Die gute Fee - Gedichte und Kurzgeschichten

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Die gute Fee - Gedichte und Kurzgeschichten
GediKur - Gedichte und Kurzgeschichten
Die gute Fee
Beigesteuert von Sturm
Sturm - Julius
Julius Sturm
Die gute Fee
Schon seit mehreren Wochen lag Regina krank darnieder und weder die sorgsame Pflege ihres Töchterchens Gretchen
noch die bitteren Getränke des Arztes waren imstande gewesen, die schleichende Krankheit zu hemmen. Mit jedem Tag
wurde Frau Regina bleicher, immer trüber wurden die Augen, immer tiefer fielen ihre Wangen ein, und ihre
Mattigkeit war bereits so groß, dass sie kaum noch die welken Hände zum Gebet falten konnte. Eines Tages, als die
Kranke gerade schlummerte, schlich sich Gretchen leise in den Garten, um ihren mühsam verhaltenen Schmerz einmal
recht ungestört auszuweinen. Wie sie nun so auf dem grünen Rasen saß, das blonde Lockenköpfchen in die weißen Hände
gelegt hatte und bitterlich weinend den lieben Gott um Hilfe bat, hörte sie leise
ihren Namen rufen. Erschrocken fuhr sie auf und erblickte vor sich ein schönes, blasses Weib, das mit einem langen,
blauen Gewand bekleidet war und einen grünen Schilfkranz im lang herabwallenden Haar trug.
„Warum weinst du denn, mein Kind?“ fragte die schöne Frau und Gretchen erzählte, dass ihr Mütterlein schon
seit mehreren Wochen krank sei und gewiss bald sterben werde und dass sie dann eine Waise sei und ganz allein stehe
in der großen Welt. Als Gretchen schwieg, schaute die Fremde mit ihren hellen, blauen Augen das Kind lange prüfend an
und sagte: „Wenn du Mut genug hättest, könntest du deiner Mutter noch helfen.“ „Ach...!“ rief
Gretchen und warf sich bittend vor der Frau nieder, „...ach! seid barmherzig und sagt mir, wie ich meinem
Mütterlein Hilfe verschaffen kann; und wenn ich mein Leben wagen müsste, ich wollte es mit Freuden tun.“
„Wohlan ...!“ antwortete die Fee, denn eine solche war die schöne bleiche Frau, „... ich werde
sehen, ob deine Liebe stark genug ist, um den Tod vom Lager deiner Mutter hinweg zu scheuchen. Willst du deine
Mutter retten, so musst du mit mir zu dem See dort im Walde gehen und musst mit mir in die Fluten hinab tauchen bis
auf den Grund, wo mein Schloss liegt. Dort musst du mir dann alle deine blonden Locken geben und mir gestatten, dass
ich das frische Rot von deinen Wangen hinweg nehme; denn beides brauche ich, um die heilende Arznei für deine Mutter
zu bereiten.“ Gretchen stand nach diesen Worten einige Augenblicke sinnend und hielt die Hände gefaltet.
„Zögerst du, hast du schon den Mut verloren?“ fragte die Fee. „Nein! Nein!“ rief Gretchen,
„... ich bat nur den lieben Gott, dass er mein Mütterlein so lange möchte schlafen lassen, bis ich vom See wieder
zurück
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wäre; denn wenn es erwachte und fände mich nicht an seiner Seite, so würde es die Besorgnis um mich noch kränker
machen.“ „Darüber kannst du ganz ruhig sein, entgegnete die Fee, „... deine Mutter schlummert
ruhig und erwacht nicht eher, als bis du sie weckst. Doch wir wollen eilen, denn der Weg zum See ist lang.“
Munter sprang nun Gretchen neben der Fee einher und als die Sonne eben untergehen wollte, standen sie an dem
hohen Ufer des Sees. Als Gretchen in das tiefe Wasser hinabsah, wurde ihm bange ums Herz und es dachte im Stillen:
'Wenn dich nun die Fremde verlockt hätte und du ertrinken müsstest in dem tiefen Wasser, da würde ja dein Mütterlein gewiss
vor Kummer sterben und du könntest ihm nicht einmal die Augen zudrücken und das Grab mit Blumen schmücken.' Die Fee
mochte wissen, was im Herzen des Kindes vorging, denn sie sah es mit ihren blauen Augen liebevoll an und sagte mit
sanfter Stimme: „Vor dem Wasser brauchst du dich nicht zu fürchten, mein Kind; es geschieht dir kein Leid.
Übrigens ist es noch Zeit umzukehren; wenn du dich nicht hinabwagst, führe ich dich wieder heim.“ „Und die
Mutter?“ fragte Gretchen weinend.“ Die würde ohne den Trank, von welchem ich dir erzählt habe, nicht
wieder erwachen.“ war die Antwort.
„O, so komm und lass uns eilig hinabfahren in dein Schloss! Ich will dir vertrauen, ich will glauben, du seist ein
guter Engel den mir der liebe Gott gesendet!“ rief das Mädchen, und die Fee klatschte mit den Händen auf welches
Zeichen auf dem Spiegel des Sees eine große schwimmende Muschel erschien, die von vier dickköpfigen Fischen gezogen
wurde.
„Das ist mein Wagen.“ sagte die Fee und bestieg mit Gretchen die Muschel, schlang ihren Arm um das
bebende Kind, winkte den Fischen mit dem Haupte, und pfeilschnell schossen die Fische die Flut hinab und zogen die
Muschel nach. Gretchen hatte die Augen geschlossen, und es war ihm zu Mute, als ob es träume; und als endlich die Fee
rief: „Wir sind an Ort und Stelle!“ und als es aufblickte, befand es sich in einem großen Saal, dessen Wände
aus hellem Kristall bestanden und in welchem alle Geräte aus roten und weißen Korallen verfertigt waren. Während das
Mädchen staunend umherblickte, nahm die Fee eine Schale, die aus einer einzigen großen Perle gerfertigt war füllte sie mit
Wasser, deutete dann auf eine goldene Schere und sagte: „Nun musst du dir die blonden Locken abschneiden,
mein Kind!“
Mit lächelnder Miene ergriff Gretchen die goldene Schere, fasste die blonden Locken, schnitt sie ab und reichte sie der
Fee. Diese verbrannte die Locken an einem blauen Flämmchen, das auf einem Korallentischchen umhertanzte; sammelte
dann sorgfältig die Asche, mischte sie unter das Wasser und sagte: „Jetzt gib mir noch schnell das Rot von deinen
Wangen, dann ist die Arznei fertig.“ Da legte Gretchen das kleine kahle Haupt in den Schoß der Fee, und als diese
mit ihren kalten Händen über die Wangen des
Kindes fuhr, liess ein stechender Schmerz die zarten Glieder desselben erbeben; und als es sich erhob, da sah es, wie
die Fee zwei rote Röslein in der Hand hielt. Und wie es sich in der Spiegelwand beschaute, erblickte es statt seines
blühenden, frischen Gesichtchens ein bleiches Antlitz, vor welchem es zurückschreckte. „Soll ich die Rosen dir
wieder auf die Wangen legen, oder soll ich aus dem Saft derselben den Genesungstrank für die Mutter
mischen?“ fragte ernst die Fee.
„O, frage doch nicht!“ rief das Kind, „... sollten mir die roten Wangen ein zu hoher Preis für das
Leben meiner Mutter sein!“ Geheimnisvoll lächelnd zerrieb hierauf die Fee die Rosen, träufelte den Saft in die
Schale, füllte den Trank in ein blaues Fläschchen und sagte: „Jetzt ist die Arznei fertig, nimm das Fläschchen, ich will
dich wieder zurückbringen.“ Als sie das gesagt hatte, klatschte sie wieder mit den Händen, und von der Decke des
Saales herab schwebte an goldenen Fäden die schimmernde Muschel, welche Gretchen mit der Fee bestieg. Pfeilschnell
flog die Muschel in die Höhe, und in wenigen Augenblicken schwamm sie auf dem glatten Spiegel des Sees dem Ufer zu.
Die beiden stiegen aus und wanderten durch den Wald. Als sie das Gärtchen beinahe erreicht hatten, sagte die Fee:
„Du kannst nun den Weg allein finden. Wenn du heimkommst, wird deine Mutter noch schlummern. Öffne
behutsam das Fläschchen und lasse einige Tropfen des Saftes auf die Augen fallen, und wenn sie erwacht, so gib ihr den
Rest des Saftes zu trinken. Lebe wohl, mein braves Kind, wir sehen uns bald wieder.“ Mit diesen Worten küsste sie
Gretchen, die unter Tränen der schönen Frau Dank sagte. Sie lief dann so eilig über das Feld, als müsse es noch heute die
Welt durchlaufen.
Als es am Hause ankam, schlich es leise in das Zimmer, trat an das Bett der schlummernden Mutter, öffnete das
Fläschchen und träufelte einige Tropfen des Saftes auf die Augen der Kranken. Da schlug diese die Augen auf und sagte:
„O, mein Kind, wie hat mich dieser Schlummer erquickt!“ „Nun, mein Mütterlein, trinke nur erst noch
diesen Trank, ...“ rief Gretchen jubelnd, „... dann wird es bald noch besser gehen, dann wirst du
genesen!“ Die Mutter nahm das Fläschchen und trank, und mit jedem Tropfen, der über ihre Lippen kam, wich die
Krankheit mehr und mehr. Die todbleichen Wangen färbten sich, die Augen wurden hell, und mit klarer, voller Stimme
fragte die Genesende: „Sage mir, Töchterlein, wer hat dir den köstlichen Trank gegeben?“ Als nun Gretchen,
die nicht lügen konnte, erzählte, wie sie zu dem Trank gekommen war, da weinte und jammerte die Mutter und ließ sich nicht
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trösten und rief schmerzlich: „Ach Gretchen, warum hast du mir das getan! Hättest du mich doch lieber sterben
lassen, als dich um meinetwillen so elend zu machen!“
Während die Mutter noch jammerte und das bleiche Gretchen sie zu trösten suchte, öffnete sich die Tür und die Fee trat ein.
Jubelnd flog ihr Gretchen in die Arme und führte sie zur Mutter und rief: „Siehe, lieb Mütterlein, das ist die gute
Frau, die mir den Trank für dich bereitet hat!“ Die Mutter aber wandte ihr Gesicht ab und wollte nichts hören noch
sehen von der Fremden. Da sprach diese mit sanfter Stimme: „Ich komme, um
euch zu trösten, Frau Regina. Wohl habe ich euer Töchterlein mit hinab genommen in den See und habe ihm die blonden
Locken geraubt und die Röslein von den Wangen gepflückt; aber das musste geschehen, wenn ich helfen sollte. Nur der
mutigen, jedes Opfers fähigen Liebe darf ich Hilfe bringen. Tröstet euch übrigens; die Locken sollen eurem Kinder über Nacht
wieder wachsen, und damit auch die Wangen wieder frisches Rot schmücke, bringe ich hier zwei Rosen für mein liebes
Kind mit.“ Hier nahm sie Gretchen, legte das Haupt des Kindes in ihren Schoß, legte ihm ein Röslein auf jede Wange
und hauchte leise über die duftenden Blumen. Da zerflossen die Rosen auf den schneeweißen Wangen, und als Gretchen
aufstand, sah es frischer und blühender aus als jemals. Als nun die Mutter dies bemerkte, jubelte sie hoch auf und dankte
der Fremden mit herzlichen Worten.
Da blickte der Mond durch die Fenster und die Fee sprach: „Ich muss euch jetzt verlassen; ich muss eilen, um an
den Hof der Königin zu kommen. Sie gibt heute ein großes Fest und muss mich vermisst haben, denn sie hat ihren
Schnellläufer nach mir ausgesendet. Seht ihr, wie er mir winkt? Lebt wohl und vergesst mich nicht und wahrt euch im
Herzen die Liebe, denn sie ist das Zauberband, welches die niederen Geister mit den vollkommneren
verbindet.“
Kaum war das letzte Wort verklungen, so war auch die Fee verschwunden. Gretchen aber sank neben dem Bett der
Mutter auf die Knie und beide beteten still zu Gott. Dann küssten sie einander, und Gretchen legte sich in sein Bettchen
und schlummerte nach langer Zeit wieder einmal fröhlich und sorglos ein.
Als es am Morgen erwachte, stand die Mutter vor dem Bett und betrachtete mit heiterer Miene ihr liebes Töchterlein, an
dessen blühenden Wangen sich wieder die schönsten, blonden Locken schmiegten.
Märchen für Groß und Klein.
Die gut Fee von Julius Sturm unter dem Pseudonym Julius Stern.
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