088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war

Transcription

088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war 1/7
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war
Steffen Wettengl | 22.01.2013 | TIM
Entwicklung des Kodak-Aktienkurses von 1965 bis Anfang 2012
(Foto 35mm-Film-Patrone: M. Zellerhoff/wikimedia.org)
Vor einem Jahr erklärte sich Kodak für insolvent. Die Pleite des früheren “Gelben
Riesen” markierte das Ende der Ära der analogen Fototechnik (→ Blog-Eintrag
“Das Ende der silbernen Zeiten”). Glaubte man dem Aktienkurs, war die Kodak-Welt
eineinhalb Jahrzehnte zuvor noch in allerbester Ordnung. Die Aktie galt als erstklassiges Wertpapier (“Bluechip”). Der Kurs erreichte sein Allzeithoch (94,75 $) im
Februar 1997. Genau in dieser Phase begann auf dem Markt für Kameras die
Erfolgsgeschichte der Digitalfotografie. In der Marktstatistik für Deutschland sind
Digitalkameras erstmals für das Jahr 1996 erwähnt, als 35.000 verkaufte Geräte
einen Marktanteil von 0,9 Prozent bedeuteten [1].
Auf den ersten Blick wundere ich mich über den Optimismus, der Anfang 1997 offenbar in Bezug auf Kodaks künftige Entwicklung herrschte. Die anrollende digitale Revolution bereitete den Kodak-Aktionären noch kein Kopfzerbrechen. Als Frühindikator
für fundamentale technologische Veränderungen taugen Aktienkurse scheints wenig
[2]. Das liegt auch daran, dass auf den Aktienkurs vor allem kurz- und mittelfristige
Entwicklungen einwirken. Die haben viel mit dem Gegenwartsgeschäft zu tun, aber
kaum mit der ferneren Zukunft.
In diesem Blog-Eintrag geht es noch einmal um Kodak und den radikalen Technologiewechsel in der Fotobranche. Umbrüche wie derjenige von der analogen zur
digitalen Fotografie zeigen zwei Charakteristika. Sie kündigen sich zwar jahrzehntelang an, vollziehen sich aber relativ schnell, sobald erste Märkte umgeschwenkt sind
(→ Abschnitt 1.). Das Tempo, in dem sich die digitale Fotografie ab Mitte der 1990er
Jahre als neues dominantes Design durchsetzte, wurde bei Kodak unterschätzt.
Zugleich führte die Fokussierung auf gegenwartsbezogene Kennzahlen und kurzfristige Trends die Kodak-Führung in die Irre (→ Abschnitt 2.). Frühzeitige Voraussagen von radikalen Technologieübergängen gelingen aber besser, wenn man das
Konzept sogenannter disruptiver Technologien anwendet (→ Abschnitt 3.).
1. Lange Inkubationszeiten, aber schnelle Umbrüche
“Eine neue Technologie braucht gewöhnlich zwischen fünf und fünfzehn
Jahre, um eine alte zu verdrängen. … Zu beachten ist, dass diese Umschichtungsprozesse, ob man nun Absatz oder Marktanteil betrachtet,
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war 2/7
oft relativ lange Inkubationsfristen haben. Mit einem Schlag kollabiert
oder explodiert dann der Markt, je nachdem, ob ein Unternehmen die
Rolle des Angreifers oder Verteidigers spielt”.
→ Foster: Innovation 1986 | 2006, S. 173 und S. 176
Was Richard N. Foster Mitte der 1980er Jahre allgemein beschrieb, wird durch das
Beispiel Digitalfotografie weitgehend bestätigt. Deren Geschichte beginnt 1969 mit
dem ersten Charge Coupled Device-Bauelement (CCD). Willard Boyle and George
E. Smith erfanden diesen lichtempfindlichen Halbleiter-Typ. Das kanadisch-amerikanische Forscherteam erhielt für diese Leistung 2009 den Physik-Nobelpreis. Nicht
nur neue Technologien, auch Auszeichnungen durch das Nobel-Komitee haben jahrzehntelange Anlaufphasen. 1974 präsentierten Boyle und Smith eine CCD-Videokamera für bewegte Bilder. Bei Kodak bastelte Steve Sasson kurz darauf die erste
Digitalkamera für Standbilder. Sie war Ende 1976 einsatzbereit, wog fast vier Kilo
und hatte einen 100·100-Sensor (0,01 Megapixel). Erwähnenswert ist auch die Sony
Mavica, die 1981 vorgestellt wurde. Außerdem war Kodak das erste Unternehmen,
das einen Megapixel-CCD-Sensor für Digitalkameras vorstellte. Das war 1986 und
belegt – nebenbei bemerkt –, dass Kodak die Digitalfotografie keineswegs verschlafen hat, wie häufig zu lesen ist. Es war vielmehr so, wie ein ehemaliger Kodak-Direktor später meinte: “We were way ahead of the curve in digital even though we were
pretty much a film and chemical company” (zitiert nach Lucas/Goh 2009, S. 51).
Der Weg vom Forschungslabor zum Massenmarkt ist weit. Bei erfolgsträchtigen, aber
grundlegend andersartigen Technologien nehmen Firmen die langen Durststrecken in
Kauf. “Mit einem Schlag” (Foster) dreht schließlich der Wind zugunsten des Neuen.
Zwischen 1996 und 2006 erlebte die digitale Fotografie einen kometenhaften Aufstieg. In Deutschland wurden 2006 rund 7,9 Millionen digitale Fotoapparate an Endverbraucher verkauft. Digicams hatten innerhalb eines Jahrzehnts einen mengenmäßigen Marktanteil von 94 Prozent erobert. Die Rasanz, mit der dieser Siegeszug
auch im Segment der Gelegenheitsfotografen vonstatten ging, überraschte das
Kodak-Management (“Kodak underestimated the speed with which the consumer
segment would adopt digital photography”, Lucas/Goh 2009, S. 52).
Auf den drei Folien dieser pdf-Datei werden die frühen Meilensteine und das Marktwachstum der digitalen Fototechnik sowie das Schrumpfen im Bereich der analogen
Fotografie detailliert verdeutlicht:
Grafiken zum radikalen Technologiewechsel von der analogen zur digitalen
Fotografie (“schwache Signale”, Marktanteile, Absatzmengen)
2. Gegenwartsnahe Finanzzahlen zeigen kurz- und mittelfristige Trends
Die für 1996 verzeichneten 35.000 Digitalkameras sind die ersten, die in der deutschen Marktstatistik auftauchten. In den beiden schwergewichtigsten Ländermärkten
USA und Japan setzte der Erfolg der Digitalkameras etwas früher ein. So wurden im
Leadmarkt Japan 1995 immerhin schon 200.000 Digicams abgesetzt. Es folgte das
bereits beschriebene rasche Wachstum der neuen Technologie. Bemerkenswert ist
aber, dass die Implosion der Märkte für klassische 35mm-Filme und analoge Kameras erst mit Verzögerung begann. In Deutschland stieg beispielsweise die Absatzmenge klassischer Fotofilme noch in den späten 1990er Jahren und erreichte im Jahr
2000 mit 191 Millionen seinen höchsten Stand. Die Dramatik des schon angelaufenen
Technologiewechsels in Richtung Digital (“a once-in-a-hundred-years change”) wurde
dadurch verschleiert.
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war 3/7
Ein lesenswertes Fundstück ist in diesem Zusammenhang auch der Beitrag “How
many photos have ever been taken?” im Blog 1000memories. Der Autor schätzt,
dass das Jahr 2000 auch weltweit dasjenige war, in dem die meisten Fotos mit einer
konventionellen Kamera gemacht wurden. “[T]he 20th century was the golden age
of analog photography peaking at an amazing 85 billion physical photos in 2000 —
an incredible 2,500 photos per second.”
Jonathan Gold: How many photos have ever been taken?
1000memories Blog, 15.09.2011
Erklären lässt sich dies mit dem Trend zur intensiveren Nutzung der analogen Kameras, die in den USA, Japan und Deutschland in nahezu jedem Haushalt vorhanden
waren. Von dieser Entwicklung in den Industrieländern profitierte damals auch Kodak.
Darüber hinaus war die Aufmerksamkeit des Kodak-Managements Mitte der 1990er
Jahre auf ganz neue Abnehmergruppen für die gelb-schwarzen Filmpatronen gerichtet. 1995 gab sich Chief Executive Officer George Fisher überzeugt, dass Kodaks
Film- und Fotopapiergeschäft jährlich 7 bis 9 Prozent Wachstum erzielen könne – für
ein Jahrzehnt.
“Fisher is convinced that Kodak’s traditional film and paper business can
grow at 7% to 9% annually for the next decade, about double the growth
rate in recent years. How? In part, through expansion in the fast-moving
economies of Asia, where Kodak has been badly lagging archrival Fuji
Photo Film Co. And he sees dramatic growth in barely tapped developing markets such as Russia, India, and Brazil. »Half the people in the
world have yet to take their first picture,« says Fisher. »The opportunity
is huge, and it’s nothing fancy. We just have to sell yellow boxes of
film.«“
M. Maremont: Kodak’s New Focus
in: Business Week 12.02.1995
Der Fokus auf die Entwicklung neuer Märkte für die Kodak-Cash-Kühe Film und
Fotopapier wurde auch im Geschäftsbericht 1998 deutlich. Darin wurde zum Zahlenwerk dieser Tabelle die rhetorische Frage gestellt: “What if households in developing markets shot a full roll of Kodak film each year? The gain would be immense.”
Ratio of Households to Rolls of Film Consumed
Japan
USA
Australia
Canada
Korea
France
Germany
UK
Italy
Mexico
Brazil
Thailand
Indonesia
China
Russia
India
Number of households in
these regions (millions)
145
114
92
607
Average rolls of film consumed per household year
8.2
4.6
2.2
0.5
Total rolls of film (millions)
1,189.0
524.4
152.4
303.5
Countries
Quelle: Kodak Annual Report 1998, zitiert nach → Finnerty 2000
Rückblickend kann man sagen: Klar, wäre das ganz toll gewesen, wenn Chinesen,
Inder und Russen ihren Durchschnittsverbrauch an Filmen verdoppelt hätten. Diese
von Kodak erhoffte Entwicklung blieb aber aus. In den Schwellenländern haben viele
Menschen das erste Foto ihres Lebens nicht mit einer analogen, sondern mit einer
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war 4/7
digitalen Kamera bzw. einem Kamerahandy gemacht. Das kann man als mehr oder
weniger bewusstes nachfrageseitiges Leapfrogging interpretieren (→ Leapfrogging
im Gabler-Lexikon).
Als der Kodak-Aktienkurs Anfang 1997 sein Allzeithoch erreichte, waren Management und Aktionäre von den weiter vorhandenen globalen Wachstumschancen für
das klassische Geschäft des Unternehmens überzeugt. Kurzfristig (bis zum Jahr
2000) war dies sogar berechtigt. Das Thema Digitalfotografie erschien dagegen als
eine sehr langfristige Herausforderung und beeinflusste die Bewertung weniger. Die
positive Einschätzung wurde auch gestützt durch die beeindruckende anfängliche
Erfolgsbilanz von Kodak-CEO George Fisher. Der war Ende 1993 angeheuert
worden, als Kodak mehr schlecht als recht mit einer 5-Prozent-Umsatzrendite vor
sich hindümpelte.
Wenige Monate nach Fishers Dienstantritt brachte ein Artikel im Fortune-Magazin die Ausgangslage für Fisher auf den Punkt:
“The dramatic restructuring of U.S. industry won’t be over, as the saying
goes, until the fat lady sings. Hundreds of companies have performed
massive renovations — Ford, Chrysler, Texaco, Xerox, IBM. But now the
diva enters. She is the last of the great, corpulent, 20th-century American enterprises to sing the rejuvenation aria. She walks to center stage.
She turns to the audience. She is Eastman Kodak. Yes, deep change is
coming to Kodak, one of the most bureaucratic, wasteful, paternalistic,
slow-moving, isolated, and beloved companies in America.”
P. Nulty: “Kodak Grabs for Grwoth Again”
in Fortune vom 15. Mai 1995
George Fisher schaffte es in einer ersten Etappe (1993 bis 1996), die “fette Diva”
Kodak wieder in Schwung zu bringen. Mit “restructuring and focusing on some
fundamentals” (→ Fisher) wurden Marktanteile vom Erzrivalen Fuji zurückerobert.
Umsatzerlöse und Betriebsergebnis stiegen. Der Kurs der Kodak-Aktie stieg entsprechend ordentlich (siehe oben).
Kodak in Zahlen (Mrd. US-Dollar)
Jahr
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
Umsatzerlöse
12,7
13,6
15,0
16,0
14,5
13,4
14,1
14,0
0,6
0,6
1,3
1,0
0
1,9
2,0
2,2
Operatives Ergebnis
Quelle: → getfilings.com
Mit dem Wissen von heute ist klar, dass zu den Zeiten des Höhenflugs an der Börse
Kurz- und Mittelfristtrends die Einschätzung der damaligen Anleger prägten. Das
gilt übrigens auch für die Delle in Umsatz, Gewinn und Aktienkurs, die 1997 nach
dem Rekordstand des Aktienkurses folgte. Eine ihrer Ursachen war der zwischenzeitlich starke Dollarkurs, der den Export behinderte.
Das Bild einer strategischen Analyse ist erst mit einer Voraussage der langfristigen
technologischen Trends und Umbrüche vollständig. Es geht nicht nur um die
Kenntnis gegenwartsnaher Daten, sondern die Einsicht in tieferliegende Verschiebungen (“insights, not numbers”).
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war 5/7
3. Digitalfotografie als disruptive Innovation
Kodak-Aktienkurs erreichte − wie schon erwähnt − sein Allzeithoch 1997. Im selben
Jahr veröffentlichte Clayton Christensen sein Buch “Innovator’s Dilemma”, in der
ersten Auflage noch ohne Hinweis auf Digitalfotografie [3]. Dabei passen die technologischen Umwälzungen in der Fotobranche und der Niedergang Kodaks bestens
zum Konzept der Disruptive Innovations des Harvard-Professors.
Christensens Kernaussage: “Disruptive” neue Technologien erobern Märkte und
Kundensegmente in Etappen. Aufgrund ihrer anfänglichen Leistungs- und (oder)
Kostennachteile[4] haben disruptive Technologien auf Mainstream- bzw. Massenmärkten erst einmal keine Chancen. Anfangserfolge lassen sich aber auf solchen
(Nischen)Märkten erzielen, die durch spezifische Anforderungen der Kunden gekennzeichnet sind. Dazu passend liefert eine erfolgsträchtige neue Technologie
einen besonderen funktionalen oder integralen Nutzen. Etablierte Marktführer unterschätzen disruptive Neuentwicklungen häufig, weil diese zunächst nur “auf Nebenschauplätzen” punkten können.
Die ersten Generationen digitaler Kameras hatten gegenüber herkömmlichen Fotoapparaten fast nur Nachteile. Sie waren viel teurer, und die Bildqualität war mau. Ein
maßgeblicher Vorteil der neuen Technologie war aber die Echtzeitverfügbarkeit der
digitalen Bilddaten. Abzüge müssen nicht erst entwickelt werden, Fotos lassen sich
sofort betrachten, Bilddateien können im Nu versendet und weiterbearbeitet werden.
Nützlich ist das z. B. für Reportagefotografen. Neben dieser Anwendergruppe konnten sich auch stark IT-affine Nutzer – “Foto-Nerds” sozusagen – früh für die digitale
Fotografie begeistern. Und ab ca. 1995 waren für diese Erstanwender die Faktoren
(schlechte) Bildqualität und (hohe) Kosten keine K.O.-Kriterien mehr, sondern nur
noch Nachteile, die man bereit war, in Kauf zu nehmen.
Grafik: Digitale Fotografie als disruptive Innovation
Dass die Digitalfotografie im Lauf der Zeit auch den großen Markt der Gelegenheitsfotografen erobern würde, war eigentlich abzusehen. CCD-Sensoren sind
Halbleiterchips. Da gelten Gesetzmäßigkeiten wie die von Gordon Moore für integrierte Schaltungen formulierte Regel zur regelmäßigen Verdopplung der Performance bei vergleichbaren Kosten. Auch die Aussagen des → S-Kurven- und →
Erfahrungskurven-Konzeptes waren seit den 1980er bzw. 1970er Jahren bekannt.
Dennoch fiel es den Kodak-Managern Mitte der 1990er Jahre schwer, sich auch für
die Marktsegmente der professionellen Berufs- und der ambitionierten Hobbyfotografen eine filmlose Zukunft vorzustellen. Digital und Analog könnten noch geraume
Zeit “koexistieren”. In einem Zeitungsinterview gab der damalige Kodak-CEO George
Fisher Ende 1997 zu Protokoll: “Electronic imaging will not cannibalize film.”
(zitiert nach Gavetti et al. 2005, S. 6).
Der Financial Times-Redakteur Tony Jackson schrieb 2011 rückblickend:
“Kodak’s then chairman, George Fisher, was in an excellent position to
know better. A technologist to his fingertips, he had recently moved from
running Motorola. But faced with the stubborn Kodak reality, he took an
awkward halfway position.
Film would co-exist with digital. If nothing else, he argued [...] it was
cheaper.
A picture taken with Kodak’s top-of-the-range digital camera would print
out on silver halide paper with no loss of quality. But the camera cost
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war 6/7
$27,000. Even Kodak’s cheapest, with a poorer image than film, cost
$1,000. That would change, he conceded. But »the popular scientists
get carried away with the pace of those things«.”
(Hervorhebung nicht im Original)
T. Jackson: Kodak fell victim to disruptive technology,
ft.com 2.10.2011
Geirrt hat sich letztlich George Fisher. Innerhalb weniger Jahre waren Digitalkameras
sogar reif für das High-End-Segment, der letzten Domäne der analogen Fotografie.
Das Entwicklungstempo, mit dem bei der Digitalfotografie ab 1997 Leistungsverbesserungen und Kostenreduzierungen erzielt wurden, war schneller, als der damalige
Kodak-Chef glaubte. Beziehungsweise glauben wollte. An dieser Stelle kann ich es
mir nicht verkneifen, den deutschen Edelkamera-Produzenten Leica zu erwähnen.
Noch im Jahr 2004 (!) sagte der damalige Leica-Vorstandschef Cohn im
Spiegel-Interview:
“Die Digitaltechnik ist nur ein Intermezzo. In spätestens 20 Jahren werden wir sicher mit anderen Technologien als heute fotografieren. Aber
den Film wird es dann immer noch geben.”
SPIEGEL: Sie klingen wie ein Musikfan, der immer noch seine VinylLangspielplatten abstaubt.
“Bei der Musik geht es nur um das Speichermedium. Beim Fotografieren geht es auch um Kreativität. Die Digitaltechnik setzt auf Masse, auf
Tempo und ist damit wie die E-Mail ein Ausdruck unserer Zeit. Mit den
Handy-Kameras kommt auch noch die Invasion privater Paparazzi.
Aber Fotografieren ist etwas anderes, etwas Besinnliches – das wird
es immer geben.”
K.-P. Kerbusk: Der große Bilder-Sturm,
Der Spiegel Nr. 39/2004
Selbsthypnose anno 2004.
Kodak hatte da gerade angekündigt, in Nordamerika und Westeuropa keine 35mmKameras, sondern nur noch digitale Modelle zu verkaufen. Ein Bluechip war der
ehemalige Branchenprimus damals schon lange nicht mehr.
Mit diesem Blog-Eintrag enden zwei Miniserien. Diejenige über Kodak und diejenige
aus Anlass des Jubiläumsjahres von Clayton Christensen, dem Erfinder des
Disruptive Innovation-Konzepts.
Verwandte Blog-Einträge:
t Steve Sasson und die erste Digitalkamera
t Happy Birthday, Clayton Christensen!
t Ende der silbernen Zeiten
t 6 Sterne für “The Innovator’s Dilemma”
Anmerkungen:
1 Alle Marktdaten zum deutschen Markt stammen von der Prophoto GmbH.
2 Ein Blick in den Duden: scheints = (landschaftlich, besonders süddeutsch und
schweizerisch) vermutlich, anscheinend
088 1997: Als Kodak noch ein Bluechip war 7/7
3 In die deutsche Fassung von “Innovator’s Dilemma”, die erst 2011 erschien,
bauten Christensens Mitautoren den Abschnitt “Disruption in der Fotografie
– oder: Wie die Digitalkamera die Branche revolutionierte” ein (Christensen/
Matzler/v. d. Eichen (2011), S. 39-49).
Übrigens: In € diesem anderen lesenswerten Buch, das wie Christensens
“Innovator’s Dilemma” 1997 erschien, erläuterten die vier Autoren auf den
Seiten 144 ff. ihre technologische Voraussage, dass die digitale die analoge
Fotografie ablösen würde.
4 Christensen schreibt in der Einführung zu “Innovator’s Dilemma”: “Products
based on disruptive technologies are typically cheaper, simpler, smaller, and
frequently more convenient to use” (Christensen 1997, S. XV). Dies passt zwar
im Paradefall “seiner” unterschiedlichen Generationen von Computerfestplatten
(8”- € 5.25”- € 3.5”- € 2.5”-Platten), lässt sich aber nicht verallgemeinern. Bei
der digitalen Fotografie waren die frühen Technologiegenerationen sehr teuer,
sehr schwer und sehr unhandlich.
Literatur:
ƒ Christensen, C. M.: The Innovator’s Dilemma. When New Technologies Cause
Great Firms to Fail, Boston 1997. → Auf Google Books teilweise online.
ƒ Finnerty, T. C.: Kodak vs. Fuji: The Battle for Global Market Share, Fallstudie an
der Pace University, New York → vollständig online.
ƒ Foster, R. N.: Innovation. Die technologische Offensive, Wiesbaden 1986. → Auf
Google Books ist die Neuauflage von 2006 größtenteils online.
ƒ Gavetti, G.; Henderson, R.; Giorgi, S.: Kodak and the Digital Revolution, Fallstudie
der Harvard Business School, überarbeitete Fassung, Boston 2005. → Für registrierte “Educators” hier kostenfrei online verfügbar.
ƒ Lucas, H. C.; Goh, J. M.: Disruptive technology.How Kodak missed the digital
photography revolution, in: Journal of Strategic Information Systems 18 (2009) 1,
S. 46-55.
Tags: Clayton Christensen, Digitalfotografie, Disruptive Innovation, Fotoindustrie,
Kodak, Leapfrogging, Radikale Innovation, Technologische Voraussage

Documents pareils