2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten

Transcription

2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten
Rassenhygiene
Sofia Fäh
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung, Leitfrage
S. 2
2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten
S. 3
2.1. Der Begriff der Rassenhygiene
S. 3
2.2. Der Begriff „arisch“
S. 4
3. Auswirkungen der Rassenlehre
2.1. Anfänge
S. 5
2.2. Euthanasie
S. 6
2.3. Abwertung von „spezifischen Rassen“
S. 6
2.4. Medizinischer Missbrauch und systematische Vernichtung
S. 7
4. Gesellschaftliche Voraussetzungen
S. 9
4.1. Institutionalisierung
S. 9
4.2. Propaganda
S. 10
5. Zusammenfassung
S. 12
6. Anhang
S. 13
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
S. 14
1
Rassenhygiene
Sofia Fäh
2
1. Einleitung, Leitfrage
Im Frühling 09 besuchte ich das Holocaust Museum Yad Vashem in Jerusalem. Als ich durch
das Museum ging, wurde mir immer elender, bis ich glaubte, das Ganze nicht mehr aushalten
zu können. Ich war schockiert, wie sich aus Ideen eine Handlungsbereitschaft entwickeln
kann, die schliesslich zu entsetzlichen Taten führt. Eindrücklich war es für mich, hier ein
erstes Mal mit Details von „rassenhygienischen Forschungen“ konfrontiert zu werden, wie sie
zur Zeit des Nationalsozialismus betrieben wurden. Ich stand vor einer Wand mit Farbpaletten
für Augen und Haare, Ausmessungsinstrumenten und anderen Mitteln, welche die
Nationalsozialisten zur „Rassenbestimmung“ benutzten.
Wie konnten diese „rassenhygienischen Forschungen“ und die daraus resultierenden
„Massnahmen“ zur „Aufwertung“ des Genmaterials mit all ihren schrecklichen
Konsequenzen in der breiten Bevölkerung legitimiert und akzeptiert werden?
Mit meiner Arbeit will ich dieser Frage auf den Grund gehen, indem ich versuche, die
„Rassenhygiene“, ihre Entstehung und Folgen zu beschreiben und das Ganze in einen
gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen.
Rassenhygiene
Sofia Fäh
3
2. Die Rassenlehre der Nationalsozialisten
2.1. Der Begriff der Rassenhygiene
Rassenhygiene war ursprünglich das deutsche Wort für Eugenik. Die Eugenik diente dem
Zweck der „Aufartung “, das heisst der Vermehrung „guter“ (positiver) Erbanlagen in der
Rasse und der Verringerung von Erbkrankheiten und Genfehlern.1 Der deutsche Arzt Alfred
Ploetz benutzte den Begriff „Rassenhygiene“ erstmals und begründete ihn in seiner Schrift
„Grundlinien einer Rassenhygiene“, die 1895 erschien.2 Die Grundideen der Eugenik wurden
zunehmend radikalisiert und vermischten sich mit sozialdarwinistischen und
rassenanthropologischen Ideen.3
Hitler setzte sich während seiner Haft in Landsberg mit Rassenhygiene auseinander und
benutzte ihre Grundgedanken auch in seinem Buch „Mein Kampf“. Er rief dazu auf „[...]dass
nur wer gesund ist, Kinder zeugt, dass es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und
eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen […].“4 Es blieb im Hitler-Regime
nicht bei der Vermehrung positiver Erbanlagen, sondern verlagerte sich mehr und mehr auf
die Vernichtung „unwerten Lebens“.
Definitionen
„Man unterscheidet zwischen positiver Eugenik oder positiver Rassenhygiene, also
der Verbesserung des Erbgutes durch züchterische Maßnahmen z. B. Förderung
kinderreicher Familien, und negativer Eugenik oder negativer Rassenhygiene, das
heißt der Beseitigung schlechten Erbgutes aus dem Genpool einer Bevölkerung
zugunsten zukünftiger Generationen.“5
Rassenhygiene wurde beschrieben als:
„die ‚Reinigung’ des ‚Volkskörpers’ von diversen unerwünschten
Bevölkerungsgruppen, seien es ‚Erbkranke’, ‚Asoziale’ und andere ‚Minderwertige’
oder Juden, ‚Zigeuner’ und andere rassisch definierte Gruppen.“6
1
http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene, 3.4.10
http://www.hilfsschule-im-nationalsozialismus.de/seite-7.html, 3.4.10
3
Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 5
4
Adolf Hitler, „Mein Kampf“, 1924, S. 446 in
http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene
5
http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Rassenhygiene#Antinatalistische_Politik_und_negative_Eu
genik, 2.4.10
6
In: Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 4
2
Rassenhygiene
Sofia Fäh
4
2.2. Der Begriff „arisch“
„[…] der deutsche Junge der Zukunft muß schlank und rank sein, flink wie
Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl. Wir müssen einen neuen
Menschen erziehen, auf daß unser Volk nicht an den Degenerationserscheinungen der
Zeit zugrunde geht.” 1
Hitler behauptete, aufgrund seiner Interpretation der Evolutionstheorie von Darwin, dass ein
ständiger Überlebenskampf zwischen Völkern und „Rassen“ herrsche, wo nur die stärkste
„Rasse“ überlebe. So begründete Hitler mit dem „Gesetz des Stärkeren“, dass jeder
„Minderwertige“ zu vernichten wäre, um die „Rasse“ „stark“ zu halten.2
Der Begriff „Arier“ ist vom persischen „Arya“ (=edel) abgeleitet. Im Buddhismus und
Hinduismus beispielsweise wird „arisch“ mit einem „edeln Geiste“ und Licht verbunden. So
war eine hellere Haut erstrebenswert, denn diese galt als ein Zeichen für einen „edeln Geist“.
In einzelnen deutschen Kreisen wurde behauptet, die Arier stammten ursprünglich aus
Deutschland und Skandinavien. Die arische Art zeige sich in der Überlegenheit ihrer Kultur.
Im Dritten Reich wurde der Begriff der „Arier“ weiter ausgebaut. So wurde die „arische
Rasse“ als eine körperlich und geistig überlegene „Herrenrasse“ definiert, die alles
„nichtarische“ unterwerfen sollte. Als besonders „arisch“ galten hellhäutige, blauäugige und
blonde Menschen, wobei Kultur und Sprache ebenfalls ausschlaggebend waren. Die
Zugehörigkeit zur „arischen Rasse“ wurde von den Nationalsozialisten als genetisch bedingt
angesehen. So war es beispielsweise nicht von Belang, ob man sein Leben als konvertierter
deutscher Christ geführt hatte, wenn man „jüdische Gene“ besass, war man „nichtarisch“. 3
1
Adolf Hitler am 14. September 1935, Der Parteitag der Freiheit vom 10. bis 16. September 1935. Offizieller
Bericht über den Verlauf des Reichsparteitages mit sämtlichen Kongressreden, München 1935, S. 183 in
http://de.wikipedia.org/wiki/Herrenrasse 5.4.10
http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/meinkampf/, 5.4.10
3
http://de.wikipedia.org/wiki/Arier#Begriffsgebrauch, 5.4.10
2
Rassenhygiene
Sofia Fäh
5
3. Auswirkungen der Rassenlehre
3.1. Anfänge
Otmar Freiherr von Verschuer, Humangenetiker und Rassenhygieniker, war der
Überzeugung, dass die Erbanlage eines Menschen sein Schicksal bestimme:
„Für jeden Menschen sind durch seine Erbveranlagung schicksalhaft bestimmte
Grenzen für seine Entwicklung festgelegt. Ein Neger kann keine weißen Kinder
erzeugen, erblich Schwachsinnige haben wiederum vorwiegend schwachsinnige
Kinder, bestimmte Missbildungen übertragen sich nach bekannter Gesetzmäßigkeit
usw. Das sind Grenzen, die durch unsere Forschung immer klarer und sicherer
abgesteckt werden. Sie sind nicht überschreitbar.“ 1
Diese Überzeugung setzte sich im Denken der Nationalsozialisten fest und radikalisierte sich
zunehmend.
Angefangen wurde mit Anreizen für Mutterschaft von „erbgesunden“ Frauen: Der Staat
unterstützte solche finanziell und ehrte kinderreiche Familien öffentlich. Für Kinderlose
wurden Geldstrafen bzw. eine höhere Besteuerung veranlasst. Dies war nicht nur eine
„Massnahme“ zur Vermehrung „gesunden“ Genmaterials, sondern auch grundsätzlich eine
Reaktion auf die damals sinkende Geburtenrate.
Bald wurden „erbkranke“ Frauen und Männern entweder zwangssterilisiert oder deren
Eheschliessung verboten. Man begann, vor der Eheschliessung „erbgesundheitsärztliche“
Untersuchungen durchzuführen, bei welchen bestimmt wurde, wie mit den Heiratswilligen
„verfahren“ werden sollte. Als „erbkrank“ galten: „[...]‚gemeingefährliche Irre’,
Gewohnheitsverbrecher und andere ‚Schädlinge der Gesellschaft’“2. Als Nächstes wurde der
Begriff auf alle ausgeweitet, die das System „belasteten“: „[...]Landstreicher, Arbeitsscheue,
Hausierbettler, Trunkenbolde, Verbrecher, Prostituierte und Zuhälter [...] sowie ‚Blöd- und
Schwachsinnige’, Geisteskranke, Epileptiker, anstaltsbedürftige Blinde, Taubstumme,
Krüppel, Invalide und Sieche etc.“3
1
Verschuer, Erbbild vom Menschen, S.12. in Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S. 402
Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 6
3
Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 6 und Schmuhl:
Grenzüberschreitungen, S.410 - 416
2
Rassenhygiene
Sofia Fäh
6
3.2. Euthanasie
Als weiterführende „Massnahme“ kam es zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“
(„Euthanasie“), die anfangs 1940 zunächst illegal „durchgeführt“ wurde. Bald darauf wurde
ein Gesetzesentwurf zur Legalisierung der „Euthanasie-Aktion“ ausgearbeitet. Es wurde
verlangt (laut §1), dass demjenigen, der an einer unheilbaren Krankheit leide, das Recht auf
Sterbehilfe gewährt sei und dass das Leben von Menschen, die aufgrund ihrer unheilbaren
Krankheit ihr Leben lang anderen „zur Last“ fallen würden, durch ärztliche Massnahmen
beendet werden dürfte (laut §2). Die „Euthanasie-Aktion“ beschränkte sich nicht nur auf
Erwachsene, schon Kinder sollten so bald wie möglich „von ihren Leiden befreit werden“,
damit Eltern „ungehindert“ weitere gesunde Nachkommen zeugen könnten. Hitler lehnte die
Legalisierung der „Euthanasie“ zwar ab, unterband sie aber nicht. Ihr fielen während des
gesamten Regimes mindestens 70'000 behinderte oder kranke Menschen zum Opfer.1
3.3. Abwertung von „spezifischen Rassen“
Bis dahin hatten „rassistische“ Aspekte noch keine Rolle gespielt: Die „Wertung“ bezog sich
noch nicht spezifisch auf die Unterscheidung verschiedener menschlicher Rassen. Hitlers Idee
von der arischen Rasse vermischte Rassenhygiene und Rassenanthropologie. Forscher
behaupteten beispielsweise, dass es Intelligenzunterschiede zwischen den einzelnen Rassen
gäbe. Nun galt es für die Nationalsozialisten, mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich das
„arische Blut“ mit „minderwertigem Blut“ mischt, denn dies würde zu einem „Niedergang der
Rasse“ führen.2 Der Begriff der „Minderwertigkeit“ wurde auf Juden, Roma und Sinti und
Dunkelhäutige ausgeweitet. Forscher begannen, diese „Rassen“ äusserlich zu definieren. Der
deutsche Mediziner, Anthropologe und Rassenhygieniker Eugen Fischer äusserte sich zum
„Rassentypus des Judentums“ folgerdermassen:
„Nun sieht aber der Kundige an allen Rassen, so auch an den Grundrassen der Juden,
eine Menge physiognomischer Einzelheiten [...]. Man erkennt oft mit völliger
Sicherheit einen Juden als solchen, auch wenn er keine sog. Judennase [...] hat. Es
gibt ein Etwas [...] in der jüdischen Physiognomie, was nicht messbar, kaum im
einzelnen so beschreibbar ist, dass sich der Leser oder Hörer ein klares Bild davon
machen kann. Es wird aber kein Mensch daran zweifeln, dass man sehr zahlreiche
1
2
Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S.416 - 422
Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 5 - 10
Rassenhygiene
Sofia Fäh
7
Juden mit völliger Sicherheit aus Nichtjuden heraus erkennen kann. [...] Es ist nicht
angängig, die Angabe eines allgemeinen ‚Eindruckes’ von ‚jüdisch’ bei der
Beurteilung der Bilder als unwissenschaftlich abzutun.“1
3.4. Medizinischer Missbrauch und systematische Vernichtung
Die so genannten „Erbkranken“ wurden zu medizinischen Zwecken missbraucht und dann
systematisch vernichtet. In den Jahren 1940/41 wurde ein Massenmord in Gaskammern an
psychisch Kranken und geistig behinderten Menschen unter dem Namen „Aktion T4“
durchgeführt. Auch verübten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und der SD Massaker.
Diese „Massnahmen“ waren der deutschen Bevölkerung weitgehend bekannt und wurden
toleriert. Die Forschung leistete mehr und mehr Beihilfe zur Ermordung unzähliger
unschuldiger Menschen, indem sie sich nicht mehr von der Politik abgrenzte, sondern mit ihr
zusammenarbeitete.
Dies auch, als die Nationalsozialisten zunehmend eine „Endlösung der Judenfrage“ suchten.
Die Forschung nutzte diese „Gelegenheit“ zu eigenen Zwecken. So wollte man beispielsweise
eine jüdische Schädelsammlung anlegen, um „greifbare“ wissenschaftliche Ergebnisse der
„Rassenbestimmung“ zu erzielen. Man deportierte Juden vor aller Augen aus dem deutschen
Reich unter dem Vorwand einer „Umsiedlung“ und eines „Arbeitseinsatzes im Osten“. Die
deutsche Bevölkerung nahm den ganzen Deportierungsprozess stillschweigend unter diesem
Vorwand hin. Dies bedurfte einer riesigen Selbsttäuschung, nachdem man auch
beispielsweise von der „Aktion T4“ erfahren hatte. In Ghettos, Arbeits- und
Konzentrationslagern wurde die systematische Massenvernichtung der Juden durchgeführt.2
Auch die Roma und Sinti waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Die
„Zigeunerfrage“ wurde gleich wie die „Judenfrage“ als „Rassenproblem“ angesehen, das es
zu „lösen“ galt. Die Roma und Sinti galten nämlich auch als „artenfremde Rasse“ und wegen
ihrem „asozialen“ Verhalten wurde ihnen ein „Genfehler“ zugeschrieben, der sie zu
„Minderwertigen“ machte. Auch ihnen wurden „rassentypische Merkmale“ zugeschrieben: So
glaubten Forscher beispielsweise, anhand von Fingerabdrücken die „Reinrassigkeit des
Zigeuners“ feststellen zu können. Die Roma und Sinti wurden in Konzentrationslager oder
Internierungslager deportiert, wo man sie weiter „erforschte“. Dies mit dem Ziel, eine
„wissenschaftliche“ Grundlage für die Vernichtung der Roma und Sinti zu schaffen.3
1
Fischer / Kittel: Weltjudentum, S.113 in Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S.445/446
Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S. 444 - 449
3
Ebd., S. 464 - 470
2
Rassenhygiene
Sofia Fäh
8
Für die Forschung und Medizin gab es nun keine Grenzen mehr. Das menschliche Denken
hatte sich zum grossen Teil ausgeschaltet. Was noch zählte, war der Fortschritt. So wies der
rumänisch-ungarische Mediziner auf die „Vorteile“ der Konzentrationslager hin:
„Ein in der Geschichte der Medizin weltweit nie dagewesenes Ereignis wird hier
realisiert: Zur gleichen Zeit sterben Zwillingsgeschwister und es besteht die
Möglichkeit, ihre Leichen einer Sektion zu unterziehen. Wo gibt es schon im normalen
Leben den an ein Wunder grenzenden Fall, dass Zwillinge am gleichen Ort, zur
gleichen Zeit sterben? [...] Eine vergleichende Sektion ist also unter normalen
Umständen absolut unmöglich. Im Lager von Auschwitz aber gibt es mehrere hundert
Zwillingspaare, ihr Tod bietet mehrere hundert Möglichkeiten.“1
Forschungen wurden nicht nur an Toten, sondern auch an Lebenden durchgeführt. Für die
Todesursache interessierte man sich nicht und es gab nach dem Krieg Forscher, die
behaupteten, nichts von Vernichtungslagern gewusst zu haben.2 Bei wertvollem und
interessantem „Menschenmaterial“ wurde dem Tod manchmal etwas „nachgeholfen“, um die
Forschung nicht „aufzuhalten“. Man versuchte sogar, „unwerte“ Menschen zu „arisieren“,
indem man beispielsweise versuchte, ihre Augenfarbe zu verändern. Die „Versuchsobjekte“
litten unter starken Nebenwirkungen wie eiternde Augen bis Erblindungen. Müttern wurden
ihre Neugeborenen weggenommen, Versuche wurden an ihnen durchgeführt und falls sie es
überlebten, wurden sie zurück gebracht. 3 Die Menschen in den Konzentrationslagern galten
nur noch als Objekte, die nichts wert waren.
1
Nyiszli, Jenseits, S. 42. Vgl. Massin, Mengele, S. 210 – 217, in Schmuhl: Grenzüberschreitungen S. 478
Schmuhl: Grenzüberschreitungen S. 486 / 487
3
Ebd., S. 496 – 502
2
Rassenhygiene
Sofia Fäh
9
4. Gesellschaftliche Voraussetzungen
Wie bereits erwähnt, ging die Rassenhygiene aus der Eugenik, dem Sozialdarwinismus, der
Rassenanthropologie und völkischen Aspekten hervor. Diese hatten als Folge des ersten
Weltkriegs und der Weltwirtschaftkrise an Bedeutung gewonnen: Das Verlangen nach einer
geschlossenen volksgemeinschaftlichen Ordnung, in der Freiheitsansprüche des Einzelnen
unter das Wohl des Volkes gestellt wurden, führten zu einer „Toleranz“ der Ausgrenzung
„unwerten“ Lebens zum „Schutze“ der „Volksgesundheit“.1
Der Sozialdarwinismus zielte auf eine Bildungsreform, im Sinne einer „Chancengleichheit“
für alle. Das heisst, Menschen mit „natürlichen“ oder angeborenen Begabungen sollten nicht
an der freien Entfaltung ihrer Begabungen, durch „Unbegabte“ gehindert werden. Die
Eugenik zielte, wie bereits erwähnt, auf eine Vermehrung „positiven“ Erbmaterials. Auch dies
brachte die Forderung nach einer Reform mit sich: Rassenhygiene sollte im Lehrplan
aufgenommen werden und die Schulzeiten verkürzt, „[...] damit die ‚Begabten’ schneller zur
Familiengründung kommen und sich fortpflanzen können.“2
Die Nationalsozialisten vermischten Sozialdarwinismus und Eugenik mit der Anthropologie,
der „Wissenschaft des Menschen“ und bildeten daraus ihre „Rassenlehre“. Dadurch ersetzten
sie Begriffe wie „die Gesellschaft belastende“ bzw. „nicht-belastende“ Individuen durch eine
gezielte, pseudo-wissenschaftliche und rassistische Einteilung der Menschen. Die
Wissenschaft diente zunehmend der Ideologie:
„Das Parallelgehen von politischen und wissenschaftlichen Gedanken ist kein Zufall,
sondern innere Notwendigkeit. [...] Wir Erbbiologen und Rassenhygieniker [...]
bleiben in der Stille unserer wissenschaftlichen Forschungstätigkeiten aus der inneren
Überzeugung heraus, dass auch auf diesem Felde Schlachten geschlagen werden, die
für den Fortbestand unseres Volkes von größter Bedeutung sind.“3
(Humangenetiker, Rassenhygieniker und „Erbarzt“ Otmar Freiherr von Verschuer)
4.1. Institutionalisierung
Die Institutionalisierung der Rassenhygiene im Bildungssystem erfolgte vor allem auf zwei
Ebenen: Einerseits auf der Ebene der medizinischen Ausbildung und Lehrerbildung, indem
Rassenlehre und Vererbungslehre an den Schulen eingeführt wurden und auch zur
1
Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 5-7
Ebd., S. 6
3
Verschuer, Erbbild des Menschen, S.12 in Schmuhl: Grenzüberschreitungen, S.402
2
Rassenhygiene
Sofia Fäh
10
Hochschulausbildung für Lehrer gehörten. Andererseits wurden rassenpolitische Ziele im
Bildungssystem umgesetzt, indem in öffentlichen Schulen die Kinder „Minderwertiger“,
sowie Lernschwache oder Schwererziehbare „aussortiert“ wurden. Sie wurden in
„Sonderschulen“, „Jugendschutzlager“ oder „Heilanstalten“ eingewiesen, wo später viele von
ihnen der „Euthanasie“ zum Opfer fielen. „Nicht-arische“ Schüler, wie Juden, Roma und Sinti
oder Polen, wurden von der öffentlichen Schule entweder ganz oder spätestens nach der
Grundausbildung ausgeschlossen. Vor Anmeldung zu einem Studium musste man sich
erbbiologischen Untersuchungen unterziehen, jeder hatte eine Ahnen- und Sippentafel und ein
„Erbgesundheitsattest“ vorzuweisen. So konnten sich nationalsozialistische Werte und Ideen
leichter in den Köpfen „arischer“ Kinder festsetzten, zudem wurde es ihnen von Anfang an
verunmöglicht, mit andern Kindern in Kontakt zu kommen.1
4.2. Propaganda
2
Abbildung 1: Vorbereitung der Euthanasie. Aus der Dia-Serie "Blut und Boden", die für Schulungszwecke
eingesetzt wurde.
Der grösste Teil der Umsetzung politischer Ziele geschah in der öffentlichen Propaganda: Es
wurden beispielsweise Kinderbücher, Zeitungen und Plakate mit antisemitischen
Zeichnungen und Texten gedruckt und überall verteilt oder Kinderspiele hergestellt, deren
1
2
Harten / Neirich / Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, S. 21-22
Abbildung 1: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/highres_30009704%20copy1.jpg, 8.4.10
Rassenhygiene
Sofia Fäh
11
Inhalt es war, „den Juden“ zu vertreiben. Die Bevölkerung wurde überall daran erinnert, dass
es unerwünschte „Schädlinge“ in der Gesellschaft gäbe.
„Der Jude, nur scheinbar darauf ausgehend, die Lage des Arbeiters zu verbessern, in
Wahrheit aber die Versklavung und damit die Vernichtung aller nichtjüdischer Völker
beabsichtigt.“1
Man stellte die „arische“ Bevölkerung manchmal sogar in die Rolle des Opfers, wie Hitler
beispielsweise in „Mein Kampf“ schreibt:
„Der Jude lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das
ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des
Mädchens, Volke raubt.“2
1
In: Hitler, „Mein Kampf“, S.351. Zit. Nach: Dokumente über die Verfolgung jüdischer Bürger in BadenWürttemberg durch das Nationalsozialistische Regime 1933-1945, Bd. 1, hrsg. Von der Archivdirektion
Stuttgart, bearbeitet von P. Sauer, Stuttgart 1966, S. 86 f. In (verteiltem Dossier zum Nationalsozialismus)
Horizonte II, S. 307, 2008
2
In: Hitler, „Mein Kampf“, S.357. Ebd. S. 307
Rassenhygiene
Sofia Fäh
12
5. Zusammenfassung
Nun zurück zu meiner Leitfrage:
Wie konnten diese „rassenhygienischen Forschungen“ und die daraus resultierenden
„Massnahmen“ zur „Aufwertung“ des Genmaterials mit all ihren schrecklichen
Konsequenzen in der breiten Bevölkerung legitimiert und akzeptiert werden?
Bei der Bearbeitung des Themas ist mir bewusst geworden, dass mehrere Faktoren
zusammenwirkten:
1. Krieg und Wirtschaftskrise
2. Versprechen, „Führer-Kult“
3. Propaganda, „Sündenbock“-Thematik
4. Erziehungs- Bildungmassnahmen, „Verwissenschaftlichung“
5. Militär- und Gewaltregime, dominantes Regime, unmündiges Volk
1. Die Nationalsozialisten „stocherten in offenen Wunden“, wie beispielsweise der Armut
oder der hohen Arbeitslosigkeit, hervorgerufen durch den Krieg und die Weltwirtschaftskrise.
2. Die ersten Versprechen der Nationalsozialisten waren „Brot und Arbeit“, was in der breiten
Bevölkerung auf Begeisterung stiess. Mut und Zuversicht wurde den Menschen
zugesprochen, Hoffnung kam auf und liess den Führer zum Erlöser werden (s. Anhang!). Mit
grossen Aufmärschen und „Massenveranstaltungen“ gab man der Bevölkerung eine
Identifikationsebene und ein „Nationalgefühl“.
3. Auch lieferten die Nationalsozialisten Schuldige, die für das Schlechte, was dem „Volk“
widerfahren sei, verantwortlich gemacht werden konnten. Täglich wurde die Bevölkerung an
die „Schuld der Andern“ durch Antisemitistische und rassistische Propaganda erinnert.
4. Wissenschaft und Bildungswesen rückten immer näher an die Politik, womit die politisch
fragwürdigen Handlungen legitimiert wurden. Das „Volk“ wurde zu Autoritätsgläubigkeit
„erzogen“.
5. Wer sich gegen das Regime stellte, wurde unterdrückt oder beseitigt. Militär- und
Polizeitgewalt waren überall präsent, so dass keiner mehr zu widersprechen wagte. So
konnten die NS-Ideen als einzige Wahrheit in das Bewusstsein der Menschen dringen.
Fazit:
Die nationalsozialistische „Gehirnwäsche“ wuchs auf dem Boden der Krise in der Hoffnung
auf einen starken Retter. So unglaublich das Ganze tönt, halte ich es dennoch nicht für
ausgeschlossen, dass sich Menschen unter gleichen Umständen auch heute oder in Zukunft
gleich verhalten könnten – ein erschreckender Gedanke!
Rassenhygiene
Sofia Fäh
13
6. Anhang
„ Adolf Hitler!
Dir sind wir allein verbunden! Wir wollen in dieser Stunde das Gelöbnis erneuern:
Wir glauben auf dieser Erde allein an Adolf Hitler.
Wir glauben, dass der Nationalsozialismus der allein seligmachende Glaube für unser
Volk ist.
Wir glauben, dass es einen Herrgott im Himmel gibt, der uns geschaffen hat, des uns
führt, der und lenkt und der uns sichtbarlich segnet.
Und wir glauben, dass dieser Herrgott uns Adolf Hitler gesandt hat, damit
Deutschland für alle Ewigkeit ein Fundament werde.“
(Reichsleiter Dr. Robert Ley am 10. Februar 1937)1
1
Neue Gesellschaft für Bildende Kunst und Kunstamt Kreuzberg (Hg.), Faschismus, Berlin 1976, S. 85.
Rassenhygiene
Sofia Fäh
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
Bücher:
1. Schmuhl, Hans-Walter: Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Willhelm-Institut für
Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927-1945. Band 9. Göttingen 2005.
2. Harten, Hans-Christian/ Neirich, Uwe/ Schwerendt, Matthias: Rassenhygiene als
Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch. Band 10. Berlin
2006.
Dossier:
1. Dossier zum Nationalsozialismus, Horizonte II
Internetseiten:
1. www.wikipedia.org, 2.4.10 – 8.4.10
2. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/meinkampf/ 5.4.10
3. http://www.hilfsschule-im-nationalsozialismus.de/seite-7.html 3.4.10
Bildquellen:
Abbildung 1.:
http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/highres_30009704%20copy1.jpg, 8.4.10
Titelblatt:
1. http://www.eugenicsarchive.org/images/eugenics/detail/2251-2300/2276d-12-year-oldmale-twins-undergoing-anthropometric-study-by-Otmar-Freiherr-von-Verschuer.jpg 7.4.10
2. http://www.jmberlin.de/toedliche-medizin/img/zwillinge.jpg
14