- Fliegermagazin
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18032_FL_0405_074_075.QXD 03.03.2005 7:02 Uhr Seite 74 Unfallakte Dass Fliegen im Gebirge nicht ohne ist, war einem jungen deutschen Piloten durchaus bewusst. Deswegen absolvierte er eine Alpeneinweisung. Damit hätte er eigentlich für Flüge in die Berge gut gewappnet sein sollen … ie Bergwelt kann aus der Vogelperspektive faszinierend, ja berauschend sein – und den Piloten die Gefahren vergessen lassen, die in der herben Landschaft lauern. Wer im Land der hohen Berge nichts riskieren will, sollte tiefstapeln: sich und dem Flugzeug nicht zuviel zutrauen. Schon bei der Planung müssen Gebirgstäler, die man durchfliegen möchte, auf ihre Höhe geprüft werden, ebenso die flankierenden Berge. Und dann die wichtige Frage: Wieviel Zuladung kann man dem Flugzeug zumuten? Wenn die Maschine voll besetzt an der Grenze ihrer Motorleistung und Aerodynamik betrieben wird: Wieviel Leistungsreserven bleiben dann noch, um auf plötzliche Überraschungen im Gebirge reagieren zu können? Ein 26-jähriger Privatpilot scheint sich mit genau dieser Art von Fragen beschäftigt zu haben. Obwohl in Deutschland nicht vorgeschrieben, lässt er sich in Alpenflüge einweisen. Der junge Mann, von seinem fliegerischen Umfeld als sorgfältiger und gewissenhafter Pilot beschrieben, steht am Anfang seiner aviatischen Karriere: Seit drei Jahren hat er den PPL-A in der Tasche, seine Erfahrung beträgt inklusive Schulung erst gut 73 Stunden. An einem Septembertag soll es mit drei Freunden von Friedrichshafen in die Alpen Richtung Österreich gehen. Tadelloses VFR-Wetter verspricht einen herrlichen Spätsommerflug vor prächtiger Alpenkulisse: angenehme 24 Grad Celsius, CAVOK-Bedingungen, der Wind bläst mit acht Knoten aus Nordwest, D 74 4/2005 und der Luftdruck liegt bei 1025 Hektopascal. Nachdem der Pilot die Tanks seiner Piper PA-28/181 mit 100 Liter Avgas gefüllt hat, hebt die Einmot um kurz nach fünf vom Flugplatz am Bodensee ab. Was für ein Ausblick! In Flugrichtung erhebt sich aus dem Appenzeller Land goldfarben das Alpsteingebirge im Licht der tiefstehenden Sonne, und unter der Piper glitzert der Bodensee wie flüssiges Blei. Rechts: In der Falle! Der Piper-Pilot sank bei seiner Besichtigungstour so tief, dass das Gelände zur unüberwindbaren Barriere wurde. Unten: Kaum zu glauben – drei Insassen überlebten diesen Crash Mit Kurs Südost geht es vorbei an Lindau über Bregenz und Dornbirn Richtung Bezau im Bregenzer Wald. Hier erreicht der Tiefdecker mit 7100 Fuß MSL die größte Höhe. Danach leitet der Pilot einen Sinkflug ein; er will seinen Passagieren eine von Freunden bewohnte Hütte zeigen. Bis auf 5200 Fuß MSL baut die Piper Höhe ab. Dann nimmt der Pilot Kurs Richtung Osten und beginnt mit dem Steigflug. Zu spät: Eine Linkskurve, zurück nach Friedrichshafen, führt über ansteigendes Gelände mit Hindernissen, mindestens 6300 Fuß MSL hat das Terrain. Der Pilot merkt, dass es eng wird und reduziert die Geschwindigkeit. Dabei unterschreitet er die Stallspeed, die Maschine kippt ab und schlägt aus geringer Höhe auf den Boden. Ein Passagier stirbt, die beiden anderen und der Pilot überleben schwer verletzt. Zufällig sind Rettungskräfte in der Nähe, und so gelingt es trotz beginnender Dämmerung, binnen weniger Minuten Ersthelfer mit einem Hub- Unfallstelle aus Anflugrichtung 18032_FL_0405_074_075.QXD 03.03.2005 schrauber ans Wrack zu bringen. Die österreichischen Untersucher nennen den ungeeigneten Flugweg, Unterschreiten des Stallspeed und die geringe Seite 75 Flugerfahrung des Piloten als wahrscheinliche Ursachen. Zudem könnten die hohe Temperatur sowie eventuelle Abwindzonen den Crash begünstigt haben. icht wenige Privatpiloten, die nur VFR unterwegs sind, machen um Kontrollzonen einen großen Bogen. Manche, die sich ins Airbus- und Boeing-Revier trauen, glauben völlig zu Unrecht, dass hier eigene Benimmregeln gelten: Lotsenanweisungen unterwirft man sich sklavisch. Eigeninitiative und Verantwortung? Bitte am Pflichtmeldepunkt abgeben! Dresden ist ein beliebtes Ziel, auch von VFR-Flügen. Über ein Drittel aller Flugbewegungen innerhalb der Kontrollzone der Elbstadt in den ersten sieben Monaten des Jahres 2003 waren Sichtflüge. Die Hälfte der Maschinen wollte dort gar nicht landen, sondern über das Stadtgebiet entlang der Elbe. So auch am 11. Juli des vorletzten Jahres. Gegen Mittag meldeten sich die Piloten eines Motorseglers (»Position NOVEMBER«) und einer DV 20 Katana (»Position WHISKEY«) auf der Frequenz des Platzlotsen (PL). Der ist unter anderem für die Durchführung der Flugverkehrskontrolle innerhalb der Kontrollzone und auf dem Rollfeld zuständig, dazu insbesondere verantwortlich für VFR-Ein- und -Ausflüge sowie Sichtflugverkehr in der Kontrollzone. Zudem obliegt ihm die Kontrolle startender und landender Maschinen. Eine davon: eine Canadair CL-600-2B19 mit Platz für 50 Passagiere, der auf einem Rollweg des Verkehrsflughafens wartete, um auf die Piste 22 zu rollen. Dort sollte gleich ein Verkehrsflugzeug landen, das bereits im kurzen Endanflug war. Zu diesem Zeitpunkt schien die Aufmerksamkeit des PL längst eine Schieflage gehabt zu haben: Als die Maschine schon über die Schwelle rauschte, musste die Crew nachhaken, was denn nun mit der Landeerlaubnis sei. Der Lotse erteilte sie unmittelbar. Der Mann war durch ein Gespräch abgelenkt. Als der Katana-Pilot »WHISKEY« meldete, fragte ihn der PL, ob N Fotos: Flugunfalluntersuchungsstelle, Wien; Karte: Deutsche Flugsicherung; Grafik: fliegermagazin 7:03 Uhr Der Untersuchungsbericht endet mit einer Empfehlung: Wartungsbetriebe sollten ein Verfahren entwickeln, dass Luftfahrzuge, deren Notsender für die Instandhaltungs- Respekt ist an sich eine gute Tugend. Piloten sollten sich jedoch genau überlegen, wann er angebracht ist. Und vor allem, wem er gebührt: einem Lotsen oder einem Jet, der den eigenen Flugweg kreuzt? Der Katana-Pilot (orange) wollte durch die Kontrollzone Richtung Elbe und kam dem abfliegenden Canadair-Jet (rot) in die Quere – weil ein Platzlotse zu spät reagierte und der Einmotpilot einen besonderen »Gehorsam« an den Tag legte seine Maschine Transponder-ausgerüstet sei, und ließ ihn den Code 0021 schalten. Kein Wort aber zum weiteren Flugverlauf. So machte sich der Privatpilot daran, die Kontrollzone auf der ursprünglich beantragten und durch niemanden eingeschränkte Flugroute Richtung »SIERRA« zu durchqueren. arbeiten ausgeschaltet wurde, nicht mit deaktiviertem ELT wieder in Betrieb genommen werden. Genau das war nämlich bei der Unfallmaschine passiert. mw Inzwischen hatte der Regional-Jet von der »22« abgehoben. Der Motorsegler, der sich durch einen Vollkreis vom Jet fernhielt, durfte, nachdem er »Verkehr in Sicht« gemeldet hatte, Richtung Elbe weiterfliegen. Ach ja, da war ja noch die Katana! Ihrem Piloten verordnete der PL einen Vollkreis nach rechts, mit dem Hinweis, auf den Canadair-Jet zu achten. Dieser Zusatz war mehr als angebracht: Der Lotse unterschätzte die Speed der Einmot, die schon unmittelbar vor der Abfluggrundlinie war. Eine Meile nach Ende der Bahn krächzte plötzlich im Cockpit des Jets die synthetische Stimme des Kollisionswarngeräts los: »Traffic, Traffic!« Da sah die Crew auch schon die Katana mit extremer Schräglage nach rechts kurven. Der Airliner schaffte mit einem kleinen Ausweichmanöver Platz zu dem Eindringling – dennoch: Die beiden Flugzeuge kamen sich mit 0,3 Meilen horizontal und 400 Fuß vertikal gefährlich nahe. In ihrem Abschlussbericht bemängeln die Unfalluntersucher, dass keine Verkehrsinformationen erteilt wurden, obwohl der Katana-Pilot und die CanadairCrew bereits minutenlang in Funkkontakt mit dem PL standen. Ebensowenig nachvollziehbar: Warum nutzte der Mann auf dem Turm nicht das Radargerät, das ihm zur Verfügung stand und Klarheit über die Positionen aller Maschinen verschafft hätte? Der Katana-Pilot sagte aus, dass er den Funk mitgehört hatte und den Jet starten sah. »Aus Respekt vor den Anweisungen eines Lotsen …« wartete er auf Anleitung. Dass er zwar eine Durchflugfreigabe hatte, aber VFR unterwegs war und somit nicht gestaffelt wurde, kam ihm jedoch nicht in den Sinn. Für die Einhaltung von Abstand zu anderen im kontrollierten Luftraum ist der VFR-Pilot immer noch selbst verantwortlich. mw 4/2005 75