Munitionshersteller Barnes als Vorreiter
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Munitionshersteller Barnes als Vorreiter
Schießsport, Sammeln, Recht und Jagd S o n d e r ve r ö f f e n t l i c h u n g · D e u t s c h e s Wa f f e n -J o u r n a l · w w w. d w j . d e · i n f o @ d w j . de SONDERPUBLIKATION Europas unabhängiges Waffen-Magazin Munitionshersteller: Barnes als Vorreiter Pilz wie ein X Es ist kaum vorstellbar, dass heute ein kleiner Munitionshersteller noch einmal eine ähnliche Erfolgsgeschichte schreiben könnte, wie das seit etwa 1980 Barnes unter der Regie der Familie Brooks geschafft hat. Schon allein deshalb, und wegen der hochwertigen Geschosse, eine erzählenswerte Geschichte. 8 WALTER SCHULZ Wohnen und arbeiten, wo andere das Paradies für Jäger vermuten – so etwa könnte man den Firmenstandort des Geschoss- und Patronenherstellers Barnes beschreiben. Nun, sicher liegt das Städtchen Mona nicht mitten im Verbreitungsgebiet des Wapiti, aber nicht weit entfernt davon. Der US-Bundesstaat Utah hat nicht nur den „best snow of the world“ („bester Schnee“), Utah hat auch grandiose Natur zu bieten: hohe Gebirgszüge mit riesigen Bergwäldern und Almen. Und das alles fast menschenleer. Im vergangenen Jahr hat Jessica Brooks hier mächtiges Waidmannsheil gehabt, sie erlegte einen kapitalen Wapiti. Jessica ist zusammen mit ihrem Ehemann und ihren Eltern Coni und Randy Brooks heute das Gesicht der Munitionsherstellers Barnes Bullets. Das Unternehmen wurde 1932 in Bayfield im Bundesstaat Colorado von Fred Barnes gegründet. Barnes war bald be- kannt für seine – gemessen am jeweiligriff ihnen mit seinem Wissen und seigen Kaliber – sehr schweren Geschosse. nen Erfahrungen unter die Arme. 1975 250 gr (16,2 g) für ein .30er-Geschoss war zogen sie mit all ihrem Sack und Pack normal. Und sie waren bekannt für ihre nach Utah, damals noch ein Unternehmen von der Größe eines relativ hohe Eindringtiefe. Die zielballistischen Eisehr kleinen Handwerksbegenschaften Eindringtiefe Barnes setzte früh triebes. und hohes Restgewicht waZunächst stellte man auf Eindringtiefe – wie Fred Barnes schon ren schon vor nahezu 80 Jahren die Merkmale, welJahrzehnte zuvor – schwere che die Barnes-Geschosse auszeichneten. Mantelgeschosse mit Bleikern her. Noch heute hat das Unternehmen diese SchwerUnd so waren schon damals gerade die gewichte im Fertigungsprogramm. Nutzer zufrieden, die auf hartes Wild in Afrika und auch in Nordamerika damit Doch schon 1979 machte Brooks sich jagten. auch an die Entwicklung von MassivgeFirmengeschichte. Barnes verkaufte sein schossen, sogenannten Solids. Sie hatten Unternehmen 1968 und nach einem weianfangs noch einen Bleikern, doch bald teren Verkauf gelangte es 1974 schließlich wurden sie komplett aus Kupfer hergein den Besitz von Randy und Coni Brooks. stellt. 1980 wechselte man den Werkstoff Die hatten anfangs außer Idealismus und und begann, diese Solids aus Messing herAusdauer wenig Voraussetzungen für das zustellen. Geschäft mit dem Herstellen und VerkauDiese Massivgeschosse waren gewisfen von Geschossen – doch Fred Barnes sermaßen schicksalhaft für Barnes, er- Klein und fein. Barnes gehört unter den USHerstellern zu den kleineren. Doch die Geschosse, die von dem Unternehmen in Utah hergestellt werden, haben weltweit bei Jägern, Präzisionsschützen und Sicherheitskräften einen sehr guten Ruf. 140 Europas unabhängiges Magazin geschichten regten sie doch die Aufmerksamkeit bei afrikanischen Jägern. Kein anderer Hersteller hatte die dort begehrten Solids in einer so großen Kaliberpalette im Angebot wie Barnes. 1985 hatte Randy Brooks dann erneut eine Idee mit weit reichenden Folgen: „Ich habe das Blei aus den Massivgeschossen genommen – warum nicht auch das Blei aus den Deformationsgeschossen nehmen?“ Die Idee ging auf eine Entwicklung von Fred Barnes aus den 1940er-Jahren zurück. Der hatte damals ein Kupfergeschoss mit einer Art Hohlspitze entwickelt, die mit Blei gefüllt war. Die Vermarktung hatte damals P.O. Ackley übernommen gehabt, wo es als Ackley CE (Controlled Expansion) vermarktet wurde. Die Präzision mit dem sehr kopflastigen Geschoss war zwar nicht berauschend, doch die zielballistischen Eigenschaften waren eindrucksvoll. Also nahm Brooks das Blei aus der Spitze und verlagerte den Schwerpunkt des Geschosses weiter nach hinten. Nach diesem Konzept entstand zunächst ein Geschoss im Kaliber .375. Es hatte in der Geschossspitze eine Kaverne, die für ein rasches Aufpilzen sorgen sollte. Das erste mit einem solchen Geschoss erlegte Stück Wild war ein Grizzly in Alaska. Das Geschoss wurde zwar in Details über die Jahre von seiner Konstruk tion her verfeinert, doch das Grundkonzept blieb. Seine simple Bezeichnung: X-Bullet, weil das aufgepilzte Geschoss bei Betrachtung von oben durch die vier aufgerollten Fahnen wie der Buchstabe X aussieht. Doch die Probleme folgten auf dem Fuß. Das bleifreie Geschoss sorgte für Probleme, vor allem im Lauf. „Barrel fouling“ und überhöhte Gasdrucke hießen die Schlagworte, die den Verantwortlichen von Barnes den Schlaf raubten. Und nicht nur das – die Reputation am Markt war beschädigt. „Ist der Ruf erst ruiniert, schafft sich's gänzlich ungeniert.“ So einfach war die Situation eben nicht, im Gegenteil, harte Arbeit war gefragt, um die Probleme zu lösen und Ansehen zurückzugewinnen. Die Probleme mit dem Geschossabrieb und dem zu hohen Gasdruck ließen sich konstruktiv lösen, zum Aufpolieren des Ansehens waren andere Maßnahmen nötig. Randy Brooks versorgte Berufsjäger in Afrika mit den Geschossen, und das half. Die hohe Eindringtiefe und der große permanente Wundkanal sorgten für die gewünschte Geschosswirkung im beschossenen Wild. Besonders positiv: Diese 09/2012 Oben: Für Kurzwaffen. Das Konzept der Geschosse für Kurzwaffenpatronen namens XPB ist ähnlich dem der Jagdgeschosse: bleifrei, kontrollierte Fahnenbildung beim Aufpilzen. Rechts: Helfer. Das Handbuch für Wiederlader enthält zahlreiche Ladempfehlungen. Zerleger. Das Geschoss Varminator mit Bleikern und Hohlspitze ist für hochrasante Ladungen kleiner Kaliber gedacht, das sich extrem rasch im Ziel zerlegt. Wirkung zeigte sich schon damals – wie steller versuchten oder versuchen, das heute – über einen weiten Geschwindigdurch leicht untermaßige Geschosse zu keitsbereich. Das bedeutet mit anderen lösen, was aber nicht unbedingt der PräWorten: Gleichgültig, ob die Auftreffgezision zugute kommt, eine Folge des Gasschwindigkeit bei sehr nahe stehendem schlupfes. Der Grund für die Probleme ist, Wild sehr hoch oder bei sehr weit entdass die Werkstoffe härter sind als Blei. fernt stehendem Wild schon deutlich reStark vereinfacht ausgedrückt, reagiert duziert ist, das Geschoss pilzt auf, bildet der Bleikern eines Verbundgeschosses die scharfkantigen Fahnen wie eine zähflüssige Masse. und dringt tief ein. Das GeAnfangs Probleme Sie ist nicht starr, das Geschossrestgewicht ist hoch. schoss lässt sich deshalb exmit Bleifreien Selbst bei hohen Auftreffakt in die Züge und Felder geschwindigkeiten reißen des Laufes einpressen und die Fahnen nicht ab. Das ist ein wichtiger führen, ohne eine besonders starke LaufAspekt bei Nutzern, die wirklich „heiße“ belastung zu verursachen. Außerdem hat Wildcats, also ladungsstarke, sehr hohe Blei ein deutlich höheres spezifisches GeGeschossgeschwindigkeiten erzeugende wicht als die Ersatzstoffe Messing, KupLaborierungen verschießen. Und davon fer und Tombak. Ein im Gewicht einem gibt es gerade in den USA jede Menge Bleiverbundgeschoss gleiches, bleifreies Bleifrei ist nicht problemfrei. Bleifreie GeGeschoss ist deshalb kaum möglich, ein schosse haben eine Reihe von Besonderannähernd gleiches Gewicht kann also heiten, die zu Problemen führen können nur über ein voluminöseres, längeres und dazu auch im Lauf der EntwicklungsGeschoss erreicht werden. Da sind rasch geschichte geführt haben. Höhere Laufdie Grenzen erreicht, was die Patronen-, belastung und zu hoher Gasdruck haPatronenlagermaße sowie die Dralllänge ben auch Barnes, wie erwähnt, anfangs angeht. Schwierigkeiten gemacht. Manche HerBarnes hat das Problem endgültig ge- 141 Munitionshersteller Barnes als Vorreiter Unten: X-förmig. Ob TSX (Mitte) oder TTSX mit Plastikspitze, die Geschosse pilzen wie links abgebildet auf. Oben: Komplett. Unter der Bezeichnung VORTX bietet Barnes Patronen an. Abgebildet ist eine Packung mit einer Großwildlaborierung. Sie können mit TSX- oder Solids bestückt sein. löst, als man das X-Geschoss im Jahr 2003 Bleiverbundkerngeschosse. Als hierzuals sogenanntes TSX-Geschoss auf den lande im Jahr 2005 hysterische DisMarkt brachte. Ausgeschrieben bedeutet kussionen um möglicherweise bald per das „Triple Shock X“. Bei diesem Geschoss Gesetz verbotene bleihaltige Geschosse sind in der hinteren Geschosshälfte Rilaufflammten – eine wissenschaftliche len eingearbeitet. Das hat mehrere VorUntersuchung über die Todesursachen teile: Die Geschossreibung im Lauf und tot aufgefundener Seeadler war der Ausdie Belastung des Laufes werden verrinlöser – hatte Barnes bereits ein sowohl gert. Außerdem bieten die Einkerbungen hinsichtlich der Präzision als auch hinRaum, in das Material an der Geschossichtlich der zielballistischen Eigenschafsoberfläche beim Einpressen in die Züge ten hochwertiges Geschoss im Angebot. und Felder gewissermaWie gut es wirkt, konnten ßen ausweichen kann. Bei Mitglieder der DWJ-RedakGeschosse aus Bleikerngeschossen ist das tion persönlich bei der Jagd Kupferlegierung wegen der Weichheit des selbst auf hartes Wild in AfBleies nicht notwendig. Bei rika erfahren. den relativ harten bleifreien Geschossen Für Wiederlader. Die Barnes-Geschosse dagegen schon. Es sei denn, die Geschosstanden natürlich schon immer Wiederlase werden in ihrem Durchmesser leicht dern zur Verfügung, doch wichtig für den untermaßig gehalten. Doch das kann das Markterfolg war auch, dass verschiedePräzisionspotenzial beeinflussen. ne renommierte Patronenhersteller wie Ein weiteres Merkmal der TSX-Geetwa Federal diese Geschosse luden oder schosse ist kaum sichtbar, es bezieht sich laden. auf die Geschossspitze. Sie wurde dahin2007 führte Barnes das TTSX-Geschoss gehend optimiert, dass der Aufpilzvor(Tipped Triple X) ein. Es handelt sich gang beim Eintreten in das Zielmedium hierbei im Prinzip um das TSX-Geschoss rascher eingeleitet wird. Mit den genannmit Plastikspitze zur Optimierung der auten Änderungen konnte Barnes einen gußenballistischen Eigenschaften und des ten Teil der früheren Kritikpunkte – mit Aufpilzvorgangs. denen übrigens alle Hersteller bleifreier 2010 übernahm die Freedom Group die Geschosse im Prinzip zu kämpfen haben Firma Barnes Bullets. Die seitherigen In– ausräumen. Die TSX haben ein hohes haber blieben dem Unternehmen in Utah Präzisionspoten zial, die Lauf belastung in leitender Stellung erhalten, sodass sich ist gering und die Gasdrucke bei Laboder Inhaberwechsel für Endkunden nicht rierung mit dem TSX sind moderat. Oder auswirkt. Im gleichen Jahr präsentierte anders ausgedrückt: Bei gegebenem GasBarnes dann auch das TTSX-Geschoss druck konnten die neuen TSX-Geschosse in eigener Muni tion. Die Bezeichnung für deutlich höhere Geschwindigkeiten dieser Patronen ist VOR-TX. Seit gut eigeladen werden als die früheren X-Genem Jahr gibt es diese Munition auch in schosse. Kalibern für den Afrika-Einsatz, in meDas TSX-Geschoss wurde rasch der trischen Kalibern – interessant für den Maßstab, an dem sich nicht nur alle andeutschen Markt die Kaliber 7×64, 8×57 deren bleifreien Geschosse messen lasIS sowie 9,3×62 – und in Kurzwaffenkasen mussten, sondern auch traditionelle libern, wobei in den Kurzwaffenpatronen 142 nicht das TSX oder TTSX verladen wird, sondern das ebenfalls bleifreie XPB™Geschoss. Ähnlich den TSX- und TTSX-Geschossen sind sie auf hohe Eindringtiefe und hohes Restgewicht optimiert. Sie pilzen in definierter Weise unter Bildung mehrerer Geschossfahnen auf, was für eine hohe Energieabgabe ans Zielmedium sorgt. In den USA, wo mit Kurzwaffen gejagt werden darf, werden sie in großen Kalibern gerne für die Jagd genutzt, ansonsten gelten sie als gute Patronen für die Nachsuche und natürlich für die Selbstverteidigung. Mit den unstrittig vorhandenen Qualitäten hinsichtlich der Präzision und zielballistischen Eigenschaften der TSXund TTSX-Geschosse ließ es Barnes nicht bewenden. 2011 brachte man auf der Basis des TTSX-Konzeptes das sogenannte LRX-Geschoss auf den Markt. Es ist auf einen sehr hohen ballistischen Koeffizienten (B.C.) optimiert. Das gelang durch einen vergrößerten Ogivenradius und eine Veränderung der Form des Geschosshecks. Bei einem LRX im Kaliber .308 ergibt sich bei einem Geschossgewicht von 175 gr (11,3 g) ein B.C. von .508, bei einem Geschossgewicht von 200 gr (13,0 g) ein B.C. von .546. Allerdings muss für einen sinnvollen Einsatz der Lauf einen Drall von 1:10 oder kürzer aufweisen – ansonsten werden diese Geschosse nicht stabilisiert, die Präzision wäre nicht gut. Sind die Voraussetzungen aber gegeben – etwa bei einer Büchse im Kaliber .300 Winchester Magnum – kann sich der Schütze/Jäger damit eine echte Long-RangePatrone mit hohem Präzisionspotenzial und sehr gestreckter Flugbahn laden. Neben den genannten, für den europäischen Markt besonders interessanten Geschossen und Patronen hat Barnes auch Geschosse für Vorderlader und spezielle Entwicklungen für die in den USA beliebte Varmint-Jagd im Programm. Für das Militär gibt es die MPG-Geschosse (Multi Purpose Green), die als Zerlegungsgeschosse konzipiert sind. Präzisionsschützen finden in der Reihe Match Burners Geschosse für auf maximale Präzision optimierte Ladungen. Mit der Reihe M/LE bietet Barnes Geschosse für unterschiedliche militärische und polizeiliche Einsatzgebiete. 8 Service 8 Weitere Informationen: Hersteller: www.barnesbullets.com importeur: www.helmuthofmann.de Einzelhandel: www.frankonia.de und andere Europas unabhängiges Magazin