Glaubwürdiges Modell für ein anderes Miteinander
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Glaubwürdiges Modell für ein anderes Miteinander
6 | Sierra Leone Don Bosco Fambul (Krio für „Familie“) ist die größte Einrichtung und in Sierra arbeitslosen Leone, Jugendlichen die mit Straßenkindern arbeitet. Jedes Jahr unterstützt sie fast 1000 Kinder und Jugendliche. „Unsere Organisation ist für Kinder und Jugendliche oft der einzige Rettungsanker“, beschreibt die dort tätige ZFD-Fachkraft Sabine Kolping. Ihr Bericht zeigt, wie es dem Zentrum gelingt, jungen Menschen und ihren Familien in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land eine Perspektive zu geben. Die Autorin Sabine Kolping arbeitet seit 2009 bei Don Bosco Fambul in Freetown. Fotos: Sabine Kolping Glaubwürdiges Modell für ein anderes Miteinander Jugendarbeit von Don Bosco Fambul gibt gesellschaftliche Impulse in Sierra Leone John Kargbo war 12 Jahre alt als er von zu Hause weglief, weil er die extreme Armut nicht mehr ertragen konnte. Er und seine beiden Schwestern gingen oft hungrig zur Schule und hungrig ins Bett. Schon nach der Grundschule konnten Johns Eltern sein Schulgeld nicht mehr zahlen. Sein Vater, ein gelernter Maurer, war arbeitslos, seine Mutter konnte sich wegen Kinderlähmung nur mühsam auf Krücken fortbewegen und bettelte an der Fähre. John wollte eigenes Geld verdienen und verließ die Familie. Im ersten Jahr besuchte er seine Eltern noch einmal im Monat, danach nicht mehr. Der Junge suchte in der Hauptstadt Freetown ein besseres Leben. Fast drei Jahre lang hat er auf der Straße gelebt, gegessen, gearbeitet und geschlafen. Er hatte Glück: Er ist nie Opfer von physischer oder sexueller Gewalt geworden. Voller Stolz erzählt er, dass er nie gestohlen hat und sich immer durchschlagen konnte. Auf der Straße hörte der Junge von Don Bosco Fambul und bat dort um Hilfe: „Man sagte mir, dort gäbe es alles: einen sicheren Schlafplatz, ausreichend Essen, eine Schule und Menschen, die einem zuhören“, erzählt er. Jetzt sitzt der 16-Jährige dort in einem Büro und erzählt von seinem Leben „auf der Straße und danach“. Tiefe Wunden des Bürgerkrieges Wie John leben schätzungsweise 4.000 Kinder in Sierra Leone auf der Straße: Sie können weder lesen noch schreiben und leben in permanenter Gefahr, ausgebeutet und misshandelt zu werden. Die Kindersterblichkeit im Land ist die höchste in der Welt - ebenso sterben sehr viele Mütter nach oder während der Geburt, weil die medizinische Versorgung nach wie vor mangelhaft ist. All das sind Folgen des grausamen elfjährigen Bür- gerkrieges, der in Sierra Leone wütete und der Unfähigkeit der Regierung - gepaart mit einem Ausmaß an Korruption, das wir uns nur schwer vorstellen können. Die Menschen haben unvorstellbares Leid erfahren und müssen nun ihre Kriegstraumata verarbeiten. Ehemalige Kindersoldaten sind jetzt Moped-Taxi-Fahrer: Menschen, die verstümmelt oder vergewaltigt wurden, schlagen sich irgendwie durch. Die Infrastruktur wurde in großen Teilen zerstört. Seit acht Jahren ist der Krieg in dem westafrikanischen Land, das mit 71.000 Quadratkilometern nur unwesentlich größer als Bayern ist, zwar offiziell beendet. Doch die soziale, politische und wirtschaftliche Situation ist nach wie vor fragil. Fast 90 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Besonders hart trifft es die junge Generation: Sie sehen keine Perspektive für sich, ihre Verzweiflung birgt ein latentes Unruhepotenzial für das Land. Rat, Ausbildung und Hilfe für Jugendliche Straßenkindern in der schwierigen Nachkriegssituation des Landes eine Perspektive geben und ihre Familien stärken, dafür setzt sich Don Bosco Fambul ein. Auch John Kargbo hat es mit Hilfe der Organisation geschafft. Er lebt heute wieder bei seinen Eltern und wird dort wird regelmäßig von einem Don Bosco Fambul-Sozialarbeiter besucht, der sich vergewissert, dass es zu Hause gut klappt und John nicht wieder auf die Straße zurückgeht. Seine Schulgebühren übernahm Don Bosco, ebenso wie die Finanzierung einer Einkommen schaffenden Maßnahme für die Mutter als Haupternährerin. Nicht nur obdachlose, auch arbeitslose Jugendliche haben bei Don Bosco ihren Platz: Für 250 junge Menschen zwischen 18 und 28 vermittelt die Einrichtung Ausbildungsstellen innerhalb und außerhalb von Freetown und lässt sie durch die Sozialarbeiter des Skill Glaubwürdiges Modell für ein anderes Miteinander | 7 Don Bosco-Sozialarbeiter halfen John Kargbo (li.) eine neue Lebensperspektive zu entwickeln. Departments betreuen. Auch ein Jugendzentrum für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Viertel und ein Sorgentelefon gehören zu den Angeboten. Beim Sorgentelefon melden sich seit seinem Start im Januar dieses Jahres jede Woche mehr als 450 junge Anrufer und finden für ein offenes Ohr für alle Arten von Problemen. Ziel Don Boscos ist es, die Kinder zu aufrechten Bürgern und starken Gläubigen zu erziehen, beschreibt Bruder Lothar, der Direktor von Don Bosco Fambul. Dies solle erreicht werden durch Liebe, Vernunft und Religion. „Die Straßenjungs, die sich bei uns einer Rehabilitation unterziehen, werden weder geschlagen noch werden sie verbal attackiert. Schon dadurch unterscheiden wir uns von anderen Einrichtungen in Sierra Leone, die außerfamiliäre Erziehung anbieten“, sagt Bruder Lothar, der seit 1993 bei den Salesianern und seit anderthalb Jahren Leiter der Einrichtung Freetown ist. „Außerdem legen wir großen Wert darauf, dass Fürsorge auch im Team untereinander passiert. Du kannst nicht Straßenkindern und Jugendlichen Liebe und Fürsorge angedeihen lassen und dich dann im Team oder privat deiner Familie gegenüber als Egoist erweisen.“ Einer aus diesem Team ist Herr G. Der Sozialarbeiter hat den Krieg in Sierra Leone vom ersten bis zum letzten Tag erlebt. Vom Osten des Landes ist er mit seiner Herkunftsfamilie zu drei verschiedenen Flüchtlingslagern in Guinea geflohen - und wieder zurück, diesmal in den Westen von Sierra Leone. Dort machte er unter schwierigsten Bedingungen sein Abitur. Herr G. ist einer der wenigen, der offen über den Krieg und seine Erlebnisse sprechen kann. Nach 2001 versorgte er beim Internationalen Roten Kreuz Verwundete und hörte sich deren Geschichten an. „Das hat mich dazu Empfangen das Aschenkreuz: Kinder während des Aschermittwochgottesdienstes im Haus von Don Bosco Fambul. gebracht, Sozialarbeiter zu werden“, sagt er. Die Erfahrung, dass es viele Menschen gibt, denen es noch viel schlechter geht als ihm, hat ihn motiviert, zu helfen. Er sei froh, bei Don Bosco Fambul zu arbeiten, denn hier werde der Mensch als Ganzes betrachtet in allen seinen Dimensionen, sagt G. Vorbild für gewaltlose Konfliktlösung Der Krieg in Sierra Leone hat nicht nur viele Todesopfer gefordert und wirtschaftliche Existenzen zerstört. Familien wurden auseinander gerissen, Kinder als Soldaten und Sklavinnen missbraucht, Drogen und Gehirnwäsche erzeugten einen unvorstellbaren Blutrausch. Dies ist weit davon entfernt, aufgearbeitet und überwunden zu sein, es wird in weiten Teilen der Bevölkerung eher heruntergespielt. In vielen Familien oder Nachbarschaften herrschen Schweigen oder Gebrüll, wenn es um die Bewältigung von Problemen oder Konflikten geht. Sie müssen eine neue Kultur des Miteinandersprechens finden. Kirchliche Einrichtungen wie Don Bosco Fambul können deshalb für das Land sehr wertvoll sein, weil sie ein anderes Miteinander vorleben. Sie beweisen jeden Tag ihre Glaubwürdigkeit durch Fürsorge, Gewaltlosigkeit und Toleranz. Ihre tätige Nächstenliebe, ihr gelebter Glauben und ihre Spiritualität können da, wo Kommunikation und Zusammenleben schwierig oder unmöglich geworden sind, als Modell wirken. Sabine Kolping Die Sozialarbeiterin Sabine Kolping ist seit 2009 als ZFD-Fachkraft, Beraterin und Ausbilderin für Friedensarbeit bei Don Bosco Fambul in Freetown in Sierra Leone.