1. Einleitung.........................................................

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1. Einleitung.........................................................
1.
Einleitung..........................................................................................................2
2. Jugend und Jugendbegriff....................................................................................6
3. Jugendhistorische Portraits: 1800, 1871 und 1910 ..............................................10
3.1 Jugendliche Lebensformen um 1800 .............................................................10
3.1.1 Die Jünglinge in der Literatenszene........................................................12
3.1.2 Ländliche Spinn- und Lichtstuben..........................................................15
3.1.3 Das Elend von Kindern und jungen Menschen......................................19
3.1.4 Zusammenfassung – Impulse der Verselbständigung...........................20
3.2 Jugendliche Lebensformen um 1871 .............................................................22
3.2.1 Das Jünglingskonzept in der bürgerlichen Gesellschaft.........................25
3.2.2 Handwerksburschen und ihre Bräuche..................................................27
3.2.3 Mina Knallenfalls – das Proletariermädchen aus Wuppertal.................29
3.2.4 Zusammenfassung – Formen der Verselbständigung............................32
3.3 Jugendliche Lebensformen um 1910 .............................................................33
3.3.1 Die Jugendbewegungen..........................................................................36
3.3.2 Ecksteher und Halbstarke.......................................................................39
3.3.3 Der Beginn der Jugendpflege..................................................................40
3.3.4 Jugend in der Weimarer Republik..........................................................42
3.3.5 Die Jugendportraits – Entwicklungen,Verselbständigungen und Eigensinn ...43
4. Konstruierte Wirklichkeit? Jugendbilder und Jugendkonzepte in der
Diskussion..............................................................................................................46
5. Jugend: Moderne Ansichten...............................................................................53
5.1 Analysen und Interpretationen.....................................................................53
5.2 Lebensphase und Strukturveränderungen...................................................55
5.3 Autonomie und Selbständigkeit in der Lebensphase Jugend ......................59
6. Gesellschaft ohne Jugend? Ein Ausblick............................................................62
Literaturverzeichnis: ..............................................................................................66
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1. Einleitung
Jugend im heutigen Verständnis ist u. a. dadurch gekennzeichnet, dass die
soziale und kulturelle Reproduktion des Herkunftsmilieus, also insbesondere Familie und Umfeld, nicht mehr zur aktuellen Lebensbewältigung
ausreicht. Im Gegensatz zum Jugendlichen in der vorindustriellen Gesellschaft ist nunmehr erforderlich, in der Lebensphase Jugend Kompetenzen
und Kenntnisse, verbunden mit lebenslanger Lernfähigkeit, zu erwerben.
Vater, Mutter und örtliche Gemeinschaft sowie die Übernahme dieser Rollen und der dortigen Regeln führen zu einem für die industrielle Gesellschaft nicht mehr geeigneten Handlungshorizont. Das sich immer weiter
öffnende Sozialisationsfeld Jugend ist dementsprechend ausgestattet mit
entsprechenden Institutionen wie z. B. der Schule aber auch mit anderen
neuen oder alternativen Erfahrungs- und Handlungsräumen wie Markt,
Mode und Medien sowie jugendkulturellen Lebensstilen und Lebensformen. Parallel dazu hat sich im einzelnen jungen Individium, neben der
biologischen Entwicklung, eine komplexe psycho-soziale Dynamik gebildet, in deren Endstadium die verantwortliche handelnde Persönlichkeit
stehen soll. Von pädagogisch-philosophischer Seite hat in der Neuzeit
erstmalig dieses Modell eines Jugendalters als Reifezeit Rousseau um 1762
ausformuliert. Über diese Sachverhalte herrscht weitgehende Einigkeit in
der Jugendforschung und Jugendtheorie. Probleme bzw. Uneinigkeit bestehen jedoch bei der Rekonstruktion dieser Entwicklungsphase einmal
aus theoretischer und zu anderen aus historischer Interpretation heraus.
Um die diesbezüglichen Verwerfungen zu verdeutlichen sei auf Darstellungen in zwei wichtigen Standardwerken der einschlägigen Fachliteratur
verwiesen. So merkt Tillmann in seinen Ausführungen zu Sozialisationstheorien folgendes an: „Hier (bei der Auseinandersetzung mit Eisenstadt,
E. H.) entsteht gelegentlich der Eindruck, dass sich bei der Theoriebildung
die systematischen Kategorien gegen das historische Material durchgesetzt haben“ (Tillmann 1995, S. 204). Hurrelmann legt den Beginn der Lebensphase Jugend auf 1950 und schreibt: „Der typische Lebenslauf im Jahr
1910 hatte im Vergleich zu heute eine recht einfache Strukturiertheit, die
aus einer Kindheitsphase und einer Erwachsenenphase bestand“ (Hurrelmann 1994, S. 23). Dieser Auffassung kann so nicht gefolgt werden und
die nachfolgenden Ausführungen werden sich mit diesem Sachverhalt
eingehend auseinandersetzen. Bereits an dieser Stelle sei auf den Jugendhistoriker Gillis verwiesen, der in seiner „Geschichte der Jugend“ (1980)
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den Beginn der Jugend im heutigen Sinn in westeuropäischen Gesellschaften auf den Zeitraum um 1800 datiert.
Offensichtlich ist, dass die Einschätzungen weit auseinander laufen. Dabei
geht es keineswegs um ein Zahlenspiel, sondern um die historische Reichhaltigkeit jugendlicher Lebenswelten, die heute keineswegs unbedeutend
ist. Denn die Notwendigkeit jugendpädagogischer Distanz und Reflexion
benötigt auch die historische Dimension. Gleichzeitig sollte es ebenso um
ein Innehalten gehen bei der Nutzung forscher Theoriekonzepte. Das gängige Konzept der Risikogesellschaft bzw. Jugend in der heutigen Risikogesellschaft muss sich beispielweise damit konfrontieren lassen, dass in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regional und milieuabhängig nur 50
Prozent der Neugeborenen 15 Jahre alt wurden ( vergl. dazu das Beispiel
Wuppertal). Aus diesen wenigen Anmerkungen lässt sich die Zielsetzung
des Textes ableiten: Zumindest skizzenhafte historische Lebensformen
Jugendlicher darzustellen, auch um jugendpädagogische Erinnerung zu
schärfen, theoretische Durchdringung und historische Realität aufeinander zu beziehen sowie langlaufende Entwicklungsprozesse besser zu
verstehen, vielleicht mit dem Gewinn, der päda gogischen Arbeit mit Jugendlichen in der aktuellen Gegenwart, eine neu akzentuierte Wahrnehmungssensibilität zu ermöglichen. Hierzu gehört z.B. Jugend, gerade auch
in der historischen Skizze, als einen Prozeß der Verselbständigung zu begreifen, von frühen Impulsen über sich differenzierende Formen bis zu
einem sehr hohen Grad an Autonomie und Eigensinn an der Schwelle
zum 21. Jahrhundert.
Aber bereits hier sei angemerkt, dass Jugend nicht plötzlich im 19. Jahrhundert entsteht. Vielmehr formt dieses Schlüsseljahrhundert die Jahre
junger Menschen einschließlich ihrer tradierten Lebensformen neu. Aus
diesem Grund stehen auch nicht pädagogische Fragen allein im Vordergrund, sondern Fragen nach der Entstehung der Jugendphase und die
nach ihrer noch immer anhaltenden Verlängerung. Diese Verlängerung
wird mit massiven Industrialisierungs- und Modernisierungsprozessen in
Verbindung gebracht, die, wie bereits erwähnt, zunehmende Fertig keiten,
Bildungswege und soziale Handlungskompetenzen anfordern.
Das historische Material wird zeigen, dass sich die moderne Jugend im
frühen 19. Jahrhundert in den oberen Gesellschaftssegmenten bildet und
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dann langsam in die unteren Seg mente einsickert. Dieser auch heute noch
nicht abgeschlossene, manchmal zum Stillstand kommende Öffnungsprozess wird in seinem Verlauf von den unteren Segmenten einen hohen
Preis einfordern: hohe Sterblichkeit, Ausbeutung und Elend von Kindern
und Jugendlichen. Die Lebensphase Jugend erreicht wissenschaftliches
Interesse und forschende Analyse spätestens nach dem 1. Weltkrieg. In
den fünfziger und sechziger Jahren wird Jugend Gegenstand der gesellschaftlichen bzw. soziologischen Fachöffentlichkeit. Von Schelsky durch
„Die skeptische Generation“ (1957) eingeleitet, formuliert dann Tenbruck
(1962) sehr pointiert Jugend als die Übergangsphase zum Erwachsenenstatus. Mittlerweile ist aber eine Verselbständigung der Jugendphase festzustellen, die den Übergangscharakter weit hinter sich lässt.
Jugend ist zum Ende des 20. Jahrhunderts eine Phase geworden, die gekennzeichnet ist durch hohe Eigendynamik (z.B. Markt, Mode, Medien).
Diese Dynamik ist so wirksam, dass die gesamte Gesellschaft beeinflusst
wird z. B. durch soziale, kulturelle und auch technische Innovationen. Ein
Prozess übrigens, den die Kulturanthropologin und Jugendforscherin
Margret Mead bereits vor siebzig Jahren prognostizierte. Mögen auch die
Anfangsjahre der heutigen Jugend im Alter von 12 bis 14 Jahren einen Übergangscharakter haben, so signalisieren die Begriffe der Postadoleszenz
oder der des jungen Erwachsenen jedoch schon die genannte Eigenständigkeit. Damit ist die gesamte Lebensphase Jugend eine Phase geworden
neben anderen Lebensphasen wie der des späten Erwachsenenalters oder
der sogenannten Phase der frühen Alten mit einem Eintrittsalter von 50
oder 55 Jahren. D. h. die Generationenwichtung ändert sich nachhaltig. So
gesehen hat die heutige Jugend einen gewaltigen Emanzipationsprozess
zurückgelegt. Vom kleinen Erwachsenen, weil eben Erwachsensein nicht
hinterfragbares und nicht veränderbares Leitbild war, zum Jugendlichen
der eigenständig an seinem Leitbild (z.B. Identität, Werte, Zukunftsperspektiven) arbeitet und möglicherweise dabei auf Probleme stößt. Diese
Probleme mögen einen Altersbezug haben, die jeweiligen Probleme in anderen Lebensphasen haben eben auch einen Altersbezug, sei es Scheidung, sei es Berufsaustritt. Folgt man der bereits zitierten Margret Mead
wird dieser Prozess anhalten bis ein noch höherer Einfluss, der sich we iterhin verängernden Lebensphase Jugend auf die Gesellschaft eintritt. In
Meads Sehweise wird die Jugendphase die Dominanz erhalten, die in vorindustriellen Gesellschaften den Erwachsenen zugebilligt wurde und auch
zugebilligt werden musste. Solche „Totalaufnahmen“ der Jugendphase
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erschließen sich aber erst, wenn historische Rekonstruktionen mit einbezogen werden. Und es ist nicht hinreichend aussagekräftig, „Momentaufnahmen“ wie „bewegte“ und „bündische Jugend“ zu Beginn des 20. Jahrhundert oder „narzistische Jugend“ und „zukunftslose Jugend“ zum Ende
des 20. Jahrhunderts als allgemeingültige Kennzeichnung zu benutzen.
Diese Kennzeichnungen sind im besten Fall nichts mehr als partielle Verdichtungen (vergl. dazu Tenbruck 1962, S. 24 f), im schlechteren Fall nichts
mehr als gesellschaftliche Konstruktionen mit gering schätzendem Akzent
wie „Null-Bock-Jugend“ oder „Turnschuhjugend“. In diesem Sinne wird
zu fragen sein, ob die Betrachtung der ersten Hälfte der Lebensphase Jugend von ungefähr 1800 bis 1925 auch Auskunft geben kann über Entwicklungstendenzen der folgenden 75 Jahre bis heute.
Um sich den genannten Zielsetzungen und Fragestellungen zu nähern, ist
folgende Strukturierung vorgesehen. Zunächst wird Begriff und Verständnis der historischen Jugend bis zum modernen Jugendbegriff dargestellt. Sodann wird für 1800, 1871 und 1910 jeweils ein historisches Jugendportrait skizziert. Erfasst wird dabei nicht das genaue Jahr, sondern
der jeweils umliegende Zeitraum von zehn, zwanzig Jahren. Das heißt für
den Zeitraum 1910 beispielsweise, dass auch der Beginn der Jugendbewegung um 1900, als auch die Zeit der Weimarer Republik einbezogen wird.
Jedes Portrait enthält drei Lebensformen Jugendlicher bzw. junger Menschen. Damit soll der Fehlgriff vermieden werden, eine Jugendgestalt oder
ein Jugendbild der jeweiligen historischen Jugend ungerechtfertigt heraus
zu heben oder gar zu verklären. Diese drei Lebensformen werden mit einem kurzen Stichwort zur historischen Hintergrundsituation eingeleitet.
Dann kommen biografische Elemente, Bilder und Berichte damaliger Zeitzeugen oder auch unmittelbar Betroffener zur Geltung, die thematisch
einschlägigen Studien und entsprechenden Standardwerken entnommen
sind. Mit dieser Vorgehensweise sollen die jeweiligen Lebensformen Jugendlicher zumindest hinweisartig charakterisiert werden.
Diese Darstellungsweise historischen Materials ist beeinflusst von Auffassungen, die in der historischen Anthropologie vorfindlich sind. D. h., dass
in gewisser Weise versucht wird mit einem ethnologischen Blick frühere
Kulturen von Gruppen bzw. jugendliche Lebensformen darzustellen
(vergl. dazu Reinhard 2004, S. 11f). Dem Historiker Reinhard verdankt
sich auch die Übernahme des Begriffes Lebensform.
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2. Jugend und Jugendbegriff
Jugend ist in der europäischen Kultur des Aufwachsens kein unbekannter
Begriff. Seine ursprüngliche Substanz erhält der Begriff durch das antike
Vorbild von Erziehung, Bildung und Lehranstalt. Griechische Philosophen
(Platon, Aristoteles) werden auch heute noch gerne als Mahner und Bedenkenträger gegenüber der damaligen Jugend zitiert. Die schon in vorchristlicher Zeit exklusive Veranstaltung Jugend verliert sich dann und
wird im Mittelalter, noch exklusiver, eine schmale Domäne kirchlicher
Entwicklungen. Interessant ist die Beschreibung des mittelalterlichen Bischofs Isidor von Sevilla, der frühe Kindheit bis zum 7. Lebensjahr, die
späte Kindheit bis zum 14. Lebensjahr und das Jugendalter (adolescentia)
bis zum 21. Lebensjahr dauernd beschreibt. Der Erwachsenenstatus wird
allerdings erst durch Heirat erreicht. Mitterauer macht darauf aufmerksam, dass im mittelalterlichen kirchlichen Milieu Jugend als Zwischenphase wahrgenommen wurde und eine gewisse Rolle spielte (Mitterauer 1986,
S. 34 ff).
Indessen verweist Gillis, im Einvernehmen mit der „Geschichte der Kindheit“ von Ariès darauf, dass das vorindustrielle Europa Jugend als Lebensphase nicht kannte (Gillis 1980, S. 17): „Die Entwicklung der persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Aufgabenbewältigung lief eher in
gleichberechtigten Bahnen nebeneinander her, als dass sie in eine Phasenfolge gegliedert worden wäre; darauf ist es zurückzuführen, dass in der
gesellschaftlichen Vorstellung vom normalen Lebenszyklus die Unterscheidung zwischen früher Jugend und Jugend im engeren Sinne fehlt“
(a.a.O., S. 21). Niemand wäre auf die Idee gekommen, so weiter, die Pubertät als Eintritt in das frühe Jugendalter zu definieren. Gleichwohl gab
es zur Stabilisierung der sozialen und kulturellen Ordnung Rituale und
Bräuche, die jeweils ein Teilnahmealter festlegten. Entscheidend ist für
den genannten Jugendhistoriker die Entwicklung der Schulzeit im 18.
Jahrhundert mit ihren jeweiligen Verlängerungen bis in die Gegenwart
(siebenjährige Schulpflicht in Preußen seit 1717). Damit wird ein „Phasendenken“ bezügliche des Lebenslaufes eingeführt welches sich vom früheren „Paralleldenken“ unterscheidet. Das heißt, die Abfolge Geburt – Heirat – Tod wurde von parallelen Ereignissen begleitet, die aber eine unter-
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geordnete Rolle und keine strukturierende Rolle spielten. Der Universitätsbesuch ganz weniger Personen oder die Freisprechung des Lehrlings
vor der Handwerkerlade waren entfernte und parallel laufende persönliche Ereignisse, sie waren sozusagen vorstrukturell. Generell sollte die
Scholarisierung als starker aber nicht ausschließlicher Gestaltungsfaktor
der beginnenden Lebensphase Jugend gewertet werden. In diesem Zusammenhang bedeutsam ist auch die eintretende Reduzierung der Kinderarbeit, vorwiegend erst im 19. Jahrhundert (1853 Hinaufsetzung des
Arbeitsalters auf 12 Jahre in Preußen). Auch andere Faktoren nehmen auf
eine Verlängerung der Jugendphase im 18. und 19. Jahrhundert Einfluss.
In den deutschen Industrieschulen Ende des 18. Jahrhunderts kommt es
zu verstärktem Schulbesuch weil durch Spinnen wie auch durch Strümpfe
stricken und das Lernen dieser sowie anderer Arbeitsweisen von Schülern
Geld verdient wird und zwar mehr, als wenn sich die Kinder an der
Heimarbeit ihrer Eltern beteiligten (vergl. dazu Aumüller 1974, S. 74 ff).
Gillis berichtet aus England, dass Mitte des 19. Jahrhunderts arbeitende
Kinder sowohl aus Not aber auch weil sie das Familieneinkommen erhöhten bis zum 16. oder 17. Lebensjahr zu Hause blieben, was die geselligen
Aktivitäten in der Gleichaltrigengruppe erhöhte (Gillis 1980, S. 72 f). Die
von den genannten Autor benutzten Quellen belegen weiterhin, dass aufgrund der dargestellten Situation in den Familien erhebliche Erziehungsprobleme auftraten. Diese jugendhistorischen Befunde zeigen sowohl sehr
deutlich den Zusammenhang von Schulentwicklung, Familienleben und
Arbeitswelt bei der Entstehung einer strukturierten Jugendphase, als auch
den Zusammenhang von Erziehung und Generationenkonflikt auf dem
Hintergrund der jeweiligen gesellschaftsbedingten sozialen Lage.
Eine pädagogisch- philosophische Vorwegnahme des Jugendalters als
notwendige Reifezeit formuliert erstmals Rousseau (1712 – 1778). Angemessenes Handeln junger Menschen wird bei ihm nicht mehr über soziale
Kontrolle, Verbote und Strafen erzeugt, sondern durch innere Entscheidungsprozesse, die allerdings dem angemessenen aber indirekten erzieherischen Einfluss unterliegen. Im vierten Kapitel des Erziehungsbuches
„Emile“ beschreibt Rousseau ausgiebig und eindrucksvoll das Jugendalter
unabhängig von gesellschaftlicher Position. Dieses Alter trennt er deutlich
von der Kindheit und beschreibt dann vornehmlich die seelischen Spannungen und inneren Auseinandersetzungen von der Ich-Findung über die
Körperwahrnehmung bis zur Partnersuche. Ausdrücklich betont er, dass
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er von Beobachtungen ausgehe, die er in der bürgerlichen Gesellschaft, in
modernen Zeiten (1762!), mache. Das Kind müsse, so Rousseau, um erwachsen zu werden, mit dem Schritt eines Riesen die erste Stufe, das Jugendalter, überspringen. Dies ist eben nicht möglich. Das Ende der Stufe
liegt beim 20. Lebensjahr, „bis zum zwanzigsten Lebensjahr wächst der
Körper“ (Rousseau 1968, S. 679). Auf 280 Seiten, wird das Jugendalter
durchaus als Krise beschrieben: „So wie das Grollen des Meeres das nahende Unwetter anzeigt, kündigt sich diese stürmische Revolution durch
das erste Aufbegehren der entstehenden Leidenschaften an: ein untergründiges Gären weist auf die nahe Gefahr ... Er erkennt seinen Führer
nicht mehr an und will nicht mehr geleitet werden“ (Rousseau 1968, S.
439). Jugend auch als Folge gesellschaftlichen Wandels zu begreifen deutet
sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts an und wird erst zu Beginn der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägnant ausformuliert. Bis zu diesem
Zeitpunkt wurde Jugend vornehmlich als Konfliktphase seelischen Ursprungs und als Spannung zwischen den Generationen interpretiert. Aber
auch hier muss gesehen werden, dass keineswegs alle Jugendlichen betroffen sind, sondern eher Jugendliche im städtisch-bürgerlichen Milieu.
Die Analyse darf hier nicht zu Verallgemeinerungen führen. Denn gerade
zu dem Auftreten der spannungsgeladenen Reifezeit verweist Mitterauer
auf eine Studie über die württembergische Landgemeinde Ohmenhausen,
wo im Untersuchungszeitraum zwischen 1800 und 1913 keine, wenn man
so will, Reifekonflikte bei den Dorfjugendlichen auftraten (Mitterauer
1986, S. 18 ff. ; Herrmann u.a. 1983).
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts etabliert sich der Begriff Jüngling, der sich
zum Ende des genannten Jahrhunderts differenziert in den gebildeten
Jüngling, den christlichen Jüngling und den das Vaterland verteidigenden,
heldenhaften Jüngling. Von diesem Jünglingskonzept des 19. Jahrhunderts
muss unterschieden werden das Konzept des Jugendlichen. Der letztere
Begriff etabliert sich Ende des 19.Jahrhundert im negativen Sinne und bezeichnet verwahrloste und kriminelle Jugendliche. Griese findet den Begriff auf das Jahr genau im „ Handbuch des Gefängniswesen“ von 1888
(Griese 2000, S. 239) Um überhaupt eine Zahl zu nennen sei auf Spranger
verwiesen, der für 1906 55270 Verurteilungen von Jugendlichen bis zum
Alter von 18 Jahren benennt (Spranger 1953, S. 175).
Ob diese in der historischen Jugendforschung vielfach vorfindliche Sehweise richtig ist, kann an dieser Stelle nicht tiefergreifend dargestellt wer-
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den. Der Begriff Jugend ist nämlich durchaus gängig, wenngleich überlappend mit Jüngling und Schüler. So findet sich beispielsweise der Begriff Jugend im damals bedeutsamen Preußischen Allgemeinen Landrecht
von 1794, wo im Artikel 1 die Unterrichtung der Jugend u.a. in nützlichen
Kenntnissen festgelegt wird (vergl. dazu Aumüller 1974, S. 57 f.). Der
Jüngling ist, vereinfacht gesagt, der bürgerliche Heranwachsende. Der
Jugendliche ist die Figur aus den Randzonen der Gesellschaft. Um nicht
begrifflichen Vermischungen zu unterliegen, gilt es die genannten Konzepte, die ja mehr sind als Begriffe, gegeneinander zu stellen. Beide Konzepte fließen bereits vor dem 1. Weltkrieg weitgehend zusammen. Daran
sind folgende Entwicklungen und massive politische Einflüsse beteiligt:
- Das negative besetzte Konzept des verwahrlosten und/oder kriminellen Jugendlichen weitet sich um die Jahrhundertwende aus und erfasst
mehr oder weniger die gesamte proletarische Jugend (1900 gibt es vier
Millionen jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen).
- Um die im 19. Jahrhundert sich verschärfende „soziale Frage“ zu lösen
wird das bürgerliche Konzept des Jünglings aufgegeben und „der Jugendliche“ als Integrationskonzept durchschlagend kreiert (militärische
Interessen sind hieran auch durchschlagend beteiligt).
- Maßgeb lich beteiligt sind aber auch Integration befürwortende renommierte Päda gogen wie Kerschensteiner und Paulsen, wie auch eine
konservative Gesamtpolitisierung der Jugendphase, die in umfangreiche Förderungsmaßnahmen der sich damals massiv ausweitenden Jugendpflege einfließt und die bereits existierende Jugendfürsorge ergänzt.
Die sich abzeichnende soziale und begriffliche Integration ist allerdings
bis heute nicht vollständig vollzogen und schlägt sich, überspitzt ausgedrückt, in Begriffen nieder vom unangepassten, problematischen Jugendlichen im sozialen Brennpunkt und dem angepassten, erfolgreichen Jugendlichen im Wohnviertel von Besitz und Bildung. Jedenfalls kommt es
im Zuge einer nach Vereinheitlichung strebender Interessenlage im wi lhelminischen Kaiserreich, vor dem 1. Weltkrieg und dann in der Weimarer Zeit, zu einer völligen Umdefinition. Der Begriff des Jugendlichen
wird positiv besetzt und ersetzt jetzt entgültig den früher gebräuchlichen
Begriff des Jünglings.
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Hingewiesen werden muss auch auf den zur damaligen Zeit von Gustav
Wyneken geprägten Begriff Jugendkultur, der dieser Kultur und Lebensform radikalen Eigenwert und Selbständigkeit zubilligt. Wyneken kommt
aus der Landerziehungsbewegung (Lietz) und gründet 1906 die Freie
Schulgemeinde Wickersdorf. Der „Versklavung“ der Jugend durch das
gegebene Schulsystem sollte damit ein Kontrapunkt entgegengesetzt werden. Insgesamt muss gesehen werden, dass eine pädagogische Reformbewegung einerseits und eine jugendbewegte Zeit andererseits, der Wandervogel e.V. ist nur ein Beispiel dafür, dazu führten, dass Jugend, sei es
im bewahrenden Sinne - sei es im begeisternden Sinne, eine jugendpolitische und jugendpädagogische Wahrnehmungsdimension in der damaligen Zeit neu eröffnete.
3. Jugendhistorische Portraits: 1800, 1871 und 1910
3.1 Jugendliche Lebensformen um 1800
Der Zeitraum um 1800 befindet sich noch zu Beginn der Industrialisierungsphase. Produktionsverhältnisse sind aber schon im Umbruch, sowohl was die landwirtschaftliche Situation angeht als auch bezüglich der
nach merkantilen Produktionsweisen organisierten Heimarbeit oder dem
Tageslöhnerwesen. Aumüller kennzeichnet das 18. Jahrhundert als den
Übergang von der feudalen zur kapitalistischen Produktion (1974, S. 9).
Eine Stabilisierung des Schulwesens erfolgt auch aus diesen Gründen,
nicht nur weil das 18. Jahrhundert, das sogenannte „Jahrhundert der Pädagogen“ ist. Campe, ein Vertreter aufgeklärter Pädagogik und jemand,
der sich bereits damals um Jugendliteratur bemühte, schreibt: „In den
Schulen, oder nirgends kann eine Nation zur Industrie, wie zu jeder anderen moralischen und politischen Tugend gebildet werden“ (1786, zit. n.
Aumüller 1974, S. 46). Folgt man der zitierten Historikerin darf man bei
dem Begriff Schule keineswegs heutige Maßstäbe anlegen. Die damaligen,
neben dem höheren Schulwesen existierenden Industrieschulen waren
winterliche Produktionsanstalten, in denen ein Schulmeister (Handwerker) gelegentlich bis zu 90 Schülerinnen und Schüler auf engsten Raum,
notfalls im Hühnerstall, zumeist mit religiösen Inhalten versorgte.
Im Umbruch ist aber auch die gesamte Gesellschaft. Die ständische
Grundstruktur dieser Gesellschaft beginnt zu zerbröseln und Hof und
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Adel werden fortschreitend durch ein erstarkendes und aufstiegsbewusstes Bürgertum verdrängt. Die Vorstellung entsteht, nicht die Realität, der
Untertan könne durch Staatsvertrag zum Staatsbürger werden. Damit ändert sich durch Aufklärung das Verhältnis des einzelnen vernünftigen
Menschen zum Staatsganzen. Auch Religiosität wird dem einzelnen Menschen überantwortet; ein Zeichen zunehmender Toleranz.
Folgt man Gillis gab es im 18. Jahrhundert ein regionalspezifisches und
ordnungsleitendes Brauchtum mit dort eingebundenen jugendlichen Burschen und Bruderschaften (1980, S. 20). Das Zunftwesen vornehmlich in
Städten, ländliches Brauchtum und z. B. dortige Spinn- und Lichtstuben
stellen Markierungen eines sehr unscharfen jugendlichen Lebensalters
dar. Mit dem Vordringen des Bürgertums beginnt aber auch die Gründung bürgerschaftlicher Vereinigungen, wobei nicht ganz deutlich ist, wie
Jugend dort eingebunden war. Von Pestalozzi ist bekannt, dass er als Jugendlicher Mitglied in einem aufklärerrisch agierenden patriotischem
Bund war und bezüglich ereifernder Rede auch von der Polizei festgenommen wurde.
Wie sich u. a. städtisches Alltagsleben von Schülern / Jugendlichen abspielte zeigt eine Schilderung aus Köln (1810):
„Oft sehen wir auf den Plätzen in den Straßen die Jugend heiße Schlachten fechten; denn feindselig standen sich die einzelnen Plätze, wie der Domhof, der Altenmarkt, der Heumarkt und der Augustinerplatz und die verschiedenen Schulen
entgegen, und gar oft bricht dieser Hass unter den Knaben in wilde Treffen aus,
bei denen Fester und Straßenlaternen nicht verschont blieben und welche häufig
das Einschreiten der Polizei notwendig machten. Ein ewiger unversöhnlicher
Krieg bestand zwischen den Zöglingen der Sekundär-Schule – früher JesuitenGymnasium -, der Boosch wie die Kölner sagten, und den Schülern der umgrenzenden Pfarrschulen, ein Hass der sich bis in die freireichsstädtischen Zeiten verfolgen lässt, wo sich außerdem die sogenannten Studenten der drei damals bestehenden Gymnasien stets in den Haaren lagen und die Zipfel ihrer Mäntel, in die
selbst Steine geknüpft wurden, mit der größten Hartnäckigkeit gegen einander
gebrauchten. Die im Sommer sich oft wiederholenden Knaben-Krawalle hatten die
Folge, dass sich ein Knabe nicht ohne Begleitung aus seinem Bezirke in einen anderen wagte, weshalb uns, außer unserer Nachbarschaft, dem Kirchspiel, das übrige Köln eine wahre Terra incognita war“ (zit. n. Mitterauer 1986, S. 208).
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Im folgenden werden über biografische Elemente, Bilder und Berichte aus
dem genannten Zeitraum drei Lebensformen dargestellt. Zunächst wird
die Jünglingsszene skizziert. Obwohl nur einige hundert intellektuell wie
literarisch begabe ältere Jugendliche daran beteiligt waren, wird hier die
Bezeichnung Jüngling inhaltlich gefüllt und wird in der Folge eine beachtliche Wirkung enthalten, so dass im Zeitraum von 1871 noch einmal das
Thema aufgegriffen werden muss. Die zweite Darstellung bezieht sich auf
Spinn- bzw. Lichtstuben oder auch Gunckelstuben, die in Europa weit
verbreitet und zumeist zur Winterzeit Treffpunkt der ländlichen Jugend
waren. Der darauffolgende Bericht gibt einen Einblick in die im frühen
Alter beginnende Kinderarbeit, die in eine Tage- oder Wochenlöhnerexistenz führt. Jugend findet hier nicht, auch nicht annähernd, statt.
3.1.1 Die Jünglinge in der Literatenszene
Im Zeitraum von ca. 1770 – 1820 lassen sich enge aber auch entfernte
Freundschafts – und Lebensbündnisse finden, die sich über mehrere Generationen hinzogen. Gegenstand historischer Jugendforschung wurde
diese Altersgruppe der Jünglinge (ca. 20 – 25 Jahre alt) durch Arbeiten von
Muchow (1962), Hornstein (1965) und Roth (1983). Obwohl es sich nur
insgesamt um eine kleine Personenzahl handelt muss doch die Reichweite
des Bekanntheitsgrades und damit auch des Wirkungsgrades im gebildeten Bürgertum als sehr hoch eingeschätzt werden. Bedeutsamer jedoch ist,
dass sich die „Leipziger Jünglinge“ und „Göttinger Jünglinge“ (Hainbund
genannt nach „Der Hügel und der Hain“ von Klopstock), aber auch die
nachfolgenden Jünglingsszenen durch ihre literarische Produktion auszeichneten. Für die Jünglingsszene federführend waren sicherlich der außerordentlich bekannte und seine Mitmenschen beeindruckende Klopstock wie auch der Leipziger Literat und Literaturprofessor Gellert, aber
auch Hölty und die Grafen von Stolberg seien genannt. Zumindest gern
gesehen in dieser Szene war ebenso Matthias Claudius. Diese ästhetische
und zum Teil sehr religiöse Avantgarde reagiert zumindest seismografisch
auf die damaligen durchgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen und
schafft sich einen eigenständigen Handlungs- und Sprachraum (u. a. die
Zeitschrift „Der Jüngling“) ohne allerdings damit all zu sehr anzuecken.
Roth weist darauf hin, dass es sich bei den Dichterjünglingen um eine eigene Epoche handelt, die keine Fortsetzung fand bis auf den Begriff Jüngling, der zu dem Zeitpunkt noch eine lange Laufzeit vor sich hat (Roth
1983, S. 135). Nun könnte man diese Epoche als literaturgeschichtlich inte-
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ressant einschätzen und es dabei belassen. Ein Blick auf sozialhistorische
Hintergründe gibt der genannten Einschätzung jedoch einen etwas anderen Stellenwert. Roth setzt die Entstehung der Jünglingsepoche in einen
politisch-ökonomischen und sozio-kulturellen Gesamtzusammenhang mit
der Aufklärungszeit, in sich verändernde soziale Bindungen bezüglich der
Familie, in die Auflösung vorgezeichneter Berufswege der noch ständisch
ausgerichteten Gesellschaft und in neue kulturelle Orientierungen an
Mensch und Aufklärung. Dies alles erzeugt ein offenes Spannungsfeld in
dem ein sozialer und kultureller Ort gefunden werden muss: „Wenn Jünglinge sich selbst ins soziale Niemandsland begaben, so folgten sie damit
einerseits dem Denken der Bürger ihrer Zeit, die eine Beseitigung der
Standesgesellschaft und die Entstehung freier Individuen zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen brauchten“ (Roth 1983, S. 27).
In diesen Zusammenhängen spricht Nipperdey von Prozessen der Individualisierung und Bemühungen des Bürgertums eigenständigen gesellschaftlichen Raum zugewinnen und zu definieren, den Raum von Bildung
und Kultur (Nipperdey 1976, S. 176). Die Jünglingsepoche ist dann ein
Zeitfeld in dem sich auch bürgerliche (Hoch) Kultur bildet, dort suchen
die Jünglinge ihre soziokulturelle Identität und entwickeln diese Kultur
zugleich mit. Unter diesen Gesichtspunkten sind die Jünglinge nicht nur
ein literaturgeschichtliches Ereignis, sondern eine „Kulturinitiative“ des
Bürgertums. Die Jünglinge sind nicht autonom, aber ihre selbständige
Suchbewegung gibt eine Vorahnung davon, wie sich zum Ende des 19.
Jahrhunderts eine teilautonome Jugendb ewegung etablieren kann. Eine
solche auf den genannten historischen Hindergründen entstehende und
sich individuell / kollektiv zeigende Lebensform ist neu, sie ist von weiter
zurückliegenden jugendlichen Lebensformen nicht bekannt. Abweichend
von den bekannten Personen der Jünglingsszene wird im folgenden ein
exzentrischer Außenseiter dargestellt.
Der zu seiner Zeit hochstilisierte und sich selbst stilisierende Jüngling Wilhelm
Waiblinger (1804 – 1830) mag der letzte deutsche Jüngling der damaligen Zeit
gewesen sein. Durch extremes Verhalten fiel er allerdings eher auf als Literat –
Letzteres war sein Ziel. Seine Schriften umfassen mehrere Bände. Hochmut, Eitelkeit, Eigenwille und Herrschsucht sind die zutreffenden Persönlichkeitsmerkmale. Kindlers zwölfbändiges Literaturlexikon erwähnt ihn nicht. Bürger
widmet ihm in den „Annalen der deutschen Literatur“ zwei Zeilen und bescheinigt Waiblinger, dass er sich am „ästhetischen Durst früh verzehrte“ (Baumgart
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1952, S. 603). Wegen „Tumultum“ aus dem Theologischen Seminar entlassen,
kam er zu keinem Abschluss. Er ist bekannt mit Mörike und kümmert sich um
den kranken Hölderlin, über letzteren schreibt er ein beachtetes Buch. Selbsttötungsversuch, ausgiebige erotische Abenteuer, Skandale kennzeichnen seine Jahre
in Tübingen und Umgebung. Mit 22 Jahren bricht er nach Rom auf. Zeugt mit
seiner Geliebten dort zwei Kinder bevor er fiebrig, blutend und spuckend 1830
stirbt. Vorher hat er sich noch mit der in Rom befindlichen deutschen Künstlerkolonie völlig überworfen. Dieser zum Teil begabte, zum Teil schräge Selbstverwirklichungsexperte formuliert schon als 18jähriger seine Lebensmaxime: „Wo ich
mich nicht hinbringe, ist alles leer“ (vergl. zu diesem Text: Wittkop 2004, S. 108).
Waiblinger ist zum Göttinger Hainbund, der reine unschuldige Geistigkeit
verbreitet (Gillis 1980, S. 84), sicher ein Kontrast der besonderen Art. Als
Zeitzeuge sei jedoch auf ihn verwiesen, weil ihn Individualität mit der
Jünglingsszene verbindet. Verselbständigung, wenn auch auf eine idealistische Art und Weise, wird gesucht und auch Eigensinn entwickelt. Diese
Merkmale sind u.a. wichtig in der Literatenszene und stellen einen Impuls
dar, der zumindest in indirekter Form in das 19. Jahrhundert wirkt,Das
satirische Bild ist eine überarbeitete Darstellung des schwedischen Aquarellmalers Carl Johann Lindström (vergl. Wittkopp 2004, S. 108).
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W. Waiblinger
3.1.2 Ländliche Spinn- und Lichtstuben
Spätestens seit dem 16. Jahrhundert sind Spinn- und Lichtstuben, mit regional unterschiedlichen namentlichen Bezeichnungen, bekannt. Es stellt
sich insgesamt eine ländliche Lebensform dar, mit großer Ausbreitung in
Europa. Spinn- und Lichtstuben auch in das städtische Milieu zu legen,
wie Thole es beschreibt, ist sicherlich nicht richtig (Thole 2000, S. 34). Dort
richteten allerdings die Gesellenvereinigungen für sich Trinkstuben ein,
die teilweise ähnliche Funktionen gehabt haben mögen. Die Ausbreitung
der Spinnstuben ist auch deshalb erheblich, weil um 1800 70 – 80 Prozent
der Bevölkerung in ländlichen Gebieten leben, ca. zwei Drittel der Er-
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werbstätigen arbeiten im Agrarsektor. In diesen, vornehmlich im Winter,
gegen Entgelt zur Verfügung gestellten Räumen wurde gearbeitet, vor
allem aber fand jugendliche Geselligkeit statt, vom Dorfgerede über Tanzen bis zum gemeinsamen Essen. Es muss allerdings auch gesehen werden, dass die Stuben eingebettet waren in das jugendliche Landbrauchtum, also insbesondere in das Werbebrauchtum zwischen den Geschlechtern oder auch das Rügebrauchtum (z. B. konnten zu leichtfertige Mädchen durch das Aufhängen einer Strohpuppe vor der lokalen Öffentlichkeit bloßgestellt werden; Mitterauer 1986, S. 174 f.). Durch die Treffen, das
Feiern von Festen und Hochzeiten sowie die Erhaltung von Brauchtum
findet keineswegs nur jugendkulturelles Gemeinschaftsleben statt wie
Thole (a.a.O.) meint, sondern es wird eine soziale und kulturelle Orientierung für das dörfliche Leben sowie das spätere Erwachsenenleben gegeben. Im Zusammenhang mit den genannten Bräuchen ist auch eine soziale
Kontrolle mit einbezogen. Weiterhin ist bedeutsam, dass die Spinnstubenkultur insbesondere eine soziale Integration, Mitterauer spricht von Vergesellschaftung, der Mädchen mit einschließt.
Insgesamt sind außerordentlich starke regionale Abweichungen feststellbar von durch Erwachsene kontrollierten Stuben bis zu recht unkontrolliert stattfindenden abendlichen Treffen. Sehr häufig war das Treiben in
den Stuben Anlass, für die kirchliche und staatliche Obrigkeit einzugreifen
oder gar selbige zu verbieten. Der Hauptgrund lag in vermuteten oder
auch realen sexuellen Ausschweifungen, wobei die erotische Sinnlichkeit
massiv unterdrückende gesellschaftliche Situation nicht übersehen werden darf.
Die Spinnstubenkultur überlebt aufgrund der Mechanisierung der Arbeitsprozesse, sicherlich aber auch auf Grund der einsetzender Landflucht
nicht das 19. Jahrhundert und erreicht allenfalls die Zeit vor den 1. Weltkrieg. Wenn gelegentlich heute von Volkshochschulen oder, wie Ende
2004 von der Wilhelms-Universität Münster, zur Spinnstube eingeladen
wird, signalisiert dies aber ein anhaltendes Interesse an dieser alten Lebensform Jugendlicher.
Da es Schwierigkeiten bereitet, zeitgenaue Quellen zu finden, muss bei
dieser vier- bis fünfhundert Jahre andauernden Kultur eine weite Zeitspanne bei der Darstellung von drei Quellen in Kauf genommen werden.
Zunächst ein Bericht vom Beginn des 18. Jahrhunderts mit unklaren Quellenangaben (vergl. Medick 1980, S. 28):
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„Geschicht nichts anders, als Leuth austragen, Ehrabschneiden; was in der Gemeind ärgerliches Geschicht, wird in der Gunckelstuben ausgetragen man singt
Buhl-Lieder, unkeusche Lieder: man redet unkeusch, man reiset ärgerlich herum,
man tantzet frech darein ... Man sündiget 1. Mit Ehrabschneidung, 2. Treiben sie
Gespött auß den geistlichen Sachen, Predigen. 3. Singen und reden sie unkeusche
Sachen, von Lieb-Possen, machen grobe unkeusche Scherzreden von anderen Geschlecht, erzählen unkeusche Geschichten von Eheleuten: sie kochen, essen, tri nken was sie zu Haus gestohlen.“
Ein kritischer Zeitgenosse, so der vorangegangene Text, steht dem Spinnstubenleben ablehnend gegenüber, was nicht darüber hinwegtäuschen
darf, dass es wesentlich freundlichere Berichte gibt, die ein vielfältiges
und von Jugendlichen sehr geschätztes Stubentreffen beschreiben. Einige
Jugendliche merken sogar an, dass sie durch das Stubenleben erst zu Menschen geworden seien. So gesehen verfügte die ländliche Jugend über einen begrenzten kulturellen Raum, in dem eine sinnlich-konkrete Verselbständigung stattfinden konnte.
Das nachfolgende Bild, ein Kupferstich des Nürnbergers Barthel Beham
aus dem Jahr 1524, zeigt eine Spinn- oder auch Lichtstube (dort war an
Winterabenden Licht) in der zwar wenig gesponnen, dafür aber eine recht
derbe Sexualität praktiziert wird. Der links am Kachelofen stehende bärtige Herr könnte die Aufsicht führende Person sein, der historische Vorgänger heutiger Jugendarbeiter. Ob die Realität abgebildet wird oder auch
die Phantasie des Kupferstechers eine Rolle mitspielt, bleibt natürlich im
Verborgenen. Der Kupferstich zeigt eine gemischte Gruppe. Dies wird
nicht überall der Fall gewesen sein. Berichtet wird auch z. B., dass sich die
Burschen erst zu späterer Stunde einstellten und die Mädchen dann nach
Hause begleiteten.
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Quelle: Reinhard 2004, S.251
Dass Spinnstuben neben dem dörflichen Charakter ebenso einen großfamilialen Hintergrund haben können, zeigt der Bericht aus einer Lebenserinnerung. Deutlich wird auch, dass es „gesittete“ Formen gegeben hat wie
auf dem darzustellenden großen Bauernhof in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Begriff Großfamilie gilt hier noch in seiner ursprünglichen Bedeutung und umfasst alle Menschen, die unter einem Dach gemeinsam
leben. In diesem Fall sind es 25 Mägde und Knechte, die umfängliche Bauernfamilie im engeren Sinne muss hinzugerechnet werden. In dieser
Spinnstube ist die Teilnehmerschaft auch altersgemischt.
Auf zwei sich widersprechende Feststellungen unter Historikern sei verwiesen: Während Medick Spinnstuben im Kreis der Familie und Verwandtschaft als Kümmerformen bezeichnet (Medick 1980, S. 40), vertritt
Mitterauer die Auffassung, dass der Spinnstubenbezug zur Hausgemeinschaft im Vordergrund stehe. Er formuliert: „Dass die Spinnstube zu einem außerhalb der Hausgemeinschaft stehenden Jugendtreffpunkt in einem gemieteten Raum wurde, erscheint aber als eine Sonderentwicklung“
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(Mitterauer 1986, S. 187). Es spricht aber nichts dagegen, dass je nach lokalen und regionalen Verhältnissen, beide Formen parallel existiert haben.
Wenn der Abend kam, im Spätherbst oder Winter, so versammelten sich die Mägde in der Stube mit ihren Spinnrädern. Dann wurde der Flachs gesponnen, der
den ganzen Haushalt mit Leinwand versah. Während die Spinnräder schnurrten,
durften die Mägde ihre Lieder singen, wozu meine Großmutter ermunternd den
Ton angab. Unterdessen kamen aus ihren Ställen und von ihren Werkplätzen die
Knechte und versammelten sich auf den Bänken am großen Herde, um Geschichten zu erzählen und das zu üben, was sie für Witz hielten. In den Sommerabenden saßen sie auf dem Hofe umher oder standen gelehnt an das Geländer der Brücke, ausruhend oder schwatzend oder singend. Nach altem Brauch hatte an zwei
oder drei Abenden im Jahr das Volk, männlich und weiblich, Erlaubnis, in der
großen Halle zusammen zu spielen – blinde Kuh und andere Spiele; und da gab es
denn des Hüpfens und Springens und Übereinanderfallens und Schreiens und
Lachens kein End, bis zu bestimmter Stunde der Meisterknecht wie das Schicksal
dazwischentrat und alles zu Bett schickte. (Schürz; zit. n. Pöls 1979, S. 329)
3.1.3 Das Elend von Kindern und jungen Menschen
Der folgende Bericht, ein Protokollausschnitt aus dem Jahr 1837, beinhaltet das Elend der Kinderarbeit. Einige Jahre später wird Kinderarbeit unter
12 Jahren in Preußen verboten. Auch wenn von Kindern gesprochen wird,
muss gesehen werden, dass der Eintritt in das Erwachsenenerwerbsleben
erfolgt ist. Aus den Kindern werden junge Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter – das Wort Jugend oder Jugendlicher verfehlt in diese Situation
seinen Sinn, Verselbständigung wird verhindert.
„Der Herr Abgeordnete Schuchard (Barmen) bemerkte: dass gewissenhafte Kreisphysiker versicherten, wenn die Kinder auch nur um 10 Stunden in die Höhlen
des Jammers eingesperrt würden und stets sich auf den Beinen befinden, um zu
arbeiten, so erhielten besonders die Mädchen Geschwülste und Auswüchse, die
Beine schwänden und die Kinder welkten elendiglich dahin. Er müsse indessen
das Zeugnis ablegen, dass die Spinnerei von Oberempt in Barmen insoweit eine
Musteranstalt genannt werden könne, indem derselbe um 11 Uhr morgens seine
Maschinen still stehen lasse, um seinen 200 Spinnkindern eine bis 1 und ¼
Stunde Unterricht erteilen und sie dann eine Stunde freie Luft genießen zu lassen. Das Übel sei jetzt auch in Frankreich erkannt worden, und habe sich die öffentliche Stimme dagegen erhoben. L’académie des Sciences morales et politiques à
Paris habe durch eines ihrer Mitglieder die Fabriken im Elsass bereisen lassen.
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Der Herr Abgeordnete las aus dem desfalsigen Bericht einiges vor, woraus hervorgeht, dass besonders in Mühlhausen ebenso die Kräfte der Kinder missbraucht
würden, wie an vielen anderen Orten, und dass die Besitzer der Spinnereien darauf angelegt hätten, es möchte ein Gesetz zu ihrem Schutze gegeben werden, welches die Arbeitsstunden verringere. Der Herr Abgeordnete fuhr darauf fort, von
allen Seiten erheben sich Stimmen um das Interesse der Fabrikherren zu verteidigen unter dem subtilen Vorwande, die Industrie sei bedroht; selten aber erhebt
sich eine Stimme für den Arbeiter, um ihr Los zu verbessern. Beobachte man doch
das ganze Leben eines Menschen, der schon als Kind harte Sklavendienste verrichten musste, so wie seine Kindheit trübe und freudleer war, so ist sein ganzes
Leben entbehrend, hat er mit Mühseligkeiten aller Art zu kämpfen, ja in schweren
Zeiten, wie die jetzigen, ist er sogar mit den Seinigen der Pein des Hungers preisgegeben, und wie froh ist er endlich am Rande des Grabes, um seines elenden Lebens quitt und ledig zu sein. Ja, sagte der Herr Abgeordnete, er bekenne, dass ihn
oft der Gedanke beschlichen, diesen Menschen müsse als Ersatz für die Entbehrungen des Erdenlebens die Freuden des Himmels im größeren Maße wie ihm
zugeteilt werden...“ (zit. n. Pöls 1979, S. 244).
3.1.4 Zusammenfassung – Impulse der Verselbständigung
Die drei dargestellten Lebensformen junger Menschen beschreiben nicht
das Spektrum der gesamten Lebens und Alltagswirklichkeit um 1800.
Gleichwohl entsteht ein Eindruck jugendlichen Lebens gerade auch deshalb, weil die Lebensformen sehr abgegrenzt, sogar gegenseitig polarisierend erscheinen. Es zeigen sich geschlossene Lebenswelten, abhängig und
geprägt von ihrer jeweiligen Stellung und Lage in einer noch statischen
Gesellschaft, die allerdings unter Spannung steht, weil sich soziale, politische, ökonomische und technische Veränderungsprozesse ankündigen
oder schon eintreten. Die Jugend als psycho-soziale Zwischenzeit zu sehen, zumindest bei den Jünglingen und bei den ländlichen Jugendlichen
fällt noch schwer, vom Armenmilieu ist ganz zu schweigen. Von einer
Phase kann nicht gesprochen werden – ein diffuses Handlungsfeld ist allerdings erkennbar.
An den Universitäten studieren etwa 3000 Studenten, im höheren Schulwesen sind es wesentlich mehr, weil Offiziere und Beamte gebraucht werden. Hier mag die Schul- und Studienzeit schon eine Phase ausgebildet
haben, die von nun an immer intensiver die Jugend strukturiert. Jedoch
steigt zu diesem Zeitabschnitt auch die Zahl der zur Schule gehenden
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Bauernkinder (vergl. Aumüller 1974, S.59). Und: „Schulen und Universitäten sind Veranstaltungen des Staates“ heißt es im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794. Die organisatorische Weiterentwicklung von
Schule und Schulbehörde beschleunigt sich deutlich.
Obwohl drei Lebensformen junger Menschen angedeutet wurden, bleiben
viele Fragen offen. An einem Beispiel sei dies erläutert: Am 10. Februar
1816 erscheint in der Jugendzeitschrift „Neue Jugend-Zeitung“ der Artikel
„Der Hund als Gehülfe bei verschiedenen menschlichen Geschäften“. Es
werden dort Überlegungen angestellt, wie der Hund bei einem Seiler die
Spindel so dreht, dass das arbeitende Kind ersetzt werden kann. Verwiesen wird auch darauf, dass der Philosoph Leibnitz einen sprechenden
Hund in der Nähe von Seitz getroffen haben soll. Es wird in dem Artikel
aber davon abgeraten, dies als „bare Münze“ zu nehmen. Der sprechende
Hund ist nun keine Kuriosität, sondern passt genau in das damalige gelehrte Themenspektrum der Nähe von Mensch und Tier, von Tierseelenkunde usw.. Für welche jungen Leser war die Verbindung eines gelehrten
Themas mit der Arbeitswelt von Interesse? In den beschriebenen Lebensformen wurde diese Zeitschrift kaum gelesen, sei es weil die Interessen
anders lagen, sei es weil die Lesefähigkeit unzureichend ausgebildet war.
Vermutlich kommt allein die bürgerliche gebildete Jugend, ggf. junge
Studenten in Frage. Allerdings lag die Zahl der Gymnasiasten eines Jahrgangs ungefähr bei einem Prozent .
Die deutsche historische Jugendforschung ist, was den verhandelten Zeitraum angeht, häufig sehr an der Jünglingsszene interessiert. Damit allein
kommt man meines Erachtens der Frage nach der Entstehung der Jungen
nur bedingt näher. Die gegebenen Hinweise versuchten deshalb nachdrücklich eine breitere Basis zu skizzieren. Letztlich kann man darüber
streiten, ob bereits im dargestellten Zeitraum die moderne Jugend beginnt.
In Anfängen ist sie m. E. sichtbar, aber Jugend als Phase ist nur bei einem
verschwindend kleinen Teil der Jugendlichen erkennbar. Unter dem Aspekt der Verselbständigung sind einerseits eindrucksvolle Impulse festzustellen, andererseits aber auch Begrenzungen bis hin zur Verhinderung.
Diese Situation wird sich aber, wie gezeigt werden wird, in weiteren Verlauf des Jahrhunderts ändern.
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3.2 Jugendliche Lebensformen um 1871
Der Zeitraum um 1871 wurde gewählt da sich im genannten Jahr die
Reichsgründung vollzog und zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut die
sozialen und strukturellen Folgen einer explosionsartigen Industrialisierung aufzeigbar sind, weil die erste Industrialisierungsphase (ca. 1840 –
1875) hier endet. National – vaterländischer, militärverbundener Obrigkeitsstaat auf der einen Seite und aufwachende, selbstbewusster werdende
sowie sozialistisch eingefärbte Industriearbeiterschaft bzw. Proletariat auf
der anderen Seite. Dazwischen ein sich entwickelndes, gleichwohl bedrängtes und auf gesellschaftlichen Einfluss, Besitz und Bildung bedachtes Bürgertum. Ein Bürgertum was allerdings durch Fleiß, Unabhängigkeit
und gewisse Liberalität dem Industriekapitalismus zu seinem ersten großen Erfolg verholfen hatte und das eigentlich der Träger dieses Aufschwungprozesses war. Spannungen und massive Konflikte kennzeichnen
diese Phase. Kulturkampf, Sozialistengesetz und Sozialpolitik sind dazu
die markanten Stichworte.
Einige Zahlen zum Industrialisierungsprozess sollen die Wucht der Entwicklungsdynamik verdeutlichen:
Im 19. Jahrhundert wächst die Bevölkerung in Deutschland von 24
auf 60 Millionen Menschen.
Der Eisenverbrauch steigt von 5,8 kg (1834) auf 162 kg (1900).
Elberfeld und Barmen wachsen von 83.000 Einwohnern (1849) auf
189.000 Einwohner (1880). Essen wächst im gleichen Zeitraum von
9.000 auf 57.000 Einwohner.
In Altherne steigt die Zahl der Volksschüler von ca. 350 (1870) auf
1500 (1891) und 3000 (1900). Von 1876 – 1886 sinkt die Schülerzahl
pro Klasse von 100 auf 84 (Reulecke 1978, S. 252 f).
In Preußen sind 1860 57.624 Schüler im höheren Schulwesen, 1870
sind es 98.529, 1880 werden bereits 123.486 Schüler gezählt (Bühler,
v. 1990, S. 68).
Wie stellen sich in diesem Zeitraum nun jugendliche Lebensformen dar?
Zweifellos herrscht ein Jugendleben ähnlich der Schilderung aus Köln im
Jahr 1810 (vergl. S. 12). Freundschafts- und Feindschaftsgruppen haben
häufig dabei einen Quartiersbezug, sind milieuspezifisch. Folgt man Mitterauer beginnt bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine rege
Gründungstätigkeit von Vereinen und Vereinigungen (Mitterauer 1986, S.
213 ff.). Diese Entwicklung verstärkt sich, wobei gesehen werden muss,
dass entsprechende Gründungsimpulse von Erwachsenen kamen. Aus-
22
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nahmen mag es an den Universitäten gegeben haben. Das Beispiel Sport
zeigt, dass die Deutsche Turnerschaft 1884 30.000 Schulentlassene zwischen 13 und 17 Jahren als Mitglieder hatte, eine Zahl, die sich bis kurz
vor den 1. Weltkrieg mehr als versechsfacht. Zu den Schulentlassenen
müssen aber jeweils mehrere Tausend Schülerinnen und Schüler hinzugerechnet werden; 1912 sind es knapp 90.000 (a.a.O., S. 217). Die Turnerbewegung lässt sich noch weiter zurück verfolgen. So weist Herre darauf,
dass sich 1871 der Arbeitersportbund bildet als politisch gewollte Polarisierung der Industriearbeiterschaft zur eher bürgerlichen Deutschen Turnerschaft (Herre 1980, S. 190). Generell boten solche Vereine auch gesellige
Aktivitäten für die Jungend und Erwachsene an, die über die sportliche
Tätigkeit weit hinaus gingen. Älteren Datums sind Schützen- und Gesangsvereine. Dieser knappe Hinweis zu den Sportvereinen enthält dabei
zwei wesentliche Informationen: Einmal wird gezeigt, dass soziale und
politische Spannungen ihre Verwerfungen bis in den Alltag, in die Freizeitgestaltung hineinbringen und zum anderen, noch wichtiger, wird Jugend als Phase wahrgenommen. Schülerinnen und Schüler, Schulentlassene bis zum 17. Lebensjahr sowie die darauf folgende Altersgruppierung
markieren die Phasenabschnitte. Dieser Wahrnehmungsmodus war 100
Jahre früher nicht oder kaum vorhanden. Das 19. Jahrhundert kennt zwar
noch nicht den allgemeinen Jugendlichen und die entsprechende Jugendphase, dass bleibt dem Beginn des 20. Jahrhundert vorbehalten, aber es
nimmt die Jugend wahr. Dies geschieht dadurch, dass unterschiedliche
Gesellschaftsschichten, Institutionen wie Schule und Kirche sowie andere
gesellschaftliche Interessengruppen nicht zuletzt aber auch die beginnende Jugendfürsorge, Jugend wahrnimmt und Handlungsfelder aufbaut. Die
Wahrnehmungsrichtung konzentriert sich dabei sehr stark auf die eigene
Interessen- und Bedürfnislage und ist orientiert an der jeweiligen Trägerschaft. Insbesondere für Schule heißt das aber auch Orientierung am Ka iserreich, an der Kirche und allgemeiner bzw. humanistischer Bildung –
hier ist das Wahrnehmungs- und Handlungsspektrum sicherlich am weitesten entwickelt. Allerdings ein Spektrum was durch idealistische und
ideologische Ausrichtung eher ein „Feind“ der damaligen Gymnasialjugend war.
Kirchlicherseits ist an die katholischen Gesellenvereine zu denken von
Kolping u.a.1849 gegründet, die ersten evangelischen Jünglingsvereine
entstehen bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts (Mitterauer 1986, S. 219). Der Christliche Verein Junger Männer wird 1883 gegrün-
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det. Gleichzeitig muss daran erinnert werden, dass ländliche und städt ische Szenen unterschieden werden müssen. In dem schwäbischen Dorf
Ohmenhausen, auf diese historische Studie wurde bereits verwiesen, ändert sich von 1800 – 1913 bezüglich der Lebenswelt junger Menschen so
gut wie nichts (Herrmann, Gestrich, Mutschler 1993). Gleichaltrigengruppen bilden sich häufig an Gymnasien geben sich eigene und eigentümliche
Namen, werden zum Teil von der Lehrerschaft beargwöhnt, zum Teil von
der Schulleitung verboten, insbesondere wenn sich eine Tendenz hin zu
studentischen Burschenschaften abzeichnete. Solche Gruppen haben sich
plausibelerweise auch andernorts gebildet.
Der Wahrnehmungsmodus und in der Folge auch Handlungsmodalitäten
sickern durch das 19. Jahrhundert, verstärken sich und erreichen gegen
Ende des Jahrhunderts ein plurales Spektrum. Die Bildung autonomer
Jugendgruppen ist indessen so gut wie nicht vorhanden, was den Rückschluss nicht zulässt es hätte keinen situativ bedingten Jugendprotest gegeben. In den beiden jugendhistorischen Arbeiten von Roth (1983) und
Mitterauer (1986) wird nach autonomen Lebensformen Jugendlicher „gefahndet“ – ohne großen Erfolg. Auch hier muss man, um Autonomie im
größeren Ausmaß zu finden, an die Schwelle zum 20. Jahrhundert gehen.
Im folgenden werden anhand historischer Materialien Lebensformen junger Menschen im Zeitraum um 1871 dargestellt. Die Darstellung ist allerdings unvollkommen und beschränkt sich, auch aus der gewollten Kürze
heraus, auf Eindrücke. Die Hilfsmittel um einen Eindruck darzustellen
sind biografische Elemente, Bildmaterial oder Berichte damaliger Zeitzeugen sowie unmittelbar Betroffener.
Zunächst wird auf das Jünglingskonzept in der bürgerlichen Gesellschaft
eingegangen. Betroffen sind etwa 5 Prozent der Jugendlichen, vornehmlich Gymnasiasten. Zu bedenken ist, dass damalige Gymnasien in Preußen Drangsalierungsanstalten waren (zum wilhelminischen Erziehungskartell und zur Schülerselbstmorddebatte vergl. Bühler, v., 1990, Kap. 3).
Eine zweite, sehr alte Lebensform kommt in den Wandergesellen zum
Ausdruck. Wenn man so will haben Handwerkerzünfte schon im Mittela lter „Jugend“ strukturiert indem sie Lehrlinge, Gesellen und Meister positionierten. Zu erinnern ist, dass 100 Jahre früher, um 1770, das gelernte
Handwerk Voraussetzung war, um in den Industrieschulen Schulmeister
zu werden. In einer staatliche Prüfung wurden allerdings (geringe)
Schreib -, Rechen- und Lesefertigkeiten überprüft. Hauptsache war, man
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beherrschte 20 – 30 Kirchenlieder auswendig. Ende des 19. Jahrhundert ist
die Handwerkerschaft zumeist dem Kleinbürgertum zuzurechnen.
Eine dritte Lebensform wird durch Mina Knallenfalls dargestellt, ein junges Proletariermädchen aus Wuppertal. Die Quelle hierzu entbehrt nicht
der kreativen Eigentümlichkeit. Mina ist die Hauptfigur in einem um 1860
veröffentlichten Epos von Otto Hausmann. Der Autor der hier benutzten
Quelle, er vertrat Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Ruhr – Universität Bochum, überprüft das Epos in seinem Aufsatz erfolgreich auf den
historischen Realitätsgehalt.
3.2.1 Das Jünglingskonzept in der bürgerlichen Gesellschaft
Drei Jünglingskonzepte differenzieren sich im 19. Jahrhundert: Der im
humanistischen Sinne gebildete Jüngling, der vaterländisch – nationale
und der christliche Jüngling. Mit der Reichsgründung 1871 verstärkt und
vermischt sich das Erziehungs- und Vorbildkonzept in den damaligen „oberen“ Bevölkerungsgruppen. Eine Verschiebung hin zum patriotische
Jüngling wird an den Worten Kaiser Wilhelm II. deutlich:“ Wir wollen
nationale junge Deutsche erziehen und nicht junge Griechen und Römer“
(zit. n. Bühler v. 1990, S.16). Träger des Konzeptes und auch seiner praktischen Umsetzung ist vornehmlich das Gymnasium im Einklang mit dem
jeweiligen Elternhaus. Von Bühler schreibt: “Der Geist des neuen Jünglingsideals wurde im Deutsch- und Geschichtsunterricht im Gymnasium
sowie in der gesamten Inszenierung von Schule und Schulleben vorgeführt und eingepflanzt“ (a.a.O., S. 16). Er zitiert dann Schneiderhahn
(1885): “Die Betrachtung dieser herrlichen Vorbilder (die großen Männer
der Weltgeschichte, E.H.) die ihre ganze geistige, sittliche und physische
Kraft ihrem Vaterland gewidmet, erfüllt das jugendliche Herz mit glühender Vaterlandsliebe (...)“ (a. a. O., S. 16). Die Schule als Inszenierung
wird deutlich in der Rede eines Gymnasialdirektors, der für die Eltern
festlegt, dass ein gemeinsamer abendlicher Konzertbesuch mit Ihrem Kind
vom Klassenlehrer genehmigt werden muss (Roth 1983, S. 79 f.) Ein weiterer Gymnasialdirektor hält 1882 folgende Ansprache (Auszug):
„Selbstbeschränkung also muss der Knabe, der Jüngling üben lernen, Demut und
Bescheidenheit sein Wesen zieren; denn, wenn die Kraft und das Feuer die
Grundlagen der Jünglingstugend bilden, so ist die Bescheidenheit die Krone derselben, ja sie erst entfaltet sich zu der schönen Blume der Liebe, die der Preis aller
unserer Erziehung werden soll, denn sie wendet den Blick nach oben und erfüllt
die Seele mit Andacht und Erfurcht vor Gott . . . Und mit dieser Ehrfurcht vor
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dem Göttlichen, da entwickelt sich zugleich die Achtung vor der Majestät der
Satzungen, von deren Erfüllung das Wohl und Wehe der menschlichen Gesellschaft bedingt ist. Und das ist der zweite Strahl der Liebe, der das Herz des Jünglings treffen und entzünden soll, die Liebe zum Vaterlande, und zu dem, der des
Vaterlandes Schutz und Schirm ist, zu seinem Lehrer und Regierer, zu unserem
großen Kaiser Wilhelm und seinem ganzen Hause. Und . . . [dann wird er stehen]
in den Reihen der Kämpfer, die gegen den äußeren, wie gegen den inneren Feind
den heiligen Boden des Vaterlandes verteidigen“ (zit. n. Roth 1983, S. 83 f.).
Der Gymnasialschüler Windelband berichtet über eine Situation um 1860
und fügt dann folgenden Kommentar an:
„(Es) schloss sich dann ein Freundeskreis zusammen, der sich natürlich die Form
eines (...) Vereins gab. Unsere „Eumousia“ war anfänglich ein Lesekränzchen (...)
Schule und Haus sahen diese Vereinigung nicht ungern, man wusste uns dabei
neben allerlei scherzhaften Vereinstreiben doch schließlich vernünftig beschäftigt
(...) Eine Zeitlang schreiben wir für unsere jungen Damen eine Zeitschrift, welche
unter dem Namen „Terpsichore“ allwöchentlich heraus- und herumgegeben wurde, und damit waren wir dann wohl zeitweilig so stark in Anspruch genommen,
dass einer unserer Lehrer einmal sagte (...). Und weiter:
Diese neuhumanistische Schule war eben mit ihrer Konzentration historischen
Kulturgehalts eine so starke Geistesmacht, dass sie ihre Schüler auch da in der
Hand behielt, wo sie sich auf ganz andere Lebenssphären begaben. Wir hatten in
der Tat zu dieser Schule ein inneres Verhältnis“ (zit. n. Bühler v. 1990, S. 70 f.).
Schon vor dem 1. Weltkrieg und nach dem massenhaften Tod heldenhafter Jünglinge im 1. Weltkrieg verliert sich, wie bereits beschrieben, das
Jünglingskonzept. Gleichwohl benutzen ältere Personen, alltagssprachlich
den Begriff Jünglingsverein bis in die 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts und meinten damit den „Christ lichen Verein Junger Männer“. Eduard Spranger nimmt 1924 in seinem viel gelesenen Buch „Psychologie des
Jugendalters“ die idealistische Konstruktion des Jünglingsbildes zum Teil
wieder auf, spricht aber vom idealen Jugendlichen. Dieses Buch wird noch
bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts gelesen und bearbeitet. Umfangreiches Material zu den historischen Jünglingskonzepten enthalten die
beiden zitierten Studien (vergl. dazu auch Ferchhoff 2000, S. 32 – 35).
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3.2.2 Handwerksburschen und ihre Bräuche
Handwerkszünfte besaßen ein soziales und kulturelles Handlungssystem
welches vom Organisationsniveau kirchlichen Orden und Bruderschaften
nicht nachstand. Dazu gehörten beispielsweise Satzungen, eigene Gerichtsbarkeit, Bruderschaftskasse für Unterstützung in Notfällen auf der
einen Seite, Trinkstube, derbe Rituale und Leben im städtischen Gesellenverband auf der anderen Seite (vergl. Mitterauer 1986, S. 198 f.). Das Lossprechen, also der Übergang vom Lehrling zum Gesellen, war ein tiefgreifendes Ritua l. Es konnte Einspruch erhoben werden schon aus an sich
nichtigen Gründen, z.B. durch das Rauchen während der z.T. vierjährigen
Lehrzeit (vergl. Pöls 1979, S. 211 f.) Während andere Gruppierungen Heranwachsender einen territorialen Bezug hatten, häufig gek ennzeichnet
durch massive Revierverteidigung (Dörfer, Quartiere), waren Lehrlinge
und Gesellengruppierungen berufsbezogen was natürlich mit hoher Mobilität zusammenhing und in den Wanderjahren seinen Ausdruck fand.
Bedingt durch den Industrialisierungsfortschritt, d.h. durch die Mechanisierung handwerklicher Arbeitsvorgänge verlor das Handwerk in einigen
Sektoren im 19. Jahrhundert rapide an Bedeutung (z.B. Schusterhandwerk,
Radmacher). Der Bedeutungsverlust war dabei eher quantitativer Art und
bezog sich nicht auf die öffentliche Wertschätzung. Dennoch geht die Zeit
der Zünfte zu Ende und die nachfolgende Beschreibung ist dem Buch
entnommen „Aus den letzen Tagen der Zunft. Erinnerungen eines alten
Handwerkers aus seinen Wanderjahren“ (Mengers 1910, S, 10 f; zit. n.
Pöls 1979, S. 210).
„In Bremen musste ich mich zunächst mit der Gesellenzunft abfinden, d.h. den
Umtrunk und alle damals bestehenden Formeln der Zunft regelrecht absolvieren.
Das kostete zunächst Geld und Übung, dann erst war man ein zünftiger Geselle.
Es würde zu weit führen, wollte ich hier all die üblichen Formeln näher abgeben,
Die heutige Generation würde sie ebenso wenig verstehen wie die 14stündige Arbeitszeit. – Wer sich abgefunden hatte, d.h. vor offener Lade freigesprochen war,
erhielt einen vom Altmeister, Altgesellen und den Beisitzenden unterzeichneten
„Gesellenschein“ mit gedrucktem Kopf und dem Stadtsiegel. Dieser Schein war
ein Dokument, auf Grund dessen mir in allen Städten und größeren Orten das
Gesellengeschenk wie jede Unterstützung und Pflege in Krankheitsfällen unverzüglich gewährt wurde. Nur wer sich in irgend einer Stadt – es mussten mindestens 15 – 20 Gesellen desselben Berufes im Ort arbeiten („eine Lade bilden“) –
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abgefunden hatte, konnte Anspruch auf diese Unterstützung machen. Dieser Verband war über ganz Deutschland, Österreich, Dänemark und Holland verbreitet.
Die Vorstände dieses Verbandes in den einzelnen Städten nannte man Altmeister,
Altgesellen und die notwendigen Beisitzer. Es waren Ehrenämter, nur die notwendigsten Selbstkosten und Versäumnisse wurden vergütet.“
Die zweite Textstelle berichtet über den Brauch des „Aufbrummens“ bei
der Arbeitssuche wandernder Kunstbuchbinder um 1870. Der Wandergeselle klopft mit seinem Stock an die Werkstatttür, öffnet sie einen Spalt
und brummt zur Begrüßung laut. Dann erst erfolgte die Aufforderung
zum Eintreten.
„Damals war es noch Pflicht der reisenden Metallarbeiter, Schmiede, Schlosser,
Feilenhauer, Nagelschmiede und so weiter, dass sie beim Umschauen „einbrummen“ mussten. Die Alten, die das noch kannten, sind nun wohl schon alle ausgestorben. Man mag heute über solche Gebräuche lächeln und die Achseln zucken:
die Sache hatte doch einen besonderen Zweck, denn die richtige Anwendung der
Umschau – Gebräuche war die zuverlässige Legitimation für die Angehörigen
eines Handwerkes. Wehe dem, der die Gebräuche an einen anderen als wiederum
an einen „Handwerksverwandten“ verriet. Er war verachtet und geächtet für die
Zeit seines Lebens.“
Nach dem „Aufbrummen“ wurde es gesellig, verbunden mit, man würde
heute sagen, beruflicher Weiterbildung:
„Er musste berichten über das Leben in anderen Städten oder gar Ländern, über
die Arbeitsweisen in anderen Gegenden, über Land und Leute. Je weiter er gereist
war, desto angesehener war er; das war damals die einzige Verpflanzung neuer
Arbeitsweisen, die einzige Vermittlung der Kenntnis der Materialien und Arbeitsgeräte in anderen Gegenden. So wurde der Zugereiste auch nach Möglichkeit
mit Speise und Trank gestärkt, und wenn ihm keine Arbeit geboten werden konnte, erhielt er vor der Weiterreise noch sein „Viatikum“, sein Reisegeschenk, das bei
den verschiedenen Zünften eine Verschiede Höhe hatte.“
(beide Textstellen zit. n. Ritter; Kocka 1982, S. 292)
Dieser dargestellte Berufs- und Leb ensraum dürfte in den 70er und 80er
Jahren des 19.Jahrhunderts für Jugendliche im Alter von 13 – 24 Jahren
mehr als die 5 Prozent der gymnasialen Jünglinge erfasst haben. Es ist
noch ein enger Zusammenhang von (Meister) – Familie, Arbeit und jugendlicher Gruppierung vorhanden. Diese Gruppierung unterlag dabei
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einer weitreichenden Sozialkontrolle (Sittsamkeit) durch die Zünfte und
ihrer Vorstände. Die große Masse der Jugendlichen kommt aber als Bedienstete, Tagelöhner oder Fabrikarbeiter auf den Arbeitsmarkt.
3.2.3 Mina Knallenfalls – das Proletariermädchen aus Wuppertal
Das zugrunde liegende Epos von Otto Hausmann (1837 – 1916) beschreibt
den Lebensverlauf Minas von ihrer Herkunftsfamilie bis zur Gründung
der eigenen Familie. Die folgenden vier Textauszüge beziehen sich auf
hier nicht dargestellte, im Dialekt gehaltene, Verse und geben so eine Anschauung auf eine durch Unterernährung, unzureichende Kleidung, enge
und schlechte Wohnausstattung sowie durch schwere Krankheiten gekennzeichnete Proletarierjugend; wobei der Begriff Jugend an dieser Stelle
eine Täuschung ist. Nach der Konfirmation mit 14 Jahren beginnt der harte Arbeitsalltag für Mina Knallenfalls.
Das unmittelbar folgende Bild zeigt das Milieu „Alte Fuhr“ in Wuppertal
– Eberfeld, in dem Mina um 1860 gelebt hat – jedenfals entsprechen der
literarischen Quelle. Der Ort selbst war damals eine Hochburg der Textilindustrie.
Quelle: Reulecke; Weber 1978, S. 196 f.
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Die Familie:
„Damit bestand der Zwang zu Mitarbeit für die durch den kinderreichen Haushalt ohnehin überlastete Ehefrau und die heranwachsenden Kinder. Für die Familie und den Haushalt bedeutete dies insofern ein besonderes Problem, als mit der
Verlagerung der Produktion in die Fabrik im Gegensatz zum älteren Heimgewerbe Wohnung und Arbeitsort getrennt wurden, die Mutter also während der
Stunden ihrer Berufstätigkeit den Haushalt nicht mehr überwachen konnte. Gewiß gab es Ausnahmen, war es doch vor allem in der Textilindustrie möglich,
einzelne Arbeitsgänge weiterhin in Heimarbeit durchzuführen. Dies galt vor allem für die Spulerei, durch die Mutter und Kind einen entsprechenden Nebenverdienst erwarben.“
Die Sterblichkeit von Kindern und Jugendlichen:
„Bei jeder Stockung der Textilindustrie, deren vor allem in Wuppertal vertretene
Modebranchen besonders labil waren, wurden solche Familien dem äußersten
Elend preisgegeben, konnten doch schon in normalen Zeiten Kartoffeln, Brot und
Kaffee, die Hauptnahrungsmittel kaum in ausreichender Menge gekauft werden.
An der hohen Kinder- und Jugendsterblichkeit lassen sich die Folgen solcher Verhältnisse mit besonderer Deutlichkeit ermessen: In Barmen – für Elberfeld dürften
die Werte ähnlich sein – standen im Durchschnitt der Jahre 1861 – 1870 von
1.000 Gestorbenen 525 im Alter von unter 15 Jahren, eine Zahl, deren furchtbare
Aussage man erst dann voll ermessen kann, wenn man sie mit dem ungünstigen
Jahr der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 1946, vergleicht, in dem in Wuppertal
nurmehr 63 von 1.000 Gestorbenen jünger als 15 Jahre waren.
Es ist verständlich, das dieses häusliche Elend Unfrieden zeugte. Der Familienvater und die Söhne tranken, Grobheit und Rohheit waren häufig. Einziges Genussmittel war der Schnaps, dem weite Kreise der Bevölkerung verfielen.“
Die Schule:
„Das unter solchen Verhältnissen der Schulbildung kaum ein Interesse entgegengebracht wurde, charakterisiert die Entwicklung dieses Proletariermädchens. Unter dem Zwang der Heimarbeit nach den Schulstunden verschaffte es sich die
Freizeit zum Spielen und Herumstreifen, indem es die Schule schwänzte. Bei
Klassenfrequenzen von 70 und mehr Schülern, oft mehrerer Jahrgänge, war auch
die geringste pädagogische Betreuung kaum möglich, selbst wenn der Lehrer über
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andere Erziehungsmittel als den Rohrstock verfügt hätte. So wurde gescholten
und geprügelt, und die Eltern reagierten nicht anders. Diese Verhältnisse belegt
auch Herrmann Enters in seinen Lebenserinnerungen: “An Prügel fehlte es ohnehin nicht, da waren meine Eltern sehr schnell mit fertig. Hiebe und nochmals
Hiebe; bei den geringsten Kleinigkeiten setzte es Hiebe ab.“ Auch er musste nach
den Schulstunden „jede freie Minute auf dem Spinnrad sitzen“ und wurde selbst
dann bestraft, wenn er spielenden Schulkameraden „einen Augenblick“ zusah
und dabei seine Arbeit versäumte.
Durch diese häusliche Arbeit und durch die geringen Kenntnisse, die die Schule
vermittelte, war der weitere Lebensweg festgelegt, boten sich doch bei diesem Bildungsstand kaum Chancen des Ausbruchs zur eigenständigen Veränderung der
sozialen Position, in die man hineingeboren war. So kam das vierzehnjährige
Mädchen mit ihren Altersgenossinnen nach dem Schulabschluss und Konfirmation in die Fabrik.“
Die Ehre:
„Verdeutlicht wird hier die Ausbeutung der Armut der jungen Fabrikarbeiterin,
die zu Hause Kostgeld und Mietzuschlag zahlen musste, bis sie, nachdem Vater
und Mutter gestorben und mit der Unterstützung der Armenkasse begraben
worden waren, mit einem Einkommen von drei Talern in der Woche alleine stand.
Mit den Kniffen, die sie bei Straßenprügeleien gelernt hatte, wehrte Mina die
Nachstellungen ihres Meisters ab, wie sie auch der Frau Knopp, der Zuhälterin,
eine handgreifliche Abfuhr erteilte. Gerade wenn sie ihre Frauenehre verteidigte,
tat sie das im Bewusstsein ihres Eigenwertes als Frau, das trotz aller elenden Lebensumstände besonders ausgeprägt war“ (Textstellen: Köllmann 1978, S. 28 –
32) .
Es ist nichts darüber bekannt was Mina in ihrer Freizeit gemacht hat. Neben ihren handgreiflichen Straßenaufenthalten wird sie Zuhause geblieben sein und gelegentlich ihre Freundinnen getroffen haben. Bei einem
Volksfest lernt sie einen jungen Mann kennen, den sie später heiratet. Herumtreiben wird es gegeben haben, das Schnapskasino war für Mädchen
tabu. Kirchliche Jugendarbeit war in Elberfeld mit Sicherheit gegeben. Mina wird sie nicht genutzt haben. Schon im Konfirmandenunterricht sagt
sie dem Pfarrer er „verarsche“ sie alle – worauf sie Prügel bezieht. Das
war keine persönliche Beleidigung, sondern eine Kennzeichnung des
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Klassenunterschiedes oder besser des Klassenkonflikts. Aber auch hier
wird wieder deutlich wie gesellschaftliche Konflikte in den Alltag hineinreichen.
3.2.4 Zusammenfassung – Formen der Verselbständigung
Auch im Zeitraum um 1871 wird deutlich, dass Jugend sehr differenziert
betrachtet werden muss. Die fundamentale Abhängigkeit von Klassenbzw. Schicht- und Milieuzugehörigkeit bestimmt die Lebenswelt junger
Menschen. Und in diesen Lebenswelten bildet sich eine nachvollziehbare
und auch dokumentierbare Lebensform, die sehr ausgeprägt von der Erwachsenenwelt abhängig ist und kontrolliert wird.
Es fehlen weitgehend autonome Entwicklungen in den dargestellten, sehr
unterschiedlichen Jugendphasen. Dennoch wird deutlich, dass jung zu
sein ein sehr hohes Risiko war. Angesichts der aus Wuppertal bekannten
Sterblichkeitszahlen für Kinder und Jugendliche fällt es schwer nur zu
Beginn des 21. Jahrhunderts von der „Risikophase Jugend“ zu sprechen;
ein in der gegenwärtigen Jugendforschung sehr gängiges Konstrukt. Ebenso wird deutlich, dass die Hervorhebung einer „Jugendg estalt“ z.B. die
des Jünglings, als Kennzeichnung eines gesellschaftlichen Zeitabschnittes
bezüglich ihrer jeweiligen Jugend ein Irrtum ist Im Vergleich zu den Beschreibungen von jugendlichen Lebensformen um 18oo ergeben sich einige Veränderungen. Das Feld jugendlicher Lebensformen ist vielfältiger
geworden. Sowohl durch verstärkten Schulbesuch in höheren als auch im
Volksschulwesen. Ungefähr 5 Prozent der Gymnasiasten / Realschüler
werden von unterschiedlichen Akzentuierungen des Jünglingskonzepte
erfasst und in ihrer Sozialisation beeinflusst. Gruppenbildungen lassen
sich feststellen. Aber auch das Proletariermädchen Kallenfalls geht bis zur
Konfirmation im 14. Lebensjahr zur Schule, hat also eine vergleichsweise
kurze Jugend. Gleichzeitig bilden sich auch in der Arbeiterbewegung jugendorientierte Handlungsfelder heraus, wie sie im bürgerlichen Bereich
schon früher feststellbar waren. Parallel dazu ist das Lehrlings- und Gesellenwesen wie auch, sicherlich abnehmend, die Spinn- und Lichtstubenkultur in ländlichen Gebieten vorhanden.
Die gesellschaftsspezifischen Milieus zeigen also Differenzierungen bezüglich „ihrer“ Jugend, bleiben dabei aber in sich geschlossen. Verselbständigung zeichnet sich in den drei Lebensformen ab, allerdings im
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Rahmen der genannten Geschlossenheit. Gymnasiasten werden in ihrer
Verselbständigung vaterländisch enteignet, Lehrlinge und junge Gesellen
haben zwar mobilitätsbedingte Spielräume, bleiben aber im Korsett ihrer
Zünfte. Im Arbeitermilieu ist eine Verselbständigung sehr deutlich: Mina
Knallenfalls steht zu ihrem Milieu und verachtet den Wertkontext bürgerlich-kirchlicher Bevormundung.
Durch abweichendes Verhalten oder kriminelle Taten auffallende Jugendliche, sei es in der Öffentlichkeit oder bereits in Erziehungsanstalten und
Rettungshäusern oder in Zuchthäusern befindlich, werden als ungesund
oder psychisch krank erklärt, werden pathologisiert. Diese Jugendlichen
bekommen erstmalig die begriffliche und negative Kennzeichnung Jugendlicher. Er befindet sich im Gegensatz zu den realen Gegebenheiten
und ideellen Überzeichnungen des Jünglings (vergl. dazu Ferchhoff 2000,
S. 33 ff).
3.3 Jugendliche Lebensformen um 1910
In diesem Zeitraum von 1900 bis zu Beginn des 1. Weltkrieges muss davon
ausgegangen werden, dass alle Jugendlichen die Schule besuchten. Gymnasiasten und Realschüler stellten etwa 6 – 8 Prozent eines Jahrganges.
Um 1950 wird die Zahl auf ca. 10 Prozent ansteigen. Mit der Entwicklung
des Schulsystems im 19. Jahrhundert trat eine nicht zu unterschätzende
schulische Veränderung gegenüber früheren Jahrhunderten ein. Die Organisation des Unterrichts erfolgte mehr und mehr altershomogen, also
nach Jahrgangsklassen. Dieser Sachverhalt ist vermutlich genauso wichtig
wie die Erfassung aller Kinder und Jugendlichen durch die durchgesetzte
Schulpflicht. Beeinflusst wurden dadurch nicht nur die innerschulischen
Sozialbeziehungen, sondern ebenfalls außerschulische Gruppenbildung
wie es im vorhergehenden Jugendportrait (1871) bereits dargestellt wurde.
Für Mitterauer ist das Prinzip der Jahrgangsklassen eine zwingende Voraussetzung für die Entstehung von gleichaltrigen Jugendgruppen (vergl.
Mitterauer 1986, S. 154 f).
Es ist für die bereits arbeitenden Jugendlichen zu beobachten, dass die
Freizeit zunahm, weil über Gesetze / Jug endschutz die Arbeitszeit nach
unten reguliert wurde: 1852 betrug die tägliche Arbeitszeit 14 Std., 1909
betrug sie 10 Std. (Herre 1980, S. 188). Diese Zahlen sind bezüglich ihrer
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tatsächlichen Anwendung allerdings kritisch zu betrachten. Weiterhin ist
zu berücksichtigen, dass in zunächst vereinzelten, dann sich aber vermehrenden Berufssektoren die Fortbildungsschule bzw. Berufsschule ausweitete. Für Mädchen hatten diese Entwicklungen eine zweitrangige Bedeutung, da zu dem verhandelten Zeitraum das Erreichen der Mutter- und
Hausfrauenrolle vorgezeichnet war. Besonders benachteiligt waren junge
Fabrikarbeiterinnen, da die Qualifikation in der Fabrik gegenüber der früheren Qualifikation als Magd oder Dienstmädchen, im angestrebten Eheund Familienleben bedeutungslos wurde. In vielen Berufen fand sich
dementsprechend Lehre und Berufsschule für Mädchen vergleichsweise
später ein (und ist bis heute noch ein um strittenes Thema im Zusammenhang mit der Benachteiligung von Frauen im Beruf).
Die industrielle Arbeitswelt machte es erforderlich und zwar spätestens
seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass die Arbeit aus der Familie, dem Dorf in die Anonymität der Fabrik oder des Dienstleistungsgewerbes in den Städten verlagert wurde. 1871 existierten in Deutschland
z.B. 7 Großstädte (über 100.000 Einwohner), 1918 sind es bereits 50 Großstädte. In diesem Zusammenhang macht Mitterauer auf einen wichtigen
Tatbestand aufmerksam, er stellt nämlich die Verlagerung von vorher bestehenden Generationenkonflikten im Bereich der Familienwirtschaft, in
die Arbeitswelt fest. Die Rolle des jungen Arbeitnehmers, die als allgemeine außerhäusliche Rolle in der Industrialisierungsphase entsteht, übernimmt Konfliktfelder (Mitterauer 1986, S. 142). Ein Beleg für diese These ist für ihn die selbständige Arbeiterjugendbewegung. Innerbetrieblich
gilt auch, dass der Vorgesetzte nunmehr eine vom Vater oder Meister völlig getrennte Rolle innehat. Allerdings lässt sich diese Konfliktverlagerung
auch in der bürgerlichen Jugendbewegung deutlich feststellen. Dort hat
die Konfliktverlagerung einen Namen: Selbsterziehung. Für C. W. Müller
ist dies die „wichtigste kulturelle Leistung“ dieser Bewegung (Müller
1982, S. 170). Gleichaltrige Jungendliche erziehen sich selbst, lösen in der
Gruppe individuelle und kollektive Probleme im Beisein allerdings eines
etwas älteren Gruppenführers. Beide Bewegungen grenzen sich zugleich
mal mehr mal weniger konflikthaft von der umgehenden Erwachsenengesellschaft ab und verselbständigen sich. Vorwegnehmend sei darauf hingewiesen, dass diese Konfliktverlagerung aufgrund gesellschaftlicher Veränderung einhergehend mit Konfliktaustragungen in den Jugendgruppen
von zentraler Bedeutung für einige Jugend- und Sozialisationstheoretiker
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ist, um den Beginn der Jugendphase im heutigen Verständnis zu begründen (z. B. Eisenstadt).
Die bereits erwähnten selbständigen Jugendbewegungen stellen in den
Jahren von 1900 bis 1914 eine neue, weil (teil-) autonome Lebensform dar.
Die quantitativ wesentlich geringer in Erscheinung tretende selbständige
Arbeiterjugend wird 1908 verboten; die Jugendlichen werden durchaus
spannungsreich den Gewerkschaften und Sozialdemokraten als zukünftige Jugendorganisationen einverleibt. Das ausgesprochene Verbot kennzeichnet die politische Situation. Die soziale Frage ist nicht gelöst, Sozialisten und Sozialdemokraten werden bekämpft und behindert wie es ja das
Verbot zeigt. Bedroht sieht der national-vaterländisch ausgerichtete Staat
die gesamte Jugend (1900 gibt es die 4 Millionen junge Arbeiterinnen und
Arbeiter). Bedrohlich wird der Besuch von Straße, Schnapskasino und Kinovorführungen empfunden. In erster Linie allerdings spielt die Bedrohung der inneren und äußeren Machterhaltung des wilhelminischen Reiches eine Rolle. Ein Beispiel soll die Situation schlaglichtartig erhellen: Für
die Herausgabe der Broschüre „Militarismus und Antimilitarismus unter
besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung“
(1907) wird Karl Liebknecht vom Kriegsminister angezeigt und zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (vergl. dazu Roth 1983 S. 124). In dieser
Situation kommt es 1911 zum finanziell recht gut ausgestatteten „Preußischen Jugendpflegeerlass“, dem Beginn bzw. der massiven Verstärkung
staatlicher Jugendpflege bzw. Jugendarbeit. Der in diesem Zusammenhang gegründete Jungdeutschlandbund, der vormilitärische Überlegungen in seine Praxis mit einfließen ließ, hatte 1914 bereits 700.000 jugendliche Mitglieder. Generell „blühen“ nationale und kirchliche und daher
auch öffentliche geförderte Verbände auf und bauen ihre Jugendorganisationen aus. Es gibt jetzt die Jugend auf breiter Front, wobei die Wahl des
Frontbegriffes am Vorabend des 1. Weltkrieges mehr als gerechtfertigt ist,
denn die Jugend stellte im hohen Maße die späteren Fronttruppen. In seinen begriffsgeschichtlichen Ausführungen zum Jugendbegriff benennt
Roth genau diese politisch-militärische Situation in der der Jugendliche als
soziale und kulturelle Unterschiede einschmelzender Begriff auftritt (Roth
1983, S. 131 ff.). „Der Jugendliche“ ist jetzt ein positiv besetztes Jugendbild
mit dem Ziel bürgerliche, proletarische, ländliche, verwahrloste Jugendliche in Gesellschaft und Armee verstärkt zu integrieren. In der Weimarer
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Republik wird sich diese Jugendszenerie, nur wenig geläutert durch den
verlorenen Krieg, noch einmal enorm ausweiten.
Im folgenden wird zunächst die durchaus kritische Erinnerung eines
Mädchens an ihre Zeit in der bürgerlichen Jugendbewegung vorgestellt.
Mädchen tauchen erst spät in der ursprünglich männlichen Wandervogelbewegung auf, bilden z. T. eigene Gruppen, z. T. gibt es einige gemischte
Gruppen. Daran anschließend berichtet Dehn, ein Berliner Pastor, über die
sogenannten Halbstarken oder auch Eckensteher, die eine eigene großstädtische Jugendstraßenkultur proletarischer Jugendlicher darstellen. Als
letztes Dokument und der beginnenden Jugendarbeit Rechnung tragend,
wird ein Aufsatzauszug gewählt aus der Schrift „Jugendklubs“ aus dem
Jahr 1911.
3.3.1 Die Jugendbewegungen
Am 4. November 1901 wurde der Wandervogel e.V. im Steglitzer Ratskeller stellvertretend von Erwachsenen gegründet. Über Streitigkeiten, Abspaltungen und Neugründungen hinweg entwickelt sich eine Jugendbewegung, die später ca. 50.000 Jugendliche einschließlich studentischer
Gruppen umfasst (Mogge 2001, S. 23). Unterschiedliche Motive darunter
sicherlich Distanz, Protest und Ablehnung zum erstarrten Bürgertum in
wilhelminischer Zeit, führten zu einer Jugendkultur mit vorher unbekannten Handlungsspielräumen, ausgeprägten Wir-Erfahrungen und eigener
Ausdrucksästhetik im Umgang, in der Kleidung, im Gesang, in Ritualen
und Symbolen. Es gibt Verbindungen zu vielfältigen Reformbewegungen,
1913 wird auf dem Hohen Meißner ein umfangreiches Gegenfest zur 100jährigen Feier der Völkerschlacht bei Leipzig gefeiert. Dieses Fest war eine
Protestnote an die Erwachsenengesellschaft, wobei die Jugendbewegung
auch immer durch reformerisch gesinnte Erwachsene flankiert wurde.
Ziele waren u. a. Naturverbundenheit und Gemeinschaftserfahrung verbunden mit der Ablehnung großstädtischen Honoratiorentums. In dem
genannten Jahr 1913 erscheint auch erstmals eine Schülerzeitung in gedruckter Form : „Der Anfang“. Dort konnte z. B. folgendes gelesen werden: „Die Schulordnung – eine Zwangsjacke; der Unterricht – eine geistige
Vergewaltigung; die deutschen Oberlehrer – am besten allesamt im Teutoburger Wald zusammentreiben und den Göttern opfern“ (zit. n. Grober
2001, S. 96). Autoren waren dort u. a. Siegfried Bernfeld und Walter Benjamin.
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Die Zielsetzungen der Arbeiterjugendbewegung waren dagegen sehr viel
mehr an Verbesserungen am Arbeitsplatz orientiert, wie z. B. Arbeitszeit
und Bildung, Mitwirkung und Sicherheit im Betrieb. Auch bei einem we iteren Thema war die Arbeiterbewegung „kreativ“: Sie bezog nämlich sehr
früh Mädc hen mit ein, was alsbald auch in der bürgerlichen Jugendbewegung, ab 1905, praktiziert wurde.
Einen guten und auch zugleich kritischen Einblick in die Lebensform der
bürgerlichen Jugendbewegung gibt die Erinnerung der Teilnehmerin Magarete Buber-Neumann:
„So wurde ich Mitglied der Ortsgruppe Potsdam des „Alt Wandervogel", jener
bürgerlichen Jugendbewegung, die unter dem Namen „Freideutsche Jugend" in
den ersten zwanzig Jahren unseres Jahrhunderts so viel von sich reden machte.
Zu Beginn wurde ich wohl nur von der Naturschwärmerei angezogen und
von der Lust des jungen Menschen am gemeinsamen Erlebnis, bald spürte
ich jedoch, ohne es noch richtig zu erfassen, dass es um Entscheidenderes
ging als nur um Wandern und Lagerfeuerromantik. Soweit diese Verbände überhaupt ein klares Programm besaßen, war einer ihrer wesentlichen
Punkte der Kampf gegen die erstarrten Formen der bürgerlichen Gesellschaft und gegen das Diktat der Erwachsenen in Schule und Elternhaus.
Diese Jugend hatte zwar den gesunden Trieb, das satte Bürgertum aufzurütteln; aber auf der Suche nach Vorbildern knüpfte sie nicht etwa an die
bürgerliche Revolution von 1848 an, sondern an die Freiheitskriege von
1813 und berauschte sich am nationalen Pathos dieser völkischen Erhebung...
Man versuchte vor allem, sich in Gebaren, Sprache und Aussehen von allen anderen Menschen zu unterscheiden. Selbstverständlich duzte man
sich, schüttelte sich bei jeder Begrüßung, nach tiefem Blick in die Augen,
mit solchem Nachdruck die Hände, dass die Gelenke krachten, und ließ
nach Möglichkeit alle bürgerlichen Höflichkeitsformen beiseite. Man zog
laut singend durch die Straßen, tanzte auf den Plätzen und übernachtete
im Walde oder in Scheunen. Auch einen eigenen Jargon hatte man sich
zugelegt. Ein guter Wandervogel war „zünftig", auf „Fahrt" wanderte man
nicht, sondern man „klotzte", tat man das im Übermaß, so „fraß man Kilometer". Die Wanderkleidung hieß „Kluft", und das Heim der Ortsgruppe war ein „Nest". Moderne Tänze und Schlager waren streng verpönt.
Man hielt sie für unvereinbar mit dem Geist der Jugendbewegung, der in
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der Tat in seinen wesentlichsten Aspekten völkisch-romantisch war. So
bleibt denn auch die Renaissance des Volkstanzes und vor allem des
Volksliedes, die kurz vor dem ersten Weltkrieg einsetzte, für immer mit
der Jugendbewegung verbunden. Besaßen wir eine Art Kollektivbibel, die
sich aus den Werken der Löns, Blüher, Walter Flex und Max Jungnickel
zusammensetzte, so übernahm der "Zupfgeigenhansel" des Heidelbergers
Hans Breuer die Rolle des offiziellen Gesangbuches. Wir waren jung und
begriffen nicht, dass man begann, mit einer falsch verstandenen, romantisierten altdeutschen Tradition Schindluder zu treiben. Die kunstgepunzte,
handgewebte Qualität der Jugendbewegungskultur entging uns zunächst,
weil wir den Wald vor lauter Idealen nicht sahen. Wir sangen, wanderten,
sprangen über Sonnwendfeuer hinweg, und es dauerte auch bei mir geraume Zeit, bis ich aus den Scheiten dieser Feuer noch einen anderen, weniger würzig duftenden Rauch aufsteigen fühlte, den Qualm eines
deutschtümelnden Mystizismus, der die im echten Sinne fördernde Zukunftswirkung der Jugendbewegung in der Wurzel zerstörte, der sie in
mancher Hinsicht zur Vorläuferin einer späteren Bewegung werden ließ,
die skrupellos ihr Vokabular und ihre verschwommenen Ideale übernahm, um die deutsche Jugend nicht etwa zu befreien, sondern zu vernichten.
Zum Programm der Bewegung gehörte selbstverständlich auch, dass der Körper
den Weg zurück zur Natur fand. Wir waren verpflichtet, „natürlich zu leben",
und kleideten uns dementsprechend. Kein Wandervogelmädchen durfte sich mehr
in Korsett und Stöckelschuhe zwängen oder vielleicht gar die Haare künstlich
wellen. Man kostümierte sich auf griechisch, trug farbige Holzperlenketten um
den Hals und flache Sandalen, sogenannte „Jesuslatschen", an den Füßen. Die
Jünglinge ließen die Haare so lang wie nur möglich flattern und ersetzten den
bürgerlichen Männeranzug durch bunte Kittel und kurze Hosen. Man verschwendete viele Gedanken an das Problem einer naturgemäßen Kost; es schieden
sich die Geister an roh oder gekocht, an fleischlos oder gemischt! . . .
Im Alt-Wandervogel hatten Mädchen und Jungen getrennte Ortsgruppen. Gewöhnlich wanderte man nicht zusammen, veranstaltete nur gemeinsam Bundestage, Gautage, Sonnwendf eiern und traf sich gelegentlich zu den „Nestabenden".
Erst gegen Ende des Krieges (1914-18) unternahmen wir auch in Potsdam ‚gemischte Fahrten’ und begannen, über das Sexualproblem zu diskutieren“.
(Buber-Neumann 1957; zit. n. Ritter; Kocka 1982, S. 426 f.)
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3.3.2 Ecksteher und Halbstarke
In den Großstädten vor dem 1. Weltkrieg entwickelt sich ein spezifisches
Straßenmilieu von arbeitslosen Jugendlichen. Die meisten der vorliegenden drastischen aber lebensnahen Beschreibungen stammen von Clemens
Schultz und Günther Dehn. Beide sind evangelische Pfarrer in Hamburg
und Berlin.
"Es gibt eine Schicht der großstädtischen Jugend, die ein ganz besonderes
Schmerzenskind eben der Großstadt ist, das sind die Degenerierten, die man wohl
auch die `Halbstarken' nennt. Es handelt sich nicht etwa um Schwachsinnige,
sondern um eine gewisse Sorte von Jungen, die den mannigfachen Reizen der
Großstadt einfach schlaff und willenlos unterliegt. (...) Meist sitzen sie mit vollkommener Seelenruhe im Unterricht, und alle Worte des Lehrers rauschen an
ihren Ohren vorbei. Hin und wieder wird der Stumpfsinn durch eine Tat der
Frechheit unterbrochen. Der Halbstarke ist im Grunde ohne Besinnung zu jedem
Unfuge bereit. Er macht Spektakel, schlägt Fenster ein, quält Tiere, stiehlt, legt
Feuer an usf. Versteht man es, seiner Großmannssucht zu schmeicheln, so kann
man alles Böse mit ihm anstellen. Das moralische Sensorium geht ihm ab. Vorhaltungen machen nicht den geringsten Eindruck auf ihn, Prügel schüttelt er ab. Die Familienverhältnisse sind fast immer schlecht. Vater trinkt und Mutter muss
arbeiten. (...) In einer Lehrstelle hält er es nur vier bis fünf Wochen aus. Aber
auch so findet er bald, dass Arbeit ihm nicht bekommt. Er wirft sie einfach hin
und kann nun angeblich trotz aller Bemühung keine neue Beschäftigung finden.
Statt dessen steht er mit seinen Kumpanen vor der Haustür, ohne Kragen und
Schlips, im grauen Sweater, Sportmütze auf dem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, Maulaffen feilhaltend. Ist irgendwo etwas los, schmeißt man beim
Schlächter Morgenstern die Fensterscheiben ein, oder gerät ein Betrunkener auf
der Straße mit der Polizei in Konflikt, wie Pilze aus der Erde sind dann von allen
Seiten die Halbstarken hervorgeschossen, der Großstadtmob, der eben überall mit
dabei sein muss" (Dehn 1913. (zit. n. Bühler n. 1990, S. 31)
Solche Tatbestände und ihre öffentliche Wirkung bringen natürlich Jugendfürsorge und Jugendpflege in Bewegung. In Hamburg entsteht zu
diesem Zeitpunkt bereits eine eigenständige Jugendbehörde und 1911
wird in Deutschland das erste Jugendgefängnis eingerichtet. Bondy beschreibt diese männlichen Jugendlichen als verwahrlost und als Klientel
der Jugendfürsorge (Bondy 1929, S. 127 f). In diesem Zusammenhang
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macht der genannte Autor auf Karl Wilker und seine Fürsorgeerziehungsanstalt, den Lindenhof, aufmerksam. „Nicht Kerkermeister, sondern Kamerad und Freund wollte er (Wilker, E. H.) diesen jungen
Menschen sein“ (a. a. O., S. 128). Wilker entstammte der Jugendbewegung
und versuchte von dorther Erziehung und Selbsterziehung zu begründen
und praktisch umzusetzen. Wilkers Versuch ein „Jungengericht“ mit Mitbestimmungsrechten seitens der Jugendlichen einzurichten (!) führt zu
erheblichem Widerstand in der Öffentlichkeit.
Diese auffälligen und im wesentlichen proletarischen Jugendlichen stellten für das zu Ende gehende wilhelminische Kaiserreich und das dort etablierte Bürgertum eine Gefährdung dar. Eine Gefährdung allerdings, die
auf die proletarische Jugend insgesamt übertragen wurde. Eine solche
Ausdehnung wird begründet durch die Gefahren des Maschinenzeitalters
und, um ein Beispiel auszuführen, durch die Auflösung der sexuellen
Zucht in den Fabriken (vergl. dazu Dehn 1929, S. 98). Als eine entscheidend größere Gefahr wurde allerdings die sozialdemokratische und
sozialistische Abweichung der Jugend von den gegebenen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen gesehen. Die in dieser Situation entstehende Jugendpflege ist deshalb, so Krafeld, keine gewollte Sozialisationsleistung, sondern eine soz iale vor allem aber politische Gefährdungsund Gefahrenprävention (Krafeld 1984, S. 54). Die beginnende staatliche
Förderung der dem Staat genehmen verbandlichen Jugendpflege führt zu
einer Verdoppelung der jugendpflegerisch erreichten Jugendlichen von 10
auf 20 Prozent (Dehn 1929, S. 101).
3.3.3 Der Beginn der Jugendpflege
Um der um 1910 entstehenden Jugendpflege die notwendige Aufmerksamkeit zu geben, soll weiter unten ein längeres Zitat aus dem Aufsatz
von Bauer (1911) „Zur Seelenkunde des Jugendlichen“ erscheinen. Der
Aufsatz erscheint in den Schriften der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. Der Titel der Fachzeitschrift lautet „Der Jugendverein. Leitfaden für Begründer, Leiter und Mitarbeiter von Jugendvereinigungen“. Der Hinweis darauf ist deshalb wichtig, um auf einen sich entwickelnden Professionalisierungsprozess hinzuweisen, der bis zu dem
heutigen diplomierten Jugendarbeiter bzw. Jugendarbeiterin führt. Dehn
beschreibt in seiner „Geschichte der Jugendpflege“ die damalige struktur-
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fördernde Situation der Jugendphase indem er Jugendfürsorge, Jugendpflege und Jugendbewegung sorgsam definiert (Dehn 1929, S. 7f). Wichtig
ist nochmals der Hinweis darauf, dass sich damals staatliche Jugendpflege
als Fördermodell der bereits langjährigen Jugendverbandsarbeit verstand
(Kirchen, Turnerbund, national orientierte Vereinigungen usw.). Der folgende Text beschreibt eine psychologisch-pädagogische Interpretation des
Jugendalters aus professioneller Sicht:
„Es kommt eben in diesem Gärungszustande Gutes wie Böses unvermittelt, ungeordnet, stoßweise und ungezügelt durch vernünftige Überlegung zum Vorschein. Wer hier nach Gründen sucht, sieht sich oft vor Unbegreiflichkeiten gestellt. Ja es kommt vor, dass der junge Mensch wirklich nicht nur nicht weiß, warum er etwas getan hat, sondern kaum, was er getan hat. Wenn er das versichert,
ist es durchaus nicht immer faule Ausrede. Man macht darum leicht die gröbsten
und ungerechtesten erzieherischen Missgriffe, wenn man einen solchen nach dem
Maßstab eines reiferen Alters behandelt. Diese seelischen Eruptionen oder Konvulsionen steigern sich zuweilen sogar bei sonst gesunden und kräftigen Knaben
zu dem, was man mit unklarem Ausdrucke Hysterie nennt. Diebsgelüste, unwiderstehlicher Hang zu Brandstiftung und Zugentgleisung, sexuelle Abnormitäten
u. dgl. stellen sich ein, auch Wutanfälle oder Schwermutsanwandlungen bis zu
Selbstmordgedanken“ (Bauer, zit. n. Roth 1983, S.127).
Der Text überwindet weltanschauliche Begründungen der Jugendpflege
und zeigt einen guten, aber unterstützungsbedürftigen Jugendlichen. Es
findet ein Paradigmenwechsel in den pädagogischen Begründungsz usammenhängen statt. Die normative Legitimation wird ersetzt durch wissenschaftliche Betrachtung des Gegenstandes, eben den Jugendlichen. Für
Roth sind diese und ähnliche Auffassungen aber nur Bemühungen, durch
soziale Integration gesellschaftspolitische Spannungen abzumildern. Die
neue Wissenschaft „Jugendpsychologie“ verkleistere dementsprechend
die Realität (Roth 1983, S. 126 f). Das sei an dieser Stelle dahingestellt.
Denn kriegsvorbereitende Jugendpflege durch Körperertüchtigung, Anschleichen und Kartenlesen bis zur Bildung von Jugendkompanien wurde
staatlich gefordert und gefördert, da gab es gar nichts zu verkleistern.
Vielmehr ist in der damaligen Situation der beginnenden Jugendpflege,
eine kom plexe Gemengelage in den Begründungszusammenhängen gegeben. Von weltanschaulichen Argumenten unterschiedlichster Art, von
jugendbewegten Erziehungsvorstellungen, von reflektierten pädagogi-
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schen und psychologischen Konzepten bis zur national-vaterländischer
Irreführung und vormilitärischer Jugendpflege.
Die praktizierte Jugendpflege selbst ging konzeptionell vom Eigenwert
der Jugendzeit und insbesondere von der Gemeinschafts- und Selbsterziehung aus (Bondy 1929, S. 123). Methodisch gab es sowohl aus der bürgerlichen als auch aus der Arbeiterjugendbewegung vielfältige Anregungen:
Wanderungen, Sport, Musizieren, Theaterspielen, Angebot von Herbergen, Geselligkeits- und Freizeitangebote. Insgesamt handelt es sich für die
damalige Zeit um durchaus attraktive Angebote und Aktivitäten. Diese
Form der Jugendarbeit war aber schon damals ganz überwiegend Jugenarbeit, Mädchen blieben in der Minderheit.
3.3.4 Jugend in der Weimarer Republik
Nach dem 1. Weltkrieg mussten rechte wie linke politische Kräfte und Organisationen in der Weimarer Republik ihren Gestaltungsraum suchen
und politisch definieren. „Der Weltkrieg wirkte gleichsam als Katalysator
zwischen der unruhig-unpolitischen Generation der Vorkriegszeit und der
politisch-radikalisierten, vom Krieg geprägten Generation von 1918“ (Abelshauser u. a. 1985, S. 131). Diese Spannung erreichte über Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Verbände die ihnen jeweils zurechenbaren Jugendgruppierungen. Schelsky spricht deshalb in seiner späteren Analyse
auch von der politischen Jugend (1957). Das kirchliche Jugendamt in Berlin und der staatlich anerkannte Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände veröffentlichen 1926 folgende Statistik:
Bünde katholischer Jugend:
1.300.000 Mitglieder
Bünde evangelischer Jugend:
500.000 Mitglieder
Nationale Bünde:
500.000 Mitglieder
Sozialistische, gewerkschaftliche
Republikanische Bünde:
600.000 Mitglieder
Bürgerliche Sportbewegung:
1.000.000 Mitglieder
Arbeitersportbewegung:
400.000 Mitglieder
(Dehn 1929, S. 102)
Diese Bündische Jugend wird von Dehn, einem prominenten Kenner der
damaligen Jugendszene, auf 25 Prozent der damaligen 10 Millionen umfassenden Jugend im Alter von 14 – 21 Jahren geschätzt (a.a.O., S. 102). Es
gibt allerdings auch Zählungen, die einen Prozentsatz von 40 feststellen
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(Krafeld 1984, S. 104; Bondy 1924, S. 129). Jugend hat in der Weimarer Republik einen hohen Organisationsgrad. Dieser Hoffnungsträger Jugend in
einem neu zu gestaltenden Gemeinwesen wird dabei teilweise durch Mythos und Kult zu Zukunftsvisionen hochstilisiert, die der sozialen Realität,
gekennzeichnet durch Armut, Jugendarbeitslosigkeit und Inflation nicht
gerecht wurde. Diese gesamte Situation muss als Einfallstor für die Nationalsozialisten gewertet werden. Zum Ende der Weimarer Republik hatte
die entsprechende Jugendorganisation, die Hitlerjugend, zwanzig - bis
fünfundzwanzig tausend Mitglieder. Die Zahl national-vaterländisch denkender und entsprechend angeleiteter Jugendlicher war natürlich wesentlich größer.
Bezüglich der Lebensphase Jugend, ereignen sich in der Weimarer Republik noch drei weitere bedeutsame Entwicklungen, die dieser Lebensphase
ein Profil geben, welches bis heute an Bedeutung massiv zugenommen
hat. Es ist die Verwissenschaftlichung, die Verrechtlichung und die Inst itutionalisierung.
Die schon vor dem 1. Weltkrieg einsetzende Jugendforschung wird nach
1920 von qualifizierten Wissenschaftlern fortgeführt und ist verbunden
mit Namen, wie Bernfeld, Ch. Bühler, Lazarsfeld und Spranger. Jugend ist
nunmehr Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung von Psychologen,
Pädagogen und Soziologen und nicht mehr nur Behandlungsgegenstand
von Medizinern und Psychiatern.
Unter Verrechtlichung und Institutionalisierung ist an die Vereinheitlichung des Schulsystems durch die Reichsschulkonferenz zu denken
(1921), an das Jugendgerichtsgesetz (1923) vor allem aber an das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (1924). Es werden Gesetze erlassen gegen Schmutz
und Schund oder auch im Lichtspielgesetz der beargwöhnte Kinobesuch
Jugendlicher geregelt. Achtzig Jahre später wird das Jugendhilfesystem
einen Personalstand von 75.000 haben, im Schulsystem sind es zehn Mal
mehr Personen(12. Kinder- und Jugendbericht 2005 ).
3.3.5 Die Jugendportraits –
Entwicklungen,Verselbständigungen und Eigensinn
Betrachtet man die drei zurückliegenden Jugendportraits wird deutlich,
dass ein Kulminationspunkt erreicht wird. Jugend ist jetzt präsent. Sie ist
ein wahrgenommener und sich selbst wahrnehmender integraler Bestandteil der Gesellschaft. Allerdings beginnt zu diesem Zeitpunkt nicht die
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Entwicklung der Jugendphase. Diese Entwicklung beginnt mindestens 100
Jahre früher und führt zu einer beschreibbaren und umfassenden Lebensphase Jugend vor dem 1. Weltkrieg. Maßgeblich beteiligt waren Industrialisierung, Schulbesuch und Kompetenzerwerb. Parallel dazu sorgen pädagogische, kirchliche und politische Anstrengung aber auch zukunftsbedachte Vorhaben für den Aufbau und Ausbau jugendrelevanter Handlungsfelder. Dies geschieht zunächst im Bürgertum und verbreitet sich
dann auch in anderen gesellschaftlichen Schichten und Milieus.
Bedeutsam für den Zeitraum um 1910 ist aber ein feststellbares Verselbständigungsniveau auf dem sich gleichaltrige Jugendgruppen bilden und
zwar keineswegs nur im bürgerlichen Milieu. Dies gilt als z.T. romantisierende Alternative der Verselbständigung in der bürgerlichen Jugendbewegung und als konkrete Verselbständigung bezüglich der erlebten Arbeitswelt in der Arbeiterjugendbewegung. In den bündischen Jugendbewegungen und Jugendverbänden in der Weimarer Zeit bekommt die Verselbständigung eine organisierte Form und von dort her mögen schon instrumentalisierende Verengungen hervor treten. Jedenfalls bildet sich in
der Form von Jugendbewegungen und Jugendaktivitäten ein sehr deutlich
hervor tretender Eigensinn, der u.a. in gelebter Alternative zu den Erwartungen und Vorstellungen der Erwachsenenwelt seinen Ausdruck findet.
Eigensinn artikuliert sich aber auch bei den Eckenstehern und Halbstarken, wenngleich auch im Mantel der Devianz. Pädagogische und psychologische Konzepte und ihre Praxis in der sich damals ausbreitenden Jugendpflege können auch als „Bändigung“ der zu Tage tretenden massiven
Verselbständigung und des darin sich manifestierenden Eigensinns interpretiert werden ( vergl. dazu auch Abschn. 4 ). Mit dieser Eigenständigkeit
und auch Selbstorganisation deutet sich ein eigenes Jugendmilieu an, was
siebzig Jahre später zu einer eigenständigen auf die Gesellschaft rückwirkenden, 10 – 15 Jahre lang dauernden Lebensphase wird. Obwohl zu diesem Zeitpunkt, also 2000, alle Jugendlichen erfasst sind bzw. an der Jugendphase teilhaben, sind die krassen sozialen Verwerfungen des 19.
Jahrhunderts immer noch nachzeichenbar. Es sind schicht- und milieuspezifische Benachteiligungen bildungsferner Familien und ihrer heranwachsenden Kinder und Jugendlicher, es sind sich wieder verschärfende Armutslagen von Kindern und Jugendlichen und es sind die Benachteiligungen von Mädchen und Frauen. Neu hinzu kommt der Zuwachs von Kindern und Jugendlichen sowie ihrer Familien, die aus anderen sozialwirt-
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schafts- und kulturhistorischen Zusammenhängen kommen und die das
Eintreten eben in deutsche bzw. west europäische Zusammenhänge als
biografische Diskontinuität erleben müssen. Diese Einsichten vermittelt
ein Blick in die aktuelle Gegenwart der deutschen Jugend. Der historische
Rückblick zeigt den schwierigen und langwierigen Entstehungsprozess
der Jugend und verweist dadurch gerade auf die sozialen und kulturellen
Integrationsprobleme heutiger jugendlicher Migranten, die eben andere
auch historisch bedingte Kontexte verinnerlicht haben.
Zurückkommend auf die Lebensphase Jugend zeigen sich jedoch Widersprüche. Insbesondere wie die in der Einleitung dargestellte Aussage von
Hurrelmann bezüglich der einfachen Strukturiertheit von Lebensphasen
um 1910; also nur Kindheits- und Erwachsenenphase. Auch wenn Hurrelmann die historische Bedingtheit von Jugend herausstellt, ist die zu Beginn zitierte Feststellung nicht richtig. Anders formuliert: die soziologische Perspektive, die federführend funktionale Betrachtungen anstellt,
erfasst nicht oder doch zu wenig historische Vorgänge und Entwicklungen. Jedenfalls die Lebensphase Jugend erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts anzusetzen macht Jugend, Jugendarbeit, Jugendorganisation und
Jugendmedien partiell unverständlich, weil diese schon Jahrzehnte vorher
existierten. Wichtiger noch ist die spätestens zu Beginn der Weimarer Republik sich verstärkende Institutionenentwicklung bezüglich der Jugendphase, dokumentierbar und von äußerster Bedeutung die Reichsschulkonferenz (1921), das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (1924) und das Jugendgerichtsgesetz (1923). Die Entwicklung der Schulpflicht und die massive
Verlängerung des Schulbesuchs sind strukturelle Entwicklungen, durchaus auch Errungenschaften, die, so wurde es dargestellt, die Jugendphase
maßgeblich begründen. Für den Jugendhistoriker Gillis stellt das Vordringen des Schulwesens um 1800 den Beginn der Jugendphase in Europa dar
(vergl. S. 2). Und: Seid Beginn der Menschheit hat es immer junge Menschen gegeben mit ihren eigenen Lebensformen, auch wenn die Jugend
häufig nicht stattfand, wie zu Beginn der Industrialisierung. Diese Sachverhalte und ihre zu geringen Berücksichtigung führen eben zu einem
Jugendbild in einer unzulässigen, weil einseitigen Interpretationsform.
Unscharf bleibt dann was Wirklichkeit und was Konstruktion ist (z. B. das
Idealbild des Jünglings). Deshalb wird der Frage nach der gesellschaftlichen Konstruktion von Jugend und Jugendbildern und der jeweiligen
Wirklichkeit im folgenden Abschnitt nachgegangen. Für 1910 wurde staat-
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licherseits ein Jugendlicher gebraucht, der Patriot und Held sein sollte –
für diesen wurde Flandern während des 1. Weltkriegs zur tödlichen Wirklichkeit. Von 11.000 eingezogenen Wandervögeln, die aber nur einen kleinen Teil der Jungsoldaten darstellten, kamen 7.000 im Krieg um ihr Leben.
4. Konstruierte Wirklichkeit?
Jugendbilder und Jugendkonzepte in der Diskussion
Die Jugendforschung macht generell darauf aufmerksam, dass Wissen
und Erkenntnis über Jugend in aktuellen, wie auch im historischen Kontexten überlagert wird von normativen Vorstellungen, Erwartungen,
Hoffnungen, Ängsten der Erwachsenengeneration usw.. Auch wissenschaftliche Interpretationen sind keineswegs frei von diesen Einflüssen,
weshalb Abels zwingend eine ideologiekritische Betrachtung anfordert
(Abels 2000, S. 76 ff). Zwei Dinge sind zu berücksichtigen: Einmal treffen
Jugendbilder wie z. B. Beat-Generation oder Null-Bock-Generation kaum
die volle Wirklichkeit der jeweiligen Zeitphase. Geringe Berührungspunkte und Überschneidungen von Konstruktion und Wirklichkeit führen
dann zu entsprechenden Bildern und Gestalten (zusammenfassend vergl.
Griese 2000). Diese Bilder fließen in die jeweilige Semantik ein und sind
diskursleitend. Dieser wissenschaftliche, mediale und alltagssprachliche
Diskurs wirkt aber zweites selbst auf die Jugend. „Meine These ist nun,
dass ein wissenschaftlich produziertes Bild von Jugend auch das Verhalten dieser Jugend beeinflusst“ (Abels 2000, S. 76). Reflexiv gewendet
erfordert dieser Zirkel, dass sich der Beobachter von Jugend immer auch
selbst beobachten muss. Dieser von Abels angedeutete Vorgang soll an
einem Beispiel erläutert werden, an dem sich noch die heutige Fachdiskussion abarbeitet. Von geringer Selbstbeobachtung gekennzeichnet,
aber von nachhaltigem Wirkungsverlauf ist das 1924 erschienene Werk
Eduard Sprangers „Psychologie des Jugendalters“. Dieses, in über 30 Auflagen erschiene Buch gilt in der Jugendforschung als ein Beispiel für die
Generierung und den Transport eines Jugendbildes bis weit in die sechziger Jahre hinein; und Griese hat vermutlich recht, wenn er einen noch längeren Wirkungseinfluss annimmt (Griese 2000, S.222).
Für Spranger, der von 1946 – 1952 noch Professor für Philosophie und Pädagogik an der Universität Tübingen war, ist Jugend gekennzeichnet von
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einem starken Bedürfnis nach Verstandenwerden. Aber eine „Fülle von
Umständen“ erschwert oder verhindert dieses Verstehen. Ein solches Verstehen der Erwachsenen und insbesondere der Pädagogen als Verstehensexperten ist nur möglich aus einem übergreifenden System des Ganzen in
dem Sinn, Werte und Kultur eingelagert sind. Dieses Systemganze, vertreten z. B. durch Vater und Mutter einerseits und die Entwicklung des Ich’s
im Jugendalter andererseits, führt zu starken seelischen Spannungen im
Jugendlichen, die zwischen überschäumender Energie und beeinträchtigender Schwermut wechseln. Jugend ist die Bewältigung dieses Kraftfeldes in dem allmählich ein Lebensplan entsteht, der ein Hineinwachsen in
unterschiedliche Lebensgebiete ermöglicht (Familie, Beruf, Gemeinschaft,
Kultur: „Menschwerdung ist nur möglich in Berührung mit dem Göttlichen“ so Spranger). Ein solches Modell hat in der Zeitphase nach dem 1.
Weltkrieg in der auch erstmals eine tiefgreifende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Jugendalter durch auch heute noch geschätzte
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gute Verbreitungschancen. Die
heutige Kritik der Jugendforschung verübelt es Spranger besonders, dass
er sich auf eine gebildete, großstädtische jugendliche Minderheit bezieht,
und mit dieser Wahl dem Ideal eines neuen bürgerlichen „Jünglings“ nahe
kommt. Ferchhoff (2000, S. 38) stellt fest, dass Spranger keine „Psychologie
des Jugendalters“ vorlegt, sondern eine Pädagogik des Jugendideals im
Sinne einer Denkmalspflege . Tatsächlich lässt Spranger sein Buch 1948
„als ein kleines Denkmal unüberarbeitet stehen, als er vor der Frage einer
Neuauflage stand“ (Abels 1993, S. 114). Griese bezeichnet die Spranger´sche Jugend als idealistische Kunstfigur mit normativer Kraft (Griese
2000, S. 38). Aus der Distanz von ca. 80 Jahren ist eine derart kritische
Stellungnahme leicht zu formulieren. Gleichwohl zeigt der folgende Satz
Sprangers, dass die Kritik nicht unberechtigt erscheint: „Der Jugend entspricht das kämpferische Ethos des fernen Ideals, dem Manne die siegreiche Versöhnung von Ideal und Wirklichkeit, dem Greis das resignierte
Ruhen in der verwirklichten Form sub specie aeternitatis“ (unter der Betrachtung der Ewigkeit, Spranger 1953, S. 168).
Einig ist sich indessen die Jugendforschung darin, dass der Einfluss des
von Spranger geschaffenen Jugendbildes tiefgreifend war – insbesondere
bezüglich des pädagogischen Berufsstandes. Denn der gebildete Erzieher /
Pädagoge sollte einfühlsam verstehend die Jugendlichen zum Verständnis
und zur Verpflichtung gegenüber der vorgefundenen Kultur und ihren
Werten begleiten und so zur kulturellen Reifung der Jugendlichen beitra-
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gen (zur Bedeutung und Wirkung Sprangers vergl. Abels 1993, S. 97114;135-139).
Auch nach dem zweiten Weltkrieg trifft Spranger eine jugendtheoretische
und jugendpraktische sowie auch auf eine kulturtheoretische und kulturpraktische Lücke, in die sein Bild des seelisch kämpfenden und schöpferisch – selbständigen Jugendlichen hineinpasst und Jugendbilder wie auch
Kinderbilder ziehen immer Erziehungsbilder, zumindest doch Erziehungsvorstellungen, mit sich und nach sich. Bei Spranger und seinen Mitstreitern ist es eine Schonraumpädagogik, die in der Tradition der damals
vorherrschenden geisteswissenschaftlichen Erziehungslehre stand, die
wiederum verglichen mit der wilhelminischen Gehorsamspädagogik einen Fortschritt darstellte.
Abels stellt die These der wissenschaftlichen Konstruktion von Jugend
und die Wirkungen dieser Konstruktion auf die reale Jugendphase auch
anhand heftiger jugendsoziologischer und jugendpädagogischer Kontroversen der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts dar (Abels 1993, Abschn.
14, 15). Dort behauptet Schelsky u. a. Jugend würde „hergestellt“ und
zwar vornehmlich durch Pädagogen und ihre Pädagogik. Wie dem auch
sei, das gegenwärtig Jugendforschung und auf sie aufbauende Veröffentlichungen und Berichte, die diesbezüglichen Bewertungen durch Fachkommissionen und entsprechende Übernahmen in jugendpolitische Programme eine Wirkung auf einzelne Segmente der Lebensphase Jugend hat
ist nicht zu bezweifeln. Gegenwärtig ist dieser wissenschaftliche Einfluss
auf ein Jugendbild gerichtet, welches im internationalen Kontext Bildungsrückstände aufweist. Der Wirkungsschub der PISA-Studie führt
dann u. a. zur Ganztagsschule und zu einer Renaissance von Bildung und
Bildungskonzepten in der Jugendhilfe und Jugendarbeit.
Anfang der neunziger Jahre unternimmt es Ferchhoff die Jugendbilder
und Generationengestalten bis zum Ende des zweiten Weltkrieges zurückzuverfolgen. Er beginnt mit der „ suchenden und fragenden Generation“, „der skeptischen Generation“ sowie der „unbefangenen Generation“ kommt dann zur „kritischen Generation“, daran anschließend zur
„narzistischen Jugend“ und zur „Problem jugend“ der achtziger Jahre und
schießt mit der „gespaltenen Jugend“ die in die heutige z.T. widersprüchliche z.T. „postalternative Jugendgeneration“ einmündet (Ferchhoff 1993,
S. 73 – 82). Der Autor ist sich aber, so scheint es, den Risiken einer solchen
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Bilder – und Gestaltenabfolge bewusst, denn im Vorwort schreibt er, dass
er sich nunmehr von der pauschalen Generationengestalten verabschiedet
und einer seriös gelten sozialwissenschaftlichen Jugenddebatte zuwendet
(a.a.O.S. 17)!
Die Relevanz dieser begrifflichen und konzeptionellen Festlegungen zu
der jeweils gemeinten Wirklichkeit muss empirisch erhellt werden und
diese nicht einfache Erhellung sollte die schnelle Produktion von sozialen
und kulturellen Konstruktionen massiv bremsen. Mit anderen Worten:
sieht man von der Schnellschussettikettierung (Turnschuh - Generation, X
- Generation) ab, lassen sich plausibel herausgearbeitete und historische
gestützte Jugendbilder und Jugendkonzepte finden (vergl. etwa Fend
1988; Hafenegger 1995; kritisch dazu Krüger 1993, S. 280). So arbeitet Hafenegger vier Jugendbilder als Grundfiguren heraus. Die ersten drei Bilder
entstehen Ende des 19. Jahrhunderts und nur das letzte Jugendbild gehört
in den Zeitraum der letzten 25 Jahre, entsteht also in „unserer“ Zeit:
- „Jugend als Hoffnungsträger“. Jugend ist Initiator sozialen und kulturellen Wandels und ist imstande die Zukunft der Gesellschaft zu
gestalten oder doch mit zu beeinflussen.
- „Jugend als Gefahr und Gefährdung“. Jugend ist eine gefährdende
Risikogruppe und gefährlich durch von ihr ausgehenden Störimpulse, sei es Devianz oder sei es Protest.
- „Jugend als Erziehungsobjekt“. Jugend ist Objekt bildsamer und
anregender sowie helfender und beschützender pädagogischer Bemühungen. Sie braucht diese Form der Unterstützung bei der gesellschaftlichen Integration.
- „Jugend als Partner“ Erwachsene sind Partner der Jugendlichen
und stehen ihnen ggf. bei. Vorrangig ist allerdings die selbstgesteuerte und eigenverantwortliche Bewältigung der Realität in der
sehr individualisiert die eigene Identität, häufig erst sehr spät, gefunden wird (Hafenegger 1995, S. 70 ff).
Meines Erachtens wäre besser von Grundströmungen zu sprechen die,
folgt man Hafenegger, Vorstellungen von Jugend mit unterschiedlichen
Prioritäten und Akzentsetzungen auch heute konturieren. Die vorherigen
Ausführungen zeigen in ihrem historischen Blickfeld, dass die ersten drei
Jugendbilder durchaus Akzeptanz beanspruchen können.
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Im Grunde genommen und aus einer gewissen Distanz verschmelzen die
genannten vier Jugendbilder allerdings zu einem facettenreichen und vielfältigen Bild hinsichtlich der aktuellen Jugend. Dies ist recht einfach zu
demonstrieren: Mit etwas Glück liest man in den Lokalseiten einer großstädtischen Tageszeitung folgende, zu den genannten Bildern passende,
Berichte auf einer Zeitungsseite:
Der fünfzehnjährige Realschüler Michael hat in dem Wettbewerb
„Jugend forscht“ den zweiten Platz belegt. Dieser Glanz strahlt weit
über die Grenzen der Schule hinaus.
Aufgrund massiver bürgerschaftlicher Kritik sieht sich die Polizei
genötigt, zur Bekämpfung der Sprayerszene ein Sonderkommissariat einzurichten.
Das Jugendamt gibt bekannt, dass die Einrichtung von zwei Stellen
für Sozialpädagoginnen an Brennpunktschulen sehr erfolgreich
war, weil gerade schwierige Schülerinnen und Schüler in der Berufsfindungsphase unterstützt und beraten werden konnten.
Der neusten Shell – Jugendstudie ist zu entnehmen, dass sich das
Verhältnis zwischen Eltern und ihren 14 – 21 jährigen Kindern in
den letzten zehn Jahren kontinuierlich verbessert hat. Konflikte
werden zunehmend verhandelt, die Eigenständigkeit der Kinder
/Jugendlichen berücksichtigt und „Hotel Mama“ ist auf dem Vormarsch.
Bestätigt dieses situative Jugendbild in einem öffentlichen Medium die
allgemeine Vorstellung einer eigenständigen, individualisierten und pluralen, als Möglichkeitsraum ausgestalteten Jugendphase? Was ist Konstruktion, was ist Wirklichkeit? Die Antwort wird wohl darauf hinaus la ufen, dass sich auch die Konstruktionen vervielfältigt haben, wie ebenso die
Wirklichkeiten. Oder auch anders formuliert: Der jeweilige Leser der Tageszeitung kann seine eigenen Konstruktionen bzw. Vorstellungen beliebig bedienen. 1
1 Eine ganz andere Thematik sind marketinggesteuerte Jugendbilder oder auch nur Teile
von Jugendbildern, die ihre Wirkung zweifellos entfalten. Mode, Medien und Markt kreieren Bilder, schauen sie z.T. alternativen Jugendszenen ab. Jugendbilder als Medienbilder
sickern in die Identitätsentwürfe Jugendlicher ein, ebenso wie mediale Bezugspersonen.
E. Sander stellt in diesem Zusammenhang eine interessante These auf: Da die ältere
Generation auch über hinreichende Medienerfahrungen verfügt, bilden sich generationenübergreifende mediale Erfahrungszusammenhänge, die u.a. zu einem konfliktfreien
Umgang der jungen und der älteren Generation führen (Sander 2003).
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Die gesamte Argumentationslinie macht auf zwei Notwendigkeiten aufmerksam. Zunächst sind Begriffe sorgsam zu verwenden, sie verkommen
schnell zu oberflächlichen Etikettierungen oder, schlimmer, es bilden sich
stereotype Wahrnehmungsmuster. Deshalb ist des Weiteren ebenso sorgsam auf die Wirklichkeitsverankerung von Vorstellungen, Begriffen und
gedanklichen Konstruktionen zu achten. Eine Tendenz indessen, Beginn
und Entwicklung der Jugendphase im 20. Jahrhunderts allein durch konstruierte und gesellschaftlich erzeugte Jugendbilder mit nun geringer
Wirklichkeitsverankerung zu erklären oder zumindest doch zu beschreiben ist kein zielführender Weg. Schon allein deshalb nicht, weil Jugend bereits in vormodernen Lebensformen real existiert hat und eben
nicht nur Ergebnis gesellschaftlich konstruierter Jugendbilder sein kann.
Dafür ist u.a. Mitterauers „Sozialgeschichte der Jugend“ ein sicherer Beleg (1986). Auf diesen Sachverhalt macht auch Dudek (1993, S. 307) aufmerksam, der in Anlehnung an Mitterauer an historisch rekonstruierbare
Teilübergänge erinnert und u.a. Scholarisierung und Entwicklungen zur
Selbstbestimmung, Entritualisierung von Statusübergängen oder auch
Verstädterungsprozesse benennt, die als starke Einflussfaktoren die Jugend im zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts und zum beginnenden 20.
Jahrhunderts im heutigen Sinne mitgestalten. Diese Anmerkungen sind
deshalb wichtig, weil der vielzitierten Studie von Lutz Roth „Die Erfindung des Jugendlichen“ an dieser Stelle nicht in jedem Punkt gefolgt wird.
Der Autor beschreibt Jugendbilder, er nennt sie Jugendkonzepte, als „von
der Obrigkeit gegen die Jugend erdacht, verfasst und umgesetzt“ (1983, S.
140). Solche Konzepte sind dann Disziplinierungsmaßnahmen und im
Grunde genommen ist „ein Jugendkonzept das Gegenteil von Jugend“
(a.a.O. S. 141). Für den von Roth untersuchten Zeitraum von ca. 1775 –
1925 mögen einige seiner Analysen weitgehend stimmig sein (z.B. die
Produktion von Jünglingskonzepten im Gymnasium). Aber nur weitgehend: So zeigt die jugendliche Geselligkeit im Rahmen der Spinnstubenkultur Widerstand gegen die Verbote der Obrigkeit und die Jugendbewegung um 1900 zeigt deutlich zum Teil eigenständige Handlungsmuster
und Spielräume. Man kann Jugendgeschichte schreiben als Analyse von
Verengungen, Verboten und Instrumentalisierung, man kann Jugendgeschichte aber auch schreiben als den Gewinn von Handlungsspielräumen.
Zu wünschen wäre eine Verschränkung beider Seh – und Schreibweisen.
Am Ende seiner Studie wendet Roth die Erkenntnisse seiner historischen
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Analysen auf die Zukunft und stellt fest, dass der Begriff des Jugendlichen
auch heute nicht frei ist von Regulierung: „Darum wird es für Pädagogen
Zeit vom ´Jugendlichen´ Abschied zu nehmen und damit auch einige
Schritte weit aus der Reproduktion des staatlich erwünschten normierten
Charakters auszusteigen“ (Roth 1983, S. 141). Darin ist natürlich der Vorwurf enthalten, Pädagogen (Lehrer, Jugendarbeiter) hätten wenig hinzugelernt und würden zumindest teilweise normativen und repressiven Jugendbildern, jetzt versteckt im Konzept des Jugendlichen, folgen. Oder
anders formuliert, ihrer eigenen Konstruktion des Jugendlichen folgen.
Richtig ist daran, dass die heutige Jugendphase Normierungen pädagogischer und vor allem auch rechtlicher Art enthält. Beispielhaft zu nennen
wäre die Schulpflicht oder auch Jugendschutzgesetze, welche den Besuch
von Filmen von Alterstufen abhängig machen um so vor „sittlicher Desorientierung“ zu schützen. Generell ist die Jugendphase ein Raum in dem
gesellschaftliche Werte und Normen Geltung haben wie in allen anderen
Lebensphasen auch. Und doch sieht Roth nicht die Veränderungen in der
Geschichte pädagogischer Interpretations- und Handlungskonzepte und
damit einhergehend nicht die kritische Selbstbeobachtung und erziehungswissenschaftliche Durchdringung. Eine Folge davon ist die Abkehr
von normativ aufgeladenen und disziplinierend umgesetzten pädagogischen Jugendbildern zu einer Pädagogik der Anerkennung und des Aushandelns; hierzu gehört auch, die Lebenswelt der Jugendlichen nicht
übermächtig zu pädagogisieren.
Verabschieden muss die Pädagogik alte normative Konzepte und nicht
den jungen Menschen und seine Bedürfnisse und Interessen! Dies allerdings erfordert auch den historischen Rückblick, um gegenüber dem pädagogischen Berufsalltag eine Distanz zu bekommen, die aufklärend
wirkt. Nicht nur die Pädagogik und ihre Handlungskonzepte bedürfen
stetiger, wie eingangs schon dargestellt, Selbstbeobachtung sondern auch
die Wissenschaft vom Jugendlichen. Denn es muss gesehen werden, dass
stabilisierte und überprüfte Jugendbilder, besser wäre Jugendbildfacetten,
Fremdwahrnehmungen sind, mit starken pädagogischen, psychologischen
und soziologischen Einfärbungen. Sie verfügen über eine gewisse Blassheit, weil das subjektive Handlungs-, Gefühls- und Bewusstseinsstrukturen Jugendlicher häufig verengt dargestellt wird. So werden wichtige
Themenfelder wie Liebe und Sexualität, aber auch die Aktionsfelder
Markt und Medien nur sporadisch erwähnt. In dem nicht unbedeutenden
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Sammelband „Jugend im 20. Jahrhundert“ wird dieser, die Jugendforschung betreffende Sachverhalt und Bedarf augenscheinlich (Sander;
Vollbrecht/Hrsg., 2000). Es wäre fatal wenn dem Forschungsgegenstand
Jugend, die Jugend abhanden käme.
Die Ausführungen zum Jugendbild und Jugendkonzept verweisen insgesamt auf eine zentralen Aufgabenbereich der Jugendforschung, die sich
erst im letzten Viertel des 20. Jh. voll etabliert hat. Dies ist sicherlich mit
ein Grund, dass sich nunmehr ein kritischer Diskurs finden lässt und die
notwendige Sorgsamkeit vorhanden ist. Darüber gibt die in diesem Abschnitt zitierte Fachliteratur Auskunft. Aber auch das aktuelle Standardwerk zur heutigen Jugend „Lebendphase Jugend“ (Hurrelmann 2000) verfügt über eine gesicherte Wirklichkeitsverankerung und einen Gesellschaftsbezug, den eben idealistische oder auch heutige moderne und
schnelllebige Jugendbilder nicht haben.
Und trotzdem und weil das von Ferchhoff (1995, S. 65) entnommene Zitat
in dem ein Jugendlicher zu Wort kommt, so treffend ist:“ Versucht nicht,
uns zu verstehen. Ihr könnt uns untersuchen, befragen, interviewen, Statistiken über uns aufstellen, sie auswerten, interpretieren, verwerfen, Theorien entwickeln und diskutieren, Vermutungen anstellen, Schlüsse ziehen, Sachverhalte klären, Ergebnisse verkünden, sogar daran glauben.
Unseretwegen. Aber ihr werdet uns nicht verstehen“ (König 1993, S. 1).
5. Jugend: Moderne Ansichten
5.1 Analysen und Interpretationen
Eine moderne Ansicht über Entstehung und Bedeutung der Jugendphase
stellt Eisenstadts nachhaltiges Werk „Von Generation zu Generation“ dar
(deutsch: 1966). Eisenstadts Botschaft lautete, vereinfacht dargestellt, dass
in vormodernen Gesellschaften das durch die Familie und Umfeld erzeugte Sozialisationskapital in modernen Industriegesellschaften nicht mehr
ausreicht. Im Übergang der genannten Gesellschaftsformationen, entsteht
dann eben die Jugendphase deren Funktion es ist, zwischen den unterschiedlichen Wertekontexten zu vermitteln und auf neue Bewältigungsaufgaben in der modernen Gesellschaft vorzubereiten. Ein Kennzeichen
dieser Jungenphase ist die Entstehung altershomogener Gruppen (peer
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groups), sofern diese Gruppen andere Rollenzuordnungen haben als es
von der Familie her bekannt ist. D.h. beispielsweise, dass in der Gruppe
Konkurrenz auftritt, dass Rollendifferenzierungen ausgehandelt werden
und eben nicht altersbedingte Hierarchien (Vater-Sohn) vorhanden sind,
sondern zwischen Gleichaltrigen entworfen und erprobt werden (Eisenstadt 1966, S. 282). Damit entsteht ein neues Sozialisationsfeld, dass einerseits noch Bezüge zur Familie hat, weil in altershomogenen Gruppen auch
eine ausgeprägte Emotionalität herrscht, aber andererseits auch Handlungskompetenzen ausgebildet werden, die einen Bezug zur nunmehr
modernen Gesellschaft haben. Selbstverständlich gibt es in vormodernen
Gesellschaften auch alterhomogene Jugendgruppen aber eben nicht mit
dieser speziellen „Schanierfunktion“. So sind die jugendlichen Gruppierungen in den Spinnstuben im 17., 18. und 19. Jahrhundert nicht mit der
genannten „Schanierfunktion“ versehen, weil sich die Aufgabe aufgrund
des gesellschaftlichen Entwicklungsniveaus gar nicht stellte.
Nun ließe sich die strukturfunktionale Interpretationsweise Eisenstadts
sehr gut auf die Jugendbewegungen um 1910 anwenden im Hinblick auf
die dort stattfindende Selbsterziehung / Selbstsozialisation oder das Entwickeln einer eigenständigen Jugendkultur einschließlich der Eckenst eherkultur. Aber in einer nicht nachvollziehbaren Interpretation ordnet Eisenstadt z.B. die auftretende bürgerliche Jugendbewegung einem aufrührerischen, abweichenden und revolutionären Jugendtypus zu. Die genannten „Eckensteherkulturen“ oder die später auftretenden „Wilden Cliquen“
geraten erst gar nicht in das Analysefeld. Die Bedeutung Eisenstadts liegt
allerdings darin, dass er gesellschaftlichen Strukturwandel als die grundlegenden Dynamik im Entstehungsszenario Jugend beschreibt. Von diesem analytischen Zugriff ist der bereits mehrfach genannte Spranger weit
entfernt. Die weiteren grundlegenden jugendsoziologischen Studien zu
Beginn der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, von Schelsky (1957) und
Tenbruck (1962), werden die Analysen von Eisenstadt vertiefen. Schelsky
kommt allerdings bezüglich der deutschen Jugendbewegung zu einem
völlig anderen Ergebnis: Die erste Aktion einer ganzen Altersklasse (a. a.
O., S. 38)! Aber diese aktive Altersklasse, so muss hinzugefügt werden,
betritt nicht zufällig die Bühne des beginnenden 20. Jahrhunderts, sondern
hat Vorläufer und beruht auf Vorgängen, die die beiden ersten Jugendportraits skizzieren. Und dies ist auch der Grund weshalb von einer
200jährigen Geschichte der Jugend gesprochen werden sollte. Denn Kenn-
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zeichen moderner und vormoderner jugendlicher Lebensformen haben
trotz sehr unterschiedlic her Orientierung und Dynamik vergleichbare
Merkmale: Spezifische Ausdrucksformen, Symbole, Rituale und räumliche
Zusammenhänge, die sich erst jetzt in der Gegenwart enträumlichen können und ggf. zu virtuellen Lebensformen finden.
Erklären die angedeuteten soziologischen Aspekte die Jugendphase hinreichend? Ist die Entstehung der Jugend allein ein funktionales Erfordernis moderner Gesellschaften? Hat die Jugend Eigensinn und Eigenwert?
Es sind gerade Jugendhistoriker, die diese Fragen durch einen radikalen
Perspektivenwechsel beantworten, indem sie ein Erklärungs- und Analysekonzept bevorzugen, indem Jugend als Agent der eigenen Geschichte
beschrieben wird (Gillis 1980, S. 215; Peukert 1986, S. 305; Krüger 1993, S.
287 f). Oder anders: Der Prozess der Subjektwerdung der Jugend kann
nicht, keinesfalls, ohne Berücksichtigung der Akteure und Akteurinnen,
ihrer Interessen, ihrer Meinungen und ihrer lebensgestaltenden Handlungen beschrieben und verstanden werden. D.h. es müssen bei der Befassung mit Jugend zwei Sehweisen miteinander verschränkt werden: Die
Sehweise bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen, Einflüsse und Veränderungen und die Sehweise auf die eigensinnigen Gestaltungsabsichten
und Gestaltungsvollzüge der Jugendlichen. Nur so ist es möglich Formen
der Unangepasstheit, der Abweichung, der Alternativen in und durch Jugendkulturen im Kontext der Lebensphase Jugend wahrzunehmen und zu
verstehen.
Peukert ist, soweit sich sehen lässt, der erste Jugendhistoriker mit theoretischen Absichten, der zur Notwendigkeit und zur Erklärung der subjektorienierten Sehweise die These der Kolonialisierung der Lebenswelt (Habermas) zur Geltung bringt. Demnach sind Lebensstile und Lebensformen, Abweichungen und Unangepasstheiten immer daraufhin zu untersuchen, ob sie eigensinnige und emanzipatorische Potentiale beinhalten.
Aber, und da sollte man Habermas nicht unnötig verkürzen, die Betrachtung der Lebenswelt hat ihr Recht, wie auch die Betrachtung der Systemwelt.
5.2 Lebensphase und Strukturveränderungen
Im folgenden sollen einige konzeptionelle Vorstellungen und Annahmen
zur gegenwärtigen Lebensphase Jugend im Hinblick auf die vorherigen
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Ausführungen gesichtet und überprüft werden. Daran anschließend wird
die abschließende, wenngleich nicht ganz neue These erörtert, Jugend sei
in ihrer 200jährigen Geschichte den Pfad zunehmender Verselbständigung
und Autonomie gegangen. Allerdings, so die Annahme, ist der beschrittene Weg keineswegs zu Ende. Er kann auch deshalb nicht zu Ende sein,
weil eine sich wandelnde und komplexer werdende Gesellschaft auch in
Zukunft viel in die selbständige Lebensphase Jugend investieren muss,
ebenso wie die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, als Mitglieder dieser Gesellschaft.
Zu Beginn der Erörterung wird eine Grafik vorgestellt, die einen Vergleich
zwischen Lebenslaufereignissen der Jugend in den 50er Jahren, mit den
Ereignissen der Jugend in den 90er Jahren anschaulich darstellt.
Eintritt von Lebenslaufereignissen in den 50er (oben) und
90er (unten) Jahre
Lebensalter, in dem etwa 50% der Erwachsenen die Lebenslaufereignisse erlebt haben
Berufsausbildung
Schulabschluss
13
14
15
Heirat
erster Sex
16
17
18
Auszug aus
Elternhaus
19
erster Sex
Schulabschluss
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
Berufsausbildung
Auszug aus
Elternhaus
Heirat
Lebensalter, in dem 50% der westdeutschen Jugendlichen die Lebenslaufereignisse erlebt
haben
Quelle: Grunert; Krüger 2000, S. 203
Deutlich dokumentiert sich für alle 90er Jahre eine längere Schulzeit eine
längere Berufsausbildung, eine lange Zwischenzeit vom Auszug aus dem
Elterhaus bis zur Heirat. Bei Letzterem mischen sich die Modalitäten vom
56
__________________________________________________________________
(wechselnden) Zusammenleben unterschiedlicher Freunde mit und ohne
Partnerinnen bis ggf. zur traditionellen Heirat.
Ein für Mädchen und Jungen wichtiges und auch zur Betrachtung der Lebensphase Jugend bedeutsames Lebenslaufereignis fehlt leider. Es ist die
Vorverlegung des Pubertätsbeginns. Die Messungen des Menarchealters
bei Mädchen zeigen eine Vorverlegung von ca. 6 Jahren von 1860 bis zur
Gegenwart. Die Messung von 11,8 Jahren im Jahr 2001 soll, so die Schätzung, 2010 auf 10,3 Jahre als Eintritt der ersten Regelblutung sinken (Kluge 2003, S. 138 f). Damit ist das Grundschulalter erreicht und die Frage
entsteht unwillkürlich, ob sich die Eltern und Erwachsenen insbesondere
aber Lehrerinnen und Lehrer entsprechende Gedanken machen. Ursächlich beteiligt sind vermutlich Ernährungsgegebenheiten, psychosomatische Veränderungen und Stoffwechselprozesse. Trifft die Schätzung zu
und berechnet man den Beginn der Lebensphase Jugend mit dem Eintritt
der Pubertät, beginnt die Jugend dann auf jeden Fall mit dem vierten bzw.
fünften Schuljahr. Der Vorgang ist indes nicht unproblematisch, weil
Kindheit ggf. verkürzt wird. Auch wird zu überlegen sein, ob die Pubertät
so ohne weiteres den Beginn der Lebensphase Jugend zukünftig noch charakterisieren kann.
Zurück zur Grafik. Die dortigen Veränderungen haben in der Jugendtheorie zu Analysekonzeptionen geführt, die begrifflich gefasst sind in Enttraditionalisierung, Entstrukturierung, Bildungsmoratorium, Individualisierung, Pluralisierung – es mag noch mehr geben. Einige dieser Konzeptionen sind aber widersprüchlich oder haben historische betrachtet einen
Vorlauf, dessen Ausblendung nicht zu rechtfertigen ist.
Eine Pluralisierung von Lebensformen und Lebensläufen Jugendlicher ist
beispielsweise im frühen 19. Jahrhundert, wenn auch in sehr vorsichtiger
Weise festst ellbar, bedingt durch das Vordringen des Bürgertums einhergehend mit der Frühindustrialisierung. Von dort nimmt die Pluralisierung
zu und erreicht einen vorläufigen Höhepunkt vor und nach dem 1. Weltkrieg. So gesehen, ist Pluralisierung kein Ereignis im Übergang vom 20. in
das 21. Jahrhundert, sondern ein durchgängiges allerdings sich verstärkendes Kennzeichen der Lebensphase Jugend.
Ähnliches ereignet sich mit der Konzeption der Entstrukturierung. In der
vorindustriellen Gesellschaft gab es, wie beschrieben, bezüglich der Ju-
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__________________________________________________________________
gend eine Noch-nicht-Struktur. Dann tritt im 19. Jahrhundert bis zum Ende des 20. Jh. eine Strukturierung ein, deren Auflösung von Olk 1985 analysiert wird, weil, und diese Beobachtungen sind sicherlich nachzuvollziehen, die Ganzheitlichkeit, der kollektive Zusammenhalt der Phase aufhört. Eine Vielzahl jeweils anders gelagerter Lebensläufe entsteht, Zeitstrukturen und Zeitabschnitte sind verändert. 1955 sah die Zeitstruktur
und Ereignisstruktur für 90 % der männlichen Jugend folgendermaßen
aus: Schulabschluss mit 14 Jahren, Lehrabschluss mit 17 Jahren und Heirat
in der Mitte der zwanziger Lebensjahre. Diese Struktur ist in der Tat so
gut wie nicht mehr vorhanden bzw. hat sich verändert und verlängert.
Parallele und neue Strukturen, bzw. Strukturabläufe haben sich gebildet,
vielleicht ist auch eine kaum mehr überschaubare Komplexität entstanden.
Aber das ist keine Entstrukturierung, sondern eine qualitativ neue Strukturierungskomplexität im historischen und aktuellen gesellschaftlichen
Kontext.
Gäbe es tatsächlich eine durchschlagende Entstrukturierung im Sinne von
Nicht-mehr-Struktur, ließe sich die oben aufgezeigte Grafik für die 90er
Jahre gar nicht erstellen.
Es gibt weitere Eigentümlichkeiten. Zinnecker (1991) beschreibt die aktuelle Lebensphase Jugend mit dem Begriff des Bildungsmoratoriums. In
dieser langandauernden Zwischenzeit ereignet sich schulische Bildung
und berufliche Ausbildung; möglicherweise auch schon Arbeitslosigkeit.
In diesem eigenständigen Lebensabschnitt entwickeln sich aber auch
zugleich soziale und kulturelle Lebensformen und Lebensweisen im Bereich jugendkultureller Szenen, wie auch im Zusammenhang mit Mode,
Markt und Medien. Die historische Herausbildung bzw. die Vorläufer dieses Bildungsabschnittes und der innewohnenden Lebensformen sind in
den vorliegenden Jugendportraits immer als ein Schwerpunkt benannt
worden. Auch deshalb ist diese Analyse weitgehend nachvollziehbar bis
auf ihre begriffliche Umschreibung: Ein Moratorium ist eine Zwischenzeit
bzw. Aufschubzeit mit Anfang und Ende und wäre bezogen auf die Jugendphase ein Strukturmerkmal der besonderen Art. D. h. Zinnecker betont Strukturierung während Olk auf Entstrukturierung setzt. Schule und
Ausbildung geben der Jugendphase sicherlich Struktur, es bleibt aber die
Frage offen, ob sich die betroffenen Subjekte, also die Jugendlichen, bezüglich ihres Selbstverständnisses und ihres Lebenssinnes selbiges auch so
interpretieren und sich möglicherweise für strukturangepasst halten. Be-
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tont man vorrangig die Eigenständigkeit in der Jugendphase verschiebt
sich eben der Betrachtungsfocus und verlässt die strukturorientierte Sehweise. Der Begriff Moratorium ist zudem durch Eriksons „psycho-soziales
Moratoriums“ semantisch besetzt und gehört damit in eine ältere Jugendtheorie, die Jugend noch als Übergang von der Kindheit zum Erwachsenalter verstand.
Man sieht: Die Pluralität der Lebensphase Jugend ist auch eine Pluralität
ihrer Interpreten. Dieser Sachverhalt sollte allerdings insgesamt als produktiver Diskurs gewertet werden.
5.3 Autonomie und Selbständigkeit in der Lebensphase Jugend
Bereits in der Einleitung und dann durchgehend in den historischen Anmerkungen wurde darauf hingewiesen, dass die gesamte zweihundertjährige Entwicklungsphase der Jugend als ein immenser Emanzipations- und Verselbständigungsprozeß gewertet werden sollte. D. h. eine
zunehmende Autonomie feststellbar ist, die zu einer von Erwachsenen
weitgehend unabhängigen Jugendphase führt. Das häufig ins Spiel gebrachte Argument der langandauernden ökonom ischen Abhängigkeit Jugendlicher und junger Erwachsener sollte dabei nicht überbewertet werden, denn alle Mitglieder der Gesellschaft sind von finanziellen Transferierungen abhängig wenngleich diese Transferierungen unterschiedlichen
Zusammenhängen entstammen. Zumeist entstammen sie aus einer Arbeit,
aber der Jugendliche arbeitet in Schule und Ausbildung auch – unbezahlt
oder unterbezahlt. Seine unbezahlte Arbeit ist aber nichts anderes als eine
Investition in die persönliche und eben auch in die gesellschaftliche Zukunft! In diesem Sinne ist die ökonomische Abhängigkeit lediglich ein
Vorschuss, den die junge Frau und der junge Mann, wahrscheinlich gut
verzinst, irgendwann zurück zahlt. Wie jede andere Lebensphase hat die
Lebensphase Jugend allerdings auch bedeutsame und besondere Abhängigkeiten. Diese Abhängigkeiten bestehen in der Notwendigkeit soziales
und kulturelles Startkapital für die Zukunft zu haben oder sich anzueignen.
Dass im Rahmen dieser Notwendigkeit soziale und kulturelle Ungleichheiten, wie Einkommen, Berufsstatus und Bildung der Eltern zu massiven
Verwerfungen führt, ist die eigentliche schwere Hypothek, die auf der
Jugendphase liegt. Diese Ursachen von eher „alten“ Ungleichheiten werden überlagert von „neuen“ Ungleichheiten. Darüber gibt am deutlichsten
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die PISA-Studie (2000) Auskunft, die bei knapp 25 Prozent der 15jährigen
derartige Kompetenzlücken im Lesen, Schreiben und naturwissenschaftlichen Fachgebieten feststellt, dass eine gesicherte berufliche Existenz in
modernen Dienstleistungsgesellschaften als wenig wahrscheinlich beschrieben wird. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass auch Bildungsabschlüsse keine gesicherte Garantie mehr für die gewünschte berufliche Karriere beinhalten.
Für die hier anzustellende Betrachtung der zunehmenden Autonomie in
der Jugendphase bedeutet dies, diese Autonomie differenziert darzustellen. Bezüglich dieser Fragestellung sind leider keine direkten empirischen
Längsschnittbefunde bekannt. Es kann aber plausibel vermutet werden,
dass Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten durch soziale und kulturelle
Ungleichheiten erheblich beeinträchtigt sind. So wie Mina Knallenfalls
zum Ende des 19. Jahrhunderts nur einfache Arbeiterin in der Textilindustrie werden konnte hatte der damalige Gymnasiast aber zumeist die
Wahl dieses oder jenes zu studieren oder eine Offiziers- oder Beamtenlaufbahn einzuschlagen (vergl. S. 27). Diese Situation ist auch heute noch,
sicherlich mit entschärfter Dramatik, gegeben und bedarf fortwährender
Erinnerung, Mahnung und Veränderung.
Trotz der genannten Einschränkungen und Benachteiligungen, und die
historischen Jugendportraits sowie die weiteren Aussagen zur Lebensphase Jugend belegen es, verstärkt sich die Autonomie der Jugendphase im
gesellschaftlichen Kontext. Wobei eben ein Umschlagprozess zu beobachten ist, der noch weitreichender ist als Autonomie: Die Jugend übernimmt
nämlich nachhaltigen Einfluss auf Prozesse gesellschaftlicher Entwicklung. Denn Jugend, insbesondere in ihrem körperlichen, ästhetischen,
letztlich kulturellen Lebens- und Ausdrucksformen, hat teilweise einen
Leitbildcharakter übernommen. Lebensstile, Freizeitaktivitäten, Mode und
Medien einschließlich entsprechender Produkte transportieren dieses
Leitbild. Allerdings führt diese Produkterzeugung zu Konsumangebot en
und Konsumzwängen, die den genannten Innovationen genau entgegenstehen. Dieser große Sektor der Alltagskultur wird ergänzt durch die Aufwertung junger, sehr gut ausgebildeter Arbeitskräfte verbunden mit der
Abwertung älterer Arbeitnehmer im ökonomischen Sektor.
Zu erwähnen ist ebenso die Herabsenkung des Wahlalters auf das 16. Lebensjahr im kommunalen Bereich. Und die volle Etablierung des Wahlrechtes auf das genannte Alter ist, so die Einschätzung, nur noch eine Fra-
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ge der Zeit. Fasst man diese aktuellen Entwicklungen in der Lebensphase
Jugend zusammen, ist auch gegenwärtig eine Autonomiezunahme, verbunden mit einer spezifischen gesamtgesellschaftlichen Einflusssphäre
festzustellen und für die Zukunft anzunehmen. Diese Autonomie geprägt
durch persönliche Entscheidungen, individuelle Wahl im Möglichkeitsraum Jugend und erhebliche Handlungsspielräume, ist erforderlich, um
diejenigen Ressourcen zu finden und auszubilden, die erforderlich sind,
den eigenen Lebenslauf weitgehend selbst „konstruieren“ zu können. Diese Argumentation umschließt sowohl die jugendtheoretischen Annahmen
der zwingenden Erreichung eines hohen Bildungs- und Lernfähigkeitsniveaus in der Jugendphase (Bildungsmoratorium) als auch jene Annahmen,
die zu Recht eine Entstrukturierung bzw. eine qualitativ neue Strukturierungskomplexität der Jugendphase beschreiben. D. h., das berechenbare
und möglicherweise vorgelebte Ereignisse (z. B. dem Beruf des Vaters
nachzueifern), nicht mehr der gesicherten Erwartung und Planung unterliegen. Diese Interpretationsweise ergibt sich sowohl aus den genannten
Bezügen zur aktuellen Jugendphase als auch aus den Darstellungen zum
historischen Entstehungsprozess im 19. Jahrhundert bis zum Zweiten
Weltkrieg.
Einfacher formuliert: Die fortschreitende Gesellschaftsentwicklung, als
Stichwort sei Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft genannt, benötigt
mehr und mehr gut ausgebildete, handlungskompetente, vielseitige, letztlich autonome und hochflexible Personen, die nicht nur den gegebenen
Herausforderungen gewachsen sind. Sie müssen vielmehr diese Herausforderungen, die Innovationen und ihre Umsetzung nochmals steigern.
Das können bevorzugt nur junge Mensch leisten, die Autonomie wie die
sie umgebende Luft eingeatmet haben und einatmen.
Genau an diesem Punkt entsteht die kritische Frage, wie viel Flexibilität
kann den Menschen, kann den jungen Menschen zugemutet werden. Richard Senett ist in seinem vielzitierten Wissenschaftsessay „Der flexible
Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“ (1993) dieser Frage nachgegangen und meldet tiefgreifende Bedenken gegen die totalflexibilisierte
Arbeits- und Wirtschaftswelt an, einschließlich ihrer Folgen für die individuelle Lebenswelt und, so ist hier hinzuzufügen, für die Lebensphase Jugend. In welche Richtung Senetts Bedenken gehen, zeigt schon der amerikanische Titel der bemerkenswerten Studie „The corrosion of Charakter“.
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Es ist nicht auszuschließen, aber nur schwer zu prognostizieren, dass die
Jugend ihre anders gelagerten Interessen und Bedürfnisse durchaus öffentlich zur Geltung bringt. Einige Male ist dieses schon eingetreten!
6. Gesellschaft ohne Jugend? Ein Ausblick
Die bisherigen Ausführungen rekonstruierten, wenn auch nur punktuell,
die Entstehung der Jugend und stellten, ebenso nur punktuell, moderne
Auffassungen im Sinne einer Gegenwartsdiagnose dar. Ein weitgehend
unbestrittener Gesichtspunkt in dieser Diagnose ist, dass die Lebensphase
Jugend dazu tendiert die zeitliche Spanne immer weiter auszudehnen.
Auch die in den Ausführungen dargestellten jugendhistorischen Anmerkungen belegen eindeutig den Prozess beständiger Verlängerung. Dennoch kann und muss die Frage gestellt werden, ob die Lebensphase Jugend auch auflösende Veränderungen zeigt oder gar verschwindet. Diese
provokante These formuliert, soweit sich sehen lässt, erstmals v. Trotha
vor 25 Jahren (1982). Gibt es, so fragt v. Trotha, eine „Gesellschaft ohne
’Jugend’?“ (a. a. O., S 269). Der genannte Autor sieht die gesamte Entst ehung der Jugend als Folge notwendiger Sozialdisziplinierung bzw. Erwe iterung der sozialen Kontrolle. Hier zugehört dann die Schule, die Soziale
Arbeit, die Jugendgerichtsbarkeit usw., einschließlich der sich in diesen
Institutionen bildenden Professionalität. Zum Ende des 20. Jh. beobachtet
v. Trotha aber das qualitative Umschlagen einer von Außen steuernden
sozialen Kontrolle zu einer im jungen Inidividuum sich nunmehr verankernder Selbstkontrolle. Vereinfacht: die „Außensteuerung“ schlägt um,
zu einer „Binnensteuerung“. Während Peukert in seiner historisch gerichteten Analyse die „Grenzen der Sozialdisziplinierung“ (1986), den Begriff
der Disziplinierung für die Jugendfürsorge reserviert, dehnt v. Trotha das
Analysespektrum auf das gesamte Schul- und Erziehungssystem aus. So
richtig es ist Schule, Erziehung und Soziale Arbeit, auch unter dem Aspekt
der Sozialdisziplinierung und der sozialen Kontrolle zu betrachten, so einseitig wird die Analyse, wenn sie den alleinigen Betrachtungswinkel darstellt. Wie dem auch sei, wenn v. Trotha’s Beobachtungen richtig wären,
würde Jugend im heutigen Sinne tatsächlich ihre Legitimation und ihren
Bedeutungsgehalt massiv einbüßen, weil eben die Wirkung einer von Außen erfolgenden Sozialdisziplinierung überflüssig wäre.
Im Folgenden wird nicht den Überlegungen v. Trotha’s weiterhin nachgegangen, gleichwohl aber seine Fragestellung von der „Gesellschaft ohne
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Jugend“ als Denkanstoss wahrgenommen und seine Beobachtungen gesichtet. Und, das sei vorweggenommen, die Beobachtungen werden erweitert und damit die grundsätzliche Fragestellung vertieft. Auf vier Beobachtungsebenen sieht v. Trotha einschneidende Veränderungsprozesse:
Das Sexualverhalten Jugendlicher hat die Tabus der Erwachsenenwelt „geknackt“ und er ist ab einem bestimmten, aber immer früheren Alter Vollmitglied in der Welt der Sexualität und damit der
Erwachsenen. Erwähnt wird in diesem Zusammenhang auch die
stetige Vorverlegung der Pubertät.
Erhöht hat sich die politische Teilhabe und Selbstorganisation.
Ausdruck findet die politische Teilhabe in der Herabsetzung des
Mündigkeit- bzw. Wahlalters.
Schwierigkeiten hat v. Trotha bei der Beobachtung immer länger
Schul- und Ausbildungszeiten. Deshalb benutzt er einen Kunstgriff
und trennt den Schülerstatus vom Jugendstatus. Dies findet dann
seine Berechtigung darin, dass unter dem Aspekt des lebenslangen
Lernens alle Mitglieder der Gesellschaft Schüler bzw. Lerner sind.
Festgestellt wird eine immer höhere Übereinstimmung zwischen
den Generationen und eine Reduzierung von Generationenkonflikten. Ironisch merkt v. Trotha an, beide Parteien, Jugendliche und
ihre Eltern, hätten wohl gemerkt, es wäre für beide Seiten einfacher,
auf den Jugendstatus zu verzichten.
Mit diesen Beobachtungsergebnissen nimmt v. Trotha die gegenwärtige Diskussion über Veränderungen im Generationengefüge und damit
auch Veränderungen in der Jugendphase vorweg ( vergl.etwa Ecarius
1998;2002; Böhnisch 1998;Rauschenbach 1998 ). Böhnisch hat beispielsweise in dem eben zitierten Aufsatz den Begriff der generationslosen Gesellschaft in die Fachdiskussion eingebracht. Diesbezüglich
stellt auch Winkel fest, dass heute Kinder früher adultieren und es
„nicht mehr lange die klassische Abfolge von Kindheit, Pubertät, Adoleszenz etc. geben wird“ (Winkel 2005, S.338). Festzuhalten ist, dass
sich eine Entgrenzung der Lebensalter einstellt die keineswegs nur
Kindheit und Jugend betrifft: Nicht nur der 25 – jährige studiert, sondern auch die 65 – jährige ( vergl. Dazu den 12. Kinder- und Jugendbericht 2005, S. 92 ff).
Die empirische Sicherung dieser Beobachtungen wäre sicherlich erfolgreich, kann an dieser Stelle allerdings nicht durchgeführt werden. Zum
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letztgenannten Punkt sei allerdings angemerkt, dass bereits 1988 durch
Giesecke die Generationenannäherung genauer beschrieben und in der
damals vieldiskutierten Schrift „Das Ende der Erziehung“ dargestellt
wurde. Bestätigt wird diese Entwicklung zu Beginn des 21. Jh. eindeutig (vergl. etwa Zinnecker u. a. 2003). Über die Beobachtungen von
Trotha’s hinausgehend muss auch der generationennivellierende Einfluss der Medien genannt werden. So beschreibt z. B. Sander auf empirischem Hintergrund (2003) ein neues Generationenverhältnis, common culture, aufgrund vergleichbarer Mediensozialisation zwischen
gegenwärtigen Eltern und ihren Kindern (a. a. O., S. 28 ff). Auch hist orisch ausgerichtete Studien zum familialen Erziehungsstil belegen Veränderungen bzw. den Wandel vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt. Dies heißt nichts anderes, als dass Eltern viel häufiger als früher
im Erziehungsklima „gleiche Augenhöhe“ bevorzugen (vergl. Ecarius
2002). Diese partnerschaftliche Umgangsform ist dabei unmittelbar im
Zusammenhang vermehrter Autonomie und Selbständigkeit zu sehen
(vergl. Abschn. 5.3). Zur Autonomie und Selbständigkeit gehört auch
die immer stärkere Übernahme einer eigenständigen Konsumentenrolle. So berichten beispielsweise die “Westfälischen Nachrichten“
(21.6.05), dass Kinder und Jugendliche (6 – 19 J.) 19 Milliarden Euro
zur Verfügung hätten, mit seit Jahren steigender Tendenz! Dass sich
hier bezüglich der Kinder- und Jugendarmut eine gesellschaftliche
Spaltung zeigt, sei nur nebenbei angemerkt.
Neben der Konsumententrolle sind weitere und wichtige eigenständige Aktivitäten im Bereich der Lebensstile, Jugendszenen und Jugendkulturen zu nennen. Letztlich führt die individualisierte und sehr vielseitige Gestaltung des Lebenslaufs zwischen dem fünfzehnten und
dreißigsten Lebensjahr zu einer filigranen Komplexität, die einer überschaubaren und abgrenzbaren Wahrnehmung widerspricht (vergl.
Abschn. 5.2). Dass heißt, Jugend wird flüchtig.
In der dargestellten Argumentationslinie bleiben zweifelsohne Fragen
offen (z. B. nach der Bewältigung notwendiger Entwicklungsaufgaben). Deshalb muss meines Erachtens eine weitere Annahme in den
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Diese Annahme besteht in
der Profilierung der sogenannten späten Kindheit. Auf die Differenzierung frühe und späte Kindheit verweist bereits Hurrelmann (1994, S.
23). Ebenso wird dort differenziert nach früher und späterer Jugendzeit. Ob nun späte Kindheit oder frühe Jugendzeit, entscheidend sind
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__________________________________________________________________
die jeweils stattfindenden Ereignisse, wie z. B. der frühe Eintritt der
Pubertät (der Zeitpunkt wird, so die Prognosen, in die späte Kindheit
fallen, vergl. dazu S. 55). Ein weiteres Ereignis verliert an Bedeutung,
nämlich die sogenannte Ablösung von der Familie, weil sich der Charakter der Bindung geändert hat und sich die Gleichaltrigengruppe als
neu zu gestaltendes Sozialisationsfeld früh anbietet und auch genutzt
wird.
Wird das Ende der frühen Jugendzeit auf das 18. Lebensjahr datiert,
befindet sich in dem thematisierten Zeitraum auch die weitgehende
Beendigung biologischer und kognitiver Entwicklungsprozesse. Die
schwierige Herausbildung der Identität ist sicherlich nicht abgeschlossen, wie natürlich auch nicht der Sozialisationsprozess, der eben die
gesamte Lebensspanne umfasst.
Gibt es eine Gesellschaft ohne Jugend? Die Frage lässt sicht nunmehr
mit einem klaren „Nein“ und „Ja“ beantworten. „Nein“, weil die
Kindheit keineswegs umstandslos in das Erwachsenenalter führt und
manchmal sogar Muster der Kindheit in hohe Lebensalter transportiert
werden. Und „Ja“, weil der Jugendliche viel früher selbständig ist als
die gegenwärtige gesellschaftliche Öffentlichkeit, einschließlich der
Fachöffentlichkeit, annimmt und entsprechende Definitionen in Umlauf setzt. Die klassische Phase der Jugend ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorbei! Was eine nachklassische Lebensphase Jugend kennzeichnet, wäre dann die entscheidende Frage, die zugleich wichtiger
wäre als die Frage nach einer Gesellschaft ohne Jugend.
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