Der war so tot wie der Bürger heute. Und
jetzt fährt er plötzlich wieder Auto. Und die Leute
wissen sogar, wo es steht. Verrückt, denke ich,
aber irgendwie auch toll.
Fup gefällt Hip-Hop immer noch.
11
Bis es knallt
Nach viereinhalb Stunden mit der Deutschen
Bahn bin ich reif für ein Sanatorium. Ich bin mit
Hertha-Fans in einem Abteil eingepfercht. Die
Klimaanlage ist ausgefallen, vielleicht aber
schafft sie es einfach nicht mehr, die ganzen Ausdünstungen zu entsorgen, die sehr viele HerthaFankörper absondern. Viele liegen auf dem Boden
herum und essen aus kleinen Schachteln und
Tüten, auf denen McDonald’s steht. Noch mehr
haben Bierdosen in der Hand, und wenn sie auf
dem Boden keinen Platz mehr gefunden haben,
lehnen sie sich an andere Hertha-Fans, die auch
Bierdosen in der Hand halten, zur Not lehnen sie
sich auch an Reisende, die so aussehen, als würden sie zum ersten Mal mit Hertha-Fans zu tun
haben und bei denen es unschwer zu erraten ist,
dass ihnen unablässig: »Das Grauen, das Grauen«, durch den Kopf geht, obwohl sie Joseph Conrad gar nicht kennen.
Ein Hertha-Fan, der dieser Vorstellung vom
Grauen sehr gut entspricht, hat sein HerthaShirt ausgezogen und zeigt seine zahlreichen Tätowierungen. Sein Gesicht ist scharf geschnitten,
und wenn er grinst, kommt eine intakte Zahnleis-
12
te mit viel Gold zum Vorschein. Er erzählt mir
etwas, aber ich verstehe ihn nicht. Ich nicke zustimmend mit dem Kopf, weil es mir nüchtern
schwerfällt, mich mit jemandem zu unterhalten,
der breit wie ein Moschusochse ist. Zusätzlich
wird unsere Kommunikation dadurch erschwert,
dass ich nach fünf Versuchen der Kontaktaufnahme immer noch nicht weiß, worum es geht.
Als sich unsere Wege trennen, ruft er mir hinterher: »Ich hab heute noch Sex. Und zwar jaaanz
lange.« Dabei zeigt er seine Zähne und lacht.
An der Bushaltestelle stehe ich mit jungen Leuten zusammen, die gerade eine Polizeiausbildung
machen. Einer erzählt, wem er als Erstem »die
Fresse polieren« würde, und dass er in der Gosse
gelandet wäre, wäre er nicht bei der Polizei gelandet.
Im Bus steigen drei ältere Herren in Freizeitkleidung hinzu. Sie befinden sich gerade auf der
Rolle. Sie sind Vertreter auf der Suche nach ein
bisschen Spaß. Ein Vertreter erklärt dem anderen Vertreter, wie man Bus fährt: »Und jetzt das
Ding ganz langsam in den Schlitz schieben, bis es
knallt.« Die drei lachen, und einer wiederholt zur
Sicherheit noch mal: »Bis es knallt.« Und dann
lachen sie noch mal.
Draußen in der Dunkelheit rauscht ein großes
Plakat vorbei, auf dem mich Wowereit angrinst
und behauptet, er würde »Berlin verstehen«. Viel
Spaß, denke ich, und schließe Augen und Ohren.
13
Kontaminiertes
Sushi
Ich sitze bei einem Japaner auf dem Kottbusser
Damm und bestelle kontaminiertes Sushi. Eigentlich nur Sushi, ohne Kontaminierung, aber
die soll es ja angeblich gratis dazugeben. Und
noch eigentlicher bestelle ich weder Sushi noch
kontaminiertes Sushi, sondern die 140. Sechs
Stück. Vor dieser 140 sitze ich also, ein bisschen
in der Erwartung, erleuchtet zu werden, was natürlich Quatsch ist, aber man passt sich der Gegend an, in der man sich gerade befindet. Und
wenn ich mich auf dem Kottbusser Damm befinde, dann gehen mir eben solche völlig unnützen
Gedanken durch den Kopf. Und auf dem Kottbusser Damm wiederum befinde ich mich, weil ich ja
auch ab und zu aus dem »Graefekiez« raus muss,
in dem jeder Zweite die Grünen wählt und sogar
der neben mir wohnende Müntefering einer Minderheit angehört, und ich als PARTEI-Wähler
noch mehr, obwohl die PARTEI mit 2,8 Prozent
im Viertel ein Traumergebnis erzielt hat.
»Haste mal 50 Cent? Ick hab heute noch nichts
gegessen«, sagt eine Frau, die man nicht für eine
Bettlerin halten würde, wenn sie nicht bettelte.
14
Sie wiederholt ihren Spruch mit einer kaum kaschierten Aggressivität und in erstaunlicher Geschwindigkeit, als wollte sie sich keinen der zahlreich an ihr vorbeihastenden Passanten durch die
Lappen gehen lassen.
Ich schiebe mir gerade das zweite Stück 140 in
den Mund, als es auch mich erwischt, aber da ich
kein 50-Cent-Stück habe, blicke ich nur kurz auf
und hebe bedauernd die Schultern. »Biste ‘n
Spanner, oder wat?«, sagt sie und geht weiter.
Das gibt mir zu denken, aber ich komme zu keinem Ergebnis.
Schließlich kommt sie zurück. Ich gehe in Deckung. Sie steht vor einer Haustür und drückt
auf Klingeln. Ein älterer Türke kommt heraus.
»Wie kommt man denn hier rein, wenn man in
dem Hotel hier wohnen will?«, fragt die Bettlerin.
Hotel? Bettelt, um sich ein Hotelzimmer leisten
zu können? Warum nicht, denke ich.
Kaum aber hat der Türke den Mund aufgemacht, zischt sie: »Mit Ausländern will ich ja jetzt
echt nix zu tun haben«, und verschwindet ein
weiteres Mal.
Gottseidank hatte ich keine 50 Cent dabei. Die
kann ruhig noch ein bisschen hungern.
15
Hit the Road, Jack
Morgens zur Zeitungslesezeit begebe ich mich zu
»Monsieur Ibrahim«, um Zeitung zu lesen, diesmal jedoch nicht die übliche Presse, sondern das
neueste Journal von Miss Trixie. Vierfarbig,
kleinformatig und in nur einem Exemplar verfügbar. Ich lese in »Vermischtes«:
»In China stürzte sich ein Mann von einem siebenstockwertigen Hochhaus runter. Süchater
hatten sich 4 Jahre lang um ihn gekümmert.
Dass er wieder Lust am Leben hat. Die Süchater
waren Profis und haben sich sehr Mühe gemacht.
Experten fragen sich nun, warum es nicht geholfen hat. Wahrscheinlich war er unbeliebt, auch in
der Schule. Man glaubt auch, dass er kranke
Verwandte hat und sich Sorgen gemacht hat. Polizisten versuchen jetzt auch was herauszufinden.«
Ich bin hingerissen und deprimiert zugleich. Da
versuche ich, lustige und hinterhältige Texte zu
schreiben, und dann kommt eine zehnjährige Göre daher, noch dazu meine eigene Tochter, und
zeigt mir mal ganz nebenbei, wie ein lustiger und
hinterhältiger Text aussieht. Ich glaube, jetzt
könnte ich auch einen Süchater gebrauchen.
16
Aber den könnten hier viele gebrauchen. Zum
Beispiel der Mann vor Kaiser’s, der die Motz feilbietet wie ich das sonst nur von den Zeugen Jehovas kenne. Er hält sie stumm vor seine Brust
wie ein Mahnmal der Anklage. Obwohl, bei dem
würde ein Süchater auch nichts nützen. Geld
würde schon reichen. Auch bei dem Mann, der
aus einem Abfallkorb einen Coffee-to-go-Pappbecher herausfischt, den Deckel abmacht, den
Kaffeerest ausschüttet und den Becher dann mitnimmt. Nur am Geld kann das nicht liegen, jedenfalls nicht im Sinne von: »Ich bräuchte jetzt
einen Pappbecher, kann mir aber keinen leisten.«
In der U-Bahn-Linie 1 entern drei Spanier den
Waggon. Zwei haben Trompeten dabei, einer ein
Plastikharmonium, und dann haben sie auch
noch eine fette Box mit Anlage dabei, die sie auf
einem Hackenporsche hinter sich herziehen. Einer sagt irgendwas auf Spanisch, das ich nicht
verstehe, außer »bruta«, und dann dröhnt »Hit
The Road, Jack« von Ray Charles aus der Box. Sie
tun so, als ob sie mitspielen würden, aber nur ein
bisschen. Dann geht einer mit einem Coffee-to-goPappbecher herum. Es dämmert mir. Klar, wofür
sonst braucht man auch einen gebrauchten Coffee-to-go-Pappbecher.
Als sie den Waggon wieder verlassen, verstecken sie ihre Trompeten unter der Jacke.
17

Documents pareils