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CHRIST IN DER GEGENWART Sonderdruck „Ein neues Priestertum“ Priester sein heute – wie fühlt sich das an? Von Erich Guntli W ie fühlt sich das an?“ Bis vor kurzem kannte ich diese Formulierung nicht. Es ist keine Frage der Theorie, es ist eine Frage nach dem eigenen Befinden – subjektiv, ohne Anspruch auf Gültigkeit für alle. Fußnoten braucht es keine. Zwanzig Jahre bin ich Priester. Ich bin es immer noch. Ich gedenke es auch zu bleiben. Trotz allem. Wie fühlt sich das an? Am Anfang stand der innere Ruf. Traditionell römisch-katholisch sozialisiert, ging mein Weg durchs Theologiestudium hindurch. Schon vor zwanzig Jahren waren Fragen um das Thema „Priester sein“ aktuell, das mulmige Gefühl ein ständiger Begleiter. Die kirchlichen Unterhaltungsthemen – Hierarchie, Macht, Männerherrschaft, Frauenunterdrückung, Zölibat – sorgten für hitzige Diskussionen. Der Gewissheit, der eigenen Berufung treu zu sein, stand die Ungewissheit gegenüber, ob es die richtige Berufung ist. Das Theologiestudium klärte einiges. Neben vielen Fragen gab es auch gute Gründe, sich für die Weihe zu entscheiden. Zugegeben – viele dieser Gründe wurden hochstilisiert in jener Zeit der Kirchenträume: Priester sein mit dem Volk und für das Volk, die Gemeinde befähigen, ein eigenes spirituelles Leben zu entwickeln, das Charis- ma leben und weniger herrschen, sondern dienen, von Christus her authentisch leben und nicht den eigenen Persönlichkeitswert vom Amt her definieren. Paläste verbergen den Stall Manches blieb aber ungeklärt, gerade auch die Entscheidung für den Zölibat. Es wurde zwar darüber geredet. Christus nachfolgen, frei und ungebunden sein, das war das Ziel. Keine Rücksicht nehmen zu müssen auf eine Familie und dadurch verfügbarer zu sein für die Kirche, war ein bestechendes Argument. Die psychosexuelle Dynamik in den Lebensphasen wurde ausgeklammert, sei es in den Gesprächen, sei es in der persönlichen Reflexion. Dass das sexuelle Bedürfnis durch die Enthaltsamkeit abnehme, sollte sich später als Illusion entpuppen. Die Zukunft wurde betrachtet im Licht des Ideals, welches das Dunkel ausblendet. Ausgeblendet wurden auch die soziologischen Fakten. Doch wer vom Ideal beseelt ist, Diener an der Gemeinschaft sein zu wollen, darf nicht überse- hen, dass er in eine Führungsposition hineinrutscht. Wer vorne steht, ist automatisch nicht mehr auf derselben Ebene wie die hinten. Wer dafür plädiert, die Gemeinde müsse eigenverantwortlich denken und handeln und selber Subjekt werden, darf sich nicht der Illusion hingeben, er könne sich herausnehmen. Wer in eine Führungsposition gelangt, wird zum Objekt, auf das geschaut wird. Aus dem Seminar raus und hinein in die Pfarreiarbeit, damit begann die Konfrontation mit der real existierenden Kirche, mit einer Kirche, die ein Imageproblem hat. Zwischen dem Ideal, das sie vertritt – Vermittlerin des Evangeliums vom Reich Gottes zu sein –, und dem Erscheinungsbild der kirchlichen Vertreter klafft eine Lücke, auf allen Ebenen. Der arme Wanderprediger aus Galiläa wird vom obersten Würdenträger im Vatikan vertreten, umgeben von Würdenträgern in einem Umfeld, das mehr an die Paläste jener erinnert, die Jesus verurteilten, als an den Stall, in dem er geboren worden sein soll. Gewiss, mancher Dom und manche Kirche sind beachtenswerte Kulturgüter, es wird jedoch von den Gläubigen einiges an spiritueller und gedanklicher Akrobatik gefordert, das verkündete Evangelium und dessen 1 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART Verkünder sowie ihre Lebenswelt in Übereinstimmung zu bringen. Ähnliches gilt für die Diözesanebene. Wer den Wagenpark bei einer Versammlung des kirchlichen Personals betrachtet, wird eher an ein Managerseminar erinnert. Die Verbürgerlichung des kirchlichen Personals ist weit fortgeschritten. Über den Gehorsam und die Keuschheit wird diskutiert. Die Armut wird ausgeklammert. Dies ginge wohl zu nahe. Die Kirche wird nicht mehr als von Gott gegeben wahrgenommen. Zunehmend wird ein religionsgeschichtlicher, kulturhistorischer und theologischer Exkurs notwendig, um nachzuweisen, dass die real existierende Kirche noch etwas mit dem hier-archos, mit dem heiligen Ursprung zu tun hat. Es fühlt sich nicht gut an, sich selbst und die Kirche immer mehr rechtfertigen zu müssen, statt von der frohen und befreienden Botschaft Jesu zu erzählen. Das hat Folgen für die Berufungen. Sie nehmen ab, bewegen sich auf den Nullpunkt zu. Dies gilt für alle kirchlichen Dienste, insbesondere für den des Priesters. Liebe, Einheit und Gemeinschaft wird von jungen Menschen eher an andern Orten erfahren, als in der Kirche. Der Blick in die Runde einer Priesterversammlung lässt unweigerlich die Frage aufkommen: Wer überlebt die nächsten zehn Jahre? Fantasien über größere Zeiträume müssen verdrängt werden, um nicht depressiv zu werden. Das Durchschnittsalter der Priester in Mitteleuropa liegt in etwa an der Grenze des bürgerlichen Pensionsalters. Nachwuchs ist kaum in Sicht. Sonderlich gut fühlt es sich nicht an, einer aussterbenden Gattung anzugehören, als Relikt vergangener Zeiten zu gelten. Ebensowenig fühlt es sich gut an, nicht mit gutem Gewissen kürzer treten zu können, wenn die Kräfte nachlassen. Zwischen Fossil und Reliquie – keine sonderlich stimmige Perspektive. Da sind Sympathiekundgebungen ebensowenig hilfreich wie der immer wiederkehrende Hinweis, wie unendlich wichtig, wertvoll und schön der priesterliche Dienst sei. Priester sein mit dem Volk und für das Volk, volksnah – dies erscheint als Illusion. Ob nun Seelsorgeverbände, Pfarreiverbände, Seelsorgeeinheiten oder pastorale Räume – die Fantasie bei der Namensgebung für pastorale Ge- bilde blüht. Sie werden kreiert, um die priesterlichen Dienste noch möglichst vielen zugänglich zu machen. Servicekirche für jene, die es brauchen. Für den Priester bedeutet dies institutionalisierte Beziehungslosigkeit. Es fühlt sich alles andere als gut an, sich ins Auto setzen zu müssen, um in die nächste Kirche zu fahren. Besser wäre es, vor der Kirche noch Zeit für einen Schwatz zu haben. Nahe beim Volk zu sein, Freude und Hoffnung, Trauer und Angst mit den Menschen zu teilen, verunmöglicht der Arbeitsablauf. Die Spendung der Sakramente, Zeichen der heilsamen Nähe Gottes, verkommt zum Ritual. Weiheamt und Laienstand Der Mangel an Priestern führte zur Bildung neuer pastoraler Dienste. Frauen und Männer mit theologischer Ausbildung nehmen als Laien, meist verheiratet, Aufgaben wahr, die ursprünglich an den Dienst des Priesters gebunden waren: Seelsorgegespräche, Katechese, Hilfeleistungen. Ekklesiologisch wird immer noch gerungen um die Zuordnung dieser verschiedenen Dienste zueinander. Durch Taufe und Firmung ist jeder dazu berufen, dem Auftrag Jesu zu folgen, Zeugnis abzulegen vom Reich Gottes. Der Priester sei in besonderer Weise hineingenommen in den Dienst, zusammen mit dem Bischof in persona Christi zu handeln und zu wirken. Auch das fühlt sich eigenartig an, ein Sonderfall zu sein, ein nicht einmal unumstrittener. Die reformatorischen Kirchen haben sich vom besonderen Weihepriestertum verabschiedet. Umso heftiger wird es in der katholischen Kirche verteidigt. Dies geschieht vorwiegend in Abgrenzungen: Die Laien dürften nicht klerikalisiert, die Priester nicht laiisiert werden. Regeln sollen Ordnung schaffen, die den Ordo (Weihestand) schützen. Tatsächlich müssen Laientheologen und Priester zusammenarbeiten. Ein wirkliches „Zusammen“ ist und bleibt aber ein Ideal. Dieses Ideal gilt es aber anzustreben, es muss immer wieder darum gerungen werden. Die Charismen zum priesterlichen Dienst und zum Dienst als Laientheologen sind unterschiedlich. Unterschiedlich sind auch die Vorstellungen 2 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART darüber, was Kirche ist oder sein sollte. Wem der „Status quo“ der kirchlichen Strukturen selbstverständlich ist und wer sich nicht in der Illusion wiegt, es könnte sich in absehbarer Zeit daran etwas ändern, dem fällt es leichter, seinen Platz einzunehmen. Der Laie füllt seinen ihm zugestandenen Raum aus bis an die Grenzen des Möglichen. Der Priester delegiert Aufgaben, soweit es ihm sinnvoll und möglich erscheint. Laien wie Priester können jedoch ganz unterschiedliche Vorstellungen von Kirche haben. Steht ein Laie dem Weihesakrament skeptisch gegenüber, kann es zu Spannungen führen, insbesondere dann, wenn der Priester ganz aus dem lehramtlich definierten Konzept des priesterlichen Dienstes heraus lebt. Dieses Konzept wird vor allem sichtbar an der Rollenaufteilung in der Liturgie. Tages-, Gaben- und Schlussgebete sind priesterliche Gebete, ebenso das Hochgebet. Wird diese Grundordnung unterlaufen, kann sich das Gefühl einstellen, es werde dem Priester auch noch das Wenige weggenommen. Der Laie wird zur Bedrohung für die priesterliche Rolle. Tut sich umgekehrt ein Priester schwer damit, dass es Laien im kirchlichen Dienst gibt, oder erscheint ihm dies gar der wahren kirchlichen Struktur widersprechend, dann werden geringfügige Angelegenheiten zum Vorwurf gemacht, Kompetenzen zu überschreiten. Wenn man zum Magier wird Die Zusammenarbeit ist also keineswegs frei von Animositäten. Die Empfindlichkeiten liegen auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Sie können privater wie auch theologischer Natur sein. Bei Theologen und Theologinnen reichen Spiritualität und Theologie tief in die Persönlichkeit hinein. Sie begründen einen großen Teil der Identität. Das macht empfindsam und empfindlich. Priester wissen oft darum, wie zu Beginn des Studiums eines männlichen Mitarbeiters der Wunsch stand, Priester zu werden. Der Wechsel des Lebensentwurfs führte dann zur Heirat und zum Beruf des Laientheologen. Dies kann ganz unterschiedliche Gefühle auslösen. Aus der Sicht des Priesters ist der Kollege ein „verhinderter Priester“, eine lebendige Erinnerung daran, selber nicht den Mut gehabt zu haben, den eigenen Lebensentwurf aufzugeben, ein Mitarbeiter, der von Eifersucht auf den priesterlichen Dienst heimgesucht wird, ein Mitarbeiter, der jene familiäre Geborgenheit erfahren darf, die dem Priester selbst fehlt. Entsprechend sind die Reaktionsmuster. Von Eifersucht bis Ablehnung oder starkem Anlehnungsbedürfnis ist alles möglich. Das Gegenüber hat etwas, was man selber nicht hat. Handelt es sich um eine Mitarbeiterin, dann wird die Gefühlslage nochmals komplexer. Für den Priester ist die Mitarbeiterin eine Frau, die zum Altar schielt und unglücklich ist, selbst nicht Priesterin zu sein, eine erotische Herausforderung, zumal der Priester während der Ausbildung sich in einer reinen Männerwelt aufgehalten hatte, eine Bedrohung der männlichen Dominanz schlechthin, ein Symbol dafür, dass der feministische Geschlechterkampf bis in die Kirchenmauern eingedrungen ist. Auch da sind alle möglichen Spielarten der Gefühlslagen offen, die zu sonderbarsten Verhaltensmustern führen. Wenn man als reaktionär gilt Der Priester wird immer mehr als priesterlicher Mitarbeiter in einem größeren Team eingesetzt. Zum Einzelgänger erzogen, muss er sich mit einem Male in ein Gruppengebilde einfügen. Eine Herausforderung, die nicht so einfach zu bewältigen ist. Vom Ordo her gesehen ist der Priester beauftragt, die Sakramente zu spenden. Obwohl für weitere pastorale Aufgaben ausgebildet, wird seine Tätigkeit in größeren pastoralen Gebilden auf die Sakramentenspendung reduziert. Es fühlt sich nicht gut an, auf einen kleinen Bereich eines weiten Aufgabenfelds reduziert zu werden. Wird er bei der Liturgie, insbesondere in der Eucharistiefeier, zum Konsekrator zurückgebunden, damit der Ordnung Genüge getan wird, dann fühlt sich dies sehr schlecht an. Der Priester wird zum Magier, der befugt ist, die rituellen Formeln zu sprechen. „Versprichst du mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam“, fragt der Bischof bei der Priesterweihe. Der Priester ist Mitarbeiter des Bischofs und somit eingebunden in die hierarchischen Strukturen der Kirche. Aus der Binnensicht lässt sich diese Struktur theologisch begründen. Außerhalb der Kirche gilt die Demokratie als die adäquate Form der Gestaltung gesellschaftlichen Lebens. Außenstehenden ist es kaum einsichtig zu machen, weshalb die Demokratie nicht auch in der Kirche gültig sein kann. Diese Frage spitzt sich bei den Zulassungsbedingungen zum Dienst des Priesters zu. Nach demokratischem Verständnis besteht zwischen Mann und Frau Gleichberechtigung. Gemäß römisch-katholischer Richtlinie kann nur ein ehelos lebender Mann zum Priester geweiht werden. Von außen betrachtet, ist dies ein Verstoß gegen die Gleichberechtigung. Die theologische Begründung, ausschließlich Männer zu weihen, wird von vielen nicht mehr akzeptiert, zumal andere Kirchen – oder nach offizieller Sprachregelung: kirchliche Gemeinschaften – ebenso theologisch die Zulassung der Frau zum Priesterdienst begründen. Eingebunden in das hierarchische Gefüge der römisch-katholischen Kirche, auserwählt als Mann für den priesterlichen Dienst, mehr oder weniger verwurzelt in einer theologischen und liturgischen Tradition, verkörpert der Priester in der Außenansicht den Typus des Reaktionärs. Der Priester gilt als Ausführungsorgan eines überholten Apparates. Wenn man unter Verdacht steht Ähnliches gilt für die Binnensicht. Im Zuge der kritischen Philosophie entwickelte sich eine kritische Theologie. Es ist eine Theologie des Verdachts. Ideal ist, was noch nicht ist. Aus dieser Sichtweise stehen gerade Priester auf der falschen Seite. Sie stehen auf der Seite der bestehenden Strukturen und nicht auf der Seite der Kirche, die Jesus gewollt haben soll. Es fühlt sich nicht gerade gut an, unter dem Verdacht zu stehen, Verteidiger herrschender Strukturen zu sein und als Hindernis „Um den christlichen Glauben angesichts der Zeichen der Zeit immer wieder neu vergegenwärtigen und formulieren zu können, muss er sich den jeweiligen Herausforderungen stellen, wofür Bewegung und Beweglichkeit ausschlaggebend sind. Lebendiges Christsein in einer modernen Welt braucht auch geistige Beweglichkeit. Dafür steht die Zeitschrift CHRIST IN DER GEGENWART.“ Erzbischof Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburg „Gerade CHRIST IN DER GEGENWART stellt sich in besonders aktueller Weise in den Diskurs über Glaube und Religion, Gott und die Welt und ist damit ein interessanter Mosaikstein in der andauernden Wertedebatte. Als Nachrichtenfrau christlichen Bekenntnisses verfolge ich mit Begeisterung die thematische Vielfalt von der Diskussion theologischer Grundbegriffe über die christliche Sicht des Zeitgeschehens bis hin zu Reportagen aus aller Welt.“ Gundula Gause, ZDF-Moderatorin und Journalistin „Eine ökumenische Haltung ist nötig, die mit den Differenzen zwischen den christlichen Kirchen respektvoll umgeht, aber daran festhält, dass es in der einen wie in der anderen Kirche um die eine Sache Jesu Christi geht. Ein solcher ökumenischer Geist ist keineswegs selbstverständlich. Aber in CHRIST IN DER GEGENWART habe ich ihn wieder und wieder gefunden.“ Bischof Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Berlin 3 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART für die Weiterentwicklung der Kirche zu gelten. Priester sein im lateinischen Ritus der römisch-katholischen Kirche heißt auch: im Zölibat leben. Die theologische Begründung dafür steht auf schwachen Beinen. Der autoritative Entscheid des Lehramts für die Beibehaltung des Zölibats nährt sich aus der spirituellen Tradition vergangener Jahrhunderte. Diese ist durchaus bedenkenswert. Sie kann nicht vorschnell über Bord geworfen werden. Heute zölibatär leben heißt eine Gratwanderung vollziehen zwischen religiös verbrämtem Singledasein, spirituell überhöhtem Egoismus und ehrlichem Bemühen, dem Lebensentwurf zu entsprechen. Hauptargument für die zölibatäre Lebensform ist die Aussage, der Priester lege durch seine Ehelosigkeit Zeugnis ab für ein erfülltes Leben, das durch die Beziehung zu Christus und seiner Kirche geschenkt werde. Genau dieses Argument trägt nicht mehr. Eine Lebensgemeinschaft mit einem Menschen durch eine radikal andere Lebensform zugunsten einer Institution zu ersetzen, ist schwer zu verstehen, noch schwerer, die Institution in Entsprechung zu Christus zu setzen. Entweder kommt der Verdacht auf, hinter der Lebensform des Zölibats etwas verstecken zu wollen, oder es wird ein psychischer Defekt vermutet. Es fühlt sich nicht sonderlich gut an, in der Lebensform von allen Seiten infrage gestellt zu werden. Wenn man in Widersprüchen leben zu einer neuen Identität finden. Kein leichtes Unterfangen. Die ernsthafte Auseinandersetzung jener, die den priesterlichen Dienst aufgeben, ist eine bedenkenswerte Anfrage an jene, die bleiben. Lange Zeit verdrängt, wurden sexuelle Übergriffe von Priestern in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit geholt. Bis auf die höchste Stufe der Hierarchie musste die Problematik eingestanden werden. Dass ausgerechnet Vertreter jener Kirche, welche stets eine rigide Sexualmoral vertritt, durch sexuelle Übergriffe auf Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder für Schlagzeilen sorgen, fühlt sich alles andere als gut an. Der Glaubwürdigkeit wird der Boden entzogen. Verurteilungen sind nicht angebracht. Hinter solchen Übergriffen verbergen sich seelische und körperliche Dramen. Trotzdem fühlt es sich nicht gut an, unter dem Verdacht zu stehen, ein sexuelles Monster zu sein, vor dem gewarnt werden muss. Je weniger die Zeichenhaftigkeit der zölibatären Lebensform verstanden wird, umso mehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf das Sexualverhalten des ehelos lebenden Priesters. Die alten Fragen des Beichtspiegels – Allein? Mit andern? Dem selben / dem andern Geschlecht? – diese Fragen kehren in säkularisierter Form der Neugier wieder. Durch die Enttabuisierung wurde die Sexualität aus dem Intimbereich herausgeholt. Das muss nicht unbedingt nur beklagt werden. Es zwingt, genauer auf die Gestaltung des Sexuallebens zu schauen. Ein Leben im Trotzdem Nicht selten verlassen Priester ihren priesterlichen Dienst. Sie sind nicht einfach Opfer der Verführung durch eine Frau oder einen Mann, schwache Menschen, die ihrer Berufung nicht treu sein konnten, Menschen, die Spiritualität und Gebet zu wenig gepflegt haben, und was ihnen sonst noch vorgeworfen wird. Den Lebensentwurf überprüfen und sich neu orientieren, das ist mühsame Seelenarbeit. Beim Priester hängen Beruf und Berufung zutiefst zusammen. Die Berufung macht einen großen Anteil der Identität aus. Die Identität wird durch den Beruf genährt. Der Schritt aus dem priesterlichen Dienst heraus heißt auch Dieses Hinschauen zeigt, dass sich die Sexualität nicht einfach über das sechste Gebot regulieren lässt. Sexualität ist eine dynamische Größe im Leben und transformiert sich immerzu. Gewiss wurde bei der Weihe das Versprechen abgegeben, ehelos und damit enthaltsam zu leben. Dieses Versprechen wird im Lauf der Jahre durch die psychosexuelle Entwicklung immer mehr infrage gestellt. Es fühlt sich alles andere als gut an, durch die Ausübung des Priesteramtes öffentlich zu bekunden, so zu leben, wie versprochen wurde. Dann jedoch muss im Beichtstuhl oder auf der Couch des 4 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART Therapeuten mühsam eingestanden werden, dieses Versprechen nicht einhalten zu können. Öffentliches und privates Leben sind geteilt durch einen Bruch, der gefüllt ist mit Schuldgefühlen. Priester sein heute – wie fühlt es sich an? Nicht sonderlich gut. Vorbei die Zeiten, als man den Priester noch Hochwürden nannte. Vorbei die Zeiten, wo die Kirche als Haus voll Glorie betrachtet wurde. Leben als Priester ist ein Leben mit inneren und äußeren Widersprüchen, Ungereimtheiten, Absonderungen, Ausgrenzungen und in der Konfrontation mit allen möglichen Abgründen der eigenen Seele. Priester sein – es ist ein Leben im Trotzdem. Die bestens dokumentierten Absicherungen und Zusicherungen kirchenrechtlicher und dogmatischer Art und die Konfrontation mit dem gelebten Leben als Priester münden ein in die Aussage, die Jesus machte, als er gefragt wurde, wo er wohne. „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20). Erich Guntli ist Priester und Dekan im Bistum St. Gallen, Schweiz. IHRE INSPIRATION. WOCHE FÜR WOCHE. BILDER DER GEGENWAR T OKTOB ER 2009 Lesen Sie CHRIST IN DER GEGENWART, die Wochenzeitschrift Nachrichten und Berichte aus Kirche und Kultur, Glaube und Gesellschaft ● Kommentare und Analysen zu aktuellen Fragen und dem politischen Zeitgeschehen ● Anregungen zum inneren Leben ● moderne Spiritualität und religiöse Impulse ● CHRIST IN DER GEGENW ART 42 Die Minderheit D Foto: Achim Pohl ● Zukunft Bildung : Koptische Frauen bei einem Alphab etisierungskurs Wessen Eigentu im Dorf Hassan m? Besha in Mittelä Die Debatte überVon Wenn selbst Gott Magda gypten Grenzen lena SuerbaumDie machtlos ist und Pflichten des Sozialstaats ist Sprache der Literatu Bücher der Gegen neu rnobelpreisträPhilosophen mischen entbrannt. Auch gerin Herta Müller Religiöse und theologiwart sich ein. treibt in die Abgrünas winzige 463 Zimmer deist dernur erscheinungen dieses sche NeuExistenz spär. einen Tagesablauf, lich möbliert. Ein schmale Herbstes 477 der Beten, Essen im Diskurs. s Bett, und Arbeiten umfasste, ein kleiner Tisch, ein 61. JAHRGANG 465 und erbaute anstelle klappriger FREIBU RG, 18. OKTOB der verstreuten Unterkü ER Stuhl 09 und ein nfte und Höhlen feste , alles WWW.C alt und ein wenig herunte Schrank HRIST-I Häuser mit einzelne rgekommen. Einzig N-DER-GEGENWART.DE n Zellen. Das Beispiel die vielen Heiligen machte Schule, und bilder, die überall EINZELPREIS: 2,10 DER KOMM ENTAR an den Wänden kleben, EURO 461standen nun mehrerein rascher Folge entmachen den Raum hundert freundlich. So karg Klöster in ganz Ägypten. sieht die Zelle einer Nonne im koptisch Die Einsiedler suchten -orthodoxen Kloster zwar die Ein„Benat Mariam“ samkeit der unbewo Ägypten war das erste (Töchter Marias) hnten Wüste, mussten von Beni-Suef in Oberägy Land, das vollständig sich aber auch vor pten aus. Liebevoll christianisiert wurd Beduinen-Überfällen as Christentum sei eingerichtet und geradez Wer uganz schützen. 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Es ist aber müssen daEs ist eine alte mit Schriftlich kann man rung. Macht pädagog rechnen als Dienst. Das Modell, besser alles abwägen ische Regel, dass ein , korrigieren, sich weiter verständ das uns Erzieher Man verfolgt , angegriffen zu werden. Jesus mit den Ehrgeiz seiner seinem igen. sie, Die sucht Leben Langsam Schüler sie und seinem mit Attenta- Sterben Beharrlichkeit und keit, zwar för- ten heim. dern soll, dass dies Achtsamkeit, zu denen vor Augen gestellt hat, Manche überlebe aber von Geschriebenem das Lesen wird imn ihre mer noch fühl für solidarisches mit einem Gezwingt, haben unsere gelebt. Mitten unter Verhalten verKultur vorangebracht, einschli uns. bunden werden muss. eßlich Auch wer mit Wenn nun das Internet der religiösen. anderen rivalisiert, mit seiner virtuelle muss sie respektieSchriftlichkeit und n ren und ihnen sogar Schnelligkeit, aber den auch Schnelllebigkeit dazukommt, sen, wenn es die Situation Vortritt lasbietet das viele Vorteile erfordert. sondere die der Grenzüb , insbeDas Sonntagsevange lium erzählt erreichen selbst abgesch erschreitung. Elektronen eine ernste Geschic hte das Buch nur schwer ottete Regionen, wohin es nem Humor. Ein paar mit verhalteschafft. So wie das Bibellese Vorschnelle und einst dem Volk vom n Neunmalkluge aus Lehramt untersagt dem Jüngerkreis war, um es vor kritisch-aufkläre Jesu schleichen sich rischem Selberdenken zu ihm, um sich ten, versuchen heute zu behüSonderplätze bei der noch viele weltliche künftigen MachtAutoritäten durch Zensur ihre Macht verteilung zu sichern. zu schützen. Das geschieh „Wer zuerst unter dem Vorwan t kommt, der erkennt d, sie seine Chance“, „schützen“, indem sie wollten doch nur das Volk denken sie sich. Jesus es nicht lesen lassen, stellt sie nicht in „verwirren“ könnte. was aller Öffentlichkeit Das schriftliche Internet zur Rede. Er fragt frei, schafft jedoch macht sie jedoch, ob sie mit seiner Inflation sich schon einmal ungeprüfter Informationen und selbst darüber Rechens Meinungen neue Problem chaft gegeben ist besonders anfällig haben, was auf sie für Propaganda. Was e. Es zukommt, welche Bildschirm steht und auf Konsequenzen sich ungefiltert zum Beispiel dem ergeben, wenn sie sogenannten Leserrep von für das Reich Gottes ortern präsentiert wird eintreten: „Könnt zuverlässig ist das? – wie ihr den Kelch trinken, Was ist Wahrheit, was den ich trinke?“ Wichtigtuerei, was Manipu Vielleicht werden sie lation? jetzt schon etwas nur nach dem Verstand Der Glaube fragt nicht So wie Jesus einst kleinlauter – wenn zum , sie auch diese jungen Brasilian Jordan kam und sich von Johannes taufen was den Verstand und sondern auch nach dem, Anliegen weiter vertrete tapfer ihr er ließ, feiern damit aus dem See Genezar aus verschiedenen Freikirchen dort, n und ihren Oft ist es das Bild. Weiterh den Glauben anregt. Mut betonen: „Wir wo eth in bleibt aber das gelesene können es!“ Christi Tod und Auferste zum Toten Meer fließt, einen Taufritus der Jordan Wort mächtig, ob es : bezogen auf Was aber Jesus vor uns nung aufs ewige Leben. hung, in der Gemeinschaft der Nachfolg allem sagen will: über www, das World nun im Druck erreicht oder e, in der HoffWer ins Wasser eintauch Wer herrsche Wide Web. n will, muss dienen erfrischende Kraft. t, spürt die lebenspe CIG könAber auch der Jordan ndende, nen. Wer nach oben gels umkämpften gehört zu will, muss bereit den wegen WassermanStrömen der Erde. sein, nach unten Immer mehr Mensch dürre Ackerflächen zu gehen. Und das en, immer mehr dürsten nach dem Wasser Bibelauslegung, Meditation, Liturgie und Gebet am Nil Das gelesene Wort D Das Amt Z Inklusive des monatlichen Sonderteils BILDER DER GEGENWART ● mit großen Bildreportagen zu den wichtigsten Themen der Zeit ● mit Gedanken in Wort und Bild zu den religiösen Werken der modernen Kunst ● mit Stimmen und Porträts aus der globalisierten Welt Kostbares Wasser des Lebens des Lebens. (Foto: KNA-Bild) 461 20.10.2009 11:00:24 GRATIS-AUSGABEN: www.christ-in-der-gegenwart.de 5 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART Der Platz Jesu Von Thomas Söding E s herrscht Priestermangel. Zwar gibt es Analysten, die das Gegenteil behaupten. Aber an allen Ecken und Enden fehlen vitale, überzeugte, engagierte Priester. Sie werden als Seelsorger und Gemeindeleiter gebraucht. Sie sollen die Messe zelebrieren und die Sakramente spenden. Sie sind auch hoch willkommen, wenn sie ihren Dienst gut verrichten, ohne Allüren und Marotten, konzentriert auf das Evangelium, auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Alle Reformdebatten – Kann ein Bischof nicht verheiratete Männer, kann die Kirche nicht doch auch Frauen weihen? – werden in der katholischen Kirche nur deshalb so leidenschaftlich geführt, weil man sich Christentum ohne Priestertum nicht vorstellen mag. Woher kommt diese Sehnsucht nach dem Priesterlichen, die inmitten aller Amtskritik zu spüren ist? Ist sie nur eine Sentimentalität? Ein Rest Traditionalismus, der auf Dauer doch keinen Bestand haben wird? Oder meldet sich eine Ahnung, dass man im Verhältnis zu Gott eines Mittlers bedarf? Gott ist groß, der Mensch ist klein: Wer knüpft die Fäden? Der religionsgeschichtliche Befund ist eindeutig: Der Priester ist eine archaische Figur. Ob männlichen oder weiblichen Geschlechts: Jeder Priester bringt für die Menschen Opfer dar und spendet Segen. Riten sind nötig, damit die Religiosität zivilisiert wird, sagen die Soziologen. Aber religiöse Menschen denken weiter: In ihrer Verehrung Gottes wollen sie nicht nur ihren Verstand sprechen lassen, sondern auch ihr Herz, und sie wollen nicht selbst einer Gottesidee Leben einhauchen, sondern vom Atem des Heiligen belebt werden. Dafür steht das Priestertum. Doch die Religionsgeschichte wirft auch einen tiefen Schatten. Was ist mit der Freiheit der Menschen? Werden sie nicht durch Priester in Abhängigkeit gehalten? Ist das Priesterliche nicht untrennbar mit Magie verbunden, mit dem Versuch, durch religiöse Praktiken Einfluss auf Gott zu nehmen? Die Bibel sieht diese Gefahr. Sie treibt Religionskritik. In beiden Teilen der Heiligen Schrift brandmarkt sie den Ritualismus und die Heuchelei. Doch im Alten wie im Neuen Testaments führt die Religionskritik, die im Namen des einen Gottes geübt wird, nicht zu einer Abschaffung, sondern zu einer Revolution des Priestertums: im Alten Testament durch die Konzentration auf den einen Gott, im Neuen Testament durch eine neue Definition der Priesterrolle. Im Hebräerbrief Der Hebräerbrief hat diese Priesterrolle am stärksten betont. Nimmt man ihn ernst, gibt es in der Kirche keinen Priestermangel, allenfalls einen Mangel an Christusglauben. Denn ein einziger ist es, der den Namen des Priesters verdient: Jesus Christus selbst. Und der hat seinen priesterlichen Dienst verrichtet, ein für allemal. Er ist aber – das macht den Unterschied zum Alten Testament – nicht Priester nach der levitischen Ordnung, die an den Tempel von Jerusalem gebunden ist, sondern „nach der Ordnung Melchisedeks“. Das heißt: Er ist Priester unmittelbar von Gott. Deshalb kann er ein zutiefst menschlicher Priester sein. Als Mensch bringt er Gott zu den Menschen, um die Menschen zu Gott zu bringen. Er hat seinen priesterlichen Dienst aber nicht im Allerheiligsten verrichtet, sondern im Profanen. Er ist ja selbst der Allerheiligste. Durch sein Gebet und seine Gemeinschaft mit den Menschen, durch seine Kontakte mit Kranken, mit Sündern, mit Schwachen hat er Gottes Heil den Menschen vermittelt und ihnen den Weg zu Gott gebahnt. Dadurch ist das Priestertum von Grund auf erneuert. Wer in der Kirche von Priestern spricht, kann nur solche Menschen vor Augen haben, die sich in ihrem Leben von der Menschlichkeit Jesu prägen lassen und von seiner Art der Liebe zu Gott. Solche Priester machen nicht ab- 6 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART hängig, sondern frei. Sie wollen nicht Einfluss auf Gott ausüben, sondern Gott Einfluss auf die Menschen ausüben lassen. Sie treten nicht an die Stelle Jesu, sondern halten ihm den Platz frei. Um solche Priester kann man nur beten. Thomas Söding ist Professor für Neutestamentliche Exegese an der RuhrUniversität Bochum und Mitglied der internationalen Theologenkomission des Vatikan. Der Priester von heute Von Johannes Röser Z um „Priesterjahr“ der katholischen Kirche hat Papst Benedikt XVI. ein Schreiben an die Geistlichen verfasst. Es nimmt ausführlich Bezug auf Johannes Maria Vianney, den Pfarrer von Ars. Der Papst sagt über ihn: „Er sprach vom Priestertum, als könne er die Größe der dem Geschöpf Mensch anvertrauten Gabe und Aufgabe einfach nicht fassen.“ Und dann zitiert Benedikt XVI. ihn ausführlich: „Oh, wie groß ist der Priester! … Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben … Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein … Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht. Wer hat ihn da in den Tabernakel gesetzt? Der Priester. Wer hat Eure Seele beim ersten Eintritt in das Leben aufgenommen? Der Priester. Wer nährt sie, um ihr die Kraft zu geben, ihre Pilgerschaft zu vollenden? Der Priester. Wer wird sie darauf vorbereiten, vor Gott zu erscheinen, indem er sie zum letzten Mal im Blut Jesu Christi wäscht? Der Priester, immer der Priester. Und wenn diese Seele (durch die Sünde) stirbt, wer wird sie auferwecken, wer wird ihr die Ruhe und den Frieden geben? Wieder der Priester … Nach Gott ist der Priester alles! … Erst im Himmel wird er sich selbst recht verstehen.“ Der Papst räumt zwar ein: „Diese Aussagen, die aus dem priesterlichen Herzen eines heiligen Priesters hervorgegangen sind, mögen übertrieben erscheinen.“ Doch sieht er darin „die außerordentliche Achtung“, die Vianney „dem Sakrament des Priestertums entgegenbrachte“, offenbart. Allerdings wirken jene Passagen auf viele Gläubige befremdlich. Nicht wenige Priester äußerten sich irritiert, ja entsetzt, welch streckenweise schamanistisch-magisch anmutendes Verständnis des Priester- tums noch im dritten Jahrtausend als Vorbild hingestellt wird. Dabei steht außer Frage: Der Priestermangel bedrängt das Christentum katholischer Prägung heftig, nicht nur in Westeuropa und Nordamerika. In dem Maße, in dem sich die Gläubigen selbst am Tag des Herrn immer seltener eucharistisch um den Tisch des Herrn versammeln, verstärkt sich der Verdacht, dass die Kirchenführung diese Verelendung ihres Kernlebens hinnimmt, weil sie Reformen scheut. So verabschieden sich viele Katholiken schleichend von ihrem mit den Orthodoxen geteilten sakramentalen Verständnis. Priesterlose Gottesdienste verstärken Tendenzen in Richtung einer katholischen Freikirche, bei allem Respekt für andere Wege des Kircheseins und der Christus-Nachfolge. Einst ein sozialer Aufstieg Wenn mehrere Bistümer die Gläubigen zu einem „Gebetsmarathon“ für geistliche Berufe aufrufen, wirkt das wie ein Offenbarungseid. Insgeheim wird damit den Laien unterstellt, an der Misere selbst schuld zu sein. Vielleicht weil man Gott doch nicht intensiv genug angefleht hat? Welches Verständnis von Gebet steckt eigentlich dahinter? Das alles lässt eher an das vergebliche Mühen der Baalspriester auf dem Karmel und den Spott des von Gott gesandten Propheten Elija denken sowie an das Wort Jesu: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ Wissen das aber ebenso hinreichend die irdischen Väter oberster kirchlicher Leitung? Wie ernst nehmen sie das? Tatsächlich stellt sich vielen Gläubigen dabei doch eine ganz andere Frage: Wie weit reichen Einsicht und Mut der Das inspirierende Lesebuch 320 Seiten | Gebunden € 19,95 /SFr 34.50 /€[A] 20,60 ISBN 978-3-451-29953-7 Das 60-jährige Jubiläum von CHRIST IN DER GEGENWART war Anlass für ein anderes Buch über den Glauben. Zahlreiche Persönlichkeiten aus Religion, Kultur und Politik schreiben über ihren persönlichen Glauben – was ihnen wichtig ist, was sie trägt, wo ihre Fragen sind. Für alle Menschen mit Interesse an religiösen Themen eine Bodenprobe der religiösen Landschaft in Deutschland; für alle Menschen auf der Suche nach einem »echten« eigenen Glauben eine Fülle an Inspiration. In allen Buchhandlungen oder unter www.herder.de 7 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART weltkirchlichen Führung, zum Heil der Seelen Verantwortung zu übernehmen für die schlimmen selbstgemachten oder aus Bequemlichkeit, Nachlässigkeit oder Angst vor Veränderungen schlichtweg akzeptierten Versäumnisse in der Nachfolge der Apostel? Dem Kirchenvolk ist infolge zunehmender Präsenz ostkirchlicher Geistlicher im Westen ja längst bewusst, dass es Alternativen gibt, etwa bei der Zölibatsfrage. Schließlich sind nicht nur bei den Orthodoxen, sondern in allen mit Rom verbundenen Ostkirchen die meisten Gemeindepriester verheiratet, ohne dass dies in irgendeiner Weise deren geistlicher Berufung und sakramentalen Vollmacht abträglich wäre. Im Gegenteil: Es ist eine große Beleidigung dieser Männer Gottes in unserer gemeinsamen katholischen Kirche, ständig so zu tun, als sei der lateinische Sonderweg der bessere. Das Ganze wird aber auch in der lateinischen Teilkirche immer absurder. Niemand versteht mehr, wenn katholische Priester (west-)römischer Tradition allein deshalb, weil sie heiraten, in die evangelische oder altkatholische Kirche abwandern müssen, wenn sie ihren geistlichen Dienst weiter ausüben wollen, während umgekehrt evangelische und anglikanische Geistliche nach einem Übertritt in die römisch-katholische Kirche hier verheiratet priesterlich weiterwirken. Man muss es klar und deutlich sagen: Der lateinische Teil der katholischen Kirche ist in eine Glaubwürdigkeitsfalle getappt, aus der er ohne grundlegende Reformen nicht mehr herauskommt. Dabei kommt verstärkend hinzu, dass man aus vielen seriösen Umfragen und Forschungsarbeiten weiß, dass es nicht nur unbedeutende Einzelfälle unter den Priestern sind, die trotz der Verpflichtung zur sexuellen Enthaltsamkeit geschlechtliche Beziehungen unterhalten. Die jeweiligen Pfarrgemeinden schweigen meistens darüber, obwohl die Doppelmoral ein Ärgernis ist. Umgekehrt ist festzuhalten: In Zeiten, in denen die heilige Ehe einem großen Teil der Bevölkerung inzwischen nichts mehr wert ist, wäre es ein bedeutendes kirchliches Signal für dieses größte natürliche Sakrament der Liebe Gottes zu den Menschen, wenn die Männer Gottes auch die eheliche Heiligkeit mit ihrer Frau vorleben würden. Natürlich lösen solche Änderungen nicht die Glaubensprobleme. Manche neuen Schwierigkeiten kämen hinzu. Die Gotteskrise und die damit verbundene Krise des Sakramentalen haben viele weitere Gründe, wie der Blick allein schon auf die evangelischen Kirchen zeigt, die vieles haben, was Katholiken vermissen, aber in der Glaubenspraxis eher schlechter dran sind. Dennoch sollte man die Priesterfrage bei der Glaubensfrage nicht unterschätzen. Das Priestertum ist und bleibt ein Katalysator für Glaubensentwicklung und Glaubensreform. Hat der „Kultpriester“ überhaupt noch Zukunft? Im Zeitalter einer tiefen Entmythologisierung ist es dringlich, sich dem offen zu stellen. In einer aktuellen soziologischen Studie, einer Doktorarbeit an der Technischen Universität Chemnitz – „Katholische Priester in der individualisierten Gesellschaft“ (UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2009) – weist Karsten Lenz darauf hin, dass man seit einem halben Jahrhundert einen gravierenden Bedeutungsverlust des Priestertums beobachten kann. Dieser geht einher mit einem Bedeutungsverlust der Religion überhaupt. Andere und anderes erklären die Welt besser. Für Sozialarbeit gibt es Fürsorge-Spezialisten, für die Seelenarbeit Psychotherapeuten, für Familien und Eheleute Beratungsexperten. Aus dem Universalberuf Priester ist ein Sonderfall-Beruf geworden. Er wird angefordert für gelegentliche Dienstleistung etwa im Kontext der Familienfolklore, zur Stärkung des Familienzusammenhalts bei Lebensübergängen: Taufe, Erstkommunion, Firmung, Eheschließung … Da und dort soll der Priester Trauerarbeit unterstützen, bei Katastrophen Notfallseelsorge leisten. Am Ende bleibt nicht viel mehr übrig als ein wenig Sakramentenspendung und die Feier der Eucharistie, für die sich wiederum immer weniger Getaufte interessieren. Der Priester – ein Exot in Exotenwelten? Deshalb für die Massenmedien von Fall zu Fall besonders unterhaltsam und beliebt, bestens tauglich fürs Kuriose, wie Fernsehserien belegen? Die permanente Rückwärtsbewegung und Reduzierung des priesterlichen Tätigkeitsfelds bei gleichzeitig sich aufblähendem TerminkalenderSitzungs-Aktions-Katholizismus hat natürlich Einfluss auf die berufliche 8 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART Motivation. Außerdem ist das einst hohe öffentliche Ansehen der Priester nicht nur wegen einzelner moralischer Skandale gesunken. Der Priester ist schon lange nicht mehr Hochwürden. Er ist auch nicht mehr der Stellvertreter Gottes mit Macht, vor dem man Respekt hat, weil er regelnd und überwachend, notfalls mit der Hölle drohend, in viele Lebensbereiche eingreifen kann. Während ehemals der Priesterberuf Kindern aus Großfamilien, bäuerlichen und handwerklichen Schichten oder dem Arbeitermilieu sozialen Aufstieg ermöglichte, hat die Bildungsexplosion der letzten Jahrhunderthälfte viele berufliche Chancen eröffnet. Lenz stellt fest: „In einer modernen, nicht mehr ständisch geordneten Gesellschaft ist man nicht mehr darauf angewiesen, Priester zu werden, um Begabungen zu verwirklichen.“ Beichtvater wird Seelentröster Dazu kommt, dass der Gemeindepriester selbst bei seiner Kernkompetenz – Theologie und Religion – kein Monopol und keine Sonder-Autorität mehr beanspruchen kann. Häufig hat er nicht einmal einen Bildungsvorsprung vor interessierten Laien, spätestens seit das Theologiestudium für alle geöffnet ist. Zudem können die meisten Seelsorgsaufgaben, abgesehen vom Vorstehen bei der Eucharistie sowie der Befähigung zu einzelnen Sakramentenspendungen, von Laien übernommen werden. Warum also wird man heute Priester? Der Soziologe stellt fest, dass ein Motiv in den Vordergrund tritt: Durchs Priestertum möchte der Einzelne für sich selbst Sinn erfahren und anderen bei der Sinnfrage beistehen. Die „Sehnsucht nach Sinn“ sei heute der alles bestimmende Grund bei der Berufswahl. Das aber heißt: Priester wird man nicht mehr zuerst, um der Kirche zu dienen, um in ihr ein offizielles Amt auszuüben und so – „verbeamtet“ – die Sakramente zu verwalten. Das Amtliche tritt ganz zurück hinter dem Wunsch, individuell den einzelnen Menschen nahe zu sein. Entsprechend sehen sich die Priester heute eher als Lebensberater und Lebensbegleiter. Ihre Berufswahl hat sich individualisiert. Besonders deutlich wird das beim Wandel des Bußsakraments. Es geht dabei immer weniger um Sündenvergebung – Lossprechung – oder Buße. Der Gedanke der Versöhnung tritt in die Mitte: Versöhnung jedoch nicht einmal mehr in erster Linie mit Gott, sondern des schuldig gewordenen Menschen mit sich, mit seinen Schwächen, seinem „Schatten“. Lenz: „Der Beichtende soll im Sinne der katholischen Kirche seine biografischen Probleme mit Hilfe der Kirche lösen und sie in seine jeweils eigene Biografie integrieren und somit auch verarbeiten? Was Priester bei der Beichte erreichen wollen, ist keine Verurteilung des Beichtenden, sondern dass der Einzelne zu sich selbst steht, und zwar so, wie er ist, und dass er aus den Handlungen, die in ihm Schuldgefühle evozieren, seine Konsequenzen zieht, indem er sie eher in einen gesamtgesellschaftlichen als spezifisch katholischen Verhaltenscodex einbettet.“ Der Priester wurde vom Beichtvater zum Seelentröster. Entsprechend haben wir es im priesterlichen Selbstverständnis mit einer besonderen Art von „Entkirchlichung“ zu tun. Der Priester versteht sich in der Verkündigung weniger als Lehrer oder als amtlich-institutionelles Sprachrohr einer alleinseligmachenden Wahrheit, die er weiterzutragen habe, ob gelegen oder ungelegen. Er ist zuerst Mit-Lernender und Zuhörer der ihm Anvertrauten. Das wirkt auf den ersten Blick sehr sympathisch, wirft aber Probleme auf. Wird der einstmals auf aktive Menschenführung ausgerichtete Beruf des Priesters, der umsichtig mitfühlend und entschieden leitend den Weg zu Gott weisen und dabei vorangehen soll, umgemünzt zu einer eher passiv „mitgehenden“ oder gar hinterhergehenden Tätigkeit? Manchmal scheinen die „Hirten“ in religiösen Dingen genauso unsicher und ratlos zu sein wie ihre „Schafe“. Man kann es bei Trauergottesdiensten nach Katastrophen wie Amokläufen, Attentaten, Unfällen, Erdbeben oder Tsunamis immer wieder beobachten. Die Geistlichen haben auf die große Warum-Frage nicht viel mehr zu sagen, als zu bestätigen, dass sie selber das auch nicht wirklich wissen. Lenz beobachtet: „Alle Befragten machten deutlich: Sie wollen explizit nicht auf den Verkündigungsgedanken verzichten; aber sie verstehen sich nicht als ‚Amtspersonen‘, die verbindliche Wahrheiten verkünden. Vielmehr definieren sie sich, soweit sie dies explizit thematisieren, als eine Art ‚religiöser Berater‘ oder ‚Begleiter‘“. Dabei zeigt sich beim Priesterberuf eine eigenartige Umkehr der Professionalisierung in weltlichen Berufen. Während man dort Spezialwissen und Führungskompetenz erwerben soll, ein Expertentum, das einen vom Laien abhebt, für die man Dienstleister ist, findet beim Priestertum eine Nivellierung statt, eine Angleichung an das, was jeder bei einigermaßen religiöser Bildung selbst wissen, ahnen, tun kann. Das gibt zu denken, da Priester als Menschendiener ja Gottesdiener sein sollen, um mit Vollmacht und Feingefühl die Leute zu Gott zu bringen, auf Gott aufmerksam zu machen, Gott neu zu entdecken. Priester sollen die Menschen auf das Reich Gottes vorbereiten. In gewisser Weise sind sie so etwas wie Hebammen der Gottesgeburt im Menschen und beim Menschen. Sie nehmen dem Einzelnen das religiöse Gebären Ein Schlüsseltext zum »Jahr des Priesters« Karl Rahners Text »Der Priester von heute« ist eine ungemein moderne, ja zeitlose Meditation, die bis heute zahlreichen Priestern Hilfe und Ermutigung gegeben hat. Aus Anlass des von Papst Benedikt XVI. ausgerufenen »Jahr des Priesters« wurde dieser Text in einer schön gestalteten Neuausgabe neu aufgelegt. Karl Rahner | Der Priester von heute Herausgegeben von Andreas R. Batlogg und Albert Raffelt 80 Seiten | Paperback € 9,95 /SFr 17.90 /€[A] 10,30 ISBN 978-3-451-32289-1 rt von Geleitwo n l Lehman a in d r a K Karl In allen Buchhandlungen oder unter www.herder.de 9 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART nicht ab, leiten ihn aber aufgrund besseren Wissens und tiefer Erfahrung an und greifen manchmal erleichternd ein, mitten im schmerzhaften Prozess. Priester sollen in diesem Sinne Hebammen des Religiösen sein, mit Führungssinn und Führungsverantwortung, aber ohne Besserwisserei, ohne den heute nur noch peinlichen sakral-magischen Dünkel eines besonderen „Auserwähltseins“ und „Geweihtseins“, als ob die vielen weltlichen Berufungen des Menschen keine göttliche Dignität hätten. Karl Rahners Vision 1961 Eine Neubesinnung darauf, dass der Priester in erster Linie Mann Gottes (vielleicht irgendwann auch bei Katholiken und Orthodoxen Frau Gottes) ist, könnte das Sakramentale aus seinen historischen magisch-mythologischen Engführungen befreien und das Priestertum öffnen: zu einer neuen Art der sakramentalen Darstellung des göttlichen Mysteriums, für eine Mystagogie, die im sakralen Geschehen die Materie unseres Daseins transparent werden lässt auf das göttliche Geistige hin. Für den eucharistischen Prozess heißt das: Er soll eine neue sakramentale Erfahrung und Erkenntnis inspirieren, dass die heilige Seelenspeise und der heilige Himmelstrank uns bewegen auf eine heilige Kommunikation hin, eine heilige mystische Kommunion – Vereinigung – von Gott und Mensch. Das Sakramentale kann so wieder zum Vorgeschmack einer großen priesterlichen Verheißung werden, über den Tod hinaus. Wir brauchen also einen neuen und anderen Mut zum Priestertum, Mut vor allem zu seiner Reinigung und Reform. Beachtenswert ist, was Karl Rahner dazu bereits vor einem halben Jahrhundert, noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, weit vorausschauend sagte. Der Vortrag, den er 1961 bei Exerzitien hielt, ist in einem kleinen Bändchen unter dem Titel „Der Priester von heute“ neu veröffentlicht (bei Herder, 2009). Unter anderem heißt es: „Der Priester von heute ist in einem besonderen Maß der Individualapostel im Massenzeitalter … Auch wenn wir … alle Positionen zu behaupten versuchen, die wir historisch ererbt haben, wenn wir die amtliche christliche Fassade einer Kultur und Zivilisation verteidigen, die weniger erfüllt, als sie verheißt, dann bleibt dennoch wahr: Wir müssen um jeden einzelnen Menschen kämpfen, müssen ihn innerhalb dieser Situation zu einem Christen zu machen versuchen, zu einem Menschen, der trotz dieses liberalen, atheistischen, skeptischen Milieus frohgemut glaubt … Der Priester wird immer der Hirte einer Herde sein und immer Vorsteher einer Gemeinde … Infolgedessen ist er der Apostel eines individuellen Schicksals – und wer den Mut hat, das zu sein, ist Priester … In diesem Massenzeitalter … muss dann der Priester viel mehr als früher der Mystagoge einer personalen Frömmigkeit sein. Das eigentlich Spirituelle, im Gegensatz zur bloßen Verwaltung des bloß Sakramentalen und institutionell Gesellschaftlichen, gewinnt heute sicherlich im priesterlichen Leben an Bedeutung. Er kann nicht einfach die Herde weiden und die Einzelnen mitlaufen lassen. Das gibt es in einem immer geringeren Maß. Im Beichtstuhl, in der persönlichen Aussprache, in der Belehrung muss der Priester heute mehr denn je auf eine persönliche Frömmigkeit des Einzelnen als solches hinarbeiten … Dabei ist der Priester der Mittler, der in eine ganz persönliche Frömmigkeit Einweihende. Von da aus ergibt sich selbstverständlich, dass wir heute weniger als je zuvor Religionsbeamter, kirchlicher Funktionär eines kirchlichen Betriebes sein können … Dieser unser Gott ist der Unbegreifliche, das Geheimnis, und nicht dasjenige, hinter das wir gekommen sind … Wir können im Letzten dem Menschen nur sagen: Knie mit mir zusammen nieder und bete den unbegreiflichen Gott an und glaube, dass er die ewige Liebe ist. Als solcher hat er sich uns in der Finsternis dieser Welt in Jesus Christus, dem Gekreuzigten, bezeugt … Wir richten die Wahrheit Gottes aus und nicht die eigene gescheite Erfindung, aber bis die Wahrheit Gottes nun die vom Menschen ergriffene und zur Wirklichkeit seines Daseins gemachte ist, muss sie eine Synthese mit all der Problematik und all den ungelösten Fragen des Menschen im Allgemeinen und des Menschen von heute im Besonderen eingehen – und da gibt es dann tausend konkrete Dinge, die dem 10 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART Priester niemand genau sagen kann, bei denen alle noch so klaren naturrechtlichen und anderen Prinzipien irgendwo ins Dunkle gehen … Der Priester muss derjenige sein, der angstlos nach der neuen Sprache sucht. Das Christentum ist immer dasselbe und das Älteste, das Selbstverständlichste und kann zugleich das unerhört Neue sein. Dennoch können wir nicht leugnen, dass die Sprache, in der wir das Christentum verkünden, … oft sehr altmodisch ist. Darüber zu jammern, hat ebenso wenig Sinn, wie modische Einfälle zu haben, billige Mätzchen zu versuchen. Stattdessen sollten wir in uns selbst zurückfragen, sollten uns unseren eigenen Schwierigkeiten in all den Dingen des Glaubens unbefangen, angstlos, arglos stellen … Geben wir uns doch Mühe, nicht einfach deswegen die alten Klischees weiterzugeben, weil sie durchaus richtig sind, weil sie vielleicht sogar in der Heiligen Schrift stehen, weil sie sogar in der amtlichen Verkündigung der Kirche so bis auf den heutigen Tag, bis in die Enzykliken und die Hirtenbriefe der Bischöfe hinein, gesagt werden. Geben wir uns damit nicht einfach zufrieden, sondern suchen wir, das Evangelium Jesu Christi so zu sprechen, dass es wirklich einigermaßen in unser eigenes Herz eindringt. Dann werden vielleicht auch manche andere es hören … Der heutige Priester muss ein Mensch des Wesentlichen im Religiösen sein.“ Der Priester von heute – das wäre Stoff nicht nur zur bereichernden Diskussion in Pfarrgemeinden und Priesterseminaren. Es wäre Stoff für ein ganzes ökumenisches Konzil. Johannes Röser ist Chefredakteur von CHRIST IN DER GEGENWART. Enthaltsam vor Gott Von Michael Schrom R eligiöses Leben kennt sexuelle Enthaltsamkeit. Das war in allen Kulturen und zu allen Zeiten so, und es gilt auch heute. Wenn sich der Mensch auf die Begegnung mit dem Heiligen vorbereitet, in Kontakt kommen will mit der Kraft, die Ewigkeit verheißt, bereitet er sich auf diese Erfahrung vor. „Die erste Definition des Heiligen ist, dass es den Gegensatz zum Profanen bildet!“, schreibt der rumänische Religionshistoriker Mircea Eliade. Deshalb durchbricht der religiöse Mensch die Gesetze und Gewohnheiten des Alltäglichen. Mit Fasten und Gebet, mit Schweigen und Abgeschiedenheit, mit Meditation und eben auch mit sexueller Enthaltsamkeit. Hier liegen religionsgeschichtlich die tiefsten Wurzeln des Zölibats (von lateinisch: caelebs = alleinlebend und caelibatus = Ehelosigkeit). In den Evangelien ist diese mächtige religiöse Erfahrung und Motivation unter den Jüngern und den ersten Christen mehrfach bezeugt. Der belgische Theologe Edward Schillebeeckx schreibt (in dem Buch „Der Amtszölibat“), dass die Jünger, nachdem sie Jesus als den „Heiligen Gottes“ erfahren haben, „existentiell nicht anders können, als alles zu verlassen und ihm nachzufolgen“. Beim religiösen Zölibat geht es aus christlicher Sicht also nicht um eine prinzipielle Geringschätzung des KörperlichSexuellen aus moralischen Gründen, nicht um kultische Reinheit beim Dienst am Altar, nicht um Angst vor der Sexualität als einer dämonisch erfahrenen Kraft, auch nicht um ein Machtinstrument der Hierarchie, um die totale Verfügbarkeit der Priester im Rahmen der Organisation zu sichern – sondern allein um eine existentielle und existentialistische Erfahrung des Menschen vor Gott. Man muss jedoch gleichermaßen eingestehen, dass im Lauf der Kirchengeschichte genau diese genannten Motive als Begründungen für den Zölibat eingeflossen sind und die Ur-Erfahrung überdeckt, überlagert, oft sogar verdrängt haben. Aus dem Charisma ist spätestens seit dem Zweiten Laterankonzil (1139) eine Rechtsvorschrift geworden. Sie wurde sowohl von „oben“ als auch von „unten“, also von den Gläubigen, gewünscht, gefordert, schließlich auch durchgesetzt und über Jahrhunderte selbstverständlich tradiert. Heute muss man angesichts des mittlerweile verheerenden Priestermangels jedoch fragen, ob die geforderte lebenslange sexuelle Enthaltsamkeit für Geistliche und Priesteramtskandidaten im römischen Teil der katholischen Weltkirche nicht überbewertet wird, ob der Zölibat nicht zu einem „Selektionskriterium“ geworden ist, dem alle anderen Charismen und Begabungen nachgeordnet werden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren als sei das Gesetz des Zölibats wichtiger als die Tatsache, dass in vielen Gemeinden sonntags keine Eucharistie mehr gefeiert wird. Warum gibt es eine so große Angst in der Kirchenleitung, offen und freimütig darüber zu sprechen? Sperriges Hoffnungszeichen Auf der anderen Seite zeigt sich, dass gerade in Gesellschaften, in denen freizügig und andauernd über alle Arten von Sexualität gesprochen wird, in denen die Werbung unverhohlen mit dem Reiz des Sexuellen spielt, eine gewisse Neugier besteht an einem alternativen, asketischen Lebensstil. Dieser kann – zumindest zeitweise – sexuelle Enthaltsamkeit einschließen. Viele junge Menschen ziehen sich beispielsweise vor hohen Festtagen oder für Exerzitien in ein Kloster zurück. Sie wollen in eine radikal andere Gegenwelt eintauchen und suchen dort geistigen Austausch und spirituelle Bereicherung. Während dieser Zeit wird auch die sexuelle Enthaltsamkeit bejaht und bewußt eingeübt – ohne sie sich als Lebensform zu wünschen. Das Bewusstsein scheint zu wachsen, dass jede Gesellschaft darauf angewiesen ist, solche Quellen zu besitzen, in denen sich die andere Seite des Lebens spiegelt. Angesichts einer vergänglichen Welt und des unvermeidlichen Todes ist asketische Weltüberwindung um eines größeren Gutes willen ein Zeichen, das berührt, auch wenn es nicht rational verstanden werden kann. Das Erschütternde dabei ist nicht die moralische oder asketische Leistung. Es geht überhaupt nicht darum, welche Lebensform höher oder niedriger einzuschätzen ist, sondern um die bewußte Konfrontation des Menschen mit seiner Vergänglichkeit und der bangen religiös-existentiellen Frage, ob es darüber hinaus etwas zu hoffen und zu glauben gibt. Ein freiwillig und solidarisch gelebter Zölibat, eingebettet in die beiden anderen ebenfalls sperrigen und in gewisser Weise negativen Zeichen – Gehorsam und Armut – ist immer als religiöser Ausdruck einer radikalen Hoffnung verstanden worden, selbst von nichtreligiösen Menschen. Es ist ja auffallend, dass der klösterliche Zölibat nie derart hinterfragt und kritisiert wurde, wie es dem Zölibat der Weltpriester im römischen Teil der katholischen Weltkirche widerfuhr. Die Zeit ist reif für neue Modelle Vor diesem Hintergrund ist Ausschau zu halten nach neuen Modellen, die das Charisma des Zölibats wieder zum Leuchten bringen können. Muss zum Beispiel die starre Ordnung Weltpriester – Ordenspriester so beibehalten werden, oder sind nicht auch klösterliche Formen denkbar, in denen ein Mönchtum auf Zeit gelebt wird? So etwas gibt es beispielsweise in asiatischen Kulturen. Während der zölibatär lebende Priester stärker an ein Kloster oder eine geistliche Gemeinschaft gebunden bleibt, wäre das Kloster für den „Weltpriester“, der auch verheiratet sein kann, mehr ein spiritueller Be11 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART zugspunkt. Das Charisma der Klöster als Kontrastgesellschaft und als authentischer Ort des gelebten Zölibats besteht ja nicht darin, dass sie sich absolut von der Welt abschotten. Schon vor Jahren hat Johann Baptist Metz ein leidenschaftliches Plädoyer für eine neue „Zeit der Orden“ gehalten. Dazu ist es aber nötig, dass diese auch neue Formen entwickeln und ausprobieren. Wenn das Kloster der erste Ort des Zölibats ist, so ist zu fragen, ob die lebenslange Enthaltsamkeit auch dem Weltpriestertum angemessen ist. Einigkeit besteht weitgehend darüber, dass der Zölibat für den Weltpriester nicht notwendig ist, auch wenn es durchaus eine innere Angemessenheit zwischen der Lebensform und dem geistlichen Amt gibt. Dass der Vatikan sich so schwertut, die Zölibatsverpflichtung für die Weltpriester aufzuheben, obwohl die katholische Kirche in Geschichte und Gegenwart auch verheiratete Priester kennt, etwa in den unierten Ostkirchen oder in der Übernahme anglikanischer oder evangelischer Geistlicher, liegt an dem weiterhin stark verbreiteten Motiv der kultischen Reinheit „heiliger“ Männer und Frauen. Ebenso wie die ersten Christen bei ihrer Mission griechische Denkmodelle benutzten, um das unerhört Neue der Christusbotschaft verständlich zu machen, so übernahmen sie auch eine Reihe jüdischer, griechischer und römischer Reinheitsvorstellungen, obwohl sie in die antike Gesellschaft eine neue Ethik und eine grundsätzlich neue Anthropologie einbrachten. Später verband sich der Reinheitsgedanke relativ rasch mit der Sakramentenlehre und mit magischen Vorstellungen der Volksfrömmigkeit. Die Wirksamkeit des Sakramentes, verstanden als Heilmittel, hing stark mit der Würdigkeit – genauer: mit der sexuellen Reinheit – des Priesters zusammen. „Zwar ist seit Augustinus eine theologische Klärung erreicht, derzufolge die Gültigkeit eines Sakraments unabhängig ist von der sittlichen Disposition und Lebensführung des Spenders, wenn es nur formgerecht vollzogen worden ist. Doch in der frühmittelalterlichen Welt stehen andere Kategorien an oberster Stelle“, schreibt die Münsteraner Theologin Annette Höing in ihrer Doktorarbeit „Gott, der ganz Reine, will keine Unreinheit“. Selbst Hildegard von Bingen (1098-1179), die naturwissenschaftlich und theologisch ihrer Zeit teilweise voraus war, greift beim Priestertum auf kultische Begründungen zurück. Im Stil einer Vision schreibt sie: „Daher will ich, dass meine Priester unberührt von irdischer Verunreinigung vor meinem Angesicht erscheinen. Denn wenn schon im Alten Testament den Priestern geboten wurde, sich der Berührung von Frauen zu enthalten, wenn sie an meinen Altar treten, so wurde das im Neuen Testament von meinen Priestern in ganz vollkommener Weise eingehalten. Wovor sich nämlich die alttestamentlichen in einer Stunde der Keuschheit hüteten, das sollen diese neutestamentlichen von früher Jugend an bis ins Greisenalter erfüllen. Und wenn ich von den alttestamentlichen kein vom Umgang mit Frauen beflecktes Opfer annehmen wollte, so wünsche ich in noch größerem Maße, dass die neutestamentlichen, die mit meinem Sohn umgehen, zur Keuschheit verpflichtet sind.“ Ein Pfarrer ist kein Mönch Gewiss: diese kultischen Begründungsmodelle werden heute nicht mehr vertreten und können vor der aufgeklärten Vernunft nicht bestehen. Doch ihr Erbe reicht unterschwellig leider über das Zweite Vatikanische Konzil hinaus. „Dass die Kategorie der ,Befleckung‘ noch in die Vorschriften des neuen Weltkatechismus eingegangen ist, zeigt sich daran, dass ,die Überlieferung der Kirche das sechste Gebot (Du sollst nicht die Ehe brechen) als auf die gesamte menschliche Geschlechtlichkeit bezogen verstanden hat‘. Die entsprechenden Vorschriften sowie deren Einhaltung werden in einen auch kultisch verstandenen Horizont gestellt: ,Jesus ist gekommen, um die Schöpfung in der ursprünglichen Reinheit wieder herzustellen‘“, urteilt der Historiker und Theologe Hubertus Lutterbach. Wo immer sich aber magisches, kultisches oder moralisierendes Denken in die Begründung des Zölibats hineinmischt, ist dieser als christlichreligiöses Zeugnis bedroht. In letzter Zeit ist häufig beklagt worden, dass die Pfarrgemeinden den Zölibat ihrer Pfarrer nicht mehr unterstützen. Das kann auch daran liegen, dass sie den Eindruck gewonnen haben, ihr 12 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART Pfarrer habe seine Lebensform nicht frei gewählt. Gerade heute, wo Priester (wie übrigens auch Lehrer und Politiker) nicht so sehr als Autoritätspersonen wahrgenommen, sondern als Person geschätzt, aber ebenso auch hinterfragt werden, ist dies nicht gering zu achten. Die Gläubigen haben ein sehr feines Gespür. Niemand, der die Freistellung des Zölibats für Weltpriester fordert, wünscht sich ein spießbürgerliches und verbeamtetes Priestertum. Aber der Zölibat allein garantiert eben keine geistig bewegten und mitreißenden Geistlichen, zumal wenn er isoliert von den anderen beiden geistlichen Räten – der Armut und dem Gehorsam – aufrechterhalten wird. Und Pfarreien sind auch keine Gegenwelten wie etwa Klöster. Sie können und wollen dies auch nicht sein. Vielmehr sind sie Orte, an denen Christen aus dem Alltag heraus ihr Christsein leben und Gottesdienst feiern wollen. So braucht ein Pfarrer andere Charismen als ein Mönch. Dazu zählt nicht unbedingt die immerwährende Enthaltsamkeit. Michael Schrom ist Redakteur von CHRIST IN DER GEGENWART. Pauluspriester – Korinthpriester Von Paul M. Zulehner / Fritz Lobinger W eite Bereiche der katholischen Kirche in unseren Breiten leiden zur Zeit unter einem dramatischen Schwund an „Priestern in Ruf- und Reichweite“, wie es in einem Dokument der deutschen Bischöfe von 1977 heißt. In dieser Notlage hat sich in vielen Diözesen eine Doppelstrategie herausgebildet. Einerseits wird die Lage „raumpflegerisch“ bearbeitet. Die Seelsorgsräume werden so lange vergrößert, bis wieder jeder Raum einen verantwortlichen Priester hat. Im schlimmsten Fall erreicht ein Seelsorgsraum die Größe einer Diözese, eine Entwicklung, die sich in Frankreich bereits beobachten lässt. Andererseits wird die Notlage des Pfarrermangels als Chance zur Durchführung der schleppenden Konzilsbeschlüsse umgedeutet. Dieses Programm läuft unter dem Titel „kooperative Pastoral“. Der Pfarrermangel wird zur längst fälligen Gemeindeentwicklung und in deren Rahmen zur Förderung von Gemeindemitgliedern genützt, die ihre unvertretbare Berufung erkennen sowie die ihnen mit der Kirchenberufung geschenkten Charismen zum Wohl der Gemeinde einbringen. Gemeindeleiter beauftragt, bei Trauungen zu assistieren, zu taufen und eine Gemeinde – faktisch – zu leiten, und das – so die listige Sprachregelung etwa im Bistum Speyer – mit einer „Ganzverantwortung“, wenngleich nicht mit einer „Letztverantwortung“. Denn diese liegt bei dem im Hintergrund wirkenden Moderator, der ein Priester sein muss. Theologisch bedeutet diese Entwicklung einen „heilsamen Unsinn“: Heilsam sind diese Entwicklungen, weil es besser ist, wenn überhaupt irgendjemand diese amtlichen Aufgaben wahrnimmt. Der Unsinn liegt darin, dass hier ein Amt ohne Weihe sich ausbildet. Die Tatsache der „ungeweihten Laienpriester“ verdunkelt sowohl die ursprünglichen Laienberufe (Pastoralreferenten, Gemeindereferentinnen), als es auch letztlich die Priesterweihe zunehmend abwertet, ja überflüssig macht, weil die meisten an das Priesteramt gebundenen Aufgaben nunmehr auch von (zudem verheirateten) Laien erledigt werden können. Eucharistische Ausdünnung Solch „heilsamer Unsinn“ wird von nicht wenigen als Übergangsregelung in Kauf genommen. Es sei immer hinzuzufügen, so die kirchlichen Texte, dass es sich um eine Notlage handelt, für die wir zur Zeit eben keine andere Möglichkeit besitzen. Diese Notlage wird noch dadurch verschärft, dass sie ein zentrales Problem nicht löst: Das ist die zunehmende Ausdünnung des kirchlichen Lebens hierzulande an Eucharistiefeiern und insbesondere im krankenseelsorglichen Bereich an Krankensakramenten. Immer mehr westeuropäische Kirchenregionen nähern sich damit einer Art kirchlichen Lebens, das in Missionsgebieten schon jahrhundertelang der Normalfall ist: dass die Feier der Eucharistie zu einem seltenen Ereignis werden wird, an wenigen Sonntagen und manchmal auch an einem Wochentag während eines Jahres. Der Unterschied zwischen den Missionsgebieten und den alten Kirchengebieten ist allerdings beträchtlich. Die Missionsgebiete kennen kein anderes kirchliches Leben als das mit den ganz seltenen Eucharistiefeiern und ganz wenigen, manchmal vorbeireisenden Priestern. Kirche ohne Sakramente Das Fehlen von Priestern für die Gemeinden hat außerdem zu einer weiteren, höchst fragwürdigen Entwicklung geführt. Immer mehr traditionell an das priesterliche Amt gebundene Aufgaben wandern zu überwiegend hauptamtlichen Laien. Der kirchenrechtliche Sprachgebrauch dafür lautet, dass Laien neben dem ihnen „eigenen beruflichen Auftrag zur Übernahme einzelner Aufgaben des kirchlichen Amtes herangezogen“ werden können. Im einzelnen werden genannt: Kommunionspendung, Leitung von Wortgottesfeiern, Predigtdienst, Leitung von Trauer- und Begräbnisfeiern. Der Katalog solcher Aufgaben weitet sich immer mehr aus. So werden etwa in der Schweiz hauptamtliche Laien- Für die gesamtkirchliche Entwicklung wirkt sich positiv aus, dass auf diesem Weg ohne große Umstände und weithin unbemerkt faktisch auch Frauen ins Amt gelangen und die Leute anfangen, sich daran zu gewöhnen. Nicht zu übersehen ist zudem, dass diese Entwicklung einerseits das Ergebnis eines Sogs ins Priesteramt ist: die unbesetzten Priesterstellen ziehen Laien – und auch Diakone – an. Zugleich gibt es ebenso einen Drang von Hauptamtlichen in solche Aufgaben. Denn diese sind in der kirchlichen Öffentlichkeit höher angesehen, eröffnen über den Zugang zur Schlüsselgewalt in der Kirche auch mehr freien Handlungsspielraum und bringen nicht zuletzt auch mehr Sozialprestige und zugleich auch höheres Einkommen. Wenn die Not zur Normalität wird . . . Westeuropas Kirchen, die zur Zeit ihren Klerus verlieren, hatten über undenkliche Zeiten hinweg eine sehr hohe sakramentale Versorgung, die auch durch Predigt und Kirchenrecht massiv eingeklagt worden ist. Wer seine Sonntagspflicht nicht erfüllt, versündigt sich schwer gegenüber seiner Kirche und darin auch gegenüber Gott. Sonntagspflicht bedeutet aber selbstverständlich Kirchenbesuch und damit Messe. Ganz auf dieser Linie liegt die Wertschätzung der sonntäglichen Eucharistiefeier im Liturgiedekret des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Dennoch ist 13 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART die Liturgie der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt. Denn die apostolische Arbeit ist darauf hingeordnet, dass alle, durch Glauben und Taufe Kinder Gottes geworden, sich versammeln, inmitten der Kirche Gott loben, am Opfer teilnehmen und das Herrenmahl genießen. Andererseits treibt die Liturgie die Gläubigen an, dass sie, mit den ,österlichen Geheimnissen‘ gesättigt, ,in Liebe eines Herzens sind‘; sie betet, dass sie ,im Leben festhalten, was sie im Glauben empfangen haben‘; wenn der Bund Gottes mit den Menschen in der Feier der Eucharistie neu bekräftigt wird, werden die Gläubigen von der drängenden Liebe Christi angezogen und entzündet. Aus der Liturgie, besonders aus der Eucharistie, fließt uns wie aus einer Quelle die Gnade zu; in höchstem Maß werden in Christus die Heiligung der Menschen und die Verherrlichung Gottes verwirklicht, auf die alles Tun der Kirche als auf sein Ziel hinstrebt“ (Artikel 10). Der Pfarrermangel hat somit zur Folge, dass die Kirche die Menschen hierzulande auf eine Kirche mit weniger, ja nach und nach mit einem Minimum an Sakramenten vorbereitet (Reinhold Stecher). Dieser Gewichtsverlust der sakramentalen Dimension wird langfristig im Bewusstsein unserer Kirchenmitglieder auch die Kirche selbst als das Grundsakrament abwerten. Denn die Kirche demonstriert im Zuge der Verwaltung des Priestermangels, dass es „zur Not“ auch ohne Sakramente und Priester geht. Von der Not zur Normalität ist aber der Weg nicht weit. Wir haben uns seit geraumer Zeit pastoraltheologisch mit dieser Entwicklung beschäftigt (vgl. Jan Kerkhoffs/Paul M.Zulehner, „Europa ohne Priester?“, 1995, und Fritz Lobinger, „Wie Gemeinden Priester finden“, 1998). Wir schlagen für die kommende Entwicklung einen neuen (Aus-)Weg vor. Dabei ist es uns wichtig, nicht nur das Ziel genau zu beschreiben, sondern jetzt schon mitzubedenken, wie es praktisch erreicht werden kann und was für erwünschte und unerwünschte Nebenwirkungen sich im kirchlichen Leben ergeben können, wenn der Weg zu diesem Ziel eines Tages eingeschlagen wird. Entwickelte Gemeinden 1. Im Mittelpunkt steht die – durch das Zweite Vatikanische Konzil im Rückgriff auf die biblischen Gründungsurkunden und die reiche kirchliche Tradition gestützte – Vertiefung der Sicht der Kirche. Diese ist Gottes Volk, das von Gott selbst aufgebaut wird, indem er ihm unentwegt aus allen Völkern und Sprachen Menschen hinzufügt (Apg 2,47), diese Menschen also beruft, was in den Sakramenten der Eingliederung in die Kirche gefeiert wird, und sie auch mit reichen Geistesgaben (Charismen) zum Aufbau der Kirche in ihren Gemeinden beschenkt. Dieser Kirche ist von Gott das (priesterliche) Amt geschenkt. Damit sie nie vergisst, dass sie sich nicht selbst schafft, sondern sich Gott verdankt. Hauptaufgabe der bestellten Amtsträger ist es, die anvertrauten Gemeinden in der Spur des Evangeliums und im Verbund mit den anderen Evangeliumsgemeinden zu halten. Daher ist eines der zentralen Symbole der Weihe in ein kirchliches Amt die Überreichung des Evangeliums: dem Bischof wird es aufs Haupt gelegt – das Evangelium wohlgemerkt, nicht das Kirchenrecht. 2. Vor dem Hintergrund der kirchlichen Gewohnheiten in den letzten Jahrhunderten ist es erforderlich, die Gemeinden und die „Hinzugefügten“ so zu entwickeln, dass diese in unvertretbarer Eigenverantwortung das Leben und Wirken ihrer Gemeinde tragen und verantworten. 3. Kein Lösungsvorschlag für den derzeit sich in vielen Regionen ausbreitenden Pfarrermangel darf dieses Ziel behindern. Das wäre aber unserer Meinung nach dann der Fall, wenn in wenig entwickelten Gemeinden der scheidende Pfarrer lediglich durch einen Priesterersatz ersetzt wird – sich aber ansonsten am gemeindlichen Leben nichts ändert. Das kann auch dann geschehen, wenn ein Hauptamtlicher bestellt wird, dem die nach wie vor versorgten Kirchenmitglieder die gleichen Erwartungen entgegenbringen wie dem bisherigen Kleriker, oder wenn er sich aus berufssoziologischen Gründen in die Rolle eines Klerikers begibt, nunmehr freilich nicht in der Form eines Klerikers, sondern eines Pastoral-Fachmannes. Die Kirche würde auf diesem 14 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART Weg nur von einer Priesterkirche in eine Expertenkirche umgeformt werden. Das wäre dann aber nichts anderes als ein modernisierter Klerikalismus. Zwar würde damit der Priestermangel in kurzer Zeit beseitigt werden können. Die vom Konzil gewollte Erneuerung des kirchlichen Lebens in den Pfarrgemeinden bliebe aber nach wie vor aus, noch mehr: Sie könnte dadurch sogar behindert werden. Vorschlag für zwei Priestertypen 4. Es gibt bislang drei praktische Lösungsvorschläge, um den drastischen Priestermangel zu verarbeiten, einen traditionellen, einen pragmatischen und einen reformistischen: Traditionell: Das Gebet um mehr herkömmliche Priester aus der Gruppe eheloser akademisch gebildeter Männer soll verstärkt werden. Es sollen Priester aus priesterreichen Gegenden in priesterarme gehen; die Berufungspastoral und – als Teil von ihr – die Werbung für kirchliche Berufe soll intensiviert werden. Pragmatisch: (hauptamtliche) Laien (und Diakone) übernehmen (zur Not) presbyterale Aufgaben. Als Begleitmaßnahme wird die Größe der Seelsorgsräume der verfügbaren Zahl von Priestern angepasst. Reformistisch: Die Gruppe, aus der Priester genommen werden, soll durch Änderung der Zulassungsbedingungen (Geschlecht, Ausbildung, Lebensform) vergrößert werden. Dadurch könnten die fehlenden Geistlichen rasch ersetzt werden. 5. Wir machen einen vierten Vorschlag: Nicht die fehlenden Priester sollen rasch ersetzt werden. Vielmehr soll der herkömmliche Priestertyp durch einen zweiten Priestertyp ergänzt werden. Inspiriert sind wir bei diesem Vorschlag durch die paulinischen Gemeindeberichte. Diese kennen gleichfalls zwei Priestertypen: einen gemeindegründerisch-missionarischen Typ – Paulus selbst – und in den einzelnen Gemeinden einen gemeindeleitenden, gottesdienstvorstehenden Typ – die Presbyter etwa in Korinth. Wir schlagen daher vor, diese beiden Priestertypen „Pauluspriester“ und „Korinthpriester“ zu nennen. Das sind die entscheidenden Unterschiede zwischen den beiden Typen: Korinthpriester werden für priesterliche Aufgaben in jener Gemeinde bestellt, aus der sie kommen, und sie existieren immer als ein Team, nicht als Einzelne. Der erste Schritt ist dabei nicht die Suche nach einer Priesterberufung, die im Herzen der Einzelnen aufbricht, sondern es ist die Gemeinde, die gemeindeerfahrene Personen sucht (viri probati), die sie für das Priesteramt erwählt und die der Bischof in einem Gottesdienst in ein gemeindliches Presbyterium hineinweiht. Sie stehen der Eucharistiefeier vor und leiten aus deren Mitte her die Gläubigen, indem sie die Gemeinde, die sie erwählt hat, in der Spur des Evangeliums halten. Pauluspriester wiederum wissen sich zunächst als Person zum Priesteramt berufen und werden dann zu einer amtlichen Aufgabe bestellt. Ihr Auftrag ist es, mit dem anvertrauten Evangelium Gemeinden zu gründen sowie gegründete Gemeinden und deren „Korinthpriesterteam“ zu begleiten. 6. Zu den beiden Priestertypen gibt es unterschiedliche Zugänge und Voraussetzungen. Die Pauluspriester kommen nach wie vor aus der Gruppe der ehelosen, akademisch gebildeten Männer (und in einer nicht bestimmbaren Zeit auch wohl der Frauen). Dieser Typ des Priesteramts wird zumeist hauptamtlich ausgeübt. Angemerkt sei, dass Papst Pius IX. in einer theologisch gewichtigen Enzyklika schrieb, dass sich der Pontifex Romanus „nie und nimmer“ anfreunden werde mit Demokratie, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und vor allem nicht mit der Religionsfreiheit. 101 Jahre später verabschiedete das Zweite Vatikanische Konzil sein Dekret über die Religionsfreiheit. Papst Johannes Paul II. betonte, dass sich die katholische Kirche „nie und nimmer“ aus Treue zu Christus bereit finden dürfe, Frauen ins Priesteramt zu weihen. War dies möglicherweise auch der Anfang eines „Countdowns“, einer Veränderung? Und wenn ja: Wie lange könnte diese nunmehr dauern? Die Korinthpriester hingegen kommen aus einem anderen Umfeld. Im Mittelpunkt steht jetzt die Gemeindeerfahrung, was sie in diesem und nur in diesem Sinn zu „viri probati“ macht. Möglich ist, dass sie verheiratet sind. Sie werden in ein gemeindliches Pres- byterium hineingeweiht, in dem es vielleicht in unbestimmter Zeit auch Frauen geben wird; ihre Ausbildung ist wie ihre Fortbildung berufsbegleitend, die Ausübung dieses Priesteramtes ist im Normalfall ehrenamtlich. Religion erleben Ein Ausweg aus der Zölibatsdebatte 7. Die katholische Kirche könnte dann auch für die leidige Zölibatsdebatte einen überraschenden Ausweg finden. Sie braucht einerseits den Pflichtzölibat nicht aufheben. Dieser bleibt für die Pauluspriester bestehen. Andererseits gibt es daneben auch verheiratete Priester, aber eben eines anderen Typs. Die Lösung liegt daher nicht in der (liberal konzipierten) Freistellung des Zölibats, sondern in der (pastoral begründeten) Entwicklung des neuen Typs von Korinthpriestern. Das ergibt eine gewisse Wahlfreiheit für die ehelose Lebensform. Diese Wahl erfolgt aber nicht direkt, sondern indirekt über die Wahl des jeweiligen Priestertyps. Ein junger Mensch, der Priester werden will, kann sich dann entweder für den Weg ins ehelos konzipierte Pauluspriesteramt entscheiden, oder er lebt längere Zeit in einer Gemeinde mit in der Hoffnung, dass er sich gemeindlich so bewährt, dass die Gemeinde ihn in ein Korinthpriesteramt wählt. Auf diesem Weg könnte dann auch eine entängstigte Zölibatspolitik erfolgen. Nach allen vorliegenden Studien wäre derzeit die Freistellung des Zölibats für Weltpriester zugleich dessen Abschaffung. So überrascht es nicht, dass in der griechisch-katholischen Kirche von den Weltpriestern mehr als 97 Prozent verheiratet sind. Daher fordern immer mehr vor einer Freistellung eine Aufwertung des Zölibats; am besten dadurch, dass das Priesteramt selbst zuvor gesplittet wird in Pauluspriester und Korinthpriester und die Ehelosigkeit mit dem hochwertigen Pauluspriesteramt verbunden bliebe. 8. Dieser Vorschlag, mit dem Priestermangel produktiv umzugehen, indem man ein Amt weiterentwickelt, hat einen weiteren Vorteil. Würden wir heute an die Stelle der fehlenden (ehelosen) Priester „viri probati“ setzen, wäre das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit keine Förderung 128 S. | Flexcover mit Leseband € 9,90 /SFr 17.90 /€[A] 10,20 ISBN 978-3-451-28805-0 Was sagt mir Gott? Was sag ich Gott? Mit diesen Fragen haben sich - nach einem Aufruf der Zeitschrift »Christ in der Gegenwart« – 3000 Schüler aus über 200 Schulen beschäftigt. Die besten Texte, Gebete und Meditationen, sind in diesem Jugendgebetbuch zusammengefasst. 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Dort könnten sie sich gemeindegründerisch betätigen, indem sie den Umbau von versorgten in selbstsorgende Gemeinden – vielleicht in Zusammenarbeit mit einer guten Gemeindeberatung – vorantreiben. Extras von Wir halten diesen Vorschlag kirchengeschichtlich keineswegs für besonders neu oder originell. Schon unsere Benennungen erinnert an die Situation in neutestamentlichen Gemeinden. Später gab es die Praxis einer relativen und einer absoluten Weihe. Relativ geweiht wurde jemand zumeist aus einer und für eine bestimmte Pfarrgemeinde, für absolut Geweihte dagegen musste erst eine Gemeinde gesucht werden. Relativ Geweihte sind somit stärker ortsgebunden als die mobilen absolut Geweihten – mit je eigenen Vor- und Nachteilen. Diese zwei Variationen sind bis auf den heutigen Tag nicht in Vergessenheit geraten. Die „Ordnung der pastoralen Dienste“, 1977 von den deutschen Bischöfen als Konkretisierung der weltkirchlichen Vorgaben herausgebracht, beschreibt das Priesteramt so: Aufgabe der Priester ist es, „Gemeinden zu gründen und zu leiten“. Die Entwicklung des gemeindeleitenden Typs der Korinthpriester könnte dazu führen, dass die gemeindegründerische Tätigkeit von Priestern im Modus des Pau- luspriesters wieder verstärkt würde. Das könnte dem in unseren Breiten so sehr gewünschten missionarischen Schwung der gesamten Seelsorge einen mächtigen Schub verleihen. Paul M. Zulehner, Pastoraltheologe und Religionssoziologe in Wien. Fritz Lobinger, seit 1956 Missionar in Afrika, war zuletzt Bischof von Aliwal North/Südafrika. „Ein neues Priestertum“ ist ein Sonderdruck der Wochenzeitschrift CHRIST IN DER GEGENWART. Chefredakteur: Johannes Röser. Redakteure: Jürgen Springer, Michael Schrom, Stephan U. Neumann. Hausadresse: Hermann-Herder-Str. 4, 79104 Freiburg. www.christ-in-der-gegenwart.de Kundenservice: Verlag Herder, 79080 Freiburg, Tel.: (0761) 2717-200, Fax: -222, E-Mail: [email protected]. CHRIST IN DER GEGENWART Christ in der Gegenwart Das besondere Thema Extra-Heft Freiburg i. Br. 2006 Einzelpreis 5.90 € Wie kann man heute redlich glauben, wenn traditionelle Glaubensbilder zerbrechen? Wie fühlt sich der Glaube an? Wellness, Religion, Gott ISBN 978-3-451-00354-7 Wie fühlt sich der Glaube an? Wie Rituale, Liturgie, Gottesdienst, Beten? Je Heft: 36 Seiten € 5,90 /SFr 11.10 /€[A] 6,10 ISBN 978-3-451-00355-4 In allen Buchhandlungen oder unter www.herder.de 16 Sonderdruck CHRIST IN DER GEGENWART