April: Die Waffen nieder!
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April: Die Waffen nieder!
THEMA DES MONATS: Die Waffen nieder! ARBEITSBLÄTTER IM MONAT APRIL 2009 2 Einleitung: Thema und Arbeitsblätter 3 Arbeitsblatt 1: Sekunde der Stille 5 Arbeitsblatt 2: Jugendgewalt lässt sich eindämmen 7 Ausgewählte Artikel und Internetquellen zum Thema INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 1 Einleitung: Thema und Lernziele Wie nach den Amokläufen von Bad Reichenhall 1999, Erfurt 2002, Coburg 2003 und Emsdetten 2006 und insgesamt 43 Toten nach Winnenden ist die Betroffenheit ebenso groß wie die Hilflosigkeit, was die Konsequenzen betrifft. Die Lobby von Waffenindustrie und -verbänden, Schützenvereinen, Jägern und Sportschützen sieht keine Notwendigkeit Konsequenzen zu ziehen. Einige Politiker fordern mehr Kontrolle oder die getrennte Lagerung von Waffen und Munition. Andere sehen keinen Grund dafür, dass acht bis zehn Millionen Waffen in deutschen Haushalten lagern, stellen das Waffenrecht in Frage und fordern „Abrüstung“ auch im privaten Bereich. Nun haben sich sechs Familien der Opfer von Winnenden mit einem offenen Brief an Politiker und Öffentlichkeit gewandt, weil sie wollen, dass sich nicht nur für sie, sondern für alle etwas ändert. Sie fordern Altersbeschränkungen und technische Abrüstung im Schießsport, weniger Gewalt im Fernsehen, das Verbot von menschenverachtenden Computerspielen, eine bessere Kontrolle verhetzender Internetforen, eine zurückhaltende Berichterstattung über Amokläufe in den Medien. „Maßvolle Forderungen, die jeweils nur geringe Einschränkungen für einzelne Bürger, Institutionen und Interessengruppen mit sich brächten“, berichtet die ZEIT. Befürchtet wird jedoch, dass sich diese Gesellschaft so leicht nicht verändern wird und fordert mehr Bereitschaft zur Einmischung. Der Artikel in Arbeitsblatt 1 ist Ausgangspunkt, um sich mit den Konsequenzen von Waffenbesitz und Gewalt sowie den Forderungen nach Verboten und mehr Einmischung auseinanderzusetzen. In Arbeitsblatt 2 werden die Ergebnisse einer Studie zur Jugendgewalt vorgestellt, mit denen die Schülerinnen und Schüler sich kritisch beschäftigen sollen. INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 2 Arbeitsblatt 1: Sekunde der Stille 1 (...) „Nichts ist mehr, wie es war“, hat Bundespräsident Horst Köhler in seiner Trauerrede beim 2 Gedenkgottesdienst (in Winnenden) gesagt. Für die Eltern und die Geschwister stimmt das. Aber 3 für den Rest der Gesellschaft? Sechs Familien haben sich in einem offenen Brief an den 4 Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg 5 gewandt, weil sie wollen, dass sich nicht nur für sie, sondern für alle etwas ändert. Sie fordern 6 Altersbeschränkungen und technische Abrüstung im Schießsport, weniger Gewalt im Fernsehen, 7 das Verbot von menschenverachtenden Computerspielen, eine bessere Kontrolle verhetzender 8 Internetforen, eine zurückhaltende Berichterstattung über Amokläufe in den Medien. Maßvolle 9 Forderungen, die jeweils nur geringe Einschränkungen für einzelne Bürger, Institutionen und 10 Interessengruppen mit sich brächten – besonders, wenn man sie im direkten Vergleich mit den 11 Leiden der Opfer und ihrer Angehörigen betrachtet. 12 Aber so leicht wird sich diese Gesellschaft nicht ändern. Die Tränen der Fernsehzuschauer 13 werden kaum getrocknet sein, da wird die Waffenlobby wieder tausend Gründe finden, warum es 14 einer Menschenrechtsverletzung gleichkommt, wenn Sportschützen ihre Munition im Verein 15 oder bei der Polizei lagern müssen, getrennt von ihren Waffen. Die TV- 16 Programmverantwortlichen werden ihr Programm unter Verweis auf Publikumsgeschmack, 17 Quote und Satellitenempfang exakt so gestalten wie bisher. Die Computerspiellobby wird 18 weiterhin so tun, als seien noch ihre abscheulichsten Produkte zugleich Lernmodule der digitalen 19 „Wissensgesellschaft“. (...) Und die Medien? Sie werden über das nächste Massaker – wieder 20 wird es ein junger Mann mit einer Neigung zu Waffen und digitaler Unkultur veranstalten, und 21 seine Eltern werden rein gar nichts gemerkt haben – genauso dramatisch berichten wie über 22 dieses, und das Publikum wird’s lesen, lesen, lesen und sehen, sehen, sehen wollen. 23 Der andere Verlauf, das ist der unwahrscheinliche. Aber es ist immerhin möglich, dass die leisen 24 Stimmen der Eltern von Winnenden eine Sekunde der Stille erzwingen. Eine Sekunde, in der wir 25 uns entscheiden könnten, den beschwerlichen Weg zu nehmen. Das hieße dann, sich von der 26 bequemen Phrase zu verabschieden, Verbote nützten nie etwas. Das hieße, dass massenhaft 27 Einzelne – in Redaktionen, auf Elternversammlungen, in Bundestagsausschüssen – anfangen 28 müssten, sich gegen einen Anspruchs- und Gleichgültigkeitsliberalismus zu stellen, der jedem 29 sein Hobby gönnt, seine großkalibrige Waffe, seine Pornofotos, sein Internetmobbing. Da ginge 30 es um eine Haltung des kollektiven, freiwilligen, aber eben verbindlichen Verzichts: Weil 31 Killerspiele und Horrorvideos und besonders echte Beretta-Pistolen nicht gut sind für gefährdete 32 Jugendliche, müssten alle Konsumenten ihren Umgang damit mäßigen. INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 3 33 Da ginge es, außerdem, um die Bereitschaft zur Einmischung: Nichts gilt heute als schlimmer, 34 als Eltern für ihren Erziehungsstil zu kritisieren. Aber genau das müssten wir tun: es manchen 35 Eltern nicht durchgehen lassen, dass ihre Kinder andere quälen. Und diejenigen ansprechen, die 36 ihre Kinder niemals loben. Vor allem aber müssten wir uns einmischen in das Leben unserer 37 Kinder. Viel zu leichtfertig haben wir die Sichtweise akzeptiert, die Jugendlichen lebten in ihrer 38 eigenen Welt, einer digital geprägten Kultur, von der Erwachsene nichts verstünden und zu der 39 sie auch nichts sagen dürften. Eine große Gefahr von Netz und Spielkonsole besteht in ihren 40 gewalttätigen Inhalten – aber die vielleicht noch größere darin, dass diese Medien zwischen die 41 Menschen treten und das Gespräch der Generationen abschneiden. Es hilft alles nichts: Wir 42 müssen uns neben die Jugendlichen setzen und uns den ganzen Müll ansehen, den sie sich 43 einverleiben und verbreiten, und wir müssen ihnen den Respekt entgegenbringen, ihnen zu 44 sagen, dass es Müll ist. Und wenn es nötig ist, müssen wir bis drei Uhr morgens mit ihnen 45 darüber streiten. Nur dann besteht die Chance, dass nicht alles so bleibt, wie es ist, in dieser 46 Gesellschaft. Text: Susanne Gaschke, DIE ZEIT Nr. 14 vom 26. März 2009, www.zeit.de/2009/14/01-Winnenden Aufgaben 1. Begründe eine eigene Meinung zu den einzelnen Forderungen der Eltern. Diskutiere insbesondere die Wirkung und Realisierbarkeit eines politischen Verbots von Killerspielen und eines Verbots für die Aufbewahrung von Waffen in Privathaushalten. 2. Welche Faktoren spielen als auslösende Motive eine Rolle bei Gewaltausbrüchen? Beziehe dich insbesondere auf die Rolle von a) Enttäuschungen b) Computerspielen c) Medien. 3. Setze dich damit auseinander, welche Faszination Waffen und Waffenbesitz ausüben. 4. Diskutiere eine stärkere Beachtung der Schule als Generator, Austragungsort und Bühne sozialer Konflikte. 5. Diskutiere die Forderung nach einer „Bereitschaft zur Einmischung“. Nenne Beispiele dafür, wo sie sinnvoll und notwendig ist. INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 4 Arbeitsblatt 2: Jugendgewalt lässt sich eindämmen 1 (...) Die Studie über Jugendgewalt und Rechtsextremismus (des Kriminologischen 2 Forschungsinstituts Niedersachsen KFN) gibt keine Antwort auf das „Warum“ von Winnenden. 3 Dafür allerdings erklärt sie auf Basis eines bislang in diesem Umfang einmaligen 4 Umfrageergebnisses die Ursachen von Jugendgewalt und Extremismus. 5 Zunächst einmal ist Jugendgewalt ganz überwiegend ein Jungenproblem. Hauptschüler und 6 Jugendliche mit Migrationshintergrund hauen demnach besonders häufig über die Stränge. 7 Darüber hinaus gibt es gleich eine Reihe von individuellen Erklärungsfaktoren. „Gewalt 8 legitimierende Männlichkeitsnormen“ und „delinquente Freunde“ gehören genauso dazu wie 9 „intensives Schulschwänzen“, „Alkoholkonsum“, „erlebte Elterngewalt“ aber auch 10 „gewalthaltige Medien“. All diese Aspekte stehen in einem signifikanten 11 Wirkungszusammenhang − doch keiner ist allein Ursache für Gewaltausbrüche. (...) 12 Ein bisschen mehr Differenzierung schadet nicht, und dabei kann die Studie helfen. Schließlich 13 zeigt sie nicht nur das tatsächliche Ausmaß an Jugendgewalt auf − das übrigens weniger groß ist 14 als die vielen Schlagzeilen in den Medien vermuten lassen −, sondern weist auch auf mögliche 15 Ursachen hin. Vor allem aber legt sie dar: Jugendgewalt ist kein Schicksal, sondern man kann sie 16 präventiv eindämmen. Etwa durch die Ächtung von Gewalt in den Schulen, durch die 17 abschreckende Erhöhung der Anzeigebereitschaft, durch Aufklärung der Eltern oder bessere 18 Freizeitangebote. 19 Vor allem aber gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Bildung und Gewalt. Je höher 20 die Bildung, desto geringer die Gewaltbereitschaft. Gleichzeitig ist die Gewalt von jungen 21 Immigranten kein ethnisches oder religiöses Problem, sondern ein soziales und eine Frage von 22 Wertevermittlung. 23 Der eigentliche Reiz dieser umfangreichen Studie liegt noch in etwas anderem. Erstmals können 24 mit ihr die Phänomene Jugendgewalt, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit bei 25 Schülern regional differenziert analysiert werden. Da zeigt sich zum Beispiel, dass es in Süd- 26 und Ostdeutschland weniger Gewalttaten gibt als in Nord- und Westdeutschland, dass es Städte 27 gibt, in denen die Jugendgewalt in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken ist und solche, in 28 denen sie weiter ansteigt. (...) 29 Manchmal allerdings lassen sich auch nur bereits bekannte Zusammenhänge eindrucksvoll 30 belegen. In Hannover zum Beispiel ist es aufgrund von breitem kommunalem Engagement 31 gelungen, zwischen 1998 und 2006 die Zahl der türkischen Jugendlichen, die einen 32 Realschulabschluss oder das Abitur anstreben, von 52 auf 67,5 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 5 33 halbierte sich die Zahl der Mehrfachtäter. 34 In München zeigt sich die entgegengesetzte Entwicklung: Dort ist der Hauptschulanteil junger 35 Türken doppelt so hoch wie in Hannover, gleichzeitig ist die Zahl der Mehrfachtäter in den 36 letzten zehn Jahren von 6 auf 12,4 Prozent angestiegen. 37 Die Jugendgewalt-Studie des KFN zeigt also: Prävention lohnt sich, und sie straft gleichzeitig 38 alle konservativen Populisten Lügen, die von Zeit zu Zeit härtere Strafen für Jugendliche fordern 39 und sogar Kinder in den Knast sperren wollen. Text : Christoph Seils, DIE ZEIT online, 17. März 2009, www.zeit.de/online/2009/12/jugendgewalt-praevention-kommentar Aufgaben 1. Fasse die wesentlichen Ergebnisse der Studie mit eigenen Worten zusammen. 2. Beschreibe den Zusammenhang von Bildung und Gewalt mit eigenen Worten. Berücksichtige dabei die These „je höher die Bildung, desto geringer die Gewaltbereitschaft“. 3. Häufig wird eine Verschärfung von Gesetzen bzw. werden härtere Strafen oder Verbote gefordert. Setze dich vor dem Hintergrund der Studienergebnisse mit der Frage auseinander, wie wirksam und gerechtfertigt Repressionen sind. 4. Als ein Fazit wird die Behauptung aufgestellt „Prävention lohnt sich“. Welche Art Prävention könnte damit gemeint sein? 5. Welche Schutzmaßnahmen hältst du für geeignet? Bewerte die Idee von Familienministerin Ursula von der Leyen, Erziehungspartnerschaften zwischen Schulen und Eltern zu schaffen. INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 6 Ausgewählte Artikel zum Thema aus der ZEIT • Winnenden: Sekunde der Stille Angehörige der Opfer von Winnenden haben sich an die Öffentlichkeit gewandt. Hörte ihnen nur jemand zu! Susanne Gaschke, DIE ZEIT Nr. 14 vom 26. März 2009, www.zeit.de/2009/14/01-Winnenden • Jugendgewalt lässt sich eindämmen Die neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt: Jugendgewalt ist kein Schicksal, man kann etwas dagegen tun − nichts jedoch mit Populismus. Christoph Seils, ZEIT online am 17. März 2009, www.zeit.de/online/2009/12/jugendgewalt-praevention-kommentar • Studie über Jugendgewalt: Familie − Hort der Aggression? Mehr als die Hälfte der Neuntklässler in Deutschland haben als Kinder Gewalt in der Familie erfahren. Ein Gespräch mit Dirk Baier, Verfasser der Studie über Jugendgewalt. ZEIT online am 18. März 2009, www.zeit.de/online/2009/12/gewalt-in-familien • Jugendgewalt: Ich bin der Hass Wie werden Jugendliche zu Amokläufern? Die Debatte nach Winnenden offenbarte allgemeine Ratlosigkeit. Aus Büchern kann man über die Verzweiflung von Schülern lernen. Susanne Mayer, DIE ZEIT Nr. 13 vom 19. März 2009, www.zeit.de/2009/13/Glosse-Literatur • Essay: Von der Unfähigkeit zum Mit-Leiden Winnenden ist Ausdruck einer Kluft: Nie war die Erwachsenenwelt so weit von der Einsamkeit der Heranwachsenden entfernt. Tissy Bruns, ZEIT online am 16. März 2009, www.zeit.de/online/2009/12/winnenden-amok-kommentar • Warum Gesetze Amokläufe nicht verhindern können Politiker halten sich nach dem Amoklauf mit schnellen Forderungen zurück. Experten sind sich einig: So eine Tat kann nicht verhindert werden – zumindest nicht juristisch. Markus Horeld und Simone Bartsch, ZEIT online am 13. März 2009, www.zeit.de/online/2009/11/amoklauf-politiker-experten • Gewalt kommt nicht von ungefähr Wer wird zum Schläger und wer nicht? Acht Antworten zu den Ursachen krimineller Karrieren. Kai Biermann und Parvin Sadigh, ZEIT online am 11. Januar 2008, www.zeit.de/online/2008/03/jugendgewalt-ursachen INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 7 • Medien: Der Markt verlangt nach Sensation Der Amoklauf von Winnenden hat nicht nur eine Diskussion über Schützenvereine und Computerspiele entfacht. Auch viele Medien stehen in der Kritik. Kathrin Wanke, ZEIT online am19. März 2009, www.zeit.de/online/2009/12/winnenden-medien-kritik Internetquellen zum Thema • Winnenden Internetseite der Stadt www.winnenden.de • Tagesschau Dossier zum Amoklauf in Winnenden www.tagesschau.de/inland/amoklauf176.html Schwerpunktthema Jugendgewalt www.tagesschau.de/inland/jugendgewalt12.html • Institut für Friedenspädagogik Umgang mit Konflikten und Gewalt www.friedenspaedagogik.de/service/unterrichtsmaterialien/umgang_mit_konflikten_und_gewalt__1 • Gewalt an Schulen Ein Projekt der Universität zu Köln www.gewalt-an-schulen.de • Landesbildungsserver Baden-Württemberg Gewaltprävention www.schule-bw.de/unterricht/paedagogik/gewaltpraevention/ INHALT 04/09 Die Waffen nieder! © DIE ZEIT für die Schule + Cornelsen für Didaktik/Aufgabenstellung www.zeit.de/schule www.cornelsen.de 8