Laudatio Röggla - Arthur Schnitzler Gesellschaft
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Laudatio Röggla - Arthur Schnitzler Gesellschaft
Monika Meister "uns sind die himmelsrichtungen verrutscht" - Laudatio für Kathrin Röggla Arthur-Schnitzler-Preis 2012 Kathrin Rögglas Theaterstücke sind Texte über die Wahrnehmung der Gegenwart, die Konstellationen der globalisierten Welt seismographisch aufnehmen und scharfsichtig analysieren. Röggla zerlegt Machttechnologien und lässt so Mikrostrukturen eben dieser Macht erkennen. Darum geht es der Autorin: "mich interessieren gesellschaftliche knoten. mischverhältnisse, zusammenhänge. widersprüche" (Interview 2005, www.aurora-magazin). Ihre Texte sind medienkritische Zeitdiagnosen im besten Sinn des Wortes, am Material der Gegenwart erarbeitet, zwischen Dokument und ästhetischer Transformation dieses Dokumentarischen eingerichtet. Den genauen Wirklichkeits-Recherchen kommt in ihren szenischen Übersetzungen immer auch etwas Verfremdetes zu, so, dass Aufmerksamkeit entsteht. Die Arbeiten Rögglas sind als artifizielle Szenarien, als Textmontagen zu bezeichnen, die in die Mitte einer Gesellschaft treffen. Die Kategorien von „Sinn“ und „Ethik“ werden reflektiert und kritisiert, nicht länger als unhinterfragt vorgegeben betrachtet. Sie schreibt Theaterstücke, Prosatexte, Hörspiele – immer im Gestus des Hier und Jetzt. Ihre Theatertexte erfassen die Probleme der Zeit an den Wurzeln: es geht um politische Zusammenhänge, um Arbeitssituationen und Alltag, um Skandale und Gesellschaftskrisen, um Wirtschaftskrisen, Schulden und Verschuldung, kurz um ein Geschehen, das unsere Zeit bestimmt und das oftmals nichts anderes als Ohnmacht und Lähmung hervorruft. In dieses explosive Vakuum hinein setzt Röggla ihre brisanten Gegenwarts-Analysen: es sind die Vertreter sozialer Schichten und Gruppierungen, die hier ihren Auftritt haben: die Berater, Regulierer, Manager, Journalisten, Psychologinnen, genauer "pseudo-psychologin" wie in den "Beteiligten", eine quasi-irgendwie-Gesellschaft. 1 Ist es möglich, die Realität auf der Bühne zu zeigen? Die so genannte "eins zu eins" Wiedergabe - geht das? Röggla experimentiert mit dem Status und den konstitutiven Elementen des Theaters, die Metaebenen reflektierend und ausstellend. Sie zeigt Stück für Stück, dass das Theater eine eigene Wirklichkeit behauptet, die als Parallelwelt die Wirklichkeit darzustellen vermag. Es sind die minimalen Verschiebungen, die Realitätsanspruch erheben, es sind vielfache Differenzen zwischen Fiktion und Realität. Ebenso hinterfragt Röggla die Vorgaben der political correctness-Sprache – so wenn der Begriff der Transparenz abgeklopft wird auf die in ihm verdichtete Ambivalenz von Offenlegung und Kontrolle. Kathrin Röggla 1971 in Salzburg geboren, studierte Germanistik und Publizistik, beginnt bereits als Teenager, Texte zu schreiben und diese in freien Theatergruppen zu inszenieren. Das scheint mir für die Theaterstücke von Kathrin Röggla kennzeichnend zu sein, dass sie das Theater als kollektives Arbeitsfeld kennen lernte, darin sozialisiert wurde. Dies bedeutet einen anderen Zugang zum Theater, einen der die Texte in Kontexte von Raum und Zeit und Arbeitsabläufe der Bühne stellt. Seit 1992 lebt Röggla in Berlin. Die Großstadt ist Bedingung ihres Schreibens. Keine Stilisierung einer in der Abgeschiedenheit dichtenden Schriftstellerin ist intendiert. Vielmehr braucht Röggla die permanente kritische Auseinandersetzung. "Schreiben ist für mich etwas Dialogisches, Antwort auf und Kritik an etwas, das immer schon da und vermittelt ist." (Th heute, März 2004, 57). Sprache ist Kommunikation und zugleich Abwesenheit von Kommunikation; im Dialogischen ist deren Verweigerung präsent. "Theater ist ja auch NichtKommunikation, Punk, Abwehr." (Radikal weiblich, 2010, 97) Das ist das Spiel, das Röggla intensiv betreibt. Dabei sind zentrale Kategorien des Theaters wie Ausdruck, Rolle, naturalistische Wiedergabe, Kopie, Fiktion etc. Thema. Das heißt, im Spiel wird das Spiel reflektiert. Die Metaebene fungiert als Kommentar zur Anordnung des Spiels. Es geht der Autorin – so scheint mir - nicht nur darum, die Symptome der Zeit zu konstatieren, sondern vielmehr darum, das der Krise zugrunde liegende Potential darzustellen, das Unausgesprochene, Unsichtbare aufscheinen zu lassen. Dafür ist der Raum und die Zeit des Theaters gemacht: über das Hier und Jetzt, das Anwesende, die präsenten Figuren und die gesprochene Sprache, das Abwesende, das nicht Gesagte, zum Ausdruck zu bringen. Deshalb auch sind die Gespenster in Rögglas Stücken so stimmig bis hin zum TOTALGESPENST. Gespenster sind Figuren und Nicht-Figuren zugleich, da und nicht da – mithin bis aufs 2 Äußerste ambivalent. In dem Stück WIR SCHLAFEN NICHT ist die fünfte Szene betitelt "panik und gespenster", in dem im Picus Verlag erschienenen Text aus dem Jahr 2009 ist von "gespensterarbeit" die Rede, genauer "gespensterarbeit, krisenmanagement und weltmarktfiktion". In einem Gespräch sagt Kathrin Röggla (2007/08, geführt mit Stephanie Müller) "Ich finde das Unheimliche sehr interessant. Das hat ebenfalls etwas mit Leerstellen und Lücken zu tun. Mein Motto wäre Unheimlichkeit und Komik, das zusammenzubringen, das macht den besten Theaterabend." (in: Radikal weiblich, Theater der Zeit, Recherchen 72, 2010, S. 99) Beides, das Unheimliche und das Komische sind der Produktionsweise des Unbewussten zuzuordnen, dessen Material im Kontext poetischer Verfahrensweisen mittels Verdichtung und Verschiebung, Verkehrung ins Gegenteil bearbeitet wird. Für Kathrin Röggla bedeutet Schreiben fürs Theater zuallererst Sprach-Arbeit, eine Sprache zu finden für den jeweiligen Raum, Zwischenraum, dem auch das Schweigen zugehört. Es sind nicht die Plots und Stories, die Rögglas Texte antreiben, es ist die Arbeit mit dem Sprachmaterial der Wirklichkeit, das transformiert in die Raum-Zeit des Theaters uns diese Wirklichkeit erst erkennbar macht. Kathrin Rögglas Interesse für das Theater hat zu tun mit der nur am Theater in dieser Form der Präsenz zu verhandelnden Ambivalenz von Leben und Kunst. Sie hält fest: "mich interessiert ein theater, das mit authentizität spielt und ihr mit höchster künstlichkeit begegnet, ein theater, das seinen rahmen mitdenkt, seine medialität reflektiert. Das ein sprechen zulässt, welches sich nicht gleich ausradiert, das einen sprachkörper sichtbar werden lässt, der über die figuren hinausget. Ein theater, das nicht so tut, als ob die sprache einzig dazu da ist, in figuren zu versickern, damit die dann möglichst plastisch dastehen." (Kathrin Röggla, Tütentheater, www.nachtkritik-stuecke08.de) 3 4