Giuseppe De Gregorio (Universität Salerno) Zur handschriftlichen

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Giuseppe De Gregorio (Universität Salerno) Zur handschriftlichen
Der Sonderforschungsbereich „Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa“
lädt ein zu einem Gastvortrag von
Giuseppe De Gregorio
(Universität Salerno)
über das Thema
Zur handschriftlichen Überlieferung des Dialogus contra Iudaeos
des Andronikos Palaiologos
Am Beispiel der Überlieferung des Werkes eines hohen Angehörigen der byzantinischen kaiserlichen
Palaiologenfamilie werden im Rahmen des Hamburger Projekts einige Aspekte der spät- und
nachbyzantinischen Manuskriptkultur präsentiert. In den Mittelpunkt wird der Dialogus contra Iudaeos
aus der Feder des Andronikos Palaiologos (eines Cousins des gleichnamigen zweiten Herrschers der
Palaiologendynastie) gestellt. Von den zwei ältesten Textzeugen (Vindob. theol. gr. 118 und Paris. gr.
2750A) ist dem Wiener Codex besondere Bedeutung beizumessen: Es handelt sich hierbei um ein
zeitgenössisches Arbeitsexemplar, dessen Schrift sich in jenen konstantinopolitanischen Stil einfügt,
der just zur Entstehungszeit des Dialogus (um das Jahr 1310) und unmittelbar danach sowohl für die
Handschriftenproduktion im Auftrag von Spitzenbeamten und Staatsmännern als auch für die
feierlichsten von der Kaiserkanzlei ausgestellten Urkunden am Kaiserhof seine Verwendung fand. Ein
weiterer starker Hinweis darauf, daß der Vindobonensis einmal direkt mit dem Autor des Dialogus,
Andronikos Palaiologos, in Verbindung stand, findet sich auf dem letzten Blatt des Codex, wo plötzlich
der Name des Literaten in der für diese Zeit typischen feierlichen Ausstattung voll enthüllt wird,
nämlich durch den Einsatz – auf der dazu eigens mit einer charakteristischen dekorativen Textfigur
vorbereiteten Seite – von vier Monogrammen. Diese Art von „Identifikationsmarke“ ist nicht nur auf
Münzen oder Siegeln verwendet worden, auch Architekturteile, Gemälde, Handschriften oder
Erzeugnisse der Toreutik geben in der kunstvollen Form des Anbringens von Monogrammen von ihren
Stiftern, Förderern, Besitzern und auch Autoren Kunde. In der spätbyzantinischen Gesellschaft
handelt es sich bei dem Einsatz derartiger Monogramme um eine Rangbestimmung innerhalb der
höfischen Hierarchie, eine Bestimmung, die auf Grund des Legitimationsprinzips und der
Kaiserideologie der ersten Herrscher der Palaiologendynastie einen großen Anklang fand. Von den
Renaissanceabschriften, die alle auf den Vindobonensis zurückgehen, sind der Berol. Phillipps 1455
Centre for the Study of Manuscript Cultures (CSMC)
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und der Monac. gr. 131 besonders hervorzuheben, die von zwei im Umfeld des griechischen
Patriarchats tätigen Kopisten der Familie Malaxos im nachbyzantinischen Konstantinopel des XVI.
Jahrhunderts angefertigt wurden. Beide Handschriften spiegeln getreu den Text der direkten Vorlage
wieder, in mancher Hinsicht in der Form einer nahezu „bildgetreuen“ Wiedergabe: Im Berolinensis des
Manuel Malaxos finden wir sogar die nur im Vindobonensis vorhandenen Monogramme des Autors, im
Monacensis des Ioannes Malaxos hingegen – wo zwar für die Monogramme Platz gelassen wird –
unterließ der Kopist zwar ihre Ausfertigung, bemühte sich aber trotzdem bei der Anlage der Seite mit
dem figurenförmig gestalteten Text, die mise en page der Vorlage bis ins kleinste Detail zu imitieren.
Von der Hand der Malaxoi besitzen wir nicht wenige Beschreibungen von Kunstwerken, Angaben, in
denen auch nachgemalte Monogramminschriften zu finden sind. Die Auseinandersetzung mit der
byzantinischen Vergangenheit und die Beschäftigung mit den Denkmälern, welche die Spuren einer
glorreichen Zivilisation trugen, erklären sich sowohl mit einem gewissen ethnischen und religiösen
Widerstand der Griechen gegen die türkische Herrschaft über ihre einstige Hauptstadt als auch mit
den antiquarischen Interessen begüterter westlicher Reisender an den kaiserlichen Ruinen
Konstantinopels. Als Zeichen für dieses Beharren auf der nationalen griechischen Identität im
ausgehenden XVI. Jahrhundert zählen eben auch Werke der religiösen Polemik im kulturellen Streit
gegen die anderen auf dem Gebiet des ehemaligen byzantinischen Reiches vorhandenen ethnischen
Gruppen, in erster Linie gegen die muslimischen Türken, aber auch gegen die aus Spanien und
Portugal ausgewiesenen, im osmanischen Reich und vor allem in dessen Hauptstadt Konstantinopel
ansässig gewordenen sephardischen Juden. Aber der Dialogus ist auch in die dogmatischen
Auseinandersetzungen der Gegenreformation geraten. Aus der Bibliothek des Kardinals Guglielmo
Sirleto, einer der führenden Figuren der römischen Kirche in der nachtridentinischen Zeit, erhielt der
flämische Humanist Johannes Livineius als Leihgabe jene Handschrift, die er als Grundlage für seine
lateinische Übersetzung (der einzige bis heute in gedruckter Form vorhandene Text des Dialogus)
nahm. Ein Überblick zum Umlauf des Textes in der römischen Kurie in der Spätrenaissance rundet
das Bild der Rezeption einer byzantinischen literarischen Rarität ab.
am 15. Dezember 2011
um 18 Uhr
Sonderforschungsbereich „Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa“
Rothenbaumchaussee 34
Centre for the Study of Manuscript Cultures (CSMC)
www.manuscript-cultures.uni-hamburg.de