Theresa Schwarz Téléservice des Jeunes/Don Bosco

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Theresa Schwarz Téléservice des Jeunes/Don Bosco
Theresa Schwarz
Téléservice des Jeunes/Don Bosco
Brüssel
Rundbrief 1:
Hallo zusammen!
Jetzt sind es schon fast drei Monate, die ich hier in Brüssel wohne. Unglaublich, wie schnell
die Zeit vergeht! Ich kann mich noch ganz genau an das erste Wochenende erinnern, an dem
ich komplett allein in meinem Zimmer gehockt und als Touristin Brüssel etwas erkundet habe,
noch ganz verschreckt von der (für mich) sehr großen Stadt. Dadurch, dass Aglasterhausen
mit seinen 5000 Seelen ja wirklich nicht besonders groß ist, war die Umstellung für mich
schon krass und es hat auch echt eine Weile gedauert sich an den ganzen Lärm, die vielen
Menschen und eben alles was eine Großstadt so ausmacht zu gewöhnen. Mittlerweile höre ich
das aber schon gar nicht mehr, im Gegenteil, wenn es ruhig ist habe ich eher das Gefühl das
etwas fehlt. Wobei man das so und so sehen kann, da ich grundsätzlich immer das Pech habe
in genau den U-Bahn-Waggon einzusteigen in dem jemand Akkordeon oder Klarinette spielt
oder ganz schrecklich (mit Lautsprecher!!) singt.
In „meiner“ WG fühle ich mich sehr wohl, ich wohne hier mit neun anderen Leuten
zusammen, kunterbunt zusammengewürfelt aus allen Altersklassen und Ländern. Jeder hat
hier sein eigenes Zimmer, das je nach Bewohner ganz unterschiedlich gestaltet ist. Meines
zum Beispiel war vor meinem Einzug wirklich ganz schrecklich pink und gelb, doch dank der
Hilfe meiner Familie ist das Gott sei Dank Geschichte. Da die Arbeitszeiten der Leute hier
(falls sie welche haben) sehr unterschiedlich sind, sind es eigentlich immer nur drei mit denen
ich mehr zu tun habe. Wenn ich abends nach Hause komme und in die Küche gehe treffe ich
eigentlich grundsätzlich Jim, Alexia oder Goisella an. Mit Jim esse ich auch relativ häufig zu
Abend, da es zu zweit einfach besser ist als allein, und zusammen kochen macht ja eh mehr
Spaß. Da mir die Kontakte zu anderen Personen sehr wichtig sind, und ich auch Menschen um
mich herum brauche, bin ich sehr froh, in Jim jemanden gefunden zu haben mit dem ich
immer reden kann, wenn was ist, oder mit dem ich einfach mal ein Bier trinken kann. In
gewisser Weise ersetzt er mir hier meinen Bruder, und irgendwie erinnert er mich auch sehr an
ihn, wobei sie bei genauer Betrachtung doch sehr verschieden sind. Alexia ist sozusagen die
"Mama" hier, die alles organisiert und auch mit ihr verstehe ich mich sehr gut. Wir drei essen
häufig zusammen, erzählen und mit ihnen ist es einfach jedes Mal total ungezwungen und sie
helfen mir enorm mit meinem Französisch, weisen mich auf Fehler hin und helfen mir, wenn
mir mal nicht die richtige Formulierung einfällt.Ich bin ganz ehrlich erstaunt, wie sehr mir
meine Mitbewohner in dieser kurzen Zeit schon ans Herz gewachsen sind! Und ich weiß jetzt
schon, dass ich sie sehr vermissen werde, wenn ich in einem knappen Jahr wieder nach Hause
"muss".
Jedes Jahr hat meine belgische Organisation Téléservice eine deutsche und eine französische
Freiwillige. Dieses Jahr heißt sie Anais und in ihr habe ich bereits jetzt schon eine sehr gute
Freundin gefunden. Mit ihr verbringen ich sehr viel Zeit auch neben der Arbeit, egal ob wir
was trinken gehen oder sie nach der Arbeit zu mir zum gemeinsamen Kochen kommt oder ob
wir zusammen irgendwelche lästigen Dinge erledigen, wie die ganzen formellen Sachen wie
eine belgische SIM-Karte kaufen. Erst gestern hat sie mir gesagt, dass sie auch sehr froh ist,
mich kennengelernt zu haben, und dass mein Französisch immer besser wird, und sie jetzt
praktisch schon im gleichen Tempo mit mir spricht, wie auch zuhause mit ihren Freunden. Da
die anderen deutschen Freiwilligen von EIRENE hier in Brüssel immer ganz andere
Arbeitszeiten haben als ich und dort auch sehr viele Freiwillige aus allen möglichen Ländern
arbeiten sehen wir uns nicht so oft. Mit Anais bin ich aber jedes Wochenende unterwegs, egal
ob wir shoppen gehen, was bei unserem „Gehalt“ nicht so ganz einfach ist aber Brüssel hat
unglaublich viele total interessante und richtig coole Secondhandshops, Spaziergänge machen
um alles hier besser kennen zu lernen oder abends weg gehen, immer ist was los. Für mich als
Dorfkind war das eine ganz neue Erfahrung auf einmal bis spät in die Nacht bzw. bis in den
Morgen hinein mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren zu können! Brüssel ist
aber nachts nicht unbedingt ungefährlich, weswegen man sich , wenn es nicht unbedingt sein
muss, nicht unbedingt nach Mitternacht in den U-Bahn Stationen aufhalten sollte, noch dazu
wenn man blond ist und die französische Sprache noch nicht soooo gut beherrscht.
Jetzt aber mal zu meiner Arbeit:
In der Consigne, einer Anlaufstelle für Obdachlose arbeite ich Montag- und Dienstagmorgens
mit Obdachlosen. Sie kommen dorthin um sich beispielsweise zu rasieren, zu waschen oder
sich einfach nur auszuruhen und Kaffee zu trinken und sich (besonders im Winter)
aufzuwärmen. Meine Kollegen sind super cool, besonders mein Chef, der selber noch
ziemlich jung ist. Was dort wichtig ist, ist einfach da zu sein, zuzuhören, zu reden, dabei aber
trotzdem noch Distanz zu bewahren. Wenn man die Geschichten, von denen man natürlich
auch nicht immer weiß, ob sie wahr sind, zu nah an sich heranlässt, kann einen das auf Dauer
auch kaputt machen, gerade wenn ich Jugendliche treffe, die so alt sind wie ich und auf der
Straße leben. Auch ist es wichtig, die Leute "nicht zu nah" heranzulassen, für diesen Zweck
haben mir meine Eltern auch einen wunderschönen schlichten Silberring gekauft, der ganz
klar signalisiert, dass ich nicht mehr zu haben bin und auch nicht meine Telefonnummer
hergeben werde. Wenn ich alles zulassen würde, wäre ich schon mindestens zehnmal
verheiratet und meine kleine Schwester (13) auch. Aber an sich gab es noch keine Probleme,
vor allem, da ich von Anfang an klar deutlich gemacht habe, dass ich hier arbeite und mehr
nicht. Ich bin einfach super stolz, wenn ich die Tür aufmache, mit Namen begrüßt werde und
ich selber den Namen der Person auch weiß. Auch wenn das nicht immer einfach ist, da jeden
Tag Andere kommen und es bis zu 35 Leuten pro Tag sein können und sie sehr viele arabische
Namen haben, die für eine Deutsche einfach nicht so leicht zu behalten oder auszusprechen
sind.
Meine zweite Arbeitsstelle ist bei Don Bosco, einer Hausaufgabenschule für Kinder und
Jugendliche. Dort arbeite ich zweimal die Woche Nachmittags und helfe den Kids bei den
Hausaufgaben, lerne mit ihnen und muss dabei noch dafür sorgen, dass eine ansatzweise zur
Konzentration geeignete Atmosphäre herrscht, was alles andere als leicht ist. Bei den
sogenannten Primaires haben die Animateure jeweils einen festen Tisch mit ca. sechs
Kindern, was sehr gut ist, da man dadurch immer mit den gleichen arbeitet und daher auch
weiß, wo sie Probleme haben oder was ihnen keinen Spaß macht. Die Kids bei Don Bosco
kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, oder zumindest ihre Eltern und Großeltern.
"Meine Kinder", also die Kids an meinem Tisch sind mir besonders ans Herz gewachsen, und
mir geht jedes Mal das Herz auf, wenn sie auf mich zugerannt kommen, ich ein Küsschen
kriege und sie mich herzlich umarmen. Trotz allem respektieren sie mich (zumindest
meistens), auch wenn es einige gibt, die sich einfach nicht an Regeln halten und einem
manchmal wirklich den letzten Nerv rauben. Trotzdem freue ich mich jedes Mal auf sie, da es
auch die unkomplizierte Variante gibt, die einem dann wieder Motivation gibt, wenn einen die
anderen zur Weißglut treiben.
Neben der Hausaufgabenschule bietet Don Bosco auch Animationen für Kinder von sechs bis
zwölf Jahren an, zweimal die Woche nachmittags. Für uns, die Animateure, bedeutet das
Spiele vorzubereiten, sich Bastelideen auszudenken oder auch einfach mal mit den Kids eine
Pizza zu backen, die Hauptsache ist, dass es abwechslungsreich ist, wie beispielsweise die
erste Animation in diesem Jahr, in der wir Star Wars inszeniert haben und die Kids den Guten
helfen mussten die Bösen zu besiegen. Spiele wie dieses sind einfach toll und machen ihnen
jede Menge Spaß, und wenn es „meinen“ Kids gut geht, geht es mir auch gut!
Jetzt zu meiner letzten und liebsten Arbeitsstelle: dem Secondhandshop. Ich LIEBE es
einfach, dort zu arbeiten, auch wenn es zum Teil wirklich anstrengend ist und man nicht
immer tolle Sachen findet. Bei der ersten Überprüfung der abgegebenen Säcke weißt du eben
einfach nie, was dich erwartet, wenn du den Sack aufmachst. Es können echte Schätze oder
einfach nur "Kleiderabfall" und vollgeschissene oder bepinkelte Klamotten sein. Am liebsten
arbeite ich bei der zweiten Aussortierung, bei der das meiste schlechte schon aussortiert ist
und man die Sachen, die im Shop verkauft werden heraussucht. Bei der dritten Aussortierung
wird dann alles auf Bügel gehängt und entweder für den Sommer verstaut oder eben in den
Shop einsortiert oder auf die "Wartestangen" gehängt. Das wird Donnerstagvormittags
erledigt, eigentlich arbeitet Anais da in der Consigne im Büro, aber dort gibt es meistens
nichts zu tun, was bedeutet, dass wir oft zusammen arbeiten, was jedes Mal einfach super
lustig und sehr abwechslungsreich ist. Mit von der Partie ist auch Annick, meine
Lieblingskollegin, super nett und witzig, kurzum, es macht mega viel Spaß mit ihr zu
arbeiten. Von ihr werden wir auch häufig mit hauseigenem Klatsch und Tratsch versorgt, was
durchaus sehr interessant und meistens auch sehr lustig ist.
Nachmittags ist der Shop dann geöffnet, und ich sitze bzw. stehe an der Kasse, während
Annick nach dem Rechten schaut, und Anais bei Don Bosco arbeitet. Diese Nachmittage sind
für mich die besten, auch wenn ich zum Teil wirklich verärgert bin, wie manche Kunden
meinen mit uns umgehen zu können, du es aber (bzw. ich) lächelnd ertragen musst, weil der
Kunde ja bekanntlich König ist. Aber Annick ist da zum Teil sehr resolut und wird von allen
Kunden auch respektiert und sehr geschätzt. Wir haben den gleichen Humor, was die Arbeit
einfach erleichtert und selbst schwierige bzw. nervige Situationen erträglich macht. Auch hier
kann ich sagen, Gott sei Dank habe ich meinen Ehe- bzw. Verlobungsring!
So, das war’s jetzt fürs Erste, ich hoffe ich konnte euch einen guten ersten Eindruck
vermitteln! Meine Familie und Freunde vermisse ich selbstverständlich, alles andere wäre ja
auch nicht normal. Auch meine Katze fehlt mir. Dadurch dass ich hier aber in meinen
Kollegen und Mitbewohnern zum Teil richtig gute Freunde schon gefunden habe, hält sich die
Sehnsucht in Grenzen. Auch weiß ich ja, dass Belgien ja nicht ganz aus der Welt ist und ich
für ein Wochenende nach Hause fahre und Weihnachten mit meiner ganzen Familie
verbringen werde nebst Großeltern und Cousinen, Cousins und Onkel und Tante.
An dieser Stelle möchte ich mich auch nochmal ganz ♥-lich bei allen bedanken, die mir dieses
Jahr ermöglicht haben und denen ich zu verdanken habe, dass es mir einfach super geht! Ich
fühle mich hier richtig wohl, auch mein Französisch wird immer besser und ich hätte nicht
gedacht dass ich das mal sagen würde (und wer mich kennt wird das bestätigen) aber ich liebe
es einfach zu arbeiten! Hier mache ich eigentlich nur Sachen, die mir Spaß machen, was
einfach nur toll ist.
Bis zum nächsten Rundbrief und ganz viele liebe Grüße nach Deutschland oder wo ihr auch
immer seid,
eure Theresa ♥

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