Der verlorene Adventszauber

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Der verlorene Adventszauber
Zeit der Geheimnisse
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Der verlorene Adventszauber
Während der Adventszeit machte sich ein Mann in seiner Stadt auf die
Suche nach dem Adventszauber seiner Kindheit.
In seiner Erinnerung roch es zu Beginn der Adventszeit im Elternhaus nach
frisch gebackenen Plätzchen. Nüsse, Orangen, Mandarinen und
Lebkuchen und die ersten Plätzchen wurden vom Nikolaus gebracht, die
restlichen Leckereien wurden bis zum Heiligen Abend von der Mutter
versteckt. Wenige Geschenke lagen unter dem Christbaum, der mit vielen
Bienenwachskerzen hell leuchtete.
Dem Mann war aufgefallen, dass bereits im Oktober die SchokoNikoläuse, Lebkuchen und weihnachtlichen Nascherein in den Läden zum
Verkauf standen. Ab November waren die Schaufenster in den
Kaufhäusern grell erleuchtet und überladen dekoriert. In den Kaufhäusern
war den ganzen Tag Weihnachtsmusik zu hören, ohne dass diese von
irgend jemandem beachtet wurde. Die Menschen hasteten mit vollen
Taschen durch die Läden und Straßen und beachteten einander nicht. Auf
dem Weihnachtsmarkt waren vor allem die Stände mit Essen und Trinken
von Menschentrauben umzingelt, während an den liebevoll dekorierten
Ständen mit weihnachtlichem Schmuck nur wenige Menschen einkauften.
Von der Stille der Adventszeit war nichts zu spüren. Selbst die offenen
Kirchentüren, die zum Verweilen einluden, wurden übersehen.
Vom Trubel auf den Straßen mitgerissen fand sich der Mann auf einmal in
einer kleineren Gasse wieder, abseits vom Lärm und der Hektik. Kleine
Lichter an den Häusern leuchteten heimelig. Kinder hüften auf der Gasse
froh und heiter umher.
Ein kleines Mädchen stieß plötzlich mit ihm zusammen. Es sah ihn mit
großen Augen und roter Nasenspitze an. „Oh, ich habe dich wohl
übersehen, kleine Prinzessin“, entschuldigte sich der Mann. Das Mädchen
lächelte schüchtern. „Ich bin keine Prinzessin und ich war schuld. Ich habe
getanzt, weil ich mit auf das Christkind freue.“ „Was denn, du freust dich
aufs Christkind?“, sagte der Mann erstaunt. „Und wünschst du dir auch
etwas?“ Das Mädchen antwortete: „Ich wünsch mir eine kleine Puppe und
ein Stofftier zum Spielen. Aber ich weiß nicht, ob das Christkind mir den
Wunsch erfüllen wird. Papa sagt, dass es den Weg zu unserem Haus nicht
finden kann. Ausserdem sind wir eine große Familie und jeder wünscht
sich was. Das wird dem Christkind zu viel.“ Der Mann lächelte und sagte:
„Ich bin sicher, dass das Christkind kommen wird und den einen oder
anderen Wunsch erfüllt.“ Da sprang das Mädchen freudestrahlend davon.
Der Mann sah ihm noch eine Weile hinterher. Seine Augen fingen an zu
leuchten und er fühlte, dass er den verloren geglaubten Adventszauber
wiedergefunden hatte. So beschloss er, am Heiligen Abend als Helfer des
Christkinds in diese Gasse zurück zu kommen und der Familie kleine
Geschenke mitzubringen.
Josef Albert Stöckl