Unterwegs in Niederösterreich. Verkehr im Land um Wien, in
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Unterwegs in Niederösterreich. Verkehr im Land um Wien, in
Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Unterwegs in Niederösterreich Verkehr im Land um Wien Ausgangslage Verkehr ist eine der wichtigsten Grundlagen der Menschen in der heutigen Zeit : So betrug am Ende des 20. Jahrhunderts die Verkehrsleistung in Niederösterreich an einem Werktag etwa 37,7 Millionen Personenkilometer (1990) – das entspricht etwa dem 940-fachen Erdumfang, pro Tag. Den größten Anteil hielt dabei der motorisierte Individualverkehr mit mehr als 50 %, während der öffentliche Verkehr einen Anteil von etwa 38 % hatte ; der Rest stammt vom nicht-motorisierten Individualverkehr – also vom Fahrrad und zu Fuß gehen. Verkehrsgeschichte ist hingegen bis heute ein Forschungsdesiderat und es gilt weitgehend immer noch – auch für alle anderen Verkehrsträger – die Aussage von Karl Gutkas und Ernst Bruckmüller aus dem Jahr 1987 : »… man findet sich mit dem Vorhandensein einer wichtigen Einrichtung, wie es die Eisenbahn ist, ab, ohne sie näher zu betrachten«. Die mit der Industrialisierung einhergegangene Erleichterung des Transportes von Menschen und Gütern hat den Alltag der Menschen sowohl in der Stadt als auch am Land grundlegend geändert. Im Zuge der Versorgung von Stadt und Land durch Lebensmittel, bei den täglichen Wegen der Menschen von und zur Arbeit oder beim touristisch motivierten Verkehr werden heute in kurzer Zeit Distanzen zurückgelegt, die ein Jahrhundert zuvor noch nicht selbstverständlich waren. Wurde im 19. Jahrhundert der Verkehr durch die Dampfmaschine revolutioniert, brachte das 20. Jahrhundert eine weitere Beschleunigung und Individualisierung. Die wichtigsten der etablierten Verkehrsträger des auslaufenden 19. Jahrhunderts waren Dampfeisenbahn, Dampfschiff und Postkurs bzw. Fuhrwerk. Innerhalb des Zeitraumes von einem Jahrhundert erfolgte deren Ablöse durch Automobil und Lastkraftwagen. Die Eisenbahn konnte nur auf Grund von Neuerungen im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert – dem Elektro- und Dieselbetrieb – doch noch nennenswerte Verkehrsanteile bewahren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen in der neu gegründeten Republik Österreich 2300 Lokomotiven auf einem Streckennetz von 6600 Kilometern sowie knapp 11.500 Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Hg.) : 10 Jahre NÖ Landesverkehrskonzept. St. Pölten 2001, http ://www.noel.gv.at/Service/ru/ru7/lvk/Nachlesen/lvk_ges.pdf (17. 7. 2007), S. 12. Gutkas, Bruckmüller, Verkehrswege, S. 4 52 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Kraftfahrzeuge (6400 Pkw), etwa 1500 davon in Niederösterreich (575 Pkw), in Betrieb. Das 20. Jahrhundert brachte eine eindeutige Veränderung dieses Verhältnisses, das die Aufteilung der Verkehrsträger – den »modal split« – charakterisiert, zugunsten dem Kraftfahrzeug : in den 1990er Jahre standen österreichweit etwas mehr als 1700 Lokomotiven auf einem Streckennetz von 6380 Kilometern im Einsatz (1995), während die Zahl der Kraftfahrzeuge auf knapp 5 Millionen (1995, Österreich), davon entfielen etwa 600.000 Personenkraftwagen auf Niederösterreich (1989) angestiegen ist. Zwischen 1937 bis 1995 wuchs die Zahl der Traktoren und Zugmaschinen am stärksten : Im Jahr 1995 gab es um ein Drittel mehr Traktoren und Zugmaschinen als Lastkraftwagen. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Personenkraftwagen um das 110-Fache und die Anzahl an Lastkraftwagen um das 20-Fache an. Beim Schienenverkehr fanden auffallend viele Innovationen im Gebiet des heutigen Niederösterreichs statt : Die erste österreichische Dampfeisenbahn – von Wien nach Deutsch-Wagram und weiter in das heutige Tschechien und Polen wurde im Jahr 1838 eröffnet. Auch die erste Gebirgsbahn der Welt, die 1854 in Betrieb genommene Semmeringbahn als Teilstück der Südbahn von Wien nach Triest, befindet sich in Niederösterreich. Im Land befindet sich aber auch das in ganz Österreich dichteste Streckennetz an Nebenbahnen (bzw. Hauptbahnen mit Nebenbahncharakter wie die Nordwestbahn von Wien nach Retz und Znaim), errichtet ab den 1870er Jahren. In Niederösterreich wurde zudem die erste für den Dauerbetrieb bestimmte elektrische (Lokal-)Bahn Österreichs eröffnet, die mit Triebwagen betriebene Ausflugsbahn Mödling–Hinterbrühl (1883) ; außerdem wurden in Niederösterreich auch die meisten Schmalspurbahnen im Gebiet des heutigen Österreichs errichtet ; im nahen Umfeld um Wien erfolgte in der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende der Bau von großen Verschiebebahnhöfen (Strasshof/Nordbahn ab 1908 ; Amstetten/Westbahn ab 1910 ; Wiener Neustadt Südbahn ab 1914) ; in Niederösterreich – in Gmünd – befand sich von 1907 bis 1918 die erste O-Bus Linie Österreichs (damals noch als TrolleyBus bezeichnet) ; im selben Jahr wurde mit der Eröffnung der Donauuferbahn auch Statistisches Handbuch 1921, S. 75–76. Werte für Kraftfahrzeuge 1995 : Wirtschaftskammer, Verkehrswirtschaft, S. 12. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, NÖ Landesverkehrskonzept, S. 14. 1937 : 32.373 Pkw, 13.817 Lkw und 234 Zugmaschinen ; 1995 : 3.593.588 Pkw, 290.290 Lkw und 410.033 Zugmaschinen. Schienengleiche Eisenbahnübergänge, in : Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen (Hg.) : Nachrichtenblatt der Österreichischen Bundesbahnen, 12. Stück, 1. Juni 1959, Wien 1959, S. 163–166, hier 164 ; Wirtschaftskammer Österreich (Hg.) : Verkehrswirtschaft in Zahlen. Wien 2004, S. 12. Vgl. Dinhobl, Eisenbahnbau, S. 79–96. Waidhofen an der Ybbs–Lunz am See–Kienberg-Gaming (Ybbstalbahn, 1898) ; Stichbahn nach Ybbsitz (1899) ; Gmünd–Litschau–Heidenreichstein (1900) ; Gmünd–Weitra–Groß Gerungs (1903) ; St. Pölten– Mariazell (1906) ; Zweiglinie von Ober Grafendorf–Wieselburg (1905) und Wieselburg–Gresten (1927, 1998 wurde die auf Normalspur umgespurte Strecke Wieselburg–Gresten in Betrieb genommen). Unterwegs in Niederösterreich 53 der kürzeste Tunnel Österreichs in der Nähe von Spitz in Betrieb genommen (Länge : 12,4 Meter). Und in Niederösterreich fuhr auch die erste, mit elektrischen Lokomotiven betriebene Bahn, die Mariazellerbahn (elektrisch seit 7. Oktober 1911). Der Straßenbau dürfte zumindest seit dem Auftreten der Eisenbahn bestenfalls stagniert haben, auch wenn 1841 die Semmering-Passstraße als Teilstück der Reichsstraße nach Triest fertig wurde. Im Umfeld der Hauptbahnen übernahm die Straße die Funktion eines Zubringers zur Bahn, während in den bahnfernen Gebieten ein gutes Straßennetz mangels Alternativen zweifellos weiterhin unabdingbar war. Der Lokalbahn-Boom des ausgehenden 19. Jahrhunderts dürfte daran wenig geändert haben. Die »große« Zeit der Wasserstraßen war unzweifelhaft das 19. Jahrhundert. Die Donau als internationaler und Niederösterreich von West nach Ost querender Transportkorridor erlebte die Einführung der regelmäßigen Dampfschifffahrt ab 1830 (von Wien stromabwärts bis nach Budapest) bzw. ab 1837 (von Wien stromaufwärts bis Linz).10 Darüber hinaus waren es auch zahlreiche Flüsse, insbesondere im Alpenvorland, auf denen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Flößerei und Holz-Triften betrieben wurde. Es war aber auch die Zeit der Großprojekte von schiffbaren Inlandskanälen quer zum Donaukorridor – allen voran der geplante Kanal von Wien bis zur Adria, von dem lediglich der »Wiener Neustädter Kanal« verwirklicht wurde.11 Die Luftfahrt war vor dem Ersten Weltkrieg noch in der Erprobungsphase. Die weltweit ersten Motorflüge fanden im Jahre 1903 durch die Brüder Wright statt, und schon sechs Jahre später erfolgten die ersten Flugversuche in Niederösterreich im Bereich des neu angelegten »Flugfeldes« von Wiener Neustadt durch Ingo Etrich mit seinem Motorflugzeug »Etrich 1«. Wiener Neustadt etablierte sich rasch als Flugzentrum, denn schon im Frühjahr 1910 standen hier bereits 13 Hangars und am 9. Mai 1910 fand von hier aus der erste Überlandflug eines Flugzeugs in Österreich statt. Mit der Überquerung des Semmerings durch Oberleutnant Eduard Nittner im Zuge eines Fluges von Wiener Neustadt nach Graz mit einem Flugzeug am 3. Mai 1912 gelang es erstmals, einen Alpenpass zu überqueren. Dieser Beitrag will eine Übersicht zur Verkehrsgeschichte Niederösterreichs geben. Den Vorgaben des Umfangs entsprechend kann er jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In diesem Sinn soll der Beitrag anregen, sich auch weiterhin eingehend mit der Verkehrsgeschichte – welche alle ( !) Verkehrsmittel und Verkehrsarten einschließt – auseinanderzusetzen und einen Ausgangspunkt für künftige wissenschaftliche Forschungsprojekte zu bilden. Möcker, Vier Landesviertel, S. 195–251, hier 221. 10 Linzbacher, Dampfkraft, S. 81–83, hier 82 11Riebe, Wr. Neustädter Schiffahrtskanal ; Rosecker, Wiener Neustädter Kanal ; Lange, Von Wien zur Adria. 54 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Längsschnitte 1918–1995 Die Eisenbahn Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall der Habsburgermonarchie in mehrere Nachfolgestaaten zerbrachen mehrere der ursprünglichen Fernstrecken. Besonders prägnant zeigt sich dies im Fall der Kaiser Ferdinands-Nordbahn von Wien, bei der fast 90 % ihres Streckennetzes an die Tschechoslowakei und an Polen übertragen wurden. Nur mehr rund 84 Kilometer von Wien bis Lundenburg (Břeclav) verliefen durch das niederösterreichische Weinviertel. Bei Kriegsende war der Personalstand der Eisenbahn – wie im Staatsdienst generell – unverhältnismäßig hoch12 : 1918/19 waren 228.000 Personen bei den »DeutschÖsterreichischen Staatsbahnen« (DÖStB), das entspricht etwa 19 Bediensteten pro Betriebskilometer13, dem Vorläufer der am 19. Juli 1923 gegründeten Österreichischen Bundesbahnen (BBÖ)14, angestellt. Schon 1926 war der Personalstand als Folge der Genfer Sanierung auf 85.000 reduziert15 und im Jahr 1937 wurde der Tiefstand von 53.000 Bediensteten erreicht.16 Nach 1918 konnte – mit einer Ausnahme – keine der schon vor dem Krieg geplanten Eisenbahnstrecken verwirklicht werden : In allen Landesvierteln war zunächst die Fortführung bereits bestehender Strecken angedacht, wie beispielsweise die Verbindung der Strecke St. Pölten–Kernhof mit der Lokalbahn Mürzzuschlag–Neuberg mittels eines Tunnels unter dem Göllermassiv.17 Nur in einem Fall erfolgte die Eröffnung einer neuen Strecke, und zwar am 29. Juni 1927 die Eröffnung der schon vor dem Ersten Weltkrieg zu 70 % fertiggestellten, knapp 36 Kilometer langen Schmalspurstrecke Ruprechtshofen–Gresten.18 Schon im Bundesgesetz »betreffend die Einführung der elektrischen Zugförderung« vom 20. Juli 1920 wurde festgeschrieben, dass die »erforderlichen Studien und Vorarbeiten« für die Elektrifizierung der Westbahn von Wien bis Salzburg »unverzüglich in Angriff zu nehmen«19 sind. Jedoch fiel im Laufe der »Inflations- und Hyperinflationszeit« der 1920er Jahre der Entschluss zur Pause im ambitionierten 12 Metz, Beamteneinsparung, S. 14 ff. 13Arbeiter Zeitung, 30. 1. 1924. 14 BGBl. 81. Stück, Nr. 407, S. 1378–1382, http ://alex.onb.ac.at/gesetze_fs.htm. 15 N. N. : Die Bundesbahnfrage. Wien 1930, S. 40. 16 Österreichisches Staatsarchiv (ÖstA), Archiv der Republik (AdR), Bundesministerium für Handel und Verkehr III / Ge ; Zahl 238/1300 ex.1937 ; ÖstA, AdR Generaldirektion der ÖBB, Zeile 3127/1937. Gesamtpersonalstand der Bahnbediensteten. 17 Möcker, Vier Landesviertel, S. 219. 18 Krobot/Slezak/Sternhart, Schmalspurig, S. 26. 19Alle Zitate : BGBl. 105. Stück, Nr. 359, S. 1476–1478, http ://alex.onb.ac.at/gesetze_fs.htm. Unterwegs in Niederösterreich 55 Elektrifizierungsprogramm, weshalb auch die Elektrifizierung der in Niederösterreich liegenden Strecken nicht stattfand.20 Das Jahr 1920 hatte in mehrerlei Hinsicht für den Eisenbahnverkehr in Niederösterreich eine besondere Bedeutung : im Staatsvertrag von Saint-Germain wurde der Verbleib des Bahnhofes Gmünd bei der Tschechoslowakei (Bahnhofsname : České Velenice) festgeschrieben21, weshalb auf niederösterreichischem Gebiet ein neuer Bahnhof errichtet werden musste. In weiterer Folge erfolgte auch die Verlegung der vom »alten« Bahnhof ausgehenden Schmalspurstrecken nach Groß Gerungs sowie Litschau und Heidenreichstein zum »neuen« Bahnhof. Die Strecke nach Litschau und Heidenreichstein verlief nun über tschechoslowakisches Territorium und zunächst wurde hier ein Korridorverkehr eingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Errichtung des »Eisernen Vorhangs« erfolgte im Jahr 1950 der Bau einer von der Tschechoslowakei finanzierten und ausschließlich auf österreichischem Gebiet verlaufenden Trasse zwischen Gmünd und Böhmzeil.22 Ebenfalls im Jahr 1920 erfolgte der Grundsatzentscheid zur Teilung des »Erzherzogtums Österreich unter der Enns« in die Bundesländer Wien und NiederösterreichLand bei gleichzeitiger Beibehaltung von Wien als politisches und administratives Zentrum Niederösterreichs.23 Dieser Entscheid bedeutete hinsichtlich des Schienenverkehrs eine gänzlich neue Rolle für Niederösterreich, denn von nun an bildete das neue Bundesland Wien das Zentrum des Schienennetzes, während Niederösterreich die das auf das Zentrum fokussierte Zubringerrolle einnahm. Ab den frühen 1920er Jahren erfolgte die Übernahme des Betriebes der zahlreichen privaten Bahnen durch die Österreichischen Bundesbahnen, wie beispielsweise per 1. Jänner 1921 die von den Niederösterreichischen Landesbahnen (NÖLB) betriebenen Bahnen wie die 1899 gegründete Niederösterreichische Waldviertlerbahn AG, die 1908 gegründete Lokalbahn AG Willendorf–Neunkirchen, die 1906 gegründete Lokalbahn AG Korneuburg–Ernstbrunn, die elektrische Pressburgerbahn Wien–Landesgrenze nächst Hainburg AG oder die 1912 gegründete Lokalbahn AG Retz–Drosendorf sowie die Lokalbahn AG Stammerdorf–Auersthal–Groß Schweinbart. Drei Jahre später erfolgte die Übernahme der Betriebsführung der Linien der privaten ehemaligen Südbahn-Gesellschaft und 1937 die Übernahme der Betriebsführung der privaten Eisenbahn Wien–Aspang (EWA). Zahlreiche dieser Bahnen wurden schließlich ab Mitte der 1930er Jahre verstaatlicht, wodurch nicht nur die Betriebsführung durch die ÖBB erfolgte, sondern auch die Infrastruktur in deren Eigentum überging. 20 Staudacher, Die österreichischen Eisenbahnen 1918–1938, S. 16–105, hier 46 f. 21 Staatsgesetzblatt der Republik Österreich Nr. 303/1920 : Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10. 9. 1919, Art. 27 Abs. 6. 22 75 Jahre Waldviertler Schmalspurbahnen ; Krobot/Slezak/Sternhart, Schmalspurig, S. 27. 23 Gutkas, Geschichte Niederösterreichs, S. 249. Vgl. dazu Mähner, Grenzen, im Politikband. 56 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Die 1920er Jahre brachten auch Neuerungen in technischer Hinsicht : Auf den Hauptstrecken wurden die Brücken verstärkt sowie schwerere und damit tragfähigere Schienen eingebaut. Damit konnte die Achslast von 14,5 Tonnen auf 16 Tonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg im Laufe der Jahrzehnte schließlich auf die heute verbreiteten 22,5 Tonnen angehoben werden.24 Ende der 1920er Jahre erfolgte – österreichweit erstmals auf der Westbahn angewendet – das Verschweißen der Schienen zu einem »lückenlosen« Gleis anstelle der üblichen Laschenverbindung, wodurch der Fahrkomfort erhöht und der Wartungsaufwand verringert werden konnte. In den 1930er Jahren erfolgte wegen der verstärkten Konkurrenz des Automobils die Einführung von (leichten) Triebwagen für den Personenverkehr. Damit konnten die Betriebskosten reduziert werden, gleichzeitig wurde die Geschwindigkeiten erhöht : so benötigten Triebwagen-Schnellzüge für die Südbahn über den Semmering nach Graz nur mehr 3 Stunden 5 Minuten, während mit Dampflokomotiven bespannte Züge im Jahr 1921 für dieselbe Strecke noch 4 Stunden 50 Minuten benötigten. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg betrug die Fahrzeit sogar 6 Stunden 26 Minuten und daran anschließend konnte diese wieder sukzessive verringert werden : 1966 erzielten die in diesem Jahr in Betrieb genommenen eleganten elektrischen Triebwagenschnellzüge der Reihe 4010 zwischen Wien und Graz eine Fahrzeit von weniger als 3 Stunden (2 Stunden 44 Minuten).25 Doch zurück in die 1930er Jahre : Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise und den sich hin zum Austrofaschismus wandelnden politischen Verhältnissen waren die Österreichischen Bundesbahnen ab März 1933 praktisch bankrott und nicht mehr in der Lage, die Gehälter für die Bediensteten zu zahlen.26 Im Zweiten Weltkrieg wurden der Eisenbahn immense Transportleistungen abverlangt. Vor allem auf den Hauptstrecken erfolgte der Transport von Truppen und militärischem Gerät, ebenso wie von Nachschubmaterial und von Transportlieferungen zu Verbündeten, aber auch : die Deportationstransporte über die Süd-, West- und Nordbahn in die Konzentrationslager des NS-Reiches. Eine Eisenbahnstrecke mit Schlüsselfunktion war die Wechselbahn südlich von Wiener Neustadt : Im Eisenbahntunnel bei Tauchen nahe Mönichkirchen im südlichen Niederösterreich wurde ab 1941 der Sonderzug mit dem »Führerhauptquartier« für den Balkanfeldzug eingestellt, während das Hauptquartier in den Großhotels am Semmering untergebracht war.27 24 Kautz, Rudolf : Die Entwicklung der zulässigen Achslasten bei den Österreichischen Bundesbahnen. In : Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen (Hg.) : Nachrichtenblatt der Österreichischen Bundesbahnen, 20. Stück, 1. Oktober 1960. Wien 1960, S. 285–287 ; Trnka, Einrichtungen, S. 253–257, hier 256 ; Geyer, Semmering Basis-Tunnel, S. 41. 25 Die heutige Fahrzeit beträgt 2 h 37 min. 26 Gewerkschaft der Eisenbahner, 100 Jahre, S. 145. 27Wenzel/Stockklausner, Lokomotiven, Band 1, S. 38 f. ; Jacobsen, 1939–1945, S. 210 ; Kubinszky/Pawlik/ Slezak, Architektur, S.113. Unterwegs in Niederösterreich 57 Offener Aussichtswagen der ÖBB am Semmering, Fotografie um 1934 (ÖNB/Wien, Bildarchiv). Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten zunächst die zahlreichen Kriegsschäden beseitigt werden, damit die Eisenbahn wieder ihre Rolle als ziviles Massenverkehrsmittel erfüllen konnte. So erfolgte die Umsetzung der schon in der Zwischenkriegszeit geplanten Vorhaben der Elektrifizierung bei den Hauptstrecken : Mit der Ausrichtung Österreichs nach Westeuropa ging die verstärkte Bedeutung der Westbahn einher, weshalb schon in den frühen 1950er Jahren die Elektrifizierung erfolgte (Eröffnung Wien–Linz 19. Dezember 1952). Daran anschließend erfolgte die Elektrifizierung der Südbahn von Wien über Mödling und Baden nach Wiener Neustadt und weiter bis Gloggnitz, welche am 29. September 1956 eröffnet wurde ; die komplette Südbahn Wien–Tarvis konnte schließlich im Jahr 1963 den elektrischen Betrieb aufnehmen. Bei der Nordbahn begann die Elektrifizierung im Jahr 1962 mit der Einführung der Wiener Schnellbahn – welche auch die Bundeslandgrenze nach Niederösterreich überschritt und bis Gänserndorf führte – und wurde am 1. Juni 1986 mit der Inbetriebnahme des letzten Streckenabschnittes bei der Staatsgrenze in die Tschechoslowakei in der Nähe von Hohenau abgeschlossen. Auf der Franz-Josefs-Bahn konnte am 29. September 1978 bis Tulln der elektrische Betrieb aufgenommen werden, während der gesamte Streckenverlauf durch das Wein- und Waldviertel bis Gmünd erst am 24. September 1995 vollständig elektrifiziert war. 58 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Eine besondere Rolle bei den Eisenbahnen in Niederösterreich spielte seit jeher die private Raab-Ödenburg-Ebenfurther Eisenbahn (RÖEE)/Györ-Sopron-Ebenfurti Vasút (GySEV). Sie war und ist in erster Linie eine für den Güterverkehr von und nach Ungarn ausgerichtete Eisenbahn. Diese Privatbahn mit je einer Direktion in Ungarn und Österreich konnte sich aufgrund einer Vertragsklausel einer Verstaatlichung erfolgreich entziehen : Denn im Fall einer Eingliederung ins Staatsbahnnetz wären die österreichischen Streckenteile »verloren« gegangen. Für die Reisenden gab es nach dem Zweiten Weltkrieg einige Änderungen : So erschwerten zunächst noch bis Juni 1953 die Zonengrenzen – Niederösterreich lag in der sowjetischen Zone – den innerösterreichischen Reiseverkehr. Hingegen fielen schon zuvor eisenbahnspezifische »Grenzen«28 : Gegen Ende 1948 wurden die seit Beginn des Eisenbahnzeitalters in den späten 1830er Jahren üblichen Bahnsteigsperren aufgelassen, zunächst nur diejenigen an der Ausgangsseite der Bahnhöfe. An der Eingangsseite der Bahnhöfe bestanden derartige Kontrollen noch bis zu Beginn des Sommerfahrplanes 1951. Auch das Erscheinungsbild wurde der Zeit angepasst : Ab 1952 wurde das ÖBB-Flügelrad-Symbol als Wort-Bildmarke auf den damals neuen Diesellokomotiven der Baureihe 2045 angebracht, schließlich 1974 durch die Bildmarke abgelöst, die »in stilisierter Form ein Rad mit zwei Pfeilbalken«29 darstellte. 1994 kam als neues Erkennungssymbol auch ein Wortzeichen zur Anwendung – der Schriftzug ÖBB mit einem Schrägstrich beim Ö –, welches zusätzlich zur Bildmarke angewendet wird und die Neuausrichtung des im Zuge des Bundesbahngesetz 1992 in Infrastruktur und Absatz aufgeteilten Unternehmens visuell darstellen soll. Im Gefolge des Beschlusses der Union Internationale des chemins de fer – Internationaler Eisenbahnverband (UIC) wurde ab 1956 die dritte Wagenklasse aufgelassen, womit die seit Beginn des Eisenbahnzeitalters gängige Trennung der Reisenden in Klassen auf zwei reduziert wurde.30 Durch Anschaffung von neuem Wagenmaterial in ausreichender Anzahl konnten schließlich in den frühen 1980er Jahren die bis dahin gängigen zweiachsigen »Spantenwagen« mit der charakteristischen offenen Plattform auch auf den Nebenbahnen Niederösterreichs von komfortableren vierachsigen Personenwagen abgelöst werden. 28 Vgl. den Beitrag von Peter Mähner zur Grenzthematik im Politikband. 29 Einführung eines neuen einheitlichen Firmenzeichens der Österreichischen Bundesbahnen. In : Nachrichtenblatt der Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen, Sonderblatt Nr. 1, 1. Jänner 1974. Wien 1974 ; Seidelmann, Otto : Das moderne Erscheinungsbild der Eisenbahnen. In : Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen (Hg.) : Die ÖBB in Wort und Bild, 9/1971. Wien 1971, S. 8–23, hier 16 ; Die ÖBB haben ein neues Firmenzeichen. In : Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen (Hg.) : Die ÖBB in Wort und Bild, 8/1973. Wien 1973, S. 3 ; Hess, Hans : Die ÖBB unter neuem Zeichen. In : Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen (Hg.) : Die ÖBB in Wort und Bild, 1/1974. Wien 1974, S. 9. 30 Karner, Österreichische Bundesbahnen, S. 21 ; Rabl/Stockklausner, Österreichische Personenwaggons ; erst durch die jüngst eingeführte Business Class wurde ein »Upgrade« der ersten Klasse eingeführt. Unterwegs in Niederösterreich 59 Mit der verstärkten Individualmotorisierung wurde besonderes Augenmerk auf die Sicherung von Eisenbahnkreuzungen gelegt. Besonders ab den späten 1950er Jahren wurden verschiedene optische und/oder akustische Systeme im täglichen Betrieb erprobt : So kamen beispielsweise die »Rotierenden Warnsignale« österreichweit erstmals im November 1959 in Niederösterreich an der Strecke Wampersdorf–Gramatneusiedl beim Bahnhof Unterwaltersdorf zum Einsatz.31 Die in jener Zeit größte Stellwerksanlage Österreichs wurde 1966 in Wiener Neustadt eröffnet : Durch Zentralisierung konnten nun 151 Weichen und 252 Signale mittels Gleisbildstellpult fernbedient werden, während zuvor mehrere, über das ganze Bahnhofsgelände verteilte mechanische Stellwerke den Betrieb sicherstellten.32 Seit jeher ist Eisenbahn mit Geschwindigkeit verwoben und diese Beziehung erlebte 1964 eine öffentlichkeitswirk- Die ersten ›rotierenden Warnsignale‹ für Eisensame Neuauflage mit der Einführung des bahnkreuzungen wurden beim Bahnhof UnterShinkansen in Japan. Dies war ein wesent- waltersorf errichtet, 1959 (Sammlung Günther licher Grundstein der »Renaissance der Dinhobl). Eisenbahn«33 in Europa. Die geeignetsten Streckenbedingungen für Schnellfahrtests der ÖBB fanden sich in Niederösterreich : Am 5. September 1974 erreichte eine Lokomotive der Baureihe 1044 bei einer Messfahrt 176 km/h zwischen Wiener Neustadt und Neunkirchen34 und am 24. September 1987, dem Jahr des 150-jährigen Bestehens der Eisenbahnen in Österreich, 31 Schienengleiche Eisenbahnübergänge. In : Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen (Hg.) : Nachrichtenblatt der Österreichischen Bundesbahnen, 12. Stück, 1. Juni 1959. Wien 1959, S. 163–166. 32Wegenstein, Eisenbahnknoten. 33 Europäische Kommission (Hg.) : FTE info. Magazin für die Europäische Forschung, Nr. 34 (Juli 2002). Brüssel 2002 S. 30. 34 Neue österreichische Thyristorlokomotive stellt Geschwindgkeitsrekord auf. In : Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen (Hg.) : Die ÖBB in Wort und Bild, 11/1974. Wien 1974, S. 40 f. 60 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Der »20-Schilling-Blick« der zwischen 1968 und 1989 gültigen Banknote wurde zum Sinnbild der Semmeringbahn in der Landschaft (Sammlung Günther Dinhobl). konnte eine adaptierte Lokomotive der Baureihe 1044 erstmals die 200-km/h-Marke überschreiten : 241,1 km/h wurden auf der Nordbahn zwischen Stillfried und Drösing erreicht. Schließlich erfolgte ein Jahr später – österreichweit erstmals auf der Westbahn – die Anhebung der Streckenhöchstgeschwindigkeit auf 150 km/h. Ungeachtet aller Innovationen und Beschleunigungsbemühungen war der Zeitraum seit den 1970er Jahren von Streckenstilllegungen gekennzeichnet, wobei insbesondere im Wein- und Waldviertel zahlreiche (Neben-)Strecken wegen der immer stärker werdenden Konkurrenz von Autobus und Auto ins Hintertreffen gerieten. Trotzdem blieb Niederösterreich mit einer Länge des Schienen-Streckennetzes von 2246 Kilometer (1995) bzw. einer spezifischen Netzlänge von 1,48 Meter pro Einwohner/-in im österreichischen Vergleich auch weiterhin das Bundesland mit dem umfangreichsten und dichtesten Schienennetz.35 Die späten 1980er Jahre brachten den Beginn des viergleisigen Ausbaus der Westbahn, welcher westlich von St. Pölten begonnen wurde. 1994 konnte der erste Ausbauabschnitt Pöchlarn–Krummnußbaum–Säusenstein–Ybbs an der Donau in Betrieb genommen werden, während der Komplettausbau von Wien über St. Pölten bis nach Oberösterreich im Jahr 2012 fertiggestellt sein soll. Dieser streiflichtartige Längsschnitt der niederösterreichischen Eisenbahnge35 Vgl. : 0,99 Meter/Einwohner/-in im Burgenland und 0,89 Meter/Einwohner/-in in der Steiermark ; Bundesministerium für Wissenschaft, Kunst und Verkehr (Hg.) : Eisenbahnstatistik der Republik Österreich. Wien 1996 ; Anzahl EinwohnerInnen : Statistik Austria, http ://www.statistik.at/web_de/static/jahresdurchschnittsbevoelkerung_seit_1961_nach_bundeslaendern_45471_022312.xls (20. 7. 2007). Unterwegs in Niederösterreich 61 schichte soll verdeutlichen, dass die Eisenbahn nicht nur eine tragende verkehrstechnische Rolle im Bundesland spielte und spielt, sondern vielschichtige Auswirkungen auf die Menschen hat und auch – zu erinnern ist an die 20-Schilling-Banknote mit der Ansicht des Semmeringbahn-Viaduktes, die zwischen 1968 und 1989 im Umlauf war – identitätsstiftende Funktionen innehatte. Eisenbahngeschichte stellt ein sehr weites Feld dar – es hier sei exemplarisch auf die im Zuge des Ora- history-Projektes »Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen« erfassten Lebensgeschichte des niederösterreichischen Lokführers A. Katzbeisser hingewiesen36 –, sie wird jedoch in ihrer ganzen Tragweite nur selten untersucht. In anderen Ländern ist eine derartig breit angelegte Eisenbahngeschichte besser etabliert.37 Der Straßenverkehr Die Straßen der frühen 1920er Jahre waren im Allgemeinen nur für Pferdefuhrwerke geeignet und darüber hinaus nach dem Ersten Weltkrieg, schenkt man zeitgenössischen Quellen Glauben, in schrecklichem Zustand. Weder ihre Trassierung noch ihre Oberfläche waren für das Automobil und dessen Dynamik geeignet. Zahlreiche Engstellen, scharfe Kurven, große Steigungen und Gefälle, für das Auto ungeeignete Querneigungen etc. erlaubten nur mäßige Geschwindigkeiten, geringen Fahrkomfort und wenig Sicherheit. Meist waren die Straßen im Freiland Schotterstraßen, auf denen ein Automobil enorme Staubwolken verursachte oder nach Regenfällen im Schlamm versank. Angesichts der ständig steigenden Zahl von Kraftfahrzeugen konnte die Bundesregierung nicht länger tatenlos zusehen, zumal auch die Autofahrer-Clubs und die Österreichische Gesellschaft für Straßenwesen Druck machten. Zumindest die Bundesstraßen bedurften dringend einer Anpassung an das Automobil und die größer gewordenen Belastungen. Zunächst musste der Staub gebunden und das Wasser effizienter abgeleitet werden, Engstellen sollten entschärft und schließlich musste die Linienführung verbessert werden. Das bedeutete, dass die wichtigsten Bundesstraßen praktisch neu trassiert werden mussten, und zwar mit überhöhten Kurven, mit größeren Radien, weniger kurvenreich, mit möglichst langen Geraden, mit Ortsumfahrungen, neuen Brücken mit höherer Tragfähigkeit und besseren, der spezifischen Belastung angepassten Straßenoberflächen. 1926 arbeitete das Bundesministerium für Handel und Verkehr ein Programm unter dem Titel »neuzeitliche Ausgestaltung (Instandsetzung) der Bundesstraßen« aus, demzufolge das Bundesstraßennetz etappenweise, der Bedeutung des jeweiligen Straßenzuges entsprechend, ausgebaut werden sollte. Die 1927 ausgegebenen Richt36 Katzenbeisser, »Zwischen Dampf«. 37 Dinhobl, Eisenbahn/Kultur. 62 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Tabelle : In Niederösterreich zugelassene Kraftfahrzeuge, 1920–200038 Lkw Autobusse einspurige Kfz Pkw 1920 575 1930 2.472 2.479 389 9.090 1.601 16.031 1,7 1937 4.811 3.140 438 16.101 3.817 28.307 3,3 1939 9.491 1948 4.140 5.361 191 19.325 4.919 33.936 3,3 1955 19.171 10.610 453 64.359 22.418 117.011 15,3 1960 66.412 14.253 513 69.972 53.774 204.924 53,1 1970 212.745 22.915 708 152.311 98.234 486.913 154,8 1980 438.229 37.215 1.031 133.793 123.857 734.125 308,4 1990 615.619 51.879 983 126.944 141.269 936.694 431,2 2000 862.650 71.352 1.022 144.059 154.942 1.234.025 585,3 446 Sonstige Summe Motorisierungsgrad (Pkw/1.000 Einwohner Jahr 468 0,4 26.826 5,6 linien sahen einen Ausbau auf 6 Meter Breite, Mindestsichtweiten, Mindestradien und eine Ausbaugeschwindigkeit von 60 km/h vor.39 Die 1925/26 erste bundesweit durchgeführte Verkehrszählung sowie jene von 1928/29 lieferten die Grundlagen für die Bewertung der einzelnen Straßenzüge.40 Sie zeigten, dass der Kraftwagenverkehr auf den niederösterreichischen Bundesstraßen bereits dominierte und auf einigen besonders belasteten Straßenzügen bereits 70 bis 90 % des Gesamtverkehrs ausmachte. Ein relativ großer Anteil der vordringlich zu sanierenden Fernstraßen entfiel daher auf Niederösterreich.41 Für 1928 waren erstmals finanzielle Mittel vorgesehen. Ende 1931 38 Quellen : Das Bundesland Niederösterreich 1920–1930, S. 119. – Statistik der Kraftfahrzeuge in Österreich 1930 bzw. 1937. – Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 59.1941/42, S. 8, 260. – BestandsStatistik der Kraftfahrzeuge in Österreich 1948 ff. Bevölkerungszahlen bezogen auf die Ergebnisse der jeweils letzten Volkszählung, Bestandszahlen 1939 für den Gau Niederdonau ohne sudetendeutsche Gebiete bezogen auf den Bevölkerungstand vom 17. 5. 1939 ; jeweils ohne Anhänger (Stichtage : 30. 11. 1920, 30. 9. 1930, 31. 12. 1937, 1. 7. 1939, ab 1948 : 31. 12.). 39 Schneider, Richtlinien. 40 Schneider, Verkehrszählungen, S. 449. 41 Dorninger, Smola, Ausbau der Bundesstraßen. Unterwegs in Niederösterreich 63 waren 500 Kilometer fertiggestellt, doch die Wirtschaftskrise brachte einen Baustopp. Erst der »Ständestaat« nahm das Projekt wieder auf, um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.42 1936 waren 1300 von 1600 Kilometern fertig. Auch das untergeordnete Straßennetz (Bezirksstraßen) wurde unter großem finanziellen Aufwand instand gesetzt. Zahlreiche Brücken wurden erneuert, vielfach ersetzte man Holzbrücken durch moderne Beton- oder Eisenbetonkonstruktionen.43 Aufsehen erregte die 1932 eröffnete Straße auf die Hohe Wand. Ursprünglich nur zur leichteren und sichereren Holzbringung gedacht, erkannte man rasch ihre mögliche Bedeutung für den Fremdenverkehr. Sie wurde daher nicht nur als Güterweg, sondern als vollwertige Ausflugsstraße in den Felsen gesprengt. Für die Benützung der als Wunderwerk der Technik gepriesenen Aussichtsstraße war allerdings eine nicht geringe Mautgebühr zu entrichten. Doch von nun an war es möglich, mit dem Autobus in einer Dreiviertelstunde vom Wiener Neustädter Hauptplatz auf das Hochplateau zu gelangen.44 Wesentlich weiter gingen die Vorschläge der beiden Zivilingenieure Franz Gaudernak und Bernhard Merth. Sie publizierten 1926, zutiefst beeindruckt von einer Fahrt auf den italienischen Autobahnen um Mailand, den ersten bekannten Entwurf für eine österreichische Autobahn, und zwar für eine weitgehend schnurgerade Autostraße von Wien zum Semmering. Die Verbindung zwischen Wien und Wiener Neustadt war damals eine der am stärksten befahrenen Straßen Österreichs. Aber auch an den Ausflugsverkehr zu Rax und Semmering – 1926 wurde die Raxseilbahn eröffnet – dachten die Verfasser. »Dadurch wird das Alpengebiet viel näher an Wien herangerückt und ohne von der Fahrt ermüdet zu sein, kann sich der Fahrer ab Gloggnitz den Naturschönheiten widmen.«45 Das Projekt versandete schließlich in den Mühlen der Bürokratie zwischen der Niederösterreichischen Landesregierung und dem Bundesministerium für Handel und Verkehr.46 Wie eine 1937/38 durchgeführte Verkehrszählung zeigte, gab es keinen nennenswerten Fernverkehr mit dem Kraftfahrzeug, lediglich im Einzugsbereich der Ballungsräume war der Verkehr mitunter sehr stark.47 Über größere Distanzen jedoch war die Bahn sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr weiterhin effizienter. Der nach 42 Schneider, Ausbau. 43Riedl, Bezirksstraßen ; vgl. Kammerhofer, Niederösterreich zwischen den Kriegen, S. 141. 44Flanner, Hohe Wand, S. 56–59. 45 Merth, Autostraße Wien–Semmering, S. 465. 46Ausführlich dazu : Kreuzer, Tempo 130, S. 36–37 ; bzw. geringfügig erweitert : Kreuzer, Schnelle Straßen. 47 Die am stärksten belastete Straße war die Triester Straße, hier wurden am südlichen Wiener Stadtrand über 3200 Fahrzeuge innerhalb von 24 Stunden gezählt, vor Wiener Neustadt immerhin noch knapp 1600. Zwischen Wien und Korneuburg zählte man über 1200 Fahrzeuge, an der Wiener Westeinfahrt über 1800. Rund um St. Pölten hingegen war die Verkehrsbelastung mit maximal 700 Fahrzeugen bereits deutlich geringer. Quelle : Generalinspektor, Kraftverkehr, Tafel XXI. 64 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer dem »Anschluss« forcierte Bau der Reichsautobahn Salzburg–Wien war demnach eine vorauseilende Angebotsplanung : Erst das Angebot guter Straßen ließ eine Nachfrage nach motorisiertem Fernverkehr entstehen. Doch so weit kam es ja in Österreich gar nicht. Bis zur Einstellung der Bauarbeiten Ende 1942 wurden nur wenige Kilometer bei Salzburg dem Verkehr übergeben. Was übrig blieb, waren zahllose Brückenfundamente und -widerlager, Erddämme und vor allem detaillierte Planungen, auf die beim Weiterbau nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgegriffen werden konnte. Wesentlich erfolgreicher war das ebenfalls im Frühjahr 1938 in Angriff genommene »Sofortprogramm«, in dessen Rahmen vor allem die Staubfreimachung der wichtigsten Bundesstraßen, insbesondere in Hinblick auf die bevorstehende Sommersaison, verfolgt wurde. In Melk begannen 1939 die Arbeiten an einer Ortsumfahrung, angeblich, weil es beim Einmarsch der deutschen Truppen im März 1938 zu einem Verkehrschaos gekommen war.48 Relativ unspektakulär verlief die Umstellung auf Rechtsverkehr am 3. Oktober 1938 gemeinsam mit Wien und dem nördlichen Burgenland, nachdem die übrigen noch rechts fahrenden Bundesländer bereits mit 1. Juli umgestellt hatten. Damit kam ein mittlerweile beinahe 20 Jahre währender Umstellungsprozess zum Abschluss. Nach dem Kriegsende war der Wiederaufbau der Straßenverkehrsinfrastruktur und vor allem der Brücken vordringlich. Über 500 Brücken waren gesprengt worden, davon 83 Bundesstraßenbrücken. Es dauerte ein Jahrzehnt, um die ärgsten Kriegsschäden zu beheben. Erst mit dem Abzug der sowjetischen Besatzung begann die Modernisierung und der Ausbau des landesautonomen Straßennetzes.49 Mit dem Niederösterreichischen Landesstraßengesetz 1956 wurde eine neue Rechtsgrundlage für die autonomen Straßen geschaffen. Waren noch 1960 drei Viertel des untergeordneten Straßennetzes nicht staubfrei, so gelang es bis zur Mitte der 1970er Jahre, etwa drei Viertel zu asphaltieren und bis zur Mitte der 1980er Jahre ein fast völlig staubfreies Straßennetz zur Verfügung zu haben.50 Die ersten großen Ausbauvorhaben betrafen die Umfahrung Melk (1949), die Ortsdurchfahrt Wiener Neustadt (1954) und den Neubau der Donaubrücke Tulln (1950). Nach dem 1954 bis 1961 erfolgten Ausbau der Stein-Emmersdorfer und der Mauthausener Bundesstraße (heute B3 Donaustraße) war dieser Straßenzug der einzige in Niederösterreich, der auf einer größeren Länge den modernen Verkehrserfordernissen entsprach.51 Die bedeutendsten Brückenbauten der Folgezeit waren die Donaubrücken von Hainburg (1972), Melk und Krems (beide 1973). Dies hatte natürlich 48 Eggarter, Umfahrungen, S. 24. In der einschlägigen Literatur findet sich kein Hinweis darauf : vgl. Flossmann, Stadtbuch Melk, S. 699 ; Harrer/Schmid, Melk 1938–1945. 49 Partsch, Drittel, S. 248. 50 Partsch, Drittel, S. 253. 51 Partsch, Drittel, S. 251. Unterwegs in Niederösterreich 65 Autobahnknoten Steinhäusl, 1967 (Bundesministerium für Bauten und Technik : Die Autobahn Wien - Salzburg, Wien 1967). die Stilllegung von Rollfähren zur Folge. Jene in Melk hatte noch wenige Jahre zuvor jährlich 160.000 Pkw, 48.000 Fahrräder und 12.000 Lkw befördert.52 1954 wurde aber auch ein großes Projekt der Nazizeit wiederaufgenommen, der Bau der Autobahn Salzburg–Wien, und zwar nicht, weil es aus verkehrstechnischer Sicht notwendig gewesen wäre, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, sondern vielmehr aus volkswirtschaftlichen Erwägungen, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Förderung des Tourismus. Zudem sollte das bereits investierte Kapital in Form der Erddämme und Fundamente verwertet werden. Die Planungen wurden dabei weitgehend übernommen, allein die Trassenführung im Wienerwald wurde lange diskutiert. Bereits im Dezember 1958 konnte der erste, 50 Kilometer lange Abschnitt dem Verkehr übergeben werden, 1969 war die Westautobahn in Niederösterreich fertiggestellt. 1959 erfolgte der Spatenstich für die Südautobahn. Es folgten die Wiener Außenringautobahn (A21), die Donauuferautobahn (A22), die Ostautobahn (A4) und die Südostautobahn (A3). Derzeit in Bau ist die Nordautobahn (A5) und der sogenannte Ring der Regionen rund um die Bundeshauptstadt. 52 Manlik, Donauübergänge, S. 71 (Daten für 1966). 66 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Mit dem Bundesstraßengesetz 1971 war auch ein dichtes Netz an Schnellstraßen als Ergänzung zu den Autobahnen vorgesehen, das allerdings nur teilweise verwirklicht wurde. So blieb etwa die Waldviertler Schnellstraße bereits im Weinviertel stecken. Andererseits finanzierte das Land Niederösterreich die Kremser Schnellstraße zwischen Krems und St. Pölten vor, um diese wichtige Verbindung früher realisieren zu können. Die Erhebung St. Pöltens zur Landeshauptstadt und der Fall des Eisernen Vorhanges 1989 hatten schließlich eine gewisse Umorientierung der Verkehrsströme zur Folge. Das Fahrrad Eine Aufarbeitung der Radfahrgeschichte nach dem Ersten Weltkrieg und hier besonders des Niedergangs des Fahrrads während der Massenmotorisierung sowie des neuerlichen Aufschwunges seit den 1970er Jahren steht bislang aus.53 Vielleicht deshalb, weil Innovationen zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschlossen schienen (Sicherheit, Technik, Massenfertigung, individuelle Mobilität, Akzeptanz seitens der Behörden, Reklame, Mode, Frauenemanzipation). Das technisch bereits seit 1890 ausgereifte Fahrrad erlebte nach dem Ersten Weltkrieg einen zweiten Boom. Das Fahrrad wandelte sich durch Rationalisierung und Produktion hoher Stückzahlen vom exklusiven Sportgerät der gehobenen Gesellschaft zum industriellen Massenprodukt und unentbehrlichen Verkehrsmittel im Alltag. Die Bedeutung des Fahrrades als billigstes Fortbewegungsmittel für die wenig finanzkräftigen Schichten, die dadurch ihre knapp bemessene Freizeit besser nutzen und der Stadt und der tristen Wohnsituation wenigstens am Wochenende leichter entfliehen konnten, kann gar nicht überschätzt werden. An warmen Sommerwochenenden verstopften Scharen von Radfahrern die Ausfallstraßen der Städte. Tagesleistungen von 100 Kilometern waren nicht außergewöhnlich. Abgesehen von der Verwendung des Fahrrades für den täglichen Weg zur Arbeit gewann das Rad darüber hinaus im täglichen Lieferverkehr große Bedeutung. Durch die zunehmende Verwendung des Rades im Berufsleben entwickelte die Industrie eine Vielfalt von speziellen Nutzrädern, die nicht nur zur Personenbeförderung, sondern auch zum Transport von Lasten jedweder Art eingesetzt wurden. Zeitungsboten fuhren damit die Gazetten aus, Bäckerjungen lieferten das Brot und sogar die Post verwendete Fahrräder im Zustelldienst.54 Doch bereits das erste zaghafte Auftreten von Automobil und Motorrad während der 1930er Jahre führte zu einer radikalen Trendwende in der Verkehrspolitik – zuungunsten des Fahrrades. Zwar ließen der zunehmende Kraftfahrzeugverkehr und die 53Auch Hochmuth, Kommt Zeit, geht nur auf einige Aspekte ein. 54 Hochmuth, Kommt Zeit, S. 96. Unterwegs in Niederösterreich 67 steigenden Unfallzahlen gerade unter Radfahrern (und Fußgängern) die Anlage von gesicherten Radwegen umso dringlicher erscheinen, es ging jedoch weniger um die Sicherheit der Radfahrer als darum, die Fahrbahn von Hindernissen frei zu machen, um dem Automobil »freie Bahn zu schlagen«. Das Hindernis waren die Radfahrer. Eine Entflechtung der Verkehrsarten, also eigene Wege für das Automobil, für das Fahrrad, ja sogar für den Fußgänger schienen eine substanzielle Verbesserung zu bieten, und zwar sowohl im Hinblick auf einen besseren und homogeneren Verkehrsfluss als auch im Sinne einer Erhöhung der Verkehrssicherheit. Aber es gab nur wenige Radwege, sowohl innerstädtisch als auch an den Hauptverkehrsstraßen. Einer davon verlief entlang der Triester Straße. Das NS-Regime beeilte sich zwar, die erst kurz zuvor eingeführte Fahrradabgabe wieder aufzuheben, doch das Hauptaugenmerk galt der – durchaus ambivalenten – Förderung des motorisierten Individualverkehrs. Mit Kriegsausbruch kam dieser allerdings sukzessive zum Erliegen. Um Treibstoff zu sparen, wurde der motorisierte Privatverkehr radikal eingeschränkt. Das Radfahren wurde zwangsläufig neben dem Zufußgehen wieder zur vorherrschenden Fortbewegungsart. Auf diese Phase einer starken Stellung des Fahrrads bis etwa 1950 folgte eine Phase des relativen Bedeutungsrückgangs, der freilich unterschiedlich stark ausfiel. Das Rad wurde vom Auto und einer autoorientierten Planung buchstäblich verdrängt. Von den ohnehin wenigen vorhandenen Radwegen in Niederösterreich (1958 : 47,5 Kilometer)55 fiel so mancher einer Straßenverbreiterung zum Opfer. Die von den USA ausgehende Verwissenschaftlichung und Mathematisierung der Verkehrsplanung sah keinen Platz für das Radfahren vor. Dies ging soweit, dass im Rahmen von Verkehrszählungen, die das Um und Auf jeder Verkehrsplanung wurden, alle Verkehrsmittel in Pkw-Einheiten umgerechnet wurden und ein Fahrrad absurderweise mit 0,25 PkwEinheiten gewertet wurde. Derart konnte das Fahrrad nur marginalisiert werden. Der Straßenraum verlor allmählich seinen ursprünglichen multifunktionalen Charakter als Aufenthalts-, Spiel- und Verkehrsraum und mutierte zum ausschließlichen, weil monofunktionalen Verkehrsraum. Zugunsten des fließenden motorisierten Verkehrs wurde der Straßenraum gleichsam »ausgeräumt« : Die Autobesitzer eigneten sich somit sukzessive den Straßenraum an, während gleichzeitig die übrigen Straßennutzer »kalt enteignet« wurden.56 Etwa ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre trat das Fahrrad – unter anderem im Gefolge der Energiekrise und im Zusammenhang mit dem Erstarken der Umweltbewegung – wieder vermehrt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Vor allem 55Radwegebau im Fremdenverkehrsland Österreich, S. 24. 56 Dieser Prozess setzte bereits in der Zwischenkriegszeit ein, vgl. Angelmahr, Transport, S. 896–898 ; Machatschek, Straßenfreiräume ; für Linz : Kreuzer, Verkehr und Straße, S. 109–110 ; allgemein : Bendikat, Stadtraum, S. 114–120 ; Kreuzer, Lebensraum, S. 16–21. 68 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer im Freizeitbereich erlebte das Radfahren einen wahren Boom, der sich im Ausbau des touristischen Radwegenetzes und der dazugehörenden Infrastruktur äußerte. Von besonderer Bedeutung war und ist hier der Donauradweg. Die neuen Typen des Mountain- und Citybikes spiegeln diese neuen Entwicklungen deutlich wider. Heute werden an Spitzentagen in der Wachau bis zu 1400 Radfahrer gezählt. Im Berufsverkehr freilich bleibt die Bedeutung des Fahrrades im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln meist marginal. Die Schifffahrt Die Donau ist mit knapp 2900 Kilometern der zweitlängste Strom Europas und seit Jahrtausenden ein bedeutender West-Ost-Transportweg. Der ca. 210 Kilometer lange niederösterreichische Streckenabschnitt der Donau ist zur Gänze schiffbar, wenn auch einzelne Abschnitte wie die Wachau einzelne Hindernisse aufweisen. Die fünf in Niederösterreich liegenden, im Laufe des 20. Jahrhunderts errichteten Flusskraftwerke dienen nicht nur der Versorgung mit elektrischer Energie, sondern haben wegen der Stauhaltung und der damit einhergehenden Gewährleistung einer bestimmten Mindest-Wassertiefe eine große Bedeutung für die heutige Schifffahrt. Im Jahr 1829 wurde die »Erste Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft« (DDSG) gegründet, die »stets die einzige österreichische Donaureederei«57 war. Nach dem Ersten Weltkrieg musste die Hälfte der Flotte an die anderen Nachfolgestaaten abgegeben werden, was wie bei der Eisenbahn massive Veränderungen und Einschränkungen mit sich brachte. Trotzdem wurden in der Zwischenkriegszeit Dampfschiffe von Motorschiffen sowie Raddampfer von Schraubenschiffen abgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde infolge der Teilung Österreichs in vier Besatzungszonen auch die DDSG aufgeteilt – in eine von den Amerikanern in Linz verwaltete und eine von den Sowjets verwaltete in Wien. In weiterer Folge ging die DDSG aufgrund des im Jahr 1946 erlassenen Verstaatlichungsgesetzes in das Eigentum der Republik Österreich über. Im Rückblick des Österreichischen Rechnungshofes musste jedoch für deren »Aufrechterhaltung […] der Staat erhebliche finanzielle Opfer [bringen], weil die Gesellschaft immer auf die Unterstützung aus dem Bundeshaushalt angewiesen«58 war. So entschloss sich zu Beginn der 1990er Jahre der Eigentümer zunächst zur Ausgliederung von den Sparten Güter- und Personenverkehr, »um für sie getrennt – vornehmlich österreichische – Partner zu finden«59. Im Juli 1991 erfolgte die Grün57Rechnungshof (Hg.) : Sonderbericht des Rechnungshofes : Erste Donau–Dampfschiffahrts-Gesellschaft (Reihe Bund 1994/5). Wien 1994, http ://www.rechnungshof.gv.at/fileadmin/downloads/Berichte/Berichte_bis_2006/Bund/Bund_1994_5/Bund_1994_5.pdf (24. 7. 2007), S. 5. 58Rechnungshof Reihe Bund 1994/5, S. 5. 59Rechnungshof Reihe Bund 1994/5, S. 3. Unterwegs in Niederösterreich 69 dung der Tochtergesellschaften DDSG–Cargo GesmbH für die Frachtschifffahrt und DDSG–Donaureisen GesmbH für die Personenschifffahrt und Ende 1993 konnte als erstes die DDSG–Cargo GesmbH an die Stinnes AG verkauft werden (und 1997 an Gerhard Meier AG).60 Seit den 1970er Jahren zeigt der Güterverkehr auf der Donau ein leichtes Wachstum : Wurden 1970 7,6 Millionen Tonnen Güter transportiert, so waren es im Jahr 1990 rund 8,1 Millionen Tonnen.61 Hafenanlagen befinden sich in Krems und in Enns-Ennsdorf im westlichen Niederösterreich, das zu Beginn der 1990er Jahre umfangreich vergrößert wurde, sowie in Korneuburg und in Pischelsdorf. Diese Häfen haben nicht jenen Ballungs- und Industrieraum wie Linz oder Wien im Hintergrund, und so waren die niederösterreichischen Häfen im Jahr 1990 nur zu 12 % am gesamtösterreichischen Güterumschlag auf der Donau beteiligt.62 Der Personenverkehr besteht aus vier Segmenten : dem internationalen Verkehr Passau–Schwarzes Meer, dem regionalen Ausflugsverkehr in der Wachau, dem Städteverkehr zwischen Wien und Pressburg sowie der Sportschifffahrt (Motorboot, Segelboot, Kanu etc.). Die Zahl der im Rahmen der kommerziellen Schifffahrt auf der Donau beförderten Personen pendelt sich seit den 1980er Jahren bei rund einer halben Million Personen pro Jahr ein.63 Donauschifffahrt bedeutet aber auch »Querverkehr« in Form von Fähren. Neben acht Straßenbrücken auf niederösterreichischem Gebiet – sechs davon wurden nach 1945 errichtet – ermöglichen sechs Fähren (davon drei auch für Pkw) die Querung der Donau, drei davon in der Wachau .64 Die niederösterreichische Landesregierung veröffentlichte im Jahr 1992 das Niederösterreichische Schifffahrtskonzept. Darin wird die Bedeutung der Donau als europäische Transitverkehrsachse von Nordwesten nach Südosten (und umgekehrt) hervorgehoben – insbesondere seit der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals im Jahr 1992 – und besonders auf die Kapazitätsreserven hingewiesen. Im Zuge der Verbesserungsmöglichkeiten wird auf die »Schifffahrtshindernisse« in der Wachau sowie zwischen Wien und der Staatsgrenze bei Pressburg eingegangen, insbesondere gilt die nicht ganzjährig sichergestellte Wassertiefe als Schwachstelle und damit als Ansatzpunkt für Verbesserungen. Ziel des Ausbaues ist, die Donau mit Güterschiffen der Tragfähigkeit bis 2000 Tonnen ganzjährig befahren zu können.65 60Rechnungshof Reihe Bund 1994/5, S. 4 61 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 7, S. 21. 62 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 7, S. 18. 63 Statistik Austria : Entwicklung des Personenverkehrs auf der Donau ; Pemsel, Donauschiffahrt. 64 Schettek, Donauübergänge ; NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 7, S. 23 ; Manlik, Donauübergänge. 65 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 7, S. 4 ff. 70 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Die Luftfahrt Die Luftfahrt hat in Niederösterreich einige Bedeutung erlangt, wobei sie jedoch in den seltensten Fällen einem Binnenverkehr diente. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten alle Kriegsflugzeuge zerstört bzw. an die Siegermächte abgeliefert werden. Dennoch begann schon 1919 von Wiener Neustadt ausgehend ein Bedarfsluftverkehr.66 Die 1932 gegründete »Österreichische Luftverkehrs AG« startete schließlich vom Flughafen Wien-Aspern aus, wobei in jener Zeit Flugreisen Luxus waren : Innerhalb von 15 Jahren (1923–1938) wurden 120.000 Passagiere befördert, das sind durchschnittlich 8000 Passagiere pro Jahr.67 Der 1938 gebaute Luftwaffenstützpunkt und Versuchsflughafen am »Heidfeld« bei Schwechat wurde 1947 für den zivilen Flugverkehr geöffnet.68 Sieben Jahre später erfolgte die Übertragung der Rolle des Flugplatzes in Aspern als internationaler Flughafen von Wien auf den Flughafen Schwechat. Seitdem zeigt sich ein stetiger Expansionskurs des Flughafens Schwechat (Vienna International Airport) : Im Jahr 1975 wurden in Wien-Schwechat etwa 43.400 Flugbewegungen registriert, und ein Jahrzehnt später verdoppelte sich diese Zahl auf mehr als 91.000 (1991). Ebenso stieg die Zahl der Fluggäste von knapp 2,2 Millionen auf rund 5,7 Millionen Fluggäste im selben Zeitraum und 1991 wurden etwa 81.000 Tonnen Luftfracht befördert.69 Derart entwickelte sich Schwechat mit knapp drei Viertel des gesamten österreichischen Fluggastaufkommens (1991) zum größten und bedeutendsten Flughafen Österreichs.70 Der zweite heute auch der internationalen Luftfahrt zur Verfügung stehende Flughafen liegt in Bad Vöslau und wird von der Betriebsgesellschaft des Flughafens WienSchwechat mitbetreut. Hier ist quasi das Zentrum des nichtgewerbsmäßigen Motorflugbetriebes. Weitere vom Flugverkehr frequentierte, allerdings private Flughäfen befinden sich in Wiener Neustadt (zwei Flugfelder – West und Ost), Spitzerberg, während die Flugfelder Tulln-Langenlebarn (auch Bundesheer), Stockerau, Krems-Langenlois, Völtendorf, St. Georgen, Seitenstetten und Dobersberg eher lokale Bedeutung für die Sportfliegerei, den nichtgewerbsmäßigen Motorflugbetrieb und den Segelflugbetrieb haben.71 66 Keimel, Luftfahrzeugbau, S. 15 ; Stangler, Luftfahrt. 67 Keimel, S. 15 ; Lenotti, Vier Jahrzehnte. 68 Gutkas, Geschichte Niederösterreichs, S. 274. 69 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 8, S. 4 f. 70 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 8, S. 14. 71 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 8, S. 7. Unterwegs in Niederösterreich 71 Entwicklungsstränge Die »Sattelzeit« der 1920er und 1930er Jahre : Konkurrenz Straße – Schiene – Luftfahrt Die zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts waren zweifellos eine Zeit des Umbruchs im Verkehrswesen. Wohl dominierte die Eisenbahn sowohl im Personenals auch im Güterverkehr weiterhin, doch zeichnete sich bereits bald nach dem Ersten Weltkrieg harte Konkurrenz von zwei Seiten ab : im Nahverkehr von der Straße und im Fernverkehr von der Luft. Die Konkurrenz auf der Straße kam nicht, wie man vielleicht erwarten würde, vom privaten Automobil – seine Verbreitung war noch viel zu sehr auf die Oberschicht beschränkt – sondern vielmehr vom Autobus und vom Lastkraftwagen. Der Autobus bot all jenen ein motorisiertes Fortkommen, die sich noch kein eigenes Kraftfahrzeug leisten konnten, und war überdies in den von der Bahn schlechter erschlossenen Landesteilen eine willkommene Ergänzung des Verkehrsangebotes. Im Güternahverkehr erwuchs der Bahn im Lastkraftwagen eine starke Konkurrenz, da der Lkw billiger, schneller und vor allem flexibler einzusetzen war. Besonders der Transport verderblicher Güter konnte somit effizienter erfolgen. Der Einzugsbereich des Lastkraftwagens nahm rasch zu. Über das größte Busliniennetz verfügte die Österreichische Post. 1928 gründeten die Bundesbahnen als Antwort auf die zunehmende Konkurrenz der Post und privater Betreiber einen eigenen Busbetrieb, die »Bundesbahn-Kraftwagen-Unternehmung«, ab 1933 unter dem Kürzel »KÖB« (Kraftwagenbetrieb der Österreichischen Bundesbahnen). Dieser betrieb oft parallel zur Bahn verlaufende Linien, um lästige Konkurrenz gar nicht erst aufkommen zu lassen. Mit der Übernahme der LOBEG (Lastwagen- und Omnibus-Betriebs-Gesellschaft m.b.H.), die von Mödling, Krems und Neulengbach aus große regionale Netze aufgebaut hatte, konnten die ÖBB 1931 den größten Konkurrenten ausschalten. Mindestens ebenso effizient waren jedoch ordnungspolitische Maßnahmen der Regierung, die naturgemäß ein vitales Interesse an der Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der Bundesbahnen hatte. Nicht nur die Vergabe oder Nicht-Vergabe von Konzessionen für beantragte Linien bot ein willkommenes Instrument zur Marktregulierung, sondern auch die amtliche Regelung der Tarife. Die 1933 erlassene Lastkraftwagenverkehrsordnung bevorzugte eindeutig die Eisenbahn, indem der Autogütertransport auf eine gewisse höchstzulässige Distanz beschränkt und die Tarife amtlich vorgegeben wurden. Der Fernverkehr der Bahn sollte damit geschützt werden, während der Nah- und Werksverkehr quasi den Privatunternehmern überlassen wurde.72 Wie in anderen Ländern auch, hielten die Diskussionen über eine Organisation des Verkehrswesens zwischen Schiene und Straße, über eine Regelung der Konkurrenz zwischen altem und neuem Verkehrsmittel, über die Anlastung der (externen) Kos72Ausführlich dazu : Schmid/Staudacher/Lindenbaum, Automobil holt auf, S. 190 f. 72 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer ten, über die zu tätigenden Investitionen in die verschiedenen Verkehrsträger und die Rolle des Staates in dieser Frage die ganze Zwischenkriegszeit an. Im Fernverkehr erwuchs der Bahn – allerdings nur im sehr speziellen Segment der Luxuszüge – eine immer stärker werdende Konkurrenz durch das damals schnellste, modernste, luxuriöseste und damit elitärste Verkehrsmittel, das Flugzeug. Als etwa die Compagnie Franco-Roumaine de Navigation Aérienne 1922 eine Flugverbindung von Prag über Wien nach Bukarest aufnahm, entstand damit eine gegenüber dem OrientExpress wesentlich attraktivere, weil schnellere und prestigereichere Verbindung. Die Konkurrenz des Flugzeuges betraf zwar nur eine kleine, aber umso zahlungskräftigere Personengruppe, doch wurden die Luxuszüge in der bisherigen Form unrentabel. Der Orient-Express wurde daher nach 1922 für Reisende der 2. Klasse geöffnet, um als Kompensation neue Kundenschichten zu gewinnen.73 Darüber hinaus bestand die Antwort der Bahn darin, die Fernreisezüge zu beschleunigen, um sie somit gegenüber dem Flugzeug konkurrenzfähig zu halten. Ähnlich wie gegenüber der Konkurrenz seitens des Automobils suchte die Bahn durch Kapitalbeteiligungen an den neu gegründeten Fluggesellschaften ihre Interessen zu wahren. Wenn wir nun dieses Konkurrenzdreieck aus Bahn, Auto und Flugzeug um das Fahrrad als im Stadtverkehr dominierendes Verkehrsmittel74 erweitern, so wird deutlich, dass in den 1920er und 1930er Jahren die Bahn ihre jahrzehntelange Vorrangstellung einzubüßen begann und an Stelle des Fast-Monopols eine Vielfalt von Verkehrsmitteln trat, wobei jedes in einem bestimmten Segment eine überaus starke Stellung eroberte. Dabei war zu dieser Zeit noch keineswegs klar, ob sich eines dieser Verkehrsmittel auf so breiter Front, so ubiquitär werde durchsetzen können wie einst die Eisenbahn. Aus heutiger Sicht ist deutlich, dass das Automobil aus diesem Konkurrenzkampf als Sieger hervorging. Doch sollte man aufgrund dieser Perspektive nicht die anderen, damals durchaus möglichen Entwicklungspfade ignorieren. Im Stadtverkehr hätte sich etwa sehr wohl, eine entsprechende Verkehrspolitik vorausgesetzt, ein Umweltverbund aus öffentlichem Verkehr und Fahrrad stärker durchsetzen können. Und den Zeitgenossen erschien ein individueller Luftverkehr offensichtlich genauso realistisch wie ein individueller motorisierter Verkehr. Die Zwischenkriegszeit war somit eine Zeit des Überganges, in der das Eisenbahnzeitalter zu Ende geht, aber die weitere Entwicklung zunächst noch völlig offen scheint, eine »Sattelzeit« eben, eine Anhöhe, an der sich Entwicklungspfade kreuzen und die Geschichte den einen oder den anderen Weg einschlagen kann. Erst in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre scheint immer deutlicher zu werden, dass dem Automobil die Zukunft gehören wird. Die Nationalsozialisten erkannten und verstärkten diesen Trend zum Automobil. 73Warmuth, Eisenbahn, Automobil und Flugzeug, S. 150, 152. 74 Vgl. Békési, Fahr-Rad in Wien ; Békési, Rad in Wien, S. 116–125 ; Kreuzer, 1 Fahrrad = 0,25 Pkw-Einheiten. Unterwegs in Niederösterreich 73 »Zwettl in der Zukunft«, Ansichtskarte 1910. Für zahlreiche Orte existieren ähnliche Ansichtskarten, z. B. Gmünd oder Neunkirchen. (Stadtarchiv Zwettl). Folgenreiches Intermezzo : Verkehr in der NS-Zeit Das NS-Regime heftete sich die Förderung der Motorisierung auf seine Fahnen und nutzte sie propagandistisch. Von Hitler existieren zahlreiche Bilder, die ihn im offenen Wagen zeigen. Dazu kamen steuerliche Erleichterungen für Autobesitzer, der Bau der Reichsautobahnen, der versprochene, aber nie ausgelieferte KdF-Wagen, die Reichsgaragenordnung, ja, in letzter Konsequenz förderte auch der Krieg selbst die Motorisierung, indem er weite Teile der männlichen Bevölkerung mit Technik, Motoren und Automobilen vertraut machte. Das war der Nährboden für die Massenmotorisierung der Nachkriegszeit. Insbesondere die Straßenverkehrsinfrastruktur bedurfte Ende der 1930er Jahre zweifellos eines Modernisierungsschubes, auch wenn Österreich im Vergleich zum »Altreich« noch schwächer motorisiert war. Die Straßenverhältnisse stellten sich »im wahrsten Sinne des Wortes erschütternd« dar.75 75Funktionär Karl Wollenberg in Wiener Neustadt am 12. 7. 1938, ÖStA, AdR, Bürckel-Akten, Büro Knissel RK 2, II 18, zit. nach : Hagspiel, Ostmark, S. 280, Anm. 136. Einen vor allem statistischen Überblick über das Verkehrswesen Österreichs zum Zeitpunkt des Anschlusses vermittelt eine im Auftrag des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit erstellte Studie : Gebert, Verkehrswirtschaft. 74 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Dazu kam das Problem der Umstellung auf die Rechtsfahrordnung. Seit 1919 stellte Österreich sukzessive von Links- auf Rechtsverkehr um, überwiegend aus Rücksicht auf ausländische Touristen in den westlichen Bundesländern und dabei dem allgemeinen Trend folgend. Jahrelanger Widerstand gegen die Umstellung auf die Rechtsfahrordnung kam vor allem von der Stadt Wien, da sie sich außerstande sah, die Kosten für die Umstellung des Straßenbahnnetzes aufzubringen.76 Als nun im März 1938 die Nationalsozialisten einmarschierten und die Macht übernahmen, schritten sie rasch zur Tat – genau dieses Bild vom Nationalsozialismus sollte auch vermittelt werden : dynamisch und zupackend, vor allem im Gegensatz zum »Ständestaat«, der »Systemzeit«. Vor allem ein Schlüsselprojekt der Nationalsozialisten wurde nach dem »Anschluss« forciert : der Autobahnbau. Am 20. März, nur acht Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen, wurde die erste Bauabteilung in Linz eingerichtet, deren Zuständigkeitsbereich bis Böheimkirchen reichte. Mit 25. März 1938 wurde das Reichsautobahnrecht in Österreich eingeführt.77 Am 26. März verkündete Göring in seiner berühmten Rede am Wiener Nordwestbahnhof das »Aufbauprogramm« für Österreich, das unter anderem den Bau von 1100 Kilometer Reichsautobahnen vorsah.78 Und am 7. April folgte der Spatenstich am Walserberg. Die Planungen sahen folgende Linien vor : Salzburg–Linz–Wien mit Verlängerung Richtung Ungarn, Wien–Graz, Wien– Brünn–Breslau–Berlin (»Durchgangsautobahn«) sowie eine Nordwestumfahrung Wiens, wobei die Trasse in allen Fällen weitgehend ähnlich verlief wie heute. Charakteristisch war jeweils das Bemühen, ein sprichwörtliches Erfahren der »deutschen« Landschaft zu ermöglichen und dafür auch erhebliche Umwege in Kauf zu nehmen. Die Autobahn sollte ganz bewusst einen eindrucksvollen Ausblick etwa auf Stift Melk bieten. Der motorisierte Individualverkehr war mit Kriegsausbruch sukzessive zum Erliegen gekommen. Um Treibstoff zu sparen, wurde er zugunsten des Güterverkehrs radikal eingeschränkt. Nach den Vorgaben der Machthaber sollten im Durchschnitt nur ca. 15 % aller zugelassenen Kraftfahrzeuge Ausnahmegenehmigungen zur weiteren Benutzung erhalten.79 Tatsächlich waren nach etwas mehr als einem halben Jahr im Gau Niederdonau noch immer 33,8 % aller Personenkraftwagen und 20,8 % aller einspurigen Kraftfahrzeuge legal unterwegs, ein vor allem im Vergleich zum »Alt76 Vgl. Kreuzer, Verkehr und Straße, S. 134–138 ; Kreuzer, National Road Networks, S. 113 f. 77RGBl. I, S. 308 bzw. Gesetzblatt für das Land Österreich 1938, Nr. 40. 78 Die Verkündigung des Aufbauprogramms für Österreich durch Generalfeldmarschall Hermann Göring, in : Die Straße 1938, 224. 79 Verordnung über die Weiterbenutzung von Kraftfahrzeugen vom 6. 9. 1939, RGBl. I 1939, 1698 ; Reichsverkehrsblatt Nr. 54 vom 28. 10. 1939, Zahl 228. Vgl. Der »Rote Winkel« an Kraftfahrzeugen. Drosselung des deutschen Kraftwagenparks auf 15 % des Vorkriegsbestandes, in : Volksstimme, 31. 10. 1939, S. 5. Unterwegs in Niederösterreich 75 »Straßenzustand in der Ostmark«, 15. Juli 1938. Durchgehende Linie : staubfrei, unterbrochene Linie : staubarm, Wellenlinie : Im Bau (Die Straße, 1938). reich« hoher Wert.80 Mit dem Hinweis auf die im Vergleich zum Altreich ohnehin geringe Motorisierung, auf die zahlreichen »wehrwirtschaftlichen Bauten« und die Bedürfnisse der Landärzte versuchte man dies zu rechfertigen.81 Viele Kraftfahrzeuge waren darüber hinaus von der Wehrmacht requiriert worden, andere konnten wegen Benzinmangels nicht in Betrieb genommen werden. Die breit klaffende Lücke im Individualverkehr hatte nun vor allem das Fahrrad zu schließen. Der vermutlich ohnehin beachtliche Radverkehrsanteil dürfte – es liegen keine quantitativen Angaben vor – abermals kräftig angestiegen sein. Allerdings waren mit Fortdauer des Krieges neue Räder und wichtige Ersatzteile kaum mehr zu 80 Zahl der bewinkelten Krafträder und Personenkraftwagen am 30. Juni 1940 im Verhältnis zum Bestand vom 1. Junli 1939, in : Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1941/42, S. 260. 81 ÖStA, AdR, Bürckel-Materie 2605/10, Kt. 178, Landeshauptmann von Oberdonau an den Herrn Reichsverteidigungskommissar, 4. 3. 1940. 76 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer bekommen. Ab 1939 wurden Fahrräder, Reifen, Schläuche und sonstiges Zubehör bezugsscheinpflichtig.82 Was blieb, war das Zufußgehen, schon vor dem Krieg die am weitesten verbreitete Fortbewegungsart. Und trotz aller anfänglichen Förderung des Automobils hatte weiterhin die Eisenbahn die Hauptlast des Verkehrs zu tragen. Die sieben Jahre NS-Herrschaft waren hinsichtlich der Verkehrsinfrastrukturen geprägt von Fortschritt und Modernisierungstendenzen zu Beginn des Regimes und andererseits einem massiven Rückschritt und umso stärkeren Verfall der Infrastruktur je länger der Krieg dauerte bis zum völligen Zusammenbruch 1945. Zugleich sind Elemente der Kontinuität, aber auch völlig neuartige Tendenzen erkennbar, die mit allen Traditionen brachen : Kontinuität bestand dort, wo vorhandene Planungen, Ideen und Strömungen aufgegriffen und teils sogar forciert weiterverfolgt wurden, wie zum Beispiel die Autobahnplanungen, der Ausbau des Hafens Krems oder die Planungen für einen Donau-Oder-Kanal. Ein Bruch mit alten Traditionen war etwa mit den gigantomanischen Plänen für eine transkontinentale Breitspurbahn gegeben.83 Die Erhebung von Krems zur Hauptstadt des Gaues Niederdonau brachte vermutlich keine Neuorientierung der Verkehrsströme, detaillierte Studien dazu existieren jedoch nicht. Die Massenmotorisierung : vom Motorrad zum Auto, statistisch betrachtet Mit dem Wegfall bürokratischer Hemmnisse und einer allmählichen Normalisierung in allen Bereichen des Lebens können die ersten Anfänge einer breiten Motorisierung nach dem Krieg ab 1948 festgestellt werden. Das 1952/53 einsetzende Wirtschaftswachstum schuf die Voraussetzung für die Erfüllung lange gehegter Konsum- und Mobilitätswünsche. Zwischen 1955 und 1968 verdoppelte sich laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung das verfügbare persönliche Einkommen der Österreicher. Teilweise konnten jährliche Steigerungsraten von 6–10 % erreicht werden.84 Im Gefolge verschiedener »Konsumwellen« kam es nun auch zur »Autowelle«. Man sprach von »Massenmotorisierung«, mehr als dreißig Jahre nachdem das gleiche Phänomen in den USA festgestellt worden war.85 Bislang war der Besitz eines Automobils ein Privileg der Oberschicht gewesen, nun konnten sich zunächst die mittleren, dann weitgehend alle gesellschaftlichen Schichten ein Auto leisten. Das Automobil löste allmählich das Kraftrad (bzw. das Moped) als dominierendes motorbetriebenes Fahrzeug ab, aber es dauerte bis 1961, als erstmals die Zahl der in Niederösterreich zugelassenen Personenkraftwagen jene der einspurigen Kraftfahrzeuge übertraf. Wie in Deutschland war die Motorisierung seit den 82 Hochmuth, Kommt Zeit, S. 104–105. 83 Joachimsthaler, Breitspurbahn, S. 361 f. 84 Eder, Privater Konsum, S. 224. 85 St. Clair, Motorization. Unterwegs in Niederösterreich 77 1920er Jahren von den einspurigen Kraftfahrzeugen ausgegangen. Sobald man es sich leisten konnte, stieg man vom einspurigen auf das bequemere und prestigeträchtigere zweispurige Fortbewegungsmittel um, als Zeichen des sozialen Aufstiegs und neu oder wieder gewonnenen Wohlstands. »Es war schon eine besondere Sache«, erinnert sich Irene H., »wenn man in den 50er-Jahren bereits ein eigenes Auto besaß. Wir hatten, wie viele andere zu jener Zeit, zuvor einige Jahre ein Motorrad benützt, eine Douglas, zweizylindrig, mit je 175 Kubikzentimeter Inhalt, gebaut 1925. Auf kurzen Strecken hatte sie sogar brav die ganze Familie befördert. […] Als sich aber die Geburt unseres Sohnes ankündigte, musste eine andere Lösung gefunden werden, und sie hieß : Opel Olympia, Baujahr 1952, eine Cabrio-Limousine. Wir waren überglücklich.«86 Wie sah nun diese »Massenmotorisierung« im Detail aus, war sie wirklich eine Motorisierung der breiten Masse, wie der Begriff suggeriert ? Und wenn ja, wie verlief sie ? Zwischen 1950 und 1965 erfolgte eine sprunghafte Zunahme sowohl der zugelassenen Personenkraftwagen als auch des Motorisierungsgrades. Kamen in Niederösterreich 1950 noch fünf Pkw auf 1000 Einwohner, so stieg dieser Wert innerhalb von fünf Jahren auf 16, dann auf 53 (1960) und bis 1964 sogar auf 88. In den folgenden Jahren verflachte diese Kurve wieder langsam. Betrachten wir also diesen Zeitraum näher und vor allem die Zunahme der Personenkraftwagen und einspurigen Kraftfahrzeugen.87 Bezieht man die Zahl der Kraftfahrzeuge nicht auf die gesamte Bevölkerung, sondern auf das Segment der 18- bis 65-Jährigen, also jenen Teil der Bevölkerung, der in gesetzlicher, finanzieller und physischer Sicht überhaupt mobil sein konnte,88 sieht man Folgendes : Ausgehend von einem eher niedrigen Niveau stieg die absolute Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge bis zur Mitte der 1950er Jahre stark an. Am stärksten nahm der Pkw-Bestand von 1954 auf 1955 zu, als eine Steigerung von über 79 % ( !) innerhalb eines Jahres verzeichnet wurde. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber amtlichen Statistiken ist diese Zunahme exorbitant hoch. Sie muss allerdings auch und vielleicht sogar vor allem auf in diesem Jahr wirksam werdende Erleichterungen in der Einfuhr ausländischer Kraftfahrzeuge zurückgeführt werden. Nichtsdestotrotz muss daher das Jahr 1955 als Höhepunkt der Motorisierungswelle betrachtet werden, zumindest was die Dynamik der Motorisierung betrifft. Die jährlichen Steigerungsraten sanken zwar in der Folge wieder stark ab, aber in absoluten Zahlen war das Anwachsen des Bestandes und vor 86Irene H., Unser erstes Auto, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, zitiert nach Eder, Privater Konsum, S. 239. 87 Eine Abgrenzung des rein privat genutzten Pkw-Bestandes, d. h. ohne Taxis, ist aufgrund der vorhandenen statistischen Daten leider nicht möglich. Die Zahl der Autotaxis war jedoch marginal. 88 Es ist anzunehmen, dass der Anteil der in den 1950er Jahren bereits über 65-Jährigen, die bereits einen Führerschein besaßen, verschwindend klein ist. 78 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer allem der über die Jahre kumulierte Zuwachs doch sehr beachtlich. Zwischen 1950 und 1963 verzwanzigfachte sich die Zahl der zugelassenen Pkw. Während 1950 nur fünf von 1000 Niederösterreichern und Niederösterreicherinnen zwischen 18 und 65 Jahren einen Pkw ihr Eigen nennen konnten, war es 1956 bereits jeder Fünfzigste und 1960 jeder Zwanzigste. Bezieht man die einspurigen Kraftfahrzeuge ein, so erkennt man einerseits, dass im Gegensatz etwa zu Wien in Niederösterreich die leistungsstärkeren Krafträder lange dominierten. Auf ihnen ruhte anfangs die Motorisierung – kaum verwunderlich, wenn man an die längeren zu überwindenden Distanzen im ländlichen Raum und an die Topografie denkt. Noch 1954 gab es etwa fünfmal, 1957 noch doppelt soviel einspurige wie zweispurige Kraftfahrzeuge. Unter Einbeziehung der Motorräder und -roller konnten daher bereits wesentlich mehr Niederösterreicher individuell und motorisiert mobil sein, also bereits 1951/52 jeder zwanzigste, 1955 jeder zehnte und 1965 jeder fünfte Niederösterreicher zwischen 18 und 65 Jahren ! Damit partizipierten aber auch die einkommensschwächeren unteren Schichten bereits relativ frühzeitig an der Motorisierung. Man kann daher auch von einer gewissen Demokratisierung der individualisierten Mobilität sprechen. Natürlich sagen die Zulassungszahlen wenig über den tatsächlichen Gebrauch des Kraftfahrzeugs aus.89 In den Anfängen der Massenmotorisierung, so eine Hypothese mangels einschlägiger Studien, wurde das Automobil vermutlich nicht wie heute täglich für die Fahrt zur Arbeit und zurück verwendet, sondern es stand die Nutzung für die Freizeitgestaltung im Vordergrund. Der Gebrauch des Motorrads oder Autos in der Familie war mit vielfältigen, ebenfalls kaum erforschten Restriktionen verbunden, sei es, weil das Fahrzeug dem (männlichen) Familienoberhaupt vorbehalten blieb (etwa weil die Frau keinen Führerschein besaß bzw. machen durfte) oder weil die Nutzung aus finanziellen Gründen eingeschränkt werden musste. Aber nicht nur die Tatsache, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung sich den Luxus eines Automobils leistete, sondern vielmehr die massenweise tatsächliche Inbetriebnahme des neuen Konsumgutes war neu und wurde bald zum Problem. Folgerichtig müsste man daher nicht nur von einer Massen-Motorisierung, sondern im gleichen Atemzug auch von einer massiven Verdichtung des Verkehrs sprechen, belegt durch die seit 1955 regelmäßig durchgeführten Verkehrszählungen.90 Damit aber werden die Grenzen des Begriffs der »Massenmotorisierung« offenbar. 89 Zur relativ geringen Aussagekraft von Zulassungszahlen als Indikator für die Motorisierung siehe Kirchberg, Motorisierung des Straßenverkehrs, S. 10 ; Kreuzer, Verkehrszählungen, S. 43–44. 90Allgemein dazu : Zorn, Verdichtung und Beschleunigung, S. 115–134. Unterwegs in Niederösterreich 79 Ausflugsverkehr bei der Jausenstation »Am Hals« bei Pernitz, um 1950 (ÖNB/Wien, Bildarchiv). Politik der Verkehrswege Der Erste Weltkrieg und der Zerfall der Habsburgermonarchie in mehrere Nationalstaaten hatte neue Grenzziehungen zur Folge, welche sich auch auf die Verkehrswege auswirkten : So lagen beispielsweise bei nahezu allen Eisenbahn-Fernstrecken – Nord-, Süd-, Ost- und Franz-Josefs-Bahn – deren ursprünglich inländischen Ziele nun im Ausland und hatten deshalb von nun an einen stark reduzierten und auch reglementierten Verkehr zu bewältigen. Verkehrspolitische Schwierigkeiten aufgrund der Grenzziehung gab es in der Region der Thayabahn von Lundenburg nach Znaim. Diese Bahnstrecke verlief zwar weitestgehend in Mähren, im Bereich um Feldsberg hingegen berührte sie ein Gebiet, welches während der Habsburger Monarchie zu Niederösterreich gezählt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg bewirkte eine Gebietsabtretung, dass die Thayabahn seit 1919 nun gänzlich in Mähren verläuft.91 Die Zeit der NS-Diktatur brachte den Zweiten Weltkrieg und damit einhergehend auch eine verstärkte verkehrsmäßige Anbindung der nördlich und nordöstlich von Niederösterreich gelegenen Regionen, während innerhalb des nun als Niederdonau bezeichneten Landes innerhalb des Deutschen Reiches die Vergrößerung von Wien 91 Möcker, Vier Landesviertel, S. 200. 80 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer zu »Groß-Wien« durch Eingemeindung von Orten im Umland eine noch stärkere verkehrsmäßige Fokussierung auf Wien brachte. Auf der Fernverkehrsebene erfolgten die Planungen der Breitspurbahn Hitlers, die die östlichen Regionen an das Reich hätten binden sollen92, sowie die Planungen der Westautobahn, welche zwar 1938 bei Salzburg begonnen wurde, aber erst 1967 durchgehend bis Wien fertiggestellt werden konnte. Nach 1945 kam es im neutralen Österreich aufgrund der Bildung des sowjetisch dominierten Ostblocks und der Entstehung des Eisernen Vorhangs zu einer Westorientierung : Damit steht in Zusammenhang, dass die von Wien über St. Pölten verlaufende Westachse bevorzugt modernisiert wurde. Gerade aufgrund der Neutralität Österreichs waren jedoch prestigeträchtige Zugsverbindungen zwischen West und Ost wie der Schnellzug »Vindobona« von Wien über Tulln und Gmünd nach Prag und weiter nach Berlin (DDR) möglich.93 In den 1980er Jahren fanden zwei Ereignisse statt, durch die die Verkehrsströme in Niederösterreich eine neue Orientierung erhielten : 1986 die Entscheidung zugunsten St. Pöltens als niederösterreichische Landeshauptstadt, und 1989 der Fall des Eisernen Vorhangs.94 Der Eintritt Österreichs in die Europäischen Union im Jahr 1995 sowie die zu Beginn der 1990er Jahre noch geplante EXPO 1995 in Wien und Budapest »erfordert[en] verkehrspolitische Strategien«95, welche die Grundlage für ein Landesverkehrskonzept und damit die Auseinandersetzung mit Verkehr in Niederösterreich bildeten. Drei Leitlinien galten und gelten dabei als Eckpunkte dieser niederösterreichischen Verkehrsstrategie : (1) die Vermeidung von nicht notwendigem Verkehr, (2) notwendigen Verkehr umweltschonend und sicher abwickeln und (3) eine sinnvolle Mobilität fördern.96 Politische Entscheidungen aufgrund umfangreicher Erhebungen und Studien waren gefragt, wurde doch beispielsweise im Jahr 1990 festgestellt, dass 70 % der Kfz-Lenker im Ortsgebiet schneller als die erlaubten 50 km/h unterwegs waren.97 In der seit dieser Zeit erscheinenden Schriftenreihe zum Landesverkehrskonzept werden verschiedene Themen aufgegriffen und abgehandelt sowie Empfehlungen für weitere Vorgehensweisen bzw. für konkrete Maßnahmen skizziert : Beispielsweise sah eine Empfehlung im Hinblick auf die neuen Verkehrsströme die Einführung eines öffentlichen Verkehrsmittels aus den Regionen des Bundeslandes in das neue Zentrum vor. Im Jahr 1996 erfolgte die Inbetriebnahme von zehn »Wieselbus«-Linien aus dem Wald-, Wein- und Industrieviertel in die neue Landeshauptstadt St. Pölten. 92 Joachimsthaler, Gigantomanie, S. 702–721. 93 Verein Waldviertler Eisenbahnmuseum Sigmundsherberg, 125 Jahre, S. 128 f. 94In beiden Fällen wurden Verkehrssteigerungen prognostiziert, die sich, im Fall der Öffnung Osteuropas jedoch auch bis ins beginnende 21. Jahrhundert hinein nicht erfüllten ; Geyer, Semmering Basis-Tunnel, S. 17, 26 f. 95 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 1, S. 3. 96 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 1, S. 31. 97 NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 1, S. 22. Unterwegs in Niederösterreich 81 Niederösterreich um Wien »Die besondere Lage der Bundeshauptstadt Wien inmitten des Landes Niederösterreich führt zu einer besonders engen Verflechtung dieser beiden Länder«.98 Diese Position stammt aus dem niederösterreichischen Landesverkehrskonzept aus dem Jahr 1990. Wien bildete bis 1922, dem Jahr der Trennung in die beiden Bundesländer Wien und Niederösterreich, den Verkehrsknotenpunkt Niederösterreichs. Im weitesten Sinn ist dies bis heute so. Vermehrtes Pendeln der Menschen aus Niederösterreich nach Wien, sei es zur Arbeitsstätte oder zu Freizeitaktivitäten steht dem Wochenendpendeln von Städtern ins Grüne gegenüber. Dazu bildete die Eisenbahn das Rückgrat sowohl für den Personen- als auch für den Gütertransport. Insbesondere der kostengünstige Transport von landwirtschaftlichen Produkten aus dem Umland in die Großstadt ermöglichte die Existenz der Großstadt. Diese Abhängigkeit zeigte sich besonders prekär, als im Gefolge von Kriegen die Versorgung mit Nahrungsmitteln (nahezu) zum Erliegen kam. Beim öffentlichen Verkehr bildete das Jahr 1962 mit der Inbetriebnahme der Wiener Schnellbahn und der verstärkten Einbindung des Landes um Wien wohl einen Angelpunkt. Im Weinviertel führte die Schnellbahnlinie S1 bis Gänserndorf und die S3 bis Stockerau bzw. ab 1979 bis Hollabrunn ; Mistelbach, die nordöstliche Bezirkshauptstadt des Weinviertels, wurde im Jahr 1983 mit der S2 in das Schnellbahnnetz eingebunden.99 Bis 1995 entstand ein Liniennetz von mehr als zehn S-Bahnlinien, von denen nur wenige die Wiener Landesgrenze nicht überschritten. Die Bedeutung Wiens für das Bundesland Niederösterreich zeigt sich eindrucksvoll in der im Jahr 1984 erfolgten Gründung des Verkehrsverbundes Ost-Region (VOR). Damit wurde – und wird – der öffentliche Personennahverkehr in einem Radius von ca. 50 Kilometer im niederösterreichischen Umland von Wien einheitlich koordiniert und organisiert. In diesem Einzugsgebiet leben rund 2,3 Millionen Menschen und im Jahr 1995 benutzten 755 Millionen Fahrgäste diesen Wien-zentrierten Verkehrsverbund, während die regionalen Verkehrsverbünde Niederösterreichs (VVNB) im selben Jahr 15 Millionen Fahrgäste zählten.100 Andere Bahnen wurden aufgrund der ungünstigen Streckenführung [habe ich das richtig verstanden ?], gepaart mit unattraktiven Zugsführungen, zur Einstellung getrieben – was einzelne Autoren nicht unberechtigt als »gezielte Fahrgastvertreibung«101 qualifizierten. Das Jahr 1988 brachte 98NÖ Landesverkehrskonzept – Heft 1, S. 27 ; eine Übersicht über die Rolle von Städten im überregionalen Eisenbahnnetz am Beispiel Wiens gibt Dinhobl, Von der Strecke. 99Möcker, Vier Landesviertel, S. 202. 100Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Hg.) : 10 Jahre NÖ Landesverkehrskonzept. St. Pölten 2001, http ://www.noel.gv.at/Service/ru/ru7/lvk/Nachlesen/lvk_ges.pdf (17. 7. 2007), S. 16. 101Möcker, Vier Landesviertel, S. 204. 82 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer einen »Weinviertler Paukenschlag«102 und damit die Einstellung zahlreicher Lokalbahnen in diesem Landesteil. Die Regionalbahn Obersdorf–Groß Schweinbarth verzeichnete jedoch als Zubringerlinie zur S2 mit entsprechenden Zugsangeboten – gar »zur Überraschung der Bundesbahnen«103 – eine überproportionale Erhöhung der Fahrgastzahl im Vergleich zur Erhöhung der Zugszahl.104 Ende der 1980er Jahre war aufgrund dieser Entwicklung das nördliche Weinviertel nur noch schlecht an die Eisenbahn angebunden. 1989 benötigte man für die 123 Kilometer lange Strecke von Drosendorf über Retz und Hollabrunn nach Wien Praterstern (heute Wien Nord) 2 ½ bis 3 ½ Stunden105 – bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 bis 49 km/h. Mikrogeschichten – Der Blick nach innen Verkehr in der ländlichen Kleinstadt : Das Beispiel Waldviertel Versucht man ein Bild des Verkehrsgeschehens im ländlichen Raum Niederösterreichs nachzuzeichnen, so stößt man unweigerlich auf zwei Probleme. Einerseits wurden die wichtigsten Fortbewegungsarten, das Gehen und das Radfahren, kaum dokumentiert, da es sich um eine alltägliche, selbstverständliche und damit nicht der Aufzeichnung würdige Sache handelte. Nur das Besondere war wert, festgehalten zu werden : besonders lange Fußmärsche etwa im Winter, die ersten Fahrräder im Ort etc. Andererseits ist die Quellenlage und die vorhandene Sekundärliteratur, auf die sich eine Übersichtsdarstellung wie diese unweigerlich stützten muss, gerade für kleinere Orte im Allgemeinen sehr dürftig. Auch in Heimatbüchern findet sich in der Regel kaum etwas zur Geschichte des Verkehrs, zumal des 20. Jahrhunderts. Dies betrifft vermutlich alle Landesteile gleichermaßen. Anhand des Beispiels der Waldviertler Kleinstädte, die als groß gewachsene Dörfer als auch als »Inseln der Urbanität« angesehen werden können, soll hier dennoch der Versuch unternommen werden, anhand einiger weniger greifbarer Fakten größere Zusammenhänge und Entwicklungen deutlich werden zu lassen. Im ländlichen Raum »mobil« zu sein, bedeutet im Wesentlichen, Ziele in anderen Orten leicht erreichen zu können, da der eigene Ort nur eine sehr beschränkte Auswahl an möglichen Zielen – Behörden und Ämter, Einkaufsmöglichkeiten, Orte der Freizeitgestaltung, Verwandten- oder Bekanntenbesuche etc. – bietet. Oft geht es einfach darum, das nächste Zentrum, oder anders ausgedrückt : den nächstgelegenen 102Möcker, Vier Landesviertel, S. 205. 103Möcker, Vier Landesviertel, S. 205. 104Möcker, Vier Landesviertel, S. 205. 105Möcker, Vier Landesviertel, S. 210. Unterwegs in Niederösterreich 83 zentralen Ort der nächst höheren Stufe, schnell, günstig und bequem erreichen zu können und dabei auch eine gewisse Auswahl bezüglich der gewünschten Abfahrtsbzw. Ankunftszeit zu haben. Eine Verkehrsgeschichte des ländlichen Raumes ist somit über weite Strecken eine Geschichte des Anschlusses an die Zentren des Landes und darüber hinaus an die »große, weite Welt«. Für das Waldviertel als peripher zwischen den Zentren Wien, Prag und Linz gelegene, aber eindeutig auf Wien ausgerichtete Region trifft dies umso stärker zu. Lange Zeit war die 1874 durchgehend eröffnete Franz-Josefs-Bahn von Wien nach Pilsen bzw. Prag das Rückgrat des Verkehrs im Waldviertel gewesen, wobei jedoch die verkehrsmäßige Erschließung des Waldviertels und Südböhmens als Motiv für den Bahnbau zweitrangig gewesen war. Die Bahn berührte allerdings insbesondere die zentralen Orte Horn, Waidhofen und Schrems trotz intensiver Bemühungen vor allem Horns106 um einen Bahnanschluss nicht und verhalf andererseits dem vergleichsweise unbedeutenden Gmünd durch die Anlage des Hauptbahnhofes und der Zentralwerkstätte zu einem ungeahnten Aufschwung.107 Ähnliches gilt für die Bahnknotenpunkte Sigmundsherberg, Göpfritz und Schwarzenau. Die Nachteile, die sich aus der Trassenwahl ergaben, suchte man in den übergangenen Städten durch einen Anschluss an die in der Folge errichteten Lokalbahnen zumindest teilweise zu kompensieren. Mit Ausnahme der Linie Schwarzenau–Zlabings (Slavonice), die Anschluss an das böhmisch-mährische Bahnnetz bot, und der Kamptalbahn waren die Lokalbahnen freilich nur Stichbahnen, die von der Franz-JosefsBahn abzweigten, auch wenn bei manchen Linien eine Verlängerung und Anbindung an bestehende Strecken geplant war.108 Eine solche Vernetzung unterblieb aber. Die schlechte Erreichbarkeit und die mangelnde Verkehrserschließung wurden bald zu einer Konstante des Waldviertler Benachteiligungsgefühls, für das die zentralen Stellen im Land verantwortlich gemacht wurden. Tatsächlich gab es aus deren Sicht keinen Bedarf für eine von regionalen Kreisen angestrebte Vernetzung. Die in ihrer Streckenführung auf örtliche Bedürfnisse kaum Rücksicht nehmende Franz-Josefs-Bahn hatte Transitcharakter und der stichbahnartige Ausbau der Nebenbahnen sollte lediglich die Erschließung dieser abgelegenen Räume als Absatzgebiet für Industrieprodukte, die Nutzung als verlängerte Werkbank und den Transport lokaler Rohmaterialien wie Holz und Stein in die Ballungszentren sicher stellen.109 Nicht nur, dass die Bahn oft die bedeutendsten Orte links liegen ließ. Selbst wenn ein Ort einen Bahnanschluss erhielt, wurde der Bahnhof in vielen Fällen weit außer106Winkler, Bemühungen der Stadt Horn. 107Vgl. Komlosy, Rand, S. 88 ff. ; Komlosy, Vom Kleinraum zur Peripherie, S. 314. 108Vor allem eine Nord-Südverbindung Böhmen/Mähren–Donauachse und eine Verbindung mit Oberösterreich, siehe dazu Komlosy, Rand, S. 98 ff. ; Mechtler, Gescheiterte Eisenbahnprojekte. 109Komlosy, Vom Kleinraum zur Peripherie, S. 320. 84 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer halb des Ortes errichtet. Erst recht stellte sich dann die Frage der Anbindung des Bahnhofes – freilich kein ausschließlich Waldviertler Problem. Während der Bahnhof im Falle größerer Städte oft zu einem neuen Brennpunkt urbaner Entwicklung wurde, der an den gewachsenen Ort angebunden werden musste,110 und dies mitunter den Anstoß zur Errichtung innerstädtischer Verkehrsmittel gab – im Waldviertel war dies nur in Gmünd der Fall –, so verhielt es sich in den meisten Orten anders. Der neue Bahnhof war zwar meist so weit entfernt, dass er vorerst nicht oder kaum in das bestehende Siedlungsgebiet integriert werden konnte. Dennoch entwickelte sich die Bebauung zum Bahnhof hin und verdichtete sich erst allmählich oder aber es entstand eine eigene Bahnhofssiedlung wie in Gmünd. Auf jeden Fall aber verlagerte sich das wirtschaftliche Geschehen auch in kleineren Orten zum Bahnhof hin. Dort, beim Bahnhof, und nicht mehr ausschließlich am Hauptplatz, fand nun der Warenumschlag statt, dort machten die Postkutschen Station, dorthin auch folgten die Gasthöfe. Und bei manchen Bahnhöfen entstanden kleine Eisenbahnersiedlungen oder zumindest einzelne Wohnhäuser.111 Horn erhielt 1889 einen Eisenbahnanschluss durch die Kamptalbahn, nachdem Projekte für eine Dampftramway zwischen Horn und Sigmundsherberg bzw. Meiseldorf und eine Lokaleisenbahn 1882 gescheitert waren.112 Waidhofen an der Thaya folgte 1891 (Lokalbahn Schwarzenau–Waidhofen, 1903 bis Zlabings verlängert), Zwettl 1896 (Schwarzenau–Zwettl, 1906 bis Martinsberg verlängert). Horn hatte zwar vergleichsweise früh seinen Eisenbahnanschluss erhalten, doch die weitere Entwicklung vollzog sich nur sehr langsam. Zwar gab es eine BahnhofsRestauration mit Hotel und 1912 siedelte sich hier eine Farben- und Lackefabrik an und einige Villen wurden errichtet, aber die eigentliche Bebauung setzte erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ein.113 In Waidhofen hatte der Bahnbau eine fieberhafte Bautätigkeit zwischen Stadtzentrum und Bahnhof zur Folge, sodass ein neuer Stadtteil entstand, wo vorher Scheunen der Ackerbürger gestanden waren. Gegenüber dem Bahnhof wurde das Hotel Tiefenböck errichtet. Die Bahnhofstraße aber wurde als Verbindung zum Stadtzentrum zum kleinstädtischen Boulevard ausgebaut.114 Auch an der Weitraer Bahnhofstraße entstanden stattliche Villen, nachdem bereits 1902 Alleebäume gepflanzt worden waren.115 In Zwettl war es nicht viel anders. Den Stadtgraben schüttete man nun endgültig zu und legte darauf die Bahnhofstraße an, die bald danach mit Villen bebaut wurde.116 110Vgl. Satjukow, Bahnhofstrassen. 111Kreuzer, Eisenbahnen und Raumentwicklung, S. 214 f. 112Winkler, Bemühungen der Stadt Horn, S. 19. 113Dehio Niederösterreich nördlich der Donau, S. 460 ; Rabl, Horn in alten Ansichten, Abb. 8. 114Hitz/Biedermann, Waidhofen, S. 111 ; Hitz, Entwicklung, S. 87. 115Katzenschlager, Das Franzisko-josephinische Zeitalter, S. 381. 116Moll/Fröhlich, Zwettl in alten Bilddokumenten, S. 97. Unterwegs in Niederösterreich 85 Das interessanteste Beispiel bietet jedoch Gmünd. Hier, ungefähr in der Hälfte der Gesamtstrecke der 1869 eröffneten Franz-Josefs-Bahn, entstanden ein großer Bahnhof und 1885 die Zentralwerkstätten der Bahn, die um 1900 rund 800 Beschäftigte verzeichneten. Der Bahnhof wurde jedoch aus Kostengründen und um Spielraum für spätere Entwicklungen zu haben, nicht in der Stadt selbst, sondern auf einem unbebauten Gebiet der Nachbargemeinde Böhmzeil – in zwei Kilometer Entfernung von der Stadt – errichtet. Alle Bemühungen der Stadt, eine stadtnähere Haltestelle zu erhalten, blieben vergeblich ; bis 1906, nach der Errichtung eines zweiten Gleises, auch die Errichtung einer Haltestelle genehmigt wurde. Sie wurde 1909 fertiggestellt.117 Mit der Eröffnung der beiden Zweige der Niederösterreichischen Waldviertelbahn nach Litschau bzw. Heidenreichstein (1900) und nach Groß-Gerungs (1902/03) war Gmünd zum Bahnknotenpunkt des Oberen Waldviertels geworden. Der Bau des Bahnhofs und der Werkstätten hatte nachhaltigen Einfluss auf die Stadtentwicklung Gmünds. Um den Wohnbedarf der Eisenbahner zu decken, entstanden in den folgenden Jahren zahlreiche Wohnanlagen und Industriebetriebe siedelten sich in Bahnhofsnähe an, sodass die Gemeinden Gmünd, Unterwielands und Böhmzeil zu einem zusammenhängenden städtischen Gebiet mit mehr als 10.000 Einwohnern zusammenwuchsen.118 1914 entstand zwischen Stadt und Bahnhof das große Flüchtlings- und Deportiertenlager . Um die große Distanz zwischen Stadt und Bahnhof vor allem für die Fremden zu überbrücken, hatten zwei Hoteliers einen Pferdeomnibusdienst eingerichtet, der zwei- bis dreimal täglich verkehrte.119 Da dies keine befriedigende Lösung darstellte und überdies ausreichend elektrische Energie zur Verfügung stand, verfolgte der Gemeindeausschuss die Idee einer elektrischen, gleislosen Verbindung mittels eines Oberleitungsbusses zwischen Stadt und Bahnhof und setzte diese gegen den Willen breiter Teile der Öffentlichkeit durch. Die 1907 eingerichtete und von der Stadt selbst betriebene Obuslinie zwischen Hauptplatz und Bahnhof wurde 1916 aufgrund kriegsbedingter Mangelsituation schon wieder eingestellt. Im März 1918 wurde die Oberleitung aus Kupfer abmontiert und 1919 der Beschluss zum Verkauf der Fahrzeuge gefasst. Der Hauptbahnhof von Gmünd musste nach 1920 gemäß den Bestimmungen des Friedensvertrages von St. Germain an die Tschechoslowakei abgetreten werden. An der Stelle der 1909 fertiggestellten Haltestelle Gmünd-Stadt an der Albrechtser Straße wurde daher bis 1923 ein neuer, nun stadtnäherer Bahnhof errichtet.120 117Komlosy, Rand, S. 92. 118Komlosy, Vom Kleinraum zur Peripherie, S. 321–322. 119Pilz, Stadtgeschichte Gmünd, S. 82. 120Wöber, Frühe Obusse S. 151–159 ; Preymann, Der erste Obus ; Pilz, Stadtgeschichte Gmünd, S. 82–83 ; Dacho, Gmünd anno dazumal, S. 34–38 ; Komlosy, Rand, S. 104 ; Oesterreicher/Kotrbová/Winkler, Ge(h)schichte(n) zweier Städte, S. 26–27. 86 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Durch die Verbreitung des Automobils wurde im 20. Jahrhundert die Bedeutung des Bahnhofes und seiner Anbindung an die Stadt immer geringer. Die individuelle Mobilität ersetzte in immer größerem Maße die kollektive der Bahn. Die ersten Automobilbesitzer im Waldviertel gehörten der vermögenden Oberschicht an. Nur sie konnten sich den Luxus eines Automobils, sowohl des Kaufs als auch des Unterhalts, mitunter samt Chauffeur, leisten. Als erster Horner fuhr ab 1899 Oberleutnant Viktor Oswald mit einem Automobil durch die Straßen der Stadt. In Gmünd ist im gleichen Jahr Karl Backhausen, Inhaber der großen Teppich- und Möbelstofffabrik in Hoheneich, als Besitzer des ersten Automobils belegt und in der Wachau löste ebenfalls 1899 ein Automobilhändler mit seinem Fahrzeug Neugier und Schrecken gleichzeitig aus.121 Die ersten Automobile waren im Besitz von Angehörigen des Adels und des gehobenen Bürgertums, auch von Angehörigen der Gruppe der freien Berufe, also von Anwälten und Ärzten, aber auch von Industriellen.122 Den einen war das neue Fortbewegungsmittel prestigereicher Ersatz für die Kutsche, die anderen nutzten es intensiv zur Ausübung ihres Berufes, wobei ihnen das Automobil Zeit sparen half, um Patienten/Patientinnen oder Kunden/Kundinnen in den Dörfern zu betreuen. Diesem frühen Einbruch der Moderne in das Waldviertel zum Trotz wurde der weitaus überwiegende Teil des Straßenverkehrs noch lange mit dem Pferdefuhrwerk abgewickelt. Wir wissen nicht, wie dicht der Verkehr auf den Landstraßen und den innerstädtischen Straßen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war. Die erste österreichische Verkehrszählung fand erst 1924 statt. Sie umfasste jedoch lediglich die Bundesstraßen und beschränkte sich auf Einzelergebnisse. Die erste allgemeine und systematische Zählung folgte 1926, doch auch sie berücksichtigte nur den Verkehr auf Bundesstraßen.123 Die Ergebnisse wurden nur vereinzelt veröffentlicht. Wir sind somit auf qualitative Quellen wie Fotografien, Zeitungsmeldungen, persönliche Aufzeichnungen etc. angewiesen, um Aussagen zur Verkehrsdichte treffen zu können. Gewiss herrschte an Markttagen, zu Jahrmärkten und anderen »Großereignissen« erhöhtes Verkehrsaufkommen. An diesen Tagen kam es an den Stadteinfahrten morgens vermutlich zu Stauungen, auch wenn die Stadttore meist bereits demoliert waren. Dass etwa der 1904 beschlossene Zwettler Stadtregulierungsplan unter anderem die Beseitigung von Engstellen und die Anlage von Gehsteigen vorsah, kann nicht allein mit den damals modernen städtebaulichen Vorstellungen erklärt werden. Und auch die Tatsache, dass am Böhmtor in Waidhofen an der Thaya eine über der Durchfahrt angebrachte Tafel die Lenker von Automobilen und Motorrädern zu langsamem Fahren aufforderte, ist ein Hinweis darauf, dass solche Fahrzeuge einerseits nicht so extrem selten hier durchkamen und sich andererseits möglicherweise bereits Unfälle 121Brunnbauer, Das erste Automobil in der Wachau. 122Hinweise dazu für Neupölla liefert Polleroß, Räder, S. 280. 123Kreuzer, Verkehrszählungen, S. 49. Unterwegs in Niederösterreich 87 Ein O-Bus in Gmünd vor dem damaligen Postamt am Stadtplatz, 1907 (Stadtgemeinde Gmünd). durch zu schnelles Fahren ereignet hatten.124 Das Böhmtor wurde übrigens noch im gleichen Jahr abgerissen und die Böhmgasse gepflastert. Auch die Erlassung einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h für alle Kraftfahrzeuge innerhalb des Stadtgebietes durch den Horner Gemeinderat im September 1913 kann oder muss sogar in diesem Sinne interpretiert werden. Bei den Stadteinfahrten wurden entsprechende Tafeln angebracht, »da es unstatthaft ist, daß das Weichbild der Stadt in einem schnelleren Tempo passiert wird«.125 Andere indirekte Hinweise auf den zunehmenden motorisierten Verkehr, sei es durch den Berufs- und Alltagsverkehr der Einheimischen oder den Freizeit- und Ausflugsverkehr der Wiener, weisen bereits in die Zwischenkriegszeit. In diese Zeit reichen auch jüngst publizierte Erinnerungen von Zeitzeugen zurück. So erinnert sich Felix Rubik an die Situation in Dietmanns bei Groß Siegharts : »Der Straßenverkehr hielt sich bis in die 20er Jahre des 20. Jhdts in bescheidenen Grenzen. Auch in den 30er Jahren waren die Straßen von den Kindern bevorzugte Spielplätze […] Sollte sich wirklich einmal ein Auto auf die Dorfstraße verirrt haben, dann hörte man den 124Vgl. Hitz/Biedermann, Waidhofen, S. 116. 125Zit. nach Rabl, Horn in alten Ansichten, Bild 14. 88 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Motorenlärm schon kilometerweit. […] Ein Auto war bis ca. 1935 in unserer kleinen Gemeinde eine Rarität.«126 Aber in den Städten war der Wandel bereits spürbar, wie etwa der Redakteur und Politiker Laurenz Genner über einen Besuch in Horn im Jahr 1928 vermerkt : »In Horn selbst verdrängt das Auto immer mehr die Pferde. Größere Geschäftsleute haben ihr Auto.«127 Tatsächlich hatte der Lastkraftwagen im Ersten Weltkrieg seine Tauglichkeit und Betriebssicherheit unter Beweis gestellt, sodass immer mehr Unternehmer vom Pferdefuhrwerk auf den Lkw »umsattelten«. Auch die Feuerwehren schafften Automotorspritzen anstelle der von Pferden gezogen Dampfspritzen an : in Horn und Retz 1924, in Gars 1924 oder 1925.128 Ab 1930 gab es in Zwettl und Waidhofen einen Rollfuhrzustelldienst. Ankommende Bahnsendungen wurden den Empfängern mit dem Lkw zugestellt.129 Die ersten Transportunternehmen nahmen ihren Betrieb auf.130 Das örtliche Gewerbe passte sich dem neuen Trend an :131 1919 richtete Anton Schachinger in Horn die erste Mechanikerwerkstätte ein.132 Aus der Schmiede des Josef Lehr entwickelte sich ein Fahrrad- und Motorradhandel und eine Kraftfahrzeugwerkstätte mit zwei Tankstellen in Horn, nach dem Zweiten Weltkrieg ein Autohandel.133 Überraschend früh standen den Automobilisten Fahrpumpen oder Benzinzapfstellen, die Vorläufer der Tankstellen, zur Verfügung : ab 1922 in Horn,134 ab 1925 in Weitra135 und Gmünd.136 Früh deshalb, weil die 1924 auf dem Grazer Jakominiplatz und dem Lendplatz errichteten als die ersten Österreichs gelten und in Wien die erste Benzinzapfsäule erst 1925 am Gürtel bei der Volksoper eröffnet wurde.137 Eine besondere Entwicklung nahm das Unternehmen Franz Eigls in Zwettl, der sich seit Ende des Ersten Weltkrieges vor allem mit dem Rohstoff Holz befasste und in den frühen 1930er Jahren mit dem Handel mit Mineralölprodukten als zweitem Standbein begann. Zwischen 1931 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 126Rubik, Waldviertler Erinnerungen, S. 44, 47. 127Genner, 1928 : Ein Besuch in Horn, S. 59. 128Rabl, Horn in alten Ansichten, Abb. 68 ; Galbruner, Einzug der modernen Technik, S. 71. 129Neue Waldviertler Nachrichten 1930, Nr. 8, zit. nach Pschunder, Verkehrsgeographie des Waldviertels, S. 107. 130Vgl. Polleroß, Räder, S. 284. 131Vgl. auch Polleroß, Räder ; vgl. den Beitrag von Stefan Eminger zum »Gewerbe« in diesem Band. 132Schachinger, Mechanikerwerkstätte. 133100 Jahre Ford Lehr Horn. Vgl. Polleroß, Räder, S. 281. 134100 Jahre Ford Lehr Horn. 135Katzenschlager, Die Zeit zwischen den Weltkriegen, S. 415. 136Pilz, Stadtgeschichte Gmünd, S. 84. 137Allgemeine Automobil-Zeitung 1924, Nr. 20, S. 22. – Seper, Automobilgeschichte, S. 243 ; Kreuzer, Verkehr und Straße, S. 105. Es dürfte sich hier allerdings auch um eine Frage der Definition handeln, da z. B. auch für Linz unterschiedliche Angaben zu finden sind. Unterwegs in Niederösterreich 89 Postautobusbahnhof vor dem Postamt in Zwettl, 1930 (Stadtarchiv Zwettl). konnte Eigl bereits mehrere Benzinzapfstellen errichten.138 Nach dem Krieg stieg das Unternehmen mit dem Vertrieb von Benzin unter der Marke AVIA zu einem überregional tätigen Betrieb auf.139 Mit steigender, aus heutiger Sticht freilich marginaler Motorisierung und Verkehrsdichte begann eine quasi vorauseilende Anpassung immer zahlreicherer Orte an automobile Strukturen. Vermeintliche oder tatsächliche Engstellen wurden beseitigt, so etwa in Zwettl durch den Umbau des Gasthauses Ratheiser in der Weitraer Straße im Jahr 1926,140 während die untere Landstraße im Bereich der Pfarrkirche noch lange ein Nadelöhr für den Verkehr blieb.141 In manchen engen Straßenzügen dürfte der Verkehr derart stark zugenommen haben, dass die Stadtverwaltung sich nur mehr durch eine Sperre für den Kraftfahrzeugverkehr zu helfen wusste, z. B. in Zwettl 138Vgl. Moll/Fröhlich, Zwettl in alten Bilddokumenten, S. 95. 139Eigl, Mineralölversorgung. 140Pongratz/Hakala, Kuenringerstadt, S. 109. 141Moll/Fröhlich, Zwettl in alten Bilddokumenten, S. 80. 90 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer im Oktober 1926.142 In Weitra wurden die Straßen aufgrund der Topografie durch den Verkehr der schweren Autobusse und Kraftwagen derart stark beansprucht, dass Prellsteine versetzt und 1928 die Fleisch-, Auhof- und Schmiedgasse für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt werden mussten.143 Geradezu revolutionierend für den Mobilitätsradius vieler Waldviertler/-innen dürfte der Autobus gewesen sein. Nur verhältnismäßig wenige Orte verfügten ja über einen Anschluss an die Eisenbahn, während vermutlich eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in mehr als zehn Kilometer Entfernung von der nächsten Bahnstation wohnte. Am schlechtesten erschlossen waren das südwestliche Waldviertel und der Raum um Gföhl.144 Nicht umsonst verband die erste Postautobuslinie des Waldviertels Krems mit Gföhl und machte damit die zu dieser Zeit noch verfolgten Pläne einer elektrischen Straßenbahnverbindung überflüssig. Diese Linie wurde 1924 bis Zwettl verlängert. Dort bestand Anschluss nach Groß-Gerungs. 1942 war Zwettl bereits Ausgangspunkt von acht Postautobuslinien und damit regionaler Verkehrsknotenpunkt, eine gewisse Kompensation für die schlechte Anbindung an die Bahn. Überhaupt entwickelten sich die bahnabseits gelegenen zentralen Orte Horn, Zwettl und Waidhofen zu regionalen Umsteigeknoten im Autobusnetz. Bereits 1920 stimmte der Horner Gemeinderat dem projektierten staatlichen Kraftwagenverkehr zu145 und schlug eine Verbindung von Horn nach Zwettl vor,146 die 1924 realisiert und 1928 bis Eggenburg verlängert wurde.147 Bereits zuvor waren die Linien Melk–Pöggstall (1920) und Schrems–Zwettl (1923) eingerichtet worden, dann Pürbach–Schrems–Heidenreichstein (1924). Zahlreiche weitere folgten. Darüber hinaus bestand eine überregionale Line der Firma »Mühlwald«, die die Strecke Perg–Zwettl–Horn befuhr.148 Neben der Post waren vor allem die LOBEG, ein Tochterunternehmen der Automobilfabrik Perl, der Kraftwagendienst der Bundesbahnen und private Busunternehmer tätig. So betrieb etwa der Waidhofner Unternehmer Topole um 1925 einen grenzüberschreitenden Autobusdienst zwischen Neubistritz, Waidhofen und Göpfritz.149 Erst mit der Massenmotorisierung der 1950er und 1960er Jahre konnte allerdings die Enge des Dorfes und der Kleinstadt endgültig abgeschüttelt werden.150 Bereits in den frühen 1960er Jahren wiesen die Waldviertler Bezirke mit Ausnahme Gmünds 142Pongratz/Hakala, Kuenringerstadt, S. 109. 143Katzenschlager, Die Zeit zwischen den Weltkriegen, S. 417. 144Vgl. Pschunder, Verkehrsgeographie des Waldviertels, Karte 5 : Stationsfernenkarte der Eisenbahnlinien. 145Der Bote aus dem Waldviertel, 20. 3. 1920, S. 3. 146Gemeinderatssitzung vom 12. 3. 1920, zit. nach Kreuzer sen., Die Post in Neupölla, S. 134. 147Zwettler Landzeitung, 10. 7. 1929, N. 28, S. 25. 148Fletzberger, Englisch, 75 Jahre Postautobus. 149Hitz, Entwicklung, S. 94. 150Vgl. Pöppl, Motorisierung, S. 398. Unterwegs in Niederösterreich 91 im landesweiten Vergleich den höchsten Motorisierungsgrad auf, weit über dem Landesdurchschnitt. Dies war eine Reaktion auf die schlechte Erschließung durch Bahn und öffentlichen Verkehr überhaupt. Die hohe Anzahl von Wochen- und Tagespendlern steigerte zusätzlich das Bedürfnis nach alternativen Mobilitätsformen. Warum allerdings ähnlich strukturierte Bezirke Niederösterreichs hinter dem Waldviertel zurückfielen, muss vorerst offen bleiben. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land schwanden jedenfalls zusehends und die Lebensverhältnisse glichen sich seitdem kontinuierlich den Standards der Ballungsräume an. Dabei spielte auch der als Mittel der Regionalentwicklung eingesetzte forcierte Straßenbau eine Rolle. Die Waldviertler Schnellstraße blieb zwar im Weinviertel stecken, die Verbindung von Krems nach Zwettl wurde aber in den 1980er Jahren gut ausgebaut.151 Der noch immer zunehmende Verkehr verstopfte die Stadtkerne und löste zahlreiche Reaktionen der Stadtverantwortlichen aus. Die Palette möglicher Maßnahmen reichte von der Errichtung einer Verkehrsampel an der vielbefahrenen Postkreuzung in Zwettl (1955), der Einführung eines Einbahnsystems im Stadtzentrum von Waidhofen (1970)152 bis zum weiteren Straßenbau, der Verbreiterung von Straßen und zur Beseitigung von Engstellen durch Abriss »störender« Gebäude wie etwa in der Zwettler unteren Landstraße (1964). In Weitra wurde das obere Stadttor 1967/68 verbreitert und für Fußgänger wurden seitliche Durchbrüche errichtet.153 Die zentralen Plätze der Städte mutierten zu großen Parkplätzen, die Straßenzüge waren in den Stadtkernen auf beiden Seiten von langen Reihen von parkenden Autos gesäumt. Auch die in den letzten beiden Jahrzehnten im Sinne der Rückeroberung städtischen Raumes für Fußgänger/-innen nach dem Vorbild der Großstädte erfolgten Umgestaltungen änderten oft wenig daran : Als zentraler Ort für die Versorgung des ländlichen Umlandes, das auf das Auto angewiesen ist, meint man, auf keinen Parkplatz verzichten zu können und das jederzeitige Abstellen des Autos vor dem Geschäft ermöglichen zu müssen. Mancherorts geschaffene Parkplätze am Rand der Stadtkerne in nur wenigen Minuten fußläufiger Entfernung von den Hauptgeschäftsstraßen werden hingegen nach wie vor nur schlecht angenommen, wenn nicht gleichzeitig im Stadtkern der ruhende Verkehr massiv beschränkt wird. Aber immerhin, so mancher Hauptplatz wurde verkehrsberuhigt und manche Straßenzüge wurden zu Fußgängerzonen umfunktioniert (z. B. in Horn die Pfarrgasse, in Gmünd der Bereich um das Alte Rathaus). Als Lösung für den belastenden Durchzugsverkehr bot sich oft der Bau einer Umfahrung an. Beinahe alle größeren Orte besitzen mittlerweile eine Umfahrung. Eine Ausnahme wegen der überaus schwierigen topographischen Verhältnisse stellt ledig151Vgl. Kreuzer, Straßenbau. 152Hitz, Entwicklung, S. 101. 153Katzenschlager, Die Zeit seit 1945, S. 462–463. 92 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer lich Zwettl dar. Bereits während der NS-Zeit gab es Planungen für eine Umfahrung in einem Bogen von Nordwesten bis Südosten, um die Straßen nach Weitra, Waidhofen, Horn und Krems anzubinden, doch abgesehen von einer kleinräumigen, lokalen Ortskernumfahrung blieb eine Lösung bis heute ausständig. Nach dem Vorbild größerer Städte richteten manche Städte auch eigene rein städtische Buslinien (z. B. Stadtbus Zwettl, 1999) ein. Im Zuge der durch die Aufwertung St. Pöltens zur Landeshauptstadt notwendig gewordenen Umorientierung des öffentlichen Verkehrs führte das Land Niederösterreich darüber hinaus 1996 ein neues Schnellbusnetz ein, das für eine bessere Anbindung der Regionen sorgen sollte, die sogenannten Wieselbusse. Zwei Linien bedienen das Waldviertel : Waidhofen–Horn– Krems–St. Pölten und Gmünd–Zwettl–Gföhl–Krems–St. Pölten. Während allerdings die Straßenverkehrsinfrastruktur in den letzten Jahrzehnten sukzessive ausgebaut wurde, geht der Trend im Schienenverkehr eher in die Gegenrichtung : Ausdünnung von Fahrplänen, Einstellung des Güter- und/oder Personenverkehrs oder sogar Stilllegung von Nebenstrecken. Die Bahn verzichtet seit geraumer Zeit auf eine flächenhafte Erschließung und beschränkt sich zusehends auf die Hauptstrecken. Aber auch diese verlieren an Bedeutung. Die Elektrifizierung der Franz-Josefs-Bahn wurde erst 1995 bis Gmünd fertiggestellt und der internationale Verkehr nach Prag wurde auf die Nordbahn über Brünn umgeleitet. Der Zwang zur automobilen Mobilität wird auch im Waldviertel immer stärker. Verkehr in den städtischen Zentren des Landes Das städtische Zentrum Niederösterreichs war Jahrhunderte lang und ist auch heute noch Wien. Hier liefen seit jeher alle Straßen und Eisenbahnlinien der Monarchie zusammen und hier gab es einen ausdifferenzierten innerstädtischen Verkehr, der auch das Umland miterschloss. Die größten Städte im neuen Bundesland Niederösterreich waren ab 1922 Wiener Neustadt mit rund 35.000 Einwohnern, gefolgt von St. Pölten mit 23.000 und Mödling mit 17.000 Einwohnern (Volkszählung 1920). Ingesamt zählten nach dem Ersten Weltkrieg acht Städte mehr als 10.000 Einwohner.154 Hatte St. Pölten schon um 1885 durch die von der Eisenbahn entwickelte Dynamik die Nachbarstadt Krems überflügelt, so war 1936 – vor allem durch umfangreiche Eingemeindungen – die Einwohnerzahl St. Pöltens mit rund 36.000 Einwohnern auch erstmals höher als jene Wiener Neustadts.155 Mit diesem kräftigen Wachstum und der damit einhergehenden räumlichen Ausdehnung der Städte stellte sich unweigerlich die Frage nach einem adäquaten innerstädtischen Verkehrsmittel zur Überwindung der weiter gewordenen Distanzen im Stadtgebiet. 154Statistisches Handbuch für die Republik Österreich, I. Jg., Wien 1920, S. 6 (Ortsanwesende Bevölkerung) 155Gutkas, Das alte St. Pölten, S. 36. Unterwegs in Niederösterreich 93 Die größeren niederösterreichischen Städte boten in dieser Hinsicht ein recht unterschiedliches Bild : Wiener Neustadt erhielt erst 1926 nach mehreren erfolglosen Anläufen, eine Straßenbahn zu errichten, ein städtisches Massenverkehrsmittel in Form des Autobusses. St. Pölten verfügte seit 1911 über eine Straßenbahn, die allerdings 1976 ihren Betrieb einstellte, und seit 1927 über einen städtischen Autobusbetrieb. In Mödling diente die elektrische Bahn Mödling–Hinterbrühl seit 1883 auch dem innerstädtischen Verkehr, 1887 erreichte die südliche Linie der Wiener Dampftramway Krauss & Co. Mödling, 1896 erfolgte die Anbindung an die elektrische Lokalbahn Wien–Baden (Badener Bahn) und ab 1927 baute die private LOBEG im Raum Mödling ein dichtes Autobusnetz auf. Auch in Baden fuhren seit 1894 eine von Pferdebetrieb auf elektrische Traktion umgestellte Straßenbahn und ab 1928 ein Autobus, während das nur unwesentlich kleinere Krems bis zur Einführung des Citybusses 1991 über kein eigenes innerstädtisches Verkehrsmittel im eigentlichen Sinne verfügte.156 Hingegen hatte es in Gmünd (1907–1918), Klosterneuburg (1908–1919), und Kalksburg (1909–1917) bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen Obus-Betrieb gegeben. Schließlich besaß Ybbs von 1907 bis zur Einstellung 1953 einen bequemen Anschluss an die Westbahn mittels einer elektrischen Straßenbahn zum außerhalb gelegenen Bahnhof Ybbs-Kemmelbach.157 Projekte für elektrische Straßenbahnen auch im ländlichen Raum, z. B. für die Strecke Dobersberg–Hötzelsdorf im Waldviertel (1900)158 oder für die Verbindung Krems–Gföhl (1916/26),159 gab es darüber hinaus zuhauf, sodass das Vorhandensein einer Straßenbahn somit nur bedingt als ausschlaggebendes Kriterium für Urbanität herangezogen werden kann. Angesichts dieses sehr heterogenen Bildes stellt sich natürlich die Frage nach den Ursachen für diese unterschiedlichen Entwicklungen. Zwar kann man verschiedene Phasen in der Entwicklung innerstädtischer Verkehrssysteme erkennen, an denen die einzelnen Städte in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt waren, doch andererseits war der jeweils eingeschlagene Pfad doch auch in sehr hohem Grade von den dahinter stehenden Persönlichkeiten, von den lokalen Gegebenheiten, von der spezifischen Situation bestimmt. Eine innovative Rolle spielte sicher die ursprünglich als schmalspurige Dampfeisenbahn geplante Brühler Bahn von Mödling in die Hinterbrühl.160 Sie gilt als die erste elektrische Eisenbahn Europas für Dauerbetrieb. Die Folge war ein regelrechter 156Bis 1991 führte der Postbus auch innerstädtische Linien, allerdings nicht im Taktverkehr, tel. Auskunft von Herrn Adolf Zeller, Stadtbus Krems, 14. 8. 2007. 157Laula, Straßenbahn Ybbs. 158Schlögl, Straßenbahn Dobersberg. 159Frühwirth, Doppelstadt Krems-Stein, S. 235 ff. 160Hohn/Stanfel/Figlhuber, Mödling-Hinterbrühl, S. 19. 94 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Nahverkehrsboom in den 1890er Jahren, als sich der Ausbau des Eisenbahnnetzes auf den Lokal- und Nahverkehr verlagerte und die Elektrifizierung des Nahverkehrs aufkam. Der Bau der Straßenbahn in Baden fällt in diese Periode, während die St. Pöltner und Ybbser Straßenbahnen eher schon als Nachzügler bezeichnet werden müssen. Der Ausbau des Nahverkehrs in Baden verdankt sich zum Großteil den Bedürfnissen des Fremdenverkehrs und des Kurbetriebes, aber auch betriebswirtschaftlichem Kalkül. Die frühe Einführung des elektrischen Betriebes in Baden – drei Jahre früher als in Wien – war in dem Interesse begründet, das für die elektrische Beleuchtung eingerichtete Kraftwerk auszunützen.161 Da der Strom für die Beleuchtung naturgemäß nur in den Abend- und Nachtstunden benötigt wurde, jedoch eine kontinuierliche Abnahme des erzeugten Stroms wirtschaftlich zweckmäßig war, bot der elektrische Betrieb eine ideale Lösung. Dieses Motiv war in vielen Städten bei der Umstellung der Straßenbahn von animalischer auf elektrische Traktion maßgebend. Dass der Pferdestraßenbahnbetrieb in der Kleinstadt Baden bereits an seine Kapazitätsgrenzen stieß, und deshalb – wie in den Großstädten – der Umstieg auf ein leistungsfähigeres Verkehrsmittel notwendig wurde, erscheint hingegen wenig plausibel. Vielmehr dürften Fragen der Hygiene (Verschmutzung der Straßen, Geruchsbelästigung) in dem noblen Kurort eine Rolle gespielt haben.162 Auch die Kurorte Abbazia (Opatija), Marienbad, Meran und Portorose legten sich in diesen Jahren elektrische Straßenbahnen zu. In St. Pölten dagegen wurde die Straßenbahn vermutlich in Reaktion auf die Industrialisierung und des dadurch bedingten Städtewachstums gebaut. Mit dem Wachsen der städtischen Bevölkerung wurden die Städte auch räumlich größer. Die Entfernungen von einem Stadtviertel zum anderen, zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, wurden immer größer und überstiegen häufig die fußläufige Distanz. Parallel dazu ließ die zunehmende Zahl der Großbetriebe immer mehr Menschen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte pendeln. Die damit verbundene Zunahme der Kommunikationsbedürfnisse ließ die Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsmitteln rasch ansteigen, sowohl zwecks Beförderung innerhalb der Stadt aber auch in das nähere Umland (Ausflugsverkehr).163 Wenn man bedenkt, dass sich in St. Pölten kurz nach der Jahrhundertwende drei große Betriebe, die J. M. Voith AG, die Vereinigten Glanzstoff-Fabriken und die Hauptwerkstätten der Staatsbahnen, ansiedelten und bestehende Betriebe Erweiterungen erfuhren, die St. Pölten eigentlich zur Industriestadt machten,164 so erscheint der Bau der Straßenbahn im Jahr 1911 rückblickend umso zwingender, zumal sie auch dem Gütertransport diente. Sie sollte explizit die umliegenden Industrieorte Wagram, Stattersdorf, Harland und Viehofen anbinden. 161Sternhart/Pötschner, Badner Bahn, S. 13. 162Vgl. Sandgruber, Strom der Zeit, S. 163. 163Kaufhold, Straßenbahnen, S. 219–220. 164Klee/Büttner, St. Pölten als Industriestandort, S. 33 f., 44 ff. Unterwegs in Niederösterreich 95 Dem Personenverkehr in St. Pölten wurde in den Planungen im Gegensatz zum Güterverkehr nur untergeordnete Bedeutung zugemessen. Doch entgegen den Erwartungen war der Andrang beim Personenverkehr von Anfang an überaus groß, sodass ein zusätzlicher Wagen geordert werden musste, und dies, obwohl der Berufsverkehr noch kaum ausgeprägt war. Die Arbeiter zogen es offensichtlich vor, mit dem Fahrrad in die Fabriken zu fahren, um das Fahrgeld zu sparen. Erst mit Beginn der kalten Jahreszeit stiegen auch vermehrt Arbeiter um.165 Es wäre dies ein Hinweis darauf, dass zumindest in St. Pölten, obwohl die Fabriken weit außerhalb lagen, die räumliche Segregation noch nicht so weit fortgeschritten war, dass der Arbeitsweg nicht noch leicht ohne städtisches Massenverkehrsmittel zurückgelegt werden konnte. Es bedeutet aber auch, dass sich zumindest ein Teil der St. Pöltner Arbeiter zumindest im Winter den Luxus einer Straßenbahnfahrt für den Weg zur Arbeit durchaus leisten konnte. Wer nutzte denn eigentlich die Straßenbahn ? Meist geht man für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg davon aus, dass eine Fahrt mit der Straßenbahn nur den mittleren und oberen Schichten vorbehalten gewesen sei, da sie für Arbeiter/-innen schlicht zu teuer gewesen sei. Doch viele Straßenbahnbetriebe boten eigene Arbeitertarife an und die in manchen Städten hohen Benutzerzahlen erscheinen ohne Arbeiter/-innen kaum erklärbar.166 1920 kommt man etwa auf jährlich 25 Fahrten/Kopf der St. Pöltner Bevölkerung, 1930 etwa auf 14, 1936 nur auf acht Fahrten und dann 1947, als die Zahl der beförderten Personen mit knapp 1,4 Millionen ihr Maximum erreichte, auch nur auf etwa 35 Fahrten/Kopf.167 Von einer Inanspruchnahme der Straßenbahn für den täglichen Weg zur Arbeit kann man somit keinesfalls sprechen, nicht einmal während der kalten Jahreszeit. Gegenüber Wien oder Linz war die Inanspruchnahme der Straßenbahn durch die St. Pöltner Bevölkerung somit äußerst gering : 1920 unternahm rein rechnerisch jeder Wiener bereits 269, jeder Linzer 69 Fahrten im Jahr und die Benutzungshäufigkeit zeigte in beiden Städten mit Ausnahme der frühen 1930er Jahre steigende Tendenz, in Wien stärker als in Linz.168 Der Fahrplan, der auf die Schichtwechsel in den Fabriken und auf die am Hauptbahnhof ankommenden und abfahrenden Züge ausgerichtet war, musste dennoch mehr und mehr verdichtet werden. An jenen Samstagen, an denen in Harland Lohnauszahlung war, verkehrte jedesmal ein Sonderzug, der ausschließlich mit Frauen besetzt war, die nach St. Pölten einkaufen fuhren.169 Der Güterverkehr entwickelte sich den Erwartungen entsprechend gut, war aber naturgemäß stark von der Auftragslage 165Marincig, St. Pöltner Straßenbahn, S. 10. 166Vgl. Kaufhold, Straßenbahnen, S. 235. 167Zahl der beförderten Personen entnommen aus : Marincig, St.Pöltner Straßenbahn, S. 45. Eigene Berechnungen. 168Kreuzer, Verkehr und Straße, S. 60. 169Marincig, St. Pöltner Straßenbahn, S. 10. 96 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer der Fabriken abhängig.170 Es gab über dreißig Anschlussgleise für überwiegend gewerbliche und industrielle Unternehmen. Demgegenüber erscheint der kurze Auftritt von Oberleitungs-Autobussen nach dem System »Mercédès électrique-Stoll« als kurzes Intermezzo. Von 1907 bis 1909 wurden in Österreich-Ungarn sieben Oberleitungs-Automobilanlagen eröffnet.171 Den Anfang hatte die Stadt Gmünd 1907 gemacht. Die guten Ergebnisse der Gmünder Linie hatten die Errichtung weiterer Obuslinien vom Bahnhof Klosterneuburg-Weidling der Staatsbahn nach Weidling (1908) und von Pötzleinsdorf nach Salmannsdorf in Wien (1908) zur Folge. Der Klosterneuburger Obus war wiederum Vorbild für jenen in Kalksburg. Auch hier galt es, den Ort verkehrstechnisch an den kaum vier Kilometer entfernten Bahnhof der Südbahn anzuschließen (1909). Im Laufe des Ersten Weltkrieges wurde die Beschaffung von Ersatzteilen, vor allem von Gummi für die Reifen, immer schwieriger, sodass die Betriebe in wirtschaftliche Turbulenzen gerieten. Nicht nur die schlechten Straßenverhältnisse, auch die Konkurrenz durch den Benzin-Autobus machten dem gleislosen Elektrofahrzeug zu schaffen, sodass schließlich alle niederösterreichischen Linien bis 1920 den Betrieb einstellen mussten. Technisch weiter entwickelte Oberleitungs-Autobusse konnten sich in Österreich erst wieder 1940 angesichts des kriegsbedingten Rohstoff- und Treibstoffmangels durchsetzen, allerdings nicht in Niederösterreichs Städten. 172 Ein in der unmittelbaren Nachkriegszeit vom St. Pöltner Baudirektor vorgelegtes Verkehrsprojekt für »GroßSt. Pölten«, das unter anderem ein Netz von Obuslinien vorgesehen hätte, war unter den damaligen Bedingungen wohl ohne jede Chance auf eine Realisierung.173 Wesentlich erfolgreicher war der Benzin-Autobus. Die erste dauerhaft betriebene Postautomobillinie Europas war 1905 in Bayern eingerichtet worden, die ersten österreichischen Linien verbanden 1907 Neumarkt mit Predazzo in Südtirol und Linz mit Eferding. In Niederösterreich wurde im Oktober 1908 eine Linie von Baden über Heiligenkreuz und Alland nach Klausen-Leopoldsdorf eröffnet. Aber es sollte noch bis zur Mitte der 1920er Jahre dauern, bis sich der Autobus auch im innerstädtischen Verkehr gegenüber der Straßenbahn durchsetzen konnte, auch wenn es etwa in Wien schon seit 1908 einen Kraftwagenbetrieb gab. In den Jahren 1926 und 1927 führte eine Reihe österreichischer Mittel- und Großstädte den Autobusbetrieb ein : die Landeshauptstädte Graz, Salzburg und Innsbruck sowie Mödling, Wiener Neustadt, Neunkirchen, St. Pölten und Steyr. 1928 folgte noch Linz. Alle Autobusbetriebe standen entweder in unmittelbarer Verwaltung der betreffenden Gemeinde oder wurden von Organisationen geführt, die von den Ge170Marincig, St. Pöltner Straßenbahn, S. 13. 171Wöber, Frühe Obusse, S. 133 ff. ; vgl. Wöber, Frühe Obusse (1991/92), S. 125–240. 172Vgl. Mackinger, Obus in Österreich. 173Marincig, St. Pöltner Straßenbahn, S. 17. Unterwegs in Niederösterreich 97 meinden weitgehend abhängig waren. Die Linien gingen meist von einem zentral gelegenen Platz aus und führten in die nähere Umgebung. Zusätzlich bestanden einige reine Stadtlinien. Die Tarife waren sehr niedrig, ja sie lagen sogar unter jenen der Bundespost und privater Unternehmungen, wodurch eine hohe Frequenz erzielt werden konnte.174 Als die Stadtgemeinde St. Pölten im April 1927 einen Autobusbetrieb mit acht Linien eröffnete, kam sie damit der St. Pöltner Straßenbahngesellschaft zuvor, die sich ebenfalls um die Konzession von Autobuslinien nach Spratzern und Viehofen bemüht hatte.175 Der städtische Betrieb expandierte sehr stark und konkurrenzierte damit auch wegen der niedrigeren Fahrpreise die Straßenbahn spürbar. Der Autobusbetrieb wurde 1938 der Post übertragen. Besonders erfolgreich agierte die Wiener Neustädter Städtische KraftwagenUnternehmung. Im November 1926 mit drei Autobussen gegründet, entwickelte sich der Betrieb geradezu explosionsartig. Nach nur einem Jahr zählte man bereits 40 Autobusse, die auf einer Linienlänge von 243 Kilometer monatlich rund 140.000 Kilometer fuhren und dabei 221.000 Personen (September 1927) beförderten. Maßgebend dafür war wohl auch die Bitte zahlreicher Bürgermeister der umliegenden Gemeinden, besonders aber auch des nahen Burgenlandes, um verkehrsmäßige Erschließung. Außerdem versprach man sich mit Recht durch die Heranbringung der Landbevölkerung eine wirtschaftliche Belebung der Stadt.176 Der Betrieb entwickelte sich in den folgenden Jahren zum größten niederösterreichischen Autobusunternehmen neben der Bundesbahn und der Post. Auch der St. Pöltner Betrieb prosperierte – zumindest anfänglich – ähnlich.177 Trotz eines sehr günstigen Tarifs,178 den sowohl der St. Pöltner als auch der Wiener Neustädter Busbetrieb 1927 boten, und der zweifellos hohen Benutzungsrate seitens der Industriearbeiter/-innen hatten die Fußgänger und Radfahrer weiterhin den größten Anteil am innerstädtischen Verkehr.179 Gesichertes Zahlenmaterial dazu liegt freilich nicht vor. Die weitere Entwicklung des lokalen Verkehrs nicht nur in den städtischen Zentren, sondern auch in den Kleinstädten und in den Dörfern des Landes war vor allem 174Richter, Mittelstädtische Autobusbetriebe ; Zur Frage der mittelstädtischen Autobusbetriebe, S. 240– 241. 175Die Straßenbahngesellschaft hatte nämlich in ihren Satzungen die Errichtung von Kleinbahnlinien in die Umgebung St. Pöltens in ihrem Programm, aber der Bau eines Gleisnetzes erschien wegen der hohen Anlagekosten vorerst nicht rentabel, daher die Bemühungen um eine Autolinienkonzession. 17650 Jahre Stadtwerke Wiener Neustadt ; Edelbauer, Ofenböck, S. 111. 177Presetschnik, Kraftwagen-Unternehmung. 178Vergleichsweise kostete 1 Kilogramm Brot 67 Groschen, 1 Liter Milch 52 Groschen und 1 Kilogramm Kohle 10 Groschen : Wirtschaftsstatistisches Jahrbuch 1927, S. 374–375. 179Vgl. Flanner, Zur Geschichte des Fahrrades. 98 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer durch den vorerst langsamen, nach dem Krieg aber umso rascheren Siegeszug des Automobils und die damit im Zusammenhang stehenden mannigfachen Veränderungen des Stadt- und Landschaftsbildes geprägt. Ende 1930 waren in der Stadt St. Pölten gerade einmal 81 Personenkraftwagen zugelassen, in Wiener Neustadt immerhin 172, dazu kamen etwa gleich viele Lastkraftwagen. Viele Gewerbe- und Industriebetriebe erkannten rasch die Vorteile, die ihnen der Lastkraftwagen gegenüber dem Pferdefuhrwerk bot, und stiegen auf das motorisierte Transportmittel um. Nicht nur Bäckereien, Brauereien, Speditionen, auch die Feuerwehr, die Müllabfuhr und andere motorisierten sich. Allerdings vollzog sich die Motorisierung in der Zwischenkriegszeit überwiegend über das in Anschaffung und Betrieb kostengünstigere Motorrad. In St. Pölten waren 1930 bereits 499, in Wiener Neustadt 1247 Motorräder unterwegs.180 Dabei darf man jedoch nicht übersehen, dass ein großer Anteil dieser einspurigen Fahrzeuge während der Wintermonate abgemeldet wurde, um Steuern zu sparen. Nach 1945 waren die Bestandszahlen der Vorkriegszeit rasch wieder erreicht und sogar überholt. Bereits 1948, zum Zeitpunkt der ersten statistischen Erfassung nach dem Krieg, waren in St. Pölten 153, in Wiener Neustadt 182 und in Krems 135 Pkw registriert sowie jeweils die zwei- bis dreifache Zahl an Motorrädern.181 Mitte der 1950er Jahre setze die Massenmotorisierung dann voll ein. Kam Ende 1951 noch 1 Pkw auf 142 St. Pöltner, 81 Wiener Neustädter, 90 Badener und 98 Kremser, so hatten sich diese Verhältnisse bereits 1957 radikal verändert. Nun teilten sich rein rechnerisch nur noch jeweils 27 St. Pöltner, 22 Wiener Neustädter, 27 Badener und 25 Kremser einen Pkw.182 Das Auto verdrängte die anderen Verkehrsteilnehmer sukzessive von der Straße. Der Fußgänger wurde auf den Gehsteig verwiesen, der Radfahrer auf den (meist nicht vorhandenen) Radweg, der öffentliche Verkehr konnte mit der übermächtigen Konkurrenz vielfach nicht mithalten. Sowohl die Badner und die Ybbser Straßenbahn als auch etwas später die St. Pöltner Straßenbahn stellten ihren Betrieb ein. Doch bereits zuvor begann der autogerechte Umbau der Städte mit Straßenverbreiterungen, Unterführungen etc. Die Zerstörungen des Kriegs hatten die Voraussetzungen dafür geschaffen, um die bereits in der Zwischenkriegszeit ventilierten Pläne und Ideen umsetzen zu können. So entstand etwa in Wiener Neustadt zur Entlastung der bisherigen, über den Hauptplatz führenden alten Ortsdurchfahrt, die seit langem als arges Verkehrshindernis betrachtet worden war, eine neue, im Osten der Stadt gelegene, breite Ortsumfahrung, die Grazer Straße, für deren Bau auch wertvolle alte 180Statistik Kraftfahrzeuge 1930, S. 17. 181Statistik Kraftfahrzeuge 1948, S. 19. 182Statistisches Jahrbuch österreichischer Städte 1951, S. 46 ; Statistisches Jahrbuch österreichischer Städte 1957, S. 30. Unterwegs in Niederösterreich 99 Dichter Autoverkehr in der Mödlinger Elisabethstraße, um 1970 (Museum Mödling / Bezirks-MuseumsVerein Mödling). Bausubstanz geopfert wurde. Sie wurde 1954 eröffnet.183 Die Triester Bundesstraße galt als eine der am stärksten belasteten Straßen Österreichs überhaupt. Am Wochenende zählte man 1955 über 10.000 Fahrzeuge pro Tag, in der Verkehrsspitze gar bis zu 3650 Kraftfahrzeuge in der Stunde, ein für die damalige Motorisierung extrem hoher Wert.184 Im Gegenzug finden sich bereits in den unmittelbar nach dem Krieg ausgearbeiteten Wiener Neustädter Wiederaufbauplänen auch schon Vorschläge für eine Umwandlung der Altstadt in eine Fußgängerzone. Tatsächlich eröffnet wurde die erste Fußgängerzone Niederösterreichs in St. Pölten im Dezember 1961. Zahlreiche weitere folgten, darunter Mitte der 1970er Jahre die Kremser Landstraße im Zuge der großangelegten Altstadtsanierung.185 Der zunehmend akuter werdenden Parkplatznot in den Stadtzentren versuchte man unter anderem mit dem Bau von Parkhäusern Herr zu werden, so zum Beispiel in Krems mit dem Bau zweier Anlagen an der Ringstraße und in der Nähe des Südtirolerplatzes in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. 183Ortsdurchfahrt Wiener Neustadt ; Gerhartl, Wiener Neustadt, S. 509 ; Pfau, Wiener Neustadt, S. 503– 505 ; Dorner, Wiener Neustadt, S. 38. 184Dorner, Wiener Neustadt, S. 38. 185Kühnel, Altstadtsanierung, S. 19. 100 Günter Dinhobl · Bernd Kreuzer Die städtischen Verkehrsprobleme waren mit der zunehmenden Trennung der Verkehrsarten bei weitem nicht gelöst. Zwar konnte die bis in die 1970er Jahre rasant ansteigende Zahl der Verkehrsunfälle und der dabei Verunglückten gesenkt werden, doch um welchen Preis für die Lebensqualität und das Stadtbild ! Auch wenn die Fehlentwicklungen der 1960er und 1970er Jahre mittlerweile erkannt und eingestanden wurden und Gegenmaßnahmen wie Straßenrückbauten, Verkehrsberuhigungen, die Anlage von Radwegen, die Einführung von Citybussen186 sowie generell die Förderung umweltschonender Verkehrsmittel spürbare Verbesserungen brachten, so nimmt der (motorisierte) Verkehr trotzdem weiterhin zu. Die autogerechte Stadt ist zwar nicht mehr das mehr oder weniger offen verfolgte Ziel der Stadtverwaltungen, doch für radikale Maßnahmen zur Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs fehlt oft der Mut, auch wenn manche Städte durchaus vorbildhaft agieren wie etwa Baden oder die »Verkehrsspargemeinde« Langenlois. 186Ausführlich dazu : Dokumentation Ortsverkehre.