Wie durchschaubar sind wir? So könnt ihr helfen

Transcription

Wie durchschaubar sind wir? So könnt ihr helfen
Prof. Dr. Wolfgang Däubler
Texte zum Referat am 4. 11. 2015
(Auszüge aus: Däubler, Gläserne Belegschaften? 6. Aufl. 2015 – Bund-Verlag)
I. Gesundheitsdaten und gentechnische Untersuchungen
(§ 6 IV des Buches)
1.
Traditionelle Gesundheitsdaten
a)
Die Sonderregeln über sensitive Daten
269
Auf die Gesundheit des Beschäftigten bezogene Daten werden von § 3 Abs. 9 BDSG erfasst und
unterliegen den spezifischen Verarbeitungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 6–9 BDSG.590 Im bestehenden
Beschäftigungsverhältnis kommen als Rechtsgrundlage für die Erhebung entsprechender Daten nur § 28
Abs. 6 Nr. 3 BDSG und § 28 Abs. 7 BDSG in Betracht.
270
Bei Abs. 6 Nr. 3 geht es insbesondere um die Geltendmachung oder Abwehr von Rechtsansprüchen, so
dass Angaben, die nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz vorausgesetzt sind, erfasst werden können. Dies gilt
selbst dann, wenn der Entgeltfortzahlungszeitraum überschritten ist; auch die fortdauernde
Arbeitsunfähigkeit kann erhoben und (manuell oder EDV-mäßig) gespeichert werden. Dem Arbeitgeber
steht es weiter frei, daraus die Konsequenz einer Kündigung wegen Krankheit zu ziehen; auch dies ist
eine ihm eingeräumte rechtliche Möglichkeit, die von § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG erfasst wird.591 Sollen
Gesundheitsdaten zu dem Zweck erhoben werden, künftigen Erkrankungen vorzubeugen, indem die
Arbeitsbedingungen einschließlich des Betriebsklimas verbessert werden, so scheidet § 28 Abs. 6 Nr. 3 als
Rechtsgrundlage aus. In diesem Fall greift allein § 28 Abs. 7 BDSG ein, der die Datenerhebung für
Zwecke der Gesundheitsvorsorge, der medizinischen Diagnostik und anderer medizinischer Zwecke den
Ärzten und ihrem Personal vorbehält. Insoweit kann also (nur) der Betriebsarzt tätig werden. Die
Einschaltung anderer Personen ist lediglich dann möglich, wenn diese der gleichen Schweigepflicht wie ein
Betriebsarzt unterliegen.592 Der Gesetzgeber hat damit Art. 8 Abs. 3 der EG-Datenschutzrichtlinie
umgesetzt, wobei bewusst nicht die rein ärztliche Tätigkeit, sondern im Prinzip jede gesundheitsbezogene
Dienstleistung erfasst wird.
271
Inwieweit der Betriebsarzt bzw. gleichgestellte Personen ihre Erkenntnisse betriebsintern weitergeben
dürfen, ist keine Frage der Erhebung, sondern der Nutzung und Übermittlung von Daten. Insoweit ist auf
spätere Ausführungen zu verweisen.593
272
§ 28 Abs. 6 Nr. 3 und § 28 Abs. 7 BDSG eröffnen die grundsätzliche Möglichkeit zur Verarbeitung von
590
Dazu bereits oben § 5 I 6b (Rn. 196ff.).
Gola, RDV 2001, 126; für eine weite Auslegung des Begriffs »rechtlicher Anspruch« in Art. 8 Abs. 2 lit. e der Richtlinie auch Dammann/Simitis, Art. 8 Anm.
17.
592
Dammann/Simitis, Art. 8 Anm. 19, wonach Mitarbeiter von Gesundheitsdiensten der Arbeitgeber mit erfasst sind.
593
S. unten § 7 II 2 (Rn. 396ff.).
591
Gesundheitsdaten; was dies konkret bedeutet, bestimmt sich nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen, die durch
das BDSG nicht verändert werden sollten.594
272a
Das Arbeitsschutzgesetz und andere arbeitsschutzrechtliche Normen verpflichten den Arbeitgeber zu
bestimmten Maßnahmen, die häufig das Erheben von Beschäftigtendaten voraussetzen. Dies gilt etwa
für die ergonomische Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, die Größe und sonstige physische Eigenheiten
der dort tätigen Person berücksichtigen muss. Soweit das Gesetz keine Spielräume lässt, rechtfertigt der
ihm zugrunde liegende Gedanke des Gesundheitsschutzes den Eingriff in das informationelle
Selbstbestimmungsrecht; dies gilt auch dann, wenn es sich um sensitive Daten handelt. Stehen dem
Arbeitgeber verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung, so ist eine Abwägung zwischen den
Interessen beider Seiten vorzunehemn; in der Regel wird das arbeitsschutzrechtlich wirksamere Mittel den
Eingriff in die Persönlichkeitssphäre (z.B. die Ermittlung der Körpergröße und der Armlänge) überwiegen.1
b)
Informationspflichten des Arbeitnehmers und ihre Grenzen
273
Ähnlich wie ein Bewerber in der Einstellungssituation ist auch ein Beschäftigter verpflichtet, dem
Arbeitgeber mitzuteilen, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Erfüllung der
übernommenen Aufgabe in der Lage ist. In vielen Fällen hängt dies allerdings von einer individuellen
Einschätzung ab; solange das »Weitermachen-Können« auf nachvollziehbaren Überlegungen beruht, liegt
in einer unterbliebenen Mitteilung keine Pflichtverletzung.
274
Wird
der Arbeitnehmer
nach Ende
einer krankheitsbedingten Fehlzeit
zu
einem
»Krankenrückkehrgespräch« gebeten, so ist zunächst das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bzw.
des Personalrats zu beachten.595 Fehlt es an einer betrieblichen Interessenvertretung oder hat diese
zugestimmt, so wird zwar der Arbeitnehmer der Aufforderung zu einem Gespräch Folge leisten, doch trifft
ihn nach Auffassung des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten596 keine Verpflichtung, über
seine Krankheit zu sprechen:2 Das EFZG geht bewusst davon aus, dass der Arbeitgeber lediglich
Kenntnis vom Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit, nicht aber von deren medizinischen Gründen erhält. Schon
dies spricht gegen eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers, die den gesetzlichen Schutz unterlaufen
würde. Daneben stehen datenschutzrechtliche Bedenken: Die Preisgabe von Gesundheitsdaten ist in dieser
Situation nicht zur Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen erforderlich. Häufen sich Erkrankungen
und steht deshalb eine Kündigung wegen Krankheit zur Debatte, gibt es eine Obliegenheit des
Arbeitnehmers, den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Eine »Pflicht«, über die
Krankheitsbilder zu berichten, besteht auch dann nicht, doch wird das im Streitfall entscheidende
Arbeitsgericht im Kündigungsschutzverfahren bei fehlender Befreiung von der Schweigepflicht eine
negative Zukunftsprognose unterstellen.597
275
274a
Diese überkommenen Grundsätze werden durch das betriebliche Eingliederungsmanagement bestätigt,
das nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur mit Zustimmung des Betroffenen durchgeführt werden kann und
das die „Krankenrückkehrgespräche“ ggf. auf eine höhere Stufe hebt. Einzelheiten sind an späterer Stelle
zu erörtern, weil es primär um die Auswertung, nicht um die Erhebung von Daten geht.3
Eine Schwangerschaft »soll« nach § 5 Abs. 1 MuSchG dem Arbeitgeber mitgeteilt werden. Dies ist eine
Empfehlung, keine Rechtspflicht, doch kann sich aus Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses (z. B. wegen
eines Beschäftigungsverbots für Schwangere) etwas Anderes ergeben.598 Weiter kann nach Ablauf von
594
S. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Dr. 14/4329 S. 43.
Eingehend zu dieser Problematik Thüsing, Ergonomie, 2014
S. unten § 13 III 4 (Rn. 676); vgl. auch Hummel, Krankheit und Kündigung, S. 145f.; Schaub-Koch § 235 Rn. 32.
596
18. TB, S. 87; ebenso der 30. TB, s. die Mitteilung in RDV 2013, 29.
2
Ebenso Gola ZD 2013, 379, 380.
597
LAG Berlin 27.11.1989 – 9 Sa 82/89, DB 1990, 1621 m. w. N.; Deinert, in: Kittner/Däubler/Zwanziger(Hrsg.), § 1 KSchG Rn. 148.
3
Unten § 7 II 3 (Rn. 399a ff.)
598
Schaub-Linck, § 167 Rn.2; Wedde AiB 2012, 511 f.
1
595
sechs Monaten nach der Schwerbehinderteneigenschaft gefragt werden, weil dann der besondere
Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX wirksam geworden ist.599
c)
Pflicht des Arbeitnehmers, sich untersuchen zu lassen?
276
Das Arbeitsschutzrecht sieht in zahlreichen Fällen Vorsorgeuntersuchungen vor.600 Ihnen muss sich der
Einzelne selbstredend unterziehen. Von ihrem Gegenstand her sind sie auf »arbeitsbezogene« Faktoren
beschränkt und dürfen sich deshalb – genau wie Einstellungsuntersuchungen – nicht auf alle denkbaren
Aspekte der Gesundheit beziehen.
277
Nach der Rechtsprechung des BAG601 kann der Arbeitnehmer auch kraft Tarifvertrags oder kraft
arbeitsvertraglicher Nebenpflicht zur Mitwirkung an einer ärztlichen Untersuchung verpflichtet
sein.602 Ohne eine solche Rechtsgrundlage ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, routinemäßigen
Blutuntersuchungen zuzustimmen, durch die eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit geklärt werden soll.4
Da tarifliche Regelungen hier eine relativ geringe Rolle spielen, kommt es entscheidend darauf an, wann
eine entsprechende Nebenpflicht angenommen werden kann. Das BAG betrachtet eine ärztliche
Untersuchung mit Recht als weitgehenden Eingriff in die Intimsphäre des Arbeitnehmers; das allgemeine
Persönlichkeitsrecht schütze grundsätzlich vor der Erhebung von Befunden über den Gesundheitszustand,
die seelische Verfassung und den Charakter des Arbeitnehmers.603 Außerdem sei dieser regelmäßig nicht
verpflichtet, Blutentnahmen zu dulden, da sie einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellten.604
Für die Vornahme einer derartigen Untersuchung müsse daher ein besonderer Anlass bestehen; auch
müsse sie sich auf die Abklärung des dadurch nahegelegten Krankheitsbildes beschränken.605 Irgendwelche
Vermutungen, der Arbeitnehmer sei wegen gesundheitlicher Probleme auf Dauer nicht mehr voll in der
Lage, seine Aufgaben zu erfüllen, genügen nicht. Vielmehr muss es sich um Fakten handeln, die Zweifel an
der Eignung aufkommen lassen.5 Dem entspricht eine Entscheidung aus dem Jahre 1964, wonach sich ein
Omnibusfahrer aufgrund besonders auffälligen Verhaltens im Straßenverkehr einer psychologischen
Untersuchung unterziehen musste.606 Zulässig ist eine Untersuchung weiter dann, wenn der Arbeitnehmer
eine neue Aufgabe übernehmen soll, die mit anderen Anforderungen als die bisherige verbunden ist.6
278
Denkbar ist, dass der Arbeitsvertrag die Pflicht des Arbeitnehmers erweitern will, sich einer medizinischen
Untersuchung zu unterziehen, dies beispielsweise schon auf Wunsch des Arbeitgebers zu tun. Eine solche
Abmachung scheitert jedoch an § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, da sie eine unangemessene Benachteiligung zur
Folge hätte: Die BAG-Rechtsprechung beruht auf einer Abwägung der beiderseitigen Interessen; für eine
Abweichung zu Lasten der schwächeren Seite sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.7
279
Praktische Bedeutung haben diese Grundsätze insbesondere in Bezug auf einen Drogen- und Alkoholtest.
Beide sind nur dann zulässig, wenn Tatsachen, insbesondere erhebliche Verhaltensauffälligkeiten
vorliegen, die die ernsthafte Besorgnis begründen, bei dem betreffenden Arbeitnehmer könne eine
Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit bestehen.607 Die Pflicht, einen Test zu dulden, ist daher auf enge
Ausnahmefälle beschränkt; eine Durchleuchtung der Belegschaft »auf Verdacht«, um »schwarze Schafe«
herauszufiltern, ist nicht zulässig.608
599
BAG 16.2.2012 – 6 AZR 553/10, NZA 2012, 555; Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, § 94 Rn. 13.
Überblick bei Schierbaum/Kiper, AiB 1992, 631; Pieper, § 11 ArbSchG Rn. 7.
601
12.8.1999 – 2 AZR 44/99, DB 1999, 2369 = NZA 1999, 1209.
602
Anders noch ArbG Frankfurt/Main 28.6.1988 – 8 Ca 617/87, AiB 1989, 17 mit Anm. Rothenburg; Wohlgemuth, Datenschutz für Arbeitnehmer, Rn. 144.
4
BAG 12.8.1999 – 2 AZR 44/99, DB 1999, 2369 = NZA 1999, 1209
603
BAG 12.8.1999 – 2 AZR 44/99, DB 1999, 2370 = NZA 1999, 1209.
604
BAG, a. a. O., auch zum Folgenden.
605
Ähnlich Fitting, § 94 Rn. 16, der ein überwiegendes berechtigtes Interesse des Arbeitgebers gegenüber dem Schutz des Arbeitnehmers verlangt.
5
Behrens NZA 2014, 401, 404.
606
BAG 13.2.1964 – 2 AZR 286/63, AP Nr. 1 zu Art. 1 GG.
6
Dazu unten Rn. 284a
7
Anders Behrens NZA 2014, 401, 406
607
BAG 12.8.1999 – 2 AZR 44/99, DB 1999, 2369, 2370 = NZA 1999, 1209; zum Drogenscreening vgl. Heilmann/Wienemann/Thelen, AiB 2001, 465.
608
Ebenso Fitting, § 94 Rn. 25; Diller/Powietzka, NZA 2001, 1227.
600
280
Ein weiterer – seltener – Anwendungsfall liegt darin, dass ein Arbeitnehmer möglicherweise an
ansteckenden Krankheiten leidet; hier muss er im Interesse der Arbeitskollegen und ggf. der Kunden eine
medizinische Klärung herbeiführen lassen.
281
Ein Aidstest, genauer: eine Untersuchung, die das Vorliegen einer HIV-Infektion abklärt, kommt nur bei
Tätigkeiten in Betracht, mit denen eine Ansteckungsgefahr verbunden ist. Auch in solchen Fällen sind die
Betroffenen vorher zu informieren.609 Das Fehlen einer HIV-Infektion ist in diesen Fällen eine wesentliche
und entscheidende berufliche Anforderung, die auch eine Benachteiligung wegen Behinderung nach § 8
Abs. 1 AGG rechtfertigen kann.
282
281a
Psychologische Untersuchungen unterliegen denselben Grundsätzen wie ärztliche Untersuchungen, sind
also nur zulässig, wenn ein spezieller Anlass wie besonders auffälliges Verhalten besteht.610 Die Literatur
legt Wert darauf, dass der Betroffene nach vorheriger Information über Sinn und Funktionsweise des Tests
einwilligt und dieser von einem Fachmann durchgeführt wird.611
In allen Fällen ist die medizinische oder psychologische Untersuchung auf den jeweiligen engen Zweck
beschränkt; eine im Einzelfall zulässige Untersuchung über Drogenabhängigkeit darf sich nicht auf den
gesamten Gesundheitszustand erstrecken.612 Nur auf diese Weise ist dem in § 3a BDSG niedergelegten
Gedanken der Datensparsamkeit Rechnung getragen, der bei sensitiven Daten im Sinne des § 3 Abs. 9
BDSG erst recht Beachtung verlangt.613
d)
Weitere Datenerhebung durch den Betriebsarzt
283
Soweit nach dem bisher Gesagten keine Pflicht des Arbeitnehmers besteht, sich vom Betriebsarzt oder
einem anderen Arzt untersuchen zu lassen, kommt nur eine freiwillige Mitwirkung in Betracht.
284
Dem Betriebsarzt ist die EDV-mäßige Speicherung der erhobenen Daten grundsätzlich erlaubt.614 Dies
folgt aus der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit sowie mittelbar aus der Beweislastregel des § 35 Abs. 2
Satz 2 Nr. 2 BDSG, wonach Daten über gesundheitliche Verhältnisse zu löschen sind, wenn die
verantwortliche Stelle ihre Richtigkeit nicht beweisen kann. Eine Reihe von Landesdatenschutzgesetzen
lässt die automatisierte Speicherung der Ergebnisse medizinischer und psychologischer Untersuchungen
nur zu, wenn dies dem Schutz der Beschäftigten dient,615 doch lässt sich daraus kein allgemeiner
Rechtsgrundsatz ableiten. Die in § 8 Abs. 1 Satz 3 ASiG bestätigte ärztliche Schweigepflicht616 zwingt
den Betriebsarzt, von einer Vernetzung mit anderen Systemen abzusehen und die Datensicherung
besonders ernst zu nehmen.617 Soweit möglich, sind die Befunddaten zu anonymisieren, was z. B. dann in
Betracht kommt, wenn es nur noch um epidemiologische Forschung, nicht aber um konkrete Maßnahmen
am Arbeitsplatz geht. Zu den speziellen Problemen des Eingliederungsmanagements, das primär
vorhandene Informationen auswertet, s. unten Rn 399a ff.
e) Untersuchungen bei Änderungen der Tätigkeit
284a
Eine ärztliche oder psychologische Untersuchung kommt auch dann in Betracht, wenn der Beschäftigte
eine andere Tätigkeit antreten soll, die mit bisher nicht vorhandenen Belastungen verbunden ist. Das
609
Fitting, § 94 Rn. 25a.
BAG 13.2.1964 – 2 AZR 286/63, AP Nr. 1 zu Art. 1 GG.
Fitting, § 94 Rn. 26; Grunewald NZA 1996, 15; Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, § 94 Rn. 39; Däubler, Arbeitsrecht 2, Rn. 72f.
612
So vom Ansatz her auch BAG 12.8.1999 – 2 AZR 44/99, DB 1999, 2370 = NZA 1999, 1209.
613
Dies schließt nicht aus, dass der untersuchende Arzt dem Arbeitnehmer einen Hinweis gibt, sich auch um seine sonstigen Erkrankungen und Risiken zu
kümmern.
614
Hilla/Goldenbohm, CR 1992, 180; Schmidt-Beck, NJW 1991, 2335.
615
S. etwa § 29 Abs. 5 DSG-NRW, § 29 Abs. 4 DSG-Brandenburg, § 31 Abs. 4 DSG-Saarland. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 28 Abs. 5 des DSGHamburg.
616
Zu ihr Däubler, BB 1989, 282ff.
617
Zur Separierung der arbeitsmedizinischen Daten näher unten § 7 II 2 (Rn. 396ff.).
610
611
Anforderungsprofil muss sich allerdings erheblich ändern. Als Beispiel kann die Versetzung in den
Außendienst stehen oder der Einsatz eines bisher in der Umgebung eingesetzten Arbeitnehmers als
Fernfahrer.
f) Beschäftigte im Krankenhaus als Patienten
284b
Besondere Probleme ergeben sich, wenn ein Mitarbeiter eines Krankenhauses dort wegen einer
Erkrankung behandelt wird.8 Hier sind besondere Vorkehrungen erforderlich, dass die Befunddaten nicht
zur Kenntnis jener Personen kommen, die Personalentscheidungen treffen oder die als Vorgesetzte den
künftigen Arbeitseinsatz planen. Insoweit ist eine strenge Trennung der Patientendaten von allen sonstigen
Daten zu praktizieren. Die darin liegende informationelle Gewaltenteilung muss auch dadurch „flankiert“
werden, dass eine personelle Trennung zwischen den Personen sichergestellt ist, die Zugang zu den
medizinischen Daten und denen, die Zugang zu den „Verwaltungsdaten“ haben. Eine ähnliche Problematik
stellt sich im Rahmen von Betriebskrankenkassen, wo in derselben Weise verfahren wird.
.
2. Zulässigkeit von Gentests?
285
Die grundsätzliche Unzulässigkeit gentechnischer Untersuchungen gegenüber Bewerbern618 gilt in gleicher
Weise auch gegenüber bereits Beschäftigten. Auf die obigen Ausführungen kann daher verwiesen
werden.619
286
Auch zur Feststellung der Identität sind gentechnische Verfahren nicht erlaubt. Dies gilt auch dann,
wenn es um die Aufklärung einer schweren Pflichtverletzung oder einer Straftat im Betrieb geht. Mit Recht
hat der VGH Baden-Württemberg in der im Eingangskapitel genannten Entscheidung620 den Standpunkt
vertreten, dass in einem solchen Fall ein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers bestehe, von einer
DNA-Analyse seiner Körperzellen verschont zu bleiben. Dies gelte trotz des berechtigten und
schutzwürdigen Informationsinteresses des Arbeitgebers. Die im Strafverfahrensrecht vorgesehenen
Eingriffsmöglichkeiten stünden Privaten nicht zur Verfügung.621 Im Ergebnis wurde daher mit Recht ein
Verwertungsverbot angenommen, was der beabsichtigten Kündigung des Personalratsmitglieds die
Grundlage entzog.622
297
II. Überwachung des Arbeitsverhaltens: Videokontrolle
(Buch § 6 VII)
1. Praktische Bedeutung und rechtliche Regelung
Der Einsatz von Videokameras ist nicht nur auf öffentlichen Plätzen eine immer häufigere Erscheinung;
auch in den Betrieben breitet sich diese Technologie aus.649 Eine solche Observationstechnik besitzt auch
nach Meinung des Gesetzgebers eine »besondere Eingriffsqualität«650, die bei heimlicher
Vorgehensweise noch sehr viel stärker wird.9 Der Einzelne wird in seinen Verhaltensweisen einschließlich
seiner Bewegungen und seiner jeweiligen Stimmungen weitestgehend erfasst. Die Negativ-Utopie von
George Orwell (»Big Brother«) ging nicht ganz zu Unrecht von dem allgegenwärtigen Auge des Großen
8
Dazu insbesondere Franz CuA 5/2012 S. 20 ff.
Dazu oben § 5 IV (Rn. 234ff.).
Oben Rn. 234ff.
620
VGH Baden-Württemberg 28.11.2000 – PL 15 S 2838/99, AuR 2001, 469, auch zum Folgenden.
621
Zu den auch dort bestehenden Grenzen s. § 81h StPO sowie LVerfG Brandenburg DSB 5/2002, S. 21.
622
Dazu auch die Anm. von Roos AuR 2001, 470ff.
649
Nach einer Pressemitteilung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern vom Okt. 2000 waren bereits zu diesem Zeitpunkt über
400 000 betriebliche Videoüberwachungsanlagen installiert – mitgeteilt bei Kloepfer, § 8 Fn 92. Von 500 000 Geräten spricht Schierbaum, CF 5/2002, S.
24. Inzwischen dürfte die Zahl weitaus höher liegen. Zur Praxis s. weiter Simitis-Scholz § 6b Rn. 7 ff.
650
So der Bericht des Innenausschusses, BT-Dr. 14/5793 S. 61.
9
LAG Hamm 11.7.2013 – 11 Sa 312/13, ZD 2014, 204.
618
619
298
299
300
Bruders aus. Je weiter der Radius dieses Mittels reicht und je mehr die dadurch erfassten Daten verknüpft
werden können, umso mehr ist das unbeeinflusste Verhalten des Einzelnen und damit der Lebensnerv einer
freien Gesellschaft getroffen.651 Auch vor der Intimsphäre wird bisweilen nicht Halt gemacht; so wird
berichtet, dass die Videokontrolle in Schwimmbädern bis in die Umkleidekabinen hineinreiche.652 Im Fall
Lidl spielten verdeckte Kameras eine zentrale Rolle, doch gab es auch eine Reihe anderer derartiger
»Überwachungsskandale«.653 Entgegen dem Anspruch des BVerfG654 wird für den Einzelnen völlig unklar,
wer was und bei welcher Gelegenheit über ihn erfahren hat.655
Der 2001 eingeführte § 6b BDSG regelt einen Teil der Probleme, nämlich die Videoüberwachung in
öffentlich zugänglichen Räumen und erfasst dabei auch den Einsatz durch Private. Für andere als
öffentlich zugängliche Räume bleibt es bei einer „ungeregelten“ Situation, die de facto durch
richterrechtliche Grundsätze ausgefüllt wird.10 Der 2010 vorgelegte Regierungsentwurf für eine
gesetzliche Regelung des Beschäftigtendatenschutzes enthielt eine umfassende (wenn auch inhaltlich sehr
unbefriedigende) Regelung, wurde aber nicht Gesetz.11 Noch nicht voll durchdachte Regelungen enthält
auch der Entwurf einer EU-Datenschutzverordnung.12
2. Videokontrolle in öffentlich zugänglichen Räumen
a) Der erfasste Bereich
§ 6b BDSG setzt voraus, dass die fraglichen Räume wie z. B. Ladenpassagen, Kaufhäuser, Gaststätten,
Tankstellen und Bankfilialen öffentlich zugänglich sind. Die Tatsache, dass ggf. wie im Museum ein
Eintrittsgeld bezahlt werden muss, ist ohne Bedeutung.657 Dem entspricht die in § 10 Abs. 5 Satz 2
BDSG gegebene Definition. Irrelevant ist auch, wem das Gelände gehört, doch fehlt es ersichtlich an der
öffentlichen Zugänglichkeit, wenn wie bei einem großen Mietshaus oder einem Bürogebäude üblicherweise
nur Besucher aus besonderem Anlass kommen.658 Nicht entschieden ist, ob ein unzweifelhaft öffentlich
zugänglicher Supermarkt diese Eigenschaft nach Ende der Öffnungszeiten verliert oder ob er auch dann
noch als öffentlich zugänglich behandelt wird.
b) Die eingesetzte Technik
Eine Beobachtung solcher Räume mit »optisch-elektronischen Einrichtungen« (so die Umschreibung für
Videoüberwachung und sonstigen Kameraeinsatz659) ist nach § 6b Abs. 1 BDSG nur zulässig, soweit (1)
sich der Betreiber auf bestimmte Gründe stützen kann und (2) keine Anhaltspunkte bestehen, dass
schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Ohne Bedeutung ist, ob digitale oder analoge
Technik eingesetzt wird: Die Wirkung ist dieselbe, der Betroffene kann die Art der eingesetzten Technik
nicht erkennen.660 Dies gilt auch, wenn eine bloße Kamera-Attrappe aufgehängt wird; selbst dann muss
wegen des „Überwachungsdrucks“ § 6b BDSG eingreifen.13 Dies wird durch § 32f Abs.1 Satz 4 des
geplanten (aber gescheiterten) Entwurfs zu einem Beschäftigtendatenschutz bestätigt, der im nicht
öffentlich zugänglichen Bereich die Attrappe ausdrücklich gleichstellen wollte.14 Nicht vergleichbar mit
Videoaufnahmen soll der Einsatz von Webcams sein, die beispielsweise touristisch interessante Plätze
kontinuierlich filmen und ins Netz stellen,15 doch gilt dies nur, wenn dabei keine personenbeziehbaren
Daten erfasst werden.
651
Bäumler, RDV 2001, 67f.
Hamburgischer DSB, 18. TB, S. 11.
S. oben Rn 2a ff.
654
Oben § 3 I (Rn. 78).
655
Bäumler, RDV 2001, 69.
10
Christians, RDV-Sonderheft (BDSG-Novellilerung) 2000, 15
11
Zum Entwurf s. insbes. Ruhland, CuA 2/2013 S. 12 ff.
12
B. Seifert DuD 2013, 650 ff.
657
Königshofen, RDV 2001, 220.
658
Königshofen, RDV 2001, 220. Anders, wenn dort eine Ausstellung stattfindet: Schierbaum CF 6/2002, S. 26.
659
Zu § 6b s. Wedde, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert § 6b Rn. 19ff.
660
Simitis-Scholz § 6b Rn 40 unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung. Selbst wenn es bei analoger Technik an der Entstehung einer Datei fehlen sollte,
würde doch aus § 32 Abs,.2 deutlich, dass auch dieser Fall erfasst sein muss: Es wäre widersinnig, würde zwar eine handschriftliche Notiz, nicht aber ein
analoger Videofilm dem BDSG unterliegen.
13
Ebenso Schulze/Schreck AiB 4/2014 S. 49
14
Eingehender unten Rn. 308
15
Wrede DuD 2010, 225 ff.
652
653
301
302
c) Die Voraussetzungen im Einzelnen
§ 6b Abs. 1 BDSG nennt in Nr. 1 die hier nicht näher interessierende »Aufgabenerfüllung öffentlicher
Stellen«. Nr. 2 lässt alternativ dazu die »Wahrnehmung des Hausrechts« genügen, was dann praktische
Bedeutung gewinnt, wenn ein Hausverbot auf andere Weise nicht durchgesetzt werden kann. Gibt es
weniger einschneidende Mittel wie z. B. die Beobachtung der Eingänge durch Menschen, scheidet Nr. 2
aus.661
Dritter und wichtigster Grund ist die Wahrnehmung berechtigter Interessen »für konkret festgelegte
Zwecke«. Diese erst im Ausschuss eingefügte Formulierung will insbesondere ausschließen, dass schon
eine Vermarktungsabsicht in Bezug auf die Videobilder oder die Wahl des Geschäftszwecks
»Videoüberwachung« zu einem »berechtigten Interesse« erklärt wird.662 Inhaltlich geht es insbesondere
darum, die Begehung von Diebstählen oder anderen strafbaren Handlungen zu verhindern.663 Dieser
Zweck muss bereits vor dem Einsatz der Anlage konkretisiert (aus welchen Gründen drohen welche
Delikte?) und auch dokumentiert sein; andernfalls könnte die Rechtmäßigkeit des Videoeinsatzes nicht
überprüft werden.664 Dies gilt auch, wenn sich der Verdacht gegen einen Beschäftigten des Unternehmens
richtet.16
d) Die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen
303
Trotz Vorliegens derartiger Gründe können schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. So
kann etwa der Zweck, strafbare Handlungen zu verhindern, nicht die Überwachung von Toiletten und
Umkleideräumen rechtfertigen.665 Die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen gebieten es weiter, die
überwachten Bereiche nicht mehr als notwendig auszudehnen. So muss etwa den Arbeitnehmern, die in
öffentlich zugänglichen Räumen als Verkäufer, Bankangestellte, Museumswärter usw. beschäftigt sind, die
Möglichkeit bleiben, sich der Videokontrolle zumindest in den Pausen durch Rückzug in einen nicht
überwachten Raum zu entziehen.17 Um einen Zustand dauernden Überwachtseins zu vermeiden, will man
selbst den Benutzern öffentlicher Verkehrsmittel das Recht einräumen, U-Bahn-Wagen ohne Kamera zu
besteigen.666
304
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dann besonders gravierend, wenn die Überwachung
kontinuierlich erfolgt und der Einzelne ihr nicht ausweichen kann.18 Am Beispiel eines Weges, der den
alleinigen Zugang zu zwei Häusern vermittelte und der von einem der Nachbarn mit einer Videokamera
permanent überwacht wurde, hat der BGH die damit verbundenen Auswirkungen einleuchtend
geschildert:667
»Derartige Maßnahmen der Beklagten (kontinuierliche Videoaufnahmen – W. D.) bewirken eine schwerwiegende
Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger. Diese müssen sich praktisch stets, wenn sie,
von ihrem Haus kommend oder zu ihrem Haus gehend, den öffentlichen Zugangsweg benutzen, in einer jede ihrer
Bewegungen geradezu dokumentierenden Weise kontrolliert fühlen. Auf dem jeweiligen Videofilm ist nicht nur
festgehalten, wann, wie oft und in welcher Begleitung sie den Weg begangen haben, sondern auch in welcher
Stimmung, mit welchem Gesichtsausdruck etc. sie dies getan haben. Die hierin liegende Beeinträchtigung der
Kläger wird nicht dadurch gemindert, dass die Beklagte ihrem unwidersprochenen Vorbringen nach die
Videoaufzeichnungen nach Überprüfung wieder löscht. Es kann nicht dem – für den Betroffenen letztlich
gänzlich unkontrollierbaren – Belieben eines Anderen überlassen bleiben, wie er mit derart hergestellten
Bildaufzeichnungen verfährt«.
Im Folgenden bleibt dann mangels ausreichender Anhaltspunkte dahinstehen, ob ein solches Vorgehen
661
Tinnefeld, NJW 2001, 3082: Videokontrolle nur, wenn keine tauglichen Alternativen bestehen.
Gerhold/Heil, DuD 2001, 380; Hamburger DuD-Kommentierung zum BDSG, DuD 2002, 28, beide unter Bezugnahme auf BT-Dr. 14/5793 S. 61.
Hamburger DuD-Kommentierung zum BDSG, DuD 2002, 28.
664
Hamburger DuD-Kommentierung zum BDSG, DuD 2002, 28; Simitis-Scholz § 6b Rn 84.
16
Vgl. BAG 21.6.2012 – 2 AZR 153/11, ZD 2012, 558 = NJW 2012, 3594
662
663
665
BT-Dr. 14/5793, S. 62; Vahle, DSB Heft 2/2002, S. 17; Zscherpe, in: Taeger/Gabel § 6b Rn. 58.
Weitergehend die Bremer Landesbeauftragte für den Datenschutz, wonach die Kameraeinstellung die Überwachung von beschäftigten generell ausschloss –
berichtet bei Köppen CuA 5/2012, S. 36
666
Hamburger DuD-Kommentierung zum BDSG, DuD 2002, 28.
18
Zu dem Beispiel einer flächendeckenden Überwachung einer Ausbildungsstätte, um Diebstähle und Vandalismus zu bekämpfen, s. (ablehnend) die
Stellungnahme des Landesbeauftragten für den Datenschutz NRW, mitgeteilt bei Köppen CuA 10/2013 S. 29.
667
BGH 25.4.1995 – VI ZR 272/94, NJW 1995, 1955, 1957. Ähnlich BGH 16.3.2010 – VI ZR 176/09, NJW 2010, 1533 = RDV 2010, 175, wonach schon
Anhaltspunkte dafür, man werde kontinuierlich überwacht, genügen.
17
ausnahmsweise deshalb gerechtfertigt sein könnte, weil die Beobachteten im Verdacht stehen, regelmäßig
Unrat auf das Grundstück des Beobachters zu werfen. Die Schilderung macht zwei Dinge deutlich:
305
Zum einen ist eine kontinuierliche Überwachung besonders belastend und deshalb allenfalls dann
zulässig, wenn sonst gravierende Nachteile eintreten würden. Im Einzelfall wird daher meist nur eine
stichprobenweise Kontrolle in Betracht kommen. Auch praktizieren Bankfilialen ihre Videoanlage meist in
der Weise, dass sie erst in einer Bedrohungssituation durch Knopfdruck aktiviert wird.19
306
Zum Zweiten reicht ersichtlich die abstrakte Gefahr der Begehung von Diebstählen und anderen
Straftaten nicht aus. Vielmehr muss entweder ein konkreter Verdacht gegen eine bestimmte Person
bestehen oder aber müssen entsprechende Vorfälle bereits aufgetreten sein. Fehlt es an beidem, so
überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen gegenüber dem Sicherheitsbedürfnis des
Betreibers.668.
307
308
309
310
e) Transparenz
Im Interesse eines Minimums an Transparenz schreibt § 6b Abs. 2 BDSG vor, dass der Umstand der
Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen sind.669
Der Hinweis kann durch Anbringung eines Piktogramms (also eines symbolischen Abbilds einer Kamera)
und durch Benennung der verantwortlichen Stelle (»Kaufhaus GmbH«) erfolgen. Letzteres ist nur
notwendig, wenn es nicht schon den Umständen nach evident ist.670 § 6b Abs. 2 kennt keine Ausnahmen,
was die hohe Bedeutung unterstreicht, die der Gesetzgeber dem Transparenzprinzip einräumen wollte, doch
macht seine Verletzung die erhobenen Daten auch nicht unverwertbar.20
Die Anwendung des § 6b Abs. 1 und 2 BDSG hängt nicht davon ab, dass die Videokamera Aufzeichnungen
vornimmt; es genügt, wenn sie lediglich Bilder auf einen Monitor überträgt.671 Wollte man anders
entscheiden und nur Filmaufnahmen einbeziehen, würde die Vorschrift einen erheblichen Teil ihres
Anwendungsbereichs verlieren. Da der Einzelne überdies nicht kontrollieren kann, ob die von der Kamera
erfassten Vorgänge effektiv festgehalten werden oder nicht, wären Umgehungsmöglichkeiten in weitem
Umfang eröffnet. Ein »Überwachungsdruck« entsteht in beiden Fällen, ja sogar dann, wenn lediglich eine
Attrappe aufgestellt wird.672
f) Umgang mit den erhobenen Daten
Soweit personenbezogene Daten festgehalten werden, muss ihre Verarbeitung und Nutzung den
Voraussetzungen des § 6b Abs. 3 Satz 1 BDSG entsprechen. Dabei ist erneut zu prüfen, ob Anhaltspunkte
bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. In Abweichung von § 28 Abs. 2
BDSG lässt überdies § 6b Abs. 3 Satz 2 eine Zweckänderung nur unter noch engeren Voraussetzungen zu:
Sie ist ausschließlich dann möglich, wenn und soweit es »zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und
öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist.«
Beispiel:
Die Überwachung der Ladenpassage hat den Zweck, das Erscheinen von bestimmten Personen mit »Hausverbot«
sofort sichtbar zu machen und Gegenreaktionen auszulösen. Im Videofilm wird nun auch ein Raubüberfall
festgehalten. Nach § 6b Abs. 3 Satz 2 ist eine Weitergabe an die Polizei zulässig.
§ 6b Abs. 4 BDSG schreibt die Benachrichtigung des Betroffenen vor, wenn erhobene Daten einer
bestimmten Person zugeordnet werden, wenn etwa festgestellt wird, dass der X zu einem bestimmten
Zeitpunkt in der Bankfiliale Y war.
19
Zulässig wäre aber wohl auch eine ausgedehntere Überwachung. S. Zscherpe, in: Taeger/Gabel § 6b Rn. 60.
Däubler, NZA 2001, 878. Vgl. auch Simitis-Scholz § 6b Rn. 97.
Gerhold/Heil, DuD 2001, 380; Simitis-Scholz § 6b Rn 102.
670
Hamburger DuD-Kommentierung zum BDSG, DuD 2002, 29.
20
BAG 21.6.2012 – 2 AZR 153/11, ZD 2012, 558 = NJW 2012, 3594 Tz. 37 ff.; Simitis-Scholz § 6b Rn. 110.
668
669
671
Hamburger DuD-Kommentierung zum BDSG, DuD 2002, 27; Simitis-Scholz § 6b Rn 65 unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung, BT-Drucksache
14/4329, S. 38; Wedde, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert § 6b Rn. 13; a. A. Gola/Schomerus § 6b Rn. 10; Königshofen RDV 2001, 222.
672
Weshalb auch dann § 6b eingreift: Gola/Wronka Rn 1079; Simitis-Bizer, 6. Aufl., § 6b Rn 39; Wedde, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert § 6b Rn. 18; anders
Simitis-Scholz, 8. Aufl., § 6b Rn. 112.
311
312
§ 6b Abs. 5 BDSG sieht unter erleichterten Voraussetzungen die Löschung einmal gespeicherter Daten vor.
3. Videoüberwachung nicht öffentlich zugänglicher Räume
a) Rechtsgrundlage
Bei nicht öffentlich zugänglichen Räumen kann § 6b BDSG keine Anwendung.finden.21 Gegenüber
Beschäftigten greift insoweit § 32 Abs. 1 BDSG ein;22 im Verhältnis zu anwesenden Dritten (etwa
geschäftliche Besucher) kann nur § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG Rechtsgrundlage sein. § 6b BDSG
erlaubt aber immerhin den Rückschluss, dass angesichts der von vorne herein gegebenen Überschaubarkeit
des anwesenden Personenkreises die Zulässigkeitsvoraussetzungen eher restriktiver zu bestimmen sind.
Dem tragen arbeitsrechtliche Rechtsprechung und Lehre durchaus Rechnung.
b) Rechtsprechung– heimliche und offene Videoüberwachung
Nach der Rechtsprechung ist die Beobachtung durch eine versteckte Kamera, deren Existenz den
betroffenen Arbeitnehmern nicht bekannt ist, als übermäßiger Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht grundsätzlich unzulässig.673 Dasselbe gilt dann, wenn die Existenz der Kamera zwar
bekannt, wenn sie jedoch ohne konkreten Anlass eingeschaltet ist oder jederzeit eingeschaltet werden
kann.674 Auch eine offen eingesetzte, aber ausschließlich der Kontrolle des Arbeitsverhaltens dienende
Videotechnik wird mit Recht als Verstoß gegen die Menschenwürde und damit als unzulässig gewertet.675
312a
Anders ist die Situation nur dann, wenn ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers
für eine solche Überwachung spricht, weil sie beispielsweise die einzige Möglichkeit darstellt, um
erhebliche Warenverluste aufzuklären.676 Dies hat das BAG durch Beschluss vom 26. 8. 2008677 in der
Weise konkretisiert, dass die Videokontrolle nur in Bezug auf solche Arbeitnehmer zulässig ist, gegen die
ein konkreter, auf Tatsachen gestützter Verdacht einer strafbaren Handlung besteht.678
312b
Eine rein präventive Überwachung durch Videokameras ist ausgeschlossen. Für die heimliche
Überwachung versteht sich das im Grunde von selbst, weil sie keine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten
kann.23 Aber auch der offene Einsatz von Videokameras, durch den Straftaten oder andere schwere
Pflichtverletzungen im Wege der „Abschreckung“ verhindert werden sollen, lässt sich nicht rechtfertigen:
Für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses ist Derartiges nicht „erforderlich“, es ist kein
legitimes Arbeitgeberinteresse erkennbar, wegen der abstrakten Gefahr von Delikten Arbeitnehmer nur
noch unter Dauerbeobachtung arbeiten zu lassen.24 Selbst wenn Diebstähle mit Rücksicht auf bisherige
Erfahrungen zu erwarten sind, stellt nach einer jüngst veröffentlichten Entscheidung des BAG die
Torkontrolle in der Regel das mildere Mittel dar.25 Dies entspricht der Rangfolge zwischen § 32 Abs. 1
Satz 1 und Satz 2: Beim Verdacht einer strafbaren Handlung besteht nach Satz 2 eine höhere Schwelle.
Sogar dann, wenn es also um den Verdacht von Straftaten geht, darf keine flächendeckende Überwachung
stattfinden.679
21
BAG 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278, 1282; zustimmend Pötters/Traut RDV 2013, 132.
Ebenso Pötters/Traut RDV 2013, 133. Für einen weiteren Anwendungsbereich spricht demgegenüber BGH 24.5.2013 – V ZR 220/12 RDV 2013, 303, der die
Vorschrift auf die Einrichtung einer Videoanlage überträgt, die von einer Wohnungseigentümergemeinschaft mit Mehrheit beschlossen wurde.
673
LAG Köln 30.8.1996 – 12 Sa 639/96, BB 1997, 476; LAG Baden-Württemberg 6.5.1998 – 12 Sa 115/97, BB 1999, 1439; Berg, in:
Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, § 75 Rn. 120; Schierbaum, CF 6/2002, S. 28; anders Pötters/Traut (RDV 2013, 136), wonach es in diesen Fällen in der
Regel an der Erforderlichkeit fehlt, weil durch Kontrolle der Arbeitsergebnisse ein den Arbeitnehmer weniger belastender Weg zur Verfügung steht.
674
BAG 7.10.1987 – 5 AZR 116/86, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht = NZA 1988, 92.
675
BAG 27.3.2003 . 2 AZR 51/02, BZA 2003, 1193 = AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; Fitting, § 75 Rn. 149. Es geht also nicht nur um die
individuelle Meinung des Verfassers, wie Pötters/Traut (RDV 2013, 132, 138 Fn 73) behaupten.
676
BAG 7.10.1987 – 5 AZR 116/86, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht = NZA 1988, 92.
677
1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187
678
BAG 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187, 1191 Tz. 31, bestätigt durch BAG 21.6.2012 – 2 AZR 153/11, ZD 2012, 558 = NJW 2012, 3594; dazu
Däubler CuA 11/2012 S. 30.
23
Richtig Pötters/Traut RDV 2013,138.
24
Ebenso Schulze/Schreck AiB 4/2014 S. 51. Anders Pötters/Traut RDV 2013,138
25
BAG 9.7.2013 – 1 ABR 2/13, ZD 2014, 256 Tz. 28
679
S. oben Rn. 306 und unten Rn. 378d ff.
22
313
314
312c
Der offene Einsatz von Videokameras ist deshalb nicht generell unzulässig. So kann es sinnvoll sein, z.
B. an den Grenzen des Betriebsgeländes Kameras anzubringen, die potentielle Diebe abschrecken. Die
Tatsache, dass gelegentlich auch ein Beschäftigter ins Bild gerät, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht.
Dasselbe gilt für Kameras in Supermärkten, doch dürfen sie nicht so ausgestaltet sein, dass auch die
Beschäftigten überwacht werden. Interesse verdient der Fall einer Eisdiele, in der insgesamt 7 Kameras
zum Schutz vor Straftaten angebracht waren. In einem Vergleich vor dem LAG Hamm26 wurde vereinbart,
drei davon zu entfernen; dies betraf die Überwachung des Flurs zwischen Toilette und Umkleideräumen
der Mitarbeiter und den Arbeitsbereich hinter der Theke. Die auf die Kasse gerichtete Kamera blieb
erhalten – was nur dann zu billigen ist, wenn durch schnelle Löschung der Aufnahmen dafür gesorgt
wurde, dass keine Verhaltenskontrolle erfolgen konnte, und dass nur bei „Zwischenfällen“ eine dauerhafte
Speicherung erfolgte. Auch die Steuerung der Betriebsabläufe kann Videoaufnahmen rechtfertigen, wenn
das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer nur ganz marginal berührt ist. So hat es das LAG SchleswigHolstein27 für zulässig angesehen, Kameras einzusetzen, die alle 30 Sekunden eine Aufnahme von
bestimmten Teilen des Lübecker Hafens machten, die durch das nächste Bild „überschrieben“ wurde, und
die über keine Zoom-Funktion verfügte: Personen waren als solche nur erkennbar, wenn sie sich zufällig
nahe der Kamera bewegten. Diesem sehr geringen Eingriff stand eine deutlich bessere Steuerung der
Arbeitsabläufe im Hafen gegenüber. Anders wäre die Situation gewesen, wenn die Bilder gespeichert und
über die Zoom-Funktion für eine Verhaltenskontrolle benutzbar gewesen wären.28
c) Sanktionen bei unerlaubter Videoüberwachung
Unerlaubte Videoüberwachung680 kann wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum
Schadensersatz verpflichten. Das ArbG Frankfurt681 hat einem betroffenen Arbeitnehmer ein
»Schmerzensgeld« in Höhe von 1300,00 DM zugesprochen, weil knapp zwei Monate lang ein Teil seines
Arbeitsbereichs im Lebensmittellager (nicht aber sein Büro) von einer versteckten Videokamera überwacht
worden war, von der weder er noch der Betriebsrat etwas wusste.682 Die Beschäftigten von Lidl, die von
Überwachungsaktionen betroffen waren,683 erhielten Presseberichten zufolge pro Person eine
Entschädigung von 300 Euro. Eine Arbeitnehmerin, deren Arbeitsplatz gegen ihren Willen knapp drei
Monate lang mit einer Videokamera überwacht wurde, bekam wegen schweren Eingriffs in ihr allgemeines
Persönlichkeitsrecht aufgrund einer Entscheidung des LAG Hessen29 eine Entschädigung in Höhe von
7.000 Euro; die Vorinstanz hatte sogar 15.000 Euro zugesprochen.30 Die Höhe schwankt von Fall zu Fall,
wobei nicht immer die tatsächliche Schwere des Eingriffs (sondern oft auch die subjektive Haltung des
Richters) maßgebend ist. So hat etwa das ArbG Iserlohn die „Rekordsumme“ von 25.000 Euro
zugesprochen,31 während sich das LAG Rheinland-Pfalz in einem ebenfalls gravierenden Fall von
Überwachung mit 650 Euro begnügte.32
3.
Mitbestimmung
Unabhängig von der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit einzelner Maßnahmen greift bei der
Videokontrolle das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bzw. das
Mitbestimmungsrecht des Personalrats nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG ein.684 Dabei wird nicht zwischen
öffentlich zugänglichen und nicht öffentlich zugänglichen Räumen unterschieden. In der Literatur finden
sich nützliche Handlungsanleitungen.33
26
22.11.2013 – 5 Sa 640/13, berichtet in CuA 12/2013 S. 19
29.8.2013 – 5 TaBV 6/13, NZA 2013, 577 = NZA-RR 2013, 577
Ebenso Fitting § 75 Rn. 150b
680
Beispiel auch bei LAG Hamm 24.7.2001 – 11 Sa 1524/00, RDV 2001, 288. Der niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte stellte im öffentlichen Bereich
zahllose Verstöße fest. In 99 % von 3.345 überprüften Geräten waren datenschutzrechtliche Vorschriften nicht beachtet worden (mitgeteilt in RDV 2010,
137 ff.).
681
26.9.2000 – 18 Ca 4036/00, RDV 2001, 190.
682
Zur Bemessung des Schmerzensgelds bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht s. Däubler, BGB kompakt, Kap. 30 Rn. 83ff.
683
S. oben Rn. 2a ff.
27
28
25.10.2010 – 7 Sa 1586/09, AiB 2011, 337 = RDV 2011, 99; Zusammenfassung in CuA 3/2011 S. 29.
Weitere Entscheidungen unten § 11 IX 2 (Rn 577).
ArbG Iserlohn 4.6.2008 – 3 Ca 2636/07, juris
32
Urteil v. 23.5.2013 – 2 Sa 540/12, ZD 2014, 41. Beide Entscheidungen auch bei Schulze/Schreck AiB 4/2014 S. 50.
684
Zum Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats s. Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, § 87 Rn. 154ff.; Tammen, RDV 2000, 15.
33
Brandt CuA 2/2013 s. 5 ff.
29
30
31
4. Exkurs: Mitwirkung in Filmen
314a
Unternehmen gehen immer häufiger dazu über, eigene Beschäftigte in Lehr- oder in Werbefilmen auftreten
zu lassen.34 Da dies normalerweise aus dem Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichten heraus fällt, ist
schon aus arbeitsvertragsrechtlichen Gründen die Einwilligung des Betroffenen erforderlich. Wird der Film
öffentlich verbreitet (wofür es schon genügt, wenn er ins Internet gestellt wird), so ist die Einwilligung der
Abgebildeten auch nach § 22 KUG erforderlich.35 Ist dies nicht der Fall und steht der Film nur
Firmenangehörigen zur Verfügung, so ist eine Rechtsfertigung durch § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG gegeben,
wenn das „Mit-Spielen“ von vorne herein Vertragsinhalt war oder durch die Einwilligung des
Beschäftigten wurde.
III. Ortungssysteme und Erstellung eines Bewegungsprofils
(im Buch § 6 IX)
1. Ortungssysteme
a) Die Ausgangssituation
318
Kontrolle über das soziale Verhalten eines Menschen kann nicht nur über Videokameras oder über die
Installierung von Überwachungsprogrammen erfolgen. Nicht weniger wichtig sind häufig Informationen
darüber, wer sich zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort aufgehalten hat. Würde man den Aufenthaltsort
des Betroffenen zu jedem Zeitpunkt kennen, könnte man sein Verhalten in vielerlei Hinsicht rekonstruieren
und daraus ggf. Konsequenzen ziehen. Dies gilt auch für das Arbeitsleben: Die relative Autonomie eines
Außendienstmitarbeiters geht verloren, wenn sich sein jeweiliger Aufenthaltsort sekundengenau
bestimmen lässt. Dies ist mit Hilfe von GPS oder Handy-Ortung unschwer möglich;36 beide lassen sich
vom Effekt her mit einer Videokamera vergleichen, die in 20 km Höhe angebracht ist.690 Auch gibt es
illegale Formen für die Installation entsprechender Kontrollprogramme.37 Soweit sich jemand auf dem
Betriebsgelände bewegt, wäre es auch denkbar, RFID-Technik einzusetzen und auf diese Weise ein
Bewegungsprofil zu erstellen.691 Weiter können sich die Mitarbeiter in einem sicherheitsempfindlichen
Betrieb wie z. B. einem Kernkraftwerk einer intensiven Kontrolle ausgesetzt sehen, wenn der Gang von
Sicherheitszone 1 in Sicherheitszone 2 und von dort zur außerhalb der Sicherungsbereiche gelegenen
Kantine präzise erfasst wird und dasselbe für den Rückweg geschieht. Unschwer könnte ein Betroffener mit
dem Vorhalt konfrontiert werden, er habe sich ein wenig lange im Sicherheitsbereich 2 aufgehalten oder sei
den Weg zur Kantine allzu gemächlich gegangen.
319
Aufgrund der bisherigen technischen Möglichkeiten bestand wenig Anlass, außer dem gesprochenen Wort
und der äußeren Erscheinungsform der Person auch den Aufenthaltsort vor unbefugter Erfassung zu
schützen. Ein „Aufenthaltsgeheimnis“ ist bisher nicht entwickelt worden. Durch moderne Techniken wie
GPS, Handy-Ortung und neue Zugangskontrollsysteme hat sich jedoch die Situation verändert. Kann es
auch jetzt noch erlaubt sein, den Aufenthaltsort des Einzelnen als relativ uninteressantes Datum zu
behandeln und jedermann den Zugriff zu erlauben? Dies wäre ersichtlich mit dem Schutz des
informationellen Selbstbestimmungsrechts und der Vorschrift des § 4 Abs. 1 BDSG nicht vereinbar;
vielmehr benötigt man heute eine Rechtsgrundlage, wenn man sich zu gewerblichen oder beruflichen
34
Ruhland CuA 2/2013 S. 18
Dazu Ruhland CuA 2/2013 S. 19
Zu der sog. Funkzellenabfrage, die im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingesetzt werden kann, s. die vom Bundestag abgelehnten Gesetzentwürfe der
Linkspartei und der GRÜNEN (Mitteilung in ZD 5/2013 S. IX). Zu einem FleetBoard, das Daten über das Fahrzeug erhebt, s. ArbG Dortmund 12.3.2013 –
2 BV 196/12, NZA-RR 2013, 473.
690
Kiesche/Wilke CuA Heft7/2009 S. 5. Man spricht insoweit von Location Based Services – dazu Steidle MMR 2009, S. 167ff.
37
Dazu Joe Meier CuA 10/2010 S. 40.
691
Dazu unten Rn. 324a ff.
35
36
320
Zwecken Daten über andere verschafft.
b) Das Strafprozessrecht als Vorreiter
Die Frage war lange Zeit kaum erörtert. Der hamburgische Datenschutzbeauftragte verwies als erster auf
das Problem und schlug einen Schutz durch Einbeziehung in das Fernmeldegeheimnis vor.692 Soweit
ersichtlich, existiert Rechtsprechung nur im Strafverfahrensrecht, das als erstes die neuen technischen
Möglichkeiten verarbeitet hat. Dort hält es der BGH auf der Grundlage des § 100c Abs. 1 Nr. 1b StPO a. F.
für zulässig, dass der Standort und die Bewegung von Fahrzeugen mit Hilfe von GPS festgestellt werden;
dies gelte auch dann, wenn daneben weitere technische Überwachungsmaßnahmen wie der Einsatz von
Videokameras und die Telefonkontrolle nach § 100a StPO eingesetzt würden.693 Der unantastbare
Kernbereich der Privatsphäre und des informationellen Selbstbestimmungsrechts sei im konkreten Fall
nicht berührt, da es um die Aufklärung von Sprengstoffanschlägen, und damit von besonders schweren
Delikten gehe. Diese Feststellungen wurden vom BVerfG bestätigt.694 Auch der Standort eines
Mobiltelefons darf nach § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO ermittelt werden,695 was vom BVerfG gleichfalls als
gerechtfertigter Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht gebilligt wurde.696 Außerhalb der
Strafverfolgung ist die Erfassung von Standortdaten eines Mobilfunkgeräts nach § 98 Abs.1 Satz 1 TKG
nur zulässig, wenn sie anonymisiert werden oder der Betroffene eingewilligt hat.38 Mitbenutzer müssen
nach § 98 Abs.1 Satz 2 TKG von der Einwilligung in Kenntnis gesetzt werden.697 Fehlen diese
Voraussetzungen, liegt eine Straftat nach § 206 StGB vor. Entsprechende Einschränkungen für die Nutzung
des GPS-Systems bestehen nicht,698 obwohl dafür kein innerer Grund besteht und man sich fragen muss, ob
nicht § 98 TKG analog anzuwenden wäre. Lediglich auf der Grundlage des hessischen Polizeirechts hat das
VG Darmstadt eine Ortungsmaßnahme für rechtswidrig erklärt.699
c) Zulässigkeitsschranken im Arbeitsrecht
321
Wie in anderen Fällen steht auch bei der Ortung ein Abwägungsproblem zur Debatte. Der BGH hat in der
Aufenthaltsermittlung zu Recht einen sehr weitgehenden Eingriff in die Persönlichkeitssphäre gesehen,
doch kann auch ein solcher gerechtfertigt sein. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn es um die Aufklärung
von Sprengstoffdelikten und anderen gravierenden Verbrechen geht, deren die „Zielperson“ verdächtig ist.
Das Interesse eines Arbeitgebers an der umfassenden Kontrolle des Arbeitsverhaltens seiner
Beschäftigten reicht dafür jedoch bei weitem nicht aus. Insoweit gilt nichts anderes als bei der
Videokontrolle.39
322
Legt man diese Maßstäbe an Außendienstmitarbeiter an, so kann es sicherlich ein legitimes Interesse
geben, ihre jeweilige Erreichbarkeit sicherzustellen. Hierfür genügt jedoch, dass sie auf ihrem Handy
erreichbar sind. Dabei kann ggf. der jeweilige Aufenthaltsort erfragt werden, sofern dies aus
organisatorischen Gründen notwendig ist. So kann es für einen Paketdienst sinnvoll sein, dass ein gerade
eingegangener Auftrag von einem Fahrer gleich mit erledigt wird, der sich in der Nähe des Auftraggebers
befindet. Darüber hinaus wie mit einer im Weltraum stationierten Videokamera jeden Teil des
Fahrverhaltens und jede Pause am Straßenrand oder auf einem Parkplatz zu erfassen, wäre eine
unzulässige »Totalkontrolle«, die den Einzelnen zum Beobachtungsobjekt degradiert.700 Die Situation ist
insoweit keine andere als beim direkten Einsatz einer Videokamera, die ausschließlich das Arbeitsverhalten
überwachen soll.701 Was dort unzulässig ist, kann hier nicht akzeptabel sein. Dazu kommt im Rahmen von
Flottenmanagement-Systemen,40 dass auch Daten über den Kraftstoffverbrauch, die Motordrehzahl, die
692
Hamburgischer DSG 18. TB unter 1.1.3.
BGH 24.1.2001 – 3 StR 324/00, DSB Heft 3/2001 S. 17 = NJW 2001, 1658.
694
BVerfG 12.4.2005 – 2 BvR 581/01, NJW 2005, 1338
695
Zur Möglichkeit, dies als Teil der Telefonüberwachung zu tun, s. BGH 21.2.2001 – 2 BGs42/01, NJW 2001, 1587 = DSB Heft 4/2001 S. 19. Zur Technik des
sog. IMSI-catchers s. Fox, DuD 2002, 212.
696
BVerfG 22.8.2006 – 2 BvR 1345/03, NJW 2007, 351ff.
38
Eingehend Mantz K&R 2013, 7.
697
Zu weiteren Einschränkungen s. die Informationen in RDV 2009, 136.
698
Kiesche/Wilke CuA Heft 7/2009 S. 6
699
VG Darmstadt 16.11.2000 – 3 E 915/99, NJW 2001, 2273.
39
Oben Rn. 312.
700
Ähnlich Gola NZA 2007, S. 1139, 1144.
701
S. oben VI 2b (Rn. 312).
40
Zu diesen insbesondere M. Schröder ZD 2003, 13 ff.
693
324
Geschwindigkeit und den Reifendruck erfasst werden können.41 Damit wird das Arbeitsveralten noch
konkreter erfasst. Solche Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre sind nicht erforderlich, weil man über
den Handy-Anruf einen vergleichbaren Erfolg erzielen kann. Außerdem wären sie unverhältnismäßig im
Sinne von unangemessen, da dem schweren Eingriff in die Persönlichkeitssphäre bestenfalls eine
bescheidene Erleichterung der Betriebsorganisation gegenüber stehen würde. Damit sind solche Formen
der Datenerfassung rechtswidrig.
322a
Daraus kann man den Grundsatz herleiten, dass dem Einzelnen heute ein »Aufenthaltsgeheimnis« zusteht,
das nur in singulären Ausnahmefällen wie bei dem konkreten Verdacht einer strafbaren Handlung
durchbrochen werden kann.702 Auch die Möglichkeit, die Überwachungsgeräte auszuschalten, ändert an
dieser Situation im Übrigen nichts, da der Arbeitnehmer die Rückfrage gewärtigen muss, weshalb er so
lange »abgetaucht« sei.
322b
Detektive oder andere Personen, die heimlich an Lkws GPS-Sensoren anbringen, um auf diese Weise ein
Bewegungsprofil der Fahrer zu erstellen, machen sich strafbar. Der BGH42 hat eine Verurteilung gemäß §
44 BDSG bestätigt. In einem Zivilprozess wurde gleichfalls festgestellt, dass eine heimliche Überwachung
mit Hilfe von GPS einen übermäßigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der beobachteten Person
darstelle und deshalb nicht zu den erstattungsfähigen vorprozessualen Kosten gehöre.43 Selbst in den USA
sind staatliche Maßnahmen dieser Art nur aufgrund richterlicher Entscheidung möglich.44
2.
Erstellung von Bewegungsprofilen im Betrieb
323
Im Prinzip gilt bei betrieblichen Bewegungsprofilen nichts grundsätzlich Abweichendes.45 Unterschiede
bestehen lediglich bei den eingesetzten Techniken, wie das Beispiel der innerbetrieblichen
Sicherheitszonen und der Überschreitung der Grenzen zwischen ihnen zeigt. Ähnliches könnte mit Hilfe
der »Rufweiterschaltung« beim Telefon erreicht werden, wenn ihre Aktivierung beim Verlassen des Büros
obligatorisch ist und zugleich die Weisung besteht, sich grundsätzlich nur in Räume zu begeben, wo man
aufgrund dieser Funktion erreichbar ist. Dies würde auf eine umfassende Überwachung hinauslaufen, die
sich auch hier nicht mit vorrangigen betrieblichen Interessen rechtfertigen ließe. Eine Ausnahme gilt
lediglich für die Rundgänge die Wachpersonals, die für bestimmte Zeiten vorgeschrieben sind und die
dokumentierbar sein müssen; ob die versprochene Arbeit auch wirklich geleistet wurde, kann seitens des
Arbeitgebers sonst nicht kontrolliert werden.
3.
Mitbestimmung
Unabhängig von der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit besteht bei Ortungssystemen wie bei der
Erstellung von Bewegungsprofilen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6
BetrVG bzw. des Personalrats nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG.46
41
Kiesche/Wilke CuA 7/2009, S. 5
Eingehender Däubler CF 7–8/2005 S. 42ff.
4.6.2013 – 1 StR 32/13, RDV 2013, 297 = ZD 2013, 502 = K&R 2013, 669.
43
BGH 15.5.2013 – XII ZB 107/08, NJW 2013, 2668.
44
So der US Supreme Court, mitgeteilt in ZD 10/2012 S. VII.
45
Zu ihnen s. oben Rn 318. Gegen lückenlose Erfassung Arning/Born in: Forgó/Helfrich/Schneider Teil X Kap. 2 Rn. 31.
46
S. unten Rn. 836b ff.
702
42