Getrocknete Fäkalien als Kunst

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Getrocknete Fäkalien als Kunst
Die Klärung
Zürich machts möglich: 80 Tonnen getrocknete Fäkalien werden zur Kunst. Offen ist, ob es
deswegen dicke Luft gibt.
Die Luft stinkt. Der beissende Geruch erinnert an einen Schweinestall, der längst hätte
gemistet werden sollen. Aus zwei Silos an der Decke fällt dunkler Klärschlamm in die
Mischmaschinen. Daneben arbeiten Männer. Sie tragen Gasmasken und Arbeitsanzüge,
schrauben Holzkisten, lockern die Haufen von Exkrementen auf oder stampfen sie fest. Sie
arbeiten still. Das Dröhnen der Maschinen schluckt die Geräusche.
Unter den Männern ist auch der amerikanische Künstler Mike Bouchet. Er und sein Team
präparieren in diesen Tagen 80 Tonnen Fäkalien so, dass sie nicht verfaulen. Sie mischen
Haufen mit Zement, Kalk und Pigmenten, damit sie richtig trocknen und dennoch nicht
ausbleichen. Die Männer produzieren Blöcke, jeder wiegt 350 Kilogramm. Am Schluss werden
es rund 300 sein, die in der Garage des Zürcher Klärwerks Werdhölzli auf den Abtransport
warten. Später macht Bouchet im Migros-Museum für Gegenwartskunst eine Skulptur daraus
für das Kunstfestival Manifesta.
Sein Blick ist misstrauisch, als er die Gasmaske vom Gesicht nimmt. Er ist zurückhaltend, will
nicht, dass man über sein Kunstwerk urteilt, bevor es steht. Es ist das bisher grösste und
aussergewöhnlichste Werk seiner Karriere. Bouchet (45), schmales Gesicht, blaue Augen, Bart,
ist Konzeptkünstler. Seine spektakulärste Aktion zeigte er 2009 in Venedig, als er ein Haus den
Canal Grande hinunterschwimmen liess. Nun bringt er Zürichs Exkremente ins Museum.
Er zieht die Gummihandschuhe aus und sagt: «Für mich ist es einfach Arbeit.» Mit «es» meint er
das Aufbereiten der enormen Menge Klärschlamm. Ohne Gasmaske könnten die Männer ihn
nicht verarbeiten. Sobald sie die Fäkalien mit dem Kalk vermengen, reagiert das Gemisch
und produziert Gase, die noch mehr stinken. Nach einer Stunde ohne Maske fühlt man sich
schlecht.
Bouchet weiss, dass der Geruch das Problem ist. Er will ihn verschwinden lassen. Ein Jahr lang
hat er in seiner Atelierhalle in Frankfurt an kleinen Proben getestet, wie das funktionieren
könnte. Geholfen hat ihm ein Parfümhersteller. Mit diesem Wissen versucht er in den nächsten
Wochen, den Gestank zu neutralisieren. Bouchet ist sicher, das es bis zur Manifesta gelingen
wird. Verschwindet der Geruch, könnte man die Masse für nasse Erde halten. Bouchet findet
sie «so schön», dass er beim ersten Besuch im Klärwerk fasziniert war vom Material, das sonst
verbrannt wird. Er beugt sich leicht über eine Holzschachtel, betrachtet es und sagt: «Alle
Zürcherinnen und Zürcher haben es gemeinsam in einem Tag geschaffen. Unglaublich.»
Der Geruch ist das Problem
Philipp Sigg beobachtet die aussergewöhnliche Werkstatt. Er ist Wissensmanager des
Klärwerks und hat ermöglicht, dass Bouchet aus Klärschlamm Kunst formen kann. Sigg hat
den Künstler bei dessen erstem Besuch durch die Anlage geführt. Der Ingenieur arbeitet im
Werk seit Jahren daran, dass aus dem Abwasser voll Kot, Papier und Speiseresten wieder
sauberes Wasser wird. Das sei das oberste Ziel seiner Anlage und gelinge gut, sagt er stolz. Nie
hätte er sich denken können, dass ein Künstler kommen wird, der im stinkenden Abfall etwas
Besonderes sieht.
Trotzdem hat Sigg bei den wichtigsten Ämtern abgeklärt, unter welchen Bedingungen die
Masse aus der Kläranlage entfernt werden darf. Er hat veranlasst, dass der Schlamm vor
Ostern gesammelt wird. Mit seinem Engagement hat Sigg einen Wunsch der Stadtregierung
erfüllt. Sie will, dass den Manifesta-Künstlern geholfen wird. Der Zürcher Stadtrat verspricht sich
viel vom Kunstfestival. SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch hält es für eine «Ehre», dass die
Manifesta hier stattfindet. Sie biete eine grosse Chance, dass die Stadt von aussen gespiegelt
werde und sie neue Erkenntnisse gewinnen könne. So verteidigte sie die Manifesta 2014
gegenüber SVP-Gemeinderäten, die wegen der Finanzen darauf verzichten wollten. Die
Stadt zahlt zwei Millionen Franken ans Budget.
Auch Sigg hat bei seinen Klärwerk-Mitarbeitern für Akzeptanz geweibelt. «Das war die
spannendste Herausforderung», sagt er. Dem Kunstwerk blickt er gespannt entgegen, aber
auch mit leisem Zweifel. Er glaubt nicht so ganz, dass der Geruch verschwindet.
Für Bouchet ist noch offen, wie die Skulptur am Schluss aussieht. Er lasse sich vom Raum leiten,
in dem sie stehen wird, sagt er. Die Fäkal-Blöcke wird er kaum verändern. Berühren darf man
sie nicht. Wie seine Kunst auf die Menschen wirken soll, weiss er hingegen. Er formt seine Hand
wie eine Schale und sagt: «Als Kind hat man neugierig seine Spucke betrachtet, ohne sich zu
ekeln. So sollen sich die Besucher meiner Skulptur nähern.» Nach der kurzen Führung drängt es
Bouchet zurück zum Werkplatz. Der Zeitplan ist eng. Innert weniger Tage sollen die Blöcke
fertig sein. Einer der Männer hat das Oberteil des Arbeitsanzugs geöffnet. Er schwitzt, atmet
schwer, trinkt Wasser. Vor ihm drückt ein Kollege mit einem Metallwerkzeug die Masse fest.
Ein Mitarbeiter des Klärwerks fährt auf einem Velo vorbei. Er schaut zum Arbeitsplatz hinüber,
bis er um die Ecke biegt. Doch er steigt nicht ab.
Manifesta
Festival für zeitgenössische Kunst
Die Manifesta gastiert vom 11. Juni bis am 18. September in Zürich. Im Rahmen des
internationalen Kunstfestivals und dessen Thema «What people do for money: Joint Ventures»
arbeiten 30 Künstler mit Zürcher Unternehmen zusammen. Mike Bouchet wählte das Klärwerk,
der französische Schriftsteller Michel Houellebecq die Privatklinik Hirslanden. Seit Dienstag liegt
das detaillierte Programm vor. (meg)
Fäkalien in der Kunst
1961. «Merda d’artista» Der italienische Künstler Piero Manzoni macht Kunst aus seinem
eigenen Kot. Er füllt kleine Haufen in 90 Dosen ab und verkauft sie. Die Büchsen sind bis heute
im Umlauf, einige stehen in wichtigen Kunstsammlungen. Ihr Wert ist hoch: Bei einer
Versteigerung 2008 wird eine Dose für mehr als 130 000 Euro verkauft.
1996. «Afrodizzia» Chris Ofili, britischer Maler afrikanischer Abstammung, malt Bilder mit
Elefantendung, darunter das poppige, bunte «Afrodizzia». Er wird berühmt: Seine Bilder
hängen heute in den bekanntesten Museen der Welt.
2000. «Cloaca» Der belgische Konzeptkünstler Wim Delvoye muss erst einige Jahre pröbeln,
bis er sein grösstes Werk schaffen kann: eine meterlange Maschine, die funktioniert wie ein
Darm – und fast dasselbe produziert: Exkremente, die optisch nicht von Kot zu unterscheiden
sind. Diese Haufen werden eingeschweisst und als Kunstwerke mit dem Namen «Cloaca»
verkauft. Die Maschine ist 2001 auch in Zürich ausgestellt, im Migros- Museum für
Gegenwartskunst.
2006. First Poop» Der amerikanische Bildhauer Daniel Edwards macht einen Bronzeguss, den
er Suri widmet, der Tochter des Schauspielerpaars Tom Cruise und Katie Holmes.
2008. «Complex Shit» Paul McCarthy, kalifornischer Künstler und Mentor von Mike Bouchet,
schafft den grössten Hundehaufen, den die Welt je gesehen hat. Das Werk aus
aufgeblasenem Gummi hat die Grösse eines kleinen Einfamilienhauses. 2008 liegt es im
Garten des Paul-Klee-Zentrums in Bern und beschert der Museumsleitung einige Aufregung.
Nicht nur wegen seiner Form, sondern auch, weil es plötzlich davonfliegt. Von einer Sturmböe
ergriffen, schwebt der Riesenhaufen 200 Meter weit. Auf seinem Flug reisst er eine
Stromleitung ein. Er landet vor einem Jugendheim.
2016. «Poo Museum» Auf der britischen Isle of Wight im Ärmelkanal öffnet im Frühling das
«Nationale Kot-Museum» in einem Zoo. In der temporären Ausstellung sind unter anderem
Exkremente von Babys, Tauben, Löwen und Dinosauriern zu sehen. Hergestellt hat die
Exponate ein lokales Künstlerkollektiv. (meg)