Interview aus der Januar-Ausgabe 2011 als

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Interview aus der Januar-Ausgabe 2011 als
O
OTT
• Exklusiv: Das Reader’s Digest-Interview
ist zurück
Mit dem Kinofilm Otto’s Eleven
und ungewohnt ernsten Gedanken
zu sich und seiner Spaßkultur
Foto: © peter hönnemann
Vo n Chri sti a ne Kol b
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Kann der Mann ernst sein? Oder werden
die seriösen Fragen vor lauter Klamauk auf der
Strecke bleiben? Beim exklusiven Reader’s
Digest-Interview in Hamburg wird schnell klar:
Er kann. Otto Gerhard Waalkes, der bekannte
und beliebte Komiker, antwortet konzentriert
und verbindlich. Trotzdem: Ab und zu kann er
nicht anders und lässt seiner Lust am gepflegten
Reim freien Lauf. Oder er singt – die Gitarre
liegt für alle Fälle an seiner Seite. „Hollederidi“,
ruft er dann und strahlt.
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Otto ist Komiker mit Leib und Seele
und macht auch kurz vor dem Rentenalter am liebsten – Quatsch. Seine
zappelige Energie kanalisierte er während 38 Berufsjahren in fast 20 TVShows, rund zwei Dutzend Schallplatten, neun Kinofilmen, zahlreichen Büchern und aktuell in
seiner neuesten Kinokomödie
Otto’s Eleven. Sein Motto heißt:
„Bloß nicht erwachsen werden“,
und das lebt er auch mit 62 Jahren aus. Er trägt einen knallblauen Kapuzensweater, lässig
weite Jeans und die obligatorische
Baseballkappe. Mit diesem Outfit, den
blauen Augen und Lachgrübchen, die
frisch statt faltig wirken, scheint er
tatsächlich alterslos.
Wenn Otto spricht, hat man den
Eindruck, dass sich die Wörter zu
überholen versuchen. Seine Komik ist
witzig wie eh und je: In der neuen
Komödie Otto’s Eleven bricht Otto als
Wattmaler mit vier Freunden auf, um
sich ein wertvolles Gemälde zurückzuholen, das ihm der Casinobesitzer
Jean Du Merzac (alias Sky du Mont)
geraubt hatte. Ein Spaßfeuerwerk erster Güte. Im Interview dagegen macht
Otto Waalkes ernst – und gewährt ungewohnt nachdenklich Einblicke in
sein Leben, in Höhen und Tiefen, in
seine Komik und seine persönliche
Narrenfreiheit, die er sehr genießt.
gefallen hat. Die Zahl passt: Erst waren es Die Sieben Zwerge, jetzt Otto’s
Eleven, in Zukunft vielleicht Otto und
das dreckige Dutzend, Otto Baba und
die vierzig Räuber und dann 101 ostfriesische Dalmatiner! Der Film ver-
schend gut, Mario ist auch sehr, sehr
eigenständig. Ich mag aber auch Hape
Kerkeling und Helge Schneider, Bastian Pastewka, Mirco Nontschew,
Max Giermann und und und. Das sind
große Talente, sonst würde ich mit
denen nicht zusammenarbeiten.
Ich finde, Humor
sollte von unten
kommen und nicht
von oben herab
darauf, Steven Soderberghs Kinoerfolg
„Ocean’s Eleven“ zu parodieren?
Otto Waalkes: Zuerst war es nur
das Wortspiel mit dem Titel, das mir
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Komiker-Kollegen im Fernsehen?
Otto: Klar, regelmäßig von zu Hause
aus. Und auch live. Wir kennen uns
doch alle, sitzen nach der Show zusammen und haben Spaß. Arbeit und Privatleben kann ich nicht trennen, zu
beiden gehört bei mir viel reden, viel
fernsehen, viel hören, lesen, gucken,
alles mitbekommen, offen sein.
beugt sich vor dem Vorbild, ist aber
keine Parodie, dazu hat er zu viel Eigendynamik entwickelt.
RD: Stammen die Musikeinlagen alle
aus Ihrer Feder?
RD: Schauen Sie sich auch ernste Pro-
Otto-Film. Ich liebe das, weil ich ja von
der Musik her komme (singt eine der
Film-Einlagen): „Wo wir zu Hause sind,
das weiß doch jedes Kind, da weht ein
frischer Wind, durch unseren Spind,
mzp, mzp, mzp, ein frischer Wind
durch unsren Spind. Boink. Ha.“
Otto: Ja, alles. Neulich habe ich sogar
Otto: Ja, das ist typisch für einen
gramme oder den „Tatort“ an?
Bauer sucht Frau geguckt.
RD: Was halten Sie davon?
Otto: Das ist klasse – das lässt sich
RD: Sie bringen die Welt zum Lachen.
Worüber lachen Sie eigentlich selbst?
Otto: Über mich. Das fand ich ganz
witzig gerade, oder?
RD: Stimmt. Aber können Sie auch
über deutsche Comedians der jüngeren
Generation lachen, etwa über Cindy
aus Marzahn, Johann König oder
Mario Barth?
Otto: Ja, Cindy habe ich neulich in
Hamburg gesehen, sie war überrareadersdigest.de 01/11
Foto: © peter hönnemann
Reader’s Digest: Wie kamen Sie
RD: Verfolgen Sie die Sendungen der
alles parodieren! Genau wie Werbung (er singt auf „We will rock you“
von Queen): „Opa ist Handwerkerkönig, hämmert jeden Tag, und er
macht uns noch wahnsinnig, haut
Löcher in die Wand, bringt uns
um den Verstand und bohrt sich
den Nagel direkt durch die
Hand. So viel Scheiß baut Opi.“
RD: Was darf Humor, und wo
hört der Spaß auf?
Otto: Was ich nicht mag, ist,
wenn Leute auf der Straße überfallen werden und man sich über ihre
unbedarften Antworten lustig macht.
Wenn man sich für einen Gag einen
Schwächeren sucht und den vorführt,
statt sich selbst etwas auszudenken.
Ich finde, Komik sollte von unten
kommen und nicht von oben herab.
RD: Ihre Komik galt nie als besonders
gesellschaftskritisch. Ihr neuer Film
jedoch nimmt die Fremdenfeindlichkeit
ausgiebig aufs Korn. Ist Ihr Humor politischer geworden?
Otto: Nein. Wenn man als Komiker
Tabus bricht, hat das immer ein gesellschaftskritisches Element, mal
mehr, mal weniger. Ich bin aber kein
Kabarettist, das ist nicht meine Richtung – über meine Nummern kann
man nachdenken, muss man aber
nicht. Ich mag mein Publikum nicht
bevormunden.
Otto waalkes
1948 Otto Waalkes wird am 22.Juli in
Emden/Ostfriesland geboren. Mit elf
Jahren tritt er in einem Kaufhaus mit
dem „Babysitter-Boogie“ auf, mit 16
spielt er erstmals mit seiner Band „The
Rustlers“ im Raum Emden.
1970 Studium der Kunstpädagogik in
Hamburg.
1972 Erster großer Auftritt als Komiker
mit den „Rustlers“ in Hamburg, die LP
„Otto“ erscheint.
1973 TV-Durchbruch mit der legendären „Otto-Show“. Er wird zum populärsten Komiker des deutschen Fern­
sehens.
1985 Sein erster Kinofilm „Otto – Der
Film“ bricht Zuschauerrekorde. Es folgen vier weitere Otto-Filme bis 2000.
1987 Eröffnung von „Dat Otto Huus“ in
Emden als privatem Otto-Museum.
2004 Otto ist als Zwerg Bubi mit vielen
deutschen Comedians im Kinofilm „7
Zwerge – Männer allein im Wald“ zurück auf der Leinwand.
2010 Sein neuester Film „Otto’s Eleven“ feiert Premiere, unter anderem
mit Sky du Mont, Olli Dittrich, Mirco
Nontschew und Max Giermann.
2011 Fortsetzung seiner Tournee „Otto
– Live“ vom 31.3. bis 15.5.2011.
Otto ist seit September 2000 mit der
24 Jahre jüngeren Schauspielerin Eva
Hassmann verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe und
CK
lebt in Hamburg-Blankenese.
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ckeln dauert oft jahrelang. Aber wenn
du zu viele Filme machst, Otto der
Film, Otto der neue Film, Otto der alte
Film, Otto der Tesafilm oder Otto der
Ölfilm, dann erschöpft sich das irgend­
wann. Und plötzlich kommen Die sie-
Geschäft. Würden Sie sagen, dass sich
der Humor seit den Siebzigern verändert hat?
Otto: Ich finde, er hat sich bereichert,
mit vielen neuen Formen und Comedians. Andererseits ist es schwerer
geworden, Tabus zu brechen. Eines
aber hat sich für uns Komiker grundlegend gewandelt: Früher konnte man
davon ausgehen, dass alle im Publikum Sendungen wie Das Wort zum
Sonntag, Die Hitparade, Sportschau
oder bestimmte Werbespots gut kannten. Heute frage ich mich schon selbst
manchmal bei Parodien: Welcher
Schuldenberater, Fernsehkoch oder
welche Castingshow ist denn jetzt
gemeint? Es dauert länger, bis etwas
parodiefähig wird, weil es so viele
konkurrierende Programme gibt.
RD: Und hat sich Ihre Komik auch verändert?
Otto: Geblieben ist das jugendliche
Aussehen (zupft sich kokett an den
Haaren), die Musik, Lieder und Geschichten, die Gitarre, das frische Auftreten, Parodien, Reime, Kalauer. Ich
habe einen Vorteil: Ob man nun eine
Vorlage kennt oder nicht – für meine
Komik bleibt die Sprache die gemeinsame Grundlage, da kann jeder mit­
lachen.
RD: In den Neunzigerjahren hat man
nicht so viel von Otto gehört. Was war
da los?
Otto: Eigentlich habe ich immer an
etwas gearbeitet, einem Film, einer
Show, einer Tournee. Etwas zu entwireadersdigest.de 01/11
RD: Testen Sie Ihre Gags eigentlich an
anderen?
Otto: Ja, an meiner Ehefrau, an Kin-
dern, Taxifahrern oder Kellnern.
Wenn der Taxifahrer lacht – vor dem
Trinkgeld –, dann funktioniert es.
RD: Geht es Ihnen nicht auf die
Nerven, wenn alle nur darauf
warten, wie lustig Sie sind?
Otto: Nein, ich empfinde es
als große Bestätigung, wenn
sich die Menschen über mich
freuen. Man lernt nur nette
Leute kennen: „Ach Otto, Sie wollte
ich schon immer kennenlernen“ – „Ich
Sie auch“, sage ich dann.
Wenn der Taxifahrer
vor dem Trinkgeld
lacht – dann funktioniert
ein neuer Gag
ben Zwerge, bamm, und es geht wieder
weiter.
RD: Jeder hat mal Tiefpunkte. Wie
überwinden Sie Ihre?
Otto: Indem ich den nächsten Höhe-
punkt ansteuere. Und mich frage: Was
würde mir noch Spaß machen? Was
kann ich besser machen? Selbstzweifel finde ich normal. Ich habe ständig
Bedenken, ob etwas wirklich komisch
ist. Wenn es funktioniert, freue ich
mich umso mehr.
i l l u s t r at i o n : © O t t o wa a l k e s
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RD: Sie sind fast 40 Jahre im Spaß-
RD: Wie entwickeln Sie Ihre Nummern?
Otto: Manchmal laufe ich durch
die Küche, und mir fällt etwas
ein. Dann schreibe ich es auf.
Später diskutiere ich jedes Wort
mit Freunden, Autoren wie Bernd
Eilert und für Otto’s Eleven natürlich mit dem Regisseur Sven Unterwaldt. Wir ziehen uns in einer Runde
wochenweise ins Scherzbergwerk zurück, da wird gebuddelt und geschürft,
das ist Drecksarbeit.
RD: Wie witzig sind Sie im Alltag?
Otto: Hat man Lust, jeden Tag das
Gleiche zu tun? Nein. Aber meistens
habe ich Lust, kreativ zu sein. Da wache ich auf und will gleich ein bestimmtes Stück auf der Gitarre spielen – dann gehe ich hin und spiele.
Manchmal, wenn ich verkatert bin,
bleibe ich lieber gleich im Bett. Fernseher an, Beine hoch, oder raus­
gucken – Hollederidi.
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RD: Woher stammt eigentlich der berühmte Otto-Gang?
Otto: Der ist schon früh auf der
Bühne entstanden, um schnell abzugehen: Knie hoch, Hände anziehen
und weg. „Da kommt er wieder“, sagten die Leute plötzlich, und so wurde
der Gang zu einem Erkennungszeichen. In Otto’s Eleven verfallen sogar
schöne Frauen in den Otto-Gang.
Pausenzeichen, auf das ich mich schon
vorher gefreut habe. Und wenn ich
manche Stars von damals sehe, die
heute auf Revival-Tour gehen, dann
bin ich froh, dass nichts daraus geworden ist. Außerdem spiele ich ja noch
mit meiner Band, den „Friesenjungs“,
auf Konzerten, eingedeutschte Rocksongs, Coverversionen, Eigenkompositionen. Alles, was mir Spaß macht.
RD: Haben Sie noch Kontakt zu Udo
RD: Ist Ihr Humor angeboren?
Otto: Angeboren, ich weiß nicht.
Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen, mit denen Sie in Ihrer Studentenzeit zusammen wohnten?
Otto: Klar, wir sehen uns ab und zu.
Mann, das war abenteuerlich, wir bewohnten mit 14 Mann eine weiße Villa
nahe der Hamburger Außenalster,
gleich da, wo Gunter Sachs seine Bude
hatte. Heute ist das eine der feinsten
Adressen in Hamburg.
RD: Ihre ehemaligen Mitbewohner
sind Rockstars, das war einst auch Ihr
Traum. Sind Sie traurig, dass daraus
nichts geworden ist?
Otto: In den Sechziger-, Siebzigerjahren wollte jeder Popstar werden.
Aber das bin ich einfach nicht, ich
habe schon immer Komik und Musik
gemischt. „Hollederidi“ war mein
Aber ich wurde nie richtig ernst genommen, weil ich kleiner war als die
anderen und eine helle Stimme hatte,
die lustig klang. Ich sah im Profil aus
wie der Hohnsteiner Kasper (eine
Puppe, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren im TV zu sehen war). Die
Leute haben darauf reagiert, und ich
entsprechend. Das hat sich so fortgesetzt bis heute, und das hat merkwürdigerweise kein Verfallsdatum und
keine Altersgrenze, denn auch Kinder
sagen zu mir: „Du bist so lustig.“
RD: Gibt es denn auch Dinge, die Sie
ernst stimmen?
Otto: Ja. Nachdenkliche Gespräche
wie dieses hier, die hinterfragen, was
ich tue.
idealer job
Die Nachtschichten bei uns im Lager schrecken viele Arbeitsuchende ab.
Bis auf einen: „Eigentlich dürfte es mir nichts ausmachen, die ganze Nacht
aufzubleiben“, erzählte der junge Mann beim Bewerbungsgespräch. „Das
bin ich ja schließlich gewöhnt, weil ich ohnehin drei bis vier Nächte die
Shan non Morrison, USA
Woche auf Partys durchfeiere.“
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