Hakims Kuckucksnest

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Hakims Kuckucksnest
magazin // stadtleben
In der Küche des Heidelberger Hard Rock
Cafés hat Hakim vor 35 Jahren angefangen. Heute ist er sein eigener Chef.
Hakims Kuckucksnest
IMBISS / Seit zwei Jahrzehnten bekocht Hakim Mossa in seinem Imbiss neben der
US-Kaserne in Heidelberg die Soldaten. Seine Spareribs sind weltberühmt. Nun zieht
die US-Armee ab, Hakim bleibt. Im Gewerbegebiet in Rohrbach hat sich der Afghane
ein kleines Paradies geschaffen. Und das schätzen auch die Heidelberger.
Als Hakim anfing, in Rohrbach Spareribs zu
verkaufen, damals in den frühen 90ern, als
New York noch unverwundet war, außer Peter
Scholl-Latour keiner je von den Taliban gehört
hatte und ein trockener Alkoholiker namens
George Walker Bush in Texas ein Baseballteam managte, während dessen Vater zwischen Euphrat und Tigris gegen Saddam focht,
damals also, als Hakim anfing, hatte er nur
diesen ausrangierten Jahrmarktbus – direkt
neben den europäischen US-Headquarters in
Rohrbach. Hakim, der Afghane, grillte in seinem Bus Spareribs und die US-Soldaten liebten ihn dafür. Sie boten viele Dollars, damit er
ihnen das Rezept für seine Gewürzmischung
verriet. Er verriet es nicht. Alle kamen sie zu
ihm, wurden Stammkunden, US-Soldaten aus
Holland, US-Touristen aus Florida – es hatte
sich bis in die USA herumgesprochen, dass
dieser immer gut gelaunte Afghane in „Heidelbörg“ die weltbesten Spareribs machte. Ha-
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kim war glücklich, die Soldaten waren glücklich – so hätte es ewig weitergehen können.
Held des 11. September
Dann kam dieser Tag im September, ein Dienstag. Die Amerikaner riegelten sofort die Kaserne ab, stellten Sperrzäune auf. Rund um die
Uhr bewachten Soldaten die Eingänge. Als Hakim Mossa am 12. September seinen Jahrmarktbus aufschloss, war die Welt eine andere – auch Hakims Welt. In den Wochen nach
den Anschlägen verkaufte er ein Drittel weniger. „Nischt, weil isch Afghane bin, sondern
wegen den Zäunen!“ Die Soldaten mussten
groteske Umwege gehen, um zu Hakims Imbiss – zehn Meter neben der Kaserne – zu kommen. Hakim dachte nach: „Wenn die nicht zu
mir komme könne, dann muss ich eben zu ihnen komme.“ Nach Feierabend nahm er die
übrig gebliebenen Spareribs vom Grill, spazierte um die Kaserne herum und schenkte sie
den hungrigen, wachhabenden Soldaten. „Isch
wollt zeige, dass net alle Bäume in Afghanistan schräg wachse.“ Die US-Army hat ihm eine Auszeichnung dafür verliehen. Hakim
Mossa, der Afghane, ist so etwas wie ein Held
des 11. September.
Zehn Jahre später steht Hakim Mossa, 52, in
seinem Imbiss und sagt, was er immer sagt:
„You got few minutes? Sorry.“ Private Norris
und Private Wehmeyer, zwei Stammgäste, lassen sich auf die alte Ledercouch vor Hakims
Luke fallen: „Of course, no problem, Hakim,
take your time.“ Die beiden kennen Hakim, sie
wissen, dass es bei ihm etwas länger dauert.
Hakim macht kein Fast Food. „Isch mach frisches Essen, brauch‘ Zeit“, sagt er. Und während Hakim die Spareribs auf den Grill legt,
Rüde Chicco es sich auf dem Perserteppich bequem macht und Freddy Mercurys Stimme
aus dem kleinen Radio säuselt, beginnt Hakim
Mossa, seine Geschichte zu erzählen.
Als kleiner Junge lernt Hakim daheim in
Herat beim Nachbarn Kürschner. Mit 17 hat er
sein eigenes Pelzgeschäft, pflegt Kontakte in
die ganze Welt, reist nach Russland, nach Europa – auch Heidelberg besucht er. Aber Herat
ist seine Heimat, hier will er bleiben. Außerdem läuft das Geschäft blendend: Der „Hippie
Trail“ führt durch Afghanistan. Blumenkinder
aus Europa und den USA reißen sich um Hakims Lammfelljäckchen.
Im April 1978 putschen sich die afghanischen Kommunisten an die Macht. Ein Bürgerkrieg bricht aus. Jeder Afghane muss sich nun
entscheiden: „Kommunist oder Demokrat?“,
wie Hakim sagt. Aber er will nicht gegen seine afghanischen Brüder kämpfen. Noch bevor
die Sowjets einmarschieren, verlässt Hakim
Mossa, gerade volljährig, seine Heimat. Und
sein Geschäft. Hakim will nur sechs Monate
fort, er plant seine Rückkehr – nach dem Krieg.
Der Krieg wird zehn Jahre dauern. Mindestens eine Million Afghanen sterben. Fünf Millionen fliehen, viele kehren niemals zurück –
wie Hakim Mossa.
Lächerlich große Portionen
„One dream, one soul, one prize, one goal“, Hakim nimmt die weltbesten Spareribs für die
US-Soldaten vom Grill, „one golden glance of
what should be“, schüttet seine Barbecue-Sauce, die in der US-Armee Legendenstatus hat,
darauf, und überreicht Norris und Wehmeyer
ihr Mittagessen. „It’s a kind of magic.“ Hakim
verkauft lächerlich große Portionen. Er kann
nicht anders. „Die Leute müsse doch satt werde“, sagt er, lächelnd wie immer, wenn er
spricht. Aus der Essensluke heraus wirft er
Brotkrumen, „au die Spatze habe Hunger“. Vor
seinen Bus hat er ein Zelt aus Holz, Plastikplane und Wellblech gebaut, „alles mit meine eigene Händ“. Oberlin-Trauben wachsen in den
Verschlag, überall hängen Bilder, Hakim sammelt sie, die meisten hat er vom Flohmarkt.
Die Inneneinrichtung – Sofas, Tische, Stühle –
fand er auf dem Sperrmüll.
Hakim kennt keinen Menschen, der sich in
seinem Gastraum nicht wohlfühlt. An der römischen Sitzecke, die ihm der Steinmetz aus
der Nachbarschaft gemacht hat, schläft Lali,
Chiccos Sohn. Gerade kommt Mike Ray rein,
ein guter Freund. Eigentlich sind alle Kunden
Hakims auch seine Freunde. Aber der New
Yorker Mike und der Herater Hakim kennen
sich seit 18 Jahren. „I call him ‚the Meister‘“, erzählt Mike. Der Hakim von heute, erklärt Mike,
sei der Hakim von gestern, und der Hakim von
gestern sei der Hakim von morgen. „He never
changes, he’s always happy and open to everyone, that’s why everybody loves him.“
Die ganze Wahrheit ist das aber nicht: Viele US-Boys lieben Hakim einfach nur, weil er
die besten Spareribs macht, die sie jemals gegessen haben. Sogar ins Fernsehen hat Hakim
es damit schon geschafft. Der SWR hat vor ein
paar Jahren eine Reportage über ihn gedreht.
Dass sich einmal das deutsche Fernsehen
für ihn interessieren wird, ahnt Hakim Ende
der 70er Jahre, als er seine Heimat verlässt,
nicht. Der damals 18-Jährige will mit Hilfe eines Freundes nach Italien, aber er bekommt
kein Visum. Über Umwege erreicht er Heidelberg, kommt bei einem Freund unter, den er
von seinen Reisen kennt. Schnell findet Hakim
Arbeit. Zuerst im Hard Rock Café in der Hauptstraße, wo er aber wieder kündigt, weil es zu
oft Schlägereien gibt. Er heuert bei einer Che-
Hakim kennt niemanden, der
sich bei ihm nicht wohlfühlt.
mie-Firma in Östringen als Schichtarbeiter an.
Acht Jahre hält er es aus, dann stirbt sein Meister mit 42 Jahren. Hakim hat Angst um seine
Gesundheit – und kündigt wieder. Aber er hat
schon eine Idee, wie es weitergeht. „Ich war
nie eine faule Brot“, erzählt Hakim, „hab nie eine Cent von de Staat bekomme.“
Nach fast zehn Jahren in Deutschland – in
Berlin ist gerade die Mauer gefallen, die Sowjets ziehen aus Afghanistan ab – macht Hakim
Mossa sich in seiner neuen Heimat selbständig. Nicht als Kürschner, als Koch. „Isch hatte
Interesse an Kocherei“, erzählt er. Er öffnet eine Imbissbude in Neustadt, aber die läuft
nicht. Er geht nach Walldorf, eröffnet seinen
nächsten Imbiss. Nun brummt der Laden, aber
nach anderthalb Jahren bietet ihm jemand
viel Geld für den Imbiss. Er verkauft. Nach einem Intermezzo als Koch in der Cafeteria des
„European Molecular Biology Laboratory“
(EMBL) auf dem Königstuhl, wo Hakim Wissenschaftler aus der ganzen Welt bekocht, seine Kochkünste verfeinert, ist es soweit: Hakim
Mossa, der Afghane, eröffnet „Hakims Imbissund Steakhaus“, am Ende der Sickingenstraße,
direkt neben der US-Kaserne in Rohrbach.
So sollte die ganze Welt sein
„Ich sehe das philosophisch“, sagt Helmut, „für
mich ist das hier wie ein Kuckucksnest.“ Helmut ist Bildhauer, er ist fast jeden Tag hier,
setzt sich neben die Luke oder aufs Sofa, redet
mit Hakim und seinen Gästen oder hört einfach nur zu. Ein Kuckucksnest – er spielt auf
den alten Film mit Jack Nicholson an, in dem
eine psychiatrische Anstalt die Gesellschaft
widerspiegelt. Aber bei Hakim gibt es einen
entscheidenden Unterschied: „Der Imbiss ist
ein Mikrokosmos, der so ist, wie die ganze Welt
sein sollte.“ Manchmal isst Helmut etwas,
aber oft sitzt er einfach nur da, trinkt vielleicht
ein Bier – und genießt die Ruhe.
Und Helmut hat Recht: Jeden Tag treffen
sich bei Hakim Soldaten und Studenten, Banker und Busfahrer, warten geduldig auf ihr Essen, unterhalten sich, in allen Sprachen. Und
Hakim mittendrin, als ruhender Fixpunkt, auf
den sich jeder verlassen kann – immer. Eigentlich macht Hakim um neun Feierabend, putzt,
räumt auf und geht nach Hause. Aber wenn
um halb 10 jemand kommt, wirft er den Grill
eben wieder an. „Isch kann net ‚Nein‘ sage,
wenn jemand hat Hunger.“
„Hakiiim, Mensch, wie geht’s?“ Andi und
Tom, die Straßenbahnjungs, sind da. Sie kommen zu Hakim, wann immer sie einen Einsatz
in Heidelberg haben. „Ein Arbeitskollege hat
die Reportage über Hakim im Fernsehen gesehen“, erzählt Andi, „seitdem sind wir regelmäßig da.“ Spareribs, Steakweck, Currywurst – sie
haben alles schon probiert. Heute wollen sie
das volle Programm: Baguette mit Steak, Zwiebeln, Käse und Champignons. „Ich klau euch
ein paar Sekunde, ja?“, sagt Hakim und verschwindet am Herd. Zehn Minuten später gibt
Hakim zwei grotesk riesige Sandwiches durch
die Luke. Helmut, der Bildhauer, lächelt und
schüttelt den Kopf. Er hat oft unter Hakims
Portionen zu leiden. „Ich sag’s ihm immer wieder, ‚bitte nicht so viel‘, aber er kann es nicht.
Er kann‘s einfach nicht.“
Weiter, als in diesem Moment, könnte der
Krieg in Afghanistan nicht weg sein. Wann
Hakim zuletzt in Herat war? „Vor dreißig Jahren.“ Zum ersten Mal heute lächelt er nicht.
„Politik is‘ Politik“, sagt Hakim traurig. „Aber
Essen is‘ Essen“, schiebt er schnell hinterher,
drückt Helmut ein riesiges Sandwich in die
Hand. Und lächelt sein breitestes Lächeln.
sebastian riemer / fotos: tobias paul
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