16/5066 - Niedersächsischer Landtag

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16/5066 - Niedersächsischer Landtag
Drucksache 16/5066
Niedersächsischer Landtag − 16. Wahlperiode
Kleine Anfrage mit Antwort
Wortlaut der Kleinen Anfrage
der Abgeordneten Christel Wegner (fraktionslos), eingegangen am 20.06.2012
Kontrolle ärztlicher Entscheidungen
In Verbindung mit der Petition 831/9/XI an den Landtag und in Zusammenhang mit der Anklage gegen die verstorbene Medizinerin Mechthild Bach wegen 13-fachen Totschlags frage ich die Landesregierung:
1.
Warum wurde das Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 4121 E - 303.111/87, das am
19.05.1987 beim Landgericht Hannover im Zusammenhang mit dem Todesfall von Hedwig S.
gestellt wurde, eingestellt?
2.
Gegen die Einstellung dieses Verfahrens wurde im Auftrag der Angehörigen der Verstorbenen
Frau S. am 16.01.1988 Beschwerde eingelegt. Auf welcher Grundlage lehnte die Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Celle die Beschwerde ab?
3.
Daraufhin wurde (am 15.03.1988) ein Klageerzwingungsantrag gestellt, der durch eine Richterin abgewiesen wurde, die bereits im Jahr 1986 in anderer Funktion eine Petition in gleicher
Angelegenheit bearbeitet und abschlägig beschieden hatte.
a) Sieht die Landesregierung darin keine Befangenheit der Richterin?
b) Wird bei der Auswahl von Richtern nicht darauf geachtet, ob diese zu einem früheren Zeitpunkt bereits in dem gleichen Fall geurteilt hatten?
4.
Welche Maßnahmen bestanden Ende 1985 und bestehen heute in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen, um (unnatürliche) Todesfälle aufzuklären bzw. zu verhindern? Was hat
sich seit dem Fall Bach bei der Kontrolle von Handlungen von Medizinern geändert?
(An die Staatskanzlei übersandt am 28.06.2012 - II/72 - 1410)
Antwort der Landesregierung
Niedersächsisches Justizministerium
- 4110 I – 402. 241 -
Hannover, den 26.07.2012
Einsender der Landtagseingabe Nr. 831/9/XI vom 14. Februar 1987 waren die Gebrüder Karl-Heinz
und Manfred S. aus Hannover, deren Mutter Hedwig S. am 17. November 1985 im DRKKrankenhaus „Clementinenhaus“ in Hannover verstorben ist.
Unter anderem warfen sie den seinerzeit behandelnden Ärzten vor, ihre Mutter mit dem Ziel falsch
behandelt zu haben, sie gemeinschaftlich zu Tode bringen zu wollen. In der vom zuständigen Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen eingeholten Stellungnahme führte das Niedersächsische
Sozialministerium unter anderem aus, dass die Ärztekammer Niedersachsen nach dem seinerzeit
noch nicht abschließenden Ergebnis der Ermittlungen keine Veranlassung sehe, ein berufsgerichtliches Verfahren gegen die beschuldigten Ärzte zu beantragen. Die parlamentarische Behandlung
der Angelegenheit wurde mit dem Beschluss des Ausschusses für Sozial- und Gesundheitswesen,
die Eingabe der Landesregierung als Material zu überweisen und die Einsender über die Sach- und
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Rechtslage zu unterrichten, abgeschlossen. In seiner Sitzung am 20. Januar 1988 billigte der Niedersächsische Landtag die Auffassung des Ausschusses.
Wegen des o. g. Vorwurfs erstatteten die Einsender mit Schreiben vom 21. April 1987 beim seinerzeit amtierenden Justizminister Strafanzeige wegen Mordes. Das daraufhin von der Staatsanwaltschaft Hannover eingeleitete Ermittlungsverfahren 35 Js 26438/87 wurde mit Bescheid vom 6. Januar 1988 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt (vgl. hierzu Ziffern 1. bis 3. der Anfrage).
Das vor dem Landgericht Hannover gegen Frau Dr. med. Mechthild Bach geführte umfangreiche
Strafverfahren wegen Totschlags in 13 Fällen, welches durch den Tod der Ärztin im Januar 2011
seine Erledigung fand, steht zu der Petition 831/9/XI bzw. dem Ermittlungsverfahren
35 Js 26438/87 der Staatsanwaltschaft Hannover in keinem Zusammenhang.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Zu 1:
Das Ermittlungsverfahren 35 Js 26438/87 der Staatsanwaltschaft Hannover wurde mit Bescheid
vom 6. Januar 1988 gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt,
weil die durchgeführten Ermittlungen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers der von den Anzeigenerstattern beschuldigten Ärzte ergeben hatten. Ein Ermittlungsverfahren
mit dem Aktenzeichen 4121 E - 303. 111/87 existiert bei der Staatsanwaltschaft Hannover nicht; es
handelt sich um ein dem Niedersächsischen Justizministerium zuzuordnendes Aktenzeichen.
Zu 2:
Die Beschwerde der Anzeigenerstatter vom 16. Januar 1988 gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Hannover vom 6. Januar 1988 wies die Generalstaatsanwaltschaft Celle mit Bescheid
vom 15. Februar 1988 (Zs 100/88) als unbegründet zurück. Sie führte hierin aus, der angefochtene
Bescheid entspreche der Sach- und Rechtslage und auch das Vorbringen der Beschwerde führe zu
keiner anderen Beurteilung. Nach dem Inhalt der Ermittlungsakten und der Krankenunterlagen
könne ausgeschlossen werden, dass ein Behandlungsfehler der Ärzte zum Tod der Verstorbenen
geführt habe. Die Tatsache, dass die Anzeigenerstatter die erforderliche Einwilligung für eine rechtzeitige Lymphknoten-Extirpation verweigert hätten, sodass eine für die richtige Therapie unbedingt
notwendige Diagnose nicht habe gestellt werden können, könne den behandelnden Ärzten nicht
angelastet werden. Ein Klageerzwingungsantrag der Anzeigenerstatter wurde durch Beschluss des
Oberlandesgerichts Celle vom 26. April 1988 als unzulässig verworfen.
Zu 3:
Im deutschen Recht gilt das Recht auf den gesetzlichen Richter. Es leitet sich aus dem Recht auf
ein faires Verfahren ab und ist in Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) und § 16 Satz 2 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) normiert. Aus ihm folgt, dass jeder Rechtsuchende Anspruch
auf eine im Voraus bestimmte und hinterher überprüfbare Festlegung hat, welchem Gericht und
welchem Spruchkörper die Verhandlung und Entscheidung seiner Rechtssache obliegt. Die (örtliche und sachliche) Zuständigkeit der Gerichte ist im Gerichtsverfassungsgesetz bzw. in der jeweils
maßgeblichen Prozessordnung geregelt; die Verteilung der Rechtssachen auf den Spruchkörper
regelt der gemäß §§ 21a ff. GVG durch das Präsidium des jeweiligen Gerichts festgelegte Geschäftsverteilungsplan. Aus dem Recht auf den gesetzlichen Richter folgt im Umkehrschluss, dass
weder ein Wahlrecht rechtssuchender Personen noch eine Einflussmöglichkeit der Landesregierung auf den zur Entscheidung berufenen Spruchkörper besteht.
Die Mitwirkung einer Richterin bzw. eines Richters an Vorentscheidungen ist in der Regel kein
Grund für ihre bzw. seine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit. Im Übrigen ist ein Ablehnungsgesuch eine Prozesshandlung, die von den am Verfahren Beteiligten vorzunehmen ist.
Die Landesregierung als nicht am Verfahren Beteiligte darf hierauf keinen Einfluss haben.
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Zu 4:
Spezifische Regelungen des Krankenhaus-, Heim- oder Pflegeversicherungsrechts zur Kontrolle
von Handlungen von Medizinerinnen und Medizinern bestanden weder Ende 1985 noch existieren
entsprechende Regelungen heute.
Der Erkennung von unnatürlichen Todesfällen dient die in §§ 3 ff. des Gesetzes über das Leichen-,
Bestattungs- und Friedhofswesen (BestattG) vom 8. Dezember 2005 (Nds. GVBl. S. 381) geregelte
Leichenschau. § 3 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 BestattG bestimmt,
dass bei einem Sterbefall in einem Krankenhaus oder einer anderen Einrichtung, zu deren Aufgaben auch die ärztliche Behandlung der aufgenommenen Personen gehört, die diensthabenden Ärztinnen und Ärzte der Einrichtung die Leichenschau zur Feststellung des Todes, des Todeszeitpunktes, der Todesart und der Todesursache unverzüglich durchzuführen haben. Die Durchführung einer Leichenschau war auch nach dem im Jahr 1985 geltenden Gesetz über das Leichenwesen vom
29. März 1963 (Nds. GVBl. S. 142) und der Verordnung über die Bestattung von Leichen vom
29. Oktober 1964 (Nds. GVBl. S. 183) verpflichtend, allerdings war seinerzeit noch nicht gesetzlich
bestimmt, durch welche Person die Leichenschau in einem Krankenhaus oder einer anderen Einrichtung zu erfolgen hatte.
Beim Vorliegen von Anhaltspunkten für einen nicht natürlichen Tod ist die die Leichenschau durchführende Ärztin bzw. der Arzt gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 BestattG verpflichtet, unverzüglich die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen.
Letztere ist bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte gemäß § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet, strafprozessuale Ermittlungen aufzunehmen und, soweit möglich, eine Klärung des Todesfalles herbeizuführen.
Bernd Busemann
(Ausgegeben am 02.08.2012)
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