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Mit dem Tod leben
Eine Geschichte aus Kolumbien
Autor: U. Gellermann
Datum: 08. April 2009
----Buchtitel: Brief an einen Schatten
Buchautor: Héctor Abad
Verlag: Berenberg
Wir leben in einer Ära der Gewaltund diese Gewalt entsteht aus dem Gefühl der
Ungerechtigkeit.Hector Abad Gomez
Wenige Stunden vor seinem gewaltsamen Tod hatte Hector Abad Gomez über
die Gewalt geschrieben. Und über Ungerechtigkeit. In diesen wenigen Zeilen
wurde Leben zusammengefasst, das Leben eines zärtlichen, eher weichen
Mannes, eines Arztes der kein Blut sehen konnte, eines Vaters, dessen liebender
Sohn ihm ein Erinnerungsbuch geschrieben hat, eines Kolumbianers.
Kolumbien, so erzählen die Medien, da kommt Kokain her, da gibt es die FARC,
eine linke Guerilla, die Menschen entführt, Kolumbien ist weit weg. Wie
Lateinamerika ohnehin, wenn es keine negativen Meldungen abgibt, weit
entfernt erscheint. Als die alte Linke der Bundesrepublik, zeitgleich mit der DDR,
ihr sanftes Ende fand - in Ämtern, in neue Ehren oder der inneren Schau
gebettet - da hörte auch Lateinamerika auf, ein Thema der Debatte zu sein. Das
Buch des Sohns von Hector Abad, der den selben Namen trägt, bei Berenberg
erschienen, ist eine kluge Annäherung an ein Land im Schattenwinkel der
Nachrichten.
Von einer behüteten Kindheit erzählt der Schriftsteller, von einer
kolumbianischen Großfamilie, die fast alle politischen Schattierungen des
Landes umfasst, in dem seit Jahrzehnten die Gewalt als Alltag herrscht. Bis
heute tobt im Land ein Krieg, von dem wir bevorzugt erfahren, dass er von der
Guerilla geführt wird. Seltener zu lesen ist, dass seit der Amtsantritt des jetzigen
Staatspräsidenten 14.000 Kolumbianer "verschwanden" von denen die
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kolumbianische Juristenkommission sagt, dass drei Viertel der Fälle auf das
Konto des Staates gehen. Auch dass der bald 50jährige Bürgerkrieg seine
wesentliche Ursache in der unrechtmäßigen Enteignung von Ureinwohnern
und Kleinbauern hat, ist kaum zwischen den Zeilen der Zeitungen zu lesen. In
diesem Land ist Hector Abad Gomez einer von denen, der versuchte zwischen
den Fronten zu vermitteln ein aufrechtes Leben zu führen.
Der Platz zwischen den Fronten ähnelt natürlich dem zwischen den Stühlen
und hat den Arzt und leidenschaftlichen Bürger nie daran gehindert, die soziale
Wirklichkeit seines Landes zu sehen. An einen Wutanfall eines Vaters erinnert
sich der Autor, als er, der kleine Junge einmal die harmlose Bemerkung machte,
sein Vater solle doch seine Studenten anrufen: "Weißt Du nicht, dass es in
Medellin Viertel gibt, wo die Leute nicht einmal fließendes Wasser haben?" Wie
sollten sie in der Vor-Handy-Zeit Telefone besitzen! Es ist der selbe Vater, der
den Jahr um Jahr studierenden Sohn beruhigt, "dass je höher entwickelt eine
Tierart ist, ihre Kindheit und Jugend umso länger dauert". Die Familie der Abad
hat es sich auch leisten können, mag man einwenden. Doch war der Blick des
Arztes nie nur dem eigenen Kind zugewandt: Wenn er die kranken Kinder der
Armen besuchte, lautete seine unbestechliche Diagnose "Hunger" und seine
Therapie im Verleihen von Geld, das er nie zurück bekam.
So wie der Vater zwischen den Fronten von Links und Rechts lebte, so lebte der
Sohn zwischen der agnostischen Haltung des Vaters und der Betschwesterei
des größeren Teils der Familie. Wenn der jüngere Hector Abad die wöchentliche
Rosenkranz-Poliererei im Haus der Großmutter schildert, gelingt ihm ein
eindringliches Bild des kolumbianischen Konservatismus. Er lässt eine
Prozession von Kranken, Wundergläubigen und bigotten Familienmitgliedern in
einem Haus aufmarschieren, "in dem aus allen Poren Gebete . . . hervorquollen".
Vielleicht auch dieser frühen Erfahrung wegen denunziert er im Buch den
Erzbischof von Medellin, der dem ermordeten Vater die Totenmesse wegen
dessen Heidentum verweigert, als jemanden, der es weit gebracht hat. Jener
Bischof ist heute Kardinal und Vorsitzender des Päpstlichen Rates für Familie.
Das verwirrende kolumbianische Bild wäre nicht komplett, wenn nicht ein
Priester des konservativen Opus Dei doch die verbotene Messe gehalten hätte,
einer, der die Gerechtigkeitsliebe des Toten würdigte.
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Schon in den frühen sechziger Jahren hat der ältere Abad die Gewalt als
kolumbianische Krankheit diagnostiziert und eine sozialmedizinische
Untersuchung diese Phänomens empfohlen. Der Gedanke mag ein wenig naiv
erscheinen, doch wer in einem Land lebt, in dem nicht die biologisch
definierten Krankheiten die Mehrheit der Menschen dahin rafft, sondern es die
Menschen sind, die Menschen töten, scheint eine solche Analyse nicht falsch
zu sein. Die Todesrate in Kolumbien ist, seit der Regentschaft des jetzigen
Präsident, Alvaro Uribe Vélez, gesunken. Das bringt Heinrich von Berenberg, den
Verleger des Buches "Brief an einen Schatten" in seinem Vorwort zum Buch zur
Formulierung, die Lage in Kolumbien sei "stabil". Es ist eine Stabilität, die aus
der erfolgreichen Bekämpfung der FARC resultiert, jener mit dem Drogenhandel
verquickten Guerilla. Die Drogenhändler auf der konservativen Seite, die
Paramilitärs und Todesschwadronen werden in Uribes Kolumbien nicht
bekämpft. Die Mörder Hector Abads leben ungestraft. "Ich glaube, jetzt ist das
Schlimmste eingetreten", sagt der Sohn der Mutter. Und er sagt es mit jener
Selbstverständlichkeit, die mit dem gewaltsamen Tod lebt.
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