B. Zehnpfennig (Hrsg.): Die Federalist Papers 2008-1 - H-Soz-Kult

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B. Zehnpfennig (Hrsg.): Die Federalist Papers 2008-1 - H-Soz-Kult
B. Zehnpfennig (Hrsg.): Die Federalist Papers
2008-1-189
Zehnpfennig, Barbara (Hrsg.): Hamilton, Alexander; Madison, James; Jay, John: Die Federalist
Papers. Vollständige Ausgabe. München: C.H.
Beck Verlag 2007. ISBN: 978-3-406-54754-6;
583 S.
nung des Verfassungsentwurfes vorprogrammiert, denn die Mehrheit der Delegierten
galt als Anhänger des New Yorker Gouverneurs und Verfassungsgegners George Clinton. Wahrscheinlich führte die Nachricht von
der Zustimmung New Hampshires und Virginias dann jedoch zu einem Sinneswandel bei
vielen Delegierten, so dass am 26. Juli 1788
der Entwurf der Bundesverfassung mit der
knappen Mehrheit von 30 zu 27 Stimmen gebilligt wurde.3 Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der letzten sieben Artikel wurde, wie
die knappe Chronologie der Ratifikation andeutet, weitgehend durch das späte Zusammentreten des Ratifikationskonvents in New
York bestimmt.
In ihrer Einleitung beschränkt sich die Passauer Politologin Barbara Zehnpfennig weitgehend auf die politologischen und verfassungsrechtlichen Aspekte der Artikel, die ihrer Grundstruktur ihrem Aufbau nach sehr
überzeugend interpretiert werden. Allerdings
gerät dabei der historische Kontext in einer
heftigen öffentlichen Debatte über den Entwurf der Bundesverfassung und die Natur
von Herrschaft und Regierung immer wieder aus dem Blickfeld. Zudem werden die
Argumente der Gegner (Antifederalists) nicht
ernst genug genommen, weshalb viele Äußerungen der Autoren des ‚Federalist’ zu Kernargumenten der Gegner unverständlich bleiben. Ein Beispiel: Zehnpfennig referiert richtig, dass die Antifederalists den Verteidigern
des Verfassungsentwurfes vorwarfen, die Verfassung weise dem Präsidenten „quasi monarchische Befugnisse“ zu (S. 29). Dieser Vorwurf sei von den Autoren des ‚Federalist’ vor
Rezensiert von: Hermann Wellenreuther,
Frühe Neuzeit, Universität Goettingen
Es besteht kein Zweifel: ‚The Federalist’, eine Serie von 85 Artikeln aus dem Jahr 1788,
gehört zu den wichtigsten verfassungspolitischen und -rechtlichen Schriften der Geschichte der Neuzeit überhaupt.1 Die ersten
77 Artikel erschienen unter dem Pseudonym
„Publius“ zwischen dem 27. Oktober 1787
und dem 2. April 1788 in New Yorker Zeitungen, die restlichen sieben Artikel wurden zwischen dem 28. Mai und dem 16. August 1788
veröffentlicht.2 Die zeitliche Unterbrechung
der Artikelserie wurde durch den Verlauf der
Debatten um den neuen Verfassungsentwurf
bestimmt. Dieser war von der Konvention,
die in Philadelphia – eigentlich nur zur Revision der Konföderationsartikel – einberufen
worden war, am 17. September 1787 einmütig gebilligt worden. Bis Januar 1788 hatten
die vier kleinen Staaten Delaware, New Jersey, Georgia und Connecticut und Pennsylvania die Verfassung gebilligt. Danach geriet der
Ratifikationsprozess ins Stocken: In Massachusetts wurde der Entwurf im Februar 1788
nur knapp ratifiziert; der Ratifikationskonvent von New Hampshire vertagte sich Ende
Februar 1788 ergebnislos; die Stadtversammlungen von Rhode Island lehnten den Entwurf im März mit überwältigender Mehrheit
ab. Zwar wurde im April der Entwurf von
den Ratifikationskonventen in Maryland und
South Carolina mit großen Mehrheiten gebilligt, aber die Konvente der beiden einflussreichsten Staaten, Virginia und New York, waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal
gewählt worden. Virginias Konvent trat erst
Anfang Juni zusammen und ratifizierte nach
heftiger Debatte am 27. Juni den Verfassungsentwurf, nachdem auch New Hampshire in
einem zweiten Anlauf am 21. Juni den Verfassungsentwurf angenommen hatte. Am 17.
Juni 1778 traten die Delegierten des Ratifikationskonvents von New York in Poughkeepsie zusammen. Es schien, als sei die Ableh-
1 Cooke, Jacob E. (Hrsg.), The Federalist. America’s grea-
test contribution to political philosophy by Alexander
Hamilton, James Madison, and John Jay, reproduced
from the original texts, Middletown 1961.
2 McLean, J. und A., The Federalist: A collection of essays, written in favour of the new Constitution, as
agreed upon by the Federal Convention, September 17,
1787, 2 Bde., New York 1788. Die letzten sieben Artikel waren schon Anfang Juni 1778 in Band 2 der ersten
Gesamtausgabe erschienen, was die Bibliographie der
Ausgabe von Zehnpfennig nicht erwähnt.
3 Ich fasse hier die konzise Beschreibung des Ratifizierungsverfahrens von Adams, Angela und Willi Paul
(Hrsg.), Hamilton/Madison/Jay, Die Federalist Artikel. Politische Theorie und Verfassungskommentar der
amerikanischen Gründungsväter. Mit dem englischen
und deutschen Text der Verfassung der USA, Paderborn 1994, xxxiii-xxxvi, zusammen.
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allem im 75. Artikel mit dem Argument zurückgewiesen worden, eine „schwache Ausübung der Regierungsgewalt“ durch den Präsidenten sei schädlich und ein Vergleich mit
dem englischen König „unzulässig, da der
Präsident abwählbar ist, einer Amtsanklage,
dem impeachment, unterzogen werden kann
und wesentliche Kompetenzen nicht allein,
sondern nur in Verbindung mit der Legislative ausüben darf“ (S. 29). Dies wird nicht
weiter kommentiert. Doch nicht nur die Antifederalists, sondern auch die Leser dieser
Artikel wussten, dass gegen Karl I. 1648 ein
Impeachmentverfahren eröffnet und mit seiner Verurteilung und Hinrichtung auch abgeschlossen worden war, und dass der englische König wie der amerikanische Präsident
„wesentliche Kompetenzen“ nur „in Verbindung mit der Legislative ausüben“ durfte –
dies war schließlich die wichtigste Errungenschaft der Glorreichen Revolution.
Im selben 75. Brief wird das Recht des Präsidenten diskutiert, mit anderen Mächten Verträge abzuschließen – unter dieser Formel fassen die Artikel, wie schon zuvor die englische
Verfassung, die Rechte der Exekutive zusammen, allein die Außenpolitik zu bestimmen.
Die Passage ist relevant für das Verständnis der heutigen amerikanischen Außenpolitik und für die Art, wie amerikanische Präsidenten seit den 1960er-Jahren Außenpolitik am Kongress vorbei betreiben und selbst
Kompetenzen wie die Erklärung von Krieg
und Frieden für sich reklamieren – Stichwort:
„imperial presidency“ – und weist damit auf
ein in der Verfassung angelegtes Dilemma
hin, welches schon 1787/88 heftig diskutiert,
aber letztlich nicht gelöst wurde. Dieses Dilemma prägt und belastet bis in unsere Gegenwart hinein nicht nur die amerikanische
Politik, sondern auch die amerikanischen internationalen Beziehungen nachhaltig.
Zehnpfennig hat eine elegante, aber gelegentlich terminologisch ungenaue Übersetzung des ‚Federalist’ vorgelegt, der zu oft das
Gefühl für die Zeitgebundenheit der Begrifflichkeit und Sprache mangelt. In dieser Hinsicht ist die Übersetzung von Angela und Willi Paul Adams vorzuziehen.4 Ihnen gelingt es
auch, verfassungsrechtliche, historische und
politologische Aspekte in einer vertieften Diskussion der Artikel der Federalists zu verei-
nen. Allerdings kommen bei ihnen die strukturellen Aspekte der Artikel, die Zehnpfennig sauber herausarbeitet, zu kurz. Neben
der Bundesverfassung, die mit ihren Zusatzartikeln im Anhang abgedruckt wird, enthält
die Übersetzung von Zehnpfennig überdies
ein höchst verdienstvolles „Verzeichnis der in
den ‚Federalist Papers’ behandelten Verfassungsartikel“ (S. 531-535).
Unverständlich ist allerdings, warum die
Neuauflage einer historisch-kritischen Übersetzung5 es versäumt, die seit 1993 erschienene wissenschaftliche Literatur zu nennen.
Sicherlich: Die amerikanische Literatur dazu
ist unübersehbar. Aber in Deutschland sind
in der Zwischenzeit drei Bände zur amerikanischen Geschichte zwischen 1500 und 1783
veröffentlicht worden, und zum Ratifikationsprozess erschien die eindrucksvolle Arbeit
von Jürgen Heideking.6 Erst recht bleibt unerklärlich, weshalb Zehnpfennig ihrer Übersetzung nicht die historisch kritische Edition
der Federalist-Artikel von Jacob E. Cooke zugrunde gelegt hat, die erstmals 1961 erschien,
sondern die auf der ersten Gesamtausgabe
der Artikel fußende Edition von Clinton Rossiter benutzt7 , deren Texte, wie die Anmerkungen von Cooke zeigen, in einigen nicht
unwichtigen Punkten von den Originalveröffentlichungen der Artikel abweichen. Im Literaturverzeichnis aber, und dies verdient lobend hervorgehoben zu werden, wird nicht
Rossiters Edition von 1961, sondern jene von
4 Vgl.
Anm. 3.
5 Zehnpfennig, Barbara (Hrsg.), Alexander Hamilton; Ja-
mes Madison; John Jay: Die Federalist papers, Darmstadt 1993.
6 Wellenreuther, Hermann, Vom Niedergang und Aufstieg (= Finzsch, Norbert, Lehmkuhl, Ursula, Wellenreuther, Hermann (Hrsg.), Geschichte Nordamerikas in
atlantischer Perspektive von den Anfängen bis zur Gegenwart. Eine Darstellung in sieben Bänden, Bd. 1),
Münster 1999; Ders., Ausbildung und Neubildung. Geschichte Nordamerikas vom Ausgang des 17. Jahrhunderts bis zum Ausbruch der Amerikanischen Revolution 1755 (= Geschichte Nordamerikas, Bd. 2), Münster 2001; Ders., Von Chaos und Krieg zu Ordnung und
Frieden. Der Amerikansichen Revolution erster Teil,
1775-1783, (= Geschichte Nordamerikas, Bd. 3), Münster 2006; Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem
Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung, 1787-1791, Berlin 1988.
7 Rossiter, Clinton (Hrsg.), The Federalist Papers, New
York 1961.
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B. Zehnpfennig (Hrsg.): Die Federalist Papers
2008-1-189
1999 angegeben!8
HistLit 2008-1-189 / Hermann Wellenreuther
über Zehnpfennig, Barbara (Hrsg.): Hamilton,
Alexander; Madison, James; Jay, John: Die Federalist Papers. Vollständige Ausgabe. München
2007, in: H-Soz-Kult 07.03.2008.
8 Rossiter,
Clinton (Hrsg.), The Federalist Papers. Originally by Alexander Hamilton, John Jay, and James Madison, with New Introduction and Notes by Charles R.
Kesler, New York 1999.
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