Kinder machen sich strafbar
Transcription
Kinder machen sich strafbar
21 D i e n s t a g , 2 9 . A p r i l 2 0 0 8 / N r. 9 9 STEFAN WIESNER Der Entlebucher Starkoch lässt an der Luga in Luzern für einmal Seite 22 andere kochen. NEUE LUZERNER ZEITUNG NEUE URNER ZEITUNG NEUE SCHWYZER ZEITUNG ZENTRALSCHWEIZ NEUE OBWALDNER ZEITUNG LUZERN NEUE NIDWALDNER ZEITUNG NEUE ZUGER ZEITUNG Bundesgericht Zentralschweiz Gelbes Auto war zu auffällig Kinder machen sich strafbar Gelb, massiv getunt und der Einzige seiner Art im Kanton Luzern: Sein auffälliger Sportwagen wurde einem Autolenker nach einem Unfall im Kanton Bern zum Verhängnis. Laut einem Urteil des Bundesgerichts wurde der Lenker zu Recht dazu verdonnert, eine Geldstrafe von 7200 Franken und eine Busse von 1500 Franken zu bezahlen. Unfall mit Fahrerflucht Der Unfall hatte sich am frühen Morgen des 20. Mai 2006 ereignet. Drei junge Frauen waren nach einem Partybesuch in Walterswil (BE) am rechten Rand der Hauptstrasse in Richtung Häusernmoos unterwegs. Zwei der drei Teenies hatten Fahrräder dabei, die sie links von sich herschoben. Auf der Höhe der Käserei Walterswil wurden die drei Frauen von einem auffälligen Sportwagen überholt, welcher zu früh wieder nach rechts einbog und mit einem der beiden Fahrräder kollidierte. Durch den Aufprall wurden zwei Velos weggeschleudert und beschädigt; die drei Frauen blieben unverletzt. Ohne sich um den Schaden zu kümmern, setzte der Lenker seine Fahrt fort. Er muss 8700 Franken blechen Das Berner Obergericht verurteilte den Lenker in zweiter Instanz zu einer Busse von 1500 Franken und zu einer unbedingten Geldstrafe von 7200 Franken (90 Tagessätze zu je 80 Franken). Die Verurteilung stützte sich auf die Aussagen einer Person, die das ganze Unfallgeschehen beobachtet hatte. Der Mann kannte sich bei Fahrzeugen aus und konnte der Polizei nicht nur die Farbe, sondern auch die Marke des japanischen Modells nennen. Ein weiterer Zeuge hatte damals den auffälligen, gelben Sportwagen mit Luzerner Kontrollschildern wenige Kilometer vom Unfallort entfernt entdeckt. Das Fahrzeug hatte einen Platten. Der Zeuge beobachtete, wie der Lenker beim Aussteigen kaum mehr richtig stehen konnte. Weil er wegen seines Alkoholrausches nicht mehr in der Lage war, den Reifen zu wechseln, hat dies der Zeuge erledigt. 2000 Franken Verfahrenskosten In seinem Urteil kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Berner Justiz den Luzerner zu Recht bestraft hat. Für die Bundesrichter war klar, dass der auffällige Sportwagen den Unfall verursacht hatte. Zur Tatzeit war im Kanton Luzern nur ein einziger gelber Personenwagen dieser Marke – jener des Unfallverursachers – eingelöst. Der Lenker muss nun eine Busse von 1500 Franken, eine Geldstrafe von 7200 Franken und die Kosten für das höchstrichterliche Verfahren von 2000 Franken übernehmen. U R S - P E T E R I N D E R B I T Z I N HINWEIS Urteil 6B_31/2008 (vom 15.4.2008) HEUTE Stadt: Freundliche Läden Die City-Vereinigung startete ihre Freundlichkeitsoffensive. Ursula Stämmer stellte kritische Fragen. Seite 23 Region: Einbürgerungsinitiative Die nationalen Medien schauen derzeit nach Emmen, Politiker sind irritiert. Seite 25 Kanton: Turnhallen Der Kantonsrat hat Ja gesagt zum Geld für die Allmend-Turnhallen. Seite 26 Zentralschweiz: Adalbert Durrer Gestern wurde der Obwaldner Politiker in Alpnach beigesetzt. Seite 29 Stadt Luzern Region Luzern Kanton Freiamt Zentralschweiz 22/23 25 26–28 28 29/31 EXPRESS Viele Kinder und Jugendliche schauen auf ihrem Handy Porno- und Gewaltvideos. Die Schulen reagieren. Jeder zweite 12- bis 16-Jährige kennt Sex- und Gewaltfilme auf dem Handy. Dies hat eine noch unveröffentlichte Studie der Universität Zürich ergeben. V O N B E N N O M ATT L I ● Oktober 2007: Unter den Schülerinnen und Schülern der Mittelpunktschule (Oberstufe) Riedmatt in Wollerau SZ kursiert ein Film mit pornografischem Inhalt. Zu sehen ist eine Schülerin in einer kompromittierenden Situation. Die Polizei befragt in der Folge mehrere minderjährige Schülerinnen und beschlagnahmt Handys. Eine strafrechtliche Untersuchung wird eröffnet. ● Oktober 2007: Unsere Zeitung macht einen Vorfall im St.-Karli-Schulhaus in Luzern publik: Primarschüler haben sich mit ihren Handys in «unglücklichen Situationen» fotografiert. Mehr will Ernst Portmann, Rektor der Luzerner Volksschule, dazu nicht sagen. ● Juni 2007: In Sarnen wird publik: Mehrere Schüler der Orientierungsschule (Oberstufe) haben Mädchen Handy-Bilder mit pornografischen Inhalten gezeigt. ● Frühsommer 2006: Ein elfjähriger Knabe zeigt seinen Mitschülern in Ebikon ein verbotenes Pornografievideo. Darauf zu sehen sind sexuelle Handlungen zwischen einem Erwachsenen und einem Tier. Eine Lehrerin verständigt die Polizei. Diese findet heraus, dass der Knabe das Video von einem Verwandten erhalten hat, einem 31jährigen Mann. Der Mann wird zu einer Woche Gefängnis bedingt verurteilt, der Knabe verwarnt. Pornoszenen mit Tieren Diese Vorkommnisse sind keine Einzelfälle. Sex- und Gewaltszenen auf dem Handy sind bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Dies zumindest zeigt eine noch unveröffentlichte Lizenziatsarbeit des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Dafür sind im September 435 Oberstufenschüler – 14 Klassen in St. Gallen und 11 in Schwyz – befragt worden. Das Ergebnis, das die «SonntagsZeitung» veröffentlicht hat, ist erschreckend: Fast die Hälfte der 12- bis 16-Jährigen ist bereits einmal mit solchen Bildern oderVideos auf dem Handy in Kontakt gekommen. Fast jeder Zehnte (8 Prozent) konsumiert sie regelmässig. Am meisten gefragt sind Sexvideos, ge- HANDYS In Stadtschulen seit 2007 verboten In der Zentralschweiz entscheiden die Gemeinden darüber, ob sie an ihren Schulen Handys verbieten. In der Stadt Luzern gilt ein solches Verbot seit Anfang 2007 an allen Primar- und Oberstufenschulen. Die Schüler dürfen ihre Handys zwar in die Schule mitnehmen, diese aber weder im Schulhaus noch auf dem Pausenplatz benutzen. Laut Ernst Portmann, Rektor der Volksschule der Stadt Luzern, hat sich das Handy-Verbot bewährt. «Die meisten Schüler halten sich daran.» Handy wird weggenommen Auch andere öffentliche Schulen kennen ein Handy-Verbot, so zum Beispiel Kriens, Ebikon und Horw. Dort ist es wie in Luzern im Schulhaus und auf dem Pausenplatz verboten, das Handy zu benutzen. Bei einem Verstoss setzt es in Kriens eine Verwarnung ab, beim zweiten Mal muss das Handy für sieben Tage abgegeben werden. Beim dritten Verstoss wird das Handy dem Schulleiter übergeben, bei dem es von den Eltern abgeholt werden muss. In Emmen, Littau, Malters und Meggen ist das Benutzen des Handys während des Unterrichts oder im Schulhaus verbobem ten. HANDY-MISSBRAUCH Tipps für Eltern Prüfen Sie, welches Handy für Ihr Kind geeignet ist und welche Funktionen sinnvoll sind. ● Fragen Sie hin und wieder nach, welches Video- und Bildmaterial Ihr Kind gesehen hat und was es dabei empfunden hat. ● Sprechen Sie mit Ihrem Kind über die sinnvolle Nutzung des Handys, thematisieren Sie mögliche Gefahren und treffen Sie klare Abmachungen über erlaubte und nicht erlaubte Funktionen und Inhalte des Handys. ● Weisen Sie Ihr Kind darauf hin: Wer illegale Darstellungen auf seinem Handy hat, macht sich strafbar. ● Sperren Sie bei Bedarf den Interbem netzugang des Handys. ● HINWEIS Die Stiftung für Konsumentenschutz hat den Ratgeber «Kids im Netz» veröffentlicht, Bezug unter Telefon 031 307 40 40 oder www.konsumentenschutz.ch/shop. Das Handy auf dem Schulhausplatz (gestellte Szene): Wer seinen Klassenkameraden BILD MARKUS FORTE Pornovideos zeigt, macht sich strafbar. folgt von Pornoszenen mit Tieren sowie entwürdigenden, peinlichen Bildern von Jugendlichen und Prügelszenen. Die meisten Videos stammen aus dem Internet, einige sind selbst produziert. «Handys sind ein Problem», sagt Ernst Portmann, Rektor der Volksschule der Stadt Luzern. «Sie ermöglichen den unbeschränkten Konsum von porno- grafischen oder gewalttätigen Videos.» An den Stadtschulen hat man das Problem laut Portmann aber im Griff (siehe Kasten): «Unser Handy-Verbot, das seit 2007 gilt, hat sich bewährt.» Kinder oder Jugendliche, die illegales Material auf ihrem Handy gespeichert haben oder dieses anderen zeigen, machen sich strafbar. Illegal sind Bilder und Filme, die sexuelle Handlungen mit Kindern oder Tieren zeigen sowie Gewalttätigkeiten. Wenn ein Kind oder Jugendlicher solches Material anderen zeigt oder weiterschickt, kann es einen Verweis, eine Busse oder eine Arbeitsleistung geben. Zudem kann das Handy eingezogen werden. Genau gleich bestraft werden kann jemand, der solche Bilder oder Filme nur anschaut. Allerdings: Schaut ein Kind einen normalen Pornofilm (Sex zwischen Erwachsenen), macht es sich nicht strafbar. Erst durch das Versenden an minderjährige Kollegen begeht es eine Straftat. Studie/Tipps: Die Kernergebnisse der Studie und Tipps für Eltern finden Sie auf www.zisch.ch/bonus «Die Zahlen schockieren mich nicht» 50 Prozent der 12- bis 16-Jährigen sind gemäss einer neuen Studie schon einmal in Kontakt mit pornografischem Material gekommen. Gabriela Jegge, Sexualpädagogin der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz (PHZ) Luzern, macht dafür auch die Erwachsenen verantwortlich. Knaben beliebt. Hier spielt der Gruppendruck eine wichtige Rolle. Je ausgefallener die Szene, umso mehr Mut braucht es, den Film zu konsumieren. 90 Prozent der Mädchen lehnen solche Videos ab. Was konsumieren sie? Jegge: Sie sind an Erotik interessiert. Harte Pornografie empfinden die Mädchen als abstossend. Was sagen Sie zu den neuen Zahlen? Gabriela Jegge: Das tönt vielleicht abgeklärt, doch die Zahlen schockie- Welche Auswirkungen haben die Videos auf das Sexualleben ren mich nicht. der Jugendlichen? Denn die JugendliPositive Jegge: chen konsumieren «Die Jugendlichen und negative. Positiv nur das, was die konsumieren nur das, was ist, wenn sich die Erwachsenen ins die Erwachsenen ins Jungen dadurch mit Internet stellen. Sie Internet stellen.» ihrer Sexualität auskommen also aueinandersetzen. Netomatisch in KonGABRIELA JEGGE, PHZ LUZERN gativ ist, wenn sie nur takt mit der Pornonoch Pornos konsugrafie. Auch wir hätten solches Material konsumiert, mieren und mit niemandem darüber wenn es das Internet bereits gegeben reden. Dann fehlt die differenzierte Sichtweise; sie halten diese Sexualität für hätte. die anzustrebende. So könnte es dazu kommen, dass ein Jugendlicher den Was fasziniert die Jugend daran? Jegge: Sie weckt ihre Neugierde Partner zu einer Handlung zwingt. und Lust, mehr darüber zu erfahren. Wie hat sich das Sexleben der JugendliBesonders beliebt sind scheinbar Por- chen verändert? noszenen mit Tieren. Warum? Jegge: Interessanterweise nur unweJegge: Aus anderen Studien weiss sentlich. Nach wie vor wollen Jugendliman: Solche Szenen sind primär bei che Liebe, Treue und Zärtlichkeit. Wieso also diese Aufregung? Jegge: Wer pornografisches Material dreht oder weiterschickt, macht sich strafbar. Das sollen die Jugendlichen wissen. Bewirken Verbote nicht das Gegenteil? Jegge: Verbote sind tatsächlich reizvoll. Darum müssen die Jungen das Verbot nachvollziehen können. Auch ist es wichtig, mit ihnen über Pornografie zu reden. Wie bereiten Sie Lehrer aufs Thema vor? Jegge: Wir raten den Studenten, das Thema in den Klassen anzusprechen, Elternabende zu organisieren und auch auf die strafrechtlichen Folgen aufmerksam zu machen. Für viele ältere Lehrer ist das Internet ein rotes Tuch. Was unternimmt die PHZ dagegen? Jegge: Wir bieten Weiterbildungskurse im Umgang mit neuen Medien an. Und jetzt sind wir beim Kern des Problems: Viele Erwachsene, und hierzu gehören auch Lehrer, sind weniger mit den jungen Medien vertraut als die Jugend. Entsprechend kennen sie die Plattformen nicht, die die Jugendlichen nutzen. Dieses Manko gilt es zu SIMONE HINNEN beheben.