Die Imago des Lehrers. Zwischen Kerkermeister und Kastrat
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Die Imago des Lehrers. Zwischen Kerkermeister und Kastrat
Universität Heidelberg Erziehungswissenschaftliches Seminar Sommersemester 2004 PS: Tabus über dem Lehrerberuf Leitung: Dr. Hans-Peter Gerstner Die Imago des Lehrers – Zwischen Kerkermeister und Kastrat – Michael Müller Lessingstr. 10 69115 Heidelberg Tel.: 06221-618292 E-Mail: [email protected] Die Imago des Lehrers – Zwischen Kerkermeister und Kastrat – Ein Essay Nicht erst seit der schon für mancherlei Erklärungsversuche instrumentalisierten „PISA-Dämmerung“ ist das Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit gehörig ramponiert. Die Klasse der Pädagogen sei lustlos, unmotiviert, ausgebrannt, nicht mehr fähig, den unaufhörlich steigenden Anforderungen seitens der mehr und mehr unmotivierten, untauglichen, unerhörten, ja, schlicht unmöglichen Schülerschaft mit adäquaten Lehrstrategien zu begegnen; so pfeifen es Politiker, Wissenschaftler und nicht zuletzt Journalisten unentwegt und unisono von den Dächern hiesiger Parlamente, Universitäten und Verlagshäuser. Man erhält den Eindruck, als habe sich der gesamte Lehrkörper eine gehörige Erkältung eingefangen und dämmere seither in einer Art Fieberzustand ohne Aussicht auf Gesundung. Doch wer vermag es dagegen ein Heilmittel zu entwickeln? Nein, an selbst erklärten Diagnostikern und Therapeuten mangelt es wahrhaftig nicht, doch erweist sich die Suche nach dem erlösenden Fluidum als äußerst schwierig und unbequem zugleich. Denn die ewigen Nörgler des Schulsystems müssen zugeben, sich selbst jahrzehntelang im Dämmerschlaf befunden und sich mit dem Virus der Untätigkeit infiziert zu haben. Allmählich dämmert auch dem letzten Apologeten des gegenwärtigen deutschen Bildungssystems, dass das selbstgefällige Urvertrauen in die Potenz unserer Bildungsanstalten nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch angesichts gehöriger Leistungsdefizite bundesdeutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit kommender Generationen unverantwortlich war. Und wer jetzt auf Wunder oder Blitztherapien hofft, wird von bitteren Politikverflechtungsdragees und wirkungsarmen normativen Strukturkräutertees auf den Boden der deutschen bildungstherapeutischen Realität zurückgeholt. Denn bekanntlich sind bei chronischen Erkrankungen normalerweise äußerst langwierige Behandlungszeiten und besonders nachhaltige Heilmethoden vonnöten. Doch das Gegenteil scheint schulpolitische Reali1 tät. Hektischer Aktionismus allenthalben. Die Doktores unterschiedlichster gesellschaftlicher Fakultäten streiten um die besten Arzneien. Und schließlich glaubt man im politischen Fachbereich mit dem Ruf nach der Ganztagsschule ein Rezept ausstellen zu können, das die Fieberkurve des Schulsystems rasch zu senken verspricht. Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Lehrer und seine Schüler. Doch Zeit zur Eile ist tatsächlich geboten, befand man sich doch schon viel zu lang im schulpolitischen Koma und verpasste den Anschluss an steigende internationale Bildungsstandards. Doch sollten, bevor man an den großen strukturellen Wunden des gesamten Bildungssystems herumdoktert, nicht zuerst die kleinen Zipperlein des Lehrpersonals versorgt werden? Schließlich sind es die Pädagogen/innen in den Grund-, Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien die sich im täglichen „Nahkampf“ mit vermeintlich unmotivierten Heranwachsenden behaupten und für die reibungslose Produktion zukünftiger „(Leistungs-)Träger“ der Gesellschaft zu sorgen haben. Sie sind diejenigen, denen die Medikamente bildungspolitischer Testtherapien als erste verabreicht werden und die, jedoch ohne weitergehende (schul)medizinische Betreuung, auf die Reaktionen des Patienten Bildung warten müssen. Doch scheint die Motivation eines ganzen Standes, angesichts allzu zahlreicher Eingriffe in und Angriffe auf ihre schulische Kompetenz, langsam aber sicher im Keller der bildungspolitischen Realität. Desorientiert, ausgebrannt und psychisch wie körperlich am Ende hoffen die meisten Lehrer auf das rasche Erreichen des Pensionsalters. Allzu verständlich angesichts der Tatsache, dass zu den Problemen des wahrhaftig schon ausreichend mühsamen Schulalltags, sich die bundesdeutschen Pädagogen auch noch mit den ewigen neidbesetzten Feindseligkeiten und Ressentiments einer zunehmend bildungskritischen Öffentlichkeit konfrontiert sehen müssen. Die Klischees sind so einfältig wie altbekannt. Lehrer sind faul, haben zuviel Urlaub, verdienen zuviel Geld, sind unfähig, dem verschärften Bildungswettbewerb mit adäquaten Lehrkonzepten zu begegnen etc. Doch was sind die Gründe für das scheinbar ewig schadhafte Image des Lehrers? Wie kommt es zu seiner permanenten Diskreditierung? In eindrucksvoller Weise beschreibt Theodor W. Adorno 1965 in seinem Vortrag „Tabus über dem Lehrberuf“ unter anderem, inwiefern sich gesellschaftliche Ressentiments ge2 genüber dem Lehrberuf mit der Wirklichkeit decken und warum das Ansehen des Lehrers im Vergleich zu anderen Berufen immer mehr um Anerkennung kämpfen muss. Obschon vor nunmehr vierzig Jahren verfasst, lassen sich Adornos Beobachtungen und Hypothesen beängstigend problemlos auf das heutige Lehrerbild übertragen. Sein Anliegen ist es zum einen, „einige Dimensionen der Abneigung gegen den Lehrberuf sichtbar zu machen“ und zum anderen, „eine Reihe von Problemen wenigstens zu berühren, die mit dem Lehrberuf selbst und seiner Problematik etwas zu tun haben“. Zwar handelt es sich es sich weder um eine „durchgebildete Theorie“ noch um „die Wiedergabe von verbindlichen empirischen Forschungsresultaten“, jedoch vermag es Adorno, mit geschultem Blick und beeindruckender Rhetorik, ein scharfes Bild des Lehrerstandes seines Jahrzehnts zu zeichnen, wie es zum Teil auch heute noch in den Köpfen der bundesdeutschen Bevölkerung vorzufinden ist. Im Verlauf seiner Ausführungen versucht er, durch die Skizzierung einer Reihe von Problemen, „die mit dem Lehrerberuf selbst und seiner Problematik etwas zu tun haben“, insbesondere die „Dimensionen der Abneigung gegen den Lehrerberuf sichtbar zu machen“ und somit die Tabus über dem Lehrberuf am Spiegel der Gesellschaft kondensieren zu lassen. Obgleich die, bisweilen allzu assoziativ komponierte, Induktion des Philosophen, Sozialwissenschaftlers und Musiktheoretikers durchaus mit dem einen oder anderen Stirnrunzeln zu kommentieren sind, erscheinen seine Beobachtungen und Reflektionen genauso simpel wie plausibel. Es gelingt ihm ein beeindruckender Par-force-Ritt durch die Geschichte des Lehrerberufs, in welchem er die gesellschaftliche Bedeutung des Lehrers sowie dessen Bild vom antiken gelehrten Sklaven über den mittelalterlichen „Mönch“ bis hin zum patrizianischen „Hauslehrer“ beschreibt. Zwar in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen zu jeder Epoche gebildet und „eine gewisse Funktion bei der Steuerung der Gesellschaft“ bekleidend, jedoch stets unterbezahlt, gering geschätzt und nicht wirklich ernst genommen. Diese archaische „Ambivalenz dem Wissenden gegenüber“ ist, laut Adorno, mithin prägend für das Bild des Lehrenden in der modernen Gesellschaft. Denn: 3 „Der Lehrer ist der Erbe des Mönchs; das Odium oder die Doppeldeutigkeit [einerseits ist der Mönch gelehrt, anderseits mittellos, unbewaffnet und der Willkür der Herrschenden ausgeliefert], die dem Mönchsberuf eignete, geht auf ihn über, nachdem der Mönch weithin seine Funktion verlor“. Dieser Einschätzung kann durchaus beigepflichtet werden, vergegenwärtigt man sich die heutigen Arbeitsbedingungen der Lehrer. Zwar, angesichts der doch recht passablen finanziellen Entlohnung des gegenwärtigen Lehrpersonals, vom Stigma der Mittellosigkeit befreit, werden Pädagogen doch gleichsam zu schul- wie arbeitsrechtlich unmündigen Sklaven der Exekutive degradiert, die, den bisweilen willkürlich anmutenden Weisungen ihrer Kultusminister schutzlos ausgeliefert sind und im Schulalltäglichen scheinbar über keinerlei wirkungsvolle Verteidigungsmechanismen mehr verfügen. Demnach sind sie gezwungen, als zahnlose Pädagogentiger mit anderen ehrbaren geistigen „freien Berufen“, wie denen des Juristen oder des Arztes, um gesellschaftliches Ansehen konkurrieren zu müssen, obschon ihr Machtpotenzial im Vergleich zu anderen Berufsständen, im tagtäglichen Umgang mit ihrer Zielgruppe, den Kindern, „die wirkliche Macht nur parodiert“. Hier kann also der Lehrer, Adorno zufolge, nur als Verlierer aus dem Rennen gehen, da er der realen Macht und der Marktautonomie der „Freien“ lediglich die erwähnte Machtparodie und eine pensionsberechtigte Festanstellung gegenüberzustellen vermag. Dies entspricht auch in vielen Umfragen heutzutage immer noch dem Lehrerbild, welches in Deutschland vorzuherrschen scheint. Zumal in Zeiten zunehmender wirtschaftlicher Verunsicherung und Massenarbeitslosigkeit das BeamtenPrivileg der Unkündbarkeit den Lehrern, neben dem Vorwurf der standestypischen Faulheit, zusätzlich Neid und Missgunst einbringt. Ein weiteres „Tabu“ glaubt Adorno mit dem „Problem der immanenten Unwahrheit der Pädagogik“ identifiziert zu haben, die er auf das bloße Vermitteln von etwas bereits Etabliertem reduziert und als „gesellschaftlich ein wenig suspekt“ verfemt. An dieser Stelle verfängt sich jedoch Adornos Logik in den Ketten seiner ganz persönlichen Negation des Pädagogischen und der Philosoph offenbart die (typische) Arroganz des Universitätsprofessors, die konsequenterweise in einem Vortrag über „Tabus über dem Hochschullehrberuf“ zu thematisieren wäre. Nichtsdestotrotz kann nicht bestritten werden, dass die gesellschaftlich 4 wenig ernst genommene, weil wenig bekannte, Pädagogik in großem Umfang zum negativen Lehrerbild beiträgt. Und weil Unkenntnis generell zu Ressentiments verführt und sich dazu noch die Öffentlichkeit mittlerweile ein haarsträubend laienhaftes pädagogisches Urteilsvermögen anmaßt, alles nicht zuletzt begünstigt durch das (selbstverschuldete?) Schattendasein der Erziehungswissenschaft im Kanon der geisteswissenschaftlichen Disziplinen, darf man sich auch nicht wundern, wenn ein jeder über bessere Lehrkonzepte verfügt und am pädagogischen Süppchen mitzukochen verlangt. Mit dem Image des prügelnden Schwächlings, Kerkermeisters, ja sogar des Henkers, wessen sich der Autor im weiteren Verlauf seiner Ausführungen bedient, komme man, trotz des Verbots der Prügelstrafe nach dem zweiten Weltkrieg, zum „Zentralen“, zum maßgebenden Tabu über dem Lehrberuf, dem Tabu der „disziplinären Funktion“. „Der Lehrer präsentiert diese Imago als den physisch Stärkeren, der den Schwächeren schlägt.“ Durch das Delegieren von Bildung und Erziehung der Gesellschaft an den Berufsstand des Lehrers werden Pädagogen zu dieser, der Ontologie des Lehrers mithin immanenten, „Unfairness“ gezwungen, und nun qua Funktion zu potenziell gewalttätigen „Sündenböcken“, die dienstbereit ihre kindlichen Opfer tagtäglich mit allerlei Böswilligkeiten behelligen. Eine Einschätzung, die, wenn auch mit erheblichen Einschränkungen bezüglich physischer Gewaltsamkeit, leider auch heute noch zum Teil Gültigkeit besitzt. Obschon jene Lehrergewalt Schülern gegenüber vor allem als psychische Gewalt zu Tage tritt, so scheint sie gleichsam für das Bild des strengen und stets mit einem imaginären Rohrstock ausgestatteten Lehrers tief im Bewusstsein ehemaliger, und durch eine Art von ererbter Antipathie, auch heutiger Schüler verantwortlich zu sein. Auch psychoanalytische Dimensionen des Lehrberufs finden sich in Adornos Argumentationen. So münde etwa das Dilemma des einerseits erotisch nicht 5 zählenden, andererseits als Teenagerschwarm geltenden Lehrers unweigerlich in dessen Kastration. Des Weiteren herrsche immer noch das Bild des „erotisch Neutralisierten“, „nicht frei Entwickelten“, des „verkrüppelten Geschlechtswesens“ vor. Eine erotische Repression, die laut Adorno vor allem das frühe zwanzigste Jahrhundert prägte. An dieser Stelle muss jedoch gesagt werden, dass das Bild des Lehrers als asexuellen „quasi Kastrierte[n]“ weitestgehend überholt zu sein scheint. Zu offen gestaltet sich heute das gesellschaftliche Verhältnis zu Erotik und Sexualität, als dass einem Lehrer das Vorhandensein jeglichen libidinösen Triebes ernsthaft in Abrede gestellt werden könnte. Gleichwohl zwingt ihn alleine die Tatsache, dass er es mit zum Teil äußerst jungen Schutzbefohlenen zu tun hat, zu mehr diesbezüglicher Diskretion als etwa Menschen anderer Profession. Eine weitere Determinante für die Entstehung von Tabus bildet Adorno zufolge die sog. „déformation professionelle“. Die Infantilität des Lehrers, von Berufswegen in den, von der realen Außenwelt abgedichteten, Mikrokosmos der Schule verbannt, zeige sich vor allem darin, „dass er die ummauerte Scheinwelt [der Schule] mit der Realität verwechselt“, weshalb die Schule nicht zuletzt darum so hartnäckig ihre Wälle verteidige und die Lehrerschaft unter „dem permanenten Verdacht der Weltfremdheit“ stehe. Und tatsächlich hat man, bei genauerer Betrachtung des Schulischen, auch heute bisweilen noch den Eindruck, als halte die Realität nur erheblich zeitverzögert Einzug in bundesdeutsche Klassenräume, als fühle sich das Lehrerkollegium fernab von allen gesellschaftssystemischen Neuerungen pudelwohl. Gleichwohl sind die neuesten Bemühungen der Schulen, ihre Klassenräume mit frischem Wind von Außen zu durchlüften und sich den Herausforderungen der globalisierten Wissensgesellschaft zu stellen, als überaus positiv zu bewerten. Und geben Anlass zu Hoffnung, dass auch hier die Adornoschen Tabu-Mauern allmählich zu bröckeln beginnen. Im Bezug auf die Prägung des Lehrerimages nicht zu vernachlässigen, sind Adorno zufolge auch Hierarchiekonflikte zwischen Lehrern und Schülern. Denn der Lehrer erscheine als zur Konformität gezwungener „Fachmensch“ und Schule als tradierte erste gesellschaftliche Entfremdungsinstanz für Heran6 wachsende und damit per se als Ort der, durch physisch wie psychische Gewalt seitens des autoritären „Kerkermeisters“, der erlittenen Versagungen und der erzwungenen Zivilisation. Schließlich am Ende seines Vortrages angekommen, hält Adorno, wie es sich für einen pflichtbewussten Wissenschaftler gehört, einige, wenngleich auch zaghafte, Lösungsansätze für die zuvor eruierten Dilemmata bereit. So sei es zunächst wichtig für Lehrer, Eltern und Schüler sich über die tabubesetzten Fragen auszusprechen und ihre individuellen Ressentiments und Klischees aufzuklären. Zwar dürfe man die Möglichkeit jener Aufklärung gerade bei Schülern nicht überschätzen, jedoch sei „eine nur teilweise wirksame Aufklärung immer noch besser als keine“. Ein zugegebener Maßen recht einleuchtender Appell, wenngleich sich jener eingeforderte Dialog in den letzten Jahrzehnten, wenn überhaupt, nur mühsam kultiviert hat. Zu unüberbrückbar scheinen die Gegensätze, zu eingebrannt die Ressentiments. Neben der gegenseitigen Aufklärung sei es zudem unabdingbar, dass man die geltenden Tabus über dem Lehrberuf „schon in der Ausbildung der Lehrer behandeln“ müsse, „anstatt die Ausbildung ihrerseits an den geltenden Tabus zu orientieren“. Weiterhin sei gegen die „Ideologie des Schulischen“ anzugehen, denn die Schule habe eine immanente Tendenz, sich als Sphäre eigenen Lebens mit eigener Gesetzlichkeit zu etablieren. Ebenso sei gegen die „Geistfeindschaft“ mancher Schulverwaltungen solchen Lehrern gegenüber vorzugehen, die, etwa durch eigene Forschungen, „höher oder woanders hin wollen“, damit sie sich nicht wiederum in deren Geisteshaltung gegenüber ihren Schülern fortsetze. Noch unter den schrecklichen Eindrücken und erschütternden persönlichen Erfahrungen des Dritten Reiches stehend, das für Adorno den „Rückfall der Menschheit in die Barbarei“ repräsentiert, habe Schule als gesellschaftskonstituierende Institution letztlich die Aufgabe, an der „Entbarbarisierung“ der Gesellschaft mitzuwirken, was der „Befreiung von Tabus, unter deren Druck die Barbarei sich reproduziert“ bedürfe. Heute, vierzig Jahre nach Erscheinen des Vortrags „Tabus über dem Lehrberuf“, macht sich jedoch beim interessierten Beobachter Ernüchterung breit. Vie7 le der, von Adorno bereits in den sechziger Jahren entlarvten und anscheinend durch viele Jahrhunderte tradierten, Tabus haben nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt. Das Image des Lehrberufs, obschon dieser auch in vielen öffentlichen Umfragen im Vergleich zu anderen Professionen für durchaus ehrbar und angesehen befunden, scheint immer noch mit Mythen, Vorurteilen und Klischees besetzt, welche bis heute für das gegenseitige Misstrauensverhältnis zwischen Lehrern, Schülern und Eltern verantwortlich sind. Befördert letztlich durch die angespannte wirtschaftliche Situation in Deutschland und deren Auswirkung auf den Arbeitsmarkt kommen, im Gegensatz zu den sechziger Jahren, berufsstatusimmanente Klischees wie der hohe Verdienst, die geringe Arbeitszeit, die Unkündbarkeit zu den bereits vorhandenen Vorurteilen hinzu und provozieren letztlich Stammtisch-Zynismen wie, „Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei“. Dabei wird von Seiten der Öffentlichkeit der überaus anstrengende, Nerven raubende, arbeitsame und bisweilen frustrierende Arbeitsalltag eines Schullehrers geflissentlich ausgeblendet. Dass diese Ignoranz und Missbilligung bei so manch geschundener Lehrerseele für immer dickere Frustrationsmauern sorgt, dürfte einleuchtend sein. Im Zuge dessen ist auch die Frage nach den Leidtragenden der fatalen Auswirkungen eines derart negativen Bildungsklimas auf die Ausbildungsqualität gänzlich einfach zu beantworten. Es sind wie so oft die Schüler, die, obschon am wenigsten für die Misere verantwortlich, die größte Folgelast zu schultern haben. Das Problem, welche Medizin nun die geeignete ist, um den Patienten Lehrer von den krank machenden Vorurteilen und Tabus zu befreien, die Frustrationsspirale aufzuhalten und somit die verletzte Pädagogenseele zu kurieren, vermag ich an dieser Stelle nicht endgültig aufzulösen. Bei aller Diskussion um mögliche Therapien jedoch scheint eines jedoch sicher, ohne die zusätzliche Frustration durch das ewige öffentliche Diskreditieren des Lehrkörpers durch „Schulmediziner“ sämtlicher gesellschaftlicher Ressorts, wäre er sicherlich ungleich motivierter, sich aus seiner (teilweise durchaus selbstverschuldeten) Unmündigkeit zu befreien und weitaus aktiver am Schulreformprozess mitzuwirken. Denn eines ist gewiss, ein gesunder (Schul-) Körper bedingt einen gesunden (Lehrer-)Geist. 8