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Inhalt
001
002
Vorwort
Wem gehört Bond?
Siegfried Tesche
Streiten und streiten lassen
Eine Pre-Title-Sequence
Ellen Grünkemeier, Martina Iske, Jürgen Kramer, Anette Pankratz,
Claus-ulrich Viol
Mein Bond, dein Bond
Ein einleitendes Dossier
003
Bonds Welten
Anette Pankratz, Claus-ulrich Viol
Bond ist, denn/was er isst
Anette Pankratz
«The World is
not Enough»
James Bonds Geopolitik
Martina Iske
Abenteuer hinter fremden Türen
James Bonds Hotelgeschichten
Sebastian Stockey
Inseln in James-Bond-Filmen
James Bond im Visier der Physik
Ein Interview mit Prof. Dr. Metin Tolan
004
Bonds Strukturen
John Paul Green
Liebesgrüße aus Brengland
Nationale Identität und James Bond
Christian Lenz
Warum auf Bond warten?
Eine strukturalistische Prognose des kommenden Films
Inhalt
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Bond-Spielereien
Quiz, Identitäten, Rezepte
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006
Bonds Männlichkeiten
Florian Gerhardt, Christian Lenz
Bonds (imperiale) Männlichkeit im Wandel der Zeit
Von den 1950ern über die 1970er bis zum Ende des Jahrhunderts
Stefan Brandt
Kino als Karneval der Männlichkeit
(Selbst-)Ironie und Intertextualität in den frühen bond-Filmen
Peter Osterried
Wann ist ein Mann ein Mann?
Männerbild und Männeridentität in einem Filmklassiker, einem, der
es werden wird und im neuen James Bond
Jürgen Kramer
Bond und ich; oder, Wieviel Bond ist in mir?
007
Das Bond-Phänomen
Felix Eisenberg
James Bond als Global Player
Marken in James-Bond-Filmen
Ellen Grünkemeier
«Tomorrow Never
Dies»
James Bonds Erfolgsgeschichte
Claus-Ulrich Viol
Liebesgrüße aus Babylon
Über James Bonds unheimliche Missionen im Reggae
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B
003
Bonds Welten
Martina Iske
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Abenteuer hinter fremden
Türen
James Bonds Hotelgeschichten
Hotels, James Bond und Kulturwissenschaften
Jill Masterson räkelt sich wohlig auf dem breiten Hotelbett, während
James Bond (im Bademantel) ein wenig Champagner nachschenkt, den
der Zimmerservice diskret auf das Zimmer gebracht hat. Dies ist nur eine
der vielen erotischen Szenen, die zu einem festen Bestandteil der JamesBond-Filme geworden sind und 007s berühmten Charme und seine scheinbar unwiderstehlichen Verführungskünste deutlich machen; sie stammt
aus GOLDFINGER (1964), einem der erfolgreichsten Bond-Filme aller Zeiten
(Chapman 1999), und gehört wohl zu den bekanntesten. Bald darauf hat
sich im Film dieser Ort der Liebe in einen Ort des Todes verwandelt: Die
junge Frau liegt wieder auf eben jenem Hotelbett, unbekleidet und lang
ausgestreckt, aber nun leblos – getötet, indem ihre Haut vollständig mit
Gold überzogen wurde (Abb. 1). Die Tötungsszene selbst zeigt der Film
Abb. 6
Abenteuer hinter fremden Türen
nicht, aber der Zuschauer kann sich vorstellen, wie Goldfingers
Todeskommando heimlich das Zimmer betritt, James Bond (der
gerade noch eine Flasche Champagner holen will) bewusstlos schlägt und
dann die Tat vollzieht. All dies spielt sich also im selben Raum ab, in der
Suite eines großen Hotels in Miami, von dessen Balkon aus Jill zuvor noch
per Fernglas Goldfinger die Karten seines Spielgegners verraten musste.
Warum spielt diese Sequenz im Hotel? Was macht Hotelräume so geeignet für Liebes-, Spiel- oder auch Todesszenen, dass Hotels in Romanen
und Filmen rund um den Geheimagenten Ihrer Majestät immer wieder eine
Rolle spielen? Um diese Fragen soll es sich im folgenden Beitrag drehen,
in dem ich untersuchen möchte, welchen Reiz Hotels für Ian Fleming und
somit für die auf seinen Romanen beruhenden James-Bond-Geschichten
darstellten (und immer noch darstellen), wann Hotels von wem und wie
genutzt werden und welche kulturellen Bedeutungen und Funktionen mit
ihnen verknüpft sind – mit dem Hotel als Ganzem oder auch mit seinen
kleineren einzelnen Räumen wie z.B. den Hotelzimmern, der Lobby oder
auch dem Restaurant.
Menschen benutzen Orte unterschiedlich und konstruieren aus ein und
demselben Ort oft sehr verschiedene individuelle Räume, private Räume,
die einen Gegensatz zum öffentlichen Raum darstellen können oder ihn
in kleinerer Form reproduzieren (de Certeau 1988; Lefebvre 1991). Viele
fiktionale Geschichten in Literatur und Film spielen im Hotel und nutzen
die Möglichkeiten, die es zur Darstellung des Öffentlichen und des Privaten bietet. Doch bei James Bond ist das Hotel nicht bloßer Schauplatz,
sondern kann auf drei unterschiedlichen Ebenen mit den Geschichten des
Geheimagenten verknüpft werden: Biografische Aspekte des Bondschöpfers Ian Fleming lassen sich ebenso mit Hotels in Verbindung bringen wie
fiktionale Elemente aus seinen Geschichten und darauf aufbauende, also
auf einen lukrativen James-Bond-Tourismus abgestimmte Marketing-Strategien der ‹realen› Hotelwelt.
Ian Fleming und Hotels
Viele Menschen verbinden Hotels mit Arbeit, etwa weil sie dort angestellt
sind oder weil sie auf ihren Geschäftsreisen in ihnen übernachten und vielleicht auch Geschäftspartner treffen müssen. Die meisten würden Hotels
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Bonds Welten
jedoch vermutlich eher mit Urlaub, Freizeit und Entspannung
assoziieren, mit unbeschwerten Zeiten an eher unbekannten Orten, die einen Gegensatz zum Alltag und vertrauten Zuhause darstellen.
Für Ian Fleming bedeutete das Hotel beides. Es war für ihn ein Ort der
Entspannung und des Urlaubs, doch er arbeitete auch in Hotels, indem
er dort Texte schrieb.
Manchmal sind es vielleicht gerade die Ruhe und Muße, die man in der
Freizeit findet, die ein Autor dann in kreative Energie für sein Werk umsetzen kann. Ein Urlaub auf Mahé (Seychellen) im Jahr 1958 inspirierte
Fleming zum Beispiel zu seiner 1960 publizierten James-Bond-Geschichtensammlung FOR YOUR EYES ONLY, in der eine Episode komplett auf den
Seychellen spielt («A View to a Thrill in the Seychelles with James Bond»
2006: s.p.). Das Hotel selbst kommt in der Geschichte nicht als Schauplatz vor, doch es ist der Ursprungsort der Erzählung, die es ohne ihn wohl
so nicht gäbe.
Seinen Geheimagenten hat Fleming dafür in viele andere Hotels reisen
lassen, die die eigenen Vorlieben des Autors erkennen lassen. Eco beschreibt diese Vorlieben mit den Worten: «Sein Geschmack an Reisen, an
großen Hotels und Luxuszügen ist noch ganz und gar Belle Epoque.» (Eco
1966: 113) Und so stattet Fleming James Bond mit einem Gespür für Luxus und sinnlichen Genuss aus; 007 kostet vor allem die süßen Seiten seines Lebens voll aus, auch wenn diese oft von Gefahr überschattet werden.
Die Hotelzimmer und -restaurants, in denen er dies auf seinen Reisen tut,
scheinen dafür besonders gut geeignet.
James Bond und Hotels
In James-Bond-Romanen und -Filmen erscheint das Hotel in verschiedenen Rollen. Oft dient es als Ort der Anonymität, an dem Bond und seine Mit- und Gegenspieler der Geheimdienste mit ihren Identitäten spielen,
sich tarnen, verstecken und heimlich treffen können. Ian Fleming selbst
schreibt in GOLDFINGER: «Bond liked anonymity.» (Fleming 1959: 18) Der
Agent mag es, unerkannt zu bleiben und seine Missionen möglichst im
Verborgenen durchzuführen (wenn das auch stets nur bedingt möglich
ist). In FOR YOUR EYES ONLY (1981) zum Beispiel trifft Bond sich mit seinem
Kontaktmann Kristatos in der Bar des Hotel Excelsior in Rom. In THE MAN
Abenteuer hinter fremden Türen
WITH THE GOLDEN GUN (1974) arbeiten Geheimagenten ‹undercover›, um Scaramanga auszuspionieren, u.a. sieht man den mit
Bond befreundeten CIA-Agenten Felix Leiter als Elektriker getarnt im Hotel operieren. Offensiver geht hingegen die CIA-Agentin Rosie Carver vor,
die sich in LIVE AND LET DIE (1973) ohne Wissen von James Bond als Mrs.
Bond ausgibt und so schon vor ihm in sein Zimmer einchecken kann.
Die Anonymität dient als Selbstschutz und kann gleichzeitig zur Gefahr
werden, denn die Gegenspieler fallen nicht immer auf die Tarnung herein
und planen Überfälle und Attentate, für die das Hotel als Schauplatz dienen soll. Durch Rosie Carver auf Bonds Anwesenheit und auf sein Zimmer
aufmerksam gemacht, lassen seine Gegenspieler etwa eine giftige Schlange durch das Badezimmerfenster in sein Hotelzimmer, um ihn zu töten. Er
bemerkt die Schlange jedoch früh genug und rettet sowohl sich als auch
seine angebliche Ehefrau. In FROM RUSSIA WITH LOVE (1963) lauern viele Gefahren in Hotelzimmern auf Bond: Im ersten Hotel in Istanbul wird Bond
abgehört und wechselt daraufhin ironischerweise in die Hochzeitssuite
(in die er als Inbegriff des ledigen Mannes – abgesehen von der kurzen
glücklosen Ehe mit Tracy – sonst vielleicht nie gekommen wäre), in der
Tatiana Romanova ihn dann überraschend erwartet. Sie werden von ihren russischen Gegenspielern unbemerkt beim Sex gefilmt, damit der Film
als Druckmittel gegen sie verwendet werden kann (am Ende wirft Bond
den Film in Venedig in den Canale Grande). Während der Reise im Orient
Express versucht Red Grant, Bond im Abteil zu überwältigen – natürlich
vergeblich. Und gegen Ende des Films, als Bond und Tatiana Romanova sich schon in Venedig in Sicherheit wiegen, versucht Rosa Klebb – als
Dienstmädchen getarnt –, das Paar mit ihrer vergifteten Schuhspitze zu
töten und so an den umkämpften Dechiffrierapparat ,Lektor› heranzukommen. Am Ende erschießt Romanova sie jedoch, sodass das Hotel nur
der ‹bösen› Agentin den Tod bringt.
Das bekannteste der Bilder von Gefahr und Tod, die einem in den Hotelzimmern James Bonds begegnen, ist wohl das bereits erwähnte der vergoldeten Jill Masterson in GOLDFINGER. Bonds Gegenspieler bedrohen also
nicht nur den britischen Geheimagenten selbst, sondern auch alle, die ihm
nahe stehen. Ihr gemeinsames erotisches Abenteuer endet für die Frau im
Tod, der für Bond zu einem weiteren Motiv seiner Mission gegen Goldfin-
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Bonds Welten
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Abb. 7
ger wird. Konsequenzen hinsichtlich seiner Affären wird ihr Tod jedoch
nicht haben – die Erotik im Hotel zeichnet sich nun einmal durch ihre Vergänglichkeit aus, worauf ich gleich noch genauer eingehen werde. Ähnlich
ist es mit Solange, der Frau eines Gegenspielers von Bond in CASINO ROYALE
(2006), Dimitrios. James Bond nimmt Dimitrios nicht nur beim Spiel seinen Aston Martin ab, sondern teilt auch mit seiner Frau das Hotelzimmer,
was Solange mit dem Leben bezahlt: Sie wird tot in einer Hängematte am
Hotelstrand gefunden (Abb. 2). Das Standbild aus dem Film zeigt durch
die Kontrastierung der Strandidylle mit dem Bild der für ihr Verhältnis
zu Bond brutal bestraften Frau und der bereits eingetroffenen Untersuchungskommission besonders deutlich, wie nah beieinander Genuss und
Tod im Hotel liegen können.
Der Tod beider Frauen ist verknüpft mit den Rollen James Bonds als
Liebhaber sowie als Spieler im Glücksspiel und im Leben. Er taktiert, riskiert, kassiert und muss doch in jedem Bereich Rückschläge in Kauf nehmen, was aber an seinem Sieg nichts ändert. Die Gewalt und der Kampf
zwischen den Kontrahenten äußern sich nicht direkt körperlich, sondern
erst später und vermittelt über die Ermordung der Frauen. Öffentlich äußern sie sich dafür beim Spiel. Goldfinger betrügt beim Kartenspiel am
Pool, Bond selbst zieht es in die Casinos. Das Casino Royale ist noch ein
besonderer Fall, da Bond hier nicht nur gegen seinen Gegner Le Chiffre
gewinnen, sondern sich dadurch auch vor den eigenen Verbündeten erst
noch beweisen muss, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht der anerkannte
Superagent ist. Das Casino ist daher ein Ort, der einen Startpunkt für die
Abenteuer hinter fremden Türen
Beziehungen zwischen den Charakteren darstellt und an dem
gleichzeitig von Beginn an im Spiel getestet, gereizt, gewonnen
und verloren wird – was sich dann später in erotischen Situationen oder
im körperlichen Kampf im Hotel wiederholen kann.
In vielen Bond-Filmen ist das Hotel, nun besonders die einzelnen Gästezimmer, also vor allem ein Ort der Erotik, in dem Bond seine Bond-Girls
verführt und sich von ihnen verführen lässt. Das Verführerische und Erotische ist etwas, das Hotels oft zugeschrieben wird. Raoul Schrott schreibt
dazu:
Hotels sind auch jene orte, denen eine gewisse erotik innewohnt, natürlich. Diese bezahlten zimmer für stunden, in denen die spuren einer
gegenwart jeden morgen mehr oder weniger sorgfältig getilgt werden,
das mobiliar und die wenigen gegenstände, dinge, die nichts bewahren.
(Schrott 1995: 56)
Das Vergängliche dieser Erotik, das sich in den Dingen, «die nichts bewahren» (ibid.) ausdrückt, macht für James Bond, der in einem einzigen Film
mit bis zu drei Bond-Girls in unterschiedlichen Zimmern das Bett teilt,
wohl auch einen besonderen Reiz aus, ist er doch der bindungslose Mann
schlechthin, für den jede Frau (vielleicht außer Vesper Lynd am Beginn
seiner Karriere sowie Tracy, die Bond in ON HER MAJESTY ’S SECRET SERVICE
(1969) heiratet und die kurz darauf erschossen wird) nur ein Abenteuer
ist, da er für seine Missionen und nicht für andere Menschen lebt und sein
Leben aufs Spiel setzt. Die Hotelsituation macht das erotische Abenteuer
endlos wiederholbar, mit problemlos zu wechselnden Zimmern und Partnerinnen.
Bezahlte Hotelzimmer, in denen man ein paar Stunden der Erotik teilt,
sind für ihn ideal: Mit seinem Geld kauft er Dienstleistungen und Diskretion der Hotelangestellten. Die Zimmermädchen entfernen schnell und
diskret jegliche Spur seiner Anwesenheit aus dem Raum (und damit auch
oft aus dem Leben der gerade noch ,geliebten› Frau), und Bond ist ihnen
danach nicht weiter verpflichtet. Tatiana Romanova teilt mit ihm mehrere Hotelbetten in FROM RUSSIA WITH LOVE (1963), im Hotel und im Orient
Express, verschwindet aber mit dem Ende der Geschichte, da sie in der
nächsten keine Rolle mehr spielt. Jinx und Bond verbringen auf Cuba in
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Bonds Welten
DIE ANOTHER DAY (2002) die Nacht zusammen auf seinem Zimmer, nachdem er sie von der Hotelbar aus hat aus dem Meer steigen sehen. Für Jill Masterson bleiben nur ein paar Stunden, die gleich zur
Gefahr werden, weil es nicht ihr Zimmer ist, sondern Goldfingers. Bond
erobert Jill und bereichert sich dabei an etwas, was ein anderer als seinen
Besitz ansieht – und Jill muss mit dem Leben dafür bezahlen. Liebe, Leidenschaft und Tod spielen sich im selben Raum ab, die Gefahr schwingt
in vielen erotischen Szenen der James-Bond-Filme mit. Auch die sexuelle
Begegnung mit Xenia Onatopp (GOLDENEYE, 1995) ist für Bond eine Mischung aus Erotik und Gefahr, da diese Frau gerne beim Sex mit dem Widersacher den Mann unter sich tötet, indem sie ihm den Brustkorb so
lange mit den Oberschenkeln zusammenpresst, bis er erstickt – aber Bond
kann sich selbstverständlich retten.
All diesen Funktionen und Nutzungsweisen der Hotelräume ist gemein,
dass es James Bond immer um das Taktieren, Täuschen, Gewinnen und
Erobern geht, ob in der körperlichen Liebe oder im Kampf gegen den jeweiligen Schurken der Geschichte. Es ist auch meist eine Form von Gewalt
in den Szenen enthalten, ein Kampf um Dominanz und Macht, bei dem
James Bond seine Überlegenheit beweisen kann, der außerdem in ein luxuriöses Ambiente eingebettet ist und von der Diskretion und Anonymität
der Hotels profitiert. James Bond hat kein klar definiertes Zuhause, das
einen deutlichen Kontrast zu seinen Reiseaufenthalten darstellen würde,
sondern zentrale Bereiche seines Lebens finden auf Reisen statt, in Hotels
im weitesten Sinne. Und James Bond gefällt es:
Aber wir wollen die Beziehung James Bonds zu seinen Hotelzimmern
(oder auch zu dem Schlafwagen, der Schiffskabine, dem Bungalow auf
den Bahamas oder dem Sessel in der Bar) nicht unterschätzen. Der Leser
wird bemerkt haben, dass James Bond sich im anonymen Komfort völlig
behaglich fühlt. (Colombo 1966: 122)
Er genießt den Komfort des Hotels «auf intensive und sinnliche Art» (ibid.),
und zwar nicht nur im Fall von ‹klassischen› Hotelzimmern, sondern auch
in Kabinen auf Schiffen oder in Zügen, die ähnliche Funktionen haben
wie das Hotelzimmer, wie z.B. das Schlafwagenabteil in FROM RUSSIA WITH
LOVE (1963), das als Übernachtungsmöglichkeit und Fortbewegungsmittel
Abenteuer hinter fremden Türen
dient, aber gleichzeitig ein Ort der Erotik und des Kampfes
im Schutz der Anonymität und, gegebenenfalls, Maskerade ist
(Bond und Romanova tarnen sich hier als Ehepaar). Er liebt den Luxus der
Zimmer bzw. der Hotelsuiten, der Bars und der Restaurants ebenso wie
den des Zimmerservice (Fleming 1959: 33).
Fleming beschreibt eine Restaurantszene in GOLDFINGER, in der Bond gemeinsam mit Mr. Du Pont in seinem Hotel in Miami zu Abend isst, mit den
Worten «Bond [...] proceeded to eat, or rather devour, the most delicious
meal he had had in his life.» (Ibid.: 30) Er genießt den Augenblick, ein
luxuriöses, von Champagner begleitetes Menü, das Du Pont ihm spendiert, ist aber bereits im nächsten Augenblick wieder reserviert und lässt
sich den sinnlichen Genuss nicht besonders anmerken. Er will sich nicht
mit Delikatessen ,kaufen› lassen – und bekommt daraufhin 10.000 Dollar
dafür geboten, dass er herausfindet, wie Goldfinger Du Pont beim Spiel in
seinem Hotel betrügt (ibid.: 31).
Die Tatsache, dass es bei diesem Geheimagenten nicht den sonst so
auffälligen Kontrast zwischen Hotel und Zuhause gibt – da man über sein
Zuhause in London so gut wie nichts erfährt – macht die Beziehung, die
James Bond zu seinen diversen Hotelräumen hat, zu einer sehr besonderen. «James Bond [hat] kein Heim.» (Colombo 1966: 122) Ist das Hotel
für viele Menschen eine Abwechslung vom eigentlichen Zuhause, von der
sie sich Erholung, Ruhe oder auch Abenteuer versprechen, so ist es für
James Bond ein notwendiger Raum, der ihm immer nur für kurze Zeit auf
seinen Reisen eine Art Rückzugsort und ein gewisses Maß an Privatsphäre bietet, aber niemals sein Heim werden kann. Er ist ein Heim(at)loser,
Rastloser, der sich weder festlegen noch niederlassen kann und will. Seine
Hotelzimmer sind immer nur Orte des Übergangs, die vor ihm von anderen bewohnt wurden und auch nach ihm andere Gäste sehen werden und
die er nur so lange zu ,seinen› eigenen Räumen machen kann, wie er sie
wirklich nutzt. Sie sind austauschbar und, genau wie seine verschiedenen
Missionen, nur Teil kurzer Episoden in seinem Leben.
Die Hotelindustrie und James Bond
Es lassen sich also mit der Figur James Bond und mit seinem Schöpfer
Ian Fleming verschiedene Hotels und Hotelerfahrungen verknüpfen. Die
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Bonds Welten
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Abb. 8 Das Taj Lake Palace in Udaipur (Indien)
Hotelindustrie weiß dies inzwischen entsprechend zu nutzen: So werden
Hotels rund um die Welt zu Orten des Fan-Kults, der Erinnerung an Bond
und/oder Fleming und natürlich zu Schauplätzen der Marketingstrategien
für die jeweiligen Hotels.
Das Taj Lake Palace in Udaipur (Indien) bot zum Beispiel die Kulisse
des Wasserpalastes in OCTOPUSSY und hat seitdem Bond-Cocktails und
Gerichte mit Namen wie «Moneypenny» oder «Licence to Kill» auf der
Speisekarte, um so auf seine Rolle im Film aufmerksam zu machen und
James-Bond-Fans zu einem Restaurantbesuch oder sogar einem Hotelaufenthalt zu bewegen (Hanisch 2005).
Das Hotel The Northolme, Mahé (Seychellen), das Ian Fleming, wie oben
beschrieben, zu seiner Geschichte «For Your Eyes Only» inspirierte, widmete dem Autor später eine Villa. Die Ian-Fleming-Suite bietet ihren Gästen
eine luxuriöse Ausstattung, an der wohl auch James Bond selbst Freude
hätte, und lockt die Fans des Geheimagenten sogar mit einer kompletten
Bibliothek, die alle James-Bond-Romane und DVDs der Filmreihe enthält
(«A View to a Thrill in the Seychelles with James Bond» 2006: s.p.).
Zweckentfremdet wurde hingegen das Buena Vista Hotel auf den Bahamas für den letzten Bond-Film, CASINO ROYALE. Es dient als einer der
Schauplätze des Films und spielt sozusagen die Rolle der liberischen Botschaft in Madagascar, in der Bond einen Bombenbauer tötet («Bahamas
Hotel to Transform into Liberian Embassy in Madagascar for Casino
Royale Shooting» 2006: s.p.). Bereits bevor der Film in die Kinos kam,
machte das im Kolonialstil erbaute und dadurch als Botschaft eindrucks-
Abenteuer hinter fremden Türen
voll erhaben wirkende Hotel mit dieser Rolle für sich Werbung
und erhoffte sich durch die Verbindung zu James Bond einen besonderen Marketingeffekt. Das Hotel Pupp in Karlsbad wurde zum Hotel
Splendide des Films, in dem Bond und Vesper sich während des Pokerturniers aufhalten, und wirbt seitdem mit einem dreitägigen Sonderangebot
mit dem verlockenden Namen «Auf den Spuren von Agent 007» inklusive
«Abendessen in einer luxuriösen Bar im englischen Stil mit dem Agent 007
Menü» (Grandhotel Pupp 2007: s.p.).
Diese Hotels versuchen, sich durch die Vermischung der fiktionalen
Agentenaufenthalte mit ihrem alltäglichen Übernachtungs- und Restaurationsgeschäft im inzwischen fast unüberschaubaren Markt der Sternehotels von den vielen anderen Orten abzuheben, die im internationalen
Wettbewerb um die Gunst der Reisenden – und damit der potenziellen
Hotelgäste – kämpfen. Jeder möchte seinen Anteil an Bonds Erfolgen und
dem daraus resultierenden Fankult haben. Ob die Reisenden aus geschäftlichen Gründen, in der Hoffnung auf erotische und andere Abenteuer
oder einfach für einen luxuriösen Urlaub eine Unterkunft suchen – in den
James-Bond-Geschichten und der dazugehörigen Hotelwerbung können
sie alle fündig werden.
Resümee: James Bonds Hotelgeschichten
Umberto Eco bezeichnet die Reise als archetypische «Spielsituation» (Eco
1966: 88) in James-Bond-Romanen; die Reise ist ein Wettstreit, aus dem
einer der Kontrahenten als Sieger hervorgehen muss. Der Sieger heißt stets
Bond: «Bond spielt immer, siegreich» (ibid.: 89). Er geht Risiken und Verbindungen zu unterschiedlichen Spielpartnern (und -partnerinnen) ein,
immer mit dem Ziel, am Ende zu gewinnen. Es ist zwar ein Spiel, aber ein
mitunter tödliches, das Bond sehr ernst nimmt. Die Reisesituation zeigt
die Stationen auf seinem Weg zum Sieg auf, und die dazugehörigen Hotelräume werden Zeuge von Eroberung, Verschwörung, Taktik und Spielstrategien. Das Hotel selbst ist wie ein Spielbrett, das feste Regeln (z.B.
routinierte Arbeitsabläufe, Diskretion der Mitarbeiter und Akzeptanz des
Gastes als König) und Spielfiguren (z.B. den Gast, den Rezeptionisten,
den Barkeeper, das Reinigungspersonal) vorschreibt, die in jedem Hotel vorhanden sind, aber in ihrer Ausprägung und in ihren Verhältnissen
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Bonds Welten
zueinander variiert werden können. Der Aufenthalt im Hotel
wird, wie im Spiel, jedoch nicht nur von diesen Regelmäßigkeiten,
sondern ebenso von Zufall und Glück bestimmt.
Anfänglich anonyme und neutrale Hotelräume werden in unterschiedlichen (fiktionalen) Kontexten der Geschichten um 007 zu Orten der Zuflucht, des Verstecks und des Identitätswechsels, zu Orten der Gefahr, des
Hinterhalts und des Todes – und gleichzeitig zu Orten der Lust, der Liebe
und des Besitzens. Dadurch werden laut Eco bei Bond die gegensätzlichen
Prinzipien von Eros und Thanatos, von Lustprinzip und Realitätsprinzip, von
Liebe und Tod vereint (ibid.: 85). Bonds widersprüchliche Identität braucht
das Hotel: Er, der oft als Inbegriff des englischen Gentleman angesehen
wird, ist eigentlich ein Reisender und Heimatloser, der nur einen Teil seiner
Zeit in England verbringt und der seine englische Identität vornehmlich in
der Fremde im Schutz neutraler Hotels konstruiert. Er kämpft für traditionelle Werte und Stabilität, während er selbst ein unkonventionelles und
unstetes Leben führt und seine Abenteuer hinter fremden Türen besteht.
Das Hotel ist daher ein idealer, da immer wieder neu zu gestaltender
Ort für James-Bond-Geschichten, der als Schauplatz für alle Facetten des
Agentenlebens dienen kann. Die Mythenbildung um die fiktionale Figur
wird inzwischen von der Tourismusindustrie ausgiebig zu Vermarktungszwecken genutzt, sobald die Hotels auch nur entfernt mit Fleming oder
Bond in Verbindung gebracht werden können. Dass die realen Hotels so
erfolgreich für James Bond werben können, zeigt unser stetiges Bedürfnis
nach Fiktion(en), das uns in unserer unüberschaubaren postmodernen
Welt nach Identifikationsmustern und Fantasien suchen lässt. Die (fiktionalen) Hotels als Reisestationen helfen Bond bei seinen Spielen bzw.
Missionen, Bond hilft dafür den (realen) Hotels im Wettstreit der globalen
Tourismusindustrie und ihren Gästen auf der Suche nach ihren eigenen
Abenteuern – eine neue Form von Bündnis.
Filmografie
FROM RUSSIA WITH LOVE (GB 1963, D: Terence Young, Sc: Richard Maibaum).
GOLDFINGER (GB 1964, D: Guy Hamilton, Sc: Richard Maibaum).

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