- Fliegermagazin

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03.03.2005
7:02 Uhr
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Unfallakte
Dass Fliegen im Gebirge nicht ohne ist, war einem jungen deutschen Piloten
durchaus bewusst. Deswegen absolvierte er eine Alpeneinweisung. Damit hätte
er eigentlich für Flüge in die Berge gut gewappnet sein sollen …
ie Bergwelt kann aus
der Vogelperspektive faszinierend, ja berauschend
sein – und den Piloten die Gefahren vergessen lassen, die in
der herben Landschaft lauern.
Wer im Land der hohen Berge
nichts riskieren will, sollte tiefstapeln: sich und dem Flugzeug
nicht zuviel zutrauen.
Schon bei der Planung müssen Gebirgstäler, die man
durchfliegen möchte, auf ihre
Höhe geprüft werden, ebenso
die flankierenden Berge. Und
dann die wichtige Frage: Wieviel Zuladung kann man dem
Flugzeug zumuten? Wenn die
Maschine voll besetzt an der
Grenze ihrer Motorleistung
und Aerodynamik betrieben
wird: Wieviel Leistungsreserven bleiben dann noch, um auf
plötzliche Überraschungen im
Gebirge reagieren zu können?
Ein 26-jähriger Privatpilot
scheint sich mit genau dieser
Art von Fragen beschäftigt zu
haben. Obwohl in Deutschland
nicht vorgeschrieben, lässt er
sich in Alpenflüge einweisen.
Der junge Mann, von seinem
fliegerischen Umfeld als sorgfältiger und gewissenhafter Pilot beschrieben, steht am Anfang seiner aviatischen Karriere: Seit drei Jahren hat er den
PPL-A in der Tasche, seine
Erfahrung beträgt inklusive
Schulung erst gut 73 Stunden.
An einem Septembertag soll
es mit drei Freunden von
Friedrichshafen in die Alpen
Richtung Österreich gehen.
Tadelloses VFR-Wetter verspricht einen herrlichen Spätsommerflug vor prächtiger
Alpenkulisse: angenehme 24
Grad Celsius, CAVOK-Bedingungen, der Wind bläst mit
acht Knoten aus Nordwest,
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und der Luftdruck liegt bei
1025 Hektopascal.
Nachdem der Pilot die
Tanks seiner Piper PA-28/181
mit 100 Liter Avgas gefüllt hat,
hebt die Einmot um kurz nach
fünf vom Flugplatz am Bodensee ab. Was für ein Ausblick!
In Flugrichtung erhebt sich
aus dem Appenzeller Land
goldfarben das Alpsteingebirge im Licht der tiefstehenden
Sonne, und unter der Piper
glitzert der Bodensee wie flüssiges Blei.
Rechts: In der Falle! Der
Piper-Pilot sank bei seiner
Besichtigungstour so tief,
dass das Gelände zur
unüberwindbaren Barriere
wurde. Unten: Kaum zu
glauben – drei Insassen
überlebten diesen Crash
Mit Kurs Südost geht es vorbei an Lindau über Bregenz
und Dornbirn Richtung Bezau
im Bregenzer Wald. Hier erreicht der Tiefdecker mit 7100
Fuß MSL die größte Höhe. Danach leitet der Pilot einen Sinkflug ein; er will seinen Passagieren eine von Freunden bewohnte Hütte zeigen. Bis auf
5200 Fuß MSL baut die Piper
Höhe ab. Dann nimmt der Pilot Kurs Richtung Osten und
beginnt mit dem Steigflug. Zu
spät: Eine Linkskurve, zurück
nach Friedrichshafen, führt
über ansteigendes Gelände
mit Hindernissen, mindestens
6300 Fuß MSL hat das Terrain.
Der Pilot merkt, dass es eng
wird und reduziert die Geschwindigkeit. Dabei unterschreitet er die Stallspeed, die
Maschine kippt ab und schlägt
aus geringer Höhe auf den Boden. Ein Passagier stirbt, die
beiden anderen und der Pilot
überleben schwer verletzt.
Zufällig sind Rettungskräfte
in der Nähe, und so gelingt es
trotz beginnender Dämmerung, binnen weniger Minuten
Ersthelfer mit einem Hub-
Unfallstelle aus Anflugrichtung
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schrauber ans Wrack zu bringen.
Die österreichischen Untersucher nennen den ungeeigneten Flugweg, Unterschreiten
des Stallspeed und die geringe
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Flugerfahrung des Piloten als
wahrscheinliche Ursachen. Zudem könnten die hohe Temperatur sowie eventuelle Abwindzonen den Crash begünstigt haben.
icht wenige Privatpiloten, die nur
VFR unterwegs sind, machen um
Kontrollzonen einen großen Bogen. Manche, die sich ins Airbus- und
Boeing-Revier trauen, glauben völlig zu
Unrecht, dass hier eigene Benimmregeln gelten: Lotsenanweisungen unterwirft man sich sklavisch. Eigeninitiative
und Verantwortung? Bitte am Pflichtmeldepunkt abgeben!
Dresden ist ein beliebtes Ziel, auch
von VFR-Flügen. Über ein Drittel aller
Flugbewegungen innerhalb der Kontrollzone der Elbstadt in den ersten sieben Monaten des Jahres 2003 waren
Sichtflüge. Die Hälfte der Maschinen
wollte dort gar nicht landen, sondern
über das Stadtgebiet entlang der Elbe.
So auch am 11. Juli des vorletzten Jahres. Gegen Mittag meldeten sich die Piloten eines Motorseglers (»Position NOVEMBER«) und einer DV 20 Katana
(»Position WHISKEY«) auf der Frequenz des Platzlotsen (PL). Der ist unter anderem für die Durchführung der
Flugverkehrskontrolle innerhalb der
Kontrollzone und auf dem Rollfeld zuständig, dazu insbesondere verantwortlich für VFR-Ein- und -Ausflüge sowie
Sichtflugverkehr in der Kontrollzone.
Zudem obliegt ihm die Kontrolle startender und landender Maschinen. Eine
davon: eine Canadair CL-600-2B19 mit
Platz für 50 Passagiere, der auf einem
Rollweg des Verkehrsflughafens wartete, um auf die Piste 22 zu rollen. Dort
sollte gleich ein Verkehrsflugzeug landen, das bereits im kurzen Endanflug
war. Zu diesem Zeitpunkt schien die
Aufmerksamkeit des PL längst eine
Schieflage gehabt zu haben: Als die Maschine schon über die Schwelle rauschte, musste die Crew nachhaken, was
denn nun mit der Landeerlaubnis sei.
Der Lotse erteilte sie unmittelbar.
Der Mann war durch ein Gespräch abgelenkt. Als der Katana-Pilot »WHISKEY« meldete, fragte ihn der PL, ob
N
Fotos: Flugunfalluntersuchungsstelle, Wien; Karte: Deutsche Flugsicherung; Grafik: fliegermagazin
7:03 Uhr
Der Untersuchungsbericht
endet mit einer Empfehlung:
Wartungsbetriebe sollten ein
Verfahren entwickeln, dass
Luftfahrzuge, deren Notsender für die Instandhaltungs-
Respekt ist an sich eine gute Tugend.
Piloten sollten sich jedoch genau
überlegen, wann er angebracht ist.
Und vor allem, wem er gebührt:
einem Lotsen oder einem Jet, der
den eigenen Flugweg kreuzt?
Der Katana-Pilot (orange) wollte durch
die Kontrollzone Richtung Elbe und kam
dem abfliegenden Canadair-Jet (rot)
in die Quere – weil ein Platzlotse zu spät
reagierte und der Einmotpilot einen
besonderen »Gehorsam« an den Tag legte
seine Maschine Transponder-ausgerüstet sei, und ließ ihn den Code 0021
schalten. Kein Wort aber zum weiteren
Flugverlauf. So machte sich der Privatpilot daran, die Kontrollzone auf der ursprünglich beantragten und durch niemanden eingeschränkte Flugroute Richtung »SIERRA« zu durchqueren.
arbeiten ausgeschaltet wurde,
nicht mit deaktiviertem ELT
wieder in Betrieb genommen
werden. Genau das war nämlich bei der Unfallmaschine
passiert.
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Inzwischen hatte der Regional-Jet von
der »22« abgehoben. Der Motorsegler,
der sich durch einen Vollkreis vom Jet
fernhielt, durfte, nachdem er »Verkehr
in Sicht« gemeldet hatte, Richtung Elbe
weiterfliegen.
Ach ja, da war ja noch die Katana!
Ihrem Piloten verordnete der PL einen
Vollkreis nach rechts, mit dem Hinweis,
auf den Canadair-Jet zu achten. Dieser
Zusatz war mehr als angebracht: Der
Lotse unterschätzte die Speed der
Einmot, die schon unmittelbar vor
der Abfluggrundlinie war. Eine Meile
nach Ende der Bahn krächzte plötzlich
im Cockpit des Jets die synthetische
Stimme des Kollisionswarngeräts los:
»Traffic, Traffic!« Da sah die Crew auch
schon die Katana mit extremer Schräglage nach rechts kurven. Der Airliner
schaffte mit einem kleinen Ausweichmanöver Platz zu dem Eindringling –
dennoch: Die beiden Flugzeuge kamen
sich mit 0,3 Meilen horizontal und 400
Fuß vertikal gefährlich nahe.
In ihrem Abschlussbericht bemängeln
die Unfalluntersucher, dass keine Verkehrsinformationen erteilt wurden, obwohl der Katana-Pilot und die CanadairCrew bereits minutenlang in Funkkontakt mit dem PL standen. Ebensowenig
nachvollziehbar: Warum nutzte der
Mann auf dem Turm nicht das Radargerät, das ihm zur Verfügung stand und
Klarheit über die Positionen aller Maschinen verschafft hätte?
Der Katana-Pilot sagte aus, dass er
den Funk mitgehört hatte und den Jet
starten sah. »Aus Respekt vor den Anweisungen eines Lotsen …« wartete er
auf Anleitung. Dass er zwar eine Durchflugfreigabe hatte, aber VFR unterwegs
war und somit nicht gestaffelt wurde,
kam ihm jedoch nicht in den Sinn.
Für die Einhaltung von Abstand zu
anderen im kontrollierten Luftraum ist
der VFR-Pilot immer noch selbst verantwortlich.
mw
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