Der Kleine Vampir One-Shot 2 – Teddy und Rüdiger

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Der Kleine Vampir One-Shot 2 – Teddy und Rüdiger
Der Kleine Vampir One-Shot 2 – Teddy und Rüdiger
Nächtlicher Besuch
Das Haus war recht nett. Gepflegt, etwas außerhalb und einen großen Garten hatte es auch. In
dessen Mitte stand ein kleines rundliches Zelt. Große, dunkle Bäumen säumten das
Grundstück, rahmten es förmlich ein. Viel Schatten am Tag, viel Dunkelheit in der Nacht. Gar
nicht mal so übel! Suchend blickte Rüdiger umher. Da, ein Junge verließ die Eingangstür zum
Haus und lief, mit einer Taschenlampe in der Hand, rasch die Treppen hinunter. „Teddy, du
kommst aber sofort rein wenn es anfängt zu regnen!“ Eine energische, leicht nervende
Stimme, wie Rüdiger fand. Es konnte einfach nur die Mutter von diesem Teddy sein! „Mach
ich!“ Der Junge lief weiter auf das kleine runde Zelt zu. Er bückte sich durch die kleine
Öffnung und verschwand schließlich vollends darin. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe
hörte auf zu zittern.
Gut! Geschmeidig landete Rüdiger und schlich um das Zelt herum. Grinsend griff er nach
einem der Taue, die das Zelt am Rasen verankerte. Er rüttelte leicht daran und fuhr danach
mit seinen Fingernägeln über die Zeltplane. Ein scharrendes Geräusch ertönte. „Was war
das?“ Die erschreckte Stimme des Jungen erklang. Kurz darauf verließ er Hals über Kopf das
Zelt um suchend um selbiges herum zu laufen. Rüdiger unterdrückte ein Lachen. Perfekt.
Rasch schob sich der kleine Vampir durch die rundliche Öffnung und griff nach dem
angefangenen Brief, der mit ‚Lieber Anton’ begann. Dann verließ er schnell das Zelt und
schoss in die Höhe.
Währenddessen lief Teddy weiter suchend im Garten umher. Schlussendlich kehrte er zu
seinem Zelt zurück um sich seine Taschenlampe zu holen. „Da war doch was!“ „Ist
irgendwas, Teddy?“ Ja, ja Mom!“ Der Junge drehte sich hin und her. Wie ein aufgescheuchtes
Huhn lief er umher!
Das war doch alles viel zu leicht gewesen! Auf Rüdigers Gesicht manifestierte sich ein
verhängnisvolles Grinsen. Was hatte er groß zu verlieren? Er war verbannt worden, weil er
sich mit einem Menschen eingelassen hatte. Er hatte ihm seine Identität enthüllt, ihm sein
Heim gezeigt….er hatte sogar dessen Eltern besucht. Auf einen Menschen mehr oder weniger
kam es doch jetzt wirklich nicht an. Außerdem juckte es Rüdiger wie wild, diesen Teddy von
Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Er wollte ihm ins Gesicht sehen, er wollte mit
ihm sprechen! Leise landete er genau hinter dem ahnungslosen Jungen. Er würde ihm einen
gewaltigen Schreck einjagen, soviel war schon mal sicher!
„Hey du!“ Teddy fuhr erschrocken herum. Reflexartig riss er seinen Arm mit der
Taschenlampe hoch. Der Lichtstrahl traf eine kleine Gestalt mit Umhang und einem
geisterhaft blassen Gesicht. „Aaahhh!“ Teddy schrie auf und stolperte ein paar Schritte
rückwärts. Er stieß gegen sein Zelt, seine Beine verhedderten sich in den Tauen….Teddy
ruderte noch verzweifelt mit den Armen aber vergebens. Der Junge verlor das Gleichgewicht,
fiel mit seinem vollen Körpergewicht gegen das Zelt und brachte somit seine kleine Trutzburg
vollends zum Einsturz. Apropos Sturz: Teddy krachte heftig auf den Rasen, ein stechender
Schmerz raste quer durch seinen ganzen Körper, für einen kurzen Moment blieb ihm die Luft
weg….
Schrecken im fahlen Licht des Mondes
Ein helles, leicht schadenfrohes Lachen ertönte. Teddy rappelte sich stöhnend hoch. Noch im
Sitzen schob er vorsichtig das Zelt, das teilweise auf und um ihn herum zusammengebrochen
war, beiseite. Dann sah er auf. Die kleine Gestalt kam näher. Hektisch tastete Teddy nach
seiner Taschenlampe. „Suchst du die hier?“ fragte die Gestalt und trat nun aus der Dunkelheit
dichter an Teddy heran. Jetzt, im Mondenlicht, in deren vollem Schein die Gestalt nun stand,
konnte Teddy endlich etwas erkennen. Es war ein Junge, vielleicht so alt wie er…er trug
einen schwarzen Umhang über eine leicht zerschlissene kurze Hose, seine schwarzen Haare
standen ihn wild vom Kopf ab…dunkle Augen funkelten ihn amüsiert aus einem bleichen
Gesicht entgegen. „Nicht schlecht“, sagte der Junge und knipste die Taschenlampe mehrfach
ein und aus. „Besser als eine Fackel allemal!“ Er wog die künstliche Leuchte ein paar Mal in
seiner Hand, dann richtete sich sein Blick wieder auf Teddy, der die ganze Zeit einfach nur
schockiert auf seinen Hosenboden sitzen geblieben war.
„Du….du bist Rüdiger“, brach es schließlich aus Teddy hervor. Es konnte einfach nur
Rüdiger sein. Der Vampir aus Antons Briefen, sein neuer ungewöhnlicher Freund. Es war
also tatsächlich wahr, was Anton ihm geschrieben hatte! Der Junge starrte den kleinen
Vampir an. Dass ihm dabei die ganze Zeit der Mund vor lauter Staunen offen stand, bemerkte
Teddy nicht.
Rüdiger grinste süffisant. Eine bemerkenswerte Vorstellung, die dieser Teddy da abgeliefert
hatte. Wie er vor lauter Schreck in sein Zelt gestolpert war und es dadurch zum Einsturz
gebracht hatte! Er hatte unglaublich komisch ausgesehen. Jetzt saß er einfach da und konnte
ihn nur schockiert und mit großen ängstlichen Augen ansehen, die sich hinter den Gläsern
einer Brille befanden.
„Ja…und du bist Teddy Kasper!“ „Du….du kennst mich?“ fragte Teddy unsicher. „Anton hat
mir von dir erzählt…das er dir Briefe schreibt über mich und ihn….was wir erlebt haben und
so…“ Rüdiger musterte den Jungen. Er sah immer noch so aus als sei ihm der Schreck
vollends in die Glieder gefahren. „Hast du Angst vor mir, Teddy Kasper?“ fragte er mit
schneidender Stimme.
Teddy schluckte. „Ich…ich weiß nicht…muss ich das denn? Du bist doch Antons Freund?“
Rüdiger kniff die Augen zusammen. „So? Und du meinst also, nur weil ich Antons Freund
bin, dann bin ich auch automatisch dein Freund, hm?“
Ihm ein bisschen Angst machen konnte nicht schaden, meinte Rüdiger.
Teddy erbleichte. Der kleine Vampir grinste und entblößte dabei seine scharfen Eckzähne.
„Ich…ich dachte…du wärst nett….freundlicher….Anton hat dich zumindest so in seinen
Briefen beschrieben“, brachte Teddy schwach hervor.
„Ach tatsächlich? Wirklich, so hat Anton mich beschrieben?“ Rüdiger lachte kurz auf. Dann
beugte er sich zu Teddy herunter und streckte seine Hand nach ihm auf. Keuchend und
panisch rutschte der Junge zurück. „Keine Angst! Ich tu’ dir schon nichts…hier, nimm meine
Hand! Ich helfe dir auf!“
Teddy starrte den Vampir an. Rüdiger grinste erneut, aber jetzt war es ein freundliches
Grinsen. Zögernd streckte Teddy seine Hand. Ein kurzer, kraftvoller Ruck und ehe sich Teddy
versah, stand er wieder auf seinen Beinen.
Rüdiger maß den Jungen interessiert. Er war groß, noch viel größer als Anton. Er musste den
Kopf leicht in den Nacken legen um zu diesem Teddy aufzusehen. „Du bist ziemlich groß,
Teddy Kasper!“ Teddy starrte den kleinen Vampir an. Er war tatsächlich – im Gegensatz – zu
Rüdiger ziemlich groß. Anton überragte er schon um einen halben Kopf und Rüdiger war
mindestens um einen halben Kopf kleiner als sein Freund. Teddy musterte seine wilden
Haare, seine bleiche Haut….und der Geruch, der von dem kleinen Vampir ausging! Leicht
muffig und irgendwie roch es verwest…. „Es gibt dich also wirklich“, sagte Teddy leise.
Langsam verschwand das Gefühl der Angst und die Neugierde übernahm jetzt die Oberhand.
„Ich dachte immer, Anton spinnt mir was vor…er hat schon immer Gruselgeschichten und
Vampire geliebt….aber du…du bist wirklich echt….“ Teddys Blick fiel auf den Umhang.
„Und damit kannst du wirklich fliegen? Was…was machst du überhaupt hier?“
Gar nicht so übel
Die Angst war von ihm gewichen, das spürte Rüdiger. An diese Stelle war nun Neugierde und
Bewunderung getreten. „Oh“, sagte der kleine Vampir gedehnt. „Ich dachte, ich besuche mal
den ‚besten’ Freund meines besten Freundes….wollte mal sehen wie du so bist…“
Die dunklen Augen Rüdigers schienen sich jetzt förmlich in sein Gesicht zu bohren. Teddy
begann sich etwas unbehaglich zu fühlen. Er war sich eigentlich sicher, dass ihn dieser
Rüdiger nichts antun würde, aber jetzt….dennoch hielt er den Blickkontakt aufrecht.
Trotzdem begann die Situation allmählich irgendwie unangenehm zu werden.
„Und? Wie bin ich denn so?“
Rüdigers Augen verengten sich zu Schlitzen. Ja, wie war dieser Teddy eigentlich? Nicht
unsympathisch zumindest, dass musste sich der Junge eingestehen.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens antworte er:“ Eigentlich gar nicht so übel…“
Rüdiger deutete auf das in sich zusammengestürzte Zelt. „Du schläfst darin?“ Teddy nickte.
„Ja, solange es nicht allzu kalt wird…“ Ein anerkennender Blick seitens Rüdiger traf ihn.
„Und du hast keine Angst? Magst du die Dunkelheit?“
„Ich denke schon“, antworte Teddy zögerlich. Irgendwie hatte er das Gefühl auf dem
Prüfstand zu stehen. Dieser Rüdiger schien jede seiner Antworten genauestens abzuwägen.
Erneut fühle er die stechenden Augen des Vampirs auf sich gerichtet. Teddy atmete tief ein,
sah den mehr als seltsamen Jungen in die Augen und sagte ehrlich: „ Aber manchmal ist es
schon etwas unheimlich….wenn komische Geräusche da sind…dann leuchte ich immer rasch
mit meiner Taschenlampe…ob nicht irgendwas oder irgendwer sich in den Büschen oder der
Dunkelheit versteckt…“
„Ja“, Rüdiger nickte. Interessiert sah er Teddy an. Er war ehrlich und verhehlte nicht, dass er
Angst hatte. Das nötigte Respekt ab! Der kleine Vampir streckte die Hand aus. „Hier, deine
Taschenlampe! Ich brauche sie nicht, ich sehe im Dunklen…“ Erleichtert nahm Teddy die
Taschenlampe entgegen. Vorsichtig leuchtete er damit an Rüdiger hoch. „Hey, nicht ins
Gesicht!“ „Tut mir leid!“ Betreten ließ Teddy die Taschenlampe sinken.
„Schon gut! Entschuldige dich nicht. Das tue ich auch nie. Weißt du, Vampire entschuldigen
sich niemals!“
Stimmt! Teddy unterdrückte ein Grinsen. Das hatte ihn Anton geschrieben. Langsam begann
er sich in der Gegenwart Rüdigers erheblich wohler zu fühlen. Teddy räusperte sich.
„Möchtest du vielleicht mit rein kommen?“ „Zu dir? In dein Zimmer?“ Teddy nickte.
Das kam jetzt unerwartet! Rüdiger biss sich auf die Lippen. Erneut in eine menschliche
Behausung? Unbekanntes, gefährliches Terrain….Nachdenklich musterte er den Jungen, auf
den er so lange einen gewissen Groll gehegt hatte. Teddys Augen, die hinter seinen großen
Brillengläsern vor Aufregung förmlich schimmerten, blickten ihn freundlich und arglos an.
„Ich weiß nicht“, sagte Rüdiger langsam. „Was ist mit deiner Mutter…?“ „Sie wird nichts
merken“, versicherte ihm Teddy. „Mein Zimmer ist in der ersten Etage, ganz links von hier
aus. Du könntest hochfliegen….und…und mein Vater ist auf Geschäftsreise, der stört also
auch nicht…“ Aufgeregt und mit leuchtenden Augen sah Teddy auf Rüdiger herunter. Und
machte einen folgenschweren Fehler indem er sagte: „ Du brauchst keine Angst
haben…niemand wird dich erwischen….“ „Angst???“ schnappte der kleine Vampir. Wie
bitte? Das war ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit! „Du meinst, dass ich Angst habe,
Teddy Kasper?“ herrschte ihn Rüdiger an.
Mit einem Ausdruck rasender Wut im Gesicht trat Rüdiger dichter an Teddy heran. Er stellte
sich auf seine Zehenspitzen um wenigstens ein bisschen größer zu wirken. Der kleine Vampir
fletschte die Zähne. „Ich habe niemals Angst! Vampire fürchten sich vor niemanden, am
allerwenigstens vor Menschen! Hast du das verstanden, Teddy Kasper?“
In Rüdigers Inneren brodelte es. Was bildete sich dieser Teddy nur ein? Als ob er Angst hätte!
Er, Rüdiger der Vertilger! Der Junge schnaubte empört. So eine Unverschämtheit hatte ihn
noch niemand an den Kopf geworfen…na ja….Anna vielleicht, aber die hatte irgendwie ein
gewissen Vorrecht dazu…ein Vorrecht, welches große Brüder kleinen Schwestern großzügig
einräumten…
Verschreckt wich Teddy einen Schritt zurück. Zornig funkelte ihn der kleine Vampir an und
entblößte dabei seine scharfen Eckzähne. Das Rüdiger etwas wankelmütig und seine
entsprechenden Launen haben konnte, hatte ihn Anton bereits geschrieben aber das er sich
derart aufregte….Aber, sagte sich Teddy. Was wusste er schon von Vampiren? Anton war da
eindeutig der Experte. Der Junge seufzte leicht. Das Fettnäpfchen, in das er getreten war,
musste riesig gewesen sein!
„Es war nicht so gemeint….ich…ich wollte dich nicht beleidigen…ich wollte nur nicht, dass
du sofort wieder gehst…“
Annäherung in dunkler Nacht
Überrascht schnappte Rüdiger nach Luft. Da bedrohte er diesen Teddy, jagte ihm einen
Mordsschrecken ein, blaffte ihn an und die einzige Sorge dieses Jungen war, dass er nicht
bleiben würde. Und plötzlich fühlte sich Rüdiger schuldig. Warum war er nur so wütend
geworden? Reichte aufgrund seiner momentan heiklen Situation jede kleinste Kleinigkeit,
dass er dermaßen aus der Haut fuhr? Nein, sagte sich der kleine Vampir. Es ging viel
tiefer….es war die seit langem unterdrückte Eifersucht gegen Teddy, die ihn so reagieren ließ.
Der Junge biss sich auf die Lippen. Das war unreif…kindisch….und völlig unberechtigt.
Vielleicht, vielleicht sollte er diesem Teddy eine Chance geben….vielleicht sollte er sich
selber eine Chance geben um Antons anderen besten Freund besser kennen zu lernen.
Vielleicht verstand er dann, warum ihn Anton so vermisste….
Rüdiger schloss kurz die Augen. Die nächsten Worte fielen ihm deutlich schwer. „Schon gut“,
sagte er langsam. „Ich hätte…äh…nicht so wütend werden sollen. Ich…hm…bin momentan
etwas empfindlich...so eine Gruftverbannung steckt man auch als Vampir nicht so einfach
weg, weißt du…“ Teddy nickte ernst. Ja, das hatte ihn Anton geschrieben. Rüdiger war aus
der Gruft seiner Familie verbannt worden, weil er sich mit einem Menschen – mit Anton –
angefreundet hatte. Es musste wirklich hart für den kleinen Vampir sein. Er war noch ein
Junge, genau wie er…noch ein Kind…obwohl er eigentlich schon so alt war…
„Wenn deine Einladung trotz allem noch gilt, Teddy Kasper, dann würde ich gerne mit auf
dein Zimmer kommen!“ Mit diesen Worten machte Rüdiger eine leichte Verbeugung. Teddy
lachte erleichtert auf. „Klasse…dann sehen wir uns in meinem Zimmer….“
„Gut!“ Mit diesen Worten erhob sich der kleine Vampir in die Lüfte. „Der Wahnsinn!“ Teddy
starrte der kleinen fliegenden Gestalt hinter her. Er konnte es einfach nicht fassen. Er hatte
soeben einen Vampir kennen gelernt, von dem er dachte, dass dieser nur in der blühenden
Phantasie seines Freundes Anton existierte. Teddy schüttelte leicht benommen den Kopf.
Unglaublich, das Ganze. Dann lief der Junge eilig los. Rasch durchquerte er das
Wohnzimmer, vorbei an seiner Mutter, die gerade angeregt die Nachrichten verfolgte.
„Alles in Ordnung, Teddy?“ Abrupt blieb Teddy stehen. „Ja…ja“, sagte der Junge gedehnt.
Seine Mutter schaute kurz auf. „Was war denn draußen los?“ „Ich…ich hab’ ein Geräusch
gehört…aber ich glaube, es war nur ein Waschbär oder so…“ Teddy spürte wie ihm das Blut
in die Wangen schoss. Er hasste es zu lügen. „Ach so…na ja, hast du den Deckel des
Mülleimers vorhin zugemacht? Du weißt, Waschbären gehen da gerne dran…und wenn man
den Deckel offen lässt…“ „Ja, habe ich zugemacht“, nuschelte Teddy und wandte sich dann
rasch der Treppe zu. Er nahm jeweils zwei Stufen auf einmal und eilte in sein Zimmer.
Rüdiger schwebte bereits vor seinem Fenster. Teddy öffnete vorsichtig das Fenster und der
kleine Vampir glitt geschmeidig herein.
Das Licht der Deckenlampe schien ihn nicht zu stören. Das war Teddy nur recht, denn jetzt
im Hellen konnte er sich Rüdiger viel besser betrachten. Mit der ungehemmten Neugierde die
sonst nur kleinen Kindern zu Eigen war, starrte Teddy den Vampir an, betrachtete staunend
seine Kleidung und besonders den Umhang…Rüdiger seinerseits ließ sich ebenfalls nicht
lumpen Teddy unverfroren von oben bis unten zu mustern. Die beiden ungleichen Jungen
sagten für eine Weile nichts sondern schienen sich vielmehr gegenseitig
abzuschätzen…jedoch mit unterschiedlichen Empfindungen, Gefühlen und Gedanken. An
Teddy fraß die Neugierde und Faszination, das Phantastische, eigentlich nicht wirklich
Greifbare war plötzlich zur Realität geworden. Rüdiger hingegen versuchte angestrengt die
verschiedenen Emotionen, die in ihm tobten, unter einem Hut zu bringen. Und das war
schwieriger als er vermutetet hatte!
Er hatte immer gedacht, er würde Teddy Kasper nicht mögen. Antons bester Freund,
weggezogen an einem anderen Ort aber irgendwie immer noch da, stets präsent in Antons
Gedanken…eine unsichtbare Barriere zwischen ihm, Rüdiger und seinem menschlichen
Freund….Oder nicht? Die Eifersucht hatte, seitdem er aus der Gruft verbannt worden war,
sehr heftig an ihn gefressen. Er hatte Anton sogar unterstellt, er würde Teddy, sofern dieser in
eine ähnliche Situation geraten würde, mehr helfen….hatte sogar seine Freundschaft zu Anton
auf den Prüfstand gestellt…und all das nur weil er einen unbegründeten Groll und eine
kindische Eifersucht auf diesen Jungen hegte, der mit leuchtenden Augen vor ihm stand und
ihn fasziniert anstarrte.
Rüdiger seufzte innerlich. In letzter Zeit gelang ihm auch wirklich nichts. Alles machte er
falsch! Erst stieß er seinen besten Freund vor den Kopf und dann ließ er auch noch seine Wut
an einem Jungen ab, der für sein ganzes Dilemma überhaupt nichts konnte. Ein ziemlich
egoistisches und eigensüchtiges Verhalten! Aber vielleicht würde er ja seine Lehren aus
diesem Besuch heute Abend ziehen.
Rüdiger räusperte sich und sah sich im Zimmer um – einerseits interessiert und andererseits
um den Blickkontakt mit Teddy zu unterbrechen. Denn der freundliche Ausdruck in Teddys
Augen, ließ ihn sich noch schuldiger fühlen…Er trat näher an ein großes Regal mit Büchern
heran. „Wie jetzt? Keine Vampir- oder Gruselgeschichten?“ Ein Freund von Anton, der keine
Vampirbücher besaß? Gab es so was überhaupt???
Teddy lachte verlegen. „Nein…so dolle interessiere ich mich für Vampire nicht…Ähm, nicht
falsch verstehen….ich…ich lese lieber Abenteuergeschichten und so….“
Rüdiger grinste. „Nun, ich denke, dein Interesse an Vampiren wird sich nach diesen Abend
gesteigert haben, meinst du nicht auch?“ Teddy grinste zurück. „Meinen Büchergeschmack
muss ich wohl überdenken…“ Die beiden ungleichen Kinder sahen sich an und lachten.
Rüdiger fühlte sich dabei seltsam befreit, irgendwie im Reinen mit sich selbst….
Während er seinen Blick weiter durch den Raum schweifen ließ, fiel sein Blick plötzlich auf
etwas auf Teddys Schreibtisch. Rüdiger trat näher und deutete auf einen Hefter, der mit dem
Wort ‚Anton’ beschriftet war. „Was ist das? Antons Briefe?“ Teddy nickte und trat zu
Rüdiger. „Ja, alles was er mir geschrieben hat…seit dem Abend eurer ersten Begegnung…“
„Du weißt also sozusagen alles, ja? Das mit der Gruftverbannung hat dir Anton auch
geschrieben…“ „Ja…“ Ein wenig unbehaglich sah Teddy ihn an. „Tut mir leid, dass du in so
einer schlimmen Situation bist….gibt es denn gar keine Aussicht, dass du wieder zurück
kannst?“ Rüdiger verzog das Gesicht. Teddy hatte da einen wunden Punkt angesprochen. „Ja,
ich muss der Gesellschaft der Vampire einen großen Dienst erweisen, dann kann ich zurück
und mir wird sozusagen Gnade gewährt….nur weiß ich momentan ehrlich gesagt nicht, wie
ich das anstellen soll…“
Ein neuer Freund?
Für einen kurzen Moment sah Rüdiger so unglücklich und verzweifelt aus, dass Teddy den
Impuls verspürte, ihn irgendwie zu trösten…ihm etwas Aufmunterndes zu sagen. Doch er
wusste nicht was…wusste nicht wie dem ungewöhnlichen Jungen vor sich helfen
konnte….dazu kannte er Rüdiger nicht gut genug…was, wenn er mit einem unbedarften Wort
wieder eine solch zornige Reaktion seitens des kleinen Vampirs hervorrufen würde wie
vorhin im Garten? Was, wenn er Rüdigers Stolz verletzte? Teddy seufzte innerlich. Er wollte
gerade etwas sagen, auch auf die Gefahr hin, dass Rüdiger erneut wütend werden würde, als
dieser das Wort ergriff. „Ach, was soll’s? Irgendwas wird mir schon einfallen. Solange muss
ich die ganze Angelegenheit in Antons Keller einfach aussitzen…ist nebenbei gar nicht so
übel da unten….schön dunkel, etwas muffig…Aber genug von mir“, unterbrach sich der
kleine Vampir plötzlich selbst und richtete seinen Blick erneut auf Teddy.
„Ich bin wegen dir den ganzen weiten Weg geflogen…ich wollte dich unbedingt sehen…erst
nur sehen….dann…und dann wollte ich dir von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen…“
Für einen Moment schwieg Rüdiger. Die nächsten Worte schienen ihm schwer zu fallen. „Ich
hätte nicht gedacht, dass ich dich mögen würde, Teddy Kasper…aber ich glaube, dass du in
Ordnung bist…ich glaube, ich verstehe jetzt warum du Antons bester Freund bist…“
Überrascht blickte ihn Teddy an. Das hatte er jetzt nicht erwartet und für einen kurzen
Augenblick war er so verdattert, dass er nichts sagen konnte. Dann sah er Rüdiger an, sah den
verlegenden Ausdruck in seinem Gesicht, wie er nervös mit seinen Fingern an seinem
Umhang herumzerrte. Und da wusste er es. Jetzt verstand er warum es Rüdigers Bedürfnis
war, ihn zu sehen…Der sensible Junge lächelte. „Ich bin nicht Antons bester Freund. Ich bin
einer seiner besten Freunde. Du und ich, wir zwei sind Antons beste Freunde! Und ich bin mir
ziemlich sicher, dass er das genauso sieht!“
Rüdiger starrte den Jungen an. Blickte er wirklich so tief, sah er soweit in seine Seele hinein?
Es schien so und plötzlich fühlte sich Rüdiger so erleichtert wie lange nicht…es schien fast
so, als hätte er seinen inneren Frieden mit Antons anderen besten Freund gemacht. Jetzt
braucht er nicht mehr eifersüchtig zu sein, jetzt konnte er ohne jedweden Groll an Teddy
Kasper denken….und das war ein ziemlich gutes Gefühl. Rüdiger lachte leise. „Ich glaube, du
hast Recht….Hier!“ Mit diesen Worten zog er den angefangen Brief an Anton aus seinen
Umhang. „Ähm, den habe ich dir vorhin geklaut…sollte eigentlich ein Beweis für Anton sein,
dass ich bei dir gewesen bin…aber ich glaube, es ist besser, ich gebe ihn dir zurück.“
Mit einem leichten Grinsen nahm Teddy den Brief entgegen. Dann runzelte er die Stirn und
wenige Sekunden später erhellte sich seine Miene. „Ich könnte ihn jetzt rasch fertig
schreiben…ich könnte Anton schreiben, dass du hier gewesen bist. Der würde Augen machen,
oh Mann…“ Teddy stockte. „Wenn…wenn du nichts dagegen hast, ihn mitzunehmen?“
Rüdiger lachte. „Nein, per Luftpost geht es eindeutig schneller…“
Teddy setzte sich an seinen Schreibtisch und kritzelte in Windeseile ein paar hastige Sätze
herunter. Dann faltete er den Brief ordentlich zusammen und gab ihn Rüdiger zurück.
Der kleine Vampir ließ den Brief unter seinen Umhang verschwinden, dann wandte er sich
langsam dem Fenster zu. „Ich sollte jetzt allmählich los fliegen…ich will Anton noch
antreffen bevor der im Bett ist…“ „Was, du musst jetzt schon gehen“, fragte ihn Teddy
bestürzt. Bevor Rüdiger antworten konnte, ertönte die Stimme seiner Mutter durch den
Hausflur: „Teddy? Teddy, kommst du mal?“ Der Junge stöhnte gereizt auf. Immer wenn es
gerade absolut nicht passte, mussten einen die Eltern bzw. die Mütter stören. Rüdiger grinste.
„Antons Mutter ist genauso nervig….aber dabei eigentlich recht nett…“ „Ja“, gab Teddy
missmutig zurück. „Meine Mutter ist auch nett, aber immer stört sie gerade dann wenn ich es
nicht brauchen kann…Bitte geh’ noch nicht, ich bin gleich wieder da.“ Mit diesen Worten
stob Teddy hastig davon.
Erkenntnisse und Einsicht
Auf ein paar Minuten mehr kam es auch nicht an. Gleichmütig ließ Rüdiger seinen Blick
durch Teddys Zimmer schweifen. Doch dann blieben seine Augen an dem Hefter mit Antons
Briefen hängen. Langsam trat er an den Schreibtisch heran. Einen kurzen Augenblick zögerte
er. Das war Antons und Teddy Kaspers Privatsphäre…er hatte nichts darin zu suchen, hatte
nicht das Recht sich dazwischen zu drängen. Doch an Rüdiger fraß die Neugierde, und zwar
diese Art von Neugierde, die einen keine Ruhe ließ. Was mochte Anton über ihn geschrieben
haben? Erneut zögerte der kleine Vampir. Doch dann warf er alle Gedanken über Bord und
griff nach dem Hefter. Er musste es einfach wissen! Er würde schon früh genug hören, wann
Teddy wieder die Treppen zu seinem Zimmer hoch laufen würde….momentan diskutierte er
mit seiner Mutter über irgendetwas.
Rüdiger schlug den Hefter auf. Die Briefe waren fein säuberlich nach Datum chronologisch
geordnet. Sehr ordentlich, dieser Teddy Kasper! Rüdiger griff nach Antons erstem Brief….
‚Lieber Teddy,
du wirst nicht glauben was mir passiert ist! Ich habe einen echten Vampir kennen gelernt.
Er ist gestern Nacht einfach in mein Zimmer herein geflogen. Ich habe erst ganz schön Angst
gehabt, ich dachte er würde mich beißen oder umbringen oder so. Aber dann haben wir
miteinander geredet und er hat sich als echt netter Vampir herausgestellt. Er heißt Rüdiger
und wohnt auf einen Friedhof! Er und seine ganze Familie! Kannst du dir das vorstellen? Er
hat einen Onkel, eine Tante, einen Cousin und eine kleine Schwester. Die trinkt aber kein Blut
sondern noch Milch. Sie würde noch wachsen, hat Rüdiger gesagt. Wusstest du, dass Vampire
sich Alter und Größe aussuchen können? Das hat mir Rüdiger erzählt. Er hat sich dafür
entschieden ein Junge zu bleiben. Genau wie Peter Pan. Er ist so alt wie ich, glaube
ich….obwohl er eigentlich schon uralt sein muss. Rüdiger ist fast so groß wie ich, er hat
strubbelige schwarze Haare, die ihm wild vom Kopf abstehen und ist ziemlich blass. Wie so
ein Vampir halt aussieht. Und er hat auch richtig scharfe Eckzähne! Meine Vampirbücher
haben ihm gefallen. Ich habe ihn eins davon geliehen. Als meine Eltern von ihrer Party wieder
kamen ist er weggeflogen. Aber in derselben Nacht ist er noch mal wieder gekommen um
meine Eltern zu sehen. Wir sind im Dunkeln zu ihnen ins Schlafzimmer geschlichen. Rüdiger
kann übrigens im Dunklen sehen! Dann hat Paps im Schlaf was gemurmelt und Rüdiger hat
vor Schreck die Nachtlampe umgestoßen. Wir sind dann rasch wieder in mein Zimmer
gerannt. Ich glaube, Rüdiger war in Panik oder so und hat mich am Kragen gepackt und ist
mit mir durchs Fenster nach draußen geflogen. Er ist ganz schön stark. Ich hatte furchtbare
Angst, dass er mich fallen lässt. Aber schließlich hat er mich wieder zurück gebracht. Dann ist
er nach Hause zum Friedhof geflogen. Ich hoffe, er kommt bald wieder. Er sagte mir nämlich,
er wisse noch nicht ob er mich noch mal besuchen kommt, er dürfte keine menschlichen
Freunde haben.
Ich hoffe wirklich, dass er wiederkommt! Rüdiger ist klasse, er ist unglaublich! Die
Begegnung mit ihm ist das Tollste, was ich jemals erlebt habe. Ich wünschte, du wärst hier,
Teddy und könntest ihn ebenfalls kennen lernen.
Wenn Rüdiger mich wieder besucht, werde ich dir sofort schreiben!
Bis demnächst,
dein Freund Anton’
Rüdiger ließ den Brief sinken. Ein leichtes Lächeln umschloss seine Lippen und der Junge
schloss für einen kurzen Moment die Augen. Warum hatte er sich solche Sorgen gemacht?
Warum war er so schrecklich eifersüchtig gewesen? Er hatte absolut keinen Grund dazu
gehabt. Anton war sein bester Freund. Er war Antons bester Freund. Und Teddy Kasper war
ebenfalls Antons bester Freund. Das Eine stand nicht im Widerspruch zu dem Anderen.
Rüdiger holte tief Luft, steckte den Brief vorsichtig wieder in den Hefter und legte ihn zurück
auf den Schreibtisch. Gerade noch rechtzeitig, denn in dem Moment kam Teddy in den Raum
gestürmt. „Tut mir leid“, stieß der Junge hastig hervor. „Mom wollte unbedingt wissen, wie
das Zelt zusammengebrochen ist und dann musste ich auch noch den Müll raus bringen….“
„Schon gut“, winkte der kleine Vampir ab. „Ich muss jetzt los…“ „Schade…“ Die beiden
ungleichen Jungen sahen sich an. Rüdiger zögerte kurz. Er sah zu Teddy hoch und sagte dann:
„Es war nett dich kennen zu lernen…“ Teddy lächelte. „Es war nett…nein…es war toll, dich
kennen zu lernen.“ Er streckte seine Hand aus und hielt sie Rüdiger entgegen. Dieser stockte
einen kurzen Moment, doch schließlich ergriff er Teddys Hand und beide Jungen schüttelten
sich die Hände. Es war fast schon ein feierlicher Moment.
Rüdiger machte einen kurzen Satz und landete elegant auf der Fensterbank. Er drehte sich
noch einmal um. „Vielleicht sehen wir uns wieder. Ich glaube, wir könnten Freunde werden.
Mach’s gut, Teddy!“ Mit diesen Worten hob er ab und flog in die dunkle Nacht davon. Teddy
blickte ihm versonnen nach. Was für eine unglaubliche Begegnung am Abend! Welch
phantastisches Erlebnis. Während Teddy an die Ereignisse zurückdachte, fiel ihm plötzlich
etwas Wichtiges ein. Rüdiger hatte ihn beim Abschied nicht mehr Teddy Kasper genannt.
Sondern einfach nur Teddy.