Verdun im Schulheft - Goetheschule Dieburg
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Verdun im Schulheft - Goetheschule Dieburg
Verdun im Schulheft Goetheschüler lesen Notprüfungsaufsätze der Großherzoglichen Realschule mit Progymnasium Dieburg aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und werten sie aus. Vor 100 Jahren tobt um Verdun in Lothringen 300 Tage und Nächte die längste Schlacht der Weltgeschichte. Sie ist mit etwa 350 000 Toten gemeinsam mit der Schlacht an der Somme die blutigste des Ersten Weltkriegs, dem ungefähr 10 Millionen Soldaten zum Opfer fallen. Kriegspropaganda im Klassenzimmer Auch im Schulalltag der Großherzoglichen Realschule mit Progymnasium Dieburg – der heutigen Goetheschule – wird das Geschehen an der Kriegsfront ausführlich thematisiert. Der militärische Kampf ist von Anfang an im Klassenzimmer präsent und tobt in den Köpfen vieler Jungen. Sie träumen vom Kampfeinsatz und haben Angst, der Krieg würde zu Ende sein bevor sie daran teilnehmen können. Die Funktion der Lehrer ist klar definiert: Sie sollen siegen helfen. Auch im Unterricht der Dieburger Schule agieren Lehrer, angeführt von Direktor Professor Josef Diehl, als Kriegstreiber. Bedenkenlos und rücksichtslos. Ein Instrument der nationalistischen Indoktrination ist der „Besinnungsaufsatz“. Diverse Dieburger Schüleraufsätze, die anlässlich der Notprüfungen geschrieben werden, geben davon ein beredtes Zeugnis. In weiten Teilen beten die Unter-und Obersekundaner darin nach, was ihnen über Monate hinweg eingetrichtert wird. Zusammen mit ihrem Geschichtslehrer Karl Rupp haben Schülerinnen und Schüler der Klasse G9c der Dieburger Goetheschule – einer UNESCO – Projektschule – Notprüfungsaufsätze im Fach Deutsch aus den Jahren 1914 bis 1917, die allesamt im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt vorzufinden sind, eingesehen und kritisch bewertet. Nur unwesentlich älter als die Goetheschüler sind die Autoren der recherchierten Schulaufsätze, die durchweg den Krieg verherrlichen. Hurrapatriotismus und Kriegsenthusiasmus So schreibt der sechszehnjährige Schüler Karl Herz im September 1914 in seiner Prüfungsarbeit mit dem Thema „Meine Absicht, Kriegsfreiwilliger zu werden“, dass er seine Kräfte dem Vaterland anbieten will und dass ihn Hass gegen die Franzosen antreibt und es hierbei kein Erbarmen geben dürfe. Bei Festnahme sollte den Franzosen der Tod sicher sein. Der aus Sankt Tönis bei Krefeld stammende Schüler Franz Pasch führt unter der gleichen Themenstellung aus, dass er als tüchtiger Kriegsfreiwilliger den Russen und Franzosen mit Mut und Entschlossenheit entgegentreten und heldenmütig für die Ehre Deutschlands kämpfen und sterben will. Sein Name ist auf der Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen ehemaligen Schüler und Lehrer eingemeißelt, die in der Zwischenkriegszeit errichtet wurde und sich im Altbau der Goetheschule befindet. In seiner Prüfungsarbeit mit dem Titel „Was ich bisher als Kriegsfreiwilliger erlebte“ schreibt der Schüler Scheuermann 1914, dass er nach seiner Einquartierung in Gau-Bischofsheim erstmals mit Geschützen in Kontakt kommt. Er wird an der 9 cm und 15 cm Kanone und am 21 cm Mörser ausgebildet. Der Dienst an den Geschützen gefällt ihm sehr gut und er glaubt, dass es keine schönere und interessantere Waffengattung gibt als die Fußartillerie. Er entschließt sich, sich als Fahnenjunker bei seinem Regiment zu melden, um dem Vaterland immer zu dienen. Der Schüler Krull beschreibt in seinem Aufsatz „Meine Fahrt auf einem Lazarettschiff von Trier nach Koblenz“ vom Oktober 1914 die Einrichtung des Dampfers, der 80 Betten an Bord hat. An den Betten stehen Ärzte und Gehilfen um die Schmerzen der „tapferen Krieger“ zu lindern. Bei der Abfahrt singen die Leichtverwundeten das Lied „Deutschland, Deutschland über alles“ in das die Trierer Zuschauer freudig mit einstimmen. In Koblenz stehen Automobile, Wagen und Tragbahren bereit, um die Verwundeten ins Lazarett zu bringen. Mit der Note 3 bewertet der 1884 in Mainz geborene katholische Lehrer Georg Hahl, der seit 1910 die Fächer Deutsch, Französisch und Geschichte unterrichtet, 1949 in den Ruhestand versetzt wird und 1971 verstirbt, den im Oktober 1914 geschriebenen Prüfungsaufsatz „Der gegenwärtige Stand des Krieges gegen Rußland“ des Schülers Schwaderlapp. Dieser bejubelt den Sieg des Generalobersten von Hindenburg über die Russen in Ostpreußen und beschimpft diese als Barbaren. Er hofft, dass der Krieg für Deutschland und seine Waffenbrüder einen glücklichen Ausgang nehmen wird und vertraut auf Gottes Hilfe. Die Note 3 erhält auch der Schüler Raschner von Studienassessor Hahl für seine Arbeit mit dem Thema „Unser Krieg gegen die Russen“ vom Oktober 1914. Darin bezeichnet er von Hindenburg als „Retter unserer Heimat“, der in der Schlacht bei Tannenberg den großen Siegestraum der Russen, die der Schüler als „Mordbrenner“ bezeichnet, vernichtete. Eduard Heß wählt im Oktober 1916 das Aufsatzthema „Wie erleben wir in der Heimat den Krieg?“ und führt aus, dass zu Beginn des Krieges Siegesnachricht auf Siegesnachricht kommt und die Bevölkerung mit Bewunderung und Stolz auf das deutsche Heer blickt. Auch wenn so mancher Soldat auf dem Felde der Ehre den Heldentod stirbt, verlahme der Wille zum Sieg im deutschen Volk nicht. Auch die zunehmende Lebensmittelnot lässt die Bevölkerung nicht verzagen. Am ersten Mobilmachungstag stehen zahlreiche Militärzüge bereit und füllen sich mit Soldaten. Jeder Krieger ist mit Blumen geschmückt und froh begeistert für die heilige Sache. Singende Kriegerscharen ziehen durch die Stadt zum Bahnhof. Jedermann jubelt ihnen zu. Eine allgemeine Begeisterung ergreift alle. Auch zu Aufzügen vor Kaufhäusern kommt es, die daraufhin wirken, dass die Fremdwörter verschwinden. Mit Freude verschlingt man die ersten Siegesnachrichten. Aber auch die Kirchen bleiben nicht leer. Viele, die das Beten verlernt haben kehren in der Kriegsnot wieder zu Gott zurück. Heß schreibt weiter: „Unser Kaiser hatte doch selbst der unter seinem Balkon versammelten Menge das denkwürdige Wort „nun gehet in die Kirchen und betet“ zugerufen. Noch immer halten wir aus, und wir werden standhalten bis zum endlichen Siege, zu dem uns Gott bald helfen möge“. Am 9. Juni 1917 schreibt Franz Schader in seiner Prüfungsarbeit mit dem Thema „Die heilsamen Einwirkungen des Weltkrieges auf das deutsche Volk“, dass der Krieg nicht nur Schmerz und Trauer auslöst, sondern auch die Quelle großen Glücks und reichen Segens ist. Er ist der Meinung, dass der Krieg in Deutschland eine Einigkeit hervorbringt, die die Feinde in Erstaunen setzt. Er schildert die Begeisterung mit der die deutschen Truppen im August 1914 in den Krieg ziehen mit dem Gedanken zu siegen oder zu sterben. Er preist das Gottvertrauen der deutschen Volkes und ist sich sicher, dass Gott den Deutschen einen baldigen, ehrenvollen Frieden bescheren wird. Schüler Schader ist sich gewiss, dass der Krieg das vaterländische Gefühl wieder neu belebt und stärkt. Wie ein Gewitter reiße er alles hinweg was nicht hingehöre. Während im Frieden im deutschen Vaterlande die fremden Sitten und Gebräuche an der Tagesordnung seien, verschwänden jetzt alle diese Missbräuche mit einem Schlage. Das deutsche Volk sei nur noch von dem einen Gedanken beseelt, für die Ehre und Freiheit Deutschlands wenn nicht gerade im Felde, so doch wenigstens in der Heimat zu kämpfen und zu streiten. Der Schüler hofft, dass nach dem Kriegsgewitter ein Regenbogen in Gestalt eines ehrenvollen deutschen Frieden dem Volk beschieden ist. Mit „Im ganzen gut“ wird seine Notprüfung im Fach Deutsch bewertet. Auch die Prüfungsarbeiten in den Fächern Englisch und Französisch sind mit militärischen Themen besetzt. So schreibt am 2. März 1916 die Klasse II b der Realschule (und Progymnasium) zu Dieburg ein Diktat mit der Überschrift „A Russian Storm-Attack without Rifles (A Field - post – letter)“. Krieger im Messgewand Neben den Notprüfungsaufsätzen widmen die Goetheschüler auch ihre Aufmerksamkeit den „Dieburger Feldbriefen“, die Dekan Jakob Ebersmann (1870-1930) während des Krieges von der Heimatfront wöchentlich und unentgeltlich an seine „Katholischen Dieburger Pfarrkinder im Felde“ sendet. Allein in Druckschrift erscheinen von 1915 bis 1917 72 dieser Feldbriefe. Ihr Inhalt: Religiös verbrämte Durchhalteparolen vermischt mit Kriegshetze, inbrünstige Bekenntnisse für das Vaterländische und Siegfriedensgesinnung. So schreibt Gottesmann Ebersmann im Dieburger Feldbrief Nr. 34 vom 27. Februar 1916: „ Liebe Freunde! Eine große Anzahl von Euch sind in dem jetzt tobenden Weltkrieg zu höheren Stellungen befördert worden. Viele wurden auch mit dem eisernen Kreuz oder der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet. Dadurch wurde bewiesen, dass ihr tüchtige Soldaten seid. Ihr müsst aber noch weiter streben. Man muss von Euch sagen können: Die Dieburger sind die besten Soldaten im ganzen deutschen Heere. Ihr sollt als Muster für alle anderen dastehen und ihnen ein gutes Beispiel geben. „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen“, so mahnte einst der göttliche Heiland. Ähnlich rufe auch ich Euch heute zu. Gebt Euren Kameraden ein gutes Beispiel, besonders in den Tugenden, die jeden Soldaten zieren sollen: Mut und Tapferkeit, Gehorsam und Treue“. Ebersmann, der von 1912 bis zu seinem Tod 1930 als Pfarrer und Dekan der katholischen Pfarrgemeinde Dieburg und der Filialgemeinde Babenhausen vorsteht, findet seine letzte Ruhestätte am Außenaltar der Dieburger Wallfahrtskirche. Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen ehemaligen Schüler und Lehrer der Großherzoglichen Realschule mit Progymnasium Dieburg. Die Gedenktafel befindet sich im Altbau der heutigen Dieburger Goetheschule und wurde in der Zwischenkriegszeit angefertigt. Deutsche Prüfungsarbeit des Schülers Karl Herz vom September 1914 mit dem Thema: „Meine Absicht, Kriegsfreiwilliger zu werden“ (Auszug).