DIE ZEIT

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DIE ZEIT
48 FEUILLETON
30. J U N I 2016
KUNSTMARKT
D I E Z E I T Noo 2 8
TRAUMSTÜCK
Höhenrausch
E. L. Kirchners »Blaue Artisten«
bei Christie’s VON LISA ZEITZ
»Sie rücken
nichts raus«
Münchner Museen verkauften nach dem Krieg
Raubkunst, die sie eigentlich an die Opfer
zurückgeben sollten. Deren Nachkommen
müssen heute um ihre Rechte kämpfen
Profitierte sie vom Kunstraub? Henriette von Schirach (links)
mit ihrem Mann Baldur (Mitte) beim Besuch einer Ausstellung 1942 in Wien
Fotos: Archiv Heinrich Hoffmann/Bayerische Staatsbibliothek/bpk; Kraus Family/Commission for Looted Art in Europe (2, u.); Christie’s Images Ltd. 2016 (r.)
E
ten, Realität. Aber es war noch ein langer Prozess,
bis wir etwas davon zurückbekamen. In diesem
Spiel sind alle Karten in den Händen derjenigen,
die unsere Bilder besitzen, sie verfügen über alle
wichtigen Informationen. Und sie rücken nichts
freiwillig raus. Man kann den menschlichen In­
stinkt der Habgier anscheinend nicht abschalten.
Die Museen verhalten sich wie Kinder im Sand­
kasten, die brüllen: Das ist meins! Unsere Familie
musste erst peinlich genau beweisen, dass diese
Bilder wirklich meinem Urgroßvater gehört hat­
ten, bis uns schließlich sechs Bilder von österrei­
chischen Museen restituiert wurden.
ZEIT: Die stellen aber nur einen Bruchteil der ur­
sprünglichen Sammlung dar?
Graykowski: Wir hatten damals keine Ahnung,
wie viele und welche Kunstwerke genau zur
Sammlung gehörten, es gab keine Inventarlisten.
Deshalb baten wir ­Anne Webber und die ­CLAE
um Hilfe. In kürzester Zeit identifizierten sie
166 Werke.
ZEIT: Wie muss man sich die Arbeit Ihrer Organi­
sation vorstellen, Frau Webber?
Anne Webber: Wir sind eine Non-Profit-Organisa­
tion, die international Restitutionsverfahren aus­
handelt und dokumentiert. Unsere Arbeit wird
durch Spenden finanziert. Zu unserem Team ge­
hören Historiker und Provenienzforscher, wir ver­
treten Familien aus aller Welt. Wir versuchen dabei
stets, einvernehmliche Lösungen herbeizuführen.
Es gab vor unserer Gründung im Jahr 1999 in
Europa keine Organisation, die Familien bei der
Suche nach Raubkunst half.
ZEIT: Ist das nicht spätestens seit der sogenannten
Washingtoner Erklärung von 1998 die Aufgabe
der deutschen Museen und des deutschen Staats?
Graykowski: Mit uns nahm kein Museum Kontakt
auf. Die staatlichen Institutionen unternehmen
von sich aus nichts, das ist sehr verstörend. Und
dann hat ­Anne Webber auch noch herausgefunden,
dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
unsere Kunst nach dem Krieg zu Spottpreisen an
ehemalige Nazis oder deren Familien ­verkauften.
ZEIT: Wie erfuhren Sie davon?
Webber: Nachdem wir durch eingehende Recher­
chen den Weg von zwei Kunstwerken in die
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hatten
nachverfolgen können, fragten wir dort nach de­
ren Verbleib. Wir bekamen die kurze Antwort,
dass diese Gemälde 1961 und 1962 an Henriette
s ist die Geschichte eines moralischen
Bankrotts: 75 Jahre nach der Beschlag­
nahmung durch die Gestapo hat John
Graykowski, ein Rechtsanwalt aus Wa­
shington, ein Gemälde aus der Sammlung seines
jüdischen Urgroßvaters Gottlieb Kraus in
Deutschland ausfindig gemacht – und bekommt
es nicht zurück. Sein Vorfahr war bis zum soge­
nannten Anschluss Österreichs ein wohlhaben­
der Mann gewesen. Er lebte als tschechischer
Konsul in Wien. Seine bedeutende Kunstsamm­
lung musste er auf dem Weg ins Exil zurücklas­
sen. In den Jahren 1941 und 1942 teilten die
Nazis sich die Beute auf. Einige Gemälde gelang­
ten in die Albertina in Wien, andere ins Joan­
neum in Graz. Nachdem sich Hans Posse, Hitlers
Chefeinkäufer für das in Linz geplante Führer­
museum, bedient hatte, durfte auch Hitlers Leib­
fotograf Heinrich Hoffmann zugreifen. Einige
Bilder der Sammlung Kraus tauchten nach dem
Krieg im sogenannten Central Collecting Point
in München auf, in dem die US-Amerikaner die
von den Nazis geraubte Kunst zusammentrugen
und den rechtmäßigen Eigentümern zurückzu­
geben versuchten. Die Werke, deren Eigentümer
sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht
ermitteln ließen, gingen dann an die Bayerischen
Staatsgemäldesammlungen. Das Museum sollte
nun nach den Eigentümern suchen. Eine Aufga­
be, die es anscheinend viele Jahrzehnte nicht sehr
ernst nahm. Ein Gespräch mit John Graykowski,
der sich als Erbe betrogen fühlt, und mit Anne
Webber, die mit der Commission for Looted Art
in Europe (CLAE) dabei half, das vermisste Bild
wiederzufinden.
DIE ZEIT: Hat Ihre Familie, Herr Graykowski,
nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, die geraubte
Kunst wiederzubekommen?
John Graykowski: Meine Großtante versuchte be­
reits in den fünfziger und sechziger Jahren, aus
Deutschland und Österreich Kunst zurückzuerhal­
ten, wurde aber von den Behörden in fast allen
Fällen abgewiesen. Erst im Jahr 2004 meldete sich
die Israelitische Kultusgemeinde aus Wien bei uns
und zeigte uns alte Fotografien von 13 Bildern
meines Großvaters, die dem Führermuseum in
Linz angeboten worden waren. Plötzlich waren
diese Gemälde, die wir nur aus Geschichten kann­
ten, von denen wir nie Abbildungen gesehen hat­
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Anne Webber gehört zu den
Gründern der Commission
for Looted Art in Europe
John Graykowski aus ­
Washington sucht das Erbe
seines Urgroßvaters
Kölner Auktionshaus Lempertz gekauft haben.
Eine Preissteigerung um mehr als das 50-Fache in
kürzester Zeit.
ZEIT: Wie reagierte der Xantener Dombauverein
auf Ihre Rückerstattungsanfrage im Jahr 2011?
Webber: Zunächst einfach gar nicht. Man behaup­
tete dort, unser gut hundertseitiger, detailliert be­
legter Antrag sei nicht angekommen. Bis wir die
Empfangsbestätigungen der Deutschen und briti­
schen Post vorlegten. Wir mussten den Antrag
schließlich noch einmal schicken, doch das half
auch wenig. Der Dombauverein behauptet, dass er
als nichtstaatliche Organisation nach dem Wa­
shingtoner Abkommen nicht zu einer Restitution
verpflichtet sei. Das hätten wir von einer katholi­
schen Kirche, die in Xanten besonders auf ihre
nazikritische Haltung im Zweiten Weltkrieg stolz
ist, wirklich nicht erwartet.
132 mm
GEWINNER DES GOLDENEN LÖWEN VENEDIG 2015
AB
Hoffmann-von Schirach verkauft worden seien.
Wir konnten es zunächst nicht fassen: die Toch­
ter des Fotografen Heinrich Hoffmann, die als
Sekretärin für Hitler gearbeitet hatte, später bis
1950 mit Baldur von Schirach verheiratet gewe­
sen war, dem Reichsjugendführer und späteren
Reichsstatthalter in Wien. Sie und andere Mit­
glieder von Familien wie Hoffmann oder Göring
hatten nach dem Krieg Dutzende erfolgreiche
Rückgabeanträge an das Museum gestellt, wie wir
herausfanden. Das Gemälde Holländisches Platzbild, eine Kopie nach Jan van der Heyden, hatte
das Museum 1962 für den Schleuderpreis von
300 Mark an Hoffmann-von Schirach verkauft.
Der Xantener Dombauverein will das Bild dann
schon ein Jahr später für 16 100 Mark beim­
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Der Xantener Dombauverein reagierte auf eine
Anfrage der ZEIT bis Redaktionsschluss nicht.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen teil­
ten zu einem am 25./26. Juni in der ­Süddeutschen
Zeitung erschienenen Artikel mit, dass die Ge­
schichte der aus den Central Collecting Points
überwiesenen Werke bereits erforscht wird und
Archivalien zugänglich seien. Fragen der ZEIT –
etwa zu dem niedrigen Preis, den Henriette­
Hoffmann-von Schirach für das Platzbild zahlte
– blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Das Gespräch führte Tobias Timm
Schwerelos im Zirkuszelt
selbst auf das Trapez geklettert, dass er sich
jetzt auf einer Ebene mit den Zirkusleuten
bewegen kann? Zwar reichte der Zuschlag
nicht ganz an die obere Schätzung von einer
Million Pfund heran, aber mit 900 000
Pfund ist es trotzdem ein Rekord.
Lisa Zeitz ist Chefredakteurin von »Weltkunst«
und »Kunst und Auktionen«
ZAHL DER WOCHE
30 000
... bis 50 000 Euro soll am 6. Juli im
Münchner Auktionshaus Neumeister
eine gotische Glasmalerei mit einer alt­
testamentlichen Szene kosten. Die bunte
Bleiverglasung entstand um 1270 in ei­
ner Straßburger Werkstatt, wahrschein­
lich für die dortige Thomaskirche. Mit­
telalterliche Fensterbilder dieser Qualität
kommen nur noch selten auf den Markt.
kunstmarkt
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Graykowski: Ich war schockiert, denn ich bin
selbst Katholik. Dieser Dombauverein hat in den
vergangenen sechs Jahren nicht ein Zeichen des
Mitempfindens an uns ausgesendet. Stattdessen
wird dort erstaunlich viel Energie in die Ableh­
nung der Rückgabe investiert. Und das bei einem
Gemälde, das zwar für meine Familie von großem
ideellem Wert ist, nicht aber für den Kunstmarkt.
ZEIT: Wie viel ist das Platzbild denn wert?
Webber: Vielleicht 20 000 Euro, es handelt sich
um eine alte Kopie. Das ist kein wertvolles Kunst­
werk, darum geht es der Familie nicht.
ZEIT: Helfen Ihnen denn jetzt wenigstens die
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen bei Ihrer
weiteren Suche?
Webber: Nein. Die dort für Provenienzforschung
zuständige Mitarbeiterin Andrea Bambi schrieb
uns schon 2012, dass sie in dieser Sache nicht wei­
ter recherchieren werde, weil sich die Kunstwerke
seit 1962 nicht mehr im Eigentum der Staats­
gemäldesammlungen befänden.
ZEIT: Was muss sich ändern in Deutschland?
Graykowski: Es müssen genaue Verfahrensregeln
für Restitutionsverfahren eingeführt werden,
und es muss viel mehr Transparenz vonseiten der
Museen geben. Es geht hier schließlich nicht um
Nuklearwaffen, die Geheimnistuerei muss jetzt
ein Ende haben. Obwohl die Staatsgemälde­
sammlungen verpflichtet sind, Akten, die älter
als 30 Jahre sind, ans Hauptstaatsarchiv zu über­
geben, halten sie diese immer noch bei sich unter
Verschluss. Die Archive müssen für die Familien
auf der Suche nach der geraubten Kunst endlich
frei zugänglich gemacht werden. Oder will
Deutschland, dass dieses ruhmlose Kapitel nie
ein Ende findet?
Schwierige Zeiten in London, auch für
Auktionshäuser. Diese Woche ist die zeitge­
nössische Kunst dran. Noch vor dem Brexit
kamen Werke des Impressionismus und der
Moderne unter den Hammer, was bei So­
the­by’s ganz gut lief, während die Umsatz­
einbußen bei Christie’s empfindlicher aus­
fielen. Die Abendauktion umfasste ohnehin
nur 33 Lose, und davon fanden zwölf kei­
nen Abnehmer. Doch auch bei Christie’s
gab es Lichtblicke: Dazu gehört Ernst Lud­
wig Kirchners Pastellzeichnung Blaue Artisten aus dem Jahr 1914. Das 68 mal 51 Zen­
timeter große Blatt zeigt vier schlanke Ge­
stalten in hautengen blauen Anzügen. Eine
junge Frau im Vordergrund ist dem Be­
trachter zugewandt, während sich die drei
Artisten hinter ihr an ein Trapez schmiegen,
als ob sie elastisch und flexibel auch die
Bildfläche jederzeit mit einem eleganten
Schwung verlassen könnten. Die Schnellig­
keit von Kirchners Strich wirkt berau­
schend. Als sei er selbst in Ekstase gewesen,
und etwas davon teilt sich uns mit. Flucht­
linien in Gelb-Schwarz ziehen den Blick
wie magnetisch nach unten. Höhenangst
oder Höhenrausch: Ist denn der Künstler
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