Bildpredigt an Gründonnerstag - luth. Landeskirche in Braunschweig

Transcription

Bildpredigt an Gründonnerstag - luth. Landeskirche in Braunschweig
Bildpredigt zu „Abendmahl IV, 2008“ von Ben Willikens
am Gründonnerstag (21. April 2011) in St. Martini zu Braunschweig
Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
Liebe Gemeinde,
dieses Bild und sein Titel: welch eine Zumutung. Wo sind die Menschen? Warum ist der
Tisch nicht gedeckt, aber ja, für wen denn? Könnte er nicht auch der überdimensionierte
Tisch eines Tapezierers sein, der mal eben für einen kurzen Moment den Raum verlassen
hat? Aber der Raum sieht nicht nach unterbrochener Arbeit aus. Neun Türen führen in ihn,
acht sind verschlossen, die neunte lässt samt den zugeordneten Fenstern – übrigens ohne
Rahmen, Glas und Türfüllung – unfertig fast – den Blick nach draußen zu. Und er lässt das
Draußen ins Innen leuchten. In Leonardos Abendmahl hatte Jesus genau dort seinen
Platz, wo jetzt der Durchbruch zwischen Draußen und Drinnen erfolgt. Fast will es
scheinen, als sei der ganze Raum auf das offene Portal hin ausgerichtet.
Wo ist Jesus geblieben, die Jünger, die Menschen?
Ja, das Bild ist als Vergegenwärtigung des letzten Abendmahls eine Zumutung. Ich
erinnere mich, dass ich schon einmal von Kunst und Zumutung gelesen und mir die Sätze
notiert habe. Vom wem sie sind weiß ich nicht mehr. Aber sie helfen weiter, weil sie auf die
Frage, was in der Begegnung des Menschen mit der Kunst geschieht, antworten.
„Jedes Kunstwerk ist eine Zumutung. Bei einem Werk der Gegenwartskunst ist dieser Satz
oft unmittelbar einleuchtend. … Die Zumutung besteht darin, dass Kunstwerke die
1
vorhandene Realität, die von allen Menschen erfahrene Wirklichkeit nicht einfach
darstellen oder abbilden. Sie konstruieren vielmehr eine eigene Wirklichkeit und beziehen
sie auf die immer schon vertraute ... Lebenswirklichkeit. Dadurch kann bisher
Unbekanntes oder Verdecktes an der vertrauten Wirklichkeit für die menschlichen Sinne
zugänglich werden. Kunstwerke formulieren so eine Erkenntnis in den Medien der
Sichtbarkeit, Hörbarkeit und Fühlbarkeit. Sie muten anderen Menschen zu, diese
Erkenntnis zustimmend nachzuvollziehen, zu bestreiten oder eigenständig aufzunehmen
und weiterzuentwickeln: Sie dokumentieren lediglich eine unter vielen möglichen Denkund Handlungsformen“. Die Zumutung des Kunstwerkes führt zu Auseinandersetzung mit
ihm und mit sich selbst. Sie führt zum Dialog mit anderen, die auf ihre Weise das
Kunstwerk erfahren.“
Nun denn, so will ich das Bild für mich entdecken.
Vielleicht ist es neben Ernst Noldes „Abendmahl“ aus dem Jahr 1909 und Andy Warhols
„Lust Supper“ aus den 80er Jahren eine der berühmtesten Abendmahlsdarstellungen der
modernen Kunst.
Jedenfalls ist es ein einprägsames wenn nicht gar eigentümliches Bild und so perfekt
gemalt, dass man denken könnte, es handelt sich um einen Druck oder eine Fotografie.
Erst wenn man ganz nah heran geht sieht man an minimalen Erhebungen, dass es
tatsächlich ein Gemälde ist. Ein Bild also, das mit unserer Wahrnehmung spielt – nicht nur
hinsichtlich seiner Technik, sondern vor allem mit Blick auf unser Raum- und Zeitgefühl,
die Lichte und Tiefeindimension.
Vielleicht können Sie diesen Effekt im Moment nur erahnen – daher sollten Sie, wenn
möglich, nachher noch einmal Blickwinkel und Abstand ändern. Gehen Sie an dem Bild
vorbei und halten sie es mit den Augen fest! Sie werden erleben, wie der Raum sich
ändert. Und nicht nur das: aus der Ferne betrachtet verschwinden zuerst die Türen und
man wähnt sich in einer antiken Säulenhalle, später auch noch der Tisch – als wäre man
in einem hellen unwirklichen Sarkophag. Wieder näher gekommen mag man einen
unwirtlichen Konferenzsaal des 21. Jahrhunderts oder vielleicht auch einen
Krankenhauszusammenhang assoziieren oder sich an Bilder des italienischen Malers
Giorgio des Chirico erinnert fühlen, dessen verlassene Stadtansichten ihre ganz eigenen
perspektivischen Gesetze zu haben scheinen.
Dazu kommt das gleißende Licht.
Vielleicht hätten wir vor wenigen Wochen zuerst „strahlen“ gedacht oder gesagt, aber das
will mir nach und während des schrecklichen Unglücks in Japan nicht über die Lippen. Die
Wucht, mit der Leuchtendes den Raum erhellt, kann nicht nur blenden, sondern auch
2
zerstören und verbrennen. Wir sind und bleiben viel empfindlicher und störanfälliger als wir
das oft denken oder wahrhaben wollen Auch das eine Verbindung in Zeit und Raum, von
der Willikens in der uns heute bedrückenden Aktualität nichts gewusst haben kann, zumal
sie durch die hier eben noch aufgebaute Tschernobylausstellung eine ganz eigene
Verstärkung erfährt.
Und schließlich ist da noch die eine große Vorlage von Leonardo da Vinci aus den Jahren
1494-97, die sicherlich vielen Menschen die vollkommenste Abendmahlsdarstellung ist.
(Wobei auch der hiesige Hochaltar eine spannende und sehr menschliche Variante des
Themas parat hält.)
Jedenfalls springt einen das weltberühmte da Vinci-Bild sofort an: dieselbe
Raumaufteilung, die gleiche Anzahl der Fenster und Türen, der raumfüllend breite Tisch –
und doch hat Willikens ein Bild ohne irgendetwas Menschliches gemalt; nicht mal Spuren
menschlicher Anwesenheit sind in dieser sterilen Perfektion enthalten.
Kein Krümel, kein Knick im Tischtuch, kein abgerückter Stuhl.
Ist es deshalb leer?
All das, was uns am Abendmahl wichtig ist, fehlt:
Jesus und seine Jünger. Brot und Wein. Der Schmerz der bevorstehenden Trennung und
die kostbare Nähe der letzten geteilten Augenblicke. Der Verrat. Die ganze Dynamik
zwischen diesen Figuren ...
Nichts von alledem. Mit anderen Worten: vom letzten Abendmahl bleibt uns nichts, nur ein
Raum, ein Tisch und Licht.
Ist also alles so lange her, dass uns nur noch eine Erinnerung, eine Anlehnung bleibt?
Oder hat das Abendmahl in unserer modernen Welt zwischen Glas und Stahlbeton so
sehr an Bedeutung verloren, dass es gar nicht mehr lohnt, noch einzudecken?
Oder werden die Gäste etwa noch kommen – ist der Tisch breitgestellt für jeden
denkbaren Moment, an dem man ihn brauchen könnte?
Hat Willikens ein „Spiegelbild der Rat- und Trostlosigkeit unserer Zeit herauskristallisiert,
zugleich aber auch ein asketisches Meditationsbild geschaffen, das statt einer fertigen
Antwort eine große Frage und immerhin einen jenseitigen Fluchtweg (die offene Tür F.W.)
offenläßt?“1
Die schmerzhafte, ja provokante Leere dieses Bild erhellt, was Luther niemals losgelassen
hat, wenn er vom Abendmahl sprach und sei es auch noch so schwer zu begreifen: Wir
brauchen mehr als nur Gedächtnis und Erinnerung– ein leerer Tisch ist uns zuwenig.
1
Julia Kroh, Die Darstellung des Abendmahls in der modernen Kunst, in: http://www.rpiloccum.de/wettbewerbe/jugend/beitr/abendm.html
3
Damit wir gestärkt und ein bisschen heiler in den Alltag weitergehen können, braucht es
Brot und Wein und zwar so, dass man es mit den Zähnen beißen und mit der Zunge
schmecken kann.
Und es braucht das Wort und die Nähe anderer, die ich spüren kann – und sei es nur an
der Wärme der Hand zum Friedensgruß.
Dabei ist dies erste Abendmahl mehr als jedes andere, weil mehr geschieht, als das
Christen Brot und Wein teilen. Die Geschichte jedenfalls, die zu diesem besonderen
Abend gehört, ist die Folgende (Mk 14,17-26):
Am Abend aber kam er mit den Zwölfen. Und als sie zu Tische saßen und aßen,
sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich
verraten. Und sie wurden traurig und sagten zu ihm, einer nach dem anderen: Bin
ich's? und der andere: Bin ich's? Er antwortete und sprach zu ihnen: Einer aus den
Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht. Zwar des Menschen Sohn geht hin, wie
von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch welchen des Menschen
Sohn verraten wird. Es wäre demselben Menschen besser, daß er nie geboren wäre.
Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und
sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und nahm den Kelch, dankte und gab
ihnen den; und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut
des neuen Testamentes, das für viele vergossen wird. Wahrlich, ich sage euch, daß
ich hinfort nicht trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis auf den Tag, da
ich's neu trinke in dem Reich Gottes. Und da sie den Lobgesang gesprochen hatten,
gingen sie hinaus an den Ölberg.
Am Abend aber kam er mit den Zwölfen, setzt sich mit ihnen an den Tisch.
Wir kennen die Vielschichtigkeit solcher Gemeinschaft ja selbst. Manchmal ist sie so
wenig echt, dass in der Tat ein leerer Tisch ehrlicher wäre. Manchmal gerät das Festessen
gerade mit den Menschen, die uns die wichtigsten sind, zur Mühsal. Und nie ist solche
Tischgemeinschaft frei, von dem, was zwischen Menschen passiert. Gerade Leonardos
Bild beschreibt, was Ben Willikens offen lässt: Judas sitzt mit am Tisch, er gehört dazu.
Wenn auch mit verschattetem Gesicht, wenn auch mit schwerer Last auf der Seele. Er ist,
so wie er ist, mit all seiner Schuld Teil dieser Runde.
Die Erzählung des Markusevangeliums verwebt verschiedene Gemeinschaftsaspekte
miteinander, indem sie zugleich vom Verrat des Judas, von der Sorge der Jünger
verdächtigt zu werden und von der Verheißung einer neuen anderen Gemeinschaft
erzählt. Insofern hält sie fest, was auch unser Leben prägt: das Wissen um die
4
Zerbrechlichkeit und Gehfährdung von Nähe und Gemeinschaft einerseits und die
Vorstellung eines neuen Miteinanderseins, das auf Vertrauen basiert, andererseits.
Willikens Bild allerdings verweigert, dass wir uns einem dieser Aspekte zuordnen und hält
uns gerade so einen Platz am Tisch des Herrn offen. Denn wir selbst, jede und jeder von
uns, tragen in uns beides: die Schwäche menschlichen Seins mit all unserer
Unversöhnlichkeit und Kleinlichkeit und die Sehnsucht nach Vergebung, Neuanfang und
wirklicher Nähe. Um diese Sehnsucht wach zu halten und um unseren Hunger nach
Vergebung zu stillen, dafür hat Jesus Christus das Abendmahl eingesetzt.
Der Tisch hier in Martini ist deshalb gedeckt und wir sind beim Namen gerufen. Wir dürfen
kommen so wie wir sind und wenn es gut geht, gehen wir ein bisschen lichter von hier
weg. Deshalb zuletzt ein Gedicht, das vielleicht ein bisschen vorgreift, aber jedenfalls
angesichts dieses Bildes nahe liegt.
Marie Luise Kaschnitz (1962):
Auferstehung
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
Amen
5