Verschleppte Kinder - machtlose Mütter Wenn ausländische Väter

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Verschleppte Kinder - machtlose Mütter Wenn ausländische Väter
Verschleppte Kinder - machtlose Mütter
Wenn ausländische Väter ihre Söhne und Töchter in ihr Heimatland entführen, sind dem
deutschen Staat meist rechtlich die Hände gebunden
Von Birgit Schreiber
Bremen - Am Dienstagabend wartete Gracia Kranz, 29, am Bremer Flughafen auf die Ankunft des
Lufthansa-Flugs LH 350. An Bord war ihr dreijähriger Sohn Faris, der vor dreieinhalb Monaten
von seinem Vater, einem Tunesier, nach Nordafrika entführt worden war. An Bord war auch die
frühere Ausländerbeauftragte und grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. Sie hat das Kind
befreit, ohne ihre Hilfe wäre es Gracia Kranz so ergangen wie den meisten Müttern, die versuchen,
ihr Kind aus einem arabischen Land zurückzuholen.
Kranz wäre gescheitert wie viele deutsche und europäische Eltern, deren Partner ihre Kinder ins
Ausland verschleppen und nie wiederkehren. "1000 bis 1500 Kinder werden jedes Jahr entführt,
knapp die Hälfte davon in Länder, deren Regierungen die Haager Konvention zur Kindesentführung
nicht unterzeichnet haben. Das sind vor allem arabische Länder. Und nur etwa zehn Prozent dieser
Fälle gehen gut aus", schätzt Christiane Hirts, Direktorin des europäischen "Committee for Missing
Children". Hirts betreut in Deutschland zur Zeit etwa 250 Eltern, deren Kinder ins Ausland
verschleppt wurden. Sie kennt deren Verzweiflung genau, vor einigen Jahren musste sie selbst um
ihr entführtes Kind kämpfen.
Ohne eine Unterschrift unter die Haager Konvention zur Kindesentführung haben der deutsche
Staat, das Auswärtige Amt, die Polizei, die Botschaften kaum eine rechtliche Handhabe. So ist es
auch in diesem Fall. Weder Kanzlerin Merkel noch Außenminister Steinmeier konnten ihre
tunesischen Kollegen bisher zur Unterschrift bewegen. Das Auswärtige Amt muss sich in Fällen
wie dem von Gracia Kranz meist damit begnügen, die Mütter in Briefen " . . . zur gütlichen
Einigung mit dem anderen Elternteil bzw. der väterlichen Familie" aufzufordern.
Das entscheidende Problem für Frauen wie Gracia Kranz ist: Wenn ein Tunesier außerhalb
Tunesiens ein Kind zeugt, hat dieses automatisch auch die Staatsbürgerschaft des Vaters. Und
sobald sich dieses Kind in Tunesien befindet, greift das islamische Familienrecht. Danach sind
Väter traditionell die gesetzlichen Vertreter des Kindes, und sie dürfen gemäß dem islamischen
Recht seinen Aufenthaltsort bis zur Volljährigkeit bestimmen. Viele Mütter glauben, dass das
deutsche Sorgerecht ihnen hilft, die Kinder zurückzuholen. Aber das ist ein Trugschluss, sagt die
Münchener Rechtsanwältin Manuela Landuris, Expertin für tunesisches Familienrecht: Langwierige
Verfahren vor Gericht sind nötig, und in der Regel wird verlangt, dass die Mütter dauerhaft in dem
arabischen Herkunftsland des Vaters leben.
Gracia Kranz engagierte Rechtsanwälte in Deutschland und in Tunesien, bat in der Deutschen
Botschaft um Hilfe und schrieb an Außenminister Steinmeier. Im Antwortbrief ließ er mitteilen,
dass weder tunesische Behörden noch deutsche Diplomaten helfen würden: "Die Botschaft in Tunis
kann nicht die Rückführung Ihres Sohnes gegen den Willen des Kindesvaters oder der väterlichen
Familie durchsetzen." Gracia Kranz musste erkennen, dass ihr privates Engagement ebenso wie
staatliche Unterstützungsmöglichkeiten an die Grenzen internationalen Rechts gestoßen waren.
Die Lage veränderte sich erst, als Marieluise Beck sich einschaltete. Die frühere
Ausländerbeauftragte der Bundesregierung und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, nutzte ihre
Kontakte zu deutschen und tunesischen Diplomaten und Regierungsvertretern. Nach einem Treffen
mit einem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin bat dieser den tunesischen Botschafter
zum Gespräch. Einige Tage danach reiste Beck nach Tunis und sprach mit der stellvertretenden
tunesischen Außenministerin. Schließlich machten die tunesischen Behörden der Familie des
Entführers deutlich, dass ihr Land nicht an diplomatischen Verwicklungen mit Deutschland
interessiert sei. Der tunesische Justizminister wies die Staatsanwaltschaft seines Landes an, das
entführte Kind zu finden. Die Verwandten seines Vaters versteckten es bis zu diesem Zeitpunkt
erfolgreich, meist in Südtunesien, bei Angehörigen. Nach längeren Verhandlungen zwischen den
tunesischen Behörden und der Familie beugte die sich schließlich dem wachsenden Druck. Sie
willigte ein, den Jungen in Tunis zu übergeben. Am Montag bestieg er zusammen mit Beck und
einem Verwandten, der in Deutschland lebt, das Flugzeug nach Bremen.
Wenn es nach Beck geht, soll sich künftig ein ständiger Krisenstab um Kindesverschleppungen ins
Ausland kümmern. Der Grund: Mit der Zahl binationaler Partnerschaften wächst die Gefahr von
Kindesentführungen. Außerdem soll das neue Gremium die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes
entlasten. Nach Becks Angaben sind sie schon heute mit den aktuellen Fällen überfordert.
"Die Botschaft in Tunis kann nicht die Rückführung Ihres Sohnes gegen den Willen des
Kindesvaters durchsetzen." Der dreijährige, von seinem Vater nach Tunesien entführte Faris ist
wieder bei seiner Mutter Gracia Kranz (links). Neben ihm seine Schwester Janel,8, und die
Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne), die half, Faris nach Deutschland
zurückzubringen. Foto: Jörg Sarbach