Brückentage

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Brückentage
Seite 100 Christophorus 328
Faszination
Brückentage
Auf zu neuen Ufern: Brücken sind viel mehr als nur
Zweckbauten. Sie überbrücken Sehnsüchte,
versprechen Freiheiten. Ein luftiges Vergnügen.
Dringend jenen empfohlen, die die Brückentage
im Kalender als letztes Abenteuer im Leben des
Angestellten empfinden.
Text
Elmar Brümmer
Fotografie
Andreas Beil, Archiv
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Die Berufspendler hinüber in den Central Business District werden
sich an die Stirn tippen – im besten Fall. Wer täglich zweimal die
Sydney Harbour Bridge überquert, für den hat selbst eine Ikone
der Technik nicht mehr viel mit Poesie zu tun. Uns aber sei der
Gedankenspaziergang erlaubt, beim spektakulärenWeg über die
Bucht ganz real das zu erleben, was sonst nur einem Regenbogen
vorbehalten ist: mit kühnem Schwung zwei gegensätzliche Punkte
zu verbinden, ohne den Boden zu berühren. Nicht ganz so schillernd in diesem Fall, aber mindestens so imposant.
Vielleicht ist diese Art der Überwindung natürlicher Hindernisse,
die der Mobilität des Menschen im Weg sind, auch schon wieder
zu einfach, zu selbstverständlich für uns geworden. Vielleicht geht
der Blick von zu vielen Brückengängern auch immer nur geradeaus, statt auch mal nach oben, nach unten, zu den Seiten. Offen
nach allen Richtungen sein zu können, bestärkt das ohnehin erhabene Gefühl hoch oben auf der Brücke noch. Es erschließt eine
neue Dimension.
Größte Hängebrücke:
Akashi-Kaikyo-Brücke in Kobe ⁄Japan,
Spannweite 1991 Meter
Brücken sind trotzige Phantasien, und sie versprechen immer große
Freiheiten. Nirgendwo sonst kommt der Mensch, obwohl er mit
vier Rädern auf dem Boden bleibt, dem Gefühl der Schwerelosigkeit
so nah. Auch wenn sich die Grenzerfahrungen nur noch bei besonders spektakulären Brückenbauwerken einstellen, Grenzen werden
trotzdem bei jeder Überquerung überschritten. Schließlich erobern
wir dieAtmosphäre, um zu neuen Ufern zu gelangen. „Es gibt kaum
ein besseres Symbol für die lebenslange Odyssee des Menschen als
Brücken“, glaubte Filmregisseur Alfred Hitchcock. Es hat auch
seine Gründe, dass der kaiserliche Titel Pontifex maximus einst
vom Papst übernommen wurde – bedeutet er übersetzt doch
„größter Brückenbauer“.
In Sydney nennen sie ihre Brücke, die in diesem Jahr 75 Jahre alt
wird, beinahe zärtlich den „alten Kleiderbügel“. Persönliche Bindungen gehören zum Brückenalltag, dagegen ist niemand immun.
In Städten mit besonders markanten Brückenbauwerken gibt der
prüfende Blick aus dem Fenster aufsWahrzeichen jeden Morgen A
Größte Schrägseilbrücke:
Tatara-Brücke in der Präfektur Hiroshima⁄Japan,
Spannweite 890 Meter
Schönes Profil:
Brücken verleihen Städten und Menschen auch Identität
Größte Bogenbrücke:
Lupu-Brücke in Shanghai ⁄ China,
Spannweite 550 Meter
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Brücken-Geschichten
Recherche: Felix Krohmer
Leucht-Türme von San Francisco
Die Golden Gate Bridge in der Bucht vor San Francisco ist so herausragend, dass sogar der Farbanstrich eigens für die als Weltwunder
betrachtete Brücke gemischt wurde. Hinter der Bezeichnung „International Orange“ verbirgt sich eine Mixtur aus Gelb, Schwarz und Magenta.
Die Kolorierung soll bei gutem Wetter die Pylone in die Landschaft
einbetten, bei Nebel die Pfeiler herausheben. 38 Maler sind permanent
damit beschäftigt, den Anstrich zu erneuern.
aufs Neue ein Gefühl der Sicherheit. Auch wer die Brücke gewordenen Träume der Ingenieure anfänglich nur vom nüchternem
Blickwinkel aus betrachtet hat, wird sich der Parteinahme auf
Dauer kaum entziehen können: Brücken zwingen einen dazu, ein
Verhältnis zu ihnen zu entwickeln.Wie Zeigefinger aus Stahl oder
Beton mahnen die Pylonen dieses Heimatgefühl an. Um im Bild
der Bautechniker zu bleiben, für die kalkulierte Schwingungen und
das genau aufeinander abgestimmte Zusammenwirken von Kräften
zum wesentlichen Bestandteil ihrer Konstruktion gehört: Brücken
vermitteln einfach good vibrations. Eindrucksvolle Erlebnisse bleiben nicht auf die Fahrbahnen beschränkt. Oft manifestiert sich
die ganze Faszination erst so richtig, wenn man nicht auf, sondern
unter einer Brücke steht. Gilt es doch, mit den mächtigen Streben
und Pfeilern auch den Glauben des Menschen zu stabilisieren, er
könne wirklich einfach alles überwinden, wenn er nur will.
Wenige andere Bauwerke besitzen eine solche Symbolkraft. Schließlich vereinen die großen Ingenieursleistungen Menschen und Städte,
manchmal – wie in Istanbul mit dem trockenenWeg von Europa
nach Asien – sogar ganze Kontinente. Mit dem reinen Nutzwert
allein lässt sich diese Faszination nicht erklären. Wer sich einmal
den Overseas Highway mit seinen meilenlangen Brücken bis an
die südlichste Spitze derVereinigten Staaten von Amerika hinunter
hat treiben lassen, links und rechts meist nur azurblauesWasser und
mangrovengrüne Inselchen, der würde für ein ähnliches Erlebnis
überall auf derWelt jeden Brückenzoll bezahlen. Es muss mit dem
Rest Eroberermentalität zu tun haben, der im Menschen schlummert. Einfach mal den Bogen schlagen ...
Goldene Zeiten am Nil
Das schönste Souvenir zur Eröffnung der neuen Kasr-el-Nil-Brücke
in Kairo im Juni 1933 ließ die britische Konstruktionsfirma Dorman
& Long für den ägyptischen König
Fouad anfertigen – eine goldene
Nachbildung der Brücke, die sich
bei genauerem Hinsehen als
Füller samt Tintenfass entpuppte.
Dresden und das Blaue Wunder
Als einzige Brücke in Dresden hat
„Das Blaue Wunder“ die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges
überstanden. Aber nicht deshalb
trägt die Stahlkonstruktion ihren
Namen. Dieser rührt daher, dass
der ursprünglich grüne Farbanstrich
der 1893 fertiggestellten Brücke
schon in der ersten Nacht blau
geworden war.
Meisterstück am Hudson
Der aus Thüringen stammende Johann August Röbling (1806–1869)
war einer der mutigsten Brückenbauer überhaupt und setzte die Maßstäbe im Hängebrückenbau. Zu seinen Großtaten gehört die Brooklyn
Bridge über den Hudson River in New York. Röbling starb kurz vor Beginn
der Bauarbeiten, Sohn Washington vollendete die Brücke im Jahr 1881
– obwohl er an den Rollstuhl gefesselt war.
Effizienz und Ästhetik müssen nicht zwingend im Widerspruch
stehen. Viele der luftigen Schönheiten legen Wert auf ihre architektonischen Eigenheiten. Im Rahmen der zweckmäßigen Kunst aus
allen Epochen fallen einem spontan Bilder der Rialto-Brücke, der
Manhattan Bridge oder derTower Bridge ein. Und sofort hat man A
Informationen:
Der Deutsche Brückenbaupreis
Besonders kühne Schwünge und innovative Technik werden mit dem
im Jahr 2006 zum ersten Mal vergebenen Deutschen Brückenbaupreis
ausgezeichnet, der auch von Porsche unterstützt wurde. Prämiert
wurden dabei die Talbrücke über die Wilde Gera im Thüringer Wald und
der La-Ferté-Steg in Stuttgart-Zuffenhausen. Auch für 2008 loben
die Bundesingenieurkammer und der Verband Beratender Ingenieure
den Preis unter Schirmherrschaft des Bundesverkehrsministers
wieder aus. Die Nominierungen werden im Dezember 2007 bekannt
gegeben, die Preisträger am 10. März 2008 gekürt.
www.brueckenbaupreis.de
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Vogel-Perspektiven vor Rügen
Besonderes Augenmerk bei der Querung des Strelasunds vor der Insel
Rügen wurde auf die Stahlseile gelegt, die zu dem 128 Meter hohen
Pylon führen. Die Stahlbündel müssen einen Durchmesser von mindestens zwölf Zentimetern haben, obwohl für die Statik sieben Zentimeter
genügt hätten. Die Seile sind so stark, damit sie von den Zugvögeln über
der Ostsee gut erkannt – und umflogen – werden können.
Mensch, Maschine, Meer und Materie:
Brücken versprechen Freiheit
nicht nur die dazugehörige Stadt-Landschaft vor Augen, sondern
auch das jeweilige Lebensgefühl. Merke: Auch Sehnsüchte können
überbrückt werden.
Allein in Deutschland gibt es 120 000 Straßenbrücken. Alles begann
mit einem morschen Baum über den Bach, schnell wurde es immer
kühner – König Nebukadnezar von Babylon ließ im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung einenWeg aus Zypressen- und
Zedernholz über den Euphrat bauen, der auf Steinpfeilern ruhte.
Hängebrücken gab es schon vor viertausend Jahren in Asien. Unvorstellbar heute, wie es ohne Brücken wäre, nur Kriege und Katastrophen vermitteln uns diese Hilflosigkeit.
Venedig seufzt bis heute
Was für ein düsterer Anlass für ein so prominentes Bauwerk: Die Ponte
dei Sospiri, Venedigs Seufzerbrücke, verbindet das alte Gefängnis der
Lagunenstadt mit den Verhörräumen im Dogenpalast. Von dort sollten
die zum Tode Verurteilten den letzten Blick auf die Freiheit erhalten –
was für eine seelische Grausamkeit. Als die Brücke 1605 fertig wurde,
war die Hoch-Zeit der Inquisition aber vorbei. Heute dient sie weit
romantischeren Zwecken: Paaren, die sich auf einer Gondel im Sonnenuntergang unter der Brücke küssen, ist die ewige Liebe versprochen.
Größte bewegliche Brücke:
El-Ferdan-Brücke in Ägypten,
Spannweite 340 Meter
Und dabei Vertrauenssache geblieben, betrachtet man die schwindelerregenden Höhen und die enormen Spannweiten. Es gilt dabei
über die reine Technik hinaus ein eher philosophischer Grundsatz:
„Brücken festigen die menschliche Beziehung zur Materie.“ Erwachsen gewordene Baukasten-Phantasien. Immer sind es klare
Strukturen, und trotzdem verblüffen sie.
Auf Brücken bleibt der Mensch immer unter Spannung. Der Statiker
sowieso: Höher, schneller, weiter – Brückenbau ist längst zur olympischen Disziplin geworden. Heavy Metal der Unterbau, architektonische Poesie darüber. Es gibt kaum Reizvolleres, als einfach in
B
die Luft zu bauen.
Größte Auslegerbrücke:
Pont de Quebec in Kanada,
Spannweite 549 Meter
Berücksichtigt wurden nur Brücken, die bereits in Betrieb sind.
Quelle: www.brueckenweb.de
Höchste Bogenbrücke:
New River Gorge Bridge
in Beckley ⁄ USA, 267 Meter
Höchste Hängebrücke:
Royal Gorge Bridge in
Canon City ⁄ USA, 331 Meter
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Foto: Courtesy of DYWIDAG-Systems International (DSI), Germany
Pariser Packungsbeilage
Wörtlich übersetzt steht Pont Neuf für „neue
Brücke“, wenngleich es die älteste Pariser
Brücke ist – und die erste aus Stein. Die Überquerung der Seine bedurfte einer Planungsund Bauzeit von 29 Jahren. Ein Jahrzehnt lang
tüftelte Verpackungskünstler Christo, vor allem
an den behördlichen Genehmigungen, ehe er
mit 600 Helfern im Jahr 1985 den Klassiker in
seidiger Leinwand spektakulär verhüllen durfte.
Bahnbrechendes in Südafrika
Brücken, die Abgründe und Meeresstraßen
überqueren, gibt es zu Hunderten. Das nach
Nelson Mandela benannte Bauwerk, das
als Symbol eines neuen Johannesburg steht,
überwindet ein anderes, allerdings ebenfalls
flächendeckendes Hindernis: 42 nebeneinander liegende Eisenbahngleise.
Foto: www.structurae.de, Jet Lowe
Brücken und ihre Geschichten: Gleich zwei Millennium-Brücken
finden sich in Großbritannien, die der altehrwürdigen Tower Bridge
Konkurrenz machen wollen. Eine in London, eine in Newcastle über
den River Tyne. Letztere kann auf ungewöhnliche Weise große
Schiffe passieren lassen, in dem sie wie bei einem Augenaufschlag
nach hinten zu kippen scheint, aber tatsächlich kontrolliert rotiert.
Das Millionenstück von Alaska
Als ob der Name „Miles Glacier Bridge“ nicht
eindrucksvoll genug wäre, ist das zur vorletzten
Jahrhundertwende entstandene Bauwerk in
Alaska den Einheimischen als „Million Dollar
Bridge“ viel geläufiger. Der Spitzname spielt
auf die Baukosten von 1,4 Millionen Dollar
an – die sich aber durch Kupfertransporte im
Wert von 200 Millionen Dollar über die Brücke
mehr als gerechnet haben.
Ohne rot zu werden:
Monumentaler Ausdruck
des amerikanischen Traumes