Glücksfall Hartz IV - Katholische SonntagsZeitung
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Glücksfall Hartz IV - Katholische SonntagsZeitung
Redaktion: Vertrieb: Anzeigen: 030 / 89 79 37 - 30 030 / 89 79 37 - 16 030 / 6 88 35 10 21 29./30. Januar 2011 / Nr. 4 Pfarrer Klaus Weyers Die Sache mit dem Wasser Könnte ein Hering denken, müsste er über Wasser nachdenken. Denn er lebt drin, bekommt es kostenlos, kann es aber weder herstellen noch bezahlen. Als denkender Katholik muss ich über die Gnade nachdenken. Ich lebe in ihr und bekomme sie kostenlos, kann sie aber weder herstellen noch bezahlen. Und wenn ich nicht mehr in der Gnade bin, gleiche ich einem Karpfen in einem ausgebaggerten Braunkohletagebau, was bekanntlich tödliche Folgen hat. Der Chefapostel Paulus beendete seine Briefe mit den Worten: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch!“ Gnade heißt auf griechisch „charis“. Das ist verwandt mit unserem deutschen Wort „charmant“. Ein von Gott begnadeter Mensch müsste eigentlich ein charmanter Mensch sein, der viel lächelt. Auf dieses Lächeln habe ich keinen Anspruch, kann es nicht kaufen und nicht in einem Prozess erzwingen. Aber wenn es mir unerwartet geschenkt wird, bin ich glücklich. Gott hätte keinen Grund, uns zuzulächeln. Wir haben nichts zu bieten. Aber Gott schenkt uns sein Lächeln, seine Zuneigung, ja sogar seine ganze Liebe. Warum Gott uns in das Kraftfeld seiner Gnade holt, wissen wir nicht. Gott hätte es nicht nötig. Sein Lächeln ist die völlig umsonst und total voraussetzungslos geschenkte Gnade. Zu Maria sagt der Engel: „Du bist voll der Gnade.“ Doch sie war mindestens auf dieses Lächeln vorbereitet. In ihr war nichts, das Gottes Zuneigung abgeblockt hätte. Ich kann aber auch die unverdiente Liebe, die mir jemand schenkt, an mir ablaufen lassen wie Wasser am Regenmantel. Gott lächelt uns an, und wir stehen eiskalt da wie tiefgefrorene Fragezeichen. Was heißt das Wort Gnade? Es ist die prall gefüllte bunte Kurzformel für alles das, was uns Gott an Zuwendung, Liebe und Lebenserfüllung schenkt, und zwar ohne Vorbedingung. Du kannst in Gnade schwimmen wie ein Fisch im Wasser. Du sollst es auch. SonntagsZeitung Katholische Chausseestr. 128 /129, 10115 Berlin Fax: 030 / 8 24 89 66 [email protected] Erzbistum Berlin Seite I Glücksfall Hartz IV Schulden, Sucht und Obdachlosigkeit – Langzeitarbeitslose haben häufig viele Probleme. Das Jobcenter kann ihnen helfen BERLIN – Während sich die Politiker noch immer über die Hartz IV-Reform streiten, hilft Fallmanager René Walther im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg Langzeitarbeitslosen, einen Weg aus der Abwärts-Spirale zu finden. Die „Agenda 2010“ nennt An dreas K.* einen „Glücksfall“. Ohne die würde der 55-Jährige noch immer auf der Straße sitzen. Arbeitslosigkeit und Drogensucht haben ihn Ende der 1990er Jahre dorthin gebracht. „Hartz IV bedeutete für mich den sozialen Aufstieg. Endlich hatte ich wieder Papiere und eine Wohnung“, erinnert er sich. Wenn es nicht mehr einfach „nur“ um eine Arbeitsplatzvermittlung geht, sondern Dinge wie Schulden, Sucht und Obdachlosigkeit dazukommen, dann beginnt René Walthers Aufgabe als Fallmanager. In der Woche führt er 20 bis 25 Gespräche mit Kunden. „Wir analysieren die Probleme und hinterfragen die Ursachen, um dann mit Hilfe unseres weit gefächerten Netzwerkes gezielte Hilfe ansprechen zu können“, erklärt Walther. Das kann die Vermittlung an ein Drogentherapiezentrum oder an eine Schuldnerberatung sein. Die Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt bleibt dabei höchstes Ziel, doch dafür müssen erst die Probleme gelöst werden. Andreas K. war in der IT-Branche tätig. Erst als Programmierer, dann als Berater. „Ich war hoch angesehen im Unternehmen“, sagt er. Doch die 60-Stunden-Wochen zehrten an seinen Kräften. Irgendwann blieb es nicht mehr bei einem Feierabendbierchen mit den Kollegen: „Ich habe getrunken, um den Stress loszuwerden.“ Schließlich war Andreas K. für seinen Arbeitgeber nicht mehr tragbar. Er verlor seinen Job und wenig später auch die Wohnung. Um zu vergessen, flüchtete sich der einst so erfolgreiche Informatiker in noch mehr Drogen. Dass so hoch gebildete Menschen wie Andreas K. in der Langzeitarbeitslosigkeit landen, ist für Fallmanager Walther keine Überraschung. Er ist fest überzeugt, dass es jeden treffen kann: „Ich habe schon viele betreut, die hatten Abitur, Studium, einen guten Beruf und dann kam eine klinische Erkrankung. Plötzlich entwickelten sie Sozialphobien, trauten sich nicht mehr aus dem Haus.“ Fallmanager René Walther betreut derzeit 85 Kunden. Foto: cs Seit siebeneinhalb Jahren ist AnAufgeben kommt für ihn trotzdem dreas K. „clean“, erzählt er stolz. So- nicht in Frage. Jetzt hofft er, dass er gar das Rauchen hat er mittlerweile bald wieder an einer Maßnahme aufgegeben. Dafür wird er jetzt von oder einem Projekt teilnehmen einer Nervenkrankheit geplagt, die kann. Dass er keine Beschäftigung ihm das Gehen schwer macht. De- hat, nagt an ihm: „Ich brauche impressionen, weil er sich so hilflos mer eine Herausforderung.“ Die Mehrzahl seiner Kunden zeifühlt, kommen noch dazu. Trotzdem sagt er: „Ich habe keinen Grund zu gen ein ähnliches Engagement, sagt jammern.“ Im Jobcenter erfahre er Fallmanager René Walther. Mal ent„tätige Hilfe“. Am meisten ist er für stehen aber auch bei ihm Frustsitua seine Wohnsituation dankbar: „Ich tionen: „Wenn man alles tut, sich habe panische Angst, dass ich noch persönlich für jemanden engagiert einmal meine Wohnung verliere.“ und das dann manchmal mutwillig Zu den Mitarbeitern hat er Vertrauen abgebrochen wird“, erklärt er. „Aber aufgebaut, man kennt sich lange, die das ist ganz selten“, fügt er hinzu. Menschen gehen auf seine Wünsche Aktuell betreut er 85 Kunden. Die ein. Zahl schwanke immer zwischen So hat er als Bibliothekshilfe und 80 und 100. Hausmeister gearbeitet und an zahlDauerhaft vom Jobcenter unabreichen IT-Qualifikationen teilge- hängig zu sein, das ist der größte nommen. Besonders Wunsch von An stolz ist er auf ein sehr dreas K. Sein Privatle„Kein Grund schwieriges PC-Zertifiben nennt er bereits erkat, das er geschafft hat. füllt: „Ich habe ein guzu jammern“ Nutzen wird es ihm tes soziales Umfeld, nichts. Seine Chancen, eine Wohnung, fürchnoch einmal einen Job in der IT-Bran- terlich nette Nachbarn und eine che zu finden, schätzt Andreas K. ge- Freundin.“ Von Politik und Wirtring ein: „Für mich sehe ich schwarz.“ schaft fordert er, dass hochqualifiTrotzdem fehlt ihm seine Arbeit als zierte Arbeitnehmer anerkannt werPC-Spezialist. Lange wollte er nicht den und ihnen eine Chance gegewahr haben, dass er in diesem Be- ben wird – vor allem auch denjenireich wohl nicht mehr Fuß fassen gen mit einem Bruch in ihrem Lewird. „Ich habe es erst nicht rea benslauf. „Die Politiker sollen Langlisisiert, dass mit 50 Schluss sein soll. zeitarbeitslose verstärkt fördern und Trotz der vielen IT-Qualifikationen nicht noch an denen sparen!“ habe ich keinen neuen Job bekom- Christina Seik men. Meine Kontakte von früher waren mittlerweile selbst pleite.“ *Name von der Redaktion geändert