Bedeutung der Bau- und Immobilien

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Bedeutung der Bau- und Immobilien
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006
567
Bedeutung der Bau- und Immobilienwirtschaft für die Wettbewerbsfähigkeit
von Städten und Regionen
1 Fragestellung und Problemaufriss
Die Bau- und Immobilienwirtschaft in
Deutschland besitzt eine hohe wirtschaftliche Bedeutung. So entfällt hierzulande
mehr als die Hälfte des Kapitalstocks, also
des Vermögensbestandes der Volkswirtschaft auf Immobilien. Aber auch für die
laufende Produktion und die Beschäftigung
ist der Bau- und Immobiliensektor bedeutend. Der Anteil der Branchen Baugewerbe
und Immobilien am Bruttoinlandsprodukt
(BIP) wird einschließlich Vorleistungseffekten für Deutschland auf fast 20 % taxiert.1
Die wirtschaftliche Dynamik der Bau- und
Immobilienbranche ist sehr heterogen.
Die Immobilienwirtschaft weist seit Jahren
hohe Zuwächse auf, während im engeren
Bereich der Bauproduktion Wertschöpfung
und Beschäftigung eher rückläufig sind.
Aber auch in der Bauproduktion scheinen
sich die Entwicklungsperspektiven wieder
aufzuhellen. So wird für 2006 wieder mit realen Zuwächsen beim Wirtschaftsbau und
einem stabilen öffentlichen Bau gerechnet.
Lediglich im Wohnungsbau werden weitere
Rückgänge erwartet.2
Die Entwicklung in der Bau- und Immobilienbranche ist mit ständigen strukturellen
Veränderungen verbunden. Wachsende
Bedeutung erlangen Dienstleistungstätigkeiten innerhalb dieser Segmente, wie z. B.
das Facility Management. Wie sich diese
Entwicklung auf die Wettbewerbsfähigkeit
verschiedener Regionstypen auswirkt und
ob die Bau- und Immobilienwirtschaft als
Treiber der jeweiligen Regionalökonomie
fungieren kann, steht im Mittelpunkt des
vorliegenden Beitrags.
2 Theoretischer Hintergrund
Bevor genauer auf die empirische Messung
der Bauwirtschaft und der Immobiliendienstleistungen sowie ihrer Bedeutung
in deutschen Regionen eingegangen wird,
werden hier zunächst zwei mögliche theoretische Bezüge für eine Verknüpfung von
Bau – und Immobilienbranche und Regionalentwicklung dargelegt und erläutert, um
sie für den Erklärungszusammenhang von
Regionalentwicklung und Bau- und Immobilienbranche heranzuziehen.3 Dies betrifft
die Ansätze der Economic Base und der
New Economic Geography.4
Martin Gornig
Guido Spars
Die Bau- und Immobilienwirtschaft rückt
stärker in den Blick der
Regionalökonomie.
Das Konzept der Economic Base beruht
auf einem makroökonomischen und nachfrageorientierten Modell zur Darstellung
regionaler Wachstumsprozesse.5 Das Modell geht von zwei Sektoren innerhalb der
Region aus. Neben dem Exportsektor als so
genannter Basis gibt es den internen Sektor, der auch Service-Sektor genannt wird.6
Die Hauptaussage des Konzepts lautet, dass
das städtische Einkommen und die Stadtentwicklung vom Export und dem damit
einhergehenden Einkommens- und Kapitalzustrom bestimmt werden. Der aus dem
Export resultierende Zustrom von Einkommen wird im internen Sektor der Region
ausgegeben und dann via Einkommen und
Konsum der dort Beschäftigten erneut in
der Region verausgabt, was zu einem Multiplikatoreffekt 7 und somit zu Wachstum
führt. Gerade auch für die Erklärung der aktuellen hohen Wachstumsdynamik von Metropolen wird auf die zentrale Wachstumsmotorenrolle von Export(dienst)leistungen
zurückgegriffen.8
Der Bau- und Immobilienwirtschaft wäre
nach dem Konzept der Economic Base
eher eine strategisch unwichtige Rolle zuzuschreiben, gilt die Branche doch als auf
die lokale Nachfrage ausgerichtet. Im Laufe
der Zeit hat sich die Bedeutung verschiedener Branchen für den Export jedoch verändert: Wurde früher sehr viel stärker auf die
Waren und die Industrieproduktion rekurriert, spielen heute Ideen, Konstruktionen,
Konzepte eine größere Rolle als die direkte
Wareneigenschaft. Aber auch im Zuge technologischer Verbesserungen und institutioneller Handelserleichterungen werden
Dienstleistungen immer mehr auch überregional handelbar. Hierzu zählen vor allem
auch Planungs- und Ingenieurdienstleistungen.9
Dr. Martin Gornig
Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung – DIW
Königin-Luise-Straße 5
14195 Berlin
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Guido Spars
Bergische Universität
Wuppertal
Pauluskirchstraße 7
42285 Wuppertal
E-Mail: [email protected]
568
Martin Gornig, Guido Spars: Bedeutung der Bau- und Immobilienwirtschaft für die
Wettbewerbsfähigkeit von Städten und Regionen
So hat auf der einen Seite z. B. eine Studie des DIW deutlich gemacht, dass allein
in das Nachwende-Berlin ein überdurchschnittlich großer Teil höherwertiger Baudienste importiert wurde. Die Schätzungen
sprechen von Planungsleistungen und ausführenden Tätigkeiten in Höhe von rund
6,6 Mrd. € pro Jahr.10 Auf der anderen Seite
haben beispielsweise die Architektenkammern mit Unterstützung der Bundesregierung ein Netzwerk Architekturexport (NEX)
gegründet, um den (internationalen) Export
deutscher Planungsleistungen zu stärken.11
Aber auch die mit dem Tourismus verbundenen Immobiliensegmente wie z. B. Hotel- und Gaststättenimmobilien sowie jene
Produkte, die von einheimischen Immobilienunternehmen in der Region an Nutzer
oder Käufer anderer Regionen vermietet
oder auch verkauft werden, können zu den
Exporteuren der Branche gezählt werden.
Die New Economic Geography (kurz NEG)
ist ein Dach für eine Ansammlung makro- bzw. mesoökonomischer Ansätze zur
Erklärung von unterschiedlicher Regionalentwicklung und der Ballung von Unternehmen im Raum.12 Entgegen der bekannten
Neoklassik ist sie nicht konvergenzoptimistisch, sondern kann über die Annahme von
Marktunvollkommenheiten (Skaleneffekte,
monopolistische Konkurrenz, externe Effekte) räumliche Ungleichgewichte und somit
die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe
von Regionen und Immobilienmärkten erklären.
Der New Economic Geography gelingt eine
Übertragung von Marktunvollkommenheiten auf die räumliche Ebene. Sie analysiert,
wie sich diese Effekte auf die Verteilung von
Produktion und auch Produktionsfaktoren
zwischen den Regionen auswirken, z. B. als
Ballungseffekte. Diese können beispielsweise in einer Branche auftreten und sich
mithilfe verschiedener Mechanismen wie
Nachfrageeffekte, Mobilität der Produktionsfaktoren 13, intersektorale Lieferverflechtungen und Mobilität zwischen den
Branchen und Sektoren 14 auf die gesamte
Regionalwirtschaft auswirken.
So führt beispielsweise die monopolistische Konkurrenz aufgrund tatsächlicher
oder vermeintlicher Produktunterschiede
zu Anreizen, immer neue Produktvarianten
einzuführen (Produktvielfalt) bzw. immer
höhere Qualitätsstufen zu erreichen.15 Die
größere Region in einem Zwei-RegionenModell verfügt folglich über eine höhere
Anzahl an Produktvarianten. Dies führt im
Vergleich zu zwei Effekten:16
• Für die Konsumenten zeigt sich die größere Region aufgrund der höheren Produktvielfalt als attrativer, da sie dort als
Nutzenmaximierer ein höheres Nutzenniveau erreichen können.
• Zweitens liegt das Preisniveau der großen Region aufgrund der stärkeren Konkurrenz unterhalb des Preisniveaus der
kleinen Region. Damit erhalten die Arbeitnehmer der größeren Region einen
höheren Reallohn (bei gleichen Nominallöhnen), verglichen mit der kleinen
Region.
Beide Effekte entfalten eine Sogwirkung, die
zu einer stärkeren Zuwanderung von Arbeitskräften in die größere Region führt und
somit dort ein höheres Wachstum bedingt.
Die Ballung der Produktion bestimmter Varianten des Gutes entfaltet somit ökonomische Vorteile, die wiederum Transportkosten
des Gutes an andere Standorte finanzieren.
Dieser Unterschied zur neoklassischen Theorie wird durch die Annahme steigender
Skalenerträge möglich.
Die NEG weist mit ihren Modellen nach,
dass sich unter der Annahme positiver Skalenerträge und externer Effekte Größenvorteile eines wachsenden regionalen Marktes
(Home Market Effekt) ergeben, die für zirkulär-kumulative Prozesse der Ballung von
Arbeitkräften und Firmen zwischen zwei
Regionen verantwortlich sind.17 Die Stärke
dieser kumulativ-zirkulären Effekte hängt
einerseits von der jeweiligen Modellierung
des Modells ab, ist jedoch u. a. umso stärker, je geringer die Bedeutung des immobilen Produktionsfaktors ist.18
Begreift man in diesen Modellen die Immobilien einer Region als einen solchen
immobilen Produktionsfaktor, so lässt sich
folgern, dass die Stärke des kumulativ-zirkulären Effekts von der Bedeutung und auch
den Preisen der Immobilien für die Unternehmen abhängt.19 Zum einen können
steigende Knappheitspreise für Immobilien
(Flächen, Gebäude etc.) in der Zuzugsregion als Bremse für den kumulativ-zirkulären Effekt fungieren. Andererseits kann die
Bedeutung spezifischer immobiler Produktionsfaktoren für die Unternehmen in der
Wegzugsregion so wichtig sein, dass selbst
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Heft 10.2006
bei höheren Anreizen zur Umsiedlung und
Ballung ihre Aufgabe bzw. Neuschaffung an
anderen Orten nicht kompensiert werden
kann (z. B. Rohstoffe, Sonderinfrastruktur,
Sonderimmobilien, „Adresse“). Die Unternehmen werden also in beiden Fällen in
ihrer ursprünglichen Region gehalten. Die
Immobilien fungieren aus dieser Perspektive also als „Bremse“ für den kumulativ-zirkulären Ballungs- und Konzentrationseffekt
in der „anziehenden“ Region.
Schaut man sich den Beitrag der Immobilien zu den Lebenshaltungskosten genauer
an, so wird dieser „Bremseffekt“ ebenfalls
bestätigt. Die eher lokal angebotenen immobilienwirtschaftlichen Dienstleistungen
treten im Rahmen des lokalen Preisniveaus
zwischen den beiden Regionen konkurrierend auf. Hierbei gehen die Modelle der
NEG in der Regel von der Beeinflussung der
Konsumentenpreisindices in den Regionen
durch die Transportkosten des interregionalen Güterhandels aus. Allerdings besteht
der Preisindex für Lebenshaltung zu ungefähr 51 % aus Preisen für Wohnraum (einschließlich Energie) und Dienstleistungen.20
Die meisten dieser Güter können entweder gar nicht (Wohnraum, Reparaturen an
Wohneinrichtungen etc.) oder mit sehr begrenzten Transportkosten (z. B. Finanz- und
Versicherungsdienstleistungen) interregional gehandelt werden. Der Effekt sinkender
Lebenshaltungskosten als Verstärker des
Ballungseffekts kann sich somit durch die
Bedeutung der Immobiliengüter nicht voll
entfalten, da er sich lediglich auf unter 50 %
der Güter beziehen kann.
Es lässt sich also formulieren, dass auch aus
der Perspektive der New Economic Geography den Immobilien und somit dem Immobilienmarkt als Vorleistung für die Produktion der Unternehmen bezüglich der Stärke
der Auswirkungen von Ballungseffekten in
Regionen eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Somit kann der Bau- und
Immobilienbereich über die Auflösung von
Agglomerationsbremsen eine zentrale strategische Schlüsselfunktion für das Regionalwachstum einnehmen. Insbesondere die
weitsichtige Planung und nachfrageadäquate Vorhaltung von Immobilienangeboten
zur Eindämmung von knappheitsbedingten Preissteigerungen in der Ballungsregion
kann hierfür eine wichtige Rolle spielen.
569
3 Empirie
Ein umfassendes statistisches Informationssystem zur Erfassung der regionalen Struktur der Bau- und Immobilienwirtschaft gibt
es in Deutschland nicht. Selbst auf nationaler Ebene liefert die amtliche Statistik ein
unvollständiges Bild. Entsprechend werden
von der Wissenschaft beispielsweise im Zusammenhang mit der Bauvolumensrechnung des DIW Berlin zusätzliche Analysen
und Schätzungen durchgeführt, um die Informationslücken zu schließen.21 Der Möglichkeit, solche Berechnungen zu regionalisieren, sind enge Grenzen gesetzt. Die
Basisinformationen liegen häufig nur für
das Bundesgebiet insgesamt bzw. die Länder vor. Eine umfassende Regionalisierung
der Informationen zur Bau- und Immobilienwirtschaft unterhalb der Ländergrenzen
ist daher gegenwärtig ausgeschlossen.
Um dennoch eine Vorstellung der räumlichen Strukturen und Trends der Bau- und
Immobilienwirtschaft zu entwickeln, werden hier Informationen zur Beschäftigung
in den betreffenden Sektoren als Leitindikatoren verwendet. Basis für diese Informationen ist die Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Nicht erfasst
werden demnach Selbständige und geringfügig Beschäftigte, die aber in den betreffenden Branchen eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen. Regionalisierbare
Statistiken zu diesen beiden Beschäftigtengruppen nach einzelnen Branchen liegen
allerdings nicht vor. Die hier vorgestellten
Ergebnisse müssen somit auch hinsichtlich
der Beschäftigung unvollständig bleiben.
Zur Darstellung der regionalen Strukturen
und Tendenzen der Bau- und Immobilienwirtschaft werden Differenzierungen nach
siedlungsstrukturellen Kreistypen der Laufenden Raumbeobachtung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung
verwendet.22 Die folgenden Auswertungen
konzentrieren sich dabei auf Zusammenfassungen für die drei Haupttypen ländliche
Räume, verstädterte Räume und Agglomerationsräume. Zusätzlich wird die Entwicklung in einzelnen Großstädten betrachtet,
da die theoretischen Überlegungen auf eine
besondere Stellung der Bau- und Immobilienbranche in den Agglomerationszentren
hinweisen.
Die Entwicklung der
Bau- und Immobilienwirtschaft in den westdeutschen Großstädten
verläuft überdurchschnittlich.
570
Martin Gornig, Guido Spars: Bedeutung der Bau- und Immobilienwirtschaft für die
Wettbewerbsfähigkeit von Städten und Regionen
Tabelle 1
Regionale Beschäftigtenstruktur der Bau- und
Immobilienwirtschaft 2005
Beschäftigte
insgesamt
Beschäftigte in der Bau- und Immobilienwirtschaft
zusammen
Bauhauptgewerbe
Ausbaugewerbe
Immobilienwirtschaft
in 1 000 Personen
Deutschland
26 178
1 774
725
817
233
Ländliche Räume
3 052
262
123
119
19
Verstädterte Räume
8 678
618
275
287
57
14 448
894
327
411
157
Hamburg
738
38
11
18
10
Köln
435
20
7
9
5
Düsseldorf
335
16
4
6
7
Frankfurt
460
22
5
7
9
Stuttgart
342
17
6
7
4
München
665
28
7
10
11
1 014
76
20
29
27
3,1
0,9
davon
Agglomerationsräume
darunter
Berlin
Anteile in %
Deutschland
6,8
2,8
davon
Ländliche Räume
8,6
4,0
3,9
0,6
Verstädterte Räume
7,1
3,2
3,3
0,7
Agglomerationsräume
6,2
2,3
2,8
1,1
Hamburg
5,2
1,4
2,4
1,4
Köln
4,6
1,5
2,0
1,1
Düsseldorf
4,7
1,1
1,7
2,0
Frankfurt
4,8
1,1
1,6
2,0
darunter
Quelle: Statistik sozialversicherungspflichtig Beschäftigter;
Berechnungen des DIW Berlin
Stuttgart
4,9
1,8
2,0
1,2
München
4,2
1,0
1,6
1,6
Berlin
7,5
2,0
2,9
2,6
2005 waren in Deutschland in der Bauund Immobilienwirtschaft insgesamt fasst
1,8 Mio. Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt (vgl. Tab. 1).
Auf das Bauhauptgewerbe entfielen dabei
725 000 Personen, auf das Ausbaugewerbe
fast 820 000 Personen. Der Immobilienwirtschaft (Grundstückswesen, Wohnungsvermietung, etc.) können gut 230 000 Beschäftigte zugerechnet werden. Die Bedeutung
der Bau- und Immobilienwirtschaft ist
gemessen am Beschäftigtenanteil in den
ländlichen Räumen besonders groß. Der
Anteil an allen sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten liegt dort bei fasst 9 %. In den
verstädterten Räumen sind es dagegen nur
rund 7 % und in den Agglomerationsräumen sogar nur gut 6 %.
Ausschlaggebend für den Bedeutungsvorsprung in den ländlichen Räumen ist das
stärker besetzte Baugewerbe. Die Immobilienwirtschaft ist dagegen in den Agglo-
merationsräumen stärker vertreten; dort
arbeiten mehr als zwei Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dieser
Branche. In einzelnen Großstädten ist dabei die relative Bedeutung der Immobilienwirtschaft besonders groß. Den Spitzenwert
erreicht Berlin mit einem Beschäftigtenanteil von 2,6 %, aber auch in Düsseldorf
und Frankfurt a. M. liegt dieser Anteil mit
2% noch mehr als doppelt so hoch wie im
Bundesdurchschnitt. Traditionell gering ist
in den Großstädten dagegen die relative Bedeutung der Bauwirtschaft. Insbesondere
das Bauhauptgewerbe beschäftigt hier relativ weniger Personen.
Die Beschäftigung in der Bau- und Immobilienwirtschaft insgesamt ist in den letzen
Jahren stark rückläufig (vgl. Tab. 2). Zwischen 1998 und 2005 nahm die Beschäftigung des Bereichs in Deutschland um nahezu 900 000 Personen ab. Dies entspricht
einem Beschäftigungsverlust von fast einem Drittel. Besonders stark betroffen sind
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006
571
Beschäftigte
insgesamt
Beschäftigte in der Bau- und Immobilienwirtschaft
zusammen
Bauhauptgewerbe
Ausbaugewerbe
Immobilienwirtschaft
Tabelle 2
Regionale Beschäftigungsentwicklung in der Bauund Immobilienwirtschaft
1998 bis 2005
Veränderung in 1 000 Personen
Deutschland
-1 029,5
-872,2
Ländliche Räume
-228,0
-150,4
Verstädterte Räume
-381.1
-311.7
Agglomerationsräume
-420,5
-410,1
Hamburg
7,1
Köln
4,8
-526,3
-346,3
0,4
-94,1
-54,6
1,8
-191,6
-121.1
1,0
-240,6
-170,7
1,2
-12,5
-6,2
-6,6
0,4
-9,2
-5,0
-2,7
-1,4
davon
darunter
Düsseldorf
-1,5
-4,1
-3,6
-1,7
1,2
8,6
-6,2
-3,9
-1,2
-1,2
Stuttgart
3,7
-3,8
-2,6
-1,9
0,7
München
32,4
-7,7
-4,9
-3,2
0,4
-118,8
-60,1
-30,9
-25,9
-3,3
Frankfurt
Berlin
Veränderung in % (1995 = 100)
Deutschland
96,2
67,0
57,9
70,2
100,2
Ländliche Räume
93,0
63,5
56,7
68,6
91,4
Verstädterte Räume
95,8
66,5
58,9
70,3
101,8
Agglomerationsräume
97,2
68,6
57,6
70,6
100,8
Hamburg
101,0
75,4
63,1
72,6
103,7
Köln
101,1
68,7
57,0
76,5
76,4
99,6
79,5
49,7
77,2
122,5
Frankfurt
101,9
77,9
57,2
86,1
88,8
Stuttgart
101,1
81,6
70,1
77,6
121,5
München
105,1
78,2
57,1
76,3
104,3
89,5
55,9
39,4
53,0
89,1
davon
darunter
Düsseldorf
Berlin
die ländlichen Räume. Der Beschäftigungsrückgang der Bau- und Immobilienwirtschaft betrug hier gegenüber 1998 insgesamt 36,5 %. In den verstädterten Räumen
lag der Rückgang bei 33,5 % und in den Agglomerationsräumen bei 31 %.
Obwohl der Beschäftigungsrückgang in
der Bau- und Immobilienwirtschaft sehr
viel deutlicher ausfällt als in der Gesamtwirtschaft (ca. 4 %), entsprechen doch die
Entwicklungsunterschiede zwischen den
einzelnen Raumtypen in der Bau- und Immobilienwirtschaft weitgehend denen, die
in der Gesamtwirtschaft zu beobachten
sind. Auch bei der Beschäftigung insgesamt
schneiden die ländlichen Räume spürbar
schlechter ab als die verstädterten Räume
und die Agglomerationsräume. Dies spricht
auf großräumiger Ebene für die theoretisch
erwartete enge Bindung der Bau- und Immobilienbranche an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Ein etwas anderes Bild zeigen allerdings
die Ergebnisse für einzelne Großstädte.
Die Entwicklungstendenzen der Bau- und
Immobilienwirtschaft sind hier sehr unterschiedlich: Auf der einen Seite steht der
Sonderfall Berlin, wo die Beschäftigungsrückgänge mit rund 44 % zwischen 1998
und 2005 besonders stark sind. Auf der anderen Seite sind die Beschäftigungsverluste in diesem Sektor in den anderen Großstädten (außer Köln) deutlich geringer als
im Bundesdurchschnitt. In Stuttgart und
Düsseldorf beträgt der Rückgang in dieser
Zeitspanne „nur“ rund 10 %; in der Immobilienbranche dieser beiden Städte wächst
die Beschäftigung mit jeweils über 20 %
Steigerung sogar deutlich. In Städten wie
Hamburg und München stieg die Beschäftigung in der Immobilienbranche immerhin
um 4 %, in allen anderen Städten kommt es
auch dort zu Rückgängen.
Quelle: Statistik sozialversicherungspflichtig Beschäftigter;
Berechnungen des DIW Berlin
Martin Gornig, Guido Spars: Bedeutung der Bau- und Immobilienwirtschaft für die
Wettbewerbsfähigkeit von Städten und Regionen
572
Eine Parallelität der Beschäftigungsentwicklung in der Bau- und Immobilienwirtschaft mit der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung ist dabei auf der Ebene der
Großstädte mit Ausnahme Berlins nicht
zu erkennen. Hamburg, Köln, Düsseldorf,
Frankfurt und Stuttgart weisen in der Periode 1998 bis 2005 allesamt eine ähnlich stabile Gesamtbeschäftigungsentwicklung auf.
Die Entwicklungstrends in der Immobilienwirtschaft und auch im Bauhauptgewerbe
weichen dagegen teilweise beträchtlich von
einander ab. Lediglich die Beschäftigung im
Ausbaugewerbe zeigt ein ähnlich homogenes regionales Entwicklungsmuster.
Die Abweichungen der Entwicklungstrends
der Bau- und Immobilienwirtschaft von der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bei
vielen Großstädten könnten ein Indiz dafür sein, dass auch in diesen Bereichen die
Exportpotenziale zumindest bei einzelnen
spezialisierten Leistungsangeboten zunehmen. Gleichzeitig weisen die über nahezu
alle Agglomerationsräume hinweg relativ
günstigeren Entwicklungen dieses Raumtyps in der Bau- und Immobilienwirtschaft
auf Zusammenhänge mit der zunehmenden Bedeutung von Agglomerationseffekten in der Gesamtwirtschaft hin.
Abbildung 1
Der Zusammenhang
zwischen Regionalökonomie, Wachstum
und Immobilienmarkt
4 Fazit
Zur Stellung der Bau- und Immobilienwirtschaft in der Regionalökonomie
Die Bau- und Immobilienwirtschaft stellt einen zentralen Teil der regionalen Wirtschaft
dar, da sie mit ihren Wertschöpfungsketten
vielschichtig in die regionalen Wirtschaftsprozesse eingebunden ist und insbesondere für räumliche Wachstums- und Strukturwandelprozesse eine bedeutende Rolle
spielt. Zum einen stellt die Bau- und Immobilienbranche selbst einen Sektor dar, der
Veränderungen der Globalisierung, Tertiärisierung und auch zunehmender Spezialisierung erfährt, zum anderen wird auf den
verschiedenen Immobilienteilmärkten der
Region der physische und räumliche Input
für die sich wandelnden Produktionsprozesse der gesamten Regionalwirtschaft bereitgestellt (vgl. Abb. 1).
Die Bauwirtschaft und auch die Immobilienbranche stehen mit ihren Produkten
(Grundstücke, Gebäude, Büro-, Handels-,
Industrie-, Wohn- und Spezialimmobilien)
und Dienstleistungen (z. B. Projektentwicklung, Facility Management, Site Management) an integraler Stelle in den Wertschöpfungsketten nahezu aller städtischen
Wirtschaftsbereiche und Branchen, sie erfüllen somit eine Schnittstellenfunktion.
Regionalökonomie
Sektoren:
X
Y
Z
Immobilien
Wachstum/
Schrumpfung
von Segmenten
Vorleistungen
Standorte
Standortfaktoren
Immobilienmarkt
findet räumlich statt
Quelle: Spars, G.: Die Immobilienwirtschaft aus der Sicht
regionalökonomischer Theorien
am Beispiel Berlins. – Berlin 2006
Teilmärkte:
Büro
Wohnen Einzelhandel
Gewerbe
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 10.2006
Auf den Immobilienteilmärkten wird somit
das jeweilige Flächen- und Gebäudeangebot entwickelt, das als wichtiger Input in
die Güter- und Dienstleistungsproduktion
der Region eingeht. Hieraus werden die Anforderungen der Regionalwirtschaft an die
Immobilienmärkte und -produkte deutlich,
ebenso auch die preisliche und wettbewerbliche Konsequenz für die Region, wenn
es zu keiner effizienten Bereitstellung von
Flächen und Immobilien kommt. Aus Sicht
des Economic-Base-Konzepts und auch der
New Economic Geography kann eine ineffiziente oder nicht rechtzeitig bereitgestellte
Immobilienausstattung der Region zu einer
Wachstums- und Agglomerationsbremse
werden.
Die Bau- und Immobilienwirtschaft
als Treiber der Regionalökonomie?
Krugman, Fujita und Venables 23 zeigen, wie
wichtig in einer dynamischen Sicht auch der
interne Sektor einer Stadtwirtschaft ist, zu
dem die Bau- Immobilienwirtschaft mehrheitlich zählt. Hier ist insbesondere die Vorleistungsqualität der Immobilienwirtschaft
für die übrige Exportwirtschaft unter dem
Aspekt der interregionalen Wettbewerbsfähigkeit hervorzuheben. Die Bau- und Immobilienprodukte bzw. -dienstleistungen
sind zum einen als harter Standortfaktor
aufzufassen (Mieten und Immobilienpreise,
Lagen, Entwicklungspotenziale, Ausbildung
und Qualifikation), können aber auch Qua-
573
litäten weicher Standortfaktoren beeinflussen (Wohnqualitäten, städtebauliche Qualitäten, Kultur- und Freizeitimmobilien). Sie
haben also im Wettbewerb der Städte um
Unternehmen und Einwohner (und damit
Steuerzahler) eine bedeutsame Funktion.24
Neben der Bedeutung des Exports für das
regionale Wachstum, den das Export-BaseKonzept betont, sehen neuere Ansätze sowohl in Marktunvollkommenheiten, die in
Verbindung mit steigenden Skalenerträgen
zu Ballungen führen, als auch in der Generierung von Innovationen zentrale Erklärungsansätze für regionale Wachstumsprozesse.
Die durch steigende Skalenerträge und externe Effekte begründete räumliche Konzentration in den Modellen der New Economic Geography benötigt auf der Ebene
der Immobilienmärkte eine funktionsfähige Bau- und Immobilienwirtschaft, die in
der Lage ist, die „räumliche Hardware“ für
die Agglomerationsprozesse, die Clusterbildung und die Vernetzung von Produktion
sowie von Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen wettbewerbsfähig bereitzustellen, um die daraus resultierenden
Wachstumsprozesse zu begünstigen. Die
Bau- und Immobilienbranche ist in dieser
Perspektive der Kompetenzsektor für adäquate räumliche Ansiedlungs- und Standortprodukte.
574
Martin Gornig, Guido Spars: Bedeutung der Bau- und Immobilienwirtschaft für die
Wettbewerbsfähigkeit von Städten und Regionen
Anmerkungen
(1)
Ifo (Hrsg.): Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Immobilienwirtschaft. Gutachten im Auftrag der gif. Z. f.
Immobilienökonomie, Sonderausgabe 2005
(2)
Bartholmai, B.; Gornig, M.: Bauwirtschaft: Stabilisierung endlich in Sicht. DIW-Wochenbericht 72 (2005)
42, S. 593–603
(3)
Weitere regionalökonomische Ansätze untersucht im
Hinblick auf die Rolle der Immobilienwirtschaft Spars,
G.: Die Immobilienwirtschaft aus der Sicht regionalökonomischer Theorien am Beispiel Berlins. – Berlin 2006
(Habilitationsschrift TU Berlin).
(4)
Weitere regionalökonomische Ansätze untersucht im
Hinblick auf die Rolle der Immobilienwirtschaft Spars
(2006).
(5)
Andrews, R. B.: Mechanics of Urban Economic Base:
Historical Development of the Base Concept. Land
Economic 29 (1953)
(6)
Vias, A. C.; Mulligan, G. F.: Integrating Economic Base
Theory with Regional Adjustment Models. The Nonmetropolitan Rocky Mountain West Growth an Change 30
(1999) 4
(7)
Wertet man rund 50 verschiedene empirische Studien
zu diesem Konzept aus (Krumme 2004; http://faculty.
washington.edu/krumme/350/multip.html;
10.03.04),
so schwanken die dort festgestellten Export-BasisMultiplikatoren von 1.3 bis zum Höchstwert von 5.47,
ein Wert, der für Philadelphia von Matilla im Jahr 1950
gemessen wurde (Matilla, J. M.; Thompson, W. R.: The
Measurement of the Economic Base of the Metropolitan Area. Land Economics 31 (1955), S. 215–228). Im
Durchschnitt kann man den Multiplikator-Wert für die
von Krumme ausgewerteten rund 50 Beispielstudien
mit 2,855 errechnen. Dies bedeutet, dass für diese ausgewählten Städte im Durchschnitt das interne Einkommen durch den Export um 2,855 multipliziert wird.
(8)
Zum Beispiel Buck, N.; Gordon, I.; Hall, P.; Harloe, M.;
Kleinman, M.: Working Capital: Life and Labour in Contempory London. – London, New York 2002; Geppert,
K.; Gornig, M.: Die Renaissance der großen Städte
– und die Chancen Berlins. DIW-Wochenbericht Nr. 26
(2003), S. 411–418
(9)
Gornig, M.; von Einem, E.: Charakteristika einer dienstleistungsorientierten Exportbasis. In: Dienstleistungsheadquarter Deutschland. Hrsg.: H. J. Bullinger, F. Stille. – Wiesbaden 2000, S. 49–73
(10)
Pfeiffer, I.; Ring, P.: Entwicklungspotentiale des Bauwesens in Berlin-Brandenburg. DIW-Wochenbericht 15/16
(1998)
(11)
Braune, T.: Architekturexport als Chance für junge Planer. DBZ-online 2006 (www.baunetz.de/sixcms_4/sixcms/detail.php?object_id=38&area_
id=1655&id=115858; 17.07.06)
(12)
Krugman, P.; Fujita, M.; Venables, A.J. : The Spatial
Economy. Cities, Regions and International Trade.
– Cambridge/Mass. 1999
(13)
Krugman, P. R.: Increasing Returns and Economic Geography. Journ. of Political Economy 99 (1991), S. 483499
(14)
Venables, A. J.: Equilibrium Locations of Vertically
Linked Industries. Internat. Econ. Review 37 (1996),
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