2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten
Transcription
2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten
Rassenhygiene Sofia Fäh Inhaltsverzeichnis: 1. Einleitung, Leitfrage S. 2 2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten S. 3 2.1. Der Begriff der Rassenhygiene S. 3 2.2. Der Begriff „arisch“ S. 4 3. Auswirkungen der Rassenlehre 2.1. Anfänge S. 5 2.2. Euthanasie S. 6 2.3. Abwertung von „spezifischen Rassen“ S. 6 2.4. Medizinischer Missbrauch und systematische Vernichtung S. 7 4. Gesellschaftliche Voraussetzungen S. 9 4.1. Institutionalisierung S. 9 4.2. Propaganda S. 10 5. Zusammenfassung S. 12 6. Anhang S. 13 7. Literatur- und Quellenverzeichnis S. 14 1 Rassenhygiene Sofia Fäh 2 1. Einleitung, Leitfrage Im Frühling 09 besuchte ich das Holocaust Museum Yad Vashem in Jerusalem. Als ich durch das Museum ging, wurde mir immer elender, bis ich glaubte, das Ganze nicht mehr aushalten zu können. Ich war schockiert, wie sich aus Ideen eine Handlungsbereitschaft entwickeln kann, die schliesslich zu entsetzlichen Taten führt. Eindrücklich war es für mich, hier ein erstes Mal mit Details von „rassenhygienischen Forschungen“ konfrontiert zu werden, wie sie zur Zeit des Nationalsozialismus betrieben wurden. Ich stand vor einer Wand mit Farbpaletten für Augen und Haare, Ausmessungsinstrumenten und anderen Mitteln, welche die Nationalsozialisten zur „Rassenbestimmung“ benutzten. Wie konnten diese „rassenhygienischen Forschungen“ und die daraus resultierenden „Massnahmen“ zur „Aufwertung“ des Genmaterials mit all ihren schrecklichen Konsequenzen in der breiten Bevölkerung legitimiert und akzeptiert werden? Mit meiner Arbeit will ich dieser Frage auf den Grund gehen, indem ich versuche, die „Rassenhygiene“, ihre Entstehung und Folgen zu beschreiben und das Ganze in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Rassenhygiene Sofia Fäh 3 2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten 2.1. Der Begriff der Rassenhygiene Rassenhygiene war ursprünglich das deutsche Wort für Eugenik. Die Eugenik diente dem Zweck der „Aufartung “, das heisst der Vermehrung „guter“ (positiver) Erbanlagen in der Rasse und der Verringerung von Erbkrankheiten und Genfehlern.1 Der deutsche Arzt Alfred Ploetz benutzte den Begriff „Rassenhygiene“ erstmals und begründete ihn in seiner Schrift „Grundlinien einer Rassenhygiene“, die 1895 erschien.2 Die Grundideen der Eugenik wurden zunehmend radikalisiert und vermischten sich mit sozialdarwinistischen und rassenanthropologischen Ideen.3 Hitler setzte sich während seiner Haft in Landsberg mit Rassenhygiene auseinander und benutzte ihre Grundgedanken auch in seinem Buch „Mein Kampf“. Er rief dazu auf „[...]dass nur wer gesund ist, Kinder zeugt, dass es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen […].“4 Es blieb im Hitler-Regime nicht bei der Vermehrung positiver Erbanlagen, sondern verlagerte sich mehr und mehr auf die Vernichtung „unwerten Lebens“. Definitionen „Man unterscheidet zwischen positiver Eugenik oder positiver Rassenhygiene, also der Verbesserung des Erbgutes durch züchterische Maßnahmen z. B. Förderung kinderreicher Familien, und negativer Eugenik oder negativer Rassenhygiene, das heißt der Beseitigung schlechten Erbgutes aus dem Genpool einer Bevölkerung zugunsten zukünftiger Generationen.“5 Rassenhygiene wurde beschrieben als: „die ‚Reinigung’ des ‚Volkskörpers’ von diversen unerwünschten Bevölkerungsgruppen, seien es ‚Erbkranke’, ‚Asoziale’ und andere ‚Minderwertige’ oder Juden, ‚Zigeuner’ und andere rassisch definierte Gruppen.“6 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene, 3.4.10 http://www.hilfsschule-im-nationalsozialismus.de/seite-7.html, 3.4.10 3 Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 5 4 Adolf Hitler, „Mein Kampf“, 1924, S. 446 in http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene 5 http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene#Antinatalistische_Politik_und_negative_Eu genik, 2.4.10 6 In: Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 4 2 Rassenhygiene Sofia Fäh 4 2.2. Der Begriff „arisch“ „[…] der deutsche Junge der Zukunft muß schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl. Wir müssen einen neuen Menschen erziehen, auf daß unser Volk nicht an den Degenerationserscheinungen der Zeit zugrunde geht.” 1 Hitler behauptete, aufgrund seiner Interpretation der Evolutionstheorie von Darwin, dass ein ständiger Überlebenskampf zwischen Völkern und „Rassen“ herrsche, wo nur die stärkste „Rasse“ überlebe. So begründete Hitler mit dem „Gesetz des Stärkeren“, dass jeder „Minderwertige“ zu vernichten wäre, um die „Rasse“ „stark“ zu halten.2 Der Begriff „Arier“ ist vom persischen „Arya“ (=edel) abgeleitet. Im Buddhismus und Hinduismus beispielsweise wird „arisch“ mit einem „edeln Geiste“ und Licht verbunden. So war eine hellere Haut erstrebenswert, denn diese galt als ein Zeichen für einen „edeln Geist“. In einzelnen deutschen Kreisen wurde behauptet, die Arier stammten ursprünglich aus Deutschland und Skandinavien. Die arische Art zeige sich in der Überlegenheit ihrer Kultur. Im Dritten Reich wurde der Begriff der „Arier“ weiter ausgebaut. So wurde die „arische Rasse“ als eine körperlich und geistig überlegene „Herrenrasse“ definiert, die alles „nichtarische“ unterwerfen sollte. Als besonders „arisch“ galten hellhäutige, blauäugige und blonde Menschen, wobei Kultur und Sprache ebenfalls ausschlaggebend waren. Die Zugehörigkeit zur „arischen Rasse“ wurde von den Nationalsozialisten als genetisch bedingt angesehen. So war es beispielsweise nicht von Belang, ob man sein Leben als konvertierter deutscher Christ geführt hatte, wenn man „jüdische Gene“ besass, war man „nichtarisch“. 3 1 Adolf Hitler am 14. September 1935, Der Parteitag der Freiheit vom 10. bis 16. September 1935. Offizieller Bericht über den Verlauf des Reichsparteitages mit sämtlichen Kongressreden, München 1935, S. 183 in http://de.wikipedia.org/wiki/Herrenrasse 5.4.10 http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/meinkampf/, 5.4.10 3 http://de.wikipedia.org/wiki/Arier#Begriffsgebrauch, 5.4.10 2 Rassenhygiene Sofia Fäh 5 3. Auswirkungen der Rassenlehre 3.1. Anfänge Otmar Freiherr von Verschuer, Humangenetiker und Rassenhygieniker, war der Überzeugung, dass die Erbanlage eines Menschen sein Schicksal bestimme: „Für jeden Menschen sind durch seine Erbveranlagung schicksalhaft bestimmte Grenzen für seine Entwicklung festgelegt. Ein Neger kann keine weißen Kinder erzeugen, erblich Schwachsinnige haben wiederum vorwiegend schwachsinnige Kinder, bestimmte Missbildungen übertragen sich nach bekannter Gesetzmäßigkeit usw. Das sind Grenzen, die durch unsere Forschung immer klarer und sicherer abgesteckt werden. Sie sind nicht überschreitbar.“ 1 Diese Überzeugung setzte sich im Denken der Nationalsozialisten fest und radikalisierte sich zunehmend. Angefangen wurde mit Anreizen für Mutterschaft von „erbgesunden“ Frauen: Der Staat unterstützte solche finanziell und ehrte kinderreiche Familien öffentlich. Für Kinderlose wurden Geldstrafen bzw. eine höhere Besteuerung veranlasst. Dies war nicht nur eine „Massnahme“ zur Vermehrung „gesunden“ Genmaterials, sondern auch grundsätzlich eine Reaktion auf die damals sinkende Geburtenrate. Bald wurden „erbkranke“ Frauen und Männern entweder zwangssterilisiert oder deren Eheschliessung verboten. Man begann, vor der Eheschliessung „erbgesundheitsärztliche“ Untersuchungen durchzuführen, bei welchen bestimmt wurde, wie mit den Heiratswilligen „verfahren“ werden sollte. Als „erbkrank“ galten: „[...]‚gemeingefährliche Irre’, Gewohnheitsverbrecher und andere ‚Schädlinge der Gesellschaft’“2. Als Nächstes wurde der Begriff auf alle ausgeweitet, die das System „belasteten“: „[...]Landstreicher, Arbeitsscheue, Hausierbettler, Trunkenbolde, Verbrecher, Prostituierte und Zuhälter [...] sowie ‚Blöd- und Schwachsinnige’, Geisteskranke, Epileptiker, anstaltsbedürftige Blinde, Taubstumme, Krüppel, Invalide und Sieche etc.“3 1 Verschuer, Erbbild vom Menschen, S.12. in Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S. 402 Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 6 3 Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 6 und Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S.410 - 416 2 Rassenhygiene Sofia Fäh 6 3.2. Euthanasie Als weiterführende „Massnahme“ kam es zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ („Euthanasie“), die anfangs 1940 zunächst illegal „durchgeführt“ wurde. Bald darauf wurde ein Gesetzesentwurf zur Legalisierung der „Euthanasie-Aktion“ ausgearbeitet. Es wurde verlangt (laut §1), dass demjenigen, der an einer unheilbaren Krankheit leide, das Recht auf Sterbehilfe gewährt sei und dass das Leben von Menschen, die aufgrund ihrer unheilbaren Krankheit ihr Leben lang anderen „zur Last“ fallen würden, durch ärztliche Massnahmen beendet werden dürfte (laut §2). Die „Euthanasie-Aktion“ beschränkte sich nicht nur auf Erwachsene, schon Kinder sollten so bald wie möglich „von ihren Leiden befreit werden“, damit Eltern „ungehindert“ weitere gesunde Nachkommen zeugen könnten. Hitler lehnte die Legalisierung der „Euthanasie“ zwar ab, unterband sie aber nicht. Ihr fielen während des gesamten Regimes mindestens 70'000 behinderte oder kranke Menschen zum Opfer.1 3.3. Abwertung von „spezifischen Rassen“ Bis dahin hatten „rassistische“ Aspekte noch keine Rolle gespielt: Die „Wertung“ bezog sich noch nicht spezifisch auf die Unterscheidung verschiedener menschlicher Rassen. Hitlers Idee von der arischen Rasse vermischte Rassenhygiene und Rassenanthropologie. Forscher behaupteten beispielsweise, dass es Intelligenzunterschiede zwischen den einzelnen Rassen gäbe. Nun galt es für die Nationalsozialisten, mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich das „arische Blut“ mit „minderwertigem Blut“ mischt, denn dies würde zu einem „Niedergang der Rasse“ führen.2 Der Begriff der „Minderwertigkeit“ wurde auf Juden, Roma und Sinti und Dunkelhäutige ausgeweitet. Forscher begannen, diese „Rassen“ äusserlich zu definieren. Der deutsche Mediziner, Anthropologe und Rassenhygieniker Eugen Fischer äusserte sich zum „Rassentypus des Judentums“ folgerdermassen: „Nun sieht aber der Kundige an allen Rassen, so auch an den Grundrassen der Juden, eine Menge physiognomischer Einzelheiten [...]. Man erkennt oft mit völliger Sicherheit einen Juden als solchen, auch wenn er keine sog. Judennase [...] hat. Es gibt ein Etwas [...] in der jüdischen Physiognomie, was nicht messbar, kaum im einzelnen so beschreibbar ist, dass sich der Leser oder Hörer ein klares Bild davon machen kann. Es wird aber kein Mensch daran zweifeln, dass man sehr zahlreiche 1 2 Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S.416 - 422 Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 5 - 10 Rassenhygiene Sofia Fäh 7 Juden mit völliger Sicherheit aus Nichtjuden heraus erkennen kann. [...] Es ist nicht angängig, die Angabe eines allgemeinen ‚Eindruckes’ von ‚jüdisch’ bei der Beurteilung der Bilder als unwissenschaftlich abzutun.“1 3.4. Medizinischer Missbrauch und systematische Vernichtung Die so genannten „Erbkranken“ wurden zu medizinischen Zwecken missbraucht und dann systematisch vernichtet. In den Jahren 1940/41 wurde ein Massenmord in Gaskammern an psychisch Kranken und geistig behinderten Menschen unter dem Namen „Aktion T4“ durchgeführt. Auch verübten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und der SD Massaker. Diese „Massnahmen“ waren der deutschen Bevölkerung weitgehend bekannt und wurden toleriert. Die Forschung leistete mehr und mehr Beihilfe zur Ermordung unzähliger unschuldiger Menschen, indem sie sich nicht mehr von der Politik abgrenzte, sondern mit ihr zusammenarbeitete. Dies auch, als die Nationalsozialisten zunehmend eine „Endlösung der Judenfrage“ suchten. Die Forschung nutzte diese „Gelegenheit“ zu eigenen Zwecken. So wollte man beispielsweise eine jüdische Schädelsammlung anlegen, um „greifbare“ wissenschaftliche Ergebnisse der „Rassenbestimmung“ zu erzielen. Man deportierte Juden vor aller Augen aus dem deutschen Reich unter dem Vorwand einer „Umsiedlung“ und eines „Arbeitseinsatzes im Osten“. Die deutsche Bevölkerung nahm den ganzen Deportierungsprozess stillschweigend unter diesem Vorwand hin. Dies bedurfte einer riesigen Selbsttäuschung, nachdem man auch beispielsweise von der „Aktion T4“ erfahren hatte. In Ghettos, Arbeits- und Konzentrationslagern wurde die systematische Massenvernichtung der Juden durchgeführt.2 Auch die Roma und Sinti waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Die „Zigeunerfrage“ wurde gleich wie die „Judenfrage“ als „Rassenproblem“ angesehen, das es zu „lösen“ galt. Die Roma und Sinti galten nämlich auch als „artenfremde Rasse“ und wegen ihrem „asozialen“ Verhalten wurde ihnen ein „Genfehler“ zugeschrieben, der sie zu „Minderwertigen“ machte. Auch ihnen wurden „rassentypische Merkmale“ zugeschrieben: So glaubten Forscher beispielsweise, anhand von Fingerabdrücken die „Reinrassigkeit des Zigeuners“ feststellen zu können. Die Roma und Sinti wurden in Konzentrationslager oder Internierungslager deportiert, wo man sie weiter „erforschte“. Dies mit dem Ziel, eine „wissenschaftliche“ Grundlage für die Vernichtung der Roma und Sinti zu schaffen.3 1 Fischer / Kittel: Weltjudentum, S.113 in Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S.445/446 Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S. 444 - 449 3 Ebd., S. 464 - 470 2 Rassenhygiene Sofia Fäh 8 Für die Forschung und Medizin gab es nun keine Grenzen mehr. Das menschliche Denken hatte sich zum grossen Teil ausgeschaltet. Was noch zählte, war der Fortschritt. So wies der rumänisch-ungarische Mediziner auf die „Vorteile“ der Konzentrationslager hin: „Ein in der Geschichte der Medizin weltweit nie dagewesenes Ereignis wird hier realisiert: Zur gleichen Zeit sterben Zwillingsgeschwister und es besteht die Möglichkeit, ihre Leichen einer Sektion zu unterziehen. Wo gibt es schon im normalen Leben den an ein Wunder grenzenden Fall, dass Zwillinge am gleichen Ort, zur gleichen Zeit sterben? [...] Eine vergleichende Sektion ist also unter normalen Umständen absolut unmöglich. Im Lager von Auschwitz aber gibt es mehrere hundert Zwillingspaare, ihr Tod bietet mehrere hundert Möglichkeiten.“1 Forschungen wurden nicht nur an Toten, sondern auch an Lebenden durchgeführt. Für die Todesursache interessierte man sich nicht und es gab nach dem Krieg Forscher, die behaupteten, nichts von Vernichtungslagern gewusst zu haben.2 Bei wertvollem und interessantem „Menschenmaterial“ wurde dem Tod manchmal etwas „nachgeholfen“, um die Forschung nicht „aufzuhalten“. Man versuchte sogar, „unwerte“ Menschen zu „arisieren“, indem man beispielsweise versuchte, ihre Augenfarbe zu verändern. Die „Versuchsobjekte“ litten unter starken Nebenwirkungen wie eiternde Augen bis Erblindungen. Müttern wurden ihre Neugeborenen weggenommen, Versuche wurden an ihnen durchgeführt und falls sie es überlebten, wurden sie zurück gebracht. 3 Die Menschen in den Konzentrationslagern galten nur noch als Objekte, die nichts wert waren. 1 Nyiszli, Jenseits, S. 42. Vgl. Massin, Mengele, S. 210 – 217, in Schmuhl: Grenzüberschreitungen S. 478 Schmuhl: Grenzüberschreitungen S. 486 / 487 3 Ebd., S. 496 – 502 2 Rassenhygiene Sofia Fäh 9 4. Gesellschaftliche Voraussetzungen Wie bereits erwähnt, ging die Rassenhygiene aus der Eugenik, dem Sozialdarwinismus, der Rassenanthropologie und völkischen Aspekten hervor. Diese hatten als Folge des ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftkrise an Bedeutung gewonnen: Das Verlangen nach einer geschlossenen volksgemeinschaftlichen Ordnung, in der Freiheitsansprüche des Einzelnen unter das Wohl des Volkes gestellt wurden, führten zu einer „Toleranz“ der Ausgrenzung „unwerten“ Lebens zum „Schutze“ der „Volksgesundheit“.1 Der Sozialdarwinismus zielte auf eine Bildungsreform, im Sinne einer „Chancengleichheit“ für alle. Das heisst, Menschen mit „natürlichen“ oder angeborenen Begabungen sollten nicht an der freien Entfaltung ihrer Begabungen, durch „Unbegabte“ gehindert werden. Die Eugenik zielte, wie bereits erwähnt, auf eine Vermehrung „positiven“ Erbmaterials. Auch dies brachte die Forderung nach einer Reform mit sich: Rassenhygiene sollte im Lehrplan aufgenommen werden und die Schulzeiten verkürzt, „[...] damit die ‚Begabten’ schneller zur Familiengründung kommen und sich fortpflanzen können.“2 Die Nationalsozialisten vermischten Sozialdarwinismus und Eugenik mit der Anthropologie, der „Wissenschaft des Menschen“ und bildeten daraus ihre „Rassenlehre“. Dadurch ersetzten sie Begriffe wie „die Gesellschaft belastende“ bzw. „nicht-belastende“ Individuen durch eine gezielte, pseudo-wissenschaftliche und rassistische Einteilung der Menschen. Die Wissenschaft diente zunehmend der Ideologie: „Das Parallelgehen von politischen und wissenschaftlichen Gedanken ist kein Zufall, sondern innere Notwendigkeit. [...] Wir Erbbiologen und Rassenhygieniker [...] bleiben in der Stille unserer wissenschaftlichen Forschungstätigkeiten aus der inneren Überzeugung heraus, dass auch auf diesem Felde Schlachten geschlagen werden, die für den Fortbestand unseres Volkes von größter Bedeutung sind.“3 (Humangenetiker, Rassenhygieniker und „Erbarzt“ Otmar Freiherr von Verschuer) 4.1. Institutionalisierung Die Institutionalisierung der Rassenhygiene im Bildungssystem erfolgte vor allem auf zwei Ebenen: Einerseits auf der Ebene der medizinischen Ausbildung und Lehrerbildung, indem Rassenlehre und Vererbungslehre an den Schulen eingeführt wurden und auch zur 1 Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 5-7 Ebd., S. 6 3 Verschuer, Erbbild des Menschen, S.12 in Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S.402 2 Rassenhygiene Sofia Fäh 10 Hochschulausbildung für Lehrer gehörten. Andererseits wurden rassenpolitische Ziele im Bildungssystem umgesetzt, indem in öffentlichen Schulen die Kinder „Minderwertiger“, sowie Lernschwache oder Schwererziehbare „aussortiert“ wurden. Sie wurden in „Sonderschulen“, „Jugendschutzlager“ oder „Heilanstalten“ eingewiesen, wo später viele von ihnen der „Euthanasie“ zum Opfer fielen. „Nicht-arische“ Schüler, wie Juden, Roma und Sinti oder Polen, wurden von der öffentlichen Schule entweder ganz oder spätestens nach der Grundausbildung ausgeschlossen. Vor Anmeldung zu einem Studium musste man sich erbbiologischen Untersuchungen unterziehen, jeder hatte eine Ahnen- und Sippentafel und ein „Erbgesundheitsattest“ vorzuweisen. So konnten sich nationalsozialistische Werte und Ideen leichter in den Köpfen „arischer“ Kinder festsetzten, zudem wurde es ihnen von Anfang an verunmöglicht, mit andern Kindern in Kontakt zu kommen.1 4.2. Propaganda 2 Abbildung 1: Vorbereitung der Euthanasie. Aus der Dia-Serie "Blut und Boden", die für Schulungszwecke eingesetzt wurde. Der grösste Teil der Umsetzung politischer Ziele geschah in der öffentlichen Propaganda: Es wurden beispielsweise Kinderbücher, Zeitungen und Plakate mit antisemitischen Zeichnungen und Texten gedruckt und überall verteilt oder Kinderspiele hergestellt, deren 1 2 Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 21-22 Abbildung 1: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/highres_30009704%20copy1.jpg, 8.4.10 Rassenhygiene Sofia Fäh 11 Inhalt es war, „den Juden“ zu vertreiben. Die Bevölkerung wurde überall daran erinnert, dass es unerwünschte „Schädlinge“ in der Gesellschaft gäbe. „Der Jude, nur scheinbar darauf ausgehend, die Lage des Arbeiters zu verbessern, in Wahrheit aber die Versklavung und damit die Vernichtung aller nichtjüdischer Völker beabsichtigt.“1 Man stellte die „arische“ Bevölkerung manchmal sogar in die Rolle des Opfers, wie Hitler beispielsweise in „Mein Kampf“ schreibt: „Der Jude lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens, Volke raubt.“2 1 In: Hitler, „Mein Kampf“, S.351. Zit. Nach: Dokumente über die Verfolgung jüdischer Bürger in BadenWürttemberg durch das Nationalsozialistische Regime 1933-1945, Bd. 1, hrsg. Von der Archivdirektion Stuttgart, bearbeitet von P. Sauer, Stuttgart 1966, S. 86 f. In (verteiltem Dossier zum Nationalsozialismus) Horizonte II, S. 307, 2008 2 In: Hitler, „Mein Kampf“, S.357. Ebd. S. 307 Rassenhygiene Sofia Fäh 12 5. Zusammenfassung Nun zurück zu meiner Leitfrage: Wie konnten diese „rassenhygienischen Forschungen“ und die daraus resultierenden „Massnahmen“ zur „Aufwertung“ des Genmaterials mit all ihren schrecklichen Konsequenzen in der breiten Bevölkerung legitimiert und akzeptiert werden? Bei der Bearbeitung des Themas ist mir bewusst geworden, dass mehrere Faktoren zusammenwirkten: 1. Krieg und Wirtschaftskrise 2. Versprechen, „Führer-Kult“ 3. Propaganda, „Sündenbock“-Thematik 4. Erziehungs- Bildungmassnahmen, „Verwissenschaftlichung“ 5. Militär- und Gewaltregime, dominantes Regime, unmündiges Volk 1. Die Nationalsozialisten „stocherten in offenen Wunden“, wie beispielsweise der Armut oder der hohen Arbeitslosigkeit, hervorgerufen durch den Krieg und die Weltwirtschaftskrise. 2. Die ersten Versprechen der Nationalsozialisten waren „Brot und Arbeit“, was in der breiten Bevölkerung auf Begeisterung stiess. Mut und Zuversicht wurde den Menschen zugesprochen, Hoffnung kam auf und liess den Führer zum Erlöser werden (s. Anhang!). Mit grossen Aufmärschen und „Massenveranstaltungen“ gab man der Bevölkerung eine Identifikationsebene und ein „Nationalgefühl“. 3. Auch lieferten die Nationalsozialisten Schuldige, die für das Schlechte, was dem „Volk“ widerfahren sei, verantwortlich gemacht werden konnten. Täglich wurde die Bevölkerung an die „Schuld der Andern“ durch Antisemitistische und rassistische Propaganda erinnert. 4. Wissenschaft und Bildungswesen rückten immer näher an die Politik, womit die politisch fragwürdigen Handlungen legitimiert wurden. Das „Volk“ wurde zu Autoritätsgläubigkeit „erzogen“. 5. Wer sich gegen das Regime stellte, wurde unterdrückt oder beseitigt. Militär- und Polizeitgewalt waren überall präsent, so dass keiner mehr zu widersprechen wagte. So konnten die NS-Ideen als einzige Wahrheit in das Bewusstsein der Menschen dringen. Fazit: Die nationalsozialistische „Gehirnwäsche“ wuchs auf dem Boden der Krise in der Hoffnung auf einen starken Retter. So unglaublich das Ganze tönt, halte ich es dennoch nicht für ausgeschlossen, dass sich Menschen unter gleichen Umständen auch heute oder in Zukunft gleich verhalten könnten – ein erschreckender Gedanke! Rassenhygiene Sofia Fäh 13 6. Anhang „ Adolf Hitler! Dir sind wir allein verbunden! Wir wollen in dieser Stunde das Gelöbnis erneuern: Wir glauben auf dieser Erde allein an Adolf Hitler. Wir glauben, dass der Nationalsozialismus der allein seligmachende Glaube für unser Volk ist. Wir glauben, dass es einen Herrgott im Himmel gibt, der uns geschaffen hat, des uns führt, der und lenkt und der uns sichtbarlich segnet. Und wir glauben, dass dieser Herrgott uns Adolf Hitler gesandt hat, damit Deutschland für alle Ewigkeit ein Fundament werde.“ (Reichsleiter Dr. Robert Ley am 10. Februar 1937)1 1 Neue Gesellschaft für Bildende Kunst und Kunstamt Kreuzberg (Hg.), Faschismus, Berlin 1976, S. 85. Rassenhygiene Sofia Fäh 7. Literatur- und Quellenverzeichnis Bücher: 1. Schmuhl, Hans-Walter: Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Willhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927-1945. Band 9. Göttingen 2005. 2. Harten, Hans-Christian/ Neirich, Uwe/ Schwerendt, Matthias: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch. Band 10. Berlin 2006. Dossier: 1. Dossier zum Nationalsozialismus, Horizonte II Internetseiten: 1. www.wikipedia.org, 2.4.10 – 8.4.10 2. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/meinkampf/ 5.4.10 3. http://www.hilfsschule-im-nationalsozialismus.de/seite-7.html 3.4.10 Bildquellen: Abbildung 1.: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/highres_30009704%20copy1.jpg, 8.4.10 Titelblatt: 1. http://www.eugenicsarchive.org/images/eugenics/detail/2251-2300/2276d-12-year-oldmale-twins-undergoing-anthropometric-study-by-Otmar-Freiherr-von-Verschuer.jpg 7.4.10 2. http://www.jmberlin.de/toedliche-medizin/img/zwillinge.jpg 14