Download-Fassung als PDF - Lippische Landesbibliothek

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Vom „verbummelten Lied“ zum Festgesang
Joseph Victor von Scheffels „Die Teutoburger Schlacht“
von Detlev Hellfaier
Druckfassung in: Lippische Mitteilungen 79 (2010), 170-191.
Als „verbummeltes Lied“ und „abnormes
Epos“ qualifizierte der 22-jährige Jurastudent Joseph Victor (von) Scheffel
seine jüngst entstandenen Verse über die
„Die Teutoburger Schlacht“, als er diese
am 31. Oktober 1848 von Heidelberg aus
der Redaktion des humoristisch-satirischen Wochenblattes „Fliegende Blätter“
zur Publikation offerierte. Um die
„künstlerische Auswahl und Critik“ der
Adressatin in die gewünschte Richtung zu
lenken, unterstrich er, dass „gerade neben dem größten Ernste der Zeit auch der
Humor um so reichlicher wachsen“ müsse
und sich darüber hinaus sein Werk „zu
einer Reihe ebenso gelungener Illustrationen“ eigne, wie das schon bei früher
erfolgten Einsendungen der Fall gewesen
sei.1 Scheffel hatte den richtigen Instinkt;
denn parodistische Beiträge und kritischengagierte politische Satire, versehen mit
Karikaturen
ausgesuchter
Künstler,
zeichneten gerade im Vormärz und in den
Folgejahren die „Fliegenden Blätter“ aus
und begründeten ihre wachsende Beliebtheit.2 Die ambitionierten Heraus1
Nach LINSE, EMIL, J[oseph] V[ictor] v[on]
Scheffels Lied von der „Teutoburger
Schlacht“, eine Studie, Dortmund 1909, 11.
2
Fliegende Blätter, München: Braun &
Schneider, 1845-1944; die Zeitschrift erschien anfangs unregelmäßig, später wöchentlich. Im Vormärz und in den 1850er
Jahren machte neben humoristischen Beiträgen auch politische Satire den Inhalt
aus, nach behördlichen Repressalien und
Konfiskationen wandten sich die Blätter
allerdings bald ganz von der Politik ab und
widmeten sich zunehmend volkstümlichheiterer Unterhaltung, vgl. Obenaus, Sibylle, Literarische und politische Zeitschriften, 1848-1880, Stuttgart 1987, 74-76. –
Die Zeitschrift ist auch in (Teil-)Faksimiles
und als elektronische Ressource verfüg-
geber und Verleger Caspar Braun und
Friedrich Schneider, die die Zeitschrift im
Jahre 1845 in München ins Leben gerufen
hatten, griffen ohne zu Zögern zu. Und so
konnten sich die Leser im Jahrgang 1849
(Nr. 229, S. 100-102) nicht nur an den 13
Strophen des bissig-frivolen Gedichts „Die
Teutoburger Schlacht“ ergötzen, sondern
hatten gewiss auch ihr Vergnügen an den
acht Holzschnitten, mit denen der Illustrator Ernst Fröhlich (1810-1882),3 ein
ausgewiesener Buchkünstler, das Geschehen deftig unterlegt hatte. Nur das
bescheidene Namenskürzel „J. S.“ wies
auf den Autor des Liedes hin, das sich
später unter seinem Eingangsvers „Als
die Römer frech geworden“ bis heute im
deutschen Liedschatz erhalten hat. Während sich die Entstehungszeit der Strophen so einigermaßen eingrenzen lässt,
bar; jüngst hat die Universitätsbibliothek
Heidelberg damit begonnen, ihr Exemplar
zu digitalisieren und im Netz verfügbar zu
machen, http://www.ub.uni-heidelberg.de/
helios/fachinfo/www/kunst/digilit/fliegend
eblaetter.html. Einen Querschnitt aus den
ersten Jahrgängen bietet Bernhard, Marianne (Hg.), Fliegende Blätter, eine Auswahl aus dem ersten Jahrzehnt, (Die bibliophilen Taschenbücher 74) Dortmund
1979; die Lippische Landesbibliothek Detmold (LLB) verfügt über ein nicht ganz
vollständiges Exemplar, Signatur: SW
253c.4°; die Nummer 229 mit dem Erstdruck der „Teutoburger Schlacht“ wurde
in der Jubiläumsausstellung im Lippischen
Landesmuseum in Detmold gezeigt, vgl.
Berke, Stephan (Bearb.), 2000 Jahre Varusschlacht. Mythos, Stuttgart 2009, 345346, Kat.-Nr. 235.
3
Über ihn vgl. THIEME, ULRICH (Hg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler,
Bd. 12, Leipzig 1916, 519-511; FLEMIG, KURT,
Karikaturisten-Lexikon, München 1993, 79.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
1
kann man die näheren Umstände, die den
Verfasser veranlasst haben, sich mit dem
Stoff der Varusschlacht zu befassen, allenfalls wahrscheinlich machen.
Künstlerische und schöngeistige
Neigungen traten bei dem im Jahre 1826
in Karlsruhe als Sohn eines Ingenieurs und
Oberbaurats geborenen Joseph Victor
Scheffel schon früh zu Tage.4 Nur zu gern
4
Die Literatur über Joseph Victor (von)
Scheffel ist kaum noch zu übersehen; neben der materialreichen, aber mittlerweile
überholten frühen Biographie von PROELSS,
JOHANNES, Scheffel’s Leben und Dichten,
mit vielen Original-Briefen des Dichters,
Berlin 1887, vgl. vor allem die jüngeren Untersuchungen von SELBMANN, ROLF, Dichterberuf im bürgerlichen Zeitalter, Joseph
Viktor von Scheffel und seine Literatur,
(Beiträge zur neueren Literaturgeschichte,
3. F., 58) Heidelberg 1982; MAHAL, GÜNTHER,
Joseph Viktor von Scheffel, Versuch einer
Revision, Karlsruhe 1986; BERSCHIN, WALTER
/ WUNDERLICH, WERNER (Hg.), Joseph Victor
von Scheffel (1826-1886), ein deutscher
Poet – gefeiert und geschmäht, Ostfildern
2003, dieser Tagungsband enthält u.a. eine
Scheffel-Bibliographie, die 387 Titel neuerer Literatur nachweist, s. SCHANK, STEFAN,
Joseph Victor von Scheffel: Bibliographie
1945 bis 2001, 223-250; eine dankenswerte
Aktualisierung bis zum Erscheinungsjahr
2005 von SCHANK, STEFAN, Joseph Victor
von Scheffel: Bibliographie 1945 bis 2005 /
für den Zeitraum 2001 bis 2005 zsgest. von
JÜRGEN OPPERMANN, Karlsruhe 2006 [Online-Ressource; URL: http://www.boabw.de/bsz279239637.html]; für die ältere
Literatur und namentlich für die frühen
Textausgaben und Übersetzungen ist hilfreich die Zusammenstellung von BREITNER,
ANTON, Joseph Viktor von Scheffel und
seine Literatur, Bayreuth 1912; zuletzt erschienen der informative biographische
Abriss von MESSMER, ROBERT, Joseph Victor
von Scheffel, Schriftsteller und Dichter,
1826-1886, in: TADDEY, GERHARD (Hg.), Lebensbilder
aus
Baden-Württemberg,
Stuttgart 2005, 242-261, sowie der knappe
Überblick
von
SCHMIDT-BERGMANN,
HANSGEORG, Scheffel, Joseph Victor von, in:
NDB, Bd. 22, Berlin 2005, 610-612. – Werkausgaben liegen vor von J. PROELSS (7 Bde.,
1907-1908), J. FRANKE (10 Bde., 1917), A.
KLAAR (6 Bde., 1917), A. KUTSCHER (3 Bde.,
1917), K. SIEGEN / M. MENDHEIM (6 Bde.,
Viktor von Scheffel
hätte sich der spätere „Lieblingsdichter
des deutschen Bildungsbürgertums“ der
Malerei verschrieben, doch folgte er dem
auf eine Beamtenlaufbahn ausgelegten
Wunsch des Vaters und schrieb sich im
Herbst 1843 in der juristischen Fakultät
der Universität München ein. Studienaufenthalte in Heidelberg, wo er einer studentischen Verbindung beitrat, in Berlin
und wieder in Heidelberg folgten. Im
März 1847 kehrte er als Rechtskandidat in
seine Heimatstadt zurück, brachte 1848
das juristische Staatsexamen hinter sich
und erwarb am Anfang des folgenden
Jahres an der Universität Heidelberg den
Doktorgrad. Seine Dissertation fasste er
in lateinischer Sprache ab.5 Noch als
Rechtskandidat fungierte er als Sekretär
des liberalen badischen Gesandten in der
Paulskirche, Karl Theodor Welcker, der
ihm allerdings in zu konservativen Kreisen
1917; neu in 2 Bdn. von A. A. STEINER, 1969)
und F. PANZER (4 Bde., 1920, 2. Aufl. 1925,
Nachdr. 2004).
5
Über Scheffels Jurastudium und seine
juristische Tätigkeit ist heranzuziehen
HAEHLING VON LANZENAUER, REINER, Dichterjurist Scheffel, (Schriftenreihe des Rechtshistorischen Museums Karlsruhe 6) Karlsruhe 1988.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
2
verkehrte; ihm sei klar geworden, „dass
die Republik unsere Zukunft sein muss“,
schrieb er damals seinem Vater.6 Später
bekannte er sich eher zu den Anhängern
der konstitutionellen Monarchie und favorisierte eine großdeutsche Lösung.
Die Abfassung der Verse von der
„Teutoburger Schlacht“ wird gern in die
Zeit von Ende Mai 1847 bis zu ihrer Zusendung an die Redaktion der „Fliegenden Blätter“ Ende Oktober 1848 gelegt.7
Während über das Enddatum nicht diskutiert zu werden braucht, beruht das erstere auf dem Faktum, dass Scheffel
schon am 26. Mai 1847 seine „Lieder eines
fahrenden Schülers“ an die „Blätter“ geschickt hatte, die diese auch im Jahrgang
1847 (Nr. 116, S. 153-156) gebracht haben;
weitere erschienen im Folgejahrgang.8
6
Scheffel an Philipp Jakob Scheffel, Frankfurt/Main, 5.4.1848 (ZENTNER, WILHELM
<Hg.>, Joseph Victor von Scheffel, Briefe
ins Elternhaus 1843-1849, Karlsruhe 1926,
177).
7
LINSE 1909, 13; danach auch ANEMÜLLER,
ERNST, Das Lied von der Teutoburger
Schlacht, in: Der Teutoburger Wald, 1
(1925), 6 (Juli); LANG, RAIMUND, „Als die
Römer frech geworden ..“, 1. Scheffels
Bänkelsängerlied über einen o-beinigen
Feldherrn; 2. Die Metamorphose eines
Bänkelgesangs zum Festlied, in: Studenten-Kurier, N.F. 12 (1997), 2, 13-16; 3, 12-15;
BRODERSEN, KAI, „Als die Römer frech geworden“. Historische Kontexte eines
‚Volkslieds’, in: WAGNER-EGELHAAF, MARTINA
(Hg.), Hermanns Schlachten. Zur Literaturgeschichte eines nationalen Mythos,
(Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen 32) Bielefeld 2008, 107127; HELLFAIER, DETLEV, Bummellied und
Hymne. Scheffels „Teutoburger Schlacht“,
in: Heimatland Lippe 102 (2009), 254-256.
8
Fliegende Blätter, 1848, Nr. 151, S. 50-52;
Nr. 153, S. 70-71. – Scheffel an die Redaktion, Karlsruhe, 26.5.1847 (LINSE 1909, 7);
von einem „Schock Bummellieder“, die er
an die „Fliegenden Blätter“ geschickt
habe, berichtet Scheffel am 8.8.1847 seinem Studienfreund Karl Schwanitz in Eisenach (SCHEFFEL, Briefe an Karl Schwanitz
<Nebst Briefen der Mutter Scheffels>
<1845-1886>, Leipzig 1906, 87). Gelegentlich haderte der Autor mit der ungeschick-
Das Lied über die Schlacht im Teutoburger Wald war damals noch nicht enthalten, daraus schließt man, dass die Reime
zu diesem Zeitpunkt noch nicht existiert
haben. Zwingend ist das keineswegs,
denn selbstverständlich hätten zumindest
schon Ideenskizzen, Entwürfe, einzelne
Strophen und ähnliches vorliegen können. Auch ist nicht einmal ausgeschlossen, ob nicht ohnehin eine frühe Fassung
bereits in der Kneipzeitung der Burschenschaft Frankonia, als deren Redakteur
Scheffel zeitweilig fungiert hat, erschienen ist. Juristische Kommilitonen, Bundesbrüder und Mitkandidaten mögen zu
unterschiedlichen Gelegenheiten sogar
das eine oder andere beigesteuert haben;
Kneipabende bei rauem Männergesang
beflügeln nach reichlichem Biergenuss die
Dichtkunst. Verlässliche Aufschlüsse können hier nur vom autographen Befund
erwartet werden.9
ten Auswahl eingesandter Stücke und der
säumigen Veröffentlichung, die er sich mit
den anzufertigenden Illustrationen erklärte, vgl. Scheffel an Friedrich Eggers,
Karlsruhe, 17.10.1847 (RUGE, GERDA <Hg.>,
Eine Studienfreundschaft. Scheffels Briefe
an Friedrich Eggers 1844/1849, Karlsruhe
1936, 58-59); Scheffel an Philipp Jakob
Scheffel,
Frankfurt/Main,
19.5.1848
(ZENTNER, 1926, 183-184); manches erschien
erst nach Jahresfrist oder gar nicht, Scheffel an Philipp Jakob Scheffel, Frankfurt/Main, 8.6.1848, und vom 22.6.1848
(ebenda, 189, 191).
9
Der im Museum für Literatur am Oberrhein, Karlsruhe, aufbewahrte Nachlass
des Dichters enthält nur eine 13-strophige
Reinschrift des Liedes „Die Teutoburger
Schlacht“, Nachlass Scheffel Nr. 1449;
Entwürfe oder Vorstudien sind nach
freundlicher Auskunft meines Kollegen Dr.
JÜRGEN OPPERMANN, Karlsruhe, dort nicht
überliefert; der Nachlass des Dichters ist
vorzüglich erschlossen von SCHMIDTBERGMANN, HANSGEORG (Hg.), Joseph Victor
von Scheffel. Inventar zu Nachlass und
Sammlung, Bd. 1-3, (Schriften des Museums am Oberrhein 2, 1-3) Karlsruhe 2001.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
3
Viktor von Scheffel, Die Teutoburger Schlacht, in: Fliegende Blätter 1849, Nr. 229, S. 100-102
LLB Detmold, SW 253c.4º
Grundsätzlich ist zu fragen, welche Ansatzpunkte es überhaupt gibt, die
Anfänge des Liedes näher in den Griff zu
bekommen. Unstreitig ist, dass sich das
Zeitfenster wohl von Scheffels zweitem
Studienaufenthalt in Heidelberg von November 1846 bis März 1847 über die sich
unmittelbar anschließende Periode als
Kandidat in Karlsruhe, Frankfurt und Heidelberg bis eben zum eingangs genannten Schreiben mit Beilagen vom 31. Oktober 1848 an die Redaktion der „Fliegenden Blätter“ anbietet. Unmittelbare Äußerungen des Autors zum Entstehen seines später so von ihm charakterisierten
„lustigen Studentenliedes“ fehlen bisher.
Befragt man das kleine Werk selbst, so
bleibt die Ausbeute gering. Unmittelbaren Gegenwartsbezug weist das in der 13.
und letzten Strophe spöttisch besungene
unfertige Hermannsdenkmal auf. Es war
deutschlandweit bekannt, dass im Herbst
1846 nach Fertigstellung des 28 m hohen
Unterbaus, des Umgangs („Piedestal“)
und des Kegelstumpfs für die ArminiusFigur die Arbeiten am Denkmal aufgrund
ausbleibender Spendengelder und allge-
mein nachlassender Begeisterung zum
Erliegen gekommen waren; zumindest die
bissigen Verse können erst danach entstanden sein:
„Und zu Ehren der Geschichten
Will ein Denkmal man errichten,
Schon steht das Piedestal,
Doch wer die Statue [franz. auszusprechen]
bezahl
Weiß nur Gott im Himmel!“
Autobiographische Züge tragen sicher die
Strophen sieben und acht. Die Reime
werden heute gern übergangen, da man
mit ihrer schauerlichen Situationskomik
nichts mehr Rechtes anzufangen weiß.
Bekanntlich geht es um den im Römerheer als Volontär dienenden Rechtskandidaten Scaevola, der von den Cheruskern
gefangen genommen und grausam gefoltert wird, indem man ihn vor dem Aufhängen rücklings auf sein Exemplar des
Corpus iuris nagelt. Scheffel belegt damit
seine gute Quellenkenntnis, denn Florus
beschreibt im zweiten Buch seiner „Rö-
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
4
mischen Geschichte“10 nicht nur den
Selbstmord des Varus in den Sümpfen
und Wäldern Germaniens, sondern auch
die ausgesuchten Gräuel der siegreichen
Stämme insbesondere gegen die römischen Rechtskundigen (in causarum
patronos), die vom Ausstechen der Augen, über das Abhacken der Hände zum
Herausschneiden der Zunge und des Zunähen des Mundes reichen; diese Marterszenen haben die Karikaturisten und Illustratoren stets zu Höchstleistungen
angespornt.11 Im Volontär Scaevola darf
man getrost Scheffel selbst sehen, der
seit März 1848 einerseits ohne Bezüge als
Sekretär für den Abgeordneten Welcker
tätig war, andererseits sich als Rechtskandidat parallel dazu auf seine juristischen Staatsprüfungen vorbereiten und
sich hier u. a. durch das römische Recht
quälen musste; das Examen soll er
schließlich „in einem wahren Parforceritt“
bestanden haben. Seiner Aversion gegen
das römische Recht hat er wenig später in
seinem „Trompeter von Säckingen“ noch
einmal Luft gemacht, wo er der Hauptfigur in den Mund legt:
„Römisch Recht, gedenk’ ich deiner,
Liegt’s wie Alpdruck auf dem Herzen,
Liegt’s wie Mühlstein mir im Magen,
Ist der Kopf wie brettvernagelt!“12
10
FLORUS, Epitoma de Tito Livio, II, 36-37.
11
Die Illustrationen sind ebenso zahlreich
wie der Abdruck des Liedes; beispielhaft
sei verwiesen auf: HESSE, FERDINAND (Hg.),
Viktor Scheffel-Album. Perlen deutschen
Humors. Gesammelte Dichtungen von Viktor von Scheffel. Mit 325 Originalbildern
namhafter Künstler, Berlin-Schöneberg
1913, unpag.
12
SCHEFFEL, Sämtliche Werke, FRANKE, JO(Hg.), Bd. 1, Leipzig 1917, 19; seine
rund 100 Seiten starke juristische Examensarbeit, die er später zur Dissertation
ausgebaut hat, befasste sich mit dem
komparatistischen Thema „Über die Natur
und Bedeutung des Surrogats nach römischen und französischem Recht“ und war
im Herbst 1847 fertig geworden, Scheffel
an Friedrich Eggers, Karlsruhe, 17.10.1847
(RUGE 1936, 54).
HANNES
Viktor von Scheffel, Die Teutoburger Schlacht,
Reinschrift, o. Datum, Karlsruhe, Museum für
Literatur am Oberrhein, Nachlass Scheffel, Nr. 1449.
Mithin bedeuten die besagten Strophen
geradezu eine persönliche Abrechnung
des Kandidaten mit einem ungeliebten
Studien- und Prüfungsstoff. Die historische Person des römischen Rechtsgelehrten Quintus Mucius Scaevola († 82 v. Chr.)
gab obendrein ein treffliches Motiv ab:
Zum Einen gilt er als Verfasser eines 18bändigen Ius civile, zum Anderen lässt sich
in seinem Namen mit etwas Wohlwollen
eine vulgär-latinisierte Form von Scheffel
erkennen (Scaevola = Scefela); zumindest
ist ein Namensgleichklang nicht von der
Hand zu weisen. Das bedeutet, dass diese
beiden Strophen vergleichsweise spät
entstanden sein könnten, eben erst in der
Zeit, als Scheffel Rechtskandidat war. Für
die Datierung des gesamten Liedes besagt das nichts, hier kommt man beim
gegenwärtigen Wissensstand über den
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5
eingangs genannten Zeitrahmen nicht
hinaus.
Unabhängig davon, wie weit
Scheffel in der vaterländischen Geschichte bewandert war und er die dramatischen Bearbeitungen der Hermannschlacht von Klopstock, Kleist oder
Grabbe kannte, die unmittelbare Anregung zu seinem Bänkelgedicht dürfte er
mit
ziemlicher
Sicherheit
Heines
„Deutschland, ein Wintermärchen“, das
1844 erschienen war und das sich gerade
in Studentenkreisen ausgesprochener
Beliebtheit erfreute, erhalten haben. Im
Kapitel XI, dem „Arminius-Caput“, heißt
es dort bekanntlich über Varus:
„Das ist der Teutoburger Wald,
Den Tacitus beschrieben,
Das ist der klassische Morast,
Wo Varus stecken geblieben.
Hier schlug ihn der Cheruskerfürst
Der Hermann, der edle Recke;
Die deutsche Nationalität,
Die siegte in dem Drecke.“13
Heines „satirisch beschriebenen Germanensieg“ nimmt Scheffel auf, schlachtet
ihn aber nur zu witzigen Pointen aus;
feinsinniger Spott am Bemühen um eine
„deutsche Nationalität“ und literarische
Ironie an restaurativer Deutschtümelei
lagen dem Badener fern. Aus dem „klassischen Morast“ und dem „Sieg im Drecke“
bleibt dann nur noch „Er geriet in einen
Sumpf, / Verlor zwei Stiefel und einen
Strumpf / Und blieb elend stecken“. Und
auch zur letzten Strophe seines Liedes, in
13
HEINE, Hist.-krit. Gesamtausgabe („Düsseldorfer Ausgabe“), WOESLER, WINFRIED
(Bearb.), Bd. 4, Hamburg 1985, 114-116; vgl.
auch zum Folgenden BRODERSEN 2008, 112117; KÖSTERS, KLAUS, Mythos Arminius. Die
Varusschlacht und ihre Folgen, Münster
2009, 229-233; LÖRCHNER, SANDRA, „Gottlob!
Der Hermann gewann die Schlacht, [...]
[u]nd wir sind Deutsche geblieben!“ Ironisierender Blick auf die „Schlacht im Teutoburger Wald“, in: LOSEMANN, VOLKER /
STIEWE, BARBARA, Arminius / Hermann und
die Deutschen. Ein nationaler Mythos,
Marburg 2009, 51-58.
der es um das Denkmal geht, dürfte
Scheffel von Heines Ausgangsversen
animiert worden sein:
„O Hermann, dir verdanken wir das!
Drum wird dir, wie sich gebühret,
Zu Dettmoldt ein Monument gesetzt;
Hab’ selber subskribiret“.
Entgegen manch anderer Darstellung hat
Heine den Denkmalsbau finanziell nicht
unterstützt; er wäre sich selbst untreu
geworden.14 Neben ihm, der schon in seiner 1826 erschienenen „Harzreise“ in
munterer Zechrunde im Brocken-Restaurant einem Greifswalder Studenten, der
sich mit der Abfassung eines „Nazionalheldengedichts zur Verherrlichung Hermanns und der Hermannsschlacht“ trug,
grotesk-alberne Ratschläge zur Abfassung eines solchen Epos gegeben haben
will,15 haben sicher noch andere Studentenlieder Pate gestanden; immerhin war
das Hermann-Motiv weit verbreitet und
die allgemeine Hermann-Begeisterung
trug auch bei Scheffel ihre lyrischen
Früchte, „wenn der Humor sich einstellt.“16 Vielleicht kannte Scheffel das
1808 entstandene Lied „Auf, singet und
trinket den köstlichen Trank“, das noch
heute in den Kommersbüchern zu finden
ist, und das vom Sieg der Bier trinkenden
Germanen über die vom Weingenuss er14
Ein Quellenbeleg für eine finanzielle Zuwendung Heines zum Denkmalsbau
konnte bisher nicht beigebracht werden,
allerdings wurde ihm vom Verein für das
Hermannsdenkmal über die Pariser Buchhandlung Brockhaus und Avenarius eine
Druckgraphik des projektierten Denkmals
zugeleitet; nach der französischen Fassung des „Wintermärchens“ hat Heine die
fiktive Summe von cinq centimes beigesteuert, was seine Einstellung zum Denkmalsprojekt in aller Deutlichkeit zeigt;
HEINE 1985, 1125.
15
HEINE, Hist.-krit. Gesamtausgabe („Düsseldorfer Ausgabe“), HERMAND, JOST (Bearb.),
Bd. 6, Hamburg 1973, 123.
16
So motivierte er am 8.6.1848 eine aktuelle
Sendung an die „Fliegenden Blätter“,
Scheffel an Philipp Jakob Scheffel (ZENTNER
1926, 191).
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
6
müdeten Römer kündet.17 Der entsetzte
Augustus der 11. Strophe („Erst blieb ihm
vor jähem Schrecken …“) findet seine
Parallele in den letzten Versen dieses
Studentenliedes, wo es heißt „Da konnte
Roms Kaiser des Siegs sich nicht freun, /
Er weinte sich heiser und klagte beim
Wein“. Dass er den verzweifelten Ausruf
des Kaisers aus Suetons Kaiserviten nahezu wörtlich übernommen hat, wo es
heißt „Quintili Vare, legiones redde,“18 ist
bekannt. Bereits Grabbe legte im
„Schluss“ seiner „Hermannsschlacht“
dem sich mühsam aufrichtenden Augustus die Worte „Varus, Varus, gib mir
meine Legionen wieder!“ in den Mund.19
Nach der Veröffentlichung des
Liedes von der „Teutoburger Schlacht“
im Jahre 1849 in den „Fliegenden Blättern“ fanden die 13 Strophen Eingang in
das 1855 im Verlag der Gebrüder Baensch
in Magdeburg erschienene „Commersbuch für den deutschen Studenten“;
während Verfasser- und Titelangaben
fehlen, werden als Quelle die „Fliegenden
Blätter“ und als Melodie diejenige des
verbreiteten Liedes „Die Hussiten zogen
vor Naumburg“, das seinen Text Karl
Friedrich Seyferth, einem Juristen aus
Langensalza (1832) verdankt, angegeben;20 auch das 1858 erstmals bei
17
Darauf hat LANG 1997, 1, 14, aufmerksam
gemacht. Unter der Eingangsstrophe „Auf
Brüder und trinket / Den köstlichen Trank! /
Auf jubelt, und singet / Dem Geber den
Dank“ erschien das Lied zuerst in dem
kleinen anonymen Liederbuch: Lieder im
geselligen Kreise zu singen, Greifswald
1808, 13-15; die Vermutung LANGs, dass
Scheffel dieses Lied aus der Anthologie
von POCCI, FRANZ VON, Alte und neue Studentenlieder mit Bildern und Singweisen,
Landshut 1844, gekannt haben mag, trifft
nicht zu, da das Lied darin gar nicht enthalten ist.
18
SUETON, De vita Caesarum, 23,2.
19
GRABBE,
Hist.-krit.
Gesamtausgabe,
BERGMANN, ALFRED (Bearb.), Bd. 3, Emsdetten 1961, 379.
20
Vgl. dazu MITZSCHKE, PAUL, Das Naumburger Hussitenlied. Ein Beitrag zur Ge-
Schauenburg in Lahr verlegte „Allgemeine Deutsche Kommersbuch“ mochte
auf das in Studentenkreisen beliebte Lied
römisch-germanischen Raufhändels nicht
verzichten – und verzeichnet es noch
heute in der 165. Auflage von 2008. Wohl
eher auf sanften Druck von Freunden,
besonders durch den geselligen Heidelberger Akademikerstammtisch der „Engeren“, als aus eigener Überzeugung
heraus hat Scheffel 1868 eine Anthologie
seiner heiteren Poesie unter dem Titel
„Gaudeamus! Lieder aus dem Engeren
und Weiteren“ bei Metzler in Stuttgart
herausgebracht. Diese Sammlung von
Gedichten, Studenten- und Trinkliedern
sowie poetischen Reiseberichten und
anderen humorvollen Beiträgen zu historisch-naturwissenschaftlichen
Themen,
von ihm anfangs nur schlicht als „Liederbuch“ und „leichtfertiges Sackbüchlein
von 12 Bogen“ bezeichnet,21 hat ihn im
deutschsprachigen Raum auf einen
Schlag berühmt gemacht und im Jahre
1887 die 50. Auflage erlebt; sie wird bis in
die jüngere Vergangenheit nachgedruckt.
Unter dem Rubrum „Culturgeschichtliches“ ist hier auch die „Teutoburger
Schlacht“ vertreten. Im Jahre 1869 wurde
zusätzlich eine von seinem Freund, dem
Historienmaler Anton von Werner (18431915) mit 60 Holzschnitten illustrierte
bibliophile Ausgabe im Quartformat aufgelegt, der 1877 eine zweite, auf 111 Illustrationen vermehrte Auflage folgte.22
schichte der deutschen volkstümlichen
Dichtung, Naumburg 1907.
21
Scheffel an Anton von Werner, Karlsruhe,
23.3.1867 (WERNER, ANTON VON <Hg.>,
Briefe Josef Victor von Scheffels an Anton
von Werner 1863-1886, Stuttgart 1915, 35)
und dass. vom „Allerseelentag“ (1.11.) 1867
(ebenda, 66); zur Sammlung „Gaudeamus“ vgl. u.a. SELBMANN 1982, 107-117;
MAHAL 1986, 149-167; mit Hinweisen auf
den Eingang des Liedes in die diversen
Kommersbücher auch BRODERSEN 2008,
118-120.
22
Ursprünglich war wohl nur eine durch
Anton von Werner illustrierte Ausgabe
vorgesehen, doch hielt Scheffel es im Mai
1867 für zweckmäßig, „eine unillustrierte
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
7
Darin ist dem zwei Jahre zuvor eingeweihten Hermannsdenkmal eine ganze
Abbildungsseite gewidmet. In der seriösen Scheffel-Forschung besteht seit langem Einvernehmen darüber, dass im Gefolge dieser ausgesprochen populären
Gedicht- und Liedersammlung der Blick
des Publikums überhaupt erst auf diesen
Autor gelenkt worden ist, und man sich
nun auf dessen bereits 1854 erschienenes
Versepos „Der Trompeter von Säckingen“
sowie auf den ein Jahr später vom gleichen Verfasser publizierten historischen
Roman „Ekkehard“ entsann. Diese Werke
von zunächst nur mäßigem Erfolg avancierten in der Folgezeit zu wahren Bestsellern.23 Allein der „Trompeter von
Säckingen“ wurde bis zum Jahre 1927
unvorstellbare 334 mal aufgelegt und
dürfte damit wohl in keiner Hausbibliothek des deutschen Bürgertums gefehlt
haben; der „Ekkehard“ hatte bis zum
Jahre 1918 stolze 284 Auflagen erreicht.
In der Sammlung „Gaudeamus“
waren zunächst nur die 13 Strophen des
Liedes versammelt, die bereits 1849 in
vorauszuschicken“, da „die Kriegsereignisse die illustrierte Ausgabe wieder verzögern könnten“, Scheffel an Anton von
Werner, Heidelberg, 4.5.1867 (VON WERNER
1915, 45); vgl. auch DRESCH, JUTTA, „... lebendige Gestalten aus alter Zeit“. Anton
von Werners Illustrationen der historischen Dichtungen Joseph Victor von
Scheffels, in: BARTMANN, DOMINIK (Hg.), Anton von Werner, Geschichte in Bildern.
[Ausstellungskatalog.] 2. Aufl. München
1997, 33-48, zur Sammlung „Gaudeamus“
40-42. – Der Maler und Zeichner von Werner wurde zum Buchillustrator Scheffels
schlechthin. Die beiden hatten sich im Dezember 1862 in Karlsruhe kennen gelernt
und trotz des erheblichen Altersunterschieds schnell Freundschaft geschlossen,
vgl. WERNER, ANTON VON, Jugenderinnerungen (1843-1870), BARTMANN, DOMINIK (Hg.),
(Quellen zur deutschen Kunstgeschichte
vom Klassizismus bis zur Gegenwart 3)
Berlin 1994, 80-85.
23
Zuletzt hat MAHAL, GÜNTHER, Erinnerungen
an einen Vergessenen, in: BERSCHIN /
WUNDERLICH 2003, 11-21, hier 16, auf diesen
Sachverhalt aufmerksam gemacht.
Viktor von Scheffel, Bleistiftzeichnung, 1865
LLB Detmold, A 826, eingeklebt auf
Vorsatzblatt
den „Fliegenden Blättern“ enthalten waren. Doch tauchten erstmalig in der zweiten Auflage des nun im Leipziger Teubner-Verlag erschienenen „CommersBuches für den deutschen Studenten“
(1858) zwei weitere bierselige und Trinkfestigkeit preisende Strophen auf, die
Scheffel zeitweilig das Verdikt eines Saufpoeten eingebracht haben. Insbesondere
für seine Mutter Josephine, die sich selbst
an einer Ode „Thusnelde“ versucht hatte,
war damit die Schmerzgrenze erreicht
und, besorgt um ihren guten Namen, zögerte sie nicht, dem erwachsenen Sohn
entsprechende Vorhaltungen zu machen.24 Im Anschluss an die 10. Strophe,
die nach vollbrachter Tat vom großen
24
LINSE 1909, 20-21; Scheffel, JOSEPHINE, Gedichte, SCHEFFEL, VIKTOR VON (Hg.), Stuttgart 1892, 112; vgl. auch MAHAL 1986, 149151; für Interaktionen zwischen Mutter und
Sohn bezüglich des Hermann / ThusneldaStoffes, die gelegentlich unterstellt werden, gibt es keine Hinweise.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
8
Frühstück der Cherusker kundet, wurde
nämlich eingerückt:
„Hui, da gab’s westfäl’schen Schinken,
Bier soviel man wollte trinken,
Auch im Trinken blieb er Held,
Doch auch seine Frau Thusneld
Soff als wie ein Hausknecht.“
rung nach haben sangeskundige und
reimfeste Männer aus Herford anlässlich
eines Besuches auf der Grotenburg im
Juni 1874 diese Strophe aktuell umformuliert in:
„Und zu Ehren der Geschichte,
Hat ein Denkmal man errichtet;
Deutschlands Kraft und Einigkeit
Verkündet es jetzt weit und breit:
‚Mögen sie nur kommen!’“27
Und als nun letzte und damit 15. Strophe
wurden die Verse hinzugefügt:
„Wem ist dieses Lied gelungen?
Ein Studente hat’s gesungen.
In Westfalen trank er viel,
Drum aus Nationalgefühl
Hat er’s angefertigt.“
Obwohl nach durchaus seriösem Bericht
um 1850 eine Abschrift dieser 15-strophigen Version in einem Liber amicorum von
der Hand Scheffels vorgelegen haben
soll,25 bestehen gewisse Zweifel daran, ob
diese in Stil und Diktion so abweichenden
beiden Strophen tatsächlich aus der sonst
so witzig-pointierten Feder des Urhebers
rühren; zu holprig sind die Verse, zu
plump der Witz und zu platt ist die Aussage namentlich der Schlussstrophe.26 In
den vom Autor zu verantwortenden Gaudeamus-Ausgaben haben sie wohl aus
guten Gründen nie Aufnahme gefunden.
Allerdings hat das Lied eine dauerhafte Änderung dann doch erfahren,
denn nach Aufrichtung der Arminius-Figur
sowie der Fertigstellung und Einweihung
des Hermannsdenkmals im Jahre 1875
hatte die ursprünglich 13. und letzte Strophe, die vom unfertigen Denkmal handelt, ihren Sinn verloren. Der Überliefe25
Nach LINSE 1909, 21.
26
Die Begrifflichkeit „Hausknecht“ ist Scheffel zumindest nicht fremd: „in Hannover
gibt’s bloß Adlige und Hausknechte in adligen Häusern“, charakterisiert er 1848 die
Sozialstruktur der Residenzstadt, Scheffel
an seine Großmutter, Ratzeburg, 4.7.1848
(ZENTNER 1926, 194); dem Maler Anton von
Werner wünscht er in Paris „starke hausknechtartige Schutzengel“, Scheffel an
Anton von Werner, Karlsruhe, 8.4.1867
(VON WERNER 1915, 39); vgl. BRODERSEN
2008, 119.
Mit dieser Strophe ist zugleich die zwischenzeitlich vollzogene Umwidmung des
Denkmals vom Sinnbild deutscher Einigkeit und Freiheit zum Macht und Stärke
verkörpernden Nationaldenkmal preußisch-deutscher Prägung mit eindeutiger
Zielrichtung gegen das revanchelüsterne
Frankreich verbalisiert worden. Zu allem
Überfluss hielt es die „dichterisch begabte Gattin“ eines der Herforder Kaufleute für ihre Pflicht, dem entsagungsvollen Architekten Ernst von Bandel ihrerseits ein lyrisches Denkmal zu setzen,
indem sie reimte:
„Endlich nach so vielen Mühen
Von Bandel sieht sein Werk erblühen;
Hermann steht jetzt aufgestellt,
Zusammen kommt die ganze Welt
In dem Lipp’schen Reiche.“28
Und als die Einweihung des Hermannsdenkmals in Anwesenheit Kaiser Wilhelms
I. am 16. August 1875 näher rückte, entstanden in Druckerei und Verlag Friedrich
Crüwell in Dortmund wohlfeile Bilderbögen, die Scheffels Lied in einer 15-strophigen Variante humorvoll illustrierten und –
in hohen Auflagen gedruckt – zu neuer
Popularität erhoben; auf die ausgesprochen nichts sagende Strophe „Wem ist
dieses Lied gelungen …“ hatte man dabei
weise verzichtet. Scheffel hatte vom
Verleger Friedrich Wilhelm Ruhfus am 1.
August 1875 den Text mit der neuen
Schlussstrophe erbeten und zugesagt, er
werde „den ganzen Text durchgehen und
… so corrigiren, daß er auch als Volkslied
27
Linse 1909, 23; BRODERSEN 2008, 121-124.
28
LINSE 1909, 24.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
9
bei der Einweihung des Hermanndenkmals (!) würdig gesungen werden kann.“
Als Honorar erbat er sich „lediglich ein
genaues Abbild oder Photographie“ des
Denkmals, um dieses später in eine
zweite Auflage der illustrierten Quartausgabe seines „Gaudeamus“ aufnehmen zu
können; das ist in der Tat im Jahre 1877
durch Anton von Werner geschehen.29
Wenige Tage später und damit kurz vor
dem großen Festakt auf der Grotenburg
übersandte er die Korrekturen. Bezüglich
der ihm peinlichen 10. Strophe schärfte er
den Verlegern des Bilderbogens und der
gleichzeitig erscheinenden separaten
Liedfassung ein, „den Text in dieser anständigen Fassung wiederzugeben“, da
die ursprüngliche „studentisch übermüthig, ja roh“ erscheint, wenn sie nicht
abgeändert würde;30 allerdings hatte er
dieser bereits am 9. Juli sein Imprimatur
gegeben.31 Dem Wunsche des Dichters
konnte man aufgrund des fortgeschrittenen Termins für die Bilderbögen nicht
mehr nachkommen; sie wurden auch in
späteren Auflagen nicht verbessert. Neben einigen weiteren marginalen Eingriffen lautet die 10. Strophe allerdings in den
ernsthaften Publikationen, in die sie Eingang gefunden hat, seither:
„Wild gab’s und westfäl’schen Schinken,
Bier, so viel man wollte trinken,
Auch im Zechen blieb er Held,
Doch auch seine Frau Thusneld,
Trank walkyrenmäßig.“
29
30
31
Scheffel an Friedrich Wilhelm Ruhfus, Radolfzell, 1.8.1875 (Faksimile bei LINSE 1909,
26); SCHEFFEL, Gaudeamus. Mit 111 Holzschnitt-Illustrationen ... von ANTON VON
WERNER, 2. Aufl. Stuttgart 1877, 51; vgl.
SELBMANN 1982, 182-183.
Scheffel an Friedrich Wilhelm Ruhfus, [Radolfzell,] 6.8.1875 (Faksimile des Briefes
und faksimilierter Korrekturabzug bei
LINSE 1909, 27 und Anhang).
SCHEFFEL, Die Varus-Schlacht. Erinnerungsblatt an den 16. August 1875. Ill. von MAX
HÜGEL, (Illustrierte Volkslieder 1) Dortmund
1875, LLB Detmold, Ba B 56.
Angesichts der unstreitigen Leistungen
Ernst von Bandels tolerierte Scheffel nach
kleineren stilistischen Glättungen sogar
die Reimversuche der Kaufmannsgattin.
In den von ihm selbst veranlassten Ausgaben des „Gaudeamus“ hat allerdings
nur die letzte, das vollendete Denkmal
betreffende Strophe dauerhaft Berücksichtigung erfahren. Alle anderen Zudichtungen, auch die später auf Bilderleporellos verbreiteten weiteren Strophen,
gerieten alsbald und ohne Schaden für die
Nachwelt in Vergessenheit.32 Als die Detmolder Druckereibesitzer August und
Wilhelm Klingenberg den Autor baten,
einen Beitrag über Ernst von Bandel und
das Hermannsdenkmal – vermutlich für
das von ihnen herausgegebene Album
„Das Hermanns-Denkmal und der Teutoburger Wald“ – zur Verfügung zu stellen,
lehnte Scheffel ab. Da ihm „die eigene
Anschauung der zu schildernden Landschaft sowie des Denkmals“ fehle und er
Bandel „in seiner markigen Eigenart“
persönlich nie kennengelernt habe, so sei
es ihm nicht möglich, dem Wunsche
nachzukommen, teilte er am 1. Juli 1875
brieflich mit.33 Und so erschien der prächtige, mit 20 Lithographien lippischer Motive von Ludwig Menke versehene und
mit poetischen Texten von Ludwig Altenbernd, Ferdinand Freiligrath, Felix Dahn
und anderen angereicherte Band im
Quartquerformat
ohne
gereimte
Strophen des Festlieddichters.
Ein besonderes Problem stellt die
Singweise des Liedes dar.34 Erstmals gab
32
SCHEFFEL, Die Varus-Schlacht. Römerlied
[Umschlagtitel: Als die Römer frech geworden.] Ill. von ARTHUR THIELE, Halberstadt 1920 (Nachdr. Rosdorf bei Göttingen
2009).
33
Scheffel an die Gebrüder Klingenberg,
Radolfzell, 1.7.1875 (LLB Detmold, Autogr.
333).
34
Dazu besonders Steinitz, WOLFGANG, Woher stammt die Melodie zu „Als die Römer
frech geworden“?, in: WEGENER, HEINZ
(Hg.), Musa-Mens-Musici. Im Gedenken an
Walther Vetter, Leipzig 1969, 347-355;
auch LINSE 1909, 24-30, und BRODERSEN
2008, 118-122.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
10
das Magdeburger „Commers-Buch“ von
1855 an, dass die „Teutoburger Schlacht“
nach der Melodie des Volksliedes „Die
Hussiten zogen vor Naumburg“ zu singen
sei. Diese in vielen Varianten geläufige
Melodie geht auf eine wohl ungarische
Volksweise zurück, die namentlich durch
Carl Maria von Webers „Andante und
Rondo ungherese“, 1809 für Altviola und
Orchester komponiert, 1813 für Fagott
und Orchester bearbeitet und als op. 36
im Jahre 1816 herausgegeben, auch in
Deutschland Verbreitung gefunden hat.
Über 20 Jahre lang sangen kneipende
Studenten und andere Zeit- und Zechgenossen das Schlachtenlied nach dieser
Melodie, der Scheffel von Anfang an das
Versmaß seines Gedichtes zugrunde gelegt hatte. Gewiss verdankte er dem
„Hussiten-Lied“ zudem die Anregung zu
der zeitweiligen Schlussstrophe „Und zu
Ehren der Geschichten / Will ein Denkmal
man errichten“, denn da heißt es am Ende
bekanntlich „Und zu Ehren des Mirakel /
Ist nun jährlich ein Spektakel“. Den flapsigen Refrain von sim-serim bis wau-wauwau kannte das „Hussitenlied“ nicht. Als
im Vorfeld der Einweihung des Hermannsdenkmals offenbar eine Hymne
gesucht wurde, geriet der Text Scheffels
wieder ins Blickfeld, allerdings scheint
man die Hussiten-Melodie als für einen
Festgesang zu diesem Anlass ungeeignet
angesehen zu haben. Da es sich auf der
anderen Seite jedoch um eine jedermann
bekannte und eingängige Singweise handeln musste, griff man auf die populäre
Melodie des „Liedes vom Bürgermeister
Tschech“ zurück.
Mit diesem Lied hatte es folgende
Bewandtnis: Am 26. Juli 1844 war vom
Storkower Bürgermeister Heinrich Ludwig Tschech auf König Friedrich Wilhelm
IV. und seine Gemahlin Elisabeth von Bayern ein Pistolenattentat verübt worden,
die Potentaten blieben unversehrt,
Tschech wurde ergriffen und später hingerichtet.35 Während anfangs Freude und
35
Über Tschech und das Attentat vgl.
STRECKFUSS, ADOLPH, Berlin im neunzehnten
Jahrhundert, Bd. 3, Berlin 1869, 184-220;
BARCLAY, DAVID E., Anarchie und guter
Erleichterung über die Unversehrtheit
von König und Königin überwogen, wendete sich alsbald das Blatt, und maßlos
enttäuscht über das wankelmütige Verhalten Friedrich Wilhelms und seine reaktionäre Regierung goss das Volk Hohn
und Spott über das Attentat, den Attentäter und den Monarchen aus. Schnell
reimte man den Bänkelsang „Wer war
wohl je so frech, / als der Bürgermeister
Tschech? / Denn er traf bei einem Haar /
unser teures Königspaar …“ Der im Laufe
der Zeit immer wieder variierte Text
wurde nach der Melodie des seinerzeit
beliebten Festmarsches „Kriegers-Lust“,
den der österreichische Militärkapellmeister Joseph Gungl (1809-1889) im
Jahre 1841 komponiert hatte,36 gesungen
und nahm, von der preußischen Polizei
argwöhnisch beäugt, die Gestalt eines
Gassenhauers an.37
Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, 180-182;
KELLERHOFF, SVEN FELIX, Attentäter. Mit einer Kugel die Welt verändern, Köln 2003,
51-53; Quellencharakter hat die Darstellung
der Tochter des Attentäters, die im Laufe
der folgenden Jahre mit Radikaldemokraten sympathisierte, siehe TSCHECH, ELISABETH, Leben und Tod des Bürgermeisters
Tschech …, Bern 1849; einen bibliophilen
Nachdruck von zeitgenössischen Dokumenten kommentiert KLÜNNER, HANSWERNER, Drei Dokumente zum Attentat
des Heinrich Ludwig Tschech auf König
Friedrich Wilhelm IV., Braunschweig 1983, 1
Bl., 3 faks. Beil.
36
GUNGL, JOSEPH, Kriegers Lust. Fest-Marsch,
op. 26, für Pianoforte in H-Dur [Klavierpartitur], Berlin 1843, Pl.-Nr. 695, LLB Detmold, Mus-n 17357; zu Gungl siehe MGG 5,
1956, 1121-1122; MGG 8, 2. Aufl., 2002, 278279.
37
Vgl. Steinitz, WOLFGANG, Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs
Jahrhunderten, Bd. 2 (Veröffentlichungen
des Instituts für deutsche Volkskunde 4,II)
Berlin 1962, 120-146; zuletzt RICHTER, LUKAS,
Der Berliner Gassenhauer. Darstellung,
Dokumente, Sammlung, (Volksliedstudien
4) [2. Aufl.] Münster 2004, 62-63, 160-163,
233-238, 344-351.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
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Die frische Melodie des TschechLiedes, die auch schon einen beißendschmissigen Kehrreim enthielt, wurde für
die Enthüllungsfeier des Denkmals spätestens 1875 durch den Dortmunder Musikalienhändler und Gelegenheitskomponisten Ludwig Teichgräber (1840-1904) als
Festlied „für Solo, Chor und Clavier“ bearbeitet und unter dem Titel „Die VarusSchlacht“ herausgegeben. Dabei muss
man ihm, der gelegentlich sogar als Komponist des Liedes benannt wird, zugestehen, dass er die Melodie seines Vorbildes
nicht einfach übernommen hat, sondern
offensichtlich darum bemüht war, die
Anklänge an das Tschech-Lied bzw. an
Gungls Marsch durch rhythmische Verfremdung und Wechsel mit neuen kurzen
Floskeln abzumildern; dennoch schimmern die Vorlagen deutlich durch, und
der Rest der „Komposition“ beschränkt
sich auf eine simple Volksliedbegleitung.38
Nach Teichgräbers eigener Aussage „lag
die neue Melodie in der Dortmunder Gegend quasi in der Luft“; auf welchem
Wege sie dorthin geweht ist, weiß man
nicht. Wie auch immer diese Aussage zu
bewerten ist, muss man wohl davon ausgehen, dass der Bearbeiter eher einer
zwischenzeitlich eingetretenen Gewohnheit gefolgt ist. Die auf Joseph Gungls
Festmarsch basierende Melodie für
Scheffels „Als die Römer frech geworden“ verdrängte in der Folgezeit die alte
Singweise nach dem „Hussitenlied“ völlig
und auch eine im „Allgemeinen ReichsCommersbuch“ von 1875 verbreitete abweichende Vertonung von A. Anger aus
dem gleichen Jahr hatte ebenso wenig
nachhaltige Wirkung wie eine weitere
vom Ende der 1870er Jahre.39 So darf man
38
Herrn Prof. Dr. Joachim VEIT, Detmold,
danke ich für fachkundige Unterstützung.
39
MÜLLER, Friedrich KONRAD (Hg.), Allgemeines Reichs-Commersbuch für Deutsche
Studenten, Leipzig 1875, 289-290; das Lied
wird dort unter dem Titel „Quinctilius Varus“ mit dem Hinweis auf die ebenfalls gebräuchliche Singweise nach dem Hussitenlied aufgeführt; vgl. auch BRODERSEN 2008,
120, 126. – Auf Anfrage des Premierleutnants Gaissert-Brückenau aus Stuttgart
wohl annehmen, dass bei der feierlichen
Einweihung des Hermannsdenkmals am
16. August 1875 das Musikkorps des 6.
Westfälischen Infanterie-Regiments Nr.
55 oder eine der anderen Musikkapellen
die „Teutoburger Schlacht“ nach der uns
heute geläufigen Melodie intoniert und
der vielstimmige Chor der Festbesucher
begeistert die von Joseph Victor (von)
Scheffel kurz zuvor autorisierten Strophen geschmettert hat.40 Nahezu drei
Jahrzehnte nach seiner erstmaligen Publikation wurde nun das „verbummelte
Studentenlied“ unter der Ohrenzeugenschaft des Kaisers zur Festhymne im
Marschrhythmus geadelt. Damit hatte das
Lied wie das Denkmal selbst seine Entwicklung von der Wiederentdeckung des
Arminius/Hermann als Frontfigur des entstehenden Nationalbewusstseins um
1848 über die eher unpolitische, die studentische Trinkkultur thematisierende
Zeit der Restauration hin zur militaristisch-revanchistischen Umdeutung des
nun gegen Frankreich gerichteten Nationalhelden Hermann durchlaufen.41 Die bis
heute besonders in Lippe ungebrochene
Popularität des Liedes, das stets den Höhepunkt landsmannschaftlich-geselligen
Wohlbefindens auf Neujahrsempfängen,
Hermannstagen oder Schützenfesten
erhob Scheffel keine Einwände gegen eine
erneute Vertonung seines Liedes, ja er
forderte geradezu dazu auf und erläuterte
bei dieser Gelegenheit, wie es zum Arrangement Teichgräbers im Vorfeld der Einweihung des Hermannsdenkmals gekommen ist; 1880 war er dann bei einer Stuttgarter Künstlergesellschaft zu Gast, wo
„das neu vertonte Scheffellied (…) in
traulichster Künstlerklause bei schwäbischem Rebensaft“ erschallte, vgl. GAISSERTBRÜCKENAU VON, Als die Römer frech geworden …, in: Der Teutoburger Wald, 2
(1926), 8 (Aug.)
40
Zur Einweihungsfeier vgl. zuletzt MELLIES,
DIRK, „Symbol deutscher Einheit“. Die
Einweihungsfeier des Hermannsdenkmals
1875, in: BERKE (Hg.) 2009, 222-228.
41
So jüngst herausgearbeitet und zusammengefasst von BRODERSEN 2008, 124125.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
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bildet und längst auch die regionale Theaterbühne erobert hat, konnte dessen
Autor, der anlässlich seines 50. Geburtstages in den Adelsstand erhoben
wurde und am 9. April 1886 in Karlsruhe
starb, bei aller ihm eigenen Phantasie
nicht voraussehen.
Ludwig Teichgräber, Die Varus-Schlacht. Gedicht von J. v. Scheffel, für
Solo, Chor und Clavier bearb. Dortmund 1875. Mit handschriftlichen
Korrekturen und Anmerkungen Scheffels. Faksimile.
Linse 1909, Anhang, LLB Detmold, Lg 1384c.
URL: http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus-unserer-arbeit/texte/2010-9.html
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