Strahlentherapie beim Mammakarzinom

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Strahlentherapie beim Mammakarzinom
fokus Gynäkologische Onkologie
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Strahlentherapie beim Mammakarzinom
Die Strahlentherapie ist ein wichtiger Bestandteil der modernen Brustkrebsbehandlung.
Dr. Ping Jiang, Klinik für Strahlentherapie am UKSH Campus Kiel, stellt den aktuellen Stand vor.
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ÄP Gynäkologie 5_2013
karoshi - Fotolia.com
Reha:
Berufsorientierung
stärkt Krebspatienten
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ÄRZTLICHE PRAXIS
Gynäkologie
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P u n kte
Der Schwer­punkt „Gynäkologische Onkologie“ ­ist als
Fortbildung von der Ärztekammer Nordrhein ­zertifiziert.
Den Fragebogen dazu finden Sie auf Seite 26.
Das Mammakarzinom ist die weltweit häufigste Krebs­
erkrankung bei Frauen. Seine Behandlung war – aus medizin­
historischer Sicht – beispielgebend für relevante Neuerungen
in der Onkologie, die sich später auch bei anderen Erkrankun­
gen durchgesetzt haben, zum Beispiel die organerhaltende
Behandlung und die adjuvante Systemtherapie. Auch aktuelle­
klinische Forschungsergebnisse, etwa die Reduktion der
opera­tiven Radikalität im Bereich der regionären Lymphkno­
ten, werden voraussichtlich auch für andere Erkrankungen
wichtige Implikationen haben. Bei keiner anderen onkologi­
schen Erkrankung gibt es so viele Daten und so viele Meta­
analysen wie für das Mammakarzinom (Clarke, M et al. 2005;
Shafiq, J et al. 2007). Dies trifft besonders für die Strahlen­
therapie zu. Die Strahlentherapie erfolgte in den letzten 20
Jahren weitgehend standardisiert als Homogenbestrahlung
der Brust oder Brustwand in konventioneller Fraktionierung.
Gerade in den letzten Jahren haben sich aber zahlreiche
Neurungen ergeben, die im Folgenden diskutiert werden.
Aktueller Standard in der Strahlentherapie
Indikation zur Nachbestrahlung
Die Nachbestrahlung ist nach brusterhaltender Operation für
praktisch alle Patientinnen indiziert. Bisher ist keine Sub­
gruppe identifiziert worden, bei der keine Verbesserung der
lokalen Tumorkontrolle erreicht wird. Dies betrifft auch
Patien­tinnen mit brusterhaltend operiertem duktalen Karzi­
noma in situ (DCIS). Eine lokale Dosisaufsättigung der ehe­
maligen Tumorregion beziehungsweise des Operations­
gebietes, ein sogenannter „Boost“, kann die Lokalrezidivrate
weiter senken und ist für die meisten Patientinnen mit inva­
sivem Karzinom indiziert; diese Patientinnen erhalten also
eine Bestrahlung der ganzen Brust kombiniert mit einer zu­
sätzlichen Teilbrustbestrahlung (dem Boost). Ob ein Boost
beim DCIS effektiv ist, kann anhand der Datenlage nicht ein­
deutig beantwortet werden.
Nach einer Mastektomie wird eine Bestrahlung bei allen
­Patientinnen mit einem prognostizierten Lokalrezidivrisiko
von mehr als zehn Prozent nach zehn Jahren empfohlen; das
betrifft sicher alle nodal-positiven Patientinnen und die
­Kategorie pT4 (Tumor jeder Größe mit direkter Ausdehnung
auf die Brustwand oder die Haut; siehe Tabelle zur Tumor­
klassifikation). Bei pT3 N0 (Tumor mehr als 5 cm in größter
Ausdehnung, keine regionären Lymphknoten befallen) und
im Stadium pT1-2 N0 (Tumor bis 5 cm in größter Ausdeh­
nung, eine regionären Lymphknoten befallen) besteht eine
Kann-Indikation, und die Indikation sollte anhand weiterer
Risikofaktoren individuell festgelegt werden. Die Nach­
bestrahlung bei Patientinnen mit einem bis drei positiven
axillären Lymphknoten (LK) wird in einigen internationalen
Leitlinien mit geringerem Empfehlungsgrad bewertet als bei
ausgedehnterem LK-Befall. Aus der Sicht der Radioonkologie
ist diese Trennung eher willkürlich und medizinhistorisch
entstanden und anhand der aktuellen Datenlage nicht
­begründet, denn in allen Studien und Meta-Analysen der
letzten Jahren war der Vorteil der Postmastektomie-Bestrah­
lung bei einem bis drei positiven LK ebenso groß oder sogar
größer als bei vier und mehr positiven LK. Biologisch erklär­
bar ist dieser Befund durch die hohe Wirksamkeit der adju­
vanten Systemtherapie bei Patientinnen mit geringer Mikro­
metastasierung; dann fällt das lokale Rückfallrisiko relativ
stärker ins Gewicht. Man sollte daher die PostmastektomieBestrahlung als Standard auch bei einem bis drei positiven LK
ansehen und den Verzicht begründen und nicht umgekehrt.
Technik der Strahlentherapie
Die Strahlentherapie der Brust oder Brustwand und gegebe­
nenfalls auch der regionalen Lymphknotenstationen erfolgt
mit 6MV-Photonen eines Elektronen-Linearbeschleunigers,
alternativ kann eine Kombination aus 6MV und höherener­
getischen Photonen eingesetzt werden. Der Boost kann mit
Photonen, Elektronen oder Brachytherapie appliziert werden.
Die externe Strahlentherapie erfolgt heute fast ausschließ­
lich als 3D-Konformationsbestrahlung oder einfache Intensi­
tätsmodulierte Strahlentherapie (IMRT bzw. „TangentenIMRT“); die damit erreichten Dosisverteilungen sind sehr
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fokus Gynäkologische Onkologie
günstig. Aufwendige und komplexe Bestrahlungstechniken
(z. B. Tomotherapie, dynamische Rotations-IMRT) können in
ausgewählten Einzelfällen vorteilhaft sein; dabei erhöht sich
aber oft das Niedrigdosis-Volumen mit einem (zumindest
theoretisch) erhöhten Risiko für Sekundärmalignome, sodass
ein genereller Einsatz nicht zu empfehlen ist. Ein Vorteil von
Protonenbestrahlung ist nicht belegt.
Bei der Bestrahlung, die pro Tag etwa zehn Minuten dauert
(davon etwa ein bis zwei Minuten echte Strahlzeit), liegt die
Patientin auf dem Rücken mit den Armen über den Kopf, im
Regelfall auf einem „Mamma-Board“ zur reproduzierbaren
Einstellung (die Stellung von Arme und Schultern beeinflusst
die Lage der Brust). Meistens werden zwei tangentiale
Strahlen­
felder (schräg von vorn-medial und schräg von
­hinten-lateral) verwendet (Abb. 1). Die exakte Positionierung
kann mittels Bildgebung vor und bei der Bestrahlung
­kon­trolliert werden.
Brust ist – nach evidenzbasierten Kriterien – von allen in der
Therapie des Mammakarzinoms eingesetzten Verfahren
(Operation, Chemotherapie, endokrine Therapie, Antikörper­
therapie) die Modalität mit den geringsten Nebenwirkungen.
Auch Spätfolgen, früher häufig und relevant, sind heute sel­
ten. Kürzlich wurde über ein erhöhtes Risiko für kardiale
Sterblichkeit bei Patientinnen nach adjuvanter Strahlen­
therapie berichtet. Dieses Risiko ist seit mehr als zehn Jahren
gut bekannt und betrifft vor allem Patientinnen, die vor circa
1985 behandelt wurden. Das individuelle Risiko ist insgesamt
gering und korreliert mit der Strahlendosis am Herzen. Bei
Patientinnen mit anatomisch engen Lagebeziehungen zwi­
schen Zielvolumen und Herz kann die Strahlendosis am Her­
zen durch spezielle Bestrahlungstechniken (z. B. Bestrahlung
in tiefer Inspiration, „deep-inspiration-breathhold-Technik“)
weiter optimiert werden; ein signifikanter Vorteil ist aber bis­
her nicht belegt.
Nebenwirkungen und Risiken
Abgesehen von einer mäßigen akuten Hautreaktion am Ende
der Bestrahlungsserie sind relevante Nebenwirkungen nicht
zu erwarten. In einer kürzlich abgeschlossenen ARO-Studie,
in der eine innovative Fraktionierung geprüft wurde, wurden
elf unerwünschte Ereignisse bei 10 von 151 Patientinnen
registriert; überwiegend waren es Hitzewallungen unter
­
gleichzeitiger endokriner Therapie. Kein Ereignis war als
­direkte Strahlenfolge einzustufen. Die Nachbestrahlung der
Alleinige Teilbrustbestrahlung
Intramammäre Rezidive treten bevorzugt in der ehemaligen
Tumorregion (überwiegend „echte“ Lokalrezidive), aber auch
außerhalb des ehemaligen Quadranten auf (überwiegend
neue bzw. synchrone multizentrische Tumoren). Bei Patien­
tinnen über 40 Jahre mit prognostisch sehr günstigen Tumo­
ren (Tumordurchmesser bis 3 cm, nodalnegativ oder
minimaler­LK-Befall, G1-2, keine extensive intraduktale
Komponente, keine Lymph- oder Blutgefäßinvasion, keine
Abb. 1: 3D-Konformationsbestrahlung mit zwei tangentialen Strahlenfelder.
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raten bestrahlt. Die Bestrahlung erfolgt zweizeitig, das heißt
die Patientinnen werden nach der Operation auf der Basis
der definitiven Histologie selektioniert. Dies ist ein wesent­
licher Vorteil gegenüber den intraoperativen Verfahren, bei
denen wegen Diskrepanzen zwischen intraoperativer und
definitiver postoperativer Histologie ein bestimmter Anteil
von Patienten später dennoch eine Bestrahlung der ganzen
Brust erhält.
Die Multikatheter-Brachytherapie wurde im GEC-ESTROAPBI-TRIAL – einer internationalen randomisierten multi­
zentrischen Phase-III-Studie – bei Patientinnen mit Low-risk
invasivem Mammakarzinom oder Low-risk DCIS, eingesetzt
und gegen die Standardbehandlung (konventionell fraktio­
nierte externe Bestrahlung der ganzen Brust plus Boost)
­getestet; primäres Zielkriterium ist die Rate an ipsilateralen
Rezidiven. Die Behandlung der letzten Patientinnen wurde
bereits im Jahr 2009 abgeschlossen. Wegen der sehr günsti­
gen Patientenselektion sind b­ elastbare Ergebnisse aber erst
nach frühestens fünf Jahren zu erwarten. Nach den Empfeh­
lungen der europäischen Fachgesellschaft ist die
Multikatheter-­Brachytherapie als Verfahren der Wahl für die
Teilbrustbestrahlung außerhalb von Studien anzusehen.
Die intraoperative Teilbrustbestrahlung mit einem Elektro­
nen-Linearbeschleuniger oder mit dem Intrabeam®-System
wird unmittelbar im Anschluss an die Tumorenresektion
während der Operation durchgeführt. Das Tumorbett (Hoch­
risikoregion) wird auf diese Weise zum frühestmöglichen
Zeitpunkt bestrahlt und mit höchster Sicherheit lokalisiert.
Beim Intrabeam®-System wird ein sphärischer Applikator
von individuell angepasstem Durchmesser, in dessen Zent­
rum sich eine 50 kV-Röntgenquelle befindet, in die
Resektions­höhle inseriert. Das umliegende Mammaparen­
chym wird eng adaptiert und mit einer therapeutischen
Reichweite von circa 1 cm Tiefe bestrahlt. Erste Daten der
NE
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Her-2-Überexpression) ist das Lokalrezidivrisiko aber gering,
und intramammäre Rezidive außerhalb der ehemaligen
­Tumorregion sind sehr selten. Bei diesen Patientinnen kommt
deshalb eine Bestrahlung nur der ehemaligen ­Tumorregion in
Betracht, also eine alleinige Teilbrust­bestrahlung. Weil bei der
Teilbrustbestrahlung nur ein kleines Volumen bestrahlt wird
und die Belastung des gesunden Gewebes vergleichsweise
gering ist, kann man die Therapiezeit wesentlich verkürzen
(akzelerierte Teilbrustbestrahlung). Am besten etabliert als
technisches Verfahren für die akzelerierte Teilbrustbestrah­
lung ist die interstitielle Multikatheter-­Brachytherapie, die
auch im Rahmen der europäischen ­GEC-ESTRO-APBI-Studie
eingesetzt wurde; die Behandlungszeit beträgt dabei meis­
tens vier Tage (acht B
­ estrahlungsfraktionen mit jeweils zwei
Fraktionen pro Tag beim High-Dose-Rate-Verfahren). Eine
Alternative ist die Brachytherapie mit einem Ballon-Katheter;
die Dosisverteilung ist aber weniger günstig. Wenn man statt
der Brachytherapie eine externe Bestrahlung mit Photonen
einsetzt, scheinen mehr Nebenwirkungen aufzutreten; die
externe Radiotherapie­als technische Methode zur akzelerier­
ten Teilbrustbestrahlung wird daher aktuell eher skeptisch
betrachtet. Andere Methoden sind die intraoperative Elektro­
nenbestrahlung mit einem speziellen Linearbeschleuniger
(z. B. im ELIOT-Trial in Mailand) und die intraoperative Be­
strahlung mit einem kV-Gerät (Intrabeam®, z. B. im Rahmen
der ­TARGIT-Studie; s. Glossar); bei diesen intraoperativen
­Methoden erfolgt nur eine einmalige („Einzeit“-) Bestrahlung.
Bei der interstitiellen Multikatheter-Brachytherapie wird
eine clipmarkierte Hochrisikoregion, das heißt das Tumorbett
mit Sicherheitssaum, mit mehreren dünnen Kathetern
sondiert.­Nach Computertomographie(CT)-basierter
­Bestrahlungsplannung werden im Anschluss definierte Posi­
tionen innerhalb dieser Sonden von einer radioaktiven
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fokus Gynäkologische Onkologie
TARGIT-Studie, einer internationalen randomisierten multi­
zentrischen ­Studie für selektionierte low-risk-Patientinnen
(niedriges Risiko­profil sowie Alter ab 50 Jahre) zeigen eine
Äquivalenz zur Standard-Strahlentherapie bei allerdings
noch limitierter Nachbeobachtungszeit. Kritiker dieses Ver­
fahrens verweisen auf technische (kurze effektive Reichwei­
te der Bestrahlung) und biologische (Einzeitbestrahlung)
­Limitationen, und es ist in der Tat aktuell unklar, ob dieses
Verfahren, wenn es ohne eine Bestrahlung der ganzen Brust
erfolgt, Rezidive nur verzögert oder in gleichem Maße defi­
nitiv verhindert wie die Standardtherapie.
Hypofraktionierung
Strahlenbiologische Grundlagen
Die zytotoxische Wirkung ionisierender Strahlung beruht auf
einer Schädigung der DNA. Nach Bestrahlung kann ein Teil
der DNA-Schäden (der sogenannte subletale Strahlenscha­
den) repariert werden; dieser reparierbare Anteil nimmt mit
zunehmender Einzeldosis ab. Eine Bestrahlung mit höheren
Fraktionsdosen ist bei identischer Gesamtdosis biologisch
wirksamer; umgekehrt muss man bei höheren Einzeldosen
die Gesamtdosis senken, um Isoeffektivität zu erreichen.
Die Unterschiede in der Fraktionierungsempfindlichkeit von
verschiedenen Organen und Tumoren wurden in den 70erund 80er-Jahren intensiv untersucht und können mit
verschiedenen strahlenbiologischen Isoeffekt-Modellen
­
­beschrieben werden. Heute wird meistens das linear-quad­
ratische Modell (auch als α-β-Modell bezeichnet) verwen­
det. Die Fraktionierungsempfindlichkeit eines Gewebes wird
dabei mit dem sogenannten α-β-Wert charakterisiert. Diese
Werte sind für die einzelnen Gewebe gut bekannt und betra­
gen etwa 2 bis 3 drei Gy für radiogene Spätfolgen am
­Normalgewebe. Bei malignen Geweben wurde bis vor weni­
gen Jahren generell ein hoher α-β-Wert angenommen (für
schnell proliferierende Tumoren auch eindeutig bestätigt),
und in der Konsequenz ist es nötig, mit möglichst kleinen
Fraktions­dosen (ca. 1,2 Gy bis 2 Gy) und einer Wochendosis
von 9 bis 10 Gy zu bestrahlen, um eine optimale Schonung
des gesunden Gewebes zu erreichen und Spätfolgen zu ver­
meiden. Die mit dem linear-quadratischen Modell getroffe­
nen Voraus­sagen wurden in zahlreichen prospektiven rando­
misierten Studien exakt bestätigt. Ab Mitte der 80er-Jahre
gilt deshalb die konventionelle Fraktionierung (täglich werk­
tags eine B
­ estrahlung mit einer Einzeldosis von 1,8 bis 2,0
Gy) als Standard für fast alle kurativen Behandlungen. Hy­
pofraktionierte Regime (also weniger Fraktionen mit erhöh­
ten Einzeldosen) waren und sind für palliative Situationen
angemessen. Die Lehrbuch-Meinung, dass Tumoren generell
durch hohe α-β-Werte charakterisiert sind, wurde erstmals
ab Ende der 90er-Jahre für das Prostatakarzinom kritisch
hinterfragt. Bei sehr niedrigen α-β-Werten (wenn diese klei­
ner sind als diejenigen für Spätfolgen am umgebenden
Normalgewebe), ist eine Hypofraktionierung nach dem
­
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Isoeffekt-Modell sinnvoll. Mittlerweile haben mehrere
­Studien einen sehr niedrigen α-β-Wert beim Prostata-Ca
bestätigt. Bisher ist aber unklar, ob sich neben dem Prostata­
karzinom auch andere Tumoren so verhalten (wenn, dann
vermutlich Tumoren mit einer ebenso langsamen
Proliferations­kinetik).
Vor allem in Ländern mit starker Zentralisierung der
Strahlen­therapie und entsprechend langen Fahrtwegen (z. B.
Kanada) besteht ein großes Interesse an verkürzten Behand­
lungsregimen. In den 90er-Jahren wurden deshalb in Kanada
und Großbritannien mehrere Studien durchgeführt, in denen
hypofraktionierte Behandlungskonzepte (mit z. B. 16
­
Bestrah­lungen der Brust) mit der Standardbehandlung ver­
glichen wurden; die Gesamtdosis wurde dabei, abhängig von
der Höhe der Einzeldosis, auf etwa 42 Gy abgesenkt. Diese
Studien wurden zunächst in allen anderen Ländern sehr
skeptisch betrachtet, weil die Hypothese (gleiche Tumor­
kontrolle und keine verstärkten Nebenwirkungen trotz ver­
kürzter B
­ ehandlungszeit) nicht mit dem linear-quadrati­
schen Modell vereinbar erschien. Mittlerweile liegen jedoch
Langzeitbeobachtungen von mehreren tausend Patientinnen
vor, die die Isoeffektivität von hypofraktionierter Bestrah­
lung der ganzen Brust (z. B. 16 Fraktionen mit 2,66 Gy,
­Gesamtdosis circa 42,5 Gy, sogenannte kanadische Fraktio­
nierung) und normfraktionierter Bestrahlung (25 bis 28
Fraktionen, Gesamtdosis 50 Gy) eindeutig belegen. Aus den
Studiendaten kann man einen α-β-Wert von etwa 3 bis 3,5
Gy für die Tumorkontrolle bei adjuvanter Radiotherapie des
Mammakarzinoms berechnen. Rückblickend ist den kanadi­
schen und britischen Studien damit vermutlich eine Punkt­
landung geglückt, denn mit einer Verkürzung der Behand­
lung auf 15 bis 16 Fraktionen in drei bis dreieinhalb Wochen
hat man wahrscheinlich die kürzeste, gerade noch mit Iso­
effektivität vereinbare Behandlungszeit erreicht. Noch wei­
tergehende Verkürzungen scheinen aktuell eher unrealis­
tisch; bei B
­ ehandlungszeiten von zwei Wochen und weniger
wurden in Pilotstudien deutlich vermehrte Nebenwirkungen
beobachtet, und diese Studien wurden vorzeitig beendet.
Simultaner Boost
Unabhängig von der Fraktionierung bei der Bestrahlung der
ganzen Brust besteht seit Kurzem die Möglichkeit, den bisher
immer sequentiell (im Anschluss an die Bestrahlung der
Brust) applizierten Boost schon während der Bestrahlung der
Brust simultan zu verabreichen. Diese Technik (simultaner
integrierter Boost, SIB) erfordert eine gezielte Dosisinhomo­
genität im Zielvolumen, die mit modernen Planungsprogram­
men und Geräten ermöglicht wurde. Auch dadurch kann die
Behandlungszeit verkürzt werden. Allerdings gelten Kombi­
nationen von Hypofraktionierung und integriertem Boost
oder intraoperativer Bestrahlung (IORT) als noch nicht ausrei­
chend geprüft; mehrere wissenschaftlich attraktive Konzepte
werden daher aktuell in Studien der Arbeitsgemeinschaft
Radioonkologie (ARO) untersucht.
Klassifikation von Mammakarzinomen
Bei der Klassifikation von Mammakarzinomen kommt das TMN-System zur Anwendung, das bösartige Tumoren nach ihrer Größe und Ausbreitung einteilt. Dabei steht T für Tumor, N für Nodi (Lymphknoten) und M für (Fern-)Metastasen. Bei der TNM-Klassifikation der Brust steht häufig
noch der Zusatz „p“ für postoperativ vor dem „T“ oder „N“. Ist kein Zusatz vorhanden, handelt es sich um einen Tastbefund.
pT Primärtumor:
Tx
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
Kein Anhalt für Primärtumor
pTisCarcinoma in situ: Intraduktales Karzinom oder lobuläres
Carcinoma in situ oder M. Paget der Mamille ohne nachweisbaren Tumor
pT1
Tumor bis 2 cm in größter Ausdehnung
pT1a
Tumor bis 0,5 cm in größter Ausdehnung
pT1b
Tumor 0,5 cm bis 1 cm in größter Ausdehnung
pT1c
Tumor 1 cm bis 2 cm in größter Ausdehnung
pT2
Tumor 2 cm bis 5 cm in größter Ausdehnung
pT3
Tumor mehr als 5 cm in größter Ausdehnung
pT4Tumor jeder Größe mit direkter Ausdehnung auf die Brustwand oder die Haut
pT4a
Mit Ausdehnung auf die Brustwand
pT4b
Mit Ödem (einschließlich Apfelsinenhaut), Ulzeration der
Brusthaut oder Satellitenmetastasen der Haut der gleichen
Brust
pT4c
Kriterien 4a und 4b gemeinsam
pT4d
Entzündliches (inflammatorisches) Mammakarzinom
Zusätze:
m
mehrere Tumorherde in einer Brust (multifokal/multizentrisch)
r
Wiederaufflackern der Tumorerkrankung (Rezidiv)
pN Regionäre Lymphknoten :
Nx
Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
pN0
Keine regionären Lymphknoten befallen
pN1Metastasen in beweglichen ipsilateralen axillären Lymphknoten
pN1a
Nur Mikrometastasen (keine größer als 0,2 cm)
pN1bMetastase(n) in Lymphknoten, zumindest eine
größer als 0,2 cm
pN1biMetastasen in 1–3 Lymphknoten,
wenigstens eine größer als 0,2 cm,
aber alle kleiner als 2 cm
pN1biiMetastasen in 4 oder mehr Lymphknoten, wenigstens eine größer als 0,2 cm,
aber alle kleiner als 2 cm
pN1biiiAusdehnung der Metastasen über die
Lymphknotenkapsel hinaus, alle kleiner
als 2 cm in größter Ausdehnung
pN1bivMetastasen in Lymphknoten, 2 cm
oder mehr in größter Ausdehnung
pN2Metastasen in ipsilateralen axillären Lymphknoten, untereinander verbacken oder in anderen Strukturen fixiert
pN3Metastasen in ipsilateralen Lymphknoten entlang der A. mammaria interna
Zusätze:
SN – Sentinel Node (Wächterlymphknoten). Befund bezieht sich auf
den/die entnommenen Wächterlymphknoten.
mi – Mikrometastase, sehr kleine Metastase
Bei positiven axillären Lymphknoten sollte die Anzahl der befallenen
Lymphknoten im Verhältnis zur Gesamtzahl der entfernten Lymph­
knoten angegeben werden. (x/y)
M Fernmetastasen:
Mx - Das Vorliegen von Fernmetastasen kann nicht beurteilt werden.
M0 - Keine Fernmetastasen
M1 - Fernmetastasen
Die Stadieneinteilung wird durch das histologische Grading
­ergänzt:
G1 - Gut differenziert
G2 - Mäßig differenziert
G3 - Undifferenziert (entdifferenziert)
Weitere Ergänzungen:
L Lymphgefäßeinbruch:
LX
Lymphgefäßinvasion kann nicht beurteilt werden
L0Kein Nachweis einer Lymphgefäßinvasion (also keine Tumorzellen in Lymphgefäßen nachgewiesen)
L1
Lymphgefäßinvasion (also Tumorzellen in Lymphgefäßen
nachgewiesen)
V Blutgefäß-(Venen-)einbruch:
VX
Blutgefäßinvasion kann nicht beurteilt werden
V0
Kein Nachweis von Blutgefäßinvasion (also keine Tumor­
zellen in Blutgefäßen nachgewiesen)
V1Blutgefäßinvasion (also Tumorzellen in Blutgefäßen nach­
gewiesen)
R Resektionsrand (Absetzungsrand (Schnittrand) bei der Operation)
RX
Resektionsrand kann nicht beurteilt werden
R0Resektionsrand ist frei von Tumor (der Tumor wurde vollständig [mit Sicherheitssaum] im Gesunden entfernt)
R1Tumor reicht bis an den Resektionsrand (der Tumor wurde
wahrscheinlich nicht vollständig im Gesunden entfernt oder
reicht gerade bis an den Rand [ohne Sicherheitssaum])
Die Zusätze hinter pN1b „i“ bis „iv“ stellen die römischen Ziffern I bis IV dar.
Quellen: www.brustkrebs-web.de, Roche-Lexikon
Glossar
Accelerated Partial Breast Irradiation
(ABPI):
Bei der akzelerierten Teilbrustbestrahlung wird
nur ein kleines Volumen bestrahlt und die
Belastung des gesunden Gewebes ist vergleichsweise gering, daher kann die Therapiezeit wesentlich verkürzt werden.
Brachytherapie:
eine Form der Strahlentherapie, bei der eine
Strahlenquelle innerhalb oder in unmittelbarer
Nähe des zu bestrahlenden Gebietes im Körper platziert wird
DCIS:
duktales Karzinoma in situ
GEC-ESTRO APBI TRIAL:
ABPI-Studie der Groupe Européen de Curietherapie – European Society for Therapeutic
Radiology and Oncology
High-Dose-Rate-Verfahren:
fraktionierte Bestrahlung mit hoher Dosis­
leistung von mehr als 12 Gy/h
IMRT:
kurz für „intensity modulated radiotherapy“, zu
deutsch intensitätsmodulierte Bestrahlung
IORT:
intraoperative Radiotherapie
kV-Gerät:
Röntgengeräte, die zur Therapie verwendet
werden und mit Beschleunigungsspannungen
von 50-300 kV arbeiten
SIB:
simultan-integrierter Boost
TARGIT:
targeted intraoperative radiotherapy
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fokus Gynäkologische Onkologie
Aktuelle Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für
­Radioonkologie (DEGRO)
Aufgrund dieser Entwicklungen hat die Organgruppe Mam­
makarzinom der DEGRO zusammen mit der Österreichischen
Gesellschaft für Radioonkologie (ÖGRO) eine Empfehlung für
Fraktionierungsregime bei der adjuvanten externen Strahlen­
therapie nach brusterhaltender Operation herausgegeben:
1. Die Standardtherapie, die für alle Patientinnen ohne Ein­
schränkungen eingesetzt werden kann, ist die konventionelle
Fraktionierung mit sequentiellem Boost (Bestrahlung der
ganzen Brust mit 50 Gy in 25 bis 28 Fraktionen, anschließend
Boost bis 60/66 Gy mit 5 bis 8 weiteren Fraktionen). Die
­Gesamtbehandlungszeit beträgt etwa sieben Wochen.
2. Alternativ kann die Bestrahlung der ganzen Brust auch
hypofraktioniert durchgeführt werden (mit circa 16 Fraktio­
nen und Einzeldosen von circa 2,66 Gy). Der Boost erfolgt
dann, wie bei konventioneller Fraktionierung, sequentiell.
Diese Therapie kommt nach der aktuellen S3-Leitlinie in
Frage bei älteren Patientinnen, die prognostisch günstige
­Tumoren haben (Durchmesser < 5 cm, kein lokoregionaler
Lymphknotenbefall) und keine Chemotherapie erhalten. Die
Gesamtbehandlungszeit beträgt viereinhalb bis fünf Wochen.
3. Bei Nachbestrahlung der Brust mit konventioneller Fraktio­
nierung kann der Boost auch als SIB appliziert werden. Dabei
wird das Boostvolumen bei jeder Fraktion der Brustbestrah­
lung mit einer geringen zusätzlichen Dosis ­bestrahlt. Die
Fraktionsdosis im Boostvolumen soll bei 28 Fraktionen 2,1 Gy
für Low-risk-Tumoren und maximal 2,25 Gy für High-riskTumoren betragen. Voraussetzung für die SIB-Technik sind
moderne Bestrahlungs- und Planungstechniken. Die Gesamt­
behandlungszeit beträgt fünf bis fünfeinhalb Wochen. Diese
Therapie ist bisher zwar nur in Phase-I/II-Studien geprüft
worden, aber die Modifizierung der Dosis-Zeit-Beziehung ist
geringer als bei hypofraktionierter Bestrahlung mit sequenti­
ellem Boost, so dass die Organkommission diese Therapie als
effektiv und sicher einstuft.
4. Eine Kombination von hypofraktionierter Bestrahlung der
ganzen Brust mit einem SIB ist technisch möglich; dadurch
verkürzt sich die Behandlungszeit noch weiter auf drei
­Wochen. Diese Therapieform ist bisher aber nicht ausreichend
untersucht und sollte nur in klinischen Studien erfolgen.
Strahlentherapie der regionalen Lymphknoten
Eine Strahlentherapie der regionalen Lymphknoten wird
heute sehr zurückhaltend indiziert. Sie ist nach Leitlinien ein­
deutig nur bei makroskopischem Befall indiziert beziehungs­
weise als adjuvante Therapie der supraklavikulären Lymph­
knoten bei ausgedehntem axillären Befall (mehr als 3
positive LK). Allerdings wird erwartet, dass sich die Datenlage
dazu in der nächsten Zeit signifikant ändern wird.
Ausblick
Autorin: Dr. med. Ping Jiang
Klinik für Strahlentherapie
UKSH Campus Kiel
Feldstraße 21
24105 Kiel
Tel.: 0431-597-9510
Fax: 0431-597-9576
[email protected]
Literatur
Clarke M et al. Lancet 2005;366(9503):2087–2106.
Shafiq J et al. Radiother Oncol 2007;84(1):11–17.
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arsdigital - Fotolia.com
In der adjuvanten Strahlentherapie beim Mammakarzinom
haben sich in den letzten Jahren wesentliche Neuerungen
durchgesetzt; weitere Änderungen werden in den nächsten
Jahren erwartet. Potenzielle Änderungen betreffen Ziel­
volumenkonzepte (z. B. Teilbrustbestrahlung, Mitbestrahlung
der Lymphknotenstationen), Fraktionierungsregime (z. B.
­Hypofraktionierung, integrierter Boost) und auch technische
Aspekte (z. B. IORT, Techniken für die Atemgetriggerten
Strahlentherapie [Gating]). Dies könnte auch weitreichende
Implikationen für andere Tumorentitäten mit sich bringen.

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