Abschiedsbrief von Hans von Bülow anlässlich seines - E

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Abschiedsbrief von Hans von Bülow anlässlich seines - E
J. G. Rheinberger-Archiv, Vaduz
06.08.1869 Kategorie: Briefe | Briefe von Hans von Bülow
Abschiedsbrief von Hans von Bülow anlässlich seines
Rücktritts von der Leitung der Kgl. Musikschule in München
an Lehrer und Schüler
Originaldokument
Der Abschiedsbrief von Hans von Bülow anlässlich seines Rücktritts von der Leitung
der Kgl. Musikschule in München an die Lehrer und Schüler:
Liebe und geehrte Herren und Damen!
Das schöne Zeichen Ihrer freundlichen Ergebenheit und nur etwas übertriebenen
Anerkennung meiner geringen Verdienste um die Königliche Musikschule, von deren
Leitung ich jetzt zurücktreten muss, hat mich mit innigster Rührung erfüllt, und ich
danke Ihnen aus vollstem Herzen für das Abschiedsgeschenk eines bleibenden
Andenkens an meine zweijährige Wirksamkeit in dieser Anstalt. Allerdings wird die
freudig rückhaltlose Annahme desselben auch heute noch von den nämlichen
Gewissensbedenken gestört, die mich in Verbindung mit einer plötzlichen
körperlichen Schwäche und der Furcht, von wehmütigen Empfindungen überwältigt
Im Text erwähnte Personen
Im Text erwähnte
Körperschaften
Themen
zu werden, vorgestern Abend zwangen, mich der beabsichtigten persönlichen
Überreichung zu entziehen. Lassen Sie mich Ihnen aussprechen, wie ich mich über
jene Bedenken hinwegzusetzen bemühe und mögen Sie daraus den Werth
ermessen, den ich dem mir gewidmeten Geschenke beilege.
Ginge es nach Recht und Billigkeit, der schöne Kranz müsste gepflückt und
entblättert werden. Ihre sämmtlichen Lehrer, meine verehrten trefflichen Herren
und Collegen und Mitarbeiter hätten so unbestreitbare Ansprüche an so und so viele
einzelne Blätter geltend zu machen, dass für mich kaum noch ein Antheil übrig
bleiben würde. Da ich jedoch durch die Allerhöchste Gnade Seiner Majestät des
Königs zum Direktor der Schule berufen worden war, so habe ich die sanfte Last der
Ehre für das Gelingen ihrer Bestrebungen zu tragen, wie mir die scheinbar schwere,
aber durch die, höchster Anerkennung würdigen Leistungen meiner verehrten
Herren Mitlehrer so überaus erleichterte Bürde der Verantwortlichkeit für das Ganze
angewiesen worden ist.
Indem Sie nun mich, liebe Zunftjünger, mit dem Ausdruck Ihrer Ergebenheit erfreut
und geehrt haben, fasse ich diesen Akt so auf, dass er nicht eben meiner Person als
solcher, sondern dem durch seine Stellung als Leiter der Anstalt zu einem Vertreter
des Inbegriffs Ihrer sämmtlichen Lehrer gewordenen Künstler gelten solle. Diese
Auffassung wie sie mir die gewissensruhige Annahme Ihres Geschenkes ermöglicht,
befindet sich auch in vollkommenem Einklange mit demjenigen Stolze, den ich mir
persönlich gestatten darf: den des Bewusstseins, stets von der redlichen Absicht
beseelt gewesen zu sein, mit meiner Person in der Sache, im Streben nach
Verwirklichung der idealen Ziele der königlichen Musikschule vollkommen
aufzugehen.
Dass die Königliche Musikschule nach zweijährigem Bestehen so überaus
befriedigende Ergebnisse zu Tage gefördert hat, ist nun hauptsächlich der
einträchtigen gemeinsamen Hingebung der Lehrer an ihre Aufgabe, wie
andererseits dem edlen sittlichen Geiste der sich von Tage zu Tage in dem Kreise
der Schüler leuchtender verbreitet hat, zu danken. Aus voller Seele wünsche ich
Ihnen, liebe Kunstjünger, dass jener Geist fortdauernd über und in Ihnen walten
möge und es gereicht mir beim Scheiden aus Ihrer Mitte zur tröstlichen
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Beruhigung, dass die Erfüllung dieses Wunsches nicht blos auf Hoffnung sondern
auf festester Gewissheit beruht. Lassen Sie mich zum Schlusse dieses
Abschiedsgrusses Ihre Blicke auf den erhabenen Stützpunkt dieser Gewissheit
richten, welcher das beinahe ans Wunderbare grenzende Resultat erklärt, dass die
Münchner Musikschule in kaum zwei Jahren die unbestritten erste Stellung unter
allen derartigen deutschen Anstalten errungen hat, wie dies an den Früchten zu
erkennen gewesen ist, wie dies die letzten Prüfungen so unwiderleglich dargethan,
dass selbst ein einzelner schwarzer Punkt (ein betrübender Irrthum, von dessen
Mitschuld der bisherige Direktor sich nicht freizusprechen vermag) die schöne
Klarheit des Horizontes kaum verdüstern konnte.
Bisher galt für jede Wissenschaft und jede Kunst das Wort, das vor mehr als 2000
Jahren der Gründer einer der ältesten wissenschaftlichen Systeme ausgesprochen
hat: "Es führt kein Königsweg zur Mathematik. Auch zur praktischen Tonkunst
führte kein geebneter, bequemer, kurzer Weg in unserem zersplitterten Vaterlande,
das seinem gerechten Stolze auf den Ruhm, die grössten Meister in der idealsten
aller Künste hervorgebracht zu haben, bisher die Befriedigung zu gewähren
machtlos war, der würdigen Ausführung ihrer unsterblichen Werke die erforderlichen
lebendigen Künstler-Werkzeuge, die reproduzirenden Dolmetscher an die Seite zu
setzen.
Durch den erhabenen Monarchen, dessen nicht genug zu preisende Grossherzigkeit
die Mittel zur Gründung und Erhaltung der Kunstschule, welcher Sie angehören,
dargeboten hat, ist jener alte Ausspruch gewissermassen entkräftet worden: in
München ist ein Königsweg zur Tonkunst für alle Talente und Fähigkeiten in Ihrem
Bereiche eröffnet und gebahnt worden. Und nächst der dankbaren Ehrfurcht,
welche Sie, liebe Kunstjünger, gegen König Ludwig II. von Bayern stets
durchdringen möge, finde in Ihren Herzen auch stets noch die Empfindung der
verehrungsvollen Erkenntlichkeit eine Stelle, welche demjenigen Meister, dem
grössten unter den Lebenden zu zollen ist, der die Gnade einer königlichen
Freundschaft zur Anregung der Gründung dieser Schule zu verwerthen gewusst hat.
Durch Herrn Richard Wagners Anregung ist der ideale Kunstwille S.M. des Königs
zur That geworden: diesem Meister verdanken Sie den Plan der Organisation der
Anstalt, wie den Gedanken ihrer Gründung. Vergessen Sie endlich, ich bitte, eines
anderen Mannes nicht, der im Vereine mit mir dem Grundplane Richard Wagners
die ausgeführte praktische Gestaltung gegeben hat, deren Vorzüglichkeit sich
thatsächlich bewährt hat, des Mannes, der selbst Künstler und Ihr eigentlicher
Vorstand, es trotz seiner überaus verwickelten und mannigfaltigen Thätigkeit
vermocht hat, jedem Einzelnen von Ihnen ein wahrhaft väterliches Interesse
zuzuwenden, dessen unvergleichlich wohlwollender Fürsorge jedes hervorragende
Talent nach erfolgter Ausbildung vertrauensvoll für seine Zukunft entgegensehen
darf, des Herrn Intendanten der Kgl. Hofmusik, Barons von Perfall.
Die Überzeugung von dem sicheren Weiterbestande der Anstalt, der die geringen
Dienste meiner Person nun entbehrlich geworden sind, die Gewissheit von der nach
keiner Richtung hin gefährdeten Zukunft irgend eines ihrer tüchtigen Schüler,
erleichtert mir mein Scheiden aus Ihrer Mitte von jeder Beklommenheit: indem ich
Ihnen das herzlichste Lebewohl sage, bitte ich der egoistischen Regung meines
Inneren, welche mein Andenken an ein äusser1ich vergegenwärtigendes Zeichen
des Entfernten geknüpft sehen möchte, zu verzeihen und bei Benutzung des von
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mir der höheren Klavierklasse und dem Ensembleunterrichte dargebotenen
Bechsteinschen Flügels, den ich Ihnen hinterlasse, freundlich zu gedenken
Ihres in treuer Anhänglichkeit Ihnen allen herzlich ergebenen vormaligen
artistischen Direktors
Hans von Bülow
München, 6. August 1869
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