Gucken, wo der nächste Wal auftaucht

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Gucken, wo der nächste Wal auftaucht
20. WAZ-Wirtschaftsforum
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Dienstag, 1. März 2006
WAZ
,Gucken, wo der nächste Wal auftaucht’
Unternehmer des Jahres: Wie Gerhard Schwing aus einem Herner Handwerksbetrieb einen Global Player machte
Von Jasmin Fischer
China, das ist ein heikles
Thema, das ist Schwings
wunder Punkt. China boomt, baut, braucht Beton,
aber Schwing hat in Shanghai höchstens mal einen
Fuß in der Tür. Seit elf Jahren weht an dem Standort
die deutsche Fahne, aber
die Umsätze wachsen nicht
so wie dort die Wolkenkratzer. Und Schwing tobt innerlich: China ist vielleicht
sein einziger Misserfolg.
Der Mann ist zu klein für
seine Energie, der Tag hat zu
wenige Stunden für alle seine
Geistesblitze, dem Ruhrgebiet
fehlt der Platz und Deutschland der Aufschwung – Gerhard Schwings Welt ist ein
ständiges Dehnen des Machbaren. So arbeitet der Unternehmer, und so hat der Aufstieg der kleinen Herner Handwerkfirma zum Global Player
im Beton-Business begonnen.
„Wir haben schon vor 35
Jahren Globalisierung betrieben”, sagt er, als er im Eiltempo
über das Herner Betriebsgelände schießt, hin, her, mal hier
ein bisschen Smalltalk mit einem amerikanischen Austausch-Arbeiter, da mal die
Hand auf eine schwungvolle
Blechform gelegt. „Damals
wollten wir die Produktion
ausweiten, aber es gab im ganzen Ruhrgebiet kein Grundstück für neue Hallen”, erin-
nert sich Schwing. „Also haben
wir in Österreich ein Grundstück gekauft.” Seitdem hat die
Schwing GmbH Produktionsstandorte in Memmingen,
Minnesota, St. Petersburg, in
Sao Paulo, im indischen Chennay und eben in Shanghai aufgebaut.
Die Autobeton-, Fahrmischerbeton- und stationären
Baustellenpumpen, die der Betrieb entwickelt, baut und
montiert, sind von kaum einer
Baustelle auf der Welt wegzudenken – nur manchmal, wie
in China, scheitert die
Schwing’sche Globalisierung
am deutschen „Qualitätswahn”. Die Nöte mit dieser
Empfängerregion, ärgert sich
der Firmenchef, die seien eben
nicht mit dem hiesigen Niveau
in Deckung zu bringen. Belasten noch Transport- und Zollkosten seine Maschinenbauprodukte, dann werden sie in
Asien nahezu unbezahlbar. In
der Schwing-Familie ist China
jedoch das einzige Schwarze
Schaf: Von der Globalisierung
der Märkte hat das Unternehmen, und mit ihm das ganze
Revier, in hundert Weisen profitiert.
90 Prozent der Umsätze finden mittlerweile nicht mehr in
Deutschland statt, doch die
Hälfte der weltweiten Belegschaft arbeitet hier - der Zahlenkönig Schwing wird nicht
müde, seine, diese Lieblingsrechnung zu präsentieren; er,
der früher beim Strandurlaub
Kunst sei das, meint der Unternehmer. Denn: Kluge Konstruktionen sehen auch ästhetisch aus.
„Schwingsche Qualität”: Gerhard
Schwing präsentiert einen
frisch lackierten LKWRahmen, auf
den seine
Mitarbeiter
eine der bekannten Betonpumpen
aus Herne
montieren.
WAZ-Bilder:
J. Studnar
aus einem dänischen Supermarkt im Betrieb angerufen
hat, um sich „Kassenlage,
Krankenstand und die Verluste in Brasilien” durchgeben zu
lassen. 184 Millionen Euro hat
Schwing 2004 allein in Herne
erwirtschaftet und damit seinen Umsatz im letzen Jahr um
neun Prozent gesteigert.
„Sehen Sie, diese blöde Betonwurst, die will immer nach
unten, obwohl sie nach oben
soll”, deutet der Chef auf eine
Flotte von Lastern im Hof, die
allesamt Betonpumpen auf ihren Rahmen montiert haben.
Nach oben heißt zum Beispiel:
auf das höchste Hochhaus der
Welt, 455 Meter oben im Himmel von Taiwan, oder rein in
den Sockel der New Yorker
Freiheitsstatue. Die ausklappbaren Arme der Schwing-Betonpumpen finden sich neben
indischen
Lastenelefanten
und vor der Sphinx in Ägypten.
„Katar”, ruft Schwing und
zeigt auf einen nagelneu aufgerüsteten Laster, „Sudan, Dubai”, in einer der beiden Hallen
in Herne steht ein Dutzend
Fahrzeuge, die bald per Schiff
aus Rotterdam in die ganze
Welt ausgeliefert werden. Nur
wenige tausend Kunden hat
die Schwing GmbH zwischen
Afghanistan, Vancouver und
Hawaii, und die am weitesten
entfernten lassen in Herne
nicht nur ihre Laster mit den
Betonpumpen aufrüsten, sondern kaufen über den Betrieb
gleich die Mercedes-Laster
mit.
„Systemhaus” nennt Gerhard Schwing das Konzept,
das von Herstellung, über
Transport, Verteilung und Aufbereitung jeden Aspekt der Betonindustrie umfasst. Viele der
Schwing-Patente waren Pionierleistungen, die in der Übergangszeit von Kran und Kübel
hin zu mobilen Autobeton-
pumpen entwickelt wurden.
Die späten Sechziger waren
ohnehin die Blütezeit der Herner Betonspezialisten: Die Mitarbeiterzahl stieg steil von 350
auf 926 Beschäftigte und ist bis
heute relativ konstant gehalten.
Der 57-Jährige hat diese Zeit
nicht vergessen; er hat wenige
Jahre später, 1973, als junger
Uni-Absolvent in der Geschäftsführung seines Vaters
begonnen; ein „ostpreußischer
Schlossermeister”, dem der Titel des Diplom-Kaufmanns,
den sein Sohn aus Münster
mitbrachte, erst einmal nichts
galt.
„Wir sind ja eigentlich immer noch von vorgestern”, sagt
er selbstironisch, „wir haben
keinen
Produktionsbereich
outgesourct. Und wir machen
auch nicht in IT, sondern Maschinen, die als ein bisschen
doof gelten.” Auch die Familientradition führt Schwing weiter: Sein Sohn Gero hat das
Marketing für Schwing über-
Zum zweiten Mal hatte die
WAZ ihre Leser aufgefordert, Unternehmer-Persönlichkeiten vorzuschlagen,
die der Region mit ihrem
Elan, Geschäftssinn oder
sozialen Engagement nut-
nommen und seine Tochter Lina kümmert sich als Personalreferentin um die jährlich 28
neuen Azubis. Zehn Prozent
der Belegschaft sind Lehrlinge.
In den Hallen, bei den Arbeitern, ist Schwing in seinem eigentlichen Element, auch
wenn er selten aus seinem Büro
rauskommt. „Meine Aufgabe,
die geht ungefähr so: Ich bin
wie dieser Typ auf dem Schiff,
der, der oben am Mast hängt,
und guckt, wo der nächste Wal
auftaucht”, sagt Schwing.
„Manchmal tun sich alle Chancen in Vietnam auf, dann stirbt
der Markt dort plötzlich. Da
muss man wissen, dass das
Bau-Business grad in Korea
boomt, und wenn’s da versickert, dann geht’s in Südamerika richtig rund.”
Das Ausspähen nach Walen
ist die eine Sache, ein Werkstattbesuch die weitaus lebhaftere. „Das ist Kunst, das ist
doch keine Baumaschine”, ruft
Schwing in eine Produktionshalle mit Einzelteilen. „Was
zen. Außergewöhnliche Innovationen oder das Schaffen von Arbeitsplätzen gehören zu den Kriterien für die
Wahl zum „Unternehmer
des Jahres”. 2004 ging der
Preis an Andreas Astroh.
klug konstruiert ist, sieht auch
ästhetisch aus.” Überhaupt käme eine andere Branche als die
Industrie für den Unternehmer
nicht in Frage: „Ich brauche
die wilden Leute in der Werkstatt, Maschinen, die drei oder
vier Achsen und 300 PS haben.” Letztendlich könne man
ohne eine Neigung zu dem Material, das weltweit Berge aus
Stein versetzt, und ohne einen
Bezug zur Welt der Kunden
wohl kaum so erfolgreich sein.
Schwing, der so hin- und
hergerissen ist zwischen einem
Geschäftsstil der Zahlen und
dem der hemdsärmeligen Mechaniker, dass er hin- und herspringt zwischen feinstem
Ruhrpott-Slang und schnodderig-amerikanischem
Geschäftsgebaren, ihm ist nur eine Welt unvertraut: die
der Öffentlichkeit. Wer
Betonpumpen verkauft,
braucht keine
Imagekampagnen, keine
Pressekonferenzen,
keine Werbung.
In
Schwings Job
gibt es keinen
Applaus.
Dem „Unternehmer des
Jahres” wird
bei dem Gedanken, heute auf einer
Bühne zu stehen, ziemlich
mulmig. Den
Preis will er
nicht als persönliches Lob
verstehen,
sondern als
Anerkennung für alle
Unternehmer:
„Vielleicht
kriegt das Wort ’Unternehmer’
durch den Preis Konturen”,
sagt Schwing. „Vielleicht
macht der Preis deutlich, dass
ein Unternehmer eben kein angestellter Manager ist, sondern
jemand, der mit seiner Person
und seinem Kapital haftet, jemand, für den der Job durch
das Risiko eine existenzielle
Herausforderung ist.”
Schwing hat diesen Zustand, der seinen persönlichen
Kern und das Innere der Firma
fast zerrissen hätte, schon persönlich durchlebt. Er schweigt
dazu lieber, verliert wenige
Worte. Es war im Jahr 2000, als
ein US-Konzern dem heilen
Familienbetrieb ein Übernahmeangebot machte. Schwings
Bruder, damals noch gleichberechtigter Gesellschafter-Geschäftsführer, wollte die Offerte annehmen und die Firma
verkaufen, er selber wollte den
Betrieb aber in Familienhand
halten. Schwing kaufte die Anteile seines Bruders, behielt
den Betrieb. Währenddessen
brach der amerikanische und
wichtigste Absatzmarkt der
Firma weg.
„Das war eine Situation, die
mich, die uns, an den Rand alles Vorstellbaren gebracht
hat”, sagt Schwing. „Ich hatte
doch noch so viele Dinge vor;
hätte ich verkauft, dann wäre
ich doch wie Schumi gewesen,
der kurz vorm Ziel seinen
Rennwagen stoppt und von der
Piste geht.” Technisch habe er
noch so viel vor, auch in der
Unternehmenskultur. Hunderte Arbeitsplätze hätte Herne
durch den Buy-Out verlieren
können. Da hat Schwing lieber, ganz altmodisch, Nein gesagt. „Kein Grammy kann entschädigen, was ich da gelitten
hab’”, sagt Schwing. Applaus
gibt es für ihn heute trotzdem.
Warum die Jury sich so entschieden hat
Gesucht: Engagierter Mittelständler, Macher, der das Revier nach vorn bringt, nicht nur Manager, sondern Mensch
Der Wille, Verantwortung
zu übernehmen, für ihre
Mitarbeiter und für die Region, in der sie leben, das
zeichnet den „Unternehmer
des Jahres” aus. Die fünfköpfige Jury hat sich aus
dutzenden Vorschlägen für
Gerhard Schwing entschieden. Hier begründet sie ihre
Entscheidung.
Prof. Stephan Paul,
Lehrstuhl für Finanzierung
und Kreditwirtschaft der
Ruhr-Universität Bochum:
„Gerhard Schwing beweist,
dass Tradition und Innovation
zugleich möglich sind. Wichtig
war für mich auch, dass
Schwing regional verankert ist
und trotz eines Übernahmeangebotes selbstständiger Mittelständler geblieben ist. Er hat
seine Bodenhaftung nicht aufgegeben und will als Familienunternehmen das Risiko weiter tragen, obwohl er es sich
durchaus hätte leichter machen können, indem er dem
Übernahmeangebot nachgegeben hätte. Dass er es nicht
getan hat und damit hunderte
Arbeitsplätze gesichert hat, ist
ein Wert an sich.”
*
Ulrike Kleinebrahm,
Geschäftsführerin der IG Metall Bochum:
„Für mich sind zwei Gründe
ausschlaggebend: Zum einen
das hohe Engagement des Unternehmens bei der Ausbildungsquote, zum zweiten die
Verantwortung, die Herr
Schwing für die Region trägt.
Er fördert junge Leute, und das
nachhaltig über die letzten Jah-
re. Außerdem will er in Region
bleiben und sorgt dafür, dass
das Revier das Unternehmen
nicht durch eine Fusion mit einem Global Player verliert.”
*
Reinhard Schulz,
Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer
zu Dortmund:
„Ich begrüße es, dass ein Traditionsunternehmen aus dem
Herzen des Ruhrgebiets Preisträger geworden ist. Ein Blick
in die Firmengeschichte zeigt,
dass durch ständige Innovation und Globalisierung ein Unternehmen durchaus Bestand
haben kann. Gerhard Schwing
sichert damit 900 Arbeitsplätze in der Region. Besonders
schön ist, dass er seiner Ausbildungsverpflichtung vorbildlich nachkommt.”
also auf einem Feld, in dem es
besonders schwierig ist, beschäftigungspolitische Erfolge
nachzuweisen. Außerdem betreibt er in einem hohen Umfang Ausbildung und stammt
ziemlich exakt aus dem geografischen Herzen des Reviers,
nämlich aus Wanne-Eickel.”
*
Dr. Jürgen Frech,
Leiter des WAZ-Wirtschaftsressorts:
„Gerhard Schwing ist ein mittelständischer Unternehmer,
der in der Industrie tätig ist -
*
Prof. Christoph Schmidt,
Präsident des RWI Essen:
„Firmenchef
Gerhard
Schwing zeigt mit seiner international tätigen Schwing-
Gruppe, dass Globalisierung
und Standortsicherung keine
Gegensätze sein müssen. Mit
Schwing-Betonbaumaschinen
made in Wanne-Eickel werden
Wolkenkratzer in der ganzen
Welt gebaut, damit leistet das
Stammwerk einen wichtigen
Beitrag zum Industriestandort
Ruhrgebiet. Die hohe Zahl an
Auszubildenden im Unternehmen zeigt, dass Gerhard
Schwing sich nicht nur der
mehr als 70-jährigen Geschichte der Schwing-Gruppe
verbunden fühlt, sondern auch
an ihre Zukunft denkt.”

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